Spiegel der Muse

Sich zu schmücken begierig, verfolgte den rinnenden Bach einst

Früh die Muse hinab, sie suchte die ruhigste Stelle.

Eilend und rauschend indes verzog die schwankende Fläche

Stets das bewegliche Bild; die Göttin wandte sich zürnend;

Doch der Bach rief hinter ihr drein und höhnte sie: Freilich

Magst du die Wahrheit nicht sehn, wie rein sie mein Spiegel dir zeiget!

Aber indessen stand sie schon fern, am Winkel des Seees,

Ihrer Gestalt sich erfreuend, und rückte den Kranz sich zurechte.

 
 * 

Der Schatzgräber

Arm am Beutel, krank am Herzen

Schleppt’ ich meine langen Tage.

Armut ist die größte Plage,

Reichtum ist das höchste Gut!

Und, zu enden meine Schmerzen,

Ging ich, einen Schatz zu graben.

Meine Seele sollst du haben!

Schrieb ich hin mit eignem Blut.

Und so zog ich Kreis’ um Kreise,

Stellte wunderbare Flammen,

Kraut und Knochenwerk zusammen:

Die Beschwörung war vollbracht.

Und auf die gelernte Weise

Grub ich nach dem alten Schatze

Auf dem angezeigten Platze;

Schwarz und stürmisch war die Nacht.

Und ich sah ein Licht von weiten,

Und es kam gleich einem Sterne

Hinten aus der fernsten Ferne,

Eben als es zwölfe schlug.

Und da galt kein Vorbereiten;

Heller ward’s mit einem Male

Von dem Glanz der vollen Schale,

Die ein schöner Knabe trug.

Holde Augen sah ich blinken

Unter dichtem Blumenkranze;

In des Trankes Himmelsglanze

Trat er in den Kreis herein.

Und er hieß mich freundlich trinken;

Und ich dacht’: es kann der Knabe

Mit der schönen lichten Gabe

Wahrlich nicht der Böse sein.

Trinke Mut des reinen Lebens!

Dann verstehst du die Belehrung,

Kommst mit ängstlicher Beschwörung

Nicht zurück an diesen Ort.

Grabe hier nicht mehr vergebens!

Tages Arbeit, Abends Gäste!

Saure Wochen, frohe Feste!

Sei dein künftig Zauberwort.

 
 * 

Abendsonne

(Faust: 1790)

Betrachtet, wie in Abendsonne-Glut

Die grünumgebenen Hütten schimmern!

Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,

Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.

O ! daß kein Flügel mich vom Boden hebt,

Ihr nach und immer nach zu streben!

Ich säh’ im ew’gen Abendstrahl

Die stille Welt zu meinen Füßen,

Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Tal,

Den Silberbach in goldene Ströme fließen.

Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf

Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;

Schon tut das Meer sich mit erwärmten Buchten

Vor den erstaunten Augen auf.

Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;

Allein der neue Trieb erwacht,

Ich eile fort, ihr ew’ges Licht zu trinken,

Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht,

Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.

Ein schöner Traum, indessen sie entweicht!

Ach, zu des Geistes Flügeln wird so leicht

Kein körperlicher Flügel sich gesellen.

Doch ist es jedem eingeboren,

Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,

Wenn über uns, im blauen Raum verloren,

Ihr schmetternd Lied die Lerche singt,

Wenn über schroffen Fichtenhöhen

Der Adler ausgebreitet schwebt

Und über Flächen, über Seen

Der Kranich nach der Heimat strebt.

 
 * 

Den Absolutisten

»Wir streben nach dem Absoluten

Als nach dem allerhöchsten Guten.«

Ich stell’ es einem Jedem frei;

Doch merkt’ ich mir vor andern Dingen:

Wie unbedingt uns zu bedingen

Die absolute Liebe sei.

 
 * 

Wohl zu merken!

Und wenn wir unterschieden haben,

Dann müssen wir lebendige Gaben

Dem Abgesonderten wieder verleihn

Und uns eines Folgelebens erfreun.

So, wenn der Maler, der Poet,

Mit Howard’s Sondrung wohl vertraut,

Des Morgens früh, am Abend spät,

Die Atmosphäre prüfend schaut,

Da läßt er den Charakter gelten;

Doch ihm ertheilen luftige Welten

Das Uebergängliche, das Milde,

Daß er es fasse, fühle, bilde.

 
 * 

Modernes

»Wie aber kann sich Hans van Eyck

Mit Phidias nur messen?«

Ihr müßt, so lehr’ ich, alsogleich

Einen um den Andern vergessen.

Denn wärt ihr stets bei Einer geblieben,

Wie könntet ihr noch immer lieben?

Das ist die Kunst, das ist die Welt,

Daß Eins um’s Andere gefällt.

 
 * 

Dem Fürsten Blücher von Wahlstadt die Seinigen

In Harren und Krieg,

In Sturz und Sieg

Bewußt und groß!

So riß er uns

Vom Feinde los.

 
 * 

An Mignon

Über Tal und Fluß getragen,

Ziehet rein der Sonne Wagen.

Ach, sie regt in ihrem Lauf,

So wie deine, meine Schmerzen,

Tief im Herzen,

Immer morgens wieder auf.

Kaum will mir die Nacht noch frommen,

Denn die Träume selber kommen

Nun in trauriger Gestalt,

Und ich fühle dieser Schmerzen,

Still im Herzen,

Heimlich bildende Gewalt.

Schon seit manchen schönen Jahren

Seh ich unten Schiffe fahren,

Jedes kommt an seinen Ort;

Aber ach, die steten Schmerzen,

Fest im Herzen,

Schwimmen nicht im Strome fort.

Schön in Kleidern muß ich kommen,

Aus dem Schrank sind sie genommen,

Weil es heute Festtag ist;

Niemand ahnet, daß von Schmerzen

Herz im Herzen

Grimmig mir zerrissen ist.

Heimlich muß ich immer weinen,

Aber freundlich kann ich scheinen

Und sogar gesund und rot;

Wären tödlich diese Schmerzen

Meinem Herzen,

Ach, schon lange wär ich tot.

 
 * 

Im Vorübergehn

Ich ging im Felde

So für mich hin,

Und nichts zu suchen,

Das war mein Sinn.

Da stand ein Blümchen

Sogleich so nah,

Daß ich im Leben

Nichts lieber sah.

Ich wollt es brechen,

Da sagt es schleunig:

Ich habe Wurzeln,

Die sind gar heimlich.

Im tiefen Boden

Bin ich gegründet;

Drum sind die Blüten

So schön geründet.

Ich kann nicht liebeln,

Ich kann nicht schranzen;

Mußt mich nicht brechen,

Mußt mich verpflanzen.

*

Ich ging im Walde

So vor mich hin;

Ich war so heiter,

Wollt immer weiter –

Das war mein Sinn.

 
 * 

Vertrauen

A.

Was krähst du mir und thust so groß?

Hab’ ich doch ein köstlich Liebchen!

So weis’ mir sie doch! Wer ist sie denn?

Die kennt wohl manches Bübchen!

B.

Kennst du sie denn, du Lumpenhund?

A.

Das will ich grad’ nicht sagen;

Doch hat sie wohl auch zu guter Stund’

Dem und Jenem nichts abgeschlagen.

B.

Wer ist denn der Der und der Jener denn?

Das sollst du mir bekennen!

Ich schlage dir gleich den Schädel ein,

Wenn du sie mir nicht kannst nennen!

A.

Und schlügst du mir auch den Schädel ein,

Da könnt’ ich ja nimmer reden;

Und wenn du denkst: »Mein Schätzel ist gut!«

Ist weiter ja nichts vonnöthen.

 
 * 

Die Nektartropfen

Als Minerva jenen Liebling,

Den Prometheus, zu begünst’gen,

Eine volle Nektarschale

Von dem Himmel niederbrachte,

Seine Menschen zu beglücken,

Und den Trieb zu holden Künsten

Ihrem Busen einzuflößen:

Eilte sie mit schnellen Füßen,

Daß sie Jupiter nicht sähe;

Und die goldne Schale schwankte,

Und es fielen wenig Tropfen

Auf den grünen Boden nieder.

Emsig waren drauf die Bienen

Hinterher, und saugten fleißig;

Kam der Schmetterling geschäftig,

Auch ein Tröpfchen zu erhaschen;

Selbst die ungestalte Spinne

Kroch herbei und sog gewaltig.

Glücklich haben sie gekostet,

Sie und andre zarte Thierchen!

Denn sie theilen mit dem Menschen

Nun das schönste Glück, die Kunst.

 
 * 

Jahrmarkt zu Hünfeld,

den 26. Juli 1814.

Ich ging mit stolzem Geistsvertrauen

Auf dem Jahrmarkt mich umzuschauen,

Die Käufer zu sehn an der Händler Gerüste,

Zu prüfen, ob ich noch etwas wüßte,

Wie mir’s Lavater vor alter Zeit

Traulich überliefert, das ging sehr weit!

Da sah ich denn zuerst Soldaten,

Denen war’s eben zum Besten gerathen:

Die That und Qual sie wahr geschehn,

Wollten sich nicht gleich einer neuen versehn;

Der Rock war schon der Dirne genug,

Daß sie ihm derb in die Hände schlug.

Bauer und Bürger, die schienen stumm,

Die guten Knaben beinahe dumm.

Beutel und Scheune wahr gefegt,

Und hatten keine Ehre eingelegt.

Erwarteten Alle, was da käme.

Wahrscheinlich auch nicht sehr bequeme.

Frauen und Mägdlein in guter Ruh

Probirten an die hölzernen Schuh;

Man sah an Mienen und Geberden:

Sie ist guter Hoffnung, oder will es werden.

 
 * 

Zigeunerlied

Im Nebelgeriesel, im tiefen Schnee,

Im wilden Wald, in der Winternacht,

Ich hörte der Wölfe Hungergeheul,

Ich hörte der Eulen Geschrei.

Wille wau wau wau!

Wille wo wo wo!

Wito hu!

Ich schoß einmal eine Katz am Zaun,

Der Anne, der Hex, ihre schwarze liebe Katz.

Da kamen des Nachts sieben Werwölf zu mir,

Waren sieben sieben Weiber vom Dorf.

Wille wau wau wau!

Wille wo wo wo!

Wito hu!

Ich kannte sie all, ich kannte sie wohl,

Die Anne, die Ursel, die Käth,

Die Liese, die Barbe, die Ev, die Beth,

Sie heulten im Kreise mich an.

Wille wau wau wau!

Wille wo wo wo!

Wito hu!

Da nannt ich sie alle bei Namen laut:

Was willst du, Anne? Was willst du, Beth?

Da rüttelten sie sich, da schüttelten sie sich,

Und liefen und heulten davon.

Wille wau wau wau!

Wille wo wo wo!

Wito hu!

 
 * 

Wechsellied zum Tanze

Die Gleichgültigen

Komm mit, o Schöne, komm mit mir zum Tanze;

Tanzen gehöret zum festlichen Tag.

Bist du mein Schatz nicht, so kannst du es werden,

Wirst du es nimmer, so tanzen wir doch.

Komm mit, o Schöne, komm mit mir zum Tanze;

Tanzen verherrlicht den festlichen Tag.

Die Zärtlichen

Ohne dich, Liebste, was wären die Feste?

Ohne dich, Süße, was wäre der Tanz?

Wärst du mein Schatz nicht, so möcht ich nicht tanzen,

Bleibst du es immer, ist Leben ein Fest.

Ohne dich, Liebste, was wären die Feste?

Ohne dich, Süße, was wäre der Tanz?

Die Gleichgültigen

Laß sie nur lieben, und laß du uns tanzen!

Schmachtende Liebe vermeidet den Tanz.

Schlingen wir fröhlich den drehenden Reihen,

Schleichen die andern zum dämmernden Wald.

Laß sie nur lieben, und laß du uns tanzen!

Schmachtende Liebe Vermeidet den Tanz.

Die Zärtlichen

Laß sie sich drehen, und laß du uns wandeln!

Wandeln der Liebe ist himmlischer Tanz.

Amor, der nahe, der höret sie spotten,

Rächet sich einmal, und rächet sich bald.

Laß sie sich drehen, und laß du uns wandeln!

Wandeln der Liebe ist himmlischer Tanz.

 
 * 

Das Blümlein Wunderschön

Lied des gefangenen Grafen

Graf

Ich kenne ein Blümlein Wunderschön

Und trage danach Verlangen;

Ich möcht es gerne zu suchen gehn,

Allein ich bin gefangen.

Die Schmerzen sind mir nicht gering;

Denn als ich in der Freiheit ging,

Da hatt ich es in der Nähe.

Von diesem ringsum steilen Schloß

Laß ich die Augen schweifen

Und kanns vom hohen Turmgeschoß

Mit Blicken nicht ergreifen;

Und wer mirs vor die Augen brächt,

Es wäre Ritter oder Knecht,

Der sollte mein Trauter bleiben.

Rose

Ich blühe schön, und höre dies

Hier unter deinem Gitter.

Du meinest mich, die Rose, gewiß,

Du edler, armer Ritter!

Du hast gar einen hohen Sinn,

Es herrscht die Blumenkönigin

Gewiß auch in deinem Herzen.

Graf

Dein Purpur ist aller Ehren wert

Im grünen Überkleide;

Darob das Mägdlein dein begehrt

Wie Gold und edel Geschmeide.

Dein Kranz erhöht das schönste Gesicht;

Allein, du bist das Blümchen nicht,

Das ich im stillen verehre.

Lilie

Das Röslein hat gar stolzen Brauch

Und strebet immer nach oben;

Doch wird ein liebes Liebchen auch

Der Lilie Zierde loben.

Wems Herze schlägt in treuer Brust

Und ist sich rein, wie ich, bewußt,

Der hält mich wohl am höchsten.

Graf

Ich nenne mich zwar keusch und rein

Und rein von bösen Fehlen;

Doch muß ich hier gefangen sein

Und muß mich einsam quälen.

Du bist mir zwar ein schönes Bild

Von mancher Jungfrau, rein und mild.

Doch weiß ich noch was Liebers.

Nelke

Das mag wohl ich, die Nelke, sein

Hier in des Wächters Garten,

Wie würde sonst der Alte mein

Mit so viel Sorge warten?

Im schönen Kreis der Blätter Drang,

Und Wohlgeruch das Leben lang,

Und alle tausend Farben.

Graf

Die Nelke soll man nicht verschmähn,

Sie ist des Gärtners Wonne;

Bald muß sie in dem Lichte stehn,

Bald schützt er sie vor Sonne;

Doch was den Grafen glücklich macht,

Ist nicht die ausgesuchte Pracht:

Es ist ein stilles Blümchen.

Veilchen

Ich steh verborgen und gebückt

Und mag nicht gerne sprechen,

Doch will ich, weil sichs eben schickt,

Mein tiefes Schweigen brechen.

Wenn ich es bin, du guter Mann,

Wie schmerzt michs, daß ich hinauf nicht kann

Dir alle Gerüche senden.

Graf

Das gute Veilchen schätz ich sehr:

Es ist so gar bescheiden

Und duftet so schön; doch brauch ich mehr

In meinen herben Leiden.

Ich will es euch nur eingestehn;

Auf diesen dürren Felsenhöhn

Ists Liebchen nicht zu finden.

Doch wandelt unten, an dem Bach,

Das treuste Weib der Erde

Und seufzet leise manches Ach,

Bis ich erlöset werde.

Wenn sie ein blaues Blümchen bricht

Und immer sagt: Vergiß mein nicht!

So fühl ichs in der Ferne.

Ja, in der Ferne fühlt sich die Macht,

Wenn zwei sich redlich lieben;

Drum bin ich in des Kerkers Nacht

Auch noch lebendig blieben.

Und wenn mir fast das Herzt bricht,

So ruf ich nur: Vergiß mein nicht!

Da komm ich wieder ins Leben.

 
 * 

Zahme Xenien

»Warum willst du dich von uns allen

Und unsrer Meinung entfernen?«

Ich schreibe nicht, euch zu gefallen;

Ihr sollt was lernen!

»Ist denn das klug und wohlgetan

Was willst du Freund’ und Feinde kränken?«

Erwachsne gehn mich nichts mehr an,

Ich muß nun an die Enkel denken.

Ein alter Mann ist stets ein König Lear! –

Was Hand in Hand mitwirkte, stritt,

Ist längst vorbeigegangen;

Was mit und an dir liebte, litt,

Hat sich woanders angehangen.

Die Jugend ist um ihretwillen hier,

Es wäre törig, zu verlangen:

Komm, ältele du mit mir.

Wonach soll man am Ende trachten?

Die Welt zu kennen und sie nicht zu verachten.

Hast du es so lange wie ich getrieben,

Versuche wie ich das Leben zu lieben.

Nichts vom Vergänglichen,

Wie’s auch geschah!

Uns zu verewigen,

Sind wir ja da.

»Sag nur, wie trägst du so behäglich

Der tollen Jugend anmaßliches Wesen?«

Fürwahr, sie wären unerträglich,

Wär ich nicht auch unerträglich gewesen.

Mir will das kranke Zeug nicht munden,

Autoren sollten erst gesunden.

Mit Narren leben wird dir gar nicht schwer,

Versammle nur ein Tollhaus um dich her.

Bedenke dann, das macht dich gleich gelind,

Daß Narrenwärter selbst auch Narren sind.

»Da reiten sie hin! wer hemmt den Lauf?«

Wer reitet denn? »Stolz und Unwissenheit.«

Laß sie reiten! da ist gute Zeit,

Schimpf und Schande sitzen hintenauf.

»Wie ist dirs doch so balde

Zur Ehr und Schmach gediehn?«

Blieb der Wolf im Walde,

Würd er nicht beschrien.

»Triebst du doch bald dies, bald das!

War es ernstlich, war es Spaß?«

Daß ich redlich mich beflissen,

Was auch werde, Gott mags wissen.

»So sei doch höflich!« – Höflich mit dem Pack?

Mit Seide näht man keinen groben Sack.

Was euch die heilige Preßfreiheit

Für Frommen, Vorteil und Früchte beut?

Davon habt ihr gewisse Erscheinung:

Tiefe Verachtung öffentlicher Meinung.

Wer den Dichter will verstehen,

Muß in Dichters Lande gehen.

Ich bin so guter Dinge,

So heiter und so rein,

Und wenn ich einen Fehler beginge,

Könnts keiner sein.

»Manches können wir nicht verstehn.«

Lebt nur so fort, es wird schon gehn.

Ich habe gar nichts gegen die Menge;

Doch kommt sie einmal ins Gedränge,

So ruft sie, um den Teufel zu bannen,

Gewiß die Schelme, die Tyrannen.

Wenn ich kennte den Weg des Herrn,

Ich ging’ ihn wahrhaftig gar zu gern;

Führte man mich in der Wahrheit Haus,

Bei Gott! ich ging’ nicht wieder heraus.

Habt ihr gelogen in Wort und Schrift,

Andern ist es und euch ein Gift.

»Du hast nicht recht!« Das mag wohl sein;

Doch das zu sagen, ist klein;

Habe mehr Recht als ich! das wird was sein.

Hätte Gott mich anders gewollt,

So hätt er mich anders gebaut;

Da er mir aber Talent gezollt,

Hat er mir viel vertraut.

Ich brauch es zur Rechten und Linken,

Weiß nicht, was daraus kommt;

Wenns nicht mehr frommt,

Wird er schon winken.

»Du hast Unsterblichkeit im Sinn;

Kannst du uns deine Gründe nennen?«

Gar wohl! Der Hauptgrund liegt darin,

Daß wir sie nicht entbehren können.

All unser redlichstes Bemühn

Glückt nur im unbewußten Momente.

Wie möchte denn die Rose blühn,

Wenn sie der Sonne Herrlichkeit erkennte!

Gern hören wir allerlei gute Lehr,

Doch Schmähen und Schimpfen noch viel mehr.

»Was hat dich nur von uns entfernt?«

Hab immer den Plutarch gelesen.

»Was hast du denn dabei gelernt?«

Sind eben alles Menschen gewesen.

Du sehnst dich, weit hinaus zu wandern,

Bereitest dich zu raschem Flug;

Dir selbst sei treu und treu den andern,

Dann ist die Enge weit genug.

Halte dich nur im stillen rein

Und laß es um dich wettern;

Je mehr du fühlst, ein Mensch zu sein,

Desto ähnlicher bist du den Göttern.

Sie täten gern große Männer verehren,

Wenn diese nur zugleich auch Lumpe wären.

Vom Vater hab ich die Statur,

Des Lebens ernstes Führen,

Vom Mütterchen die Frohnatur

Und Lust zu fabulieren.

Urahnherr war der Schönsten hold,

Das spukt so hin und wieder;

Urahnfrau liebte Schmuck und Gold,

Das zuckt wohl durch die Glieder.

Sind nun die Elemente nicht

Aus dem Komplex zu trennen,

Was ist denn an dem ganzen Wicht

Original zu nennen?

Wer mit dem Leben spielt,

Kommt nie zurecht;

Wer sich nicht selbst befiehlt,

Bleibt immer Knecht.

Könnt ich vor mir selber fliehn!

Das Maß ist voll.

Ach! warum streb ich immer dahin,

Wohin ich nicht soll?

Wer lebenslang dir wohlgetan,

Verletzung rechne dem nicht an.

Ich habe nichts gegen die Frömmigkeit,

Sie ist zugleich Bequemlichkeit;

Wer ohne Frömmigkeit will leben,

Muß großer Mühe sich ergeben:

Auf seine eigne Hand zu wandern,

Sich selbst genügen und den andern

Und freilich auch dabei vertraun:

Gott werde wohl auf ihn niederschaun.

Wer Wissenschaft und Kunst besitzt,

Hat auch Religion;

Wer jene beiden nicht besitzt,

Der habe Religion.

Am Jüngsten Tag, vor Gottes Thron

Stand endlich Held Napoleon.

Der Teufel hielt ein großes Register

Gegen denselben und seine Geschwister.

Gott Vater oder Gott der Sohn,

Einer von beiden sprach vom Thron:

»Wiederhols nicht vor göttlichen Ohren!

Du sprichst wie die deutschen Professoren,

Getraust du dich, ihn anzugreifen,

So magst du ihn nach der Hölle schleifen.«

»Warum denn wie mit einem Besen

Wird so ein König hinausgekehrt?«

Wärens Könige gewesen,

Sie stünden alle noch unversehrt.

Die stille Freude wollt ihr stören?

Laßt mich bei meinem Becher Wein;

Mit andern kann man sich belehren,

Begeistert wird man nur allein.

Amerika, du hast es besser

Als unser Kontinent, der alte,

Hast keine verfallenen Schlösser

Und keine Basalte.

Dich stört nicht im Innern

Zu lebendiger Zeit

Unnützes Erinnern

Und vergeblicher Streit.

Ein dürres Blatt, vom Wind getrieben,

Sieht öfters einem Vogel gleich.

Ein jeder kehre vor seiner Tür,

Und rein ist jedes Stadtquartier.

Ein jeder übe seine Lektion,

So wird es gut im Rate stohn.

Jüngling, merke dir, in Zeiten,

Wo sich Geist und Sinn erhöht:

Daß die Muse zu begleiten,

Doch zu leiten nicht versteht.

 
 * 

Hypochonder

Der Teufel hol das Menschengeschlecht!

Man möchte rasend werden!

Da nehm ich mir so eifrig vor:

Will niemand weiter sehen,

Will all das Volk Gott und sich selbst

Und dem Teufel überlassen!

Und kaum seh ich ein Menschengesicht,

So hab ichs wieder lieb.

 
 * 

Den Originalen

Ein Quidam sagt: »Ich bin von keiner Schule;

Kein Meister lebt, mit dem ich buhle;

Auch bin ich weit davon entfernt,

Daß ich von Toten was gelernt.«

Das heißt, wenn ich ihn recht verstand:

»Ich bin ein Narr auf eigne Hand.«

 
 * 

Nachtgedanken

Euch bedaur ich, unglückselige Sterne,

Die ihr schön seid und so herrlich scheinet,

Dem bedrängten Schiffer gerne leuchtet,

Unbelohnt von Göttern und von Menschen:

Denn ihr liebt nicht, kanntet nie die Liebe!

Unaufhaltsam führen ewge Stunden

Eure Reihen durch den weiten Himmel.

Welche Reise habt ihr schon vollendet!

Seit ich weilend in dem Arm der Liebsten

Euer und der Mitternacht vergessen.

 
 * 

Der Chinese in Rom

Einen Chinesen sah ich in Rom; die gesammten Gebäude

Alter und neuerer Zeit schienen ihm lästig und schwer.

Ach! so seufzt’ er, die Armen! ich hoffe, sie sollen begreifen,

Wie erst Säulchen von Holz tragen des Daches Gezelt,

Daß an Latten und Pappen, Geschnitz und bunter Vergoldung

Sich des gebildeten Aug’s feinerer Sinn nur erfreut.

Siehe, da glaubt’ ich, im Bilde, so manchen Schwärmer zu schauen,

Der sein luftig Gespinnst mit der soliden Natur

Ewigem Teppich vergleicht, den echten, reinen Gesunden

Krank nennt, daß ja nur er heiße, der Kranke, gesund.

 
 * 

Meeres Stille

Tiefe Stille herrscht im Wasser,

Ohne Regung ruht das Meer,

Und bekümmert sieht der Schiffer

Glatte Fläche ringsumher.

Keine Luft von keiner Seite!

Todesstille fürchterlich!

In der ungeheuern Weite

Reget keine Welle sich.

 
 * 

Schweizeralpe

War doch gestern dein Haupt noch so braun wie die Locke der Lieben,

Deren holdes Gebild still aus der Ferne mir winkt;

Silbergrau bezeichnet dir früh der Schnee nun die Gipfel,

Der sich in stürmender Nacht dir um den Scheitel ergoß.

Jugend, ach! ist dem Alter so nah, durchs Leben verbunden,

Wie ein beweglicher Traum Gestern und Heute verband.

 
 * 

Frühling übers Jahr

Das Beet, schon lockert

Sichs in die Höh,

Da wanken Glöckchen

So weiß wie Schnee;

Safran entfaltet

Gewaltge Glut,

Smaragden keimt es

Und keimt wie Blut.

Primeln stolzieren

So naseweis,

Schalkhafte Veilchen,

Versteckt mit Fleiß;

Was auch noch alles

Da regt und webt,

Genug, der Frühling,

Er wirkt und lebt.

Doch was im Garten

Am reifsten blüht,

Das ist des Liebchens

Lieblich Gemüt.

Da glühen Blicke

Mir immerfort,

Erregend Liedchen,

Erheiternd Wort;

Ein immer offen,

Ein Blütenherz,

Im Ernste freundlich

Und rein im Scherz.

Wenn Ros und Lilie

Der Sommer bringt,

Er doch vergebens

Mit Liebchen ringt.

 
 * 

Frühzeitiger Frühling

Tage der Wonne,

Kommt ihr so bald?

Schenkt mir die Sonne,

Hügel und Wald?

Reichlicher fließen

Bächlein zumal.

Sind es die Wiesen?

Ist es das Tal?

Blauliche Frische!

Himmel und Höh!

Goldene Fische

Wimmeln im See.

Buntes Gefieder

Rauschet im Hain;

Himmlische Lieder

Schallen darein.

Unter des Grünen

Blühender Kraft

Naschen die Bienen

Summend am Saft.

Leise Bewegung

Bebt in der Luft,

Reizende Regung,

Schläfernder Duft.

Mächtiger rühret

Bald sich ein Hauch,

Doch er verlieret

Gleich sich im Strauch.

Aber zum Busen

Kehrt er zurück.

Helfet, ihr Musen,

Tragen das Glück!

Saget, seit gestern

Wie mir geschah?

Liebliche Schwestern,

Liebchen ist da!

 
 * 

Lebendiges Andenken

Der Liebsten Band und Schleife rauben,

Halb mag sie zürnen, halb erlauben,

Euch ist es viel, ich will es glauben

Und gönn’ euch solchen Selbstbetrug:

Ein Schleier, Halstuch, Strumpfband, Ringe

Sind wahrlich keine kleinen Dinge;

Allein mir sind sie nicht genug.

Lebend’gen Theil von ihrem Leben,

Ihn hat nach leisem Widerstreben

Die Allerliebste mir gegeben,

Und jene Herrlichkeit wird nichts.

Wie lach’ ich all der Trödelwaare!

Sie schenkte mir die schönen Haare,

Den Schmuck des schönsten Angesichts.

Soll ich dich gleich, Geliebte, missen,

Wirst du mir doch nicht ganz entrissen:

Zu schaun, zu tändeln und zu küssen

Bleibt die Reliquie von dir. –

Gleich ist des Haars und mein Geschicke;

Sonst buhlten wir mit Einem Glücke

Um sie, jetzt sind wir fern von ihr.

Fest waren wir an sie gehangen;

Wir streichelten die runden Wangen,

Uns lockt’ und zog ein süß Verlangen,

Wir gleiteten zur vollern Brust.

O Nebenbuhler, frei von Neide,

Du süß Geschenk, du schöne Beute,

Erinnre mich an Glück und Lust!

 
 * 

Lähmung

Was Gutes zu denken, wäre gut,

Fänd’ sich nur immer das gleiche Blut;

Dein Gutgedachtes in fremden Adern

Wird sogleich mit dir selber hadern.

Ich wär’ noch gern ein thätig Mann,

Will aber ruhn;

Denn ich soll ja noch immer thun,

Was immer ungern ich gethan.

Trüge gern noch länger des Lehrers Bürden,

Wenn Schüler nur nicht gleich Lehrer würden.

 
 * 

Gutmann und Gutweib

Und morgen fällt St. Martins Fest,

Gutweib liebt ihren Mann;

Da knetet sie ihm Puddings ein

Und bäckt sie in der Pfann’.

Im Bette liegen Beide nun,

Da saus’t ein wilder West;

Und Gutmann spricht zur guten Frau:

Du riegle die Thüre fest. –

Bin kaum erholt und halb erwarmt,

Wie käm’ ich da zur Ruh;

Und klapperte sie einhundert Jahr,

Ich riegelte sie nicht zu.

Drauf eine Wette schlossen sie

Ganz leise sich in’s Ohr:

So wer das erste Wörtlein spräch’,

Der schöbe den Riegel vor.

Zwei Wandrer kommen um Mitternacht

Und wissen nicht, wo sie stehn;

Die Lampe losch, der Herd verglomm,

Zu hören ist Nichts, zu sehn.

Was ist das für ein Hexenort?

Da bricht uns die Geduld!

Doch hörten sie kein Sterbenswort,

Deß war die Thüre schuld.

Den weißen Pudding speis’ten sie,

Den schwarzen ganz vertraut.

Und Gutweib sagte sich selber viel,

Doch keine Sylbe laut.

Zu Diesem sprach der Jene dann:

Wie trocken ist mir der Hals!

Der Schrank, der klafft und geistig riecht’s,

Da findet sich’s allenfalls.

Ein Fläschchen Schnapps ergreif’ ich da,

Das trifft sich doch geschickt!

Ich bring’ es dir, du bringst es mir,

Und bald sind wir erquickt.

Doch Gutmann sprang so heftig auf

Und fuhr sie drohend an:

Bezahlen soll mit theurem Geld,

Wer mir den Schnapps verthan!

Und Gutweib sprang auch froh heran,

Drei Sprünge, als wär’ sie reich:

Du, Gutmann, sprachst das erste Wort,

Nun riegle die Thüre gleich!

 
 * 

Homer wieder Homer

Scharfsinnig habt ihr, wie ihr seid,

Von aller Verehrung uns befreit,

Und wir bekannten überfrei,

Daß Ilias nur ein Flickwerk sei.

Mög’ unser Abfall Niemand kränken;

Denn Jugend weiß uns zu entzünden,

Daß wir Ihn lieber als Ganzes denken,

Als Ganzes freudig Ihn empfinden.

 
 * 

Stets derselbe

Wenn ich auf dem Markte geh’

Durch’s Gedränge,

Und das hübsche Mädchen seh’

In der Menge;

Geh’ ich hier, sie kommt heran,

Aber drüben;

Niemanden sieht uns Beiden an,

Wie wir lieben.

»Alter, hörst du noch nicht auf!

Immer Mädchen!

In dem jungen Lebenslauf

War’s ein Käthchen.

Welche jetzt den Tag versüßt?

Sag’s mit Klarheit.«

Seht nur hin, wie sie mich grüßt.

Es ist die Wahrheit.

 
 * 

Heut und ewig

Unmöglich ists, den Tag dem Tag zu zeigen,

Der nur Verworrnes im Verworrnen spiegelt,

Und jeder selbst sich fühlt als recht und eigen,

Statt sich zu zügeln, nur am andern zügelt;

Da ists den Lippen besser, daß sie schweigen,

Indes der Geist sich fort und fort beflügelt.

Aus Gestern wird nicht Heute; doch Äonen,

Sie werden wechselnd sinken, werden thronen.

 
 * 

Ergo bibamus

Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun,

Drum, Brüderchen, Ergo bibamus.

Die Gläser sie klingen, Gespräche sie ruhn,

Beherziget: Ergo bibamus.

Das heißt noch ein, altes, ein tüchtiges Wort,

Es passet zum ersten und passet so fort,

Und schallet ein Echo vom festlichen Ort,

Ein herrliches Ergo bibamus.

Ich hatte mein freundliches Liebchen gesehn,

Da dacht ich mir: Ergo bibamus.

Und nahte mich traulich, da ließ sie mich stehn;

Ich half mir und dachte: Bibamus.

Und wenn sie versöhnet euch herzet und küßt

Und wenn ihr das Herzen und Küssen vermißt,

So bleibet nur, bis ihr was Besseres wißt,

Beim tröstlichen Ergo bibamus.

Mich ruft das Geschick von den Freunden hinweg;

Ihr Redlichen! Ergo bibamus.

Ich scheide von hinnen mit leichtem Gepäck,

Drum doppeltes Ergo bibamus.

Und was auch der Filz von dem Leibe sich schmorgt,

So bleibt für den Heitern doch immer gesorgt,

Weil immer dem Frohen der Fröhliche borgt;

Drum, Brüderchen! Ergo bibamus.

Was sollen wir sagen zum heutigen Tag?

Ich dächte nur: Ergo bibamus.

Er ist nun einmal von besonderem Schlag,

Drum immer aufs neue: Bibamus.

Er führet die Freude durchs offene Tor,

Es glänzen die Wolken, es teilt sich der Flor,

Da leuchtet ein Bildchen, ein göttliches, vor;

Wir klingen und singen: Bibamus.

 
 * 

Kommt Zeit, kommt Rat

Wer will denn alles gleich ergründen!

Sobald der Schnee schmilzt, wird sichs finden.

 
 * 

Schweizerlied

Uf’m Bergli

Bin i gesässe,

Ha de Vögle

Zugeschaut;

Hänt gesunge,

Hänt gesprunge,

Hänt’s Nästli

Gebaut.

In ä Garte

Bin i gestande,

Ha de Imbli

Zugeschaut!

Hänt gebrummet,

Hänt gesummet,

Hänt Zelli

Gebaut.

Uf d’ Wiese

Bin i gange,

Lugt’ i Summer–

vögle a;

Hänt gesoge,

Hänt gefloge,

Gar z’ schön hänt’s

Gethan.

Und da kummt nu

Der Hansel,

Und da zeig i

Em froh,

Wie sie’s mache,

Und mer lache

Und mache’s

Au so.

 
 * 

Alexis und Dora

Bilder so wie Leidenschaften
Mögen gern am Liede haften.

Ach! unaufhaltsam strebet das Schiff mit jedem Momente

Durch die schäumende Flut weiter und weiter hinaus!

Langhin furcht sich die Gleise des Kiels, worin die Delphine

Springend folgen, als flöh’ ihnen die Beute davon.

Alles deutet auf glückliche Fahrt: der ruhige Bootsmann

Ruckt am Segel gelind, das sich für alle bemüht;

Vorwärts dringt der Schiffenden Geist, wie Flaggen und Wimpel;

Einer nur steht rückwärts traurig gewendet am Mast,

Sieht die Berge schon blau, die scheidenden, sieht in das Meer sie

Niedersinken, es sinkt jegliche Freude vor ihm.

Auch dir ist es verschwunden, das Schiff, das deinen Alexis,

Dir, o Dora, den Freund, ach! dir den Bräutigam raubt.

Auch du blickest vergebens nach mir. Noch schlagen die Herzen

Für einander, doch, ach! nun aneinander nicht mehr.

Einziger Augenblick, in welchem ich lebte, du wiegest

Alle Tage, die sonst kalt mir verschwinden, auf.

Ach! nur im Augenblick, im letzten, stieg mir ein Leben

Unvermutet in dir, wie von den Göttern, herab.

Nur umsonst verklärst du mit deinem Lichte den Äther;

Dein alleuchtender Tag, Phöbus, mir ist er verhaßt.

In mich selber kehr’ ich zurück; da will ich im stillen

Wiederholen die Zeit, als sie mir täglich erschien.

War es möglich, die Schönheit zu sehn und nicht zu empfinden?

Wirkte der himmlische Reiz nicht auf dein stumpfes Gemüt?

Klage dich, Armer, nicht an! – So legt der Dichter ein Rätsel,

Künstlich mit Worten verschränkt, oft der Versammlung ins Ohr;

Jeden freuet die seltne, der zierlichen Bilder Verknüpfung,

Aber noch fehlet das Wort, das die Bedeutung verwahrt.

Ist es endlich entdeckt, dann heitert sich jedes Gemüt auf

Und erblickt im Gedicht doppelt erfreulichen Sinn.

Ach, warum so spät, o Amor, nahmst du die Binde,

Die ums Aug’ mir geknüpft, nahmst sie zu spät mir hinweg!

Lange schon harrte befrachtet das Schiff auf günstige Lüfte;

Endlich strebte der Wind glücklich vom Ufer ins Meer.

Leere Zeiten der Jugend! und leere Träume der Zukunft!

Ihr verschwindet, es bleibt einzig die Stunde mir nur.

Ja, sie bleibt, es bleibt mir das Glück! ich halte dich, Dora,

Und die Hoffnung zeigt, Dora, dein Bild mir allein.

Öfter sah ich zum Tempel dich gehn, geschmückt und gesittet,

Und das Mütterchen ging feierlich neben dir her.

Eilig warst du und frisch, zu Markte die Früchte zu tragen;

Und vom Brunnen, wie kühn! wiegte dein Haupt das Gefäß.

Da erschien dein Hals, erschien dein Nacken vor allen,

Und vor allen erschien deiner Bewegungen Maß.

Oftmals hab’ ich gesorgt, es möchte der Krug dir entstürzen;

Doch er hielt sich stet auf dem geringelten Tuch.

Schöne Nachbarin, ja, so war ich gewohnt, dich zu sehen,

Wie man die Sterne sieht, wie man den Mond sich beschaut,

Sich an ihnen erfreut und innen im ruhigen Busen

Nicht der entfernteste Wunsch, sie zu besitzen, sich regt.

Jahre, so gingt ihr dahin! Nur zwanzig Schritte getrennet

Waren die Häuser, und nie hab’ ich die Schwelle berührt.

Und nun trennt uns die gräßliche Flut! Du lügst nur den Himmel,

Welle! dein herrliches Blau ist mir die Farbe der Nacht.

Alles rührte sich schon; da kam ein Knabe gelaufen

An mein väterlich Haus, rief mich zum Strande hinab:

Schon erhebt sich das Segel, es flattert im Winde, so sprach er,

Und gelichtet, mit Kraft, trennt sich der Anker vom Sand;

Komm, Alexis, o komm! Da drückte der wackere Vater

Würdig die segnende Hand mir auf das lockige Haupt;

Sorglich reichte die Mutter ein nachbereitetes Bündel:

Glücklich kehre zurück! riefen sie, glücklich und reich!

Und so sprang ich hinweg, das Bündelchen unter dem Arme,

An der Mauer hinab, fand an der Türe dich stehn

Deines Gartens. Du lächeltest mir und sagtest: Alexis,

Sind die Lärmenden dort deine Gesellen der Fahrt?

Fremde Küsten besuchest du nun, und köstliche Waren

Handelst du ein und Schmuck reichen Matronen der Stadt.

Aber bringe mir auch ein leichtes Kettchen; ich will es

Dankbar zahlen: so oft hab’ ich die Zierde gewünscht!

Stehen war ich geblieben und fragte, nach Weise des Kaufmanns,

Erst nach Form und Gewicht deiner Bestellung genau.

Gar bescheiden erwogst du den Preis; da blickt’ ich indessen

Nach dem Halse, des Schmucks unserer Königin wert.

Heftiger tönte vom Schiff das Geschrei; da sagtest du freundlich:

Nimm aus dem Garten noch einige Früchte mit dir!

Nimm die reifsten Orangen, die weißen Feigen; das Meer bringt

Keine Früchte, sie bringt jegliches Land nicht hervor.

Und so trat ich herein. Du brachst nun die Früchte geschäftig,

Und die goldene Last zog das geschürzte Gewand.

Öfters bat ich: es sei nun genug! und immer noch eine

Schönere Frucht fiel dir, leise berührt, in die Hand.

Endlich kamst du zur Laube hinan; da fand sich ein Körbchen,

Und die Myrte bog blühend sich über uns hin.

Schweigend begannst du nun geschickt die Früchte zu ordnen:

Erst die Orange, die schwer ruht, als ein goldener Ball,

Dann die weichliche Feige, die jeder Druck schon entstellet;

Und mit Myrte bedeckt ward und geziert das Geschenk.

Aber ich hob es nicht auf; ich stand. Wir sahen einander

In die Augen, und mir ward vor dem Auge so trüb.

Deinen Busen fühlt’ ich an meinem! Den herrlichen Nacken,

Ihn umschlang nun mein Arm; tausendmal küßt’ ich den Hals.

Mir sank über die Schulter dein Haupt; nun knüpften auch deine

Lieblichen Arme das Band um den Beglückten herum.

Amors Hände fühlt’ ich: er drückt’ uns gewaltig zusammen,

Und aus heiterer Luft donnert’ es dreimal; da floß

Häufig die Träne vom Aug’ mir herab, du weintest, ich weinte,

Und vor Jammer und Glück schien uns die Welt zu vergehn.

Immer heftiger rief es am Strand; da wollten die Füße

Mich nicht tragen, ich rief: Dora! und bist du nicht mein?

Ewig! sagtest du leise. Da schienen unsere Tränen,

Wie durch göttliche Luft, leise vom Auge gehaucht.

Näher rief es: Alexis! Da blickte der suchende Knabe

Durch die Türe herein. Wie er das Körbchen empfing!

Wie er mich trieb! Wie ich dir die Hand noch drückte! Zu Schiffe

Wie ich gekommen? Ich weiß, daß ich ein Trunkener schien.

Und so hielten mich auch die Gesellen, schonten den Kranken;

Und schon deckte der Hauch trüber Entfernung die Stadt.

Ewig! Dora, lispeltest du; mir schallt es im Ohre

Mit dem Donner des Zeus! Stand sie doch neben dem Thron,

Seine Tochter, die Göttin der Liebe; die Grazien standen

Ihr zur Seiten! Er ist götterbekräftigt, der Bund!

Oh, so eile denn, Schiff, mit allen günstigen Winden!

Strebe, mächtiger Kiel, trenne die schäumende Flut!

Bringe dem fremden Hafen mich zu, damit mir der Goldschmied

In der Werkstatt gleich ordne das himmlische Pfand.

Wahrlich! zur Kette soll das Kettchen werden, o Dora!

Neunmal umgebe sie dir, locker gewunden, den Hals.

Ferner schaff’ ich noch Schmuck, den mannigfaltigsten; goldne

Spangen sollen dir auch reichlich verzieren die Hand:

Da wetteifre Rubin und Smaragd, der liebliche Saphir

Stelle dem Hyazinth sich gegenüber, und Gold

Halte das Edelgestein in schöner Verbindung zusammen.

Oh, wie den Bräutigam freut, einzig zu schmücken die Braut!

Seh’ ich Perlen, so denk’ ich an dich; bei jeglichem Ringe

Kommt mir der länglichen Hand schönes Gebild in den Sinn.

Tauschen will ich und kaufen; du sollst das schönste von allem

Wählen; ich widmete gern alle die Ladung nur dir.

Doch nicht Schmuck und Juwelen allein verschafft dein Geliebter:

Was ein häusliches Weib freuet, das bringt er dir auch.

Feine wollene Decken mit Purpursäumen, ein Lager

Zu bereiten, das uns traulich und weichlich empfängt;

Köstlicher Leinwand Stücke. Du sitzest und nähest und kleidest

Mich und dich und auch wohl noch ein drittes darein.

Bilder der Hoffnung, täuschet mein Herz! Oh, mäßiget, Götter,

Diesen gewaltigen Brand, der mir den Busen durchtobt!

Aber auch sie verlang’ ich zurück, die schmerzliche Freude,

Wenn die Sorge sich kalt, gräßlich gelassen, mir naht.

Nicht der Erinnyen Fackel, das Bellen der höllischen Hunde

Schreckt den Verbrecher so in der Verzweiflung Gefild,

Als das gelaßne Gespenst mich schreckt, das die Schöne von fern mir

Zeiget: die Türe steht wirklich des Gartens noch auf!

Und ein anderer kommt! Für ihn auch fallen die Früchte!

Und die Feige gewährt stärkenden Honig auch ihm!

Lockt sie auch ihn nach der Laube? und folgt er? Oh, macht mich, ihr Götter,

Blind, verwischet das Bild jeder Erinnrung in mir!

Ja, ein Mädchen ist sie! und die sich geschwinde dem einen

Gibt, sie kehret sich auch schnell zu dem andern herum.

Lache nicht diesmal, Zeus, der frech gebrochenen Schwüre!

Donnere schrecklicher! Triff! – Halte die Blitze zurück!

Sende die schwankenden Wolken mir nach! Im nächtlichen Dunkel

Treffe dein leuchtender Blitz diesen unglücklichen Mast!

Streue die Planken umher und gib der tobenden Welle

Diese Waren, und mich gib den Delphinen zum Raub! –

Nun, ihr Musen, genug! Vergebens strebt ihr zu schildern,

Wie sich Jammer und Glück wechseln in liebender Brust.

Heilen könnet die Wunden ihr nicht, die Amor geschlagen;

Aber Linderung kommt einzig, ihr Guten, von euch.

 
 * 

Vorschlag zur Güte

Er.

Du gefällst mir so wohl, mein liebes Kind,

Und wie wir hier bei einander sind,

So möcht’ ich nimmer scheiden;

Da wär’ es wohl uns Beiden.

Sie.

Gefall’ ich dir, so gefällst du mir;

Du sagst es frei, ich sag’ es dir.

Eh nun! heirathen wir eben!

Das übrige wird sich geben.

Er.

Heiraten, Engel, ist wunderlich Wort;

Ich meint’, da müßt’ ich gleich wieder fort.

Sie.

Was ist’s denn so großes Leiden?

Geht’s nicht, so lassen wir uns scheiden.

 
 * 

Fels-Weihegesang

An Psyche

Veilchen bring ich getragen

Junge Blüten zu dir,

Daß ich dein moosig Haupt

Ringsum bekränze,

Ringsum dich weihe,

Felsen des Tals.

Sei du mir heilig.

Sei den Geliebten

Lieber als andre

Felsen des Tals.

Ich sah von dir

Der Freunde Seligkeit,

Verbunden Edle

Mit ewgem Band.

Ich irrer Wandrer

Fühlt erst auf dir

Besitztums-Freuden

Und Heimats-Glück.

Da, wo wir lieben,

Ist Vaterland;

Wo wir genießen,

Ist Hof und Haus.

Schrieb meinen Namen

An deine Stirn;

Du bist mir eigen,

Mir Ruhe-Sitz.

Und aus dem fernen

Unlieben Land

Mein Geist wird wandern

Und ruhn auf dir.

Sei du mir heilig,

Sei den Geliebten

Lieber als andre

Felsen des Tals.

Ich sehe sie versammelt

Dort unten um den Teich;

Sie tanzen einen Reigen

Im Sommerabendrot.

Und warme Jugendfreude

Webt in dem Abendrot,

Sie drücken sich die Hände

Und glühn einander an.

Und aus den Reihn verlieret

Sich Psyche zwischen Felsen

Und Sträuchen weg, und trauernd

Um den Abwesenden

Lehnt sie sich über den Fels.

Wo meine Brust hier ruht,

An das Moos mit innigem

Liebesgefühl sich

Atmend drängt,

Ruhst du vielleicht dann, Psyche.

Trübe blickt dein Aug

In den Bach hinab,

Und eine Träne quillt

Vorbeigequollnen Freuden nach;

Hebst dann zum Himmel

Dein bittend Aug,

Erblickst über dir

Da meinen Namen.

– Auch der –

Nimm des verlebten Tages Zier,

Die bald welke Rose, von deinem Busen,

Streu die freundlichen Blätter

Übers düstre Moos,

Ein Opfer der Zukunft.

 
 * 

Erwache, Friederike

Erwache, Friederike,

Vertreib die Nacht,

Die einer deiner Blicke

Zum Tage macht.

Der Vögel sanft Geflüster

Ruft liebevoll,

Dass mein geliebt Geschwister

Erwachen soll.

Ist dir dein Wort nicht heilig

Und meine Ruh’?

Erwache! Unverzeihlich –

Noch schlummerst du!

Horch, Philomelens Kummer

Schweigt heute still,

Weil dich der böse Schlummer

Nicht meiden will.

Es zittert Morgenschimmer

Mit blödem Licht

Errötend durch dein Zimmer

Und weckt dich nicht.

Am Busen deiner Schwester,

Der für dich schlagt

Entschläfst du immer fester,

Je mehr es tagt.

Ich seh’ dich schlummern, Schöne,

Vom Auge rinnt

Mir eine süße Träne

Und macht mich blind.

Wer kann es fühllos sehen,

Wer wird nicht heiß,

Und wär’ er von den Zehen

Zum Kopf von Eis!

Vielleicht erscheint dir träumend

- O Glück! – mein Bild,

Das halb voll Schlaf und reimend

Die Musen schilt.

Erröten und erblassen

Sieh sein Gesicht;

Der Schlaf hat ihn verlassen,

Doch wacht er nicht.

Die Nachtigall im Schlafe

Hast du versäumt,

So höre nun zur Strafe,

Was ich gereimt.

Schwer lag auf meinem Busen

Des Reimes Joch:

Die schönste meiner Musen,

Du, schliefst ja noch.

 
 * 

Kein Vergleich

Befrei’ uns Gott von s und ung,

Wir können sie entbehren;

Doch wollen wir durch Musterung

Nicht uns noch Andre scheeren.

Es schreibt mir einer: den Vergleich

Von Deutschen und Franzosen,

Und jeder Patriot sogleich

Wird heftig sich erbosen.

Kein Christenmensche hört ihm zu;

Ist denn der Kerl bei Sinnen?

Vergleichung aber läßt man zu,

Da müssen wir gewinnen.

 
 * 

Hermann und Dorothea

Also das wäre Verbrechen, daß einst Properz mich begeistert,

Daß Martial sich zu mir auch, der verwegne, gesellt?

Daß ich die Alten nicht hinter mir ließ, die Schule zu hüten,

Daß sie nach Latium gern mir in das Leben gefolgt?

Daß ich Natur und Kunst zu schaun mich treulich bestrebe,

Daß kein Name mich täuscht, daß mich kein Dogma beschränkt?

Daß nicht des Lebens bedingender Drang mich, den Menschen, verändert,

Daß ich der Heuchelei dürftige Maske verschmäht?

Solcher Fehler, die du, o Muse, so emsig gepfleget,

Zeihet der Pöbel mich; Pöbel nur sieht er in mir.

Ja, sogar der Bessere selbst, gutmütig und bieder,

Will mich anders; doch du, Muse, befiehlst mir allein.

Denn du bist es allein, die noch mir die innere Jugend

Frisch erneuest, und sie mir bis zu Ende versprichst.

Aber verdopple nunmehr, o Göttin, die heilige Sorgfalt!

Ach! die Scheitel umwallt reichlich die Locke nicht mehr:

Da bedarf man der Kränze, sich selbst und andre zu täuschen;

Kränzte doch Cäsar selbst nur aus Bedürfnis das Haupt.

Hast du ein Lorbeerreis mir bestimmt, so laß es am Zweige

Weiter grünen, und gib einst es dem Würdigern hin;

Aber Rosen winde genug zum häuslichen Kranze,

Bald als Lilie schlingt silberne Locke sich durch.

Schüre die Gattin das Feuer, auf reinlichem Herde zu kochen!

Werfe der Knabe das Reis, spielend, geschäftig dazu!

Laß im Becher nicht fehlen den Wein! Gesprächige Freunde,

Gleichgesinnte, herein! Kränze, sie warten auf euch.

Erst die Gesundheit des Mannes, der, endlich vom Namen Homeros

Kühn uns befreiend, uns auch ruft in die vollere Bahn.

Denn wer wagte mit Göttern den Kampf? und wer mit dem Einen?

Doch Homeride zu sein, auch nur als letzter, ist schön.

Darum höret das neuste Gedicht! Noch einmal getrunken!

Euch besteche der Wein, Freundschaft und Liebe das Ohr.

Deutschen selber führ ich euch zu, in die stillere Wohnung,

Wo sich, nah der Natur, menschlich der Mensch noch erzieht.

Uns begleite des Dichters Geist, der seine Luise

Rasch dem würdigen Freund, uns zu entzücken, verband.

Auch die traurigen Bilder der Zeit, sie führ ich vorüber;

Aber es siege der Mut in dem gesunden Geschlecht.

Hab ich euch Tränen ins Auge gelockt, und Lust in die Seele

Singend geflößt, so kommt, drücket mich herzlich ans Herz!

Weise denn sei das Gespräch! Uns lehret Weisheit am Ende

Das Jahrhundert; wen hat das Geschick nicht geprüft?

Blicket heiterer nun auf jene Schmerzen zurücke,

Wenn euch ein fröhlicher Sinn manches entbehrlich erklärt.

Menschen lernten wir kennen und Nationen; so laßt uns,

Unser eigenes Herz kennend, uns dessen erfreun.

 
 * 

Hab ich tausendmal geschworen

Hab ich tausendmal geschworen

Dieser Flasche nicht zu trauen,

Bin ich doch wie neugeboren,

Läßt meine Schenke fern sie schauen

Alles ist an ihr zu loben,

Glaskristall und Purpurwein.

Wird der Pfropf herausgehoben,

Sie ist leer, und ich nicht mein.

Hab ich tausendmal geschworen,

Dieser Falschen nicht zu trauen,

Und doch bin ich neugeboren,

Läßt sie sich ins Auge schauen.

Mag sie doch mit mir verfahren,

Wie’s dem stärksten Mann geschah:

Deine Scher in meinen Haaren,

Allerliebste Delila!

 
 * 

Sicilianisches Lied

Ihr schwarzen Aeugelein!

Wenn ihr nur winket,

Es fallen Häuser ein,

Es fallen Städte;

Und diese Leimenwand

Vor meinem Herzen –

Bedenk’ doch nur einmal –

Die sollt’ nicht fallen!

 
 * 

Künstlers Morgenlied

Der Tempel ist euch aufgebaut,

Ihr hohen Musen all,

Und hier in meinem Herzen ist

Das Allerheiligste.

Wenn Morgens mich die Sonne weckt,

Warm, froh ich schau’ umher,

Steht rings ihr Ewiglebenden

Im heil’gen Morgenglanz.

Ich bet’ hinan, und Lobgesang

Ist lauter mein Gebet,

Und freudeklingend Saitenspiel

Begleitet mein Gebet.

Ich trete vor den Altar hin,

Und lese, wie sich’s ziemt,

Andacht liturg’scher Lection

Im heiligen Homer.

Und wenn er in’s Getümmel mich

Von Löwenkriegern reißt,

Und Göttersöhn’ auf Wagen hoch

Rachglühend stürmen an,

Und Roß dann vor dem Wagen stürzt,

Und drunter und drüber sich

Freund’, Feinde wälzen in Todesblut –

Er sengte sie dahin.

Mit Flammenschwert der Heldensohn,

Zehntausend auf einmal,

Bis dann auch er, gebändiget

Von einer Götterhand,

Ab auf den Rogus niederstürzt,

Den er sich selbst gehäuft,

Und Feinde nun den schönen Leib

Verschändend tasten an:

Da greif’ ich muthig auf, es wird

Die Kohle zum Gewehr,

Und jene meine hohe Wand

In Schlachtfeld-Wogen braus’t.

Hinan! Hinan! Es heulet laut

Gebrüll der Feindeswuth,

Und Schild an Schild und Schwert auf Helm,

Und um den Todten Tod.

Ich dränge mich hinan, hinan,

Da kämpfen sie um ihn,

Die tapfern Freunde tapferer

In ihrer Thränenwuth.

Ach, rettet! Kämpfet! Rettet ihn!

In’s Lager tragt ihn fort,

Und Balsam gießt dem Todten auf,

Und Thränen Todtenehr!

Und find’ ich mich zurück hierher,

Empfängst du, Liebe, mich,

Mein Mädchen, ach, im Bilde nur,

Und so im Bilde warm!

Ach, wie du ruhtest neben mir,

Und schmachtetest mich an,

Und mir’s vom Aug’ durchs Herz hindurch

Zum Griffel schmachtete!

Wie ich an Aug’ und Wange mich

Und Mund mich weidete,

Und mir’s im Busen jung und frisch,

Wie einer Gottheit, war!

O kehre doch und bleibe dann

In meinen Armen fest,

Und keine, keine Schlachten mehr,

Nur dich in meinen Arm!

Und sollst mir, meine Liebe, sein

Alldeutend Ideal,

Madonna sein, ein Erstlingskind,

Ein heiligs an der Brust;

Und haschen will ich, Nymphe, dich,

Im tiefen Waldgebüsch;

O fliehe nicht die rauhe Brust,

Mein aufgerecktes Ohr!

Und liegen will ich Mars zu dir,

Du Liebesgöttin stark,

Und ziehn ein Netz um uns herum,

Und rufen den Olymp,

Wer von den Göttern kommen will,

Beneiden unser Glück,

Und soll’s die Fratze Eifersucht,

Am Bettfuß angebannt.

 
 * 

Nett und niedlich

Hast du das Mädchen gesehn

Flüchtig vorübergehn?

Wollt’, sie wär’ meine Braut!

Ja wohl! die Blonde, die Falbe!

Sie sittigt so zierlich wie die Schwalbe,

Die ihr Nest baut.

Du bist mein und bist so zierlich,

Du bist mein und so manierlich,

Aber etwas fehlt dir noch;

Küssest mit so spitzen Lippen,

Wie die Tauben Wasser nippen;

Allzuzierlich bist du doch.

 
 * 

Sprache

Was reich und arm! Was stark und schwach!

Ist reich vergrabner Urne Bauch?

Ist stark das Schwert im Arsenal?

Greif milde drein, und freundlich Glück

Fließt, Gottheit, von dir aus!

Faß an zum Siege, Macht, das Schwert,

Und über Nachbarn Ruhm!

 
 * 

Im neuen Jahre Glück und Heil

Im neuen Jahre Glück und Heil,

Auf Weh und Wunden gute Salbe!

Auf groben Klotz ein grober Keil!

Auf einen Schelmen anderthalbe!

 
 * 

Wechsel

Auf Kieseln im Bache da lieg ich, wie helle!

Verbreite die Arme der kommenden Welle,

Und buhlerisch drückt sie die sehnende Brust;

Dann führt sie der Leichtsinn im Strome danieder,

Da naht sich die zweite, sie streichelt mich wieder;

So fühl ich die Freuden der wechselnden Lust.

Und doch, und so traurig, verschleifst du vergebens

Die köstlichen Stunden des eilenden Lebens,

Weil dich das geliebteste Mädchen vergißt!

O ruf sie zurücke, die vorigen Zeiten!

Es küßt sich so süße die Lippe der Zweiten,

Als kaum sich die Lippe der Ersten geküßt.

 
 * 

Ilmenau

Gewiß, ihm geben auch die Jahre

Die rechte Richtung seiner Kraft.

Noch ist, bei tiefer Neigung für das Wahre,

Ihm Irrtum eine Leidenschaft.

Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,

Kein Fels ist ihm zu schroff, kein Steg zu schmal;

Der Unfall lauert an der Seite

Und stürzt ihn in den Arm der Qual.

Dann treibt die schmerzlich überspannte Regung

Gewaltsam ihn bald da, bald dort hinaus,

Und von unmutiger Bewegung

Ruht er unmutig wieder aus.

Und düster wild an heitern Tagen,

Unbändig, ohne froh zu sein,

Schläft er, an Seel und Leib verwundet und zerschlagen,

Auf einem harten Lager ein:

Indessen ich hier, still und atmend kaum,

Die Augen zu den freien Sternen kehre

Und, halb erwacht und halb im schweren Traum

Mich kaum des schweren Traums erwehre.

 
 * 

Gefunden

Ich ging im Walde

So für mich hin,

Und nichts zu suchen,

Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich

Ein Blümchen stehn,

Wie Sterne leuchtend,

Wie Äuglein schön.

Ich wollt es brechen,

Da sagt es fein:

Soll ich zum Welken

Gebrochen sein?

Ich grub’s mit allen

Den Würzlein aus.

Zum Garten trug ich’s

Am hübschen Haus.

Und pflanzt es wieder

Am stillen Ort;

Nun zweigt es immer

Und blüht so fort.

 
 * 

Der untreue Knabe

Es war ein Knabe frech genung,

War erst aus Frankreich kommen,

Der hatt ein armes Mädel jung

Gar oft in Arm genommen

Und liebgekost und liebgeherzt,

Als Bräutigam herumgescherzt,

Und endlich sie verlassen.

Das braune Mädel das erfuhr,

Vergingen ihr die Sinnen,

Sie lacht’ und weint’ und bet’t’ und schwur;

So fuhr die Seel von hinnen.

Die Stund, da sie verschieden war,

Wird bang dem Buben, graust sein Haar,

Es treibt ihn fort zu Pferde.

Er gab die Sporen kreuz und quer

Und ritt auf alle Seiten,

Herüber, hinüber, hin und her,

Kann keine Ruh erreiten,

Reit’t sieben Tag und sieben Nacht;

Es blitzt und donnert, stürmt und kracht,

Die Fluten reißen über.

Und reit’t in Blitz und Wetterschein

Gemäuerwerk entgegen,

Bind’s Pferd hauß’ an und kriecht hinein

Und duckt sich vor dem Regen.

Und wie er tappt, und wie er fühlt,

Sich unter ihm die Erd erwühlt;

Er stürzt wohl hundert Klafter.

Und als er sich ermannt vom Schlag,

Sieht er drei Lichtlein schleichen,

Er rafft sich auf und krabbelt nach,

Die Lichtlein ferne weichen,

Irrführen ihn die Quer und Läng,

Trepp auf, Trepp ab, durch enge Gäng,

Verfallne wüste Keller.

Auf einmal steht er hoch im Saal,

Sieht sitzen hundert Gäste,

Hohläugig grinsen allzumal

Und winken ihm zum Feste.

Er sieht sein Schätzel untenan

Mit weißen Tüchern angetan,

Die wend’t sich –

 
 * 

Es war einmal ein König

Es war einmal ein König,

Der hatt’ einen großen Floh,

Den liebt’ er gar nicht wenig,

Als wie seinen eig’nen Sohn.

Da rief er seinen Schneider,

Der Schneider kam heran;

»Da, miß dem Junker Kleider

Und miß ihm Hosen an!«

In Sammet und in Seide

War er nun angetan,

Hatte Bänder auf dem Kleide,

Hatt’ auch ein Kreuz daran,

Und war sogleich Minister,

Und hatt einen großen Stern.

Da wurden seine Geschwister

Bei Hof auch große Herrn.

Und Herrn und Frau’n am Hofe,

Die waren sehr geplagt,

Die Königin und die Zofe

Gestochen und genagt,

Und durften sie nicht knicken,

Und weg sie jucken nicht.

Wir knicken und ersticken

Doch gleich, wenn einer sticht.

 
 * 

Gesellschaft

Aus einer großen Gesellschaft heraus

Ging einst ein stiller Gelehrter zu Haus.

Man fragte: Wie seid ihr zufrieden gewesen?

»Wärens Bücher«, sagt er, »ich würd sie nicht lesen.«

 
 * 

Bedingung

Ihr laßt mich nicht, ihr bleibt dabei,

Begehret Rat, ich kann ihn geben;

Allein, damit ich ruhig sei,

Versprecht mir, ihm nicht nachzuleben.

 
 * 

Herkömmlich

Priester werden Messe singen

Und die Pfarrer werden pred’gen;

Jeder wird vor allen Dingen

Seiner Meinung sich entled’gen,

Und sich der Gemeine freuen,

Die sich um ihn her versammelt,

So im Alten wie im Neuen

Ohngefähre Worte stammelt.

Und so lasset auch die Farben

Mich nach meiner Art verkünden,

Ohne Wunden, ohne Narben,

Mit der läßlichsten der Sünden.

 
 * 

Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten

Früh, wenn Tal, Gebirg und Garten

Nebelschleiern sich enthüllen

Und dem sehnlichsten Erwarten

Blumenkelche bunt sich füllen;

Wenn der Äther, Wolken tragend,

Mit dem klaren Tage streitet,

Und ein Ostwind, sie verjagend,

Blaue Sonnenbahn bereitet,

Dankst du dann, am Blick dich weidend,

Reiner Brust der Großen, Holden,

Wird die Sonne, rötlich scheidend,

Rings den Horizont vergolden,

 
 * 

Drei Palinodien

1.

Weihrauch ist nur ein Tribut für Götter

und für die Sterblichen ein Gift.

Soll denn dein Opferrauch

Die Götter kränken?

Du hältst die Nase zu –

Was soll ich denken?

Den Weihrauch schätzet man

Vor allen Dingen;

Wer ihn nicht riechen kann,

Soll ihn nicht bringen.

Mit starrem Angesicht

Verehrst du Puppen,

Und riecht der Priester nicht,

So hat Gott den Schnuppen.

2.
Geist und Schönheit im Streit.

Herr Geist, der allen Respekt verdient,

Und dessen Gunst wir höchlich schätzen,

Vernimmt, man habe sich erkühnt,

Die Schönheit über ihn zu setzen;

Er macht daraus ein großes Wesen.

Da kommt Herr Hauch, uns längst bekannt

Als würdiger Geistesrepräsentant,

Fängt an, doch leider nicht galant,

Dem Luderchen den Text zu lesen.

Das rührt den Leichtsinn nicht einmal,

Sie läuft gleich zu dem Principal:

Ihr seid ja sonst gewandt und klug,

Ist denn die Welt nicht groß genug!

Ich lass’ euch, wenn ihr trutzt, im Stich;

Doch seid ihr weise, so liebt ihr mich.

Seid versichert, im ganzen Jahr

Giebt’s nicht wieder so ein hübsches Paar.

Αλλως.

Die Schönheit hatte schöne Töchter,

Der Geist erzeugte dumme Söhne:

So war für einige Geschlechter

Der Geist nicht ewig, doch das Schöne.

Der Geist ist immer Autochthone.

So kam er wieder, wirkte, strebte,

Und fand, zu seinem höchsten Lohne,

Die Schönheit, die ihn frisch belebte.

3.
Regen und Regenbogen.

Auf schweres Gewitter und Regenguß

Blickt’ ein Philister, zum Beschluß,

In’s weiterziehende Grause nach,

Und so zu seines Gleichen sprach:

Der Donner hat uns sehr erschreckt,

Der Blitz die Scheunen angesteckt,

Und das war unsrer Sünden Theil!

Dagegen hat, zu frischem Heil,

Der Regen fruchtbar uns erquickt

Und für den nächsten Herbst beglückt.

Was kommt nun aber der Regenbogen

An grauer Wand herangezogen?

Der mag wohl zu entbehren sein.

Der bunte Trug! Der leere Schein!

Frau Iris aber dagegen sprach:

Erkühnst du dich zu meiner Schmach?

Doch bin ich hier in’s All gestellt

Als Zeugniß einer bessern Welt,

Für Augen, die vom Erdenlauf

Getrost sich wenden zum Himmel auf,

Und in der Dünste trübem Netz

Erkennen Gott und sein Gesetz.

Drum wühle du, ein andres Schwein,

Nur immer den Rüssel in den Boden hinein,

Und gönne dem verklärten Blick

An meiner Herrlichkeit sein Glück.

 
 * 

Ins Einzelne (Die Romantiker)

Seit vielen Jahren hab ich still

Zu eurem Tun geschwiegen,

Das sich am Tag und Tages-Will

Gefällig mag vergnügen.

Ihr denkt, woher der Wind auch weht

Zu Schaden und Gewinne,

Wenn es nach eurem Sinne geht,

Es ging’ nach einem Sinne.

Du segelst her, der andre hin,

Die Woge zu erproben,

Und was erst eine Flotte schien,

Ist ganz und gar zerstoben.

 
 * 

Paria

Des Paria Gebet

Großer Brahma, Herr der Mächte!

Alles ist von deinem Samen,

Und so bist du der Gerechte!

Hast du denn allein die Brahmen,

Nur die Rajahs und die Reichen,

Hast du sie allein geschaffen?

Oder bist auch dus, der Affen

Werden ließ und unsresgleichen?

Edel sind wir nicht zu nennen:

Denn das Schlechte, das gehört uns,

Und was andre tödlich kennen,

Das alleine, das vermehrt uns.

Mag dies für die Menschen gelten,

Mögen sie uns doch verachten;

Aber du, du sollst uns achten,

Denn du könntest alle schelten.

Also, Herr, nach diesem Flehen,

Segne mich zu deinem Kinde;

Oder eines laß entstehen,

Das auch mich mit dir verbinde!

Denn du hast den Bajaderen

Eine Göttin selbst erhoben;

Auch wir andern, dich zu loben,

Wollen solch ein Wunder hören.

 
 * 

Legende

Wasser holen geht die reine

Schöne Frau des hohen Brahmen,

Des verehrten, fehlerlosen,

Ernstester Gerechtigkeit.

Täglich von dem heiligen Flusse

Holt sie köstlichstes Erquicken –

Aber wo ist Krug und Eimer?

Sie bedarf desselben nicht.

Seligem Herzen, frommen Händen

Ballt sich die bewegte Welle

Herrlich zu kristallner Kugel;

Diese trägt sie, frohen Busens,

Reiner Sitte, holden Wandels,

Vor den Gatten in das Haus.

Heute kommt die morgendliche

Im Gebet zu Ganges’ Fluten,

Beugt sich zu der klaren Fläche –

Plötzlich überraschend spiegelt,

Aus des höchsten Himmels Breiten

Über ihr vorübereilend,

Allerlieblichste Gestalt

Hehren Jünglings, den des Gottes

Uranfänglich seines Denken

Aus dem ewgen Busen schuf.

Solchen schauend, fühlt ergriffen

Von verwirrenden Gefühlen

Sie das innere tiefste Leben,

Will verharren in dem Anschaun,

Weist es weg, da kehrt es wieder,

Und verworren strebt sie flutwärts,

Mit unsichrer Hand zu schöpfen;

Aber ach! sie schöpft nicht mehr!

Denn des Wassers heilige Welle

Scheint zu fliehn, sich zu entfernen.

Sie erblickt nur hohler Wirbel

Grause Tiefen unter sich.

Arme sinken, Tritte straucheln,

Ists denn auch der Pfad nach Hause?

Soll sie zaudern? soll sie fliehen?

Will sie denken, wo Gedanke,

Rat und Hilfe gleich versagt? –

Und so tritt sie vor den Gatten;

Er erblickt sie, Blick ist Urteil,

Hohen Sinns ergreift das Schwert er,

Schleppt sie zu dem Totenhügel,

Wo Verbrecher büßend bluten.

Wüßte sie zu widerstreben?

Wüßte sie sich zu entschuldigen,

Schuldig, keiner Schuld bewußt?

Und er kehrt mit blutigem Schwerte

Sinnend zu der stillen Wohnung;

Da entgegnet ihm der Sohn:

»Wessen Blut ists? Vater! Vater!« –

Der Verbrecherin! – »Mitnichten!

Denn es starret nicht am Schwerte

Wie verbrecherische Tropfen,

Fließt wie aus der Wunde frisch.

Mutter! Mutter! tritt heraus her!

Ungerecht war nie der Vater,

Sage, was er jetzt verübt.«

Schweige! Schweige! ’s ist das ihre!

»Wessen ist es?« – Schweige, Schweige!

»Wäre meiner Mutter Blut!!!

Was geschehen? was verschuldet?

Her das Schwert! ergriffen hab ichs;

Deine Gattin magst du töten,

Aber meine Mutter nicht!

In die Flamme folgt die Gattin

Ihrem einzig Angetrauten,

Seiner einzig teuren Mutter

In das Schwert der treue Sohn.«

Halt, o halte! rief der Vater,

Noch ist Raum, enteil, enteile!

Füge Haupt dem Rumpfe wieder,

Du berührest mit dem Schwerte,

Und lebendig folgt sie dir.

Eilend, atemlos, erblickt er

Staunend zweier Frauen Körper

Überkreuzt, und so die Häupter –

Welch Entsetzen! welche Wahl!

Dann der Mutter Haupt erfaßt er,

Küßt es nicht, das tot erblaßte;

Auf des nächsten Rumpfes Lücke

Setzt ers eilig, mit dem Schwerte

Segnet er das fromme Werk.

Aufersteht ein Riesenbildnis. –

Von der Mutter teuren Lippen,

Göttlich-unverändert-süßen,

Tönt das grausenvolle Wort.

Sohn, o Sohn! welch Übereilen!

Deiner Mutter Leichnam dorten,

Neben ihm das freche Haupt

Der Verbrecherin, des Opfers

Waltender Gerechtigkeit!

Mich nun hast du ihrem Körper

Eingeimpft auf ewige Tage:

Weisen Willens, milden Handelns

Werd ich unter Göttern sein;

Ja, des Himmelsknaben Bildnis

Webt so schön vor Stirn und Auge –

Senkt sichs in das Herz hinunter,

Regt es tolle Wutbegier.

Immer wird es wiederkehren,

Immer steigen, immer sinken,

Sich verdüstern, sich verklären,

So hat Brahma dies gewollt.

Er gebot ja buntem Fittich,

Klarem Antlitz, schlanken Gliedern

Göttlich-einzigem Erscheinen

Mich zu prüfen, zu verführen;

Denn von oben kommt Verführung,

Wenns den Göttern so beliebt.

Und so soll ich, die Brahmane,

Mit dem Haupt im Himmel weilend,

Fühlen, Paria, dieser Erde

Niederziehende Gewalt.

Sohn, ich sende dich dem Vater!

Tröste! – Nicht ein traurig Büßen,

Stumpfes Harren, stolz Verdienen

Halt euch in der Wildnis fest;

Wandert aus durch alle Welten,

Wandelt hin durch alle Zeiten

Und verkündet auch Geringstem:

Daß ihn Brahma droben hört!

Ihm ist keiner der Geringste –

Wer sich mit gelähmten Gliedern,

Sich mit wild zerstörtem Geiste,

Düster, ohne Hilf und Rettung,

Sei er Brahme, sei er Paria,

Mit dem Blick nach oben kehrt,

Wirds empfangen, wirds erfahren:

Dort erglühen tausend Augen,

Ruhen lauschend tausend Ohren,

Denen nichts verborgen bleibt.

Heb ich mich zu seinem Throne,

Schaut er mich, die Grausenhafte,

Die er gräßlich umgeschaffen,

Muß er ewig mich bejammern,

Euch zugute komme das.

Und ich werd ihn freundlich mahnen,

Und ich werd ihm wütend sagen,

Wie es mir der Sinn gebietet,

Wie es mir im Busen schwellet.

Was ich denke, was ich fühle –

Ein Geheimnis bleibe das.

 
 * 

Dank des Paria

Großer Brahma! nun erkenn ich,

Daß du Schöpfer bist der Welten!

Dich als meinen Herrscher nenn ich,

Denn du lässest alle gelten.

Und verschließest auch dem Letzten

Keines von den tausend Ohren;

Uns, die tief Herabgesetzten,

Alle hast du neu geboren.

Wendet euch zu dieser Frauen,

Die der Schmerz zur Göttin wandelt!

Nun beharr ich, anzuschauen

Den, der einzig wirkt und handelt.

 
 * 

Zeit und Zeitung

A.

Sag mir, warum dich keine Zeitung freut?

B.

Ich liebe sie nicht, sie dienen der Zeit.

 
 * 

Offne Tafel

Viele Gäste wünsch ich heut

Mir zu meinem Tische!

Speisen sind genug bereit,

Vögel, Wild und Fische.

Eingeladen sind sie ja,

Habens angenommen.

Hänschen, geh und sich dich um!

Sieh mir, ob sie kommen!

Schöne Kinder hoff ich nun,

Die von gar nichts wissen,

Nicht, daß es was Hübsches sei,

Einen Freund zu küssen.

Eingeladen sind sie all,

Habens angenommen.

Hänschen, geh und sich dich um!

Sieh mir, ob sie kommen!

Frauen denk ich auch zu sehn,

Die den Ehegatten,

Ward er immer brummiger,

Immer lieber hatten.

Eingeladen wurden sie,

Habens angenommen.

Hänschen, geh und sieh dich um!

Sieh mir, ob sie kommen!

Junge Herrn berief ich auch,

Nicht im mindsten eitel,

Die sogar bescheiden sind

Mit gefülltem Beutel;

Diese bat ich sonderlich,

Habens angenommen.

Hänschen, geh und sieh dich um!

Sieh mir, ob sie kommen!

Männer lud ich mit Respekt,

Die auf ihre Frauen

Ganz allein, nicht neben aus

Auf die Schönste schauen.

Sie erwiderten den Gruß,

Habens angenommen.

Hänschen, geh und sieh dich um!

Sieh mir, ob sie kommen!

Dichter lud ich auch herbei,

Unsre Lust zu mehren,

Die weit lieber ein fremdes Lied

Als ihr eignes hören.

Alle diese stimmten ein,

Habens angenommen.

Hänschen, geh und sieh dich um!

Sieh mir, ob sie kommen!

Doch ich sehe niemand gehn,

Sehe niemand rennen!

Suppe kocht und siedet ein,

Braten will verbrennen.

Ach, wir habens, fürcht ich nun,

Zu genau genommen!

Hänschen sag, was meinst du wohl?

Es wird niemand kommen!

Hänschen, lauf und säume nicht,

Ruf mir neue Gäste!

Jeder komme, wie er ist,

Das ist wohl das beste!

Schon ists in der Stadt bekannt,

Wohl ists aufgenommen.

Hänschen, mach die Türen auf!

Sieh nur, wie sie kommen!

 
 * 

Feindseliger Blick

»Du kommst doch über so Viele hinaus;

Warum bist du gleich außer’m Haus,

Warum gleich aus dem Häuschen,

Wenn Einer dir mit Brillen spricht?

Du machst ein ganz verflucht Gesicht,

Und bist so still wie Mäuschen.«

Das scheint doch wirklich sonnenklar!

Ich geh’ mit Zügen frei und bar,

Mit freien treuen Blicken;

Der hat eine Maske vorgethan,

Mit Späherblicken kommt er an;

Darein sollt’ ich mich schicken?

Was ist denn aber beim Gespräch,

Das Herz und Geist erfüllet,

Als daß ein ächtes Wortgepräg’

Von Aug’ zu Auge quillet!

Kommt Jener nun mit Gläsern dort,

So bin ich stille, stille;

Ich rede kein vernünftig Wort

Mit Einem durch die Brille.

 
 * 

Herbstgefühl

Fetter grüne, du Laub,

Am Rebengeländer

Hier mein Fenster herauf!

Gedrängter quellet,

Zwillingsbeeren, und reifet

Schneller und glänzend voller!

Euch brütet der Mutter Sonne

Scheideblick, euch umsäuselt

Des holden Himmels

Fruchtende Fülle;

Euch kühlet des Mondes

Freundlicher Zauberhauch,

Und euch betauen, ach!

Aus diesen Augen

Der ewig belebenden Liebe

Vollschwellende Tränen.

 
 * 

Unüberwindlich

Hab’ ich tausendmal geschworen,

Dieser Flasche nicht zu trauen,

Bin ich doch wie neu geboren,

Läßt mein Schenke fern sie schauen.

Alles ist an ihr zu loben,

Glaskrystall und Purpurwein.

Wird der Pfropf herausgehoben,

Sie ist leer und ich nicht mein.

Hab’ ich tausendmal geschworen,

Dieser Falschen nicht zu trauen,

Und doch bin ich neu geboren,

Läßt sie sich in’s Auge schauen.

Mag sie doch mit mir verfahren,

Wie’s dem stärksten Mann geschah:

Deine Scheer’ in meinen Haaren,

Allerliebste Delila!

 
 * 

Ideale

Der Maler wagt’s mit Götterbildern,

Sein höchstes hat er aufgestellt;

Doch was er für unmöglich hält:

Dem Liebenden die Liebste schildern,

Er wag’ es auch! Ein Traum wird frommen,

Ein Schattenbild ist hoch willkommen.

 
 * 

Pfingsten

Unter halb verwelkten Maien

Schläft der liebe Freund so still;

O. wie sollt es ihn erfreuen,

Was ich ihm vertrauen will:

Ohne Wurzeln dieses Reisig,

Es verdorrt das junge Blut;

Aber Liebe, wie Herr Dreißig,

Nähret ihre Pflanzen gut.

 
 * 

Der neue Amor

Amor, nicht das Kind, der Jüngling, der Psychen verführte,

Sah im Olympus sich um, frech und der Siege gewohnt;

Eine Göttin erblickt’ er, vor Allen die herrlichste Schöne,

Venus Urania war’s, und er entbrannte für sie.

Ach! die Heilige selbst, sie widerstand nicht dem Werben,

Und der Verwegene hielt fest sie im Arme bestrickt.

Da entstand aus ihnen ein neuer lieblicher Amor,

Der dem Vater den Sinn, Sitte der Mutter verdankt.

Immer findest du ihn in holder Musen Gesellschaft,

Und sein reizender Pfeil stiftet die Liebe der Kunst.

 
 * 

Legende

Als noch, verkannt und sehr gering,

unser Herr auf der Erde ging,

und viele Jünger sich zu ihm fanden,

die sehr selten sein Wort verstanden,

liebt’ er sich gar über die Maßen,

seinen Hof zu halten auf der Straßen,

weil unter des Himmels Angesicht

man immer besser und freier spricht.

Er ließ sie da die höchsten Lehren

aus seinem heiligen Munde hören;

besonders durch Gleichnis und Exempel

macht’ er einen jeden Markt zum Tempel.

So schlendert’ er in Geistes Ruh’

mit ihnen einst einem Städtchen zu,

sah etwas blinken auf der Straß’,

das ein zerbrochen Hufeisen was.

Er sagte zu Sankt Peter drauf:

„Heb doch einmal das Eisen auf!“

Sankt Peter war nicht aufgeräumt,

er hatte soeben im Gehen geträumt,

so was vom Regiment der Welt,

was einem jeden wohlgefällt:

Denn im Kopf hat das keine Schranken;

das waren so seine liebsten Gedanken.

Nun war der Fund ihm viel zu klein,

hätte müssen Kron’ und Zepter sein;

aber wie sollt’ er seinen Rücken

nach einem halben Hufeisen bücken?

Er also sich zur Seite kehrt

und tut, als hätt’ er’s nicht gehört.

Der Herr nach seiner Langmut drauf

hebt selber das Hufeisen auf

und tut auch weiter nicht dergleichen.

Als sie nun bald die Stadt erreichen,

geht er vor eines Schmiedes Tür,

nimmt von dem Mann drei Pfennig dafür.

Und als sie über den Markt nun gehen,

sieht er daselbst schöne Kirschen stehen,

kauft ihrer, so wenig oder so viel,

als man für einen Dreier geben will,

die er sodann nach seiner Art

ruhig im Ärmel aufbewahrt.

Nun ging’s zum andern Tor hinaus,

durch Wies’ und Felder ohne Haus;

auch war der Weg von Bäumen bloß,

die Sonne schien, die Hitz’ war groß,

so daß man viel an solcher Stätt’

für einen Trunk Wasser gegeben hätt’.

Der Herr geht immer voraus vor allen,

läßt unversehens eine Kirsche fallen.

Sankt Peter war gleich dahinter her,

als wenn es ein goldner Apfel wär’;

das Beerlein schmeckte seinem Gaum!

Der Herr nach einem kleinen Raum

ein ander Kirschlein zur Erde schickt,

wonach Sankt Peter schnell sich bückt.

So läßt der Herr ihn seinen Rücken

gar vielmal nach den Kirschen bücken.

Das dauert eine ganze Zeit.

Dann sprach der Herr mit Heiterkeit:

„Tätst du zur rechten Zeit dich regen,

hättst du’s bequemer haben mögen.

Wer geringe Ding’ wenig acht’t,

sich um geringere Mühe macht.“

 
 * 

An Charlotte von Stein

Ich bin eben nirgend geborgen:

Fern an die holde Saale hier

Verfolgen mich manche Sorgen

Und meine Liebe zu dir.

 
 * 

An Lili

(In ein Exemplar von »Stella. Ein Schauspiel für Liebende«)

Im holden Tal, auf schneebedeckten Höhen

War stets dein Bild mir nah:

Ich sahs um mich in lichten Wolken wehen,

Im Herzen war mirs da.

Empfinde hier, wie mit allmächtgem Triebe

Ein Herz das andre zieht –

Und daß vergebens Liebe

Vor Liebe flieht.

 
 * 

Dem 31 Oktober 1817

Dreihundert Jahre hat sich schon

Der Protestant erwiesen,

Daß ihn von Papst- und Türkenthron

Befehle baß verdrießen.

Was auch der Pfaffe sinnt und schleicht,

Der Prediger steht zur Wache,

Und daß der Erbfeind nichts erreicht,

Ist aller Deutschen Sache.

Auch ich soll gottgegebne Kraft

Nicht ungenützt verlieren,

Und will in Kunst und Eigenschaft

Wie immer protestiren.

 
 * 

Vier Jahreszeiten

Alle viere, mehr und minder,

Necken wie die hübschen Kinder.

 
 * 

Frühling

Auf, ihr Distichen, frisch. Ihr muntern lebendigen Knaben!

Reich ist Garten und Feld! Blumen zum Kranze herbei!

Reich ist an Blumen die Flur; doch einige sind nur dem Auge,

Andre dem Herzen nur schön; wähle dir, Leser, nun selbst!

Rosenknospe, du bist dem blühenden Mädchen gewidmet,

Die als die Herrlichste sich, als die Bescheidenste zeigt.

Viele der Veilchen zusammengeknüpft, das Sträußchen erscheinet

Erst als Blume; du bist, häusliches Mädchen, gemeint.

Eine kannt ich, sie war wie die Lilie schlank und ihr Stolz war

Unschuld; herrlicher hat Salomo keine gesehn.

Schön erhebt sich Aglei und senkt das Köpfchen herunter.

Ist es Gefühl? oder ist’s Mutwill? Ihr ratet es nicht.

Viele duftende Glocken, o Hyazinthe, bewegst du;

Aber die Glocken ziehn, wie die Gerüche, nicht an.

Nachtviole, dich geht man am blendenden Tage vorüber;

Doch bei der Nachtigall Schlag hauchest du köstlichen Geist.

Tuberose, du ragest hervor und ergetzest im Freien;

Aber bleibe vom Haupt, bleibe vom Herzen mir fern!

Fern erblick ich den Mohn; er glüht. Doch komm ich dir näher,

Ach, so seh ich zu bald, daß du die Rose nur lügst.

Tulpen, ihr werdet gescholten von sentimentalischen Kennern;

Aber ein lustiger Sinn wünscht auch ein lustiges Blatt.

Nelken, wie find ich euch schön! Doch alle gleicht ihr einander,

Unterscheidet euch kaum, und ich entscheide mich nicht.

Prangt mit den Farben Aurorens, Ranunkeln, Tulpen und Astern!

Hier ist ein dunkles Blatt, das euch an Dufte beschämt.

Keine lockt mich, Ranunkeln, von euch, und keine begehr ich;

Aber im Beete vermischt, sieht euch das Auge mit Lust.

Sagt! was füllet das Zimmer mit Wohlgerüchen? Reseda,

Farblos, ohne Gestalt, stilles, bescheidenes Kraut.

Zierde wärst du der Gärten; doch wo du erscheinest, da sagst du:

Ceres streute mich selbst aus mit der goldenen Saat.

Deine liebliche Kleinheit, dein holdes Auge, sie sagen

Immer: vergiß mein nicht! immer: Vergiß nur nicht mein!

Schwänden dem inneren Auge die Bilder sämtlicher Blumen,

Eleonore, dein Bild brächte das Herz sich hervor.

 
 * 

Sommer

Grausam erweist sich Amor an mir! O spielet, ihr Musen,

Mit den Schmerzen, die er, spielend, im Busen erregt!

Manuskripte besitz ich, wie kein Gelehrter noch König;

Denn mein Liebchen, sie schreibt, was ich ihr dichtete, mir.

Wie im Winter die Saat nur langsam keimet, im Sommer

Lebhaft treibet und reift, so war die Neigung zu dir.

Immer war mir das Feld und der Wald, und der Fels und die Gärten

Nur ein Raum, und du machst sie, Geliebte, zum Ort.

Raum und Zeit, ich empfind es, sind bloße Formen des Anschauns,

Da das Eckchen mit dir, Liebchen, unendlich mir scheint.

Sorge! sie steiget mit dir zu Roß, sie steiget zu Schiffe;

Viel zudringlicher noch packet sie Amor uns auf.

Neigung besiegen ist schwer; gesellet sich aber Gewohnheit,

Wurzelnd, allmählich zu ihr, unüberwindlich ist sie.

Welche Schrift ich zwei-, ja dreimal hintereinander

Lese? Das herzliche Blatt, das die Geliebte mir schreibt.

Sie entzückt mich, und täuschet vielleicht. O Dichter und Sänger,

Mimen! lerntet ihr doch meiner Geliebten was ab!

Alle Freude des Dichters, ein gutes Gedicht zu erschaffen,

Fühle das liebliche Kind, das ihn begeisterte, mit.

Ein Epigramm sei zu kurz, mir etwas Herzlichs zu sagen?

Wie, mein Geliebter, ist nicht kürzer der herzliche Kuß?

Kennst du die herrliche Wirkung der endlich befriedigten Liebe?

Körper verbindet sie schön, wenn sie die Geister befreit.

Das ist die wahre Liebe, die immer und immer sich gleichbleibt,

Wenn man ihr alles gewährt, wenn man ihr alles versagt.

Alles wünscht ich zu haben, um mit ihr alles zu teilen;

Alles gäb ich dahin, wär sie, die Einzige, mein.

Kränken ein liebendes Herz und schweigen müssen: geschärfter

Können die Qualen nicht sein, die Rhadamanth sich ersinnt.

Warum bin ich vergänglich, o Zeus? so fragte die Schönheit.

Macht ich doch, sagte der Gott, nur das Vergängliche schön.

Und die Liebe, die Blumen, der Tau und die Jugend vernahmens;

Alle gingen sie weg, weinend, von Jupiters Thron.

Leben muß man und lieben; es endet Leben und Liebe.

Schnittest du, Parze, doch nur beiden die Fäden zugleich!

 
 * 

Herbst

Früchte bringt das Leben dem Mann; doch hangen sie selten

Rot und lustig am Zweig, wie uns ein Apfel begrüßt.

Richtet den herrschenden Stab auf Leben und Handeln, und lasset

Amorn, dem lieblichen Gott, doch mit der Muse das Spiel!

Lehret! Es ziemet euch wohl, auch wir verehren die Sitte;

Aber die Muse läßt nicht sich gebieten von euch.

Nimm dem Prometheus die Fackel, beleb, o Muse, die Menschen!

Nimm sie dem Amor, und rasch quäl und beglücke, wie er!

Alle Schöpfung ist Werk der Natur. Von Jupiters Throne

Zuckt der allmächtige Strahl, nährt und erschüttert die Welt.

Freunde, treibet nur alles mit Ernst und Liebe; die beiden

Stehen, dem Deutschen so schön, den ach! so vieles entstellt.

Kinder werfen den Ball an die Wand und fangen ihn wieder;

Aber ich lobe das Spiel, wirft mir der Freund ihn zurück.

Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber kein Ganzes

Werden, als dienendes Glied schließ an ein Ganzes dich an.

Wärt ihr, Schwärmer, imstande, die Ideale zu fassen,

O! so verehrtet ihr auch, wie sichs gebührt, die Natur.

Wem zu glauben ist, redlicher Freund, das kann ich dir sagen:

Glaube dem Leben; es lehrt besser als Redner und Buch.

Schädliche Wahrheit, ich ziehe sie vor dem nützlichen Irrtum.

Wahrheit heilet den Schmerz, den sie vielleicht uns erregt.

Schadet ein Irrtum wohl? Nicht immer! aber das Irren,

Immer schadets. Wie sehr, sieht man am Ende des Wegs.

Fremde Kinder, wir lieben sie nie so sehr als die eignen;

Irrtum, das eigene Kind, ist uns dem Herzen so nah.

Irrtum verläßt uns nie, doch ziehet ein höher Bedürfnis

Immer den strebenden Geist leise zur Wahrheit hinan.

Gleich sei keiner dem andern; doch gleich sei jeder dem Höchsten.

Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich.

Warum will sich Geschmack und Genie so selten vereinen?

Jener fürchtet die Kraft, dieses verachtet den Zaum.

Fortzupflanzen die Welt, sind alle vernünftgen Diskurse

Unvermögend; durch sie kommt auch kein Kunstwerk hervor.

Welchen Leser ich wünsche? Den unbefangensten, der mich,

Sich und die Welt vergißt, und in dem Buche nur lebt.

Dieser ist mir der Freund, der mit mir Strebendem wandelt:

Lädt er zum Sitzen mich ein, stehl ich für heute mich weg.

Wie beklag ich es tief, daß diese herrliche Seele,

Wert, mit dem Zwecke zu gehn, mich nur als Mittel begreift!

Preise dem Kinde die Puppen, wofür es begierig die Groschen

Hinwirft; wahrlich du wirst Krämern und Kindern ein Gott.

Wie verfährt die Natur, um Hohes und Niedres im Menschen

Zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischen hinein.

Auf das empfindsam Volk hab ich nie was gehalten; es werden,

Kommt die Gelegenheit, nur schlechte Gesellen daraus.

Franztum drängt in diesen verworrenen Tagen, wie ehmals

Luthertum es getan, ruhige Bildung zurück.

Wo Parteien entstehn, hält jeder sich hüben und drüben;

Viele Jahre vergehn, eh sie die Mitte vereint.

»Jene machen Partei; welch unerlaubtes Beginnen!

Aber unsre Partei, freilich, versteht sich von selbst.«

Willst du, mein Sohn, frei bleiben, so lerne was Rechtes, und halte

Dich genügsam, und nie blicke nach oben hinauf!

Wer ist der edlere Mann in jedem Stande? Der stets sich

Neiget zum Gleichgewicht, was er auch habe voraus.

Wißt ihr, wie auch der Kleine was ist? Er mache das Kleine

Recht; der Große begehrt just so das Große zu tun.

Was ist heilig? Das ists, was viele Seelen zusammen

Bindet; bänd es auch nur leicht, wie die Binse den Kranz.

Was ist das Heiligste? Das, was heut und ewig die Geister,

Tiefer und tiefer gefühlt, immer nur einiger macht.

Wer ist das würdigste Glied des Staats? Ein wackerer Bürger;

Unter jeglicher Form bleibt er der edelste Stoff.

Wer ist denn wirklich ein Fürst? Ich hab es immer gesehen:

Der nur ist wirklich ein Fürst, der es vermochte zu sein.

Fehlet die Einsicht oben, der gute Wille von unten,

Führt sogleich die Gewalt, oder sie endet den Streit.

Republiken hab ich gesehn, und das ist die beste,

Die dem regierenden Teil Lasten, nicht Vorteil gewährt.

Bald, es kenne nur jeder den eigenen, gönne dem andern

Seinen Vorteil, so ist ewiger Friede gemacht.

Keiner bescheidet sich gern mit dem Teile, der ihm gebühret,

Und so habt ihr den Stoff immer und ewig zum Krieg.

Zweierlei Arten gibt es, die treffende Wahrheit zu sagen:

Öffentlich immer dem Volk, immer dem Fürsten geheim.

Wenn du laut den einzelnen schiltst, er wird sich verstocken,

Wie sich die Menge verstockt, wenn du im Ganzen sie lobst.

Du bist König und Ritter und kannst befehlen und streiten;

Aber zu jedem Vertrag rufe den Kanzler herbei.

Klug und tätig und fest, bekannt mit allem, nach oben

Und nach unten gewandt, sei er Minister und bleibs.

Welchen Hofmann ich ehre? Den klärsten und feinsten! Das andre,

Was er noch sonst besitzt, kommt ihm als Menschen zugut.

Ob du der Klügste seist, daran ist wenig gelegen;

Aber der Biederste sei, so wie bei Rate, zu Haus.

Ob du wachst, das kümmert uns nicht, wofern du nur singest.

Singe, Wächter, dein Lied schlafend, wie mehrere tun.

Diesmal streust du, o Herbst, nur leichte welkende Blätter.

Gib mir ein andermal schwellende Früchte dafür.

 
 * 

Winter

Wasser ist Körper, und Boden der Fluß. Das neuste Theater

Tut in der Sonne Glanz zwischen den Ufern sich auf.

Wahrlich, es scheint nur ein Traum! Bedeutende Bilder des Lebens

Schweben, lieblich und ernst, über die Fläche dahin.

Eingefroren sahen wir so Jahrhunderte starren,

Menschengefühl und Vernunft schlich nur verborgen am Grund.

Nur die Fläche bestimmt die kreisenden Bahnen des Lebens;

Ist sie glatt, so vergißt jeder die nahe Gefahr.

Alle streben und eilen und suchen und fliehen einander;

Aber alle beherrscht freundlich die glättere Bahn.

Durch einander gleiten sie her, die Schüler und Meister,

Und das gewöhnliche Volk, das in der Mitte sich hält.

Jeder zeig hier, was er vermag; nicht Lob und nicht Tadel

Hielte diesen zurück, förderte jenen zum Ziel.

Euch, Präkonen des Pfuschers, des Meisters Verkleinerer, wünscht ich

Mit ohnmächtiger Wut stumm hier am Ufer zu sehn.

Lehrling, du schwankest und zauderst und scheuest die glättere Fläche.

Nur gelassen! du wirst einst noch die Freude der Bahn.

Willst du schon zierlich erscheinen, und bist nicht sicher? Vergebens!

Nur aus vollendeter Kraft blicket die Anmut hervor.

Fallen ist der Sterblichen Los. So fällt hier der Schüler,

Wie der Meister; doch stürzt dieser gefährlicher hin.

Stürzt der rüstigste Läufer der Bahn, so lacht man am Ufer,

Wie man bei Bier und Tabak über Besiegte sich hebt.

Gleite fröhlich dahin, gib Rat dem werdenden Schüler,

Freue des Meisters dich, und so genieße des Tags.

Siehe, schon nahet der Frühling; das strömende Wasser verzehret

Unten, der sanftere Blick oben der Sonne das Eis.

Dieses Geschlecht ist hinweg, zerstreut die bunte Gesellschaft;

Schiffern und Fischern gehört wieder die wallende Flut.

Schwimme, du mächtige Scholle, nur hin! und kommst du als Scholle

Nicht hinunter, du kommst doch wohl als Tropfen ins Meer.

 
 * 

Symbolum

Die Zukunft decket

Schmerzen und Glücke.

Schrittweise dem Blicke,

Doch ungeschrecket

Dringen wir vorwärts.

Und schwer und schwerer

Hängt eine Hülle

Mit Ehrfurcht. Stille

Ruhn oben die Sterne

Und unten die Gräber.

Betracht sie genauer

Und siehe, so melden,

Im Busen der Helden

Sich wandelnde Schauer

Und ernste Gefühle.

Dich rufen von drüben

Die Stimmen der Geister,

Die Stimmen der Meister;

Versäumt nicht, zu üben

Die Kräfte des Guten.

Hier winden sich Kronen

In ewiger Stille,

Die sollen mit Fülle

Die Tätigen lohnen!

Wir heißen euch hoffen.

 
 * 

Die Metamorphose der Pflanzen

Dich verwirret, Geliebte, die tausendfältige Mischung

Dieses Blumengewühls über dem Garten umher;

Viele Namen hörest du an, und immer verdränget

Mit barbarischem Klang einer den andern im Ohr.

Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der andern;

Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz,

Auf ein heiliges Rätsel. O könnt ich dir, liebliche Freundin,

Überliefern sogleich glücklich das lösende Wort! –

Werdend betrachte sie nun, wie nach und nach sich die Pflanze,

Stufenweise geführt, bildet zu Blüten und Frucht.

Aus dem Samen entwickelt sie sich, sobald ihn der Erde

Stille befruchtender Schoß hold in das Leben entläßt

Und dem Reize des Lichts, des heiligen, ewig bewegten,

Gleich den zartesten Bau keimender Blätter empfiehlt.

Einfach schlief in dem Samen die Kraft; ein beginnendes Vorbild

Lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt,

Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und farblos;

Trocken erhält so der Kern ruhiges Leben bewahrt,

Quillet strebend empor, sich milder Feuchte vertrauend,

Und erhebt sich sogleich aus der umgebenden Nacht.

Aber einfach bleibt die Gestalt, der ersten Erscheinung,

Und so bezeichnet sich auch unter den Pflanzen das Kind.

Gleich darauf ein folgender Trieb, sich erhebend, erneuere

Knoten auf Knoten getürmt, immer das erste Gebild.

Zwar nicht immer das gleiche; denn mannigfaltig erzeugt sich,

Ausgebildet, du siehsts, immer das folgende Blatt,

Ausgedehnter, gekerbter, getrennter in Spitzen und Teile,

Die verwachsen vorher ruhten im untern Organ.

Und so erreicht es zuerst die höchst bestimmte Vollendung,

Die bei manchem Geschlecht dich zum Erstaunen bewegt.

Viel gerippt und gezackt, auf mastig strotzender Fläche,

Scheinet die Fülle des Triebs frei und unendlich zu sein.

Doch hier hält die Natur, mit mächtigen Händen, die Bildung

An und lenket sie sanft in das Vollkommnere hin.

Mäßiger leitet sie nun den Saft, verengt die Gefäße,

Und gleich zeigt die Gestalt zärtere Wirkungen an.

Stille zieht sich der Trieb der strebenden Ränder zurücke,

Und die Rippe des Stiels bildet sich völliger aus.

Blattlos aber und schnell erhebt sich der zärtere Stengel,

Und ein Wundergebild zieht den Betrachtenden an.

Rings im Kreise stellet sich nun, gezählet und ohne

Zahl, das kleinere Blatt neben dem ähnlichen hin.

Um die Achse gedrängt, entscheidet der bergende Kelch sich,

Der zur höchsten Gestalt farbige Kronen entläßt.

Also prangt die Natur in hoher, voller Erscheinung,

Und sie zeiget, gereiht, Glieder an Glieder gestuft.

Immer staunst du aufs neue, sobald sich am Stengel die Blume

Über dem schlanken Gerüst wechselnder Blätter bewegt.

Aber die Herrlichkeit wird des neuen Schaffens Verkündung.

Ja, das farbige Blatt fühlet die göttliche Hand;

Und zusammen zieht es sich schnell; die zartesten Formen,

Zwiefach streben sie vor, sich zu vereinen bestimmt.

Traulich stehen sie nun, die holden Paare, beisammen,

Zahlreich ordnen sie sich um den geweihten Altar.

Hymen schwebet herbei, und herrliche Düfte, gewaltig,

Strömen süßen Geruch, alles belebend, umher.

Nun vereinzelt schwellen sogleich unzählige Keime,

Hold in den Mutterschoß schwellender Früchte gehüllt.

Und hier schließt die Natur den Ring der ewigen Kräfte;

Doch ein neuer sogleich fasset den vorigen an,

Daß die Kette sich fort durch alle Zeiten verlänge,

Und das Ganze belebt, so wie das Einzelne, sei.

Wende nun, o Geliebte, den Blick zum bunten Gewimmel,

Das verwirrend nicht mehr sich vor dem Geiste bewegt.

Jede Pflanze verkündet dir nun die ewgen Gesetze,

Jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir.

Aber entzifferst du hier der Göttin heilige Lettern,

Überall siehst du sie dann, auch in verändertem Zug.

Kriechend zaudre die Raupe, der Schmetterling eile geschäftig,

Bildsam ändre der Mensch selbst die bestimmte Gestalt.

O, gedenke denn auch, wie aus dem Keim der Bekanntschaft

Nach und nach in uns holde Gewohnheit entsproß,

Freundschaft sich mit Macht aus unserm Innern enthüllte,

Und wie Amor zuletzt Blüten und Früchte gezeugt.

Denke, wie mannigfach bald die, bald jene Gestalten,

Still entfaltend, Natur unsern Gefühlen geliehn!

Freue dich auch des heutigen Tags! Die heilige Liebe

Strebt zu der höchsten Frucht gleicher Gesinnungen auf,

Gleicher Ansicht der Dinge, damit in harmonischem Anschaun

Sich verbinde das Paar, finde die höhere Welt.

 
 * 

An Charlotte von Stein

Du machst die Alten jung, die Jungen alt,

Die Kalten warm, die Warmen kalt,

Bist ernst im Scherz, der Ernst macht dich zu lachen,

Dir gab aufs menschliche Geschlecht

Ein süßer Gott sein längst bewährtes Recht,

Aus Weh ihr Wohl, aus Wohl ihr Weh zu machen.

 
 * 

Trost in Tränen

Wie kommts, daß du so traurig bist,

Da alles froh erscheint?

Man sieht dirs an den Augen an,

Gewiß, du hast geweint.

»Und hab ich einsam auch geweint,

So ists mein eigner Schmerz,

Und Tränen fließen gar so süß,

Erleichtern mir das Herz.«

Die frohen Freunde laden dich,

O komm an unsre Brust!

Und was du auch verloren hast,

Vertraue den Verlust.

»Ihr lärmt und rauscht und ahnet nicht,

Was mich, den Armen quält.

Ach nein, verloren hab ichs nicht,

So sehr es mir auch fehlt.«

So raffe denn dich eilig auf,

Du bist ein junges Blut.

In deinen Jahren hat man Kraft

Und zum Erwerben Mut.

»Ach nein, erwerben kann ichs nicht,

Es steht mir gar zu fern.

Es weilt so hoch, es blinkt so schön,

Wie droben jener Stern.«

Die Sterne, die begehrt man nicht,

Man freut sich ihrer Pracht,

Und mit Entzücken blickt man auf

In jeder heitern Nacht.

»Und mit Entzücken blick ich auf,

So manchen lieben Tag;

Verweinen laßt die Nächte mich,

Solang ich weinen mag.«

 
 * 

Die schöne Nacht

Nun verlaß ich diese Hütte,

Meiner Liebsten Aufenthalt,

Wandle mit verhülltem Schritte

Durch den öden, finstern Wald.

Luna bricht durch Busch und Eichen,

Zephir meldet ihren Lauf,

Und die Birken streun mit Neigen

Ihr den süßen Weihrauch auf.

Wie ergötz ich mich im Kühlen

Dieser schönen Sommernacht!

O wie still ist hier zu fühlen,

Was die Seele glücklich macht!

Läßt sich kaum die Wonne fassen!

Und doch wollt ich, Himmel, dir

Tausend solcher Nächte lassen,

Gäb mein Mädchen Eine mir.

 
 * 

Stoßseufzer

Ach, man sparte viel,

Seltner wäre verruckt das Ziel,

Wär weniger Dumpfheit, vergebenes Sehnen,

Ich könnte viel glücklicher sein –

Gäbs nur keinen Wein

Und keine Weibertränen!

 
 * 

Kronos als Kunstrichter

Saturnus eigne Kinder frißt,

Hat irgend kein Gewissen;

Ohne Senf und Salz und, wie ihr wißt,

Verschlingt er euch den Bissen.

Shakspearen sollt’ es auch ergehn

Nach hergebrachter Weise: –

Den hebt mir auf, sagt Polyphem,

Daß ich zuletzt ihn speise.

 
 * 

Wer kauft Liebesgötter?

Von allen schönen Waren,

Zum Markte hergefahren,

Wird keine mehr behagen,

Als die wir euch getragen

Aus fremden Ländern bringen.

O höret, was wir singen!

Und seht die schönen Vögel,

Sie stehen zum Verkauf.

Zuerst beseht den großen,

Den lustigen, den losen!

Er hüpfet leicht und munter

Von Baum und Busch herunter;

Gleich ist er wieder oben.

Wir wollen ihn nicht loben.

O seht den muntern Vogel!

Er steht hier zum Verkauf.

Betrachtet nun den kleinen,

Er will bedächtig scheinen,

Und doch ist er der lose,

So gut als wie der große;

Er zeiget meist im stillen

Den allerbesten Willen.

Der lose kleine Vogel,

Er steht hier zum Verkauf.

O seht das kleine Täubchen,

Das liebe Turtelweibchen!

Die Mädchen sind so zierlich,

Verständig und manierlich;

Sie mag sich gerne putzen

Und eure Liebe nutzen.

Der kleine zarte Vogel,

Er steht hier zum Verkauf.

Wir wollen ihn nicht loben,

Sie stehn zu allen Proben.

Sie lieben sich das Neue;

Doch über ihre Treue

Verlangt nicht Brief und Siegel,

Sie haben alle Flügel.

Wie artig sind die Vögel,

Wie reizend ist der Kauf!

 
 * 

Mignon

Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen,

Denn mein Geheimnis ist mir Pflicht;

Ich möchte dir mein ganzes Innre zeigen,

Allein das Schicksal will es nicht.

Zur rechten Zeit vertreibt der Sonne Lauf

Die finstre Nacht, und sie muß sich erhellen;

Der harte Fels schließt seinen Busen auf,

Mißgönnt der Erde nicht die tiefverborgnen Quellen.

Ein jeder sucht im Arm des Freundes Ruh,

Dort kann die Brust in Klagen sich ergießen;

Allein ein Schwur drückt mir die Lippen zu,

Und nur ein Gott vermag sie aufzuschließen.

 
 * 

Die Geschwister

Schlummer und Schlaf, zwei Brüder, zum Dienste der Götter berufen,

Bat sich Prometheus herab seinem Geschlechte zum Trost;

Aber den Göttern so leicht, doch schwer zu ertragen den Menschen,

Ward nun ihr Schlummer uns Schlaf, ward nun ihr Schlaf uns zum Tod.

 
 * 

Lebensregel

Willst du dir ein hübsch Leben zimmern,

Mußt dich ums Vergangne nicht bekümmern,

Das Wenigste muß dich verdrießen;

Mußt stets die Gegenwart genießen,

Besonders keinen Menschen hassen

Und die Zukunft Gott überlassen.

 
 * 

Die Metamorphose der Tiere

Wagt ihr, also bereitet, die letzte Stufe zu steigen

Dieses Gipfels, so reicht mir die Hand und öffnet den freien

Blick ins weite Feld der Natur. Sie spendet die reichen

Lebensgaben umher, die Göttin; aber empfindet

Keine Sorge wie sterbliche Fraun um ihrer Gebornen

Sichere Nahrung; ihr ziemet es nicht: denn zwiefach bestimmte

Sie das höchste Gesetz, beschränkte jegliches Leben,

Gab ihm gemeßnes Bedürfnis, und ungemessene Gaben,

Leicht zu finden, streute sie aus, und ruhig begünstigt

Sie das muntre Bemühn der vielfach bedürftigen Kinder;

Unerzogen schwärmen sie fort nach ihrer Bestimmung.

Zweck sein selbst ist jegliches Tier, vollkommen entspringt es

Aus dem Schoß der Natur und zeugt vollkommene Kinder.

Alle Glieder bilden sich aus nach ewgen Gesetzen,

Und die seltenste Form bewahrt im geheimen das Urbild.

So ist jeglicher Mund geschickt, die Speise zu fassen,

Welche dem Körper gebührt; es sei nun schwächlich und zahnlos

Oder mächtig der Kiefer gezähnt, in jeglichem Falle

Fördert ein schicklich Organ den übrigen Gliedern die Nahrung.

Auch bewegt sich jeglicher Fuß, der lange, der kurze,

Ganz harmonisch zum Sinne des Tiers und seinem Bedürfnis.

So ist jedem der Kinder die volle, reine Gesundheit

Von der Mutter bestimmt: denn alle lebendigen Glieder

Widersprechen sich nie und wirken alle zum Leben.

Also bestimmt die Gestalt die Lebensweise des Tieres,

Und die Weise, zu leben, sie wirkt auf alle Gestalten

Mächtig zurück. So zeigt sich fest die geordnete Bildung,

Welche zum Wechsel sich neigt durch äußerlich wirkende Wesen.

Doch im Innern befindet die Kraft der edlern Geschöpfe

Sich im heiligen Kreise lebendiger Bildung beschlossen.

Diese Grenzen erweitert kein Gott, es ehrt die Natur sie:

Denn nur also beschränkt war je das Vollkommene möglich.

Doch im Inneren scheint ein Geist gewaltig zu ringen,

Wie er durchbreche den Kreis, Willkür zu schaffen den Formen

Wie dem Wollen; doch was er beginnt, beginnt er vergebens.

Denn zwar drängt er sich vor zu diesen Gliedern, zu jenen,

Stattet mächtig sie aus, jedoch schon darben, dagegen

Andere Glieder, die Last des Übergewichtes vernichtet

Alle Schöne der Form und alle reine Bewegung.

Siehst du also dem einen Geschöpf besonderen Vorzug

Irgend gegönnt, so frage nur gleich: wo leidet es etwa

Mangel anderswo? und suche mit forschendem Geiste;

Finden wirst du sogleich zu aller Bildung den Schlüssel.

Denn so hat kein Tier, dem sämtliche Zähne den obern

Kiefer umzäunen, ein Horn auf seiner Stirne getragen,

Und daher ist den Löwen gehörnt der ewigen Mutter

Ganz unmöglich zu bilden, und böte sie alle Gewalt auf;

Denn sie hat nicht Masse genug, die Reihen der Zähne

Völlig zu pflanzen und auch Geweih und Hörner zu treiben.

Dieser schöne Begriff von Macht und Schranken, von Willkür

Und Gesetz, von Freiheit und Maß, von beweglicher Ordnung,

Vorzug und Mangel erfreue dich hoch; die heilige Muse

Bringt harmonisch ihn dir, mit sanftem Zwange belehrend.

Keinen höhern Begriff erringt der sittliche Denker,

Keinen der tätige Mann, der dichtende Künstler; der Herrscher,

Der verdient, es zu sein, erfreut nur durch ihn sich der Krone.

Freue dich, höchstes Geschöpf der Natur, du fühlest dich fähig,

Ihr den höchsten Gedanken, zu dem sie schaffend sich aufschwang,

Nachzudenken. Hier stehe nun still und wende die Blicke

Rückwärts, prüfe, vergleiche, und nimm vom Munde der Muse,

Daß du schauest, nicht schwärmst, die liebliche volle Gewißheit.

 
 * 

Beweggrund

Wenn einem Mädchen, das uns liebt,

Die Mutter strenge Lehren giebt

Von Tugend, Keuschheit und von Pflicht,

Und unser Mädchen folgt ihr nicht,

Und fliegt mit neuverstärktem Triebe

Zu unsern heißen Küssen hin;

So hat daran der Eigensinn

So vielen Antheil als die Liebe.

Doch wenn die Mutter es erreicht,

Daß sie das gute Herz erweicht,

Voll Stolz auf ihre Lehren sieht,

Daß uns das Mädchen spröde flieht;

So kennt sie nicht das Herz der Jugend.

Denn wenn das je ein Mädchen thut,

So hat daran der Wankelmuth

Gewiß mehr Antheil als die Tugend.

 
 * 

Frech und froh

Mit Mädchen sich vertragen,

Mit Männern ’rumgeschlagen,

Und mehr Credit als Geld:

So kommt man durch die Welt.

Mit Vielem läßt sich schmausen;

Mit Wenig läßt sich hausen;

Daß Wenig Vieles sei,

Schafft nur die Lust herbei.

Will sie sich nicht bequemen,

So müßt ihr’s eben nehmen.

Will Einer nicht vom Ort,

So jagt ihn grade fort.

Laßt Alle nur mißgönnen,

Was sie nicht nehmen können,

Und seid von Herzen froh;

Das ist das A und O.

So fahret fort zu dichten,

Euch nach der Welt zu richten.

Bedenkt im Wohl und Weh

Dies goldne ABC.

 
 * 

Problem

Warum ist Alles so räthselhaft?

Hier ist das Wollen, hier ist die Kraft;

Das Wollen will, die Kraft ist bereit

Und daneben die schöne lange Zeit.

So seht doch hin, wo die gute Welt

Zusammenhält!

Seht hin, wo sie auseinanderfällt!

 
 * 

Dreifaltigkeit

Der Vater ewig in Ruhe bleibt,

Er hat der Welt sich einverleibt.

Der Sohn hat Großes unternommen,

Die Welt zu erlösen, ist er gekommen

Hat gut gelehrt und viel ertragen,

Wunder noch heut in unsern Tagen.

Nun aber kommt der heil’ge Geist,

Er wirkt am Pfingsten allermeist.

Woher er kommt, wohin er weht,

Das hat noch Niemand ausgespäht.

Sie geben ihm nur eine kurze Frist,

Da er doch Erst- und Letzter ist.

Deßwegen wir treulich, unverstohlen,

Das alte Credo wiederholen:

Anbetend sind wir All’ bereit

Die ewige Dreifaltigkeit.

 
 * 

Goldene Regel

Mit einem Herren steht es gut,

Der, was er befohlen, selber tut.

 
 * 

An Behrisch

I.

Du gehst! Ich murre.

Geh! Laß mich murren.

Ehrlicher Mann

Fliehe dies Land.

Tote Sümpfe,

Dumpfe Oktobernebel

Verweben ihre Ausflüsse

Hier unzertrennlich.

Gebärort

Schädlicher Insekten,

Mörderhülle

Ihrer Bosheit.

Am schilfigten Ufer

Liegt die wollüstige

Flammengezüngte Schlange,

Gestreichelt vom Sonnenstrahl.

Fliehe sanfte Nachtgänge

In der Mondendämmerung,

Dort halten zuckende Kröten

Zusammenkünfte an Kreuzwegen.

Schaden sie nicht,

Werden sie schrecken.

Ehrlicher Mann,

Fliehe das Land!

II.

Sei gefühllos!

Ein leichtbewegtes Herz

Ist ein elend Gut

Auf der wankenden Erde.

Behrisch, des Frühlings Lächeln

Erheitre deine Stirne nie;

Nie trübt sie dann mit Verdruß

Des Winters stürmischer Ernst.

Lehne dich nie an des Mädchens

Sorgenverwiegende Brust,

Nie auf des Freundes

Elendtragenden Arm.

Schon versammelt

Von seiner Klippenwarte

Der Neid auf dich

Den ganzen luchsgleichen Blick.

Dehnt die Klauen,

Stürzt und schlägt

Hinterlistig sie

Dir in die Schultern.

Stark sind die magern Arme,

Wie Pantherarme;

Er schüttelt dich

Und reißt dich los.

Tod ist Trennung,

Dreifacher Tod

Trennung ohne Hoffnung

Wiederzusehn.

Gerne verließest du

Dieses gehaßte Land,

Hielte dich nicht Freundschaft

Mit Blumenfesseln an mir.

Zerreiß sie! Ich klage nicht.

Kein edler Freund

Hält den Mitgefangenen,

Der fliehn kann, zurück.

Der Gedanke

Von des Freundes Freiheit

Ist ihm Freiheit

Im Kerker.

Du gehst, ich bleibe.

Aber schon drehn

Des letzten Jahrs Flügelspeichen

Sich um die rauschende Achse.

Ich zähle die Schläge

Des donnernden Rads,

Segne den letzten,

Da springen die Riegel, frei bin ich wie du!

 
 * 

Katzenpastete

Bewährt den Forscher der Natur

Ein frei und ruhig Schauen,

So folge Meßkunst seiner Spur

Mit Vorsicht und Vertrauen.

Zwar mag in Einem Menschenkind

Sich Beides auch vereinen:

Doch daß es zwei Gewerbe sind,

Das läßt sich nicht verneinen.

Es war einmal ein braver Koch,

Geschickt im Appretiren;

Dem fiel es ein, er wollte doch

Als Jäger sich geriren.

Er zog bewehrt zu grünem Wald,

Wo manches Wildbret haus’te,

Und einen Kater schoß er bald,

Der junge Vögel schmaus’te.

Sah ihn für einen Hasen an

Und ließ sich nicht bedeuten,

Pastetete viel Würze dran

Und setzt’ ihn vor den Leuten.

Doch manche Gäste das verdroß,

Gewisse feine Nasen:

Die Katze, die der Jäger schoß,

Macht nie der Koch zum Hasen.

 
 * 

Der Sänger

Was hör ich draußen vor dem Tor,

Was auf der Brücke schallen?

Laß den Gesang vor unserm Ohr

Im Saale widerhallen!

Der König sprachs, der Page lief;

Der Knabe kam, der König rief:

Laßt mir herein den Alten!

Gegrüßet seid mir, edle Herrn,

Gegrüßt ihr, schöne Damen!

Welch reicher Himmel, Stern bei Stern!

Wer kennet ihre Namen?

Im Saal von Pracht und Herrlichkeit

Schließt, Augen, euch; hier ist nicht Zeit,

Sich staunend zu ergetzen.

Der Sänger drückt’ die Augen ein

Und schlug in vollen Tönen;

Die Ritter schauten mutig drein,

Und in den Schoß die Schönen.

Der König, dem das Lied gefiel,

Ließ, ihn zu ehren für sein Spiel,

Eine goldne Kette holen.

Die goldne Kette gib mir nicht,

Die Kette gib den Rittern,

Vor deren kühnem Angesicht

Der Feinde Lanzen splittern;

Gib sie dem Kanzler, den du hast,

Und laß ihn noch die goldne Last

Zu andern Lasten tragen.

Ich singe, wie der Vogel singt,

Der in den Zweigen wohnet;

Das Lied, das aus der Kehle dringt,

Ist Lohn, der reichlich lohnet.

Doch darf ich bitten, bitt ich eins:

Laß mir den besten Becher Weins

In purem Golde reichen.

Er setzt’ ihn an, er trank ihn aus:

O Trank voll süßer Labe!

O wohl dem hochbeglückten Haus,

Wo das ist kleine Gabe!

Ergehts euch wohl, so denkt an mich,

Und danket Gott so warm, als ich

Für diesen Trunk euch danke.

 
 * 

Kläffer

Wir reiten in die Kreuz und Quer

Nach Freuden und Geschäften;

Doch immer kläfft es hinterher

Und bellt aus allen Kräften.

So will der Spitz aus unserm Stall

Uns immerfort begleiten,

Und seines Bellens lauter Schall

Beweist nur, daß wir reiten.

 
 * 

Sendschreiben

Mein altes Evangelium

Bring’ ich dir hier schon wieder;

Doch ist mir’s wohl um mich herum,

Darum schreib’ ich dir’s nieder.

Ich holte Gold, ich holte Wein,

Stellt’ alles da zusammen;

Da, dacht’ ich, da wird Wärme sein,

Geht mein Gemäld’ in Flammen!

Auch thät ich bei der Schätze Flor

Viel Gluth und Reichthum schwärmen;

Doch Menschenfleisch geht Allem vor,

Um sich daran zu wärmen.

Und wer nicht richtet, sondern fleißig ist,

Wie ich bin und wie du bist,

Den belohnt auch die Arbeit mit Genuß;

Nichts wird auf der Welt ihm Ueberdruß.

Denn er blecket nicht mit stumpfem Zahn

Lang’ Gesottnes und Gebratnes an,

Das er, wenn er noch so sittlich kaut,

Endlich doch nicht sonderlich verdaut;

Sondern faßt ein tüchtig Schinkenbein,

Haut da gut taglöhnermäßig drein,

Füllt bis oben gierig den Pokal,

Trinkt, und wischt das Maul wohl nicht einmal.

Sieh, so ist Natur ein Buch lebendig,

Unverstanden, doch nicht unverständlich;

Denn dein Herz hat viel und groß Begehr,

Was wohl in der Welt für Freude wär’,

Allen Sonnenschein und alle Bäume,

Alles Meergestad’ und alle Träume

In dein Herz zu sammeln mit einander,

Wie die Welt durchwühlend Banks, Solander.

Und wie muß dir’s werden, wenn du fühlest,

Daß du Alles in dir selbst erzielest,

Freude hast an deiner Frau und Hunden,

Als noch keiner in Elysium gefunden.

Als er da mit Schatten lieblich schweifte

Und an goldne Gottgestalten streifte.

Nicht in Rom, in Magna Gräcia;

Dir im Herzen ist die Wonne da!

Wer mit seiner Mutter, der Natur, sich hält,

Findet im Stengelglas wohl eine Welt.

 
 * 

Christel

Hab oft einen dumpfen düstern Sinn,

Ein gar so schweres Blut!

Wenn ich bei meiner Christel bin,

Ist alles wieder gut.

Ich seh sie dort, ich seh sie hier

Und weiß nicht auf der Welt,

Und wie und wo und wann sie mir,

Warum sie mir gefällt.

Das schwarze Schelmenaug dadrein,

Die schwarze Braue drauf,

Seh ich ein einzigmal hinein,

Die Seele geht mir auf.

Ist eine, die so lieben Mund,

Liebrunde Wänglein hat?

Ach, und es ist noch etwas rund,

Da sieht kein Aug sich satt!

Und wenn ich sie denn fassen darf

Im luftgen deutschen Tanz,

Das geht herum, das geht so scharf,

Da fühl ich mich so ganz!

Und wenns ihr taumlig wird und warm,

Da wieg ich sie sogleich

An meiner Brust, in meinem Arm;

’s ist mir ein Königreich!

Und wenn sie liebend nach mir blickt,

Und alles rund vergißt,

Und dann an meine Brust gedrückt

Und weidlich eins geküßt,

Das läuft mir durch das Rückenmark

Bis in die große Zeh!

Ich bin so schwach, ich bin so stark,

Mir ist so wohl, so weh!

Da möcht ich mehr und immer mehr,

Der Tag wird mir nicht lang;

Wenn ich die Nacht auch bei ihr wär,

Davor wär mir nicht bang.

Ich denk, ich halte sie einmal

Und büße meine Lust;

Und endigt sich nicht meine Qual,

Sterb ich an ihrer Brust.

 
 * 

Glückliche Fahrt

Die Nebel zerreißen,

Der Himmel ist helle,

Und Äolus löset

Das ängstliche Band.

Es säuseln die Winde,

Es rührt sich der Schiffer.

Geschwinde! Geschwinde!

Es teilt sich die Welle,

Es naht sich die Ferne;

Schon seh ich das Land!

 
 * 

Der Bräutigam

Um Mitternacht, ich schlief, im Busen wachte

Das liebevolle Herz, als wär es Tag;

Der Tag erschien, mir war, als ob es nachte –

Was ist es mir, so viel er bringen mag?

Sie fehlte ja! mein emsig Tun und Streben

Für sie allein ertrug ichs durch die Glut

Der heißen Stunde; welch erquicktes Leben

Am kühlen Abend! lohnend wars und gut.

Die Sonne sank, und Hand in Hand verpflichtet

Begrüßten wir den letzten Segensblick,

Und Auge sprach, ins Auge klar gerichtet:

Von Osten, hoffe nur, sie kommt zurück.

Um Mitternacht, der Sterne Glanz geleitet

Im holden Traum zur Schwelle, wo sie ruht.

O sei auch mir dort auszuruhn bereitet!

Wie es auch sei, das Leben, es ist gut.

 
 * 

Wenn im Unendlichen dasselbe

Wenn im Unendlichen dasselbe

Sich wiederholend ewig fließt,

Das tausendfältige Gewölbe

Sich kräftig ineinander schließt,

Strömt Lebenslust aus allen Dingen,

Dem kleinsten wie dem größten Stern,

Und alles Drängen, alles Ringen

Ist ewige Ruh in Gott dem Herrn.

 
 * 

Ungeduld

Immer wieder in die Weite,

Über Länder an das Meer,

Phantasien, in der Breite

Schwebt am Ufer hin und her!

Neu ist immer die Erfahrung:

Immer ist dem Herzen bang,

Schmerzen sind der Jugend Nahrung,

Tränen seliger Lobgesang.

 
 * 

Kenner und Enthusiast

Ich führt’ einen Freund zum Maidel jung,

Wollt’ ihm zu genießen geben,

Was alles es hätt, gar Freud’ genung,

Frisch junges warmes Leben.

Wir fanden sie sitzen an ihrem Bett,

Thät sich auf ihr Händlein stützen.

Der Herr der macht’ ihr ein Compliment,

Thät gegen ihr über sitzen.

Er spitzt die Nase, er sturt sie an,

Betracht sie herüber, hinüber:

Und um mich war’s gar bald gethan,

Die Sinnen gingen mir über.

Der liebe Herr für allen Dank

Führt mich drauf in eine Ecken,

Und sagt, sie wär’ doch allzu schlank,

Und hätt’ auch Sommerflecken.

Da nahm ich von meinem Kind Adjeu,

Und scheidend sah ich in die Höh’:

Ach Herre Gott, ach Herre Gott,

Erbarm’ dich doch des Herren!

Da führt’ ich ihn in die Galerie

Voll Menschengluth und Geistes;

Mir wird’s da gleich, ich weiß nicht wie,

Mein ganzes Herz zerreißt es.

O Maler! Maler! rief ich laut,

Belohn’ dir Gott dein Malen!

Und nur die allerschönste Braut

Kann dich für uns bezahlen.

Und sieh, da ging mein Herr herum,

Und stochert’ sich die Zähne,

Registrirt’ in Catalogum

Mir meine Göttersöhne.

Mein Busen war so voll und bang,

Von hundert Welten trächtig;

Ihm war bald was zu kurz, zu lang,

Wägt’ alles gar bedächtig.

Da warf ich in ein Eckchen mich,

Die Eingeweide brannten.

Um ihn versammelten Männer sich,

Die ihn einen Kenner nannten.

 
 * 

Erlkönig

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

Es ist der Vater mit seinem Kind;

Er hat den Knaben wohl in dem Arm,

Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? –

Siehst Vater, du den Erlkönig nicht?

Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? –

Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. –

»Du liebes Kind, komm, geh mit mir!

Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;

Manch bunte Blumen sind an dem Strand,

Meine Mutter hat manch gülden Gewand.«

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,

Was Erlenkönig mir leise verspricht? –

Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;

In dürren Blättern säuselt der Wind. –

»Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?

Meine Töchter sollen dich warten schön;

Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn

Und wiegen und tanzen und singen dich ein.«

Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort

Erlkönigs Töchter am düstern Ort? –

Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:

Es scheinen die alten Weiden so grau. –

»Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;

Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.«

Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!

Erlkönig hat mir ein Leids getan! –

Dem Vater grauset’s, er reitet geschwind,

Er hält in den Armen das ächzende Kind,

Erreicht den Hof mit Mühe und Not;

In seinen Armen das Kind war tot.

 
 * 

Der Fischer

Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll,

Ein Fischer saß daran,

Sah nach dem Angel ruhevoll,

Kühl bis ans Herz hinan.

Und wie er sitzt und wie er lauscht,

Teilt sich die Flut empor:

Aus dem bewegten Wasser rauscht

Ein feuchtes Weib hervor.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:

»Was lockst du meine Brut

Mit Menschenwitz und Menschenlist

Hinauf in Todesglut?

Ach wüßtest du, wie’s Fischlein ist

So wohlig auf dem Grund,

Du stiegst herunter, wie du bist,

Und würdest erst gesund.

Labt sich die liebe Sonne nicht,

Der Mond sich nicht im Meer?

Kehrt wellenatmend ihr Gesicht

Nicht doppelt schöner her?

Lockt dich der tiefe Himmel nicht.

Das feuchtverklärte Blau?

Lockt dich dein eigen Angesicht

Nicht her in ew’gen Tau?«

Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll,

Netzt’ ihm den nackten Fuß;

Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll

Wie bei der Liebsten Gruß.

Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;

Da war’s um ihn geschehn;

Halb zog sie ihn, halb sank er hin

Und ward nicht mehr gesehn.

 
 * 

Die Musageten

Oft in tiefen Winternächten

Rief ich an die holden Musen;

»Keine Morgenröthe leuchtet

Und es will kein Tag erscheinen,

Aber bringt zur rechten Stunde

Mir der Lampe fromm Geleuchte,

Daß es, statt Auror’ und Phöbus,

Meinen stillen Fleiß belebe!«

Doch sie ließen mich im Schlafe,

Dumpf und unerquicklich, liegen,.

Und nach jedem späten Morgen

Folgten ungenutzte Tage.

Da sich nun der Frühling regte,

Sagt’ ich zu den Nachtigallen:

»Liebe Nachtigallen, schlaget

Früh, o früh! vor meinem Fenster,

Weckt mich aus dem vollen Schlafe,

Der den Jüngling mächtig fesselt.«

Doch die lieberfüllten Sänger

Dehnten Nachts vor meinem Fenster

Ihre süßen Melodien,

Hielten wach die liebe Seele,

Regten zartes neues Sehnen

Aus dem neugerührten Busen.

Und so ging die Nacht vorüber

Und Aurora fand mich schlafen,

Ja, mich weckte kaum die Sonne.

Endlich ist es Sommer worden,

Und beim ersten Morgenschimmer

Reizt mich aus dem holden Schlummer

Die geschäftig frühe Fliege.

Unbarmherzig kehrt sie wieder,

Wenn auch oft der halb Erwachte

Ungeduldig sie verscheuchet,

Lockt die unverschämten Schwestern,

Und von meinen Augenlidern

Muß der holde Schlaf entweichen.

Rüstig spring’ ich von dem Lager,

Suche die geliebten Musen,

Finde sie im Buchenhaine,

Mich gefällig zu empfangen;

Und den leidigen Insecten

Dank’ ich manche goldne Stunde.

Seid mir doch, ihr Unbequemen,

Von dem Dichter hochgepriesen,

Als die wahren Musageten.

 
 * 

Selbst erfinden ist schön

Selbst erfinden ist schön; doch glücklich von andern Gefundnes

Fröhlich erkannt und geschätzt, nennst du das weniger dein?

 
 * 

Memento

Kannst dem Schicksal widerstehen,

Aber manchmal gibt es Schläge;

Wills nicht aus dem Wege gehen,

Ei! so geh du aus dem Wege!

 
 * 

Ein andres

Mußt nicht widerstehn dem Schicksal,

Aber mußt es auch nicht fliehen!

Wirst du ihm entgegengehen,

Wirds dich freundlich nach sich ziehen.

 
 * 

Neologen

Ich begegnet’ einem jungen Mann,

Ich fragt’ ihn um sein Gewerbe;

Er sagt’: Ich sorge, wie ich kann,

Daß ich mir, eh’ ich sterbe,

Ein Bauergütchen erwerbe.

Ich sagte: Das ist sehr wohl gedacht;

Und wünschte, er hätt’ es so weit gebracht.

Da hört’ ich, er habe vom lieben Papa

Und eben so von der Frau Mama

Die allerschönsten Rittergüter.

Das nenn’ ich doch originale Gemüther.

 
 * 

Warnung

So wie Titania im Feen- und Zauberland

Klaus Zetteln in dem Arme fand,

So wirst du bald zur Strafe deiner Sünden

Titanien in deinen Armen finden.

 
 * 

Das Bergdorf

»Jetzt war das Bergdorf abgebrannt,

Sieh nur, wie schnell sich das ermannt!

Steht Alles wieder in Brett und Schindeln,

Die Kinder liegen in Wieg’ und Windeln;

Wie schön ist’s, wenn man Gott vertraut!«

Neuer Scheiterhaufen ist aufgebaut,

Daß, wenn es Funken und Wind gefiele,

Gott selbst verlör’ in solchem Spiele.

 
 * 

Phöbos und Hermes

Delos’ ernster Beherrscher und Maja’s Sohn, der gewandte,

Rechteten heftig, es wünscht Jeder den herrlichen Preis,

Hermes verlangte die Leier, die Leier verlangt auch Apollon,

Doch vergeblich erfüllt Hoffnung den Beiden das Herz!

Denn rasch dränget sich Ares heran, gewaltsam entscheidend,

Schlägt er das goldene Spiel wild mit dem Eisen entzwei.

Hermes lacht unmäßig, der schadenfrohe; doch Phöbos

Und den Musen ergreift inniger Schmerz das Gemüth.

 
 * 

Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg

Nach Mittage saßen wir

Junges Volk im Kühlen;

Amor kam, und: Stirbt der Fuchs

Wollt er mit uns spielen.

Jeder meiner Freunde saß

Froh bei seinem Herzchen;

Amor blies die Fackel aus,

Sprach: Hier ist das Kerzchen!

Und die Fackel, wie sie glomm,

Ließ man eilig wandern,

Jeder drückte sie geschwind

In die Hand des andern.

Und mir reichte Dorilis

Sie mit Spott und Scherze;

Kaum berührt mein Finger sie,

Hell entflammt die Kerze,

Sengt mir Augen und Gesicht,

Setzt die Brust in Flammen,

Über meinem Haupte schlug

Fast die Glut zusammen.

Löschen wollt ich, patschte zu,

Doch es brennt beständig;

Statt zu sterben, ward der Fuchs

Recht bei mir lebendig.

 
 * 

Schneider-Courage

Es ist ein Schuß gefallen!

Mein! sagt, wer schoß da drauß?

Es ist der junge Jäger,

Der schießt im Hinterhaus.

Die Spatzen in dem Garten,

Die machen viel Verdruß.

Zwei Spatzen und ein Schneider,

Die fielen von dem Schuß.

Die Spatzen von den Schroten,

Der Schneider von dem Schreck,

Die Spatzen in die Schoten,

Der Schneider in den — .

 
 * 

Nach dem Tod Christianens

6. Juni 1816

Du versuchst, o Sonne, vergebens

Durch die düstren Wolken zu scheinen:

Der ganze Gewinn meines Lebens

Ist, ihren Verlust zu beweinen.

 
 * 

Eins und alles

Im Grenzenlosen sich zu finden,

Wird gern der einzelne verschwinden,

Da löst sich aller Überdruß;

Statt heißem Wünschen, wildem Wollen,

Statt lästigem Fordern, strengem Sollen

Sich aufzugeben ist Genuß.

Weltseele, komm, uns zu durchdringen!

Dann mit dem Weltgeist selbst zu ringen,

Wird unsrer Kräfte Hochberuf.

Teilnehmend führen gute Geister,

Gelinde leitend höchste Meister

Zu dem, der alles schafft und schuf.

Und umzuschauen das Geschaffne,

Damit sichs nicht zum Starren waffne,

Wirkt ewiges, lebendiges Tun.

Und was nicht war, nun will es werden

Zu reinen Sonnen, farbigen Erden;

In keinem Falle darf es ruhn.

Es soll sich regen, schaffend handeln,

Erst sich gestalten, dann verwandeln;

Nur scheinbar stehts Momente still.

Das Ewige regt sich fort in allen:

Denn alles muß in Nichts zerfallen,

Wenn es im Sein beharren will.

 
 * 

Generalbeichte

Lasset heut im edeln Kreis

Meine Warnung gelten!

Nehmt die ernste Stimmung wahr,

Denn sie kommt so selten.

Manches habt ihr vorgenommen,

Manches ist euch schlecht bekommen,

Und ich muß euch schelten.

Reue soll man doch einmal

In der Welt empfinden!

So bekennt, vertraut und fromm,

Eure größten Sünden!

Aus des Irrthums falschen Weiten

Sammelt euch und sucht bei Zeiten

Euch zurechtzufinden.

Ja, wir haben, sei’s bekannt,

Wachend oft geträumet,

Nicht geleert das frische Glas,

Wenn der Wein geschäumet;

Manche rasche Schäferstunde,

Flücht’gen Kuß vom lieben Munde

Haben wir versäumet.

Still und maulfaul saßen wir,

Wenn Philister schwätzten,

Ueber göttlichen Gesang

Ihr Geklatsche schätzten;

Wegen glücklicher Momente,

Deren man sich rühmen könnte,

Uns zur Rede setzten.

Willst du Absolution

Deinen Treuen geben.

Wollen wir nach deinem Wink

Unabläßlich streben,

Uns vom Halben zu entwöhnen,

Und im Ganzen, Guten, Schönen,

Resolut zu leben.

Den Philistern allzumal

Wohlgemuth zu schnippen,

Jenen Perlenschaum des Weins

Nicht nur flach zu nippen,

Nicht zu liebeln leis mit Augen,

Sondern fest uns anzusaugen

An geliebte Lippen.

 
 * 

Mit einem goldnen Halskettchen

Dir darf dies Blatt ein Kettchen bringen,

Das, ganz zur Biegsamkeit gewöhnt,

Sich mit viel hundert kleinen Schlingen

Um deinen Hals zu schmiegen sehnt.

Gewähr’ dem Närrchen die Begierde,

Sie ist voll Unschuld, ist nicht kühn;

Am Tag ist’s eine kleine Zierde,

Am Abend wirfst du’s wieder hin.

Doch bringt dir Einer jene Kette,

Die schwerer drückt und ernster fast,

Verdenk’ ich dir es nicht, Lisette,

Wenn du ein klein Bedenken hast.

 
 * 

Ich war ein Knabe

Ich war ein Knabe warm und gut,

Als Jüngling hatt ich frisches Blut,

Versprach einst einen Mann.

Gelitten hab ich und geliebt

Und liege nieder ohnbetrübt,

Da ich nicht weiter kann.

 
 * 

Morgenklagen

O du loses, leidig-liebes Mädchen,

Sag mir an: womit hab ichs verschuldet,

Daß du mich auf diese Folter spannest,

Daß du dein gegeben Wort gebrochen?

Drücktest doch so freundlich gestern abend

Mir die Hände, lispeltest so lieblich:

Ja, ich komme, komme gegen Morgen

Ganz gewiß, mein Freund, auf deine Stube.

Angelehnet ließ ich meine Türe,

Hatte wohl die Angeln erst geprüfet

Und mich recht gefreut, daß sie nicht knarrten.

Welche Nacht des Wartens ist vergangen!

Wacht ich doch und zählte jedes Viertel;

Schlief ich ein auf wenig Augenblicke,

War mein Herz beständig wach geblieben,

Weckte mich von meinem leisen Schlummer.

Ja, da segnet ich die Finsternisse,

Die so ruhig alles überdeckten,

Freute mich der allgemeinen Stille,

Horchte lauschend immer in die Stille,

Ob sich nicht ein Laut bewegen möchte.

»Hätte sie Gedanken, wie ich denke,

Hätte sie Gefühl, wie ich empfinde,

Würde sie den Morgen nicht erwarten,

Würde schon in dieser Stunde kommen.«

Hüpft’ ein Kätzchen oben übern Boden,

Knisterte das Mäuschen in der Ecke,

Regte sich, ich weiß nicht was, im Hause,

Immer hofft ich, deinen Schritt zu hören,

Immer glaubt ich, deinen Tritt zu hören.

Und so lag ich lang und immer länger,

Und es fing der Tag schon an zu grauen,

Und es rauschte hier und rauschte dorten.

»Ist es ihre Türe? Wärs die meine!«

Daß ich, aufgestemmt in meinem Bette,

Schaute nach der halb erhellten Türe,

Ob sie nicht sich wohl bewegen möchte.

Angelehnet blieben beide Flügel

Auf den leisen Angeln ruhig hangen.

Und der Tag ward immer hell und heller;

Hört ich schon, des Nachbars Türe gehen,

Der das Taglohn zu gewinnen eilet,

Hört ich bald darauf die Wagen rasseln,

War das Tor der Stadt nun auch eröffnet,

Und es regte sich der ganze Plunder

Des bewegten Marktes durcheinander.

Ward nun in dem Haus ein Gehn und Kommen

Auf und ab die Stiegen, hin und wieder

Knarrten Türen, klapperten die Tritte;

Und ich konnte, wie vom schönen Leben,

Mich noch nicht von meiner Hoffnung scheiden.

Endlich, als die ganz verhaßte Sonne

Meine Fenster traf und meine Wände,

Sprang ich auf und eilte nach dem Garten,

Meinen heißen sehnsuchtsvollen Atem

Mit der kühlen Morgenluft zu mischen,

Dir vielleicht im Garten zu begegnen:

Und nun bist du weder in der Laube

Noch im hohen Lindengang zu finden.

 
 * 

Künstlers Fug und Recht

Ein frommer Maler mit vielem Fleiß

Hatte manchmal gewonnen den Preis,

Und manchmal ließ er’s auch geschehn,

Daß er einem Bessern nach mußt’ stehn;

Hatte seine Tafeln fortgemalt,

Wie man sie lobt, wie man sie bezahlt.

Da kamen einige gut hinaus;

Man baut ihn’n sogar ein Heiligenhaus.

Nun fand er Gelegenheit einmal,

Zu malen eine Wand im Saal,

Mit emsigen Zügen er staffirt,

Was öfters in der Welt passirt;

Zog seinen Umriß leicht und klar,

Man konnte sehn, was gemeint da war.

Mit wenig Farben er colorirt,

Doch so, daß er das Aug’ frappirt.

Er glaubt es für den Platz gerecht

Und nicht zu gut und nicht zu schlecht,

Daß es versammelte Herrn und Fraun

Möchten einmal mit Lust beschaun;

Zugleich er auch noch wünscht’ und wollt’,

Daß man dabei was denken sollt’.

Als nun die Arbeit fertig war,

Da trat herein manch Freundespaar.

Das unsers Künstlers Werke liebt’,

Und darum desto mehr betrübt,

Daß an der losen leidigen Wand

Nicht auch ein Götterbildniß stand.

Die setzten ihn sogleich zur Red’,

Warum er so was malen thät,

Da doch der Saal und seine Wänd’

Gehörten nur für Narrenhänd’;

Er sollte sich nicht lassen verführen

Und nun auch Bänk’ und Tische beschmieren:

Er sollte bei seinen Tafeln bleiben

Und hübsch mit seinem Pinsel schreiben,

Und sagten ihm von dieser Art

Noch viel Verbindlich’s in den Bart.

Er sprach darauf bescheidentlich:

Eure gute Meinung beschämet mich.

Es freut mich mehr nichts auf der Welt,

Als wenn euch je mein Werk gefällt.

Da aber aus eigenem Beruf

Gott der Herr allerlei Thier’ erschuf,

Daß auch sogar das wüste Schwein,

Kröten und Schlangen vom Herren sein,

Und er auch Manches nur ebauchirt,

Und gerade nicht Alles ausgeführt

(Wie man den Menschen denn selbst nicht scharf

Und nur en gros betrachten darf):

So hab’ ich als ein armer Knecht

Vom sündlich menschlichen Geschlecht

Von Jugend auf allerlei Lust gespürt

Und mich in Allerlei exercirt,

Und so durch Uebung und durch Glück

Gelang mir, sagt ihr, manches Stück.

Nun dächt’ ich, nach vielem Rennen und Laufen

Dürft’ einer auch einmal verschnaufen,

Ohne daß Jeder gleich, der wohl ihm wollt’,

Ihn ’nen faulen Bengel heißen sollt’.

Drum ist mein Wort zu dieser Frist,

Wie’s allezeit gewesen ist:

Mit keiner Arbeit hab’ ich geprahlt,

Und was ich gemalt hab’, hab’ ich gemalt.

 
 * 

Ein großer Teich war zugefroren

Ein großer Teich war zugefroren;

Die Fröschlein, in der Tiefe verloren,

Durften nicht ferner quaken noch springen,

Versprachen sich aber, im halben Traum:

Fänden sie nur da oben Raum,

Wie Nachtigallen wollten sie singen.

Der Tauwind kam, das Eis zerschmolz,

Nun ruderten sie und landeten stolz

Und saßen am Ufer weit und breit

Und quakten wie vor alter Zeit.

 
 * 

Weltliteratur

Wie David königlich zur Harfe sang,

Der Winzerin Lied am Throne lieblich klang,

Des Persers Bulbul Rosenbusch umbangt,

Und Schlangenhaut als Wildengürtel prangt,

Von Pol zu Pol Gesänge sich ernenn –

Ein Sphärentanz harmonisch im Getümmel –

Laßt alle Völker unter gleichem Himmel

Sich gleicher Habe wohlgemuth erfreun!

 
 * 

Museen

An Bildern schleppt ihr hin und her

Verlornes und Erworbnes;

Und bei dem Senden kreuz und quer

Was bleibt uns denn? – Verdorbnes!

 
 * 

Blinde Kuh

O liebliche Therese!

Wie wandelt gleich in’s Böse

Dein offnes Auge sich!

Die Augen zugebunden,

Hast du mich schnell gefunden,

Und warum fingst du eben mich?

Du faßtest mich aufs beste,

Und hieltest mich so feste;

Ich sank in deinen Schooß.

Kaum warst du aufgebunden,

War alle Lust verschwunden;

Du ließest kalt den Blinden los.

Er tappte hin und wieder,

Verrenkte fast die Glieder,

Und alle foppten ihn.

Und willst du mich nicht lieben,

So geh’ ich stets im Trüben

Wie mit verbundnen Augen hin.

 
 * 

Eigentum

Ich weiß, daß mir nichts angehört

Als der Gedanke, der ungestört

Aus meiner Seele will fließen,

Und jeder günstige Augenblick,

Den mich ein liebendes Geschick

Von Grund aus läßt genießen.

 
 * 

Wiegenlied dem jungen Mineralogen

Singen sie Blumen der kindlichen Ruh,

Käfer und Vögel und Tierchen dazu;

Aber du wachest, wir treten herein,

Bringen was Ruhiges, bringen den Stein.

Steinchen, die bunten, ein lustiges Spiel,

Was man auch würfe und wie es auch fiel!

Kindischen Händchen entschnickt sich so fein

Knöchlein und Bohnen und Edelgestein.

Knabe, du siehest nun Steine behaun,

Ordnend sich fügen, zu Häusern sich baun.

Wohl! du verwunderst dich, stimmest mit ein:

Das ist wahrhaftig ein nützlicher Stein!

Spielst du mit Schussern, das Kügelchen rollt,

Dreht sich zur Grube, so wie du gewollt,

Laufest begierig auch hinter ihm drein –

Das ist fürwahr wohl ein lustiger Stein!

Steinchen um Steinchen verzettelt die Welt,

Wissende haben’s zusammengestellt;

Trittst du begierig zu Sälen herein,

Siehst du zuerst nicht den Stein vor dem Stein.

Doch unterscheidest und merkest genau:

Dieser ist rot und ein andrer ist blau,

Einer, der klarste, von Farben so rein,

Farbig erblitzet der edelste Stein.

Aber die Säulchen, wer schliff sie so glatt,

Spitzte sie, schärfte sie glänzend und matt?

Schau in die Klüfte des Berges hinein:

Ruhig entwickelt sich Stein aus Gestein.

Ewig natürlich bewegende Kraft

Göttlich gesetzlich entbindet und schafft;

Trennendes Leben, im Leben Verein,

Oben die Geister und unten der Stein.

Nun, wie es Vater und Ahn dir erprobt,

Gott und Natur und das All ist gelobt!

Komme! der Stiftende führet dich ein,

Unserem Ringe willkommener Stein!

 
 * 

Zueignung

Da sind sie nun! Da habt ihr sie!

Die Lieder, ohne Kunst und Müh

Am Rand des Bachs entsprungen.

Verliebt und jung und voll Gefühl

Trieb ich der Jugend altes Spiel,

Und hab sie so gesungen.

Sie singe, wer sie singen mag!

An einem hübschen Frühlingstag

Kann sie der Jüngling brauchen.

Der Dichter blinzt von ferne zu,

Jetzt drückt ihm diätetsche Ruh

Den Daumen auf die Augen.

Halb scheel, halb weise sieht sein Blick

Ein bißchen naß auf euer Glück

Und jammert in Sentenzen.

Hört seine letzten Lehren an!

Er hats so gut wie ihr getan

Und kennt des Glückes Grenzen.

Ihr seufzt und singt und schmerzt und küßt,

Und jauchzet, ohne daß ihrs wißt,

Dem Abgrund in der Nähe.

Flieht Wiese, Bach und Sonnenschein,

Schleicht, solls euch wohl im Winter sein,

Bald zu dem Herd der Ehe.

Ihr lacht mich aus und ruft: der Tor!

Der Fuchs, der seinen Schwanz verlor,

Verschnitt jetzt gern uns alle.

Doch hier paßt nicht die Fabel ganz,

Das treue Füchslein ohne Schwanz

Das warnt euch für der Falle.

 
 * 

Gewohnt, getan

Ich habe geliebet, nun lieb ich erst recht!

Erst war ich der Diener, nun bin ich der Knecht.

Erst war ich der Diener von allen;

Nun fesselt mich diese scharmante Person,

Sie tut mir auch alles zur Liebe, zum Lohn,

Sie kann nur allein mir gefallen.

Ich habe geglaubet, nun glaub ich erst recht!

Und geht es auch wunderlich; geht es auch schlecht,

Ich bleibe beim gläubigen Orden:

So düster es oft und so dunkel es war

In drängenden Nöten, in naher Gefahr,

Auf einmal ists lichter geworden.

Ich habe gespeiset, nun speis ich erst gut!

Bei heiterem Sinne, mit fröhlichem Blut

Ist alles an Tafel vergessen.

Die Jugend verschlingt nur, dann sauset sie fort;

Ich liebe, zu tafeln am lustigen Ort,

Ich kost und ich schmecke beim Essen.

Ich habe getrunken, nun trink ich erst gern!

Der Wein, er erhöht uns, er macht uns zum Herrn

Und löset die sklavischen Zungen.

Ja, schonet nur nicht das erquickende Naß:

Denn schwindet der älteste Wein aus dem Faß,

So altern dagegen die jungen.

Ich habe getanzt und dem Tanze gelobt,

Und wird auch kein Schleifer, kein Walzer getobt,

So drehn wir ein sittiges Tänzchen.

Und wer sich der Blumen recht viele verflicht,

Und hält auch die ein und die andere nicht,

Ihm bleibet ein munteres Kränzchen.

Drum frisch nur aufs neue! Bedenke dich nicht:

Denn wer sich die Rosen, die blühenden, bricht,

Den kitzeln fürwahr nur die Dornen.

So heute wir gestern, es flimmert der Stern;

Nur halte von hängenden Köpfen dich fern

Und lebe dir immer von vornen.

 
 * 

Abendlied

(1780)

Über allen Gipfeln

Ist Ruh,

In allen Wipfeln

Spürest du

Kaum einen Hauch;

Die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur, balde

Ruhest du auch.

 
 * 

Die Lustigen von Weimar

Donnerstag nach Belvedere,

Freitag gehts nach Jena fort;

Denn das ist, bei meiner Ehre,

Doch ein allerliebster Ort!

Samstag ists, worauf wir zielen,

Sonntag rutscht man auf das Land;

Zwätzen, Burgau, Schneidemühlen

Sind uns alle wohlbekannt.

Montag reizet uns die Bühne;

Dienstag schleicht dann auch vorbei,

Doch er bringt zu stiller Sühne

Ein Rapuschchen frank und frei.

Mittwoch fehlt es nicht an Rührung,

Denn es gibt ein gutes Stück;

Donnerstag lenkt die Verführung

Uns nach Belveder’ zurück.

Und es schlingt ununterbrochen

Immer sich der Freudenkreis

Durch die zweiundfunfzig Wochen,

Wenn mans recht zu führen weiß.

Spiel und Tanz, Gespräch, Theater,

Sie erfrischen unser Blut;

Laßt den Wienern ihren Prater;

Weimar, Jena, da ists gut!

 
 * 

Das Sträußchen

Altböhmisch.

Wehet ein Lüftchen

Aus fürstlichen Wäldern;

Da läufet das Mädchen,

Da läuft es zum Bach,

Schöpft in beschlagne

Eimer das Wasser.

Vorsichtig, bedächtig

Versteht sie zu schöpfen.

Am Flusse zum Mädchen

Schwimmet ein Sträußchen,

Ein duftiges Sträußchen

Von Veilchen und Rosen.

Wenn ich, du holdes

Blümchen, es wüßte,

Wer dich gepflanzet

In lockeren Boden;

Wahrlich! dem gäb’ ich

Ein goldenes Ringlein.

Wenn ich, du holdes

Sträußchen, es wüßte,

Wer dich mit zartem

Baste gebunden;

Wahrlich! dem gäb’ ich

Die Nadel vom Haare.

Wenn ich, du holdes

Blümchen, es wüßte,

Wer in den kühlen

Bach dich geworfen;

Wahrlich! dem gäb’ ich

Mein Kränzlein vom Haupte.

Und so verfolgt sie

Das eilende Sträußchen,

Sie eilet vorauf ihm,

Versucht es zu fangen:

Da fällt, ach! da fällt sie

In’s kühlige Wasser.

 
 * 

Wandrers Nachtlied

Über allen Gipfeln

Ist Ruh,

In allen Wipfeln

Spürest du

Kaum einen Hauch;

Die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur, balde

Ruhest du auch.

 
 * 

Breit wie lang

Wer bescheiden ist, muß dulden,

Und wer frech ist, der muß leiden;

Also wirst du gleich verschulden,

Ob du frech seist, ob bescheiden.

 
 * 

An Charlotte von Stein

Woher sind wir geboren?

Aus Lieb.

Wie wären wir verloren?

Ohn Lieb.

Was hilft uns überwinden?

Die Lieb.

Kann man auch Liebe finden?

Durch Lieb.

Was läßt nicht lange weinen?

Die Lieb.

Was soll uns stets vereinen?

Die Lieb.

 
 * 

Die Kränze

Klopstock will uns vom Pindus entfernen; wir sollen nach Lorbeer

Nicht mehr geizen, uns soll inländische Eiche genügen;

Und doch führet er selbst den überepischen Kreuzzug

Hin auf Golgatha’s Gipfel, ausländische Götter zu ehren!

Doch auf welchen Hügel er wolle versamml’ er die Engel,

Lasse beim Grabe des Guten verlassene Redliche weinen:

Wo ein Held und Heiliger starb, wo ein Dichter gesungen,

Uns im Leben und Tod ein Beispiel trefflichen Muthes,

Hohen Menschenwerthes zu hinterlassen, da knieen

Billig alle Völker in Andachtswonne, verehren

Dorn und Lorbeerkranz, und was ihn geschmückt und gepeinigt.

 
 * 

Der Rattenfänger

Ich bin der wohlbekannte Sänger,

Der vielgereiste Rattenfänger,

Den diese altberühmte Stadt

Gewiß besonders nötig hat.

Und wären’s Ratten noch so viele,

Und wären Wiesel mit im Spiele:

Von allen säubr’ ich diesen Ort,

Sie müssen miteinander fort.

Dann ist der gutgelaunte Sänger

Mitunter auch ein Kinderfänger,

Der selbst die wildesten bezwingt,

Wenn er die goldnen Märchen singt.

Und wären Knaben noch so trutzig,

Und wären Mädchen noch so stutzig,

In meine Saiten greif’ ich ein,

Sie müssen alle hinterdrein.

Dann ist der vielgewandte Sänger

Gelegentlich ein Mädchenfänger;

In keinem Städtchen langt er an,

Wo er’s nicht mancher angetan.

Und wären Mädchen noch so blöde,

Und wären Weiber noch so spröde,

Doch allen wird so liebebang

Bei Zaubersaiten und Gesang.

 
 * 

Die Spinnerin

Als ich still und ruhig spann,

Ohne nur zu stocken,

Trat ein schöner junger Mann

Nahe mir zum Rocken.

Lobte, was zu loben war, –

Sollte das was schaden? –

Mein dem Flachse geleiches Haar,

Und den gleichen Faden.

Ruhig war er nicht dabei,

Ließ es nicht beim alten;

Und der Faden riß entzwei,

Den ich lang erhalten.

Und des Flachses Stein-Gewicht

Gab noch viele Zahlen;

Aber ach, ich konnte nicht

Mehr mit ihnen prahlen.

Als ich sie zum Weber trug,

Fühlt’ ich was sich regen,

Und mein armes Herze schlug

Mit geschwindern Schlägen.

Nun, beim heißen Sonnenstich,

Bring’ ich’s auf die Bleiche,

Und mit Mühe bück’ ich mich

Nach dem nächsten Teiche.

Was ich in dem Kämmerlein

Still und fein gesponnen,

Kommt – wie kann es anders sein? –

Endlich an die Sonnen.

 
 * 

Wanderlied

Von dem Berge zu den Hügeln,

Niederab das Tal entlang,

Da erklingt es wie von Flügeln,

Da bewegt sichs wie Gesang;

Und dem unbedingten Triebe

Folget Freude, folget Rat;

Und dein Streben, seis in Liebe,

Und dein Leben sei die Tat.

Denn die Bande sind zerrissen,

Das Vertrauen ist verletzt;

Kann ich sagen, kann ich wissen,

Welchem Zufall ausgesetzt

Ich nun scheiden, ich nun wandern,

Wie die Witwe trauervoll,

Statt dem einen, mit dem andern

Fort und fort mich wenden soll!

Bleibe nicht am Boden heften,

Frisch gewagt und frisch hinaus!

Kopf und Arm mit heitern Kräften,

Überall sind sie zu Haus;

Wo wir uns der Sonne freuen,

Sind wir jede Sorge los;

Daß wir uns in ihr zerstreuen,

Darum ist die Welt so groß.

Doch was heißt in solchen Stunden

Sich im Fernen umzuschaun?

Wer ein heimisch Glück gefunden,

Warum sucht ers dort im Blaun?

Glücklich, wer bei uns geblieben,

In der Treue sich gefällt!

Wo wir trinken, wo wir lieben,

Da ist reiche, freie Welt.

 
 * 

Vergeblich

Erinnr’ ich mich doch spät und früh

Des lieblichsten Gesichts;

Sie denkt an mich, ich denk’ an sie,

Und Beiden hilft es nichts.

 
 * 

Meine Göttin

Welcher Unsterblichen

Soll der höchste Preis sein?

Mit niemand streit ich,

Aber ich geb ihn

Der ewig beweglichen,

Immer neuen,

Seltsamen Tochter Jovis,

Seinem Schoßkinde,

Der Phantasie.

Denn ihr hat er

Alle Launen,

Die er sonst nur allein

Sich vorbehält,

Zugestanden

Und hat seine Freude

An der Törin.

Sie mag rosenbekränzt

Mit dem Lilienstengel

Blumentäler betreten,

Sommervögeln gebieten

Und leichtnährenden Tau

Mit Bienenlippen

Von Blüten saugen;

Oder sie mag

Mit fliegendem Haar

Und düsterm Blicke

Im Winde sausen

Um Felsenwände,

Und tausendfarbig,

Wie Morgen und Abend,

Immer wechselnd

Wie Mondesblicke,

Den Sterblichen scheinen.

Laßt uns alle

Den Vater preisen!

Den alten, hohen,

Der solch eine schöne,

Unverwelkliche Gattin

Dem sterblichen Menschen

Gesellen mögen!

Denn uns allein

Hat er sie verbunden

Mit Himmelsband

Und ihr geboten,

In Freud und Elend

Als treue Gattin

Nicht zu entweichen

Alle die andern

Armen Geschlechter

Der kinderreichen,

Lebendigen Erde

Wandeln und weiden

In dunkelm Genuß

Und trüben Schmerzen

Des augenblicklichen

Beschränkten Lebens,

Gebeugt vom Joche

Der Notdurft.

Uns aber hat er

Seine gewandteste,

Verzärtelte Tochter,

Freut euch! gegönnt.

Begegnet ihr lieblich,

Wie einer Geliebten!

Laßt ihr die Würde

Der Frauen im Haus!

Und daß die alte

Schwiegermutter Weisheit

Das zarte Seelchen

Ja nicht beleidge!

Doch kenn ich ihre Schwester,

Die ältere, gesetztere,

Meine stille Freundin:

O daß die erst

Mit dem Lichte des Lebens

Sich von mir wende,

Die edle Treiberin,

Trösterin Hoffnung!

 
 * 

Ein Meister einer ländlichen Schule

I.

Ein Meister einer ländlichen Schule

Erhub sich einst von seinem Stuhle,

Und hatte fest sich vorgenommen,

In bessere Gesellschaft zu kommen;

Deßwegen er im nahen Bad

In den sogenannten Salon eintrat.

Verblüfft war er gleich an der Thür’,

Als wenn’s ihm zu vornehm widerführ’;

Macht daher dem ersten Fremden rechts

Einen tiefen Bückling, es war nichts Schlecht’s;

Aber hinten hätt’ er nicht vorgesehn,

Daß da auch wieder Leute stehn,

Gab einem zur Linken in den Schooß

Mit seinem Hintern einen derben Stoß.

Das hätt’ er schnell gern abgebüßt;

Doch wie er eilig den wieder begrüßt,

So stößt er rechts einen Andern an,

Er hat wieder Jemand was Leids gethan.

Und wie er’s diesem wieder abbittet,

Er’s wieder mit einem Andern verschüttet.

Und complimentirt sich zu seiner Qual,

Von hinten und vorn so durch den Saal,

Bis ihm endlich ein derber Geist

Ungeduldig die Thüre weis’t.

Möge doch Mancher in seinen Sünden

Hievon die Nutzanwendung finden.

II.

Da er nun seine Straße ging,

Dacht’ er: Ich machte mich zu gering;

Will mich aber nicht weiter schmiegen;

Denn wer sich grün macht, den fressen die Ziegen.

So ging er gleich frisch querfeldein,

Und zwar nicht über Stock und Stein,

Sondern über Aecker und gute Wiesen,

Zertrat das Alles mit latschen Füßen.

Ein Besitzer begegnet ihm so

Und fragt nicht weiter wie? noch wo?

Sondern schlägt ihn tüchtig hinter die Ohren.

Bin ich doch gleich wie neu geboren!

Ruft unser Wandrer hochentzückt.

Wer bist du, Mann, der mich beglückt?

Möchte mich Gott doch immer segnen,

Daß mir so fröhliche Gesellen begegnen!

 
 * 

Begräbniß

Ein Mägdlein trug man zur Thür’ hinaus

Zu Grabe;

Die Bürger schauten zum Fenster heraus,

Sie saßen eben in Saus und Braus

Auf Gut und Habe.

Da dachten sie: Man trägt sie hinaus;

Trägt man uns nächstens auch hinaus,

Und wer denn endlich bleibt im Haus,

Hat Gut und schöne Gaben:

Es muß sie doch Einer haben.

 
 * 

Valet

Sonst war ich Freund von Narren,

Ich rief sie in’s Haus herein;

Brachte Jeder seinen Sparren,

Wollten Zimmermeister sein.

Wollten mir das Dach abtragen,

Ein andres setzen hinauf,

Sie legten das Holz zu Schragen

Und nahmen’s wieder auf.

Und rannten hin und wieder,

Und stießen einander an:

Das fuhr mir in die Glieder,

Daß ich den Frost gewann.

Ich sagt’: Hinaus, ihr Narren! –

Sie ärgerten sich drob;

Nahm Jeder seinen Sparren,

Der Abschied, der war grob.

Daher bin ich belehret,

Ich sitze nun an der Thür’;

Wenn Einer sich zu mir kehret,

Geh, ruf’ ich, für und für!

Du bist ein Narr, so gräulich! –

Da macht er ein flämisch Gesicht:

»Du Hausherr! wie abscheulich!

Was giebst dir für ein Gewicht!

Wir faseln ja durch die Straßen,

Wir jubeln auf dem Markt,

Wird Einer, wegen Unmaßen,

Gar selten angequarkt.

Du sollst uns gar Nichts heißen!«

Nun endet meine Qual!

Denn gehn sie vor die Thüre,

Es ist besser als in den Saal.

 
 * 

Zeitmaaß

Eros, wie seh’ ich dich hier! In jeglichem Händchen die Sanduhr!

Wie? Leichtsinniger Gott, missest du doppelt die Zeit?

»Langsam rinnen aus einer die Stunden entfernter Geliebten;

Gegenwärtigen fließt eilig die zweite herab.«

 
 * 

Autoren

Ueber die Wiese, den Bach herab,

Durch seinen Garten,

Bricht er die jüngsten Blumen ab;

Ihm schlägt das Herz vor Erwarten.

Sein Mädchen kommt – o Gewinnst! o Glück!

Jüngling, tauschest deine Blüthen um einen Blick!

Der Nachbar Gärtner sieht herein

Ueber die Hecke: »So ein Thor möcht’ ich sein!

Hab’ Freude, meine Blumen zu nähren,

Die Vögel von meinen Früchten zu wehren;

Aber sind sie reif: Geld! guter Freund!

Soll ich meine Mühe verlieren?«

Das sind Autoren, wie es scheint.

Der Eine streut seine Freuden herum,

Seinen Freunden, dem Publicum,

Der Andere läßt sich pränumeriren.

 
 * 

Schäfers Klagelied

Da droben auf jenem Berge,

Da steh ich tausendmal,

An meinem Stabe gebogen

Und schaue hinab in das Tal.

Dann folg ich der weidenden Herde,

Mein Hündchen bewahret mir sie.

Ich bin heruntergekommen

Und weiß doch selber nicht wie.

Da stehet von schönen Blumen

Die ganze Wiese so voll.

Ich breche sie, ohne zu wissen

Wem ich sie geben soll.

Und Regen, Sturm und Gewitter

Verpaß ich unter dem Baum.

Die Türe dort bleibet verschlossen

Denn alles ist leider ein Traum.

Es stehet ein Regenbogen

Wohl über jenem Haus!

Sie aber ist weggezogen,

Und weit in das Land hinaus.

Hinaus in das Land und weiter,

Vielleicht gar über die See.

Vorüber, ihr Schafe, vorüber!

Dem Schäfer ist gar so weh.

 
 * 

Lebensart

Ueber Wetter- und Herrenlaunen

Runzle niemals die Augenbraunen;

Und bei den Grillen der hübschen Frauen

Mußt du immer vergnüglich schauen.

 
 * 

Berg auf Berg ab

Berg auf und Berg ab und Tal aus und Tal ein,

Es reiten die Ritter. Ta! Ta!

Und bläuen sich Beulen und hacken sich klein.

Es fliegen die Splitter. Ta! Ta!

Ein Ritter, auf seiner Prinzessin Geheiß,

Beut Drachen und Teufeln den Krieg.

Dara ta!

Wir schonen das Blut und wir sparen den Schweiß,

Gewinne auf ander und andere Weis

Im Feld und der Liebe den Sieg.

Dara ta!

 
 * 

Grabschrift

Als Knabe verschlossen und trutzig,

Als Jüngling anmaßlich und stutzig,

Als Mann zu Thaten willig,

Als Greis leichtsinnig und grillig! –

Auf deinem Grabstein wird man lesen:

Das ist fürwahr ein Mensch gewesen!

 
 * 

An ein goldnes Herz, das er am Halse trug

Angedenken du verklungner Freude,

Das ich immer noch am Halse trage,

Hältst du länger als das Seelenband uns beide?

Verlängerst du der Liebe kurze Tage?

Flieh ich, Lili, vor dir! Muß noch an deinem Bande

Durch fremde Lande,

Durch fremde Täler und Wälder wallen!

Ach, Lilis Herz konnte so bald nicht

Von meinem Herzen fallen.

Wie ein Vogel, der den Faden bricht

Und zum Walde kehrt,

Er schleppt des Gefängnisses Schmach,

Noch ein Stückchen des Fadens nach;

Er ist der alte freigeborne Vogel nicht,

Er hat schon jemand angehört.

 
 * 

Rechenschaft

Der Meister.

Frisch! der Wein soll reichlich fließen!

Nichts Verdrießlich’s weh’ uns an!

Sage, willst du mitgenießen,

Hast du deine Pflicht gethan?

Einer.

Zwei recht gute junge Leute

Liebten sich nur gar zu sehr;

Gestern zärtlich, wüthend heute,

Morgen wär’ es noch viel mehr;

Senkte Sie hier das Genicke,

Dort zerrauft’ Er sich das Haar;

Alles bracht’ ich in’s Geschicke,

Und sie sind ein glücklich Paar.

Chor.

Sollst uns nicht nach Weine lechzen!

Gleich das volle Glas heran!

Denn das Aechzen und das Krächzen

Hast du heut schon abgethan.

Einer.

Warum weinst du, junge Waise?

»Gott! ich wünschte mir das Grab;

Denn mein Vormund, leise, leise,

Bringt mich an den Bettelstab.«

Und ich kannte das Gelichter,

Zog den Schächer vor Gericht,

Streng’ und brav sind unsre Richter,

Und das Mädchen bettelt nicht.

Chor.

Sollst uns nicht nach Weine lechzen!

Gleich das volle Glas heran!

Denn das Aechzen und das Krächzen

Hast du heut schon abgethan.

Einer.

Einem armen kleinen Kegel,

Der sich nicht besonders regt,

Hatt’ ein ungeheurer Flegel

Heute grob sich aufgelegt.

Und ich fühlte mich ein Mannsen,

Ich gedachte meiner Pflicht,

Und ich hieb dem langen Hansen

Gleich die Schmarre durch’s Gesicht.

Chor.

Sollst uns nicht nach Weine lechzen!

Gleich das volle Glas heran!

Denn das Aechzen und das Krächzen

Hast du heut schon abgethan.

Einer.

Wenig hab’ ich nur zu sagen;

Denn ich habe nichts gethan.

Ohne Sorgen, ohne Plagen

Nahm ich mich der Wirthschaft an;

Doch ich habe nichts vergessen,

Ich gedachte meiner Pflicht:

Alle wollten sie zu essen,

Und an Essen fehlt’ es nicht.

Chor.

Sollst uns nicht nach Weine lechzen!

Gleich das volle Glas heran!

Denn das Aechzen und das Krächzen

Hast du heut schon abgethan.

Einer.

Einer wollte mich erneuen,

Macht’ es schlecht: Verzeih’ mir Gott!

Achselzucken, Kümmereien!

Und er hieß ein Patriot.

Ich verfluchte das Gewäsche,

Rannte meinen alten Lauf.

Narre! wenn es brennt, so lösche,

Hat’s gebrannt, bau wieder auf!

Chor.

Sollst uns nicht nach Weine lechzen!

Gleich das volle Glas heran!

Denn das Aechzen und das Krächzen

Hast du heut schon abgethan.

Meister.

Jeder möge so verkünden,

Was ihm heute wohl gelang!

Das ist erst das rechte Zünden,

Daß entbrenne der Gesang.

Keinen Druckser hier zu leiden,

Sei ein ewiges Mandat!

Nur die Lumpe sind bescheiden,

Brave freuen sich der That.

Chor.

Sollst uns nicht nach Weine lechzen!

Schnell das volle Glas heran!

Denn das Aechzen und das Krächzen

Haben wir nun abgethan.

Drei Stimmen.

Heiter trete jeder Sänger

Hochwillkommen in den Saal;

Denn nur mit dem Grillenfänger

Halten wir’s nicht liberal;

Furchten hinter diesen Launen,

Diesem ausstaffirten Schmerz,

Diesen trüben Augenbraunen,

Leerheit oder schlechtes Herz.

Chor.

Niemand soll nach Weine lechzen!

Doch kein Dichter soll heran,

Der das Aechzen und das Krächzen

Nicht zuvor hat abgethan!

 
 * 

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