Johann Wolfgang Goethe
Briefwechsel
zwischen Schiller
und Goethe
Zweiter Band
veröffentlicht 1829
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1798
396. An Goethe.
Jena den 2. Januar 1798.
Es soll mir ein gutes Omen sein, daß Sie es sind, an den ich zum erstenmal unter dem neuen Datum schreibe. Das Glück sei Ihnen in diesem Jahre eben so hold als in den zwei letzt vergangenen, ich kann Ihnen nichts beßres wünschen. Möchte auch mir die Freude in diesem Jahre beschert sein, das beste aus meiner Natur in einem Werke zu sublimiren, wie Sie mit der Ihrigen es gethan.
Ihre eigene Art und Weise zwischen Reflexion und Produktion zu alterniren ist wirklich beneidens- und bewundernswerth. Beide Geschäfte trennen sich in Ihnen ganz, und das eben macht, daß beide als Geschäft so rein ausgeführt werden. Sie sind wirklich so lang Sie arbeiten im Dunkeln und das Licht ist bloß in Ihnen: und wenn Sie anfangen zu reflectiren, so tritt das innere Licht von Ihnen heraus und bestrahlt die Gegenstände Ihnen und Andern. Bei mir vermischen sich beide Wirkungsarten und nicht sehr zum Vortheil der Sache.
Von Hermann und Dorothea las ich kürzlich eine Recension in der Nürnberger Zeitung, welche mir wieder bestätigt, daß die Deutschen nur fürs allgemeine, fürs verständige und fürs moralische Sinn haben. Die Beurtheilung ist voll guten Willens, aber auch nicht etwas darin, was ein Gefühl des poetischen zeigte oder einen Blick in die poetische Oekonomie des Ganzen verrieth . Bloß an Stellen hängt sich der gute Mann und vorzugsweise an die, welche ins Allgemeine und Breite gehen und einem etwas ans Herz legen.
Haben Sie vielleicht das seltsame Buch von Retif: Coeur humain dévoilé je gesehen oder davon gehört? Ich hab’ es nun gelesen, so weit es da ist, und ungeachtet alles widerwärtigen, platten und revoltanten mich sehr daran ergötzt. Denn eine so heftig sinnliche Natur ist mir nicht vorgekommen und die Mannigfaltigkeit der Gestalten, besonders weiblicher, durch die man geführt wird, das Leben und die Gegenwart der Beschreibung, das Charakteristische der Sitten und die Darstellung des französischen Wesens in einer gewissen Volksklasse muß interessiren. Mir, der so wenig Gelegenheit hat, von außen zu schöpfen und die Menschen im Leben zu studiren, hat ein solches Buch, in welche Klasse ich auch den Cellini rechne, einen unschätzbaren Werth.
Dieser Tage las ich zu meiner großen Lust im Intelligenzblatt der Lit. Zeitung eine Erklärung von dem jüngern Schlegel, daß er mit dem Herausgeber des Lyceums nichts mehr zu schaffen habe. So hat also doch unsre Prophezeiung eingetroffen, daß dieses Band nicht lange dauren werde!
Leben Sie wohl für heute; ich erwarte nun morgen eine bestimmte Anzeige, wie bald Sie zu uns kommen. Meine Frau grüßt Sie bestens. Meyern hoffe ich doch wenigstens auf einen Tag wieder bei uns zu sehen.
Sch.
397. An Schiller.
Es ist mir dabei ganz wohl zu Muthe, daß wir zum neuen Jahre einander so nahe sind; ich wünsche nur daß wir uns bald wieder sehen und einige Zeit in der Continuation zusammen leben. Ich möchte Ihnen manche Sachen mittheilen und vertrauen, damit eine gewisse Epoche meines Denkens und Dichtens schneller zur Reife komme.
Ich freue mich sehr darauf etwas von Ihrem Wallenstein zu sehen, weil mir auch dadurch eine neue Theilnahme an Ihrem Wesen möglich wird. Ich wünsche nichts mehr als daß Sie ihn dies Jahr vollbringen mögen.
Schon künftigen Sonntag gedachte ich zu Ihnen zu kommen, es scheint sich aber ein neues Hinderniß dazwischen zu stellen; auf den Sonnabend werde ich mehr sagen können. Sie erhalten alsdann auch eine Abschrift eines alten Gesprächs zwischen einem Chinesischen Gelehrten und einem Jesuiten, in welchem jener sich als ein schaffender Idealist, dieser als ein völliger Reinholdianer zeigt. Dieser Fund hat mich unglaublich amüsirt und mir eine gute Idee von dem Scharfsinn der Chinesen gegeben.
Das Buch von Retif habe ich noch nicht gesehen, ich will es zu erhalten suchen.
Wenn uns als Dichtern, wie den Taschenspielern, daran gelegen sein müßte daß niemand die Art, wie ein Kunststückchen hervorgebracht wird, einsehen dürfte, so hätten wir freilich gewonnen Spiel; so wie jeder, der das Publicum zum besten haben mag, indem er mit dem Strome schwimmt, auf Glück rechnen kann. In Hermann und Dorothea habe ich, was das Material betrifft, den Deutschen einmal ihren Willen gethan und nun sind sie äußerst zufrieden. Ich überlege jetzt ob man nicht auf eben diesem Wege ein dramatisches Stück schreiben könnte, das auf allen Theatern gespielt werden müßte und das jedermann für fürtrefflich erklärte, ohne daß es der Autor selbst dafür zu halten brauchte.
Dieses und so vieles andere muß bis zu unserer Zusammenkunft verschoben bleiben. Wie sehr wünschte ich daß Sie in diesen Tagen bei uns wären, um eine der größten Unformen der organischen Natur, den Elephanten, und die anmuthigste der Kunstgestalten, die Florentinische Madonna des Raphael in Einer Stunde und also gleichsam nebeneinander zu sehen.
Schellings Ideen zu einer Philosophie der Natur bringe ich mit; es wird uns Anlaß zu mancher Unterhaltung geben.
Leben Sie recht wohl, und grüßen mir Ihre liebe Frau recht vielmals. Friedrich Schlegel hat in ein Stück des Lyceums, da das Journal in Berlin gedruckt wird, wo er sich jetzt befindet, als es an Manuscript fehlte, ohne Reichardts Vorwissen, einen tollen Aufsatz einrücken lassen, worin er auch Voß angreift und worüber sich dann die edlen Freunde brouillirten.
Weimar am 3. Januar 1798.
G.
398. An Goethe.
Jena den 5. Januar 1798.
Meine Hauswirthe können den freundlichen Empfang den Sie bei Ihnen erfahren, und die schönen Sachen, die ihnen gezeigt worden sind, nicht genug rühmen. Wirklich wundre ich mich über den Antheil, womit der Alte über diese Kunstwerke spricht und der Künstler hat Ursache, sich seiner Wirkung auf eine solche Natur zu freuen.
Es thut mir sehr leid, daß Ihre Anherokunft so viele Verzögerungen findet, da ich nach einem frühern Brief von Ihnen schon vom Christtag an darauf rechnen konnte. Unterdessen habe ich einige Schritte weiter in meiner Arbeit gewonnen und bin im Stand, Ihnen viermal mehr als der Prolog beträgt, vorzulegen, obgleich noch nichts von dem dritten Akte dabei ist.
Jetzt da ich meine Arbeit von einer fremden Hand reinlich geschrieben vor mir habe und sie mir fremder ist, macht sie mir wirklich Freude. Ich finde augenscheinlich, daß ich über mich selbst hinausgegangen bin, welches die Frucht unsers Umgangs ist; denn nur der vielmalige continuirliche Verkehr mit einer, so objectiv mir entgegenstehenden Natur, mein lebhaftes Hinstreben darnach und die vereinigte Bemühung, sie anzuschauen und zu denken, konnte mich fähig machen, meine subjectiven Grenzen so weit aus einander zu rücken. Ich finde, daß mich die Klarheit und die Besonnenheit, welche die Frucht einer spätern Epoche ist, nichts von der Wärme einer frühern gekostet hat. Doch es schickte sich besser, daß ich das aus Ihrem Munde hörte, als daß Sie es von mir erfahren.
Ich werde es mir gesagt sein lassen, keine andre als historische Stoffe zu wählen; frei erfundene würden meine Klippe sein. Es ist eine ganz andere Operation, das realistische zu idealisiren, als das ideale zu realisiren, und letzteres ist der eigentliche Fall bei freien Fictionen. Es steht in meinem Vermögen, eine gegebene bestimmte und beschränkte Materie zu beleben, zu erwärmen und gleichsam aufquellen zu machen, während daß die objective Bestimmtheit eines solchen Stoffs meine Phantasie zügelt und meiner Willkür widersteht.
Ich möchte wohl einmal, wenn es mir mit einigen Schauspielen gelungen ist, mir unser Publikum recht geneigt zu machen, etwas recht böses thun, und eine alte Idee mit Julian dem Apostaten ausführen. Hier ist nun auch eine ganz eigene bestimmte historische Welt, bei der mir’s nicht leid sein sollte, eine poetische Ausbeute zu finden, und das fürchterliche Interesse das der Stoff hat, müßte die Gewalt der poetischen Darstellung desto wirksamer machen. Wenn Julians Misopogon, oder seine Briefe (übersetzt nämlich) in der Weimarischen Bibliothek sein sollten, so würden Sie mir viel Vergnügen damit machen, wenn Sie sie mitbrächten.
Die Charlotte Kalb hör’ ich soll wirklich in Gefahr sein blind zu werden; sie wäre doch sehr zu beklagen.
Leben Sie recht wohl; ich lege hier etwas von Körnern bei, was er über Ihren Pausias schreibt. Haben Sie die Güte mir den Humboldtischen Brief, den ich auf den Montag beantworte, zurückzusenden.
Sch.
399. An Schiller.
Ich wünsche Ihnen Glück zu Ihrer Zufriedenheit mit dem fertigen Theil Ihres Werkes. Bei der Klarheit, mit der Sie die Forderungen übersehen, die Sie an sich zu machen haben, zweifle ich nicht an der völligen Gültigkeit Ihres Zeugnisses. Das günstige Zusammentreffen unserer beiden Naturen hat uns schon manchen Vortheil verschafft und ich hoffe dieses Verhältniß wird immer gleich fortwirken. Wenn ich Ihnen zum Repräsentanten mancher Objecte diente, so haben Sie mich von der allzustrengen Beobachtung der äußern Dinge und ihrer Verhältnisse auf mich selbst zurückgeführt, Sie haben mich die Vielseitigkeit des innern Menschen mit mehr Billigkeit anzuschauen gelehrt, Sie haben mir eine zweite Jugend verschafft und mich wieder zum Dichter gemacht, welches zu sein ich so gut als aufgehört hatte.
Sehr sonderbar spüre ich noch immer den Effect meiner Reise. Das Material, das ich darauf erbeutet, kann ich zu nichts brauchen und ich bin außer aller Stimmung gekommen irgend etwas zu thun. Ich erinnere mich aus früherer Zeit eben solcher Wirkungen und es ist mir aus manchen Fällen und Umständen recht wohl bekannt: daß Eindrücke bei mir sehr lange im Stillen wirken müssen, bis sie zum poetischen Gebrauche sich willig finden lassen. Ich habe auch deswegen ganz pausirt und erwarte nur was mir mein erster Aufenthalt in Jena bringen wird.
Die Körnersche Aufnahme des Pausias ist abermals sehr merkwürdig. Man soll nur seine Arbeiten so gut und so mannigfaltig machen als man kann, damit sich jeder etwas auslese und auf seine Weise daran Theil nehme. Körners Bemerkung hat in sich was richtiges, die Gruppe des Gedichts ist so entschieden als wenn sie gemalt wäre, nur durch Empfindung und Erinnerung belebt, wodurch denn der Wettstreit des Dichters mit dem Maler auffallender wird.
Ich habe übrigens bei den Gedichten des letzten Musenalmanachs erst wieder recht deutlich gesehen wie die schätzbarste Theilnahme uns nichts lehren und keine Art von Tadel uns was helfen kann. So lange ein Kunstwerk nicht da ist hat niemand einen Begriff von seiner Möglichkeit; sobald es dasteht, bleibt Lob und Tadel nur immer subjectiv und mancher, dem man Geschmack nicht absprechen kann, wünscht doch etwas dazu und davon wodurch vielleicht die ganze Arbeit zerstört würde, so daß der eigentlich negative Werth der Kritik, welcher immer der wichtigste sein mag, uns auch nicht einmal frommen kann.
Ich wünsche in gar vielen Rücksichten daß Ihr Wallenstein bald fertig werden möge. Lassen Sie uns, sowohl während der Arbeit, als auch hinterdrein die dramatischen Forderungen nochmals recht durcharbeiten! Seien Sie künftig in Absicht des Plans und der Anlage genau und vorausbestimmend, so müßte es nicht gut sein wenn Sie, bei Ihren geübten Talenten und dem innern Reichthum, nicht alle Jahr ein paar Stücke schreiben wollten. Denn das scheint mir offenbar beim dramatischen Dichter nothwendig daß er oft auftrete, die Wirkung die er gemacht hat immer wieder erneuere, und wenn er das Talent hat darauf fortbaue.
Unsere arme Freundin Kalb ist wirklich sehr übel. Sie ist schon des besten Gebrauchs ihres Gesichts beraubt, und es wäre wirklich möglich daß sie es ganz verlöre.
An den Julian will ich denken.
Hier schicke ich die angekündigte philosophische Unterredung. Der Chinese würde mir noch besser gefallen, wenn er die Gluthpfanne ergriffen und sie seinem Gegner mit diesen Worten überreicht hätte: »Ja, ich erschaffe sie, da nimm sie zu deinem Gebrauch!« Ich möchte wissen was der Jesuite hierauf geantwortet hätte.
Bei Gelegenheit des Schellingischen Buches habe ich auch wieder verschiedene Gedanken gehabt, über die wir umständlicher sprechen müssen. Ich gebe gern zu daß es nicht die Natur ist die wir erkennen, sondern daß sie nur nach gewissen Formen und Fähigkeiten unsers Geistes von uns aufgenommen wird. Von dem Appetit eines Kindes zum Apfel am Baum bis zum Falle desselben, der in Newton die Idee zu seiner Theorie erweckt haben soll, mag es freilich sehr viele Stufen des Anschauens geben und es wäre wohl zu wünschen daß man uns diese einmal recht deutlich vorlegte und zugleich begreiflich machte, was man für die höchste hält. Der transcendentelle Idealist glaubt nun freilich ganz oben zu stehen: eins will mir aber nicht an ihm gefallen, daß er mit den andern Vorstellungsarten streitet: denn man kann eigentlich mit keiner Vorstellungsart streiten. Wer will gewissen Menschen die Zweckmäßigkeit der organischen Naturen nach außen ausreden, da die Erfahrungen selbst täglich diese Lehre auszusprechen scheinen und man mit einer scheinbaren Erklärung der schwersten Phänomene so leicht wegkommt? Sie wissen wie sehr ich am Begriff der Zweckmäßigkeit der organischen Naturen nach innen hänge, und doch läßt sich ja eine Bestimmung von außen und ein Verhältniß nach außen nicht leugnen, wodurch man mehr oder weniger sich jener Vorstellungsart wieder nähert, so wie man sie im Vortrag als Redensart nicht entbehren kann. Eben so mag sich der Idealist gegen die Dinge an sich wehren wie er will, er stößt doch ehe er sich’s versieht an die Dinge außer ihm, und wie mir scheint, sie kommen ihm immer beim ersten Begegnen so in die Quere wie dem Chinesen die Gluthpfanne. Mir will immer dünken daß wenn die eine Partei von außen hinein den Geist niemals erreichen kann, die andere von innen heraus wohl schwerlich zu den Körpern gelangen wird und daß man also immer wohl thut in dem philosophischen Naturstande (Schellings Ideen p. XVI.) zu bleiben und von seiner ungetrennten Existenz den besten möglichen Gebrauch zu machen, bis die Philosophen einmal übereinkommen wie das was sie nun einmal getrennt haben wieder zu vereinigen sein möchte.
Ich bin abermals auf einige Punkte gekommen deren Bestimmung ich zu meinen nächsten Operationen brauche und worüber ich mir Ihr Gutachten mündlich erbitten werde. Leben Sie recht wohl. Ich verschiebe meine Ankunft lieber auf einige Zeit um in der Continuation mit Ihnen erfreuliche und fruchtbare Tage verleben zu können.
Weimar den 6. Januar 1798.
G.
400. An Goethe.
Jena den 9. Januar 1798.
Inlage schickte mir Cotta für Sie und wird ferner damit continuiren. Er will Ihr Paket immer an mich einschließen, weil man nicht bis Weimar frankiren kann.
Heute kann ich Ihnen bloß einen guten Abend sagen. Ich habe die Nacht nicht geschlafen und werde mich gleich zu Bette legen. Wie ist’s Ihnen bei dem greulichen Wetter? Ich fühle es in allen Nerven. Es ist mir für Sie selbst lieb, daß Sie jetzt nicht hier sind.
Leben Sie recht wohl.
Sch.
401. An Schiller.
Die letzten Tage waren wirklich von der Art daß man wohl that so wenig als möglich von dem Dasein des Himmels und der Erde Notiz zu nehmen, wie ich mich denn auch meistens in meiner Stube gehalten habe. Indessen habe ich in diesen farb- und freudlosen Stunden die Farbenlehre wieder vorgenommen, und, um das was ich bisher gethan recht zu übersehen, in meinen Papieren Ordnung gemacht. Ich hatte nämlich von Anfang an Acten geführt und dadurch sowohl meine Irrthümer als meine richtigen Schritte, besonders aber alle Versuche, Erfahrungen und Einfälle conservirt; nun habe ich diese Volumina auseinander getrennt, Papiersäcke machen lassen, diese nach einem gewissen Schema rubricirt und alles hineingesteckt, wodurch ich denn meinen Vorrath zu einem jeden Capitel desto besser übersehen kann – wobei ich alle unnütze Papiere zerstören kann – indem ich das Nützliche absondere und zugleich das Ganze recapitulire. Jetzt hinterdrein sehe ich erst wie toll die Unternehmung war, und werde mich wohl hüten mich jemals in etwas ähnliches wieder einzulassen. Denn selbst jetzt da ich mich so weit durchgearbeitet habe, bedarf es noch einer großen Arbeit bis ich mein Material zu einer reinen Darstellung bringe. Indessen habe ich dabei sehr an Ausbildung gewonnen, denn, ohne diese seltsame Theilnahme, wäre es meiner Natur kaum vergönnt gewesen einen Blick in diese Fächer zu thun. Ich lege einen kleinen Aufsatz bei, der ohngefähr vier bis fünf Jahre alt sein kann; es wird Sie gewiß unterhalten zu sehen wie ich die Dinge damals nahm.
Zugleich lege ich des Herrn Bouterweks ästhetische Bemühungen bei, die ich bis zu meiner Ankunft wohl zu verwahren bitte. Nicht leicht ist mir etwas so wunderlich vorgekommen. Das Ganze scheint mir aus alter überlieferter Waare, aus eignen unbestimmten Ansichten und aus Lappen der neuen Philosophie zu bestehen. Es müßte lustig genug sein wenn man dereinst nachgeschriebene Hefte erwischen könnte, wornach ich aufstellen will.
Cotta ist sehr artig daß er uns seine neue Weltkunde überschickt, ich werde ihm selbst danken. Das Blatt wird ein großes Publicum finden, ob ich gleich nicht leugnen will daß mir die Manier widersteht; sie erinnert mich an die Schubartische Chronik und hat weder Geschmack noch Würde. Doch was hat das zu bedeuten. Wenn Freund Cotta nur seine Rechnung dabei findet . Wenn ich in der Folge mit irgend einem Beitrag ihm dienen kann so werde ich es gerne thun. Das dritte Stück habe ich gestern schon unmittelbar erhalten .
Halten Sie sich so gut als möglich! Ich will auch den Januar noch hier ausdauern, auf den 30sten noch eine Oper geben und dann zu Ihnen hinübereilen, wo ich den Wallenstein auf gutem Wege zu finden hoffe; ich werde wohl indessen nichts thun können als aufräumen und ordnen. Leben Sie recht wohl.
Weimar am 10. Januar 1798.
G.
402. An Goethe.
Jena den 12. Januar 1798.
Ihr Aufsatz enthält eine treffliche Vorstellung und zugleich Rechenschaft Ihres naturhistorischen Verfahrens, und berührt die höchsten Angelegenheiten und Erfordernisse aller rationellen Empirie, indem er nur einem einzelnen Geschäfte die Regel zu geben sucht. Ich werde ihn noch sorgfältig durchlesen und überdenken und Ihnen dann meine Bemerkungen mittheilen. Das ist mir z. B. sehr einleuchtend, wie gefährlich es ist, einen theoretischen Satz unmittelbar durch Versuche beweisen zu wollen. Es stimmt dieß wie mir däucht mit einer andern philosophischen Warnung überein, daß man seine Sätze nicht durch Beispiele beweisen solle, weil kein Satz dem Beispiel gleich ist. Die entgegengesetzte Methode verkennt den essentiellen Unterschied zwischen der Naturwelt und der Verstandeswelt ganz, ja sie hebt die ganze Natur auf indem sie bloß ihre Vorstellung uns in den Dingen und nie umgekehrt finden läßt. Ueberhaupt kann eine Erscheinung, oder Factum, die etwas durchgängig vielfach Bestimmtes ist, nie einer Regel, die bloß bestimmend ist, adäquat sein. Ich wollte wünschen, es gefiel’ Ihnen, den Hauptinhalt dieses Aufsatzes auch für sich selbst und unabhängig von der Untersuchung und Erfahrungen, denen er zur Einleitung dient, auszuführen. Sie würden auf eine strengere und reinere Scheidung des praktischen Verfahrens und des theoretischen Gebrauches bedeutende Fingerzeige geben; man würde dahin gebracht werden sich zu überzeugen, daß nur dadurch die Wissenschaft erweitert werden kann, daß man auf der einen Seite dem Phänomen ohne allen Anspruch auf eine hervorzubringende Einheit folgt, es von allen Seiten umgehet und bloß die Natur in ihrer Breite aufzufassen sucht – auf der andern Seite (und wenn jene erste nur in Sicherheit gebracht ist) die Freiheit der vorstellenden Kräfte begünstiget, das Combinationsvermögen sich nach Lust daran versuchen läßt, mit dem Vorbehalt, daß die vorstellende Kraft auch nur in ihrer eignen Welt und nie in dem Factum etwas zu constituiren suche. Denn mir däucht, es ist bisher auf zwei entgegengesetzte Arten in der Naturwissenschaft gefehlt worden; einmal hat man die Natur durch die Theorie verengt, und ein andermal die Denkkräfte durch das Object zu sehr einschränken wollen. Beiden muß Gerechtigkeit geschehen, wenn eine rationale Empirie möglich sein soll, und beiden kann Gerechtigkeit geschehen, wenn eine strenge kritische Polizei ihre Felder trennt. Sobald man die Freiheit der theoretischen Vermögen begünstiget, so kann es nicht fehlen, und die Erfahrung lehrt es, daß die Mannigfaltigkeit der Vorstellungsarten, wodurch sie sich wechselsweise einschränken und öfters aufheben, den Schaden gut macht, den der Despotism einer einzigen stiftet, und so wird man selbst auf dem theoretischen Wege zu dem Objecte zurückgenöthigt.
Das metaphysische Gespräch des Paters mit dem Chinesen hat mich sehr unterhalten und es nimmt sich in der gothischen Sprache besonders wohl aus. Ich bin nur ungewiß, wie es in solchen Fällen manchmal geht, ob etwas recht gescheides oder etwas recht plattes hinter des Chinesen seinem Raisonnement steckt. Wo haben Sie dieß schöne Morceau aufgefunden? Es wäre ein Spaß, es abdrucken zu lassen mit einer leisen Anwendung auf unsere neuesten Philosophen.
Bouterweks ästhetischer Kramladen ist wirklich merkwürdig. Nie hab’ ich den flachen belletristischen Schwätzer mit dem confusen Kopf so gepaart gesehen, und eine so unverschämte Anmaßung auf Wissenschaft bei einem so erbärmlich rhapsodistischen Hausrath.
Daß Sie Ihre Herreise bis zum Februar verschieben, verlängert mir wirklich diesen traurigen Januar; aber ich werde aus dieser Einsamkeit wenigstens den einzigen Vortheil zu ziehen suchen, den sie hat, und im Wallenstein fleißig voranschreiten. Ohnehin ist es gut, wenn ich die Tragödie, ehe sie Ihnen vorgelegt wird, erst bis zu einer gewissen Hitze der Handlung geführt habe, wo diese sich dann wie von selbst bewegt und im Herabrollen ist, denn in den zwei ersten Akten steigt sie erst bergan.
Leben Sie recht wohl und grüßen Sie Meyern. Meine Frau empfiehlt sich bestens.
Sch.
403. An Schiller.
Ihr lehrreicher Brief trifft mich eben bei den Farben der aneinander gedruckten Glasplatten, dem Phänomen das Sie selbst so sehr interessirte und das ich jetzt auf seine ersten Elemente zu verfolgen vorhabe, indem ich ein Capitel nach dem andern auszuarbeiten gedenke. Schreiben Sie doch ja bei Gelegenheit meines Aufsatzes was Sie denken hin, denn wir müssen jetzt einen großen Schritt thun und ich glaube wieder bei Gelegenheit des Schellingischen Buches zu bemerken , daß von den neuern Philosophen wenig Hülfe zu hoffen ist . Ich habe diese Tage, beim Zertrennen und Ordnen meiner Papiere, mit Zufriedenheit gesehen wie ich, durch treues Vorschreiten und bescheidnes Aufmerken, von einem steifen Realism und einer stockenden Objectivität dahin gekommen bin daß ich Ihren heutigen Brief als mein eignes Glaubensbekenntniß unterschreiben kann. Ich will sehen ob ich durch meine Arbeit diese meine Ueberzeugung praktisch darstellen kann.
Indem ich diese Woche verschiedne physische Schriften wieder ansah ist es mir recht aufgefallen, wie die meisten Forscher die Naturphänomene als eine Gelegenheit brauchen die Kräfte ihres Individuums anzuwenden und ihr Handwerk zu üben. Es geht über alle Begriffe wie zur Unzeit Newton den Geometer in seiner Optik macht; es ist nicht besser als wenn man die Erscheinungen in Musik setzen oder in Verse bringen wollte, weil man Kapellmeister oder Dichter ist. Der Mechaniker läßt das Licht aus Kugeln bestehn, die sich einander stoßen und treiben; wie sie nun mehr oder weniger schief abprallen so müssen die verschiedenen Farben entstehen; beim Chemiker soll’s der Wärmestoff und besonders in der neuern Zeit das Oxygen gethan haben. Ein stiller und besonders bescheidner Mann wie Klügel zweifelt und läßt es dahingestellt sein: Lichtenberg macht Späße und neckt die Vorstellungsarten der andern; Wünsch bringt eine Hypothese vor die toller ist als ein Capitel aus der Apokalypse, verschwendet Thätigkeit, Geschicklichkeit im Experimentiren, Scharfsinn im Combiniren an den absurdesten Einfall in der Welt; Gren wiederholt das alte, wie einer der ein symbolisches Glaubensbekenntniß abbetet, und versichert es sei das rechte. Genug es ist mehr oder weniger jedem darum zu thun seinen individuellen Zustand mit der Sache zu verbinden und sich wo möglich dabei seine Convenienz zu machen. Wir wollen nun sehen wie wir uns vor diesen Gefahren in Acht nehmen; helfen Sie mir mit aufmerken.
Ich will nächstens Ihnen ein Apperçu über das Ganze schreiben, um von meiner Methode, vom Zweck und Sinn der Arbeit Rechenschaft zu geben.
Heute nur noch meinen Glückwunsch zum fortschreitenden Wallenstein.
Das tolle philosophische Gespräch ist aus des Erasmus Francisci neupolirtem Geschicht-, Kunst- und Sittenspiegel, einem abgeschmackten Buche, das aber manchen für uns brauchbaren Stoff enthält.
Leben Sie recht wohl. Die Botenfrau steht vor der Thüre.
Weimar den 13. Januar 1798.
G.
404. An Goethe.
Jena den 15. Januar 1798.
Nur einen freundlichen Gruß für heute. Morgen Abend werde ich mit der Post schreiben. Ich hab’ mich in eine Hauptscene so vertieft, daß ich vom Nachtwächter gemahnt werde aufzuhören. Es geht noch immer ganz gut mit der Arbeit und obgleich der Poet sein erstes Concept nicht gewisser schätzen kann als der Kaufmann seine Güter auf der See, so denke ich doch meine Zeit nicht verloren zu haben.
Leben Sie recht wohl.
Sch.
405. An Schiller.
Die gute Nachricht, daß Ihre Arbeit fördert ersetzt mir einen längern Brief, den ich sonst nicht gern entbehre.
Sie erhalten hierbei einen kleinen Aufsatz über einige Puncte, die ich in diesen Tagen noch lieber mündlich mit Ihnen abgehandelt hätte. Ich denke wenn wir die Sache noch einigemal recht angreifen, so muß sie sich geben. Ich habe gestern das Capitel von der Elektricität in Grens Naturlehre gelesen; es ist so vernünftig geschrieben als unvernünftig das von den Farben; allein wie fand er es auch durchgearbeitet und vorbereitet.
So viel ich jetzt übersehen kann wird die Farbenlehre, wenn man sie recht angreift, in Absicht auf ihren Vortrag einen Vorzug vor der elektrischen und magnetischen haben, weil wir bei ihr mit keinen Zeichen sondern mit den Verhältnissen und Wirkungen sichtbarer Naturverschiedenheiten zu thun haben. Zugleich erhalten Sie einen Nachtrag von Freund Hirt über seinen Laokoon.
Böttiger hat, nach seiner beliebten Art, meinen Aufsatz über diese Materie an jenen Freund verrathen und dieser ist dadurch in die größte Bewegung gesetzt worden, wie der Nachtrag ausweist.
Bemerkenswert ist es daß er seine Beispiele von Basreliefen hernimmt, die als subordinirte Kunstwerke schon allenfalls etwas weiter gehen dürfen; daß er aber von der Familie der Niobe schweigt, einem Kunstwerk auf der höchsten Stufe, das aber freilich seiner Hypothese nicht günstig ist.
Wäre nur die Gruppe selbst glücklich in Paris angelangt und wieder aufgestellt so mochten unsere Saalbadereien hierüber sämmtlich in Rauch aufgehen.
Man fängt in Paris schon an sich über den übeln Zustand der hingeschafften Kunstwerke zu beklagen. So wie unser Meyer versichert daß z. B. die Cäcilie von Raphael gar nicht zu transportiren gewesen sei, weil der Kreidengrund sich an vielen Stellen gehoben hatte, der also durch die Erschütterung gewiß abgefallen ist. Wie finde ich Herrn Posselt glücklich daß er sich über den Succeß dieses übermächtigen und übermüthigen Volks bis tief in die Eingeweide freuen kann.
Leben Sie recht wohl. Es steht mir jetzt noch einige Wochen manches bevor, ist aber der Geburtstag vorbei, so komme ich um an Ihren Arbeiten Theil zu nehmen. Grüßen Sie Ihre liebe Frau.
Weimar am 17. Januar 1798.
G.
406. An Goethe.
Jena den 19. Januar 1798.
Es wird Ihnen interessant und belehrend sein, wenn Sie Ihre Gedanken, die in jenem ältern und in Ihrem neuesten Aufsatz aufgestellt sind, nach den Kategorien durchgehen. Ihr Unheil wird ganz bestätigt werden, und es wird Ihnen zugleich ein neues Vertrauen zu dem regulativen Gebrauch der Philosophie in Erfahrungssachen erwachsen. Ich will mich hier nur bei einigen Anwendungen aufhalten, und zwar gleich in Beziehung auf Ihren neuesten Aufsatz.
Die Vorstellung der Erfahrung unter den dreierlei Phänomenen ist vollkommen erschöpfend, wenn Sie sie nach den Kategorien prüfen. Der gemeine Empirism, der nicht über das empirische Phänomen hinausgeht, hat (der Quantität nach) immer nur Einen Fall, ein einziges Element der Erfahrung und mithin keine Erfahrung: der Qualität nach asserirt er immer nur eine bestimmte Existenz, ohne zu unterscheiden, von ihr auszuschließen, ihr entgegenzusetzen, mit Einem Wort, zu vergleichen; der Relation nach ist er in Gefahr das Zufällige als das Substantielle aufzunehmen; der Modalität nach bleibt er bloß auf eine bestimmte Wirklichkeit eingeschränkt, ohne das Mögliche zu ahnen, oder seine Erkenntniß bis gar zu einer Notwendigkeit zu führen. Nach meinem Begriff ist der gemeine Empirism nie einem Irrthum ausgesetzt, denn der Irrthum entsteht erst in der Wissenschaft. Was er bemerkt, bemerkt er wirklich, und weil er nicht den Kitzel fühlt, aus seinen Wahrnehmungen Gesetze für das Object zu machen, so können seine Wahrnehmungen ohne irgend eine Gefahr immer einzeln und accidentell sein.
b.
Erst mit dem Rationalism entsteht das wissenschaftliche Phänomen und der Irrthum. In diesem Felde nämlich fangen die Denkkräfte ihr Spiel an, und die Willkür tritt ein mit der Freiheit dieser Kräfte, die sich so gern dem Objecte substituiren.
Der Quantität nach verbindet der Rationalism immer mehrere Fälle, und so lang er sich bescheidet, die Pluralität nicht für Totalität auszugeben, d. h. objective Gesetze zu machen, so ist er unschädlich, ja nützlich, da er der Weg zur Wahrheit ist, welche nur dadurch gefunden wird, daß man von dem einzelnen sich loszumachen weiß. In seinem Misbrauch hingegen wird er verderblich für die Wissenschaft, weil er, wie Sie in Ihrem Aufsatz sehr einleuchtend sagen, die ungeheure Verbindungsgewalt des menschlichen Geistes auf Kosten einer gewissen republikanischen Freiheit der Facten geltend machen will, kurz weil er in die bloße Pluralität schon seine Einheit legen will, und also eine Totalität giebt, die keine ist.
Der Qualität nach setzt der Rationalism, wie billig ist, die Phänomene einander entgegen; er unterscheidet und vergleicht: welches gleichfalls (so wie der Rationalism überhaupt) löblich und gut und der einzige Weg zur Wissenschaft ist. Aber jener Despotism der Denkkräfte zeigt sich auch hier sogleich durch Einseitigkeit, durch Härte der Unterscheidung, so wie oben durch Willkür der Verbindung. Er kommt in Gefahr, dasjenige strenge zu sondern, was in der Natur verbunden ist, wie er oben verband, was die Natur scheidet. Er macht Eintheilungen, wo keine sind u. s. w.
Der Relation nach ist es das ewige Bestreben des Rationalism nach der Causalität der Erscheinungen zu fragen, und alles quâ Ursach und Wirkung zu verbinden. Wiederum sehr löblich und nöthig zur Wissenschaft, aber durch Einseitigkeit gleichfalls höchst verderblich. Ich beziehe mich hier auf Ihren Aufsatz selbst, der vorzüglich diesen Mißbrauch, den die Causalbestimmung der Phänomene veranlaßt, rügt. Der Rationalism scheint hier vorzüglich dadurch zu fehlen, daß er dürftigerweise bloß die Länge und nicht die Breite der Natur in Anschlag bringt.
Der Modalität nach verläßt der Rationalism die Wirklichkeit ohne die Nothwendigkeit zu erreichen. Die Möglichkeit ist sein ungeheures Feld, daher das grenzenlose Hypothesiren. Auch diese Function des Verstandes ist nach meinem Urtheil nothwendig und conditio sine quâ non aller Wissenschaft, denn nur durch das Mögliche giebt es, nach meinem Bedünken, von dem Wirklichen einen Durchgang zu dem Nothwendigen. Daher wehre ich mich, so sehr ich kann, für die Freiheit und Befugniß der theoretischen Kräfte im Felde der Physik.
c.
Zu dem reinen Phänomen, welches nach meinem Urtheil eins ist mit dem objectiven Naturgesetz, kann nur der rationelle Empirism hindurchdringen. Aber, um es noch einmal zu wiederholen, der rationelle Empirism selbst kann nie unmittelbar von dem Empirism anfangen, sondern der Rationalism wird allemal erst dazwischen liegen. Die dritte Kategorie entsteht jederzeit aus der Verknüpfung der ersten mit der zweiten, und so finden wir auch, daß nur die vollkommene Wirksamkeit der freien Denkkräfte mit der reinsten und ausgebreitetsten Wirksamkeit der sinnlichen Wahrnehmungsvermögen zu einer wissenschaftlichen Erkenntniß führt. Der rationelle Empirism wird folglich dieses beides thun: er wird die Willkür ausschließen und die Liberalität hervorbringen: die Willkür, welche entweder der Geist des Menschen gegen das Object, oder der blinde Zufall im Objecte und die eingeschränkte Individualität des einzelnen Phänomens gegen die Denkkraft ausübt. Mit Einem Worte, er wird dem Object sein ganzes Recht erweisen, indem er ihm seine blinde Gewalt nimmt, und dem menschlichen Geist seine ganze (rationelle) Freiheit verschaffen, indem er ihm alle Willkür abschneidet.
Der Quantität nach muß das reine Phänomen die Allheit der Fälle begreifen, denn es ist das Constante in allen. Es stellt also, völlig nach dem Sinn der Kategorie, die Einheit in der Mehrheit wiederum her.
Der Qualität nach limitirt der rationelle Empirism immer, wie auch das Beispiel aller wahren Naturkundiger lehret, die von einem absoluten Bejahen und Verneinen sich gleich entfernt halten.
Der Relation nach achtet der rationelle Empirism zugleich auf die Causalität und auf die Unabhängigkeit der Erscheinungen; er sieht die ganze Natur in einer reciproken Wirksamkeit, alles bestimmt sich wechselsweise, und er hütet sich demnach, die Causalität bloß nach einer einfachen dürftigen Länge gelten zu lassen, er nimmt immer auch die Breite mit auf.
Der Modalität nach dringt der rationelle Empirism immer zu der Nothwendigkeit hindurch.
Der rationelle Empirism ist, seinem Begriffe nach, zwar nie einem Misbrauch ausgesetzt, so wie die zwei vorhergehenden Erkenntnißarten; aber vor einem falschen und angeblichen rationellen Empirism ist doch zu warnen. So wie nämlich eine weise Limitation den eigentlichen Geist dieses rationellen Empirism ausmacht, so kann eine feige und ängstliche Limitation den andern hervorbringen. Die Frucht des erstern ist das reine, die Frucht des andern das leere und hohle Phänomen. Ich habe mehrmalen bemerkt, daß bedenkliche schwache Geister aus einem zu weit getriebenen Respect vor den Gegenständen und deren Mannigfaltigkeit und aus zu weit getriebener Furcht vor den Seelenkräften, ihre Assertionen und Enunciationen zuletzt so einschränken und gleichsam aushöhlen, daß das Resultat Null wird.
Es ist noch so vieles über diese Materie und über Ihre Thesen zu sprechen, daß ich Ihre Hieherkunft erwarte, um noch recht in die Sache hineinzugehen, denn nur das Gespräch hilft mir eigentlich die Vorstellung des andern schnell zu fassen und fest zu halten. In dem Monolog eines Briefes bin ich stets in Gefahr, nur meine Seite zu fassen. Besonders will ich Sie selbst noch mehr über das, was Sie die mittelbare Anwendung der Fälle auf Regeln nennen, reden hören.
Meine poetische Arbeit stockt seit drei Tagen, ungeachtet einer ganz guten Stimmung in der ich war. Eine Verschleimung des Halses, die in unserm Haus von Mann zu Mann herumging, hat endlich auch mich ergriffen, und weil mich dieß Uebel gerade in einem erhöhten Zustand von Reizbarkeit überraschte, in den mich mein Geschäft versetzt hatte, so hatte ich gestern den ganzen Tag Fieber. Heute ist mir aber der Kopf schon viel freier, und ich hoffe in etlichen Tagen den bösen Gast los zu sein.
Zu dem neuen Xenion gratulir’ ich. Wir wollen es ja ad Acta legen.
Die tollen Sprünge, welche Herr Posselt vor dem Publicum macht, werden Cotta wahrscheinlich bereichern: denn er schreibt mir, daß er jetzt beinahe schon ganz gedeckt sei .
Man fragt hier sehr, ob Sie in Weimar nicht die Gotterische Oper: die Geisterinsel geben würden.
Hätten Sie jetzt nicht Lust, da Herr Hirt Ihren Aufsatz über Laokoon gewissermaßen anticipirt, diesen Aufsatz in die Horen zu geben?
Leben Sie recht wohl. Meine Frau grüßt.
Sch.
407. An Schiller.
Für die Prüfung meiner Aufsätze nach den Kategorien danke ich zum schönsten: ich werde sie bei meiner Arbeit immer vor Augen haben. Ich finde selbst an der Stimmung womit ich diese Gegenstände bearbeite, daß ich bald zur edlen Freiheit des Denkens darüber gelangen werde. Ich schematisire unabläßlich , gehe meine Collectaneen durch und suche, aus dem Wust von unnöthigem und falschem, die Phänomene in ihrer sichersten Bestimmung und die reinsten Resultate heraus. Wie froh will ich sein wenn der ganze Wust verbrannt ist und das brauchbare davon auf wenig Blättern steht. Die Arbeit war unsäglich, die doch nun schon acht Jahre dauert, da ich kein Organ zur Behandlung der Sache mitbrachte, sondern mir es immer in und zu der Erfahrung bilden mußte. Da wir nun einmal so weit sind, so wollen wir uns die letzte Arbeit nicht verdrießen lassen; stehen Sie mir von der theoretischen Seite bei und so wird es gewiß geschwinder gehen.
Ich lege einen flüchtigen Entwurf zur Geschichte der Farbenlehre bei. Sie werden dabei auch schöne Bemerkungen über den Gang des menschlichen Geistes machen können; er dreht sich in einem gewissen Kreise herum, bis er ihn ausgelaufen hat. Die ganze Geschichte, wie Sie sehen werden, dreht sich um die gemeine, das Phänomen blos aussprechende Empirie, und um den nach Ursachen haschenden Nationalism herum, wenig Versuche einer reinen Zusammenstellung der Phänomene finden sich. Also schreibt uns die Geschichte auch schon selbst vor was wir zu thun haben. Es wird sich bei der Ausführung etwas recht interessantes machen lassen. Stehen Sie mir bei weiterm Fortschreiten bei.
Die öftern Rückfälle Ihrer Gesundheit betrüben mich sehr, sowohl um des Leidens als des Verlustes willen. Die milde Witterung verspricht uns für die nächste Zeit noch nichts gutes. Cotta ist zu beneiden! er fühlt sich gewiß glücklich daß so ein herrliches Blatt durch ihn in die Welt geht, wobei der goldne Beifall doppelt willkommen ist. Ich habe es in Weimar sehr in Gang bringen helfen .
Die Gottersche Oper geben wir vorerst noch nicht .
Meinen Aufsatz über Laokoon will ich gelegentlich nochmals durchsehen und dann wollen wir überlegen was zu thun sei. Leben Sie recht wohl, grüßen Sie Ihre liebe Frau und haben Sie nochmals Dank für Ihren langen fördernden Brief.
Weimar am 20. Januar 1798.
G.
408. An Goethe.
Jena den 23. Januar 1798.
Ich bin meines Halsübels doch nicht so leicht los geworden, wie ich’s in meinem letzten Brief glaubte versichern zu können. Noch heute plagt es mich und da das Uebel gerade den Kopf einnimmt, so macht es mich ungeduldiger als sonst meine Krämpfe thun. Es ist mir in diesem Zeitpunkt doppelt lästig, da ich gerade im besten Zuge war, und vor Ihrer Ankunft noch eine gute Station zurückzulegen dachte.
Das kleine Schema zu einer Geschichte der Optik enthält viele bedeutende Grundzüge einer allgemeinen Geschichte der Wissenschaft und des menschlichen Denkens, und wenn Sie sie ausführen sollten, so müßten sich viele philosophische Bemerkungen machen lassen. Der deutsche Geist würde aber nicht zu seinem Vortheil dabei erscheinen, wenn nicht die Entwicklung anticipirt wird. Es ist doch eigen daß sich die Lebhaftigkeit der Franzosen so bald einschüchtern und ermüden ließ. Man möchte sagen daß es doch mehr die Passion, als Liebe zur Sache war, was den Widerspruch der Franzosen nährte; sonst würden sie der Autorität nicht nachgegeben haben. Den Deutschen hält die Autorität und ein dogmatischer Irrthum lange nieder, aber endlich pflegt doch bei ihm seine natürliche Objectivität und sein Ernst an der Sache zu siegen, und gewöhnlich ist Er es doch, der für die Wissenschaft ärntet.
Es ist gar keine Frage, daß Sie das Mögliche für Ihr Geschäft thun und eine so weit schon geführte Sache zu einem gewünschten Ende bringen müssen; denn daß Sie endlich durchdringen werden, ist mir keinen Augenblick zweifelhaft. Ich glaube aber, Sie thun wohl, wenn Sie jetzt, nachdem Sie vergebens auf einen Begleiter und Mitforscher gewartet haben, sich auch nach keinem mehr umsehen und Ihr Geschäft still für sich selbst vollenden, um alsdann mit dem fertigen, so weit es auf Ihrem Wege sich bringen läßt, auf einmal hervorzutreten . Das erst entstehende imponirt, scheint es, den Deutschen nicht; es reizt sie vielmehr und macht sie eigensinnig, wenn man ihre Dogmata bloß erschüttert, ohne sie ganz und gar umzureißen. Ein völlig fertiges Ganzes und ein methodisch ernstlicher Angriff hingegen überwältigt den Eigensinn und bringt die natürliche und angeborne Sachliebe des Deutschen auf die Seite des Gegners. So denke ich mir die Sache, und wenn Sie in drei, vier Jahren Ihre ausführliche und methodische Darlegung vor das Publicum bringen, so wird man gewiß Folgen davon sehen. Unterdessen verläuft sich auch in etwas diese chemische Sündfluth und ein neues Interesse gewinnt Platz.
Böttiger höre ich wollte über den Vandalism der Franzosen, bei Gelegenheit der so schlecht transportirten Kunstwerke einen Aufsatz schreiben. Ich wünschte er thäte es und sammelte alle dahin einschlagende Züge von Rohheit und Leichtsinnigkeit. Ermuntern Sie ihn doch und verschaffen mir alsdann den Aufsatz für die Horen.
Cotta mag immer aus derselben Druckerpresse kalt und warm blasen.
Leben Sie recht wohl. Heute über acht Tagen hoffe ich Sie hier zu sehen.
Sch.
409. An Schiller.
Schon heute könnte ich ein besseres Schema einer künftigen Geschichte der Farbenlehre überschicken und es soll von Zeit zu Zeit noch besser werden. Wenn man die Reihe von geistigen Begebenheiten, woraus doch eigentlich die Geschichte der Wissenschaften besteht, so vor Augen sieht, so lacht man nicht mehr über den Einfall eine Geschichte a priori zu schreiben: denn es entwickelt sich wirklich alles aus den vor- und rückschreitenden Eigenschaften des menschlichen Geistes, aus der strebenden und sich selbst wieder retardirenden Natur.
Eines einzelnen Umstands muß ich erwähnen. Sie erinnern sich des Versuches mit einem gläsernen Cubus, wodurch ich so deutlich zeigte daß die senkrechten Strahlen eben so gut verändert und das Bild aus dem Grund in die Höhe gehoben wird. Snellius, der die erste Entdeckung des Gesetzes der Brechung machte, erinnerte schon eben das; allein Huygens, der jene Entdeckung eigentlich bekannt machte, geht gleich über das Phänomen hinaus, weil er es bei seiner mathematischen, übrigens ganz richtigen Behandlung der Sache nicht brauchen kann, und seit der Zeit will niemand nichts davon wissen. Der perpendiculare Strahl wird freilich nicht gebrochen und die Berechnung kann nicht angestellt werden wie bei den gebrochnen Strahlen, weil man keine Vergleichung der Winkel und ihrer Sinus anstellen kann; aber ein Phänomen das nicht berechnet werden kann bleibt deswegen doch ein Phänomen; und sonderbar ist es daß man in diesem Falle grade das Grundphänomen (denn dafür halte ich’s), woraus alle die übrigen sich herleiten, bei Seite bringt.
Erst seit ich mir fest vorgenommen habe außer Ihnen und Meyern mit Niemanden mehr über die Sache zu conferiren, seit der Zeit habe ich erst Freude und Muth; denn die so oft vereitelte Hoffnung von Theilnahme und Mitarbeit anderer setzt einen immer um einige Zeit zurück. Nun kann ich, wie es Zeit, Umstände und Neigung erlauben immer sachte fortarbeiten.
Möge das schöne Wetter und die Höhe des Barometers etwas zu Ihrem bessern Befinden mit beitragen; ich sehne mich recht aus dieser Masken- und Theaterwelt zu Ihnen hinüber. An Böttiger will ich das bringen oder bringen lassen; er läßt sich seit einiger Zeit nicht sehen, seitdem er mir eine Art von tückischem Streich gespielt hat. Meyer ist fleißig und grüßt schönstens.
Weimar den 24. Januar 1798.
G.
410. An Goethe.
Jena den 26. Januar 1798.
Eben habe ich das Todesurtheil der drei Göttinnen Eunomia, Dike und Irene förmlich unterschrieben. Weihen Sie diesen edeln Todten eine fromme christliche Thräne, die Condolenz aber wird verbeten.
Cotta hatte schon voriges Jahr nur eben die Kosten wieder, und wollte sie auch noch dieß Jahr so vegetiren lassen, aber ich sah wirklich keine entfernte Möglichkeit sie zu continuiren, weil es uns ganz und gar an Mitarbeitern fehlt, auf die man sich verlassen kann, und ich, ohne eigentlichen reellen Geldgewinn, ewige Sorge und kleinliche Geschäfte bei dieser Redaction hatte, wovon ich mich durch einen entschlossenen Schritt befreien mußte.
Wir werden, wie sich’s von selbst versteht, beim Aufhören keinen Eclat machen, und da sich die Erscheinung des zwölften Stücks 1797 ohnehin bis in den März verzögert, so werden sie von selbst selig einschlafen. Sonst hätten wir auch in dieses zwölfte Stück einen tollen politisch-religiösen Aufsatz können setzen lassen, der ein Verbot der Horen veranlaßt hätte, und wenn Sie mir einen solchen wissen, so ist noch Platz dafür.
Mit meiner Gesundheit geht es zwar seit gestern wieder besser, aber die Stimmung zur Arbeit hat sich noch nicht wieder eingefunden. Unterdessen habe ich mir mit Niebuhrs und Volneys Reise nach Syrien und Aegypten die Zeit vertrieben, und ich rathe wirklich jedem der bei den jetzigen schlechten politischen Aspecten den Muth verliert, eine solche Lektüre; denn erst so steht man, welche Wohlthat es bei alledem ist, in Europa geboren zu sein. Es ist doch wirklich unbegreiflich, daß die belebende Kraft im Menschen nur in einem so kleinen Theil der Welt wirksam ist, und jene ungeheuren Völkermassen für die menschliche Perfectibilität ganz und gar nicht zählen. Besonders merkwürdig ist es mir, daß es jenen Nationen und überhaupt allen Nicht-Europäern auf der Erde nicht sowohl an moralischen als an ästhetischen Anlagen gänzlich fehlt. Der Realism, so wie auch der Idealism zeigt sich bei ihnen, aber beide Anlagen stießen niemals in eine menschlich schöne Form zusammen. Ich hielt’ es wirklich für absolut unmöglich den Stoff zu einem epischen oder tragischen Gedichte in diesen Völker-Massen zu finden, oder einen solchen dahin zu verlegen.
Leben Sie wohl für heute. Meine Frau grüßt Sie bestens.
Sch.
411. An Schiller.
Weimar am 26. Januar, Abends, 1798.
Da ich nicht weiß wie es morgen früh mit mir aussehen wird, so will ich heut Abend ein Blättchen in Vorrath dictiren.
Aus beiliegenden Stanzen werden Sie sich ein Traumbild von dem Aufzuge formiren können, der heute Abend statt haben soll. Sechs schöne Freundinnen belieben sich aufs beste zu putzen und wir haben, um ja keine Allegorie mehr in Marmor und wo möglich auch nicht einmal gemalt zu sehen, die bedeutendsten Symbole mit Pappe, Gold- und anderm Papier, Zindel und Lahn, und was alles noch von Stoffen dieser Art zu finden ist, auf das klarste dargestellt.
Der Imagination Ihrer lieben Frau wird es einigermaßen nachhelfen wenn ich nachstehendes Personal hersetze.
Der Friede, Fräulein von Wolfskeel.
Die Eintracht, Frau von Egloffstein und Fräulein von Seckendorf.
Der Ueberfluß, Frau von Werther.
Die Kunst, Fräulein von Beust.
Der Ackerbau, Fräulein von Seebach.
Hierzu kommen noch sechs Kinder die auch nicht wenig Attribute schleppen müssen, und so hoffen wir mit der größten Pfuscherei in dem gedankenleersten Raum die zerstreuten Menschen zu einer Art von Nachdenken zu nöthigen.
Auf dieses Vorspiel paßt die Nachricht vollkommen die ich Ihnen von dem berühmten englischen Gedichte Darwins, der botanische Garten, zu geben gedenke. Ich wünschte nur daß ich Ihnen diese englische Modeschrift, wie sie hier in groß 4°, in Saffian gebunden, vor mir liegt, auch vor Augen stellen könnte. Sie wiegt 5 ½ Pfund accurat, wie ich mich gestern selbst überzeugt habe. Da nun unsere Taschenbücher ohngefähr eben so viel Loth an Gewicht haben, so möchten wir uns auch von dieser Seite zu den Engländern wie 1 zu 32 verhalte, wenn wir nicht allenfalls durch zwei und dreißig Taschenbücher einen solchen englischen Moderiesen aufzuwiegen im Stande wären. Es ist auf geglättetes Papier prächtig gedruckt, mit wahnsinnig allegorischen Kupfern, von Füeßli, verziert und außerdem noch mit botanischen, antiquarischen Tags- und Liebhaberdarstellungen hie und da geschmückt, hat Einleitungen, Anzeigen des Inhalts, Noten unter dem Text, Noten hinter dem Text, in welchen Naturlehre, Chemie, Naturgeschichte, Erdbeschreibung, Botanik, Fabrik- und Handelswesen, besonders aber Todter und Lebender berühmte Namen auf das beste producirt sind, so daß, von Ebbe und Fluth bis zur sympathetischen Dinte, alles wohl eingesehen und begriffen werden kann.
Bei allen diesen Sonderbarkeiten scheint mir aber doch das sonderbarste: daß in diesem botanischen Werke alles, nur keine Vegetation, zu finden ist. Wenigstens ist dieß von dem ersten Theil desselben beinah buchstäblich wahr. Hier haben Sie den Inhalt des zweiten Gesangs:
Anrede an die Gnomen. Die Erde wird durch einen Vulkan aus der Sonne geworfen; ihre Atmosphäre und Ocean , ihre Reise durch den Thierkreis. Abwechslung Tages und der Nacht, so wie der Jahrszeiten. Uranfängliche glückliche Eilande, Paradies oder goldnes Alter. Venus steigt aus der See. Die ersten großen Erdbeben, feste Länder steigen aus der See; der Mond wird von einem Vulkan ausgeworfen, hat keine Atmosphäre, und ist frostig: die tägliche Bewegung der Erde wird aufgehalten, ihre Axe neigt sich mehr, sie dreht sich mit dem Monde um einen neuen Mittelpunkt. Entstehung des Kalksteins durch wäßrige Auflösung, Kalkspath, weißer Marmor, antike Statue des Herkules der von seinen Arbeiten ruht, Antinous, Apoll von Belvedere, Venus Medicis, Lady Elisabeth Foster und Lady Melbourn von Herrn Damer. Von Morästen. Woher das Salz der Erde komme? Salzminen bei Krakau. Hervorbringung des Salpeters. Mars und Venus werden durch Vulkan gefangen. Hervorbringung des Eisens. Herrn Michels Verbeßrung künstlicher Magneten. Gebrauch des Stahls beim Ackerbau, Schiffahrt und Krieg. Ursprung der Säuren. Woher die Kieselsteine, der Seesand, Gips, Asbest, Fluß, Onyx, Achat, Mocka, Opal, Sapphir, Rubin, Diamant. Jupiter und Europa. Neue unterirdische Feuer durch Gährung. Der Thon wird hervorgebracht. Porzellanmanufaktur in China, Italien, England, Herrn Wedgwoods Werke zu Etruria, in Staffordshire. Kamee, einen Mohrensclaven in Ketten vorstellend, die Hoffnung vorstellend . Die Figuren auf der Portland- oder Barberini-Vase werden erklärt. Kohlen, Schwefelkies. Naphtha, Obsidian und Ambra. Doctor Franklins Erfindung dem Gewitter seine Blitze zu nehmen. Freiheit Amerikas, Irlands, Frankreichs. Alte unterirdische Centralfeuer. Hervorbringung des Zinns, Kupfer, Zink, Blei, Mercurius, Platina, Gold und Silber. Zerstörung von Mexiko. Sklaverei von Afrika, Untergang der Heere des Kambyses, Gnomen wie Sterne an einer Himmelsmaschine. Einbrüchen der See wird Einhalt gethan, Felsen werden bebaut. Die Materie cirkulirt, die Düngung ist den Pflanzen was der Milchsaft den Thieren. Pflanzen steigen aus der Erde. St. Peter wird aus dem Kerker erlöst. Wanderungen der Materie. Tod und Auferstehung des Adonis. Entfernung der Gnomen.
Hier haben Sie also das Schema eines Gedichtes! So muß ein Lehrgedicht aussehen, das nicht allein lehren, sondern auch unterrichten soll. Nun können Sie sich denken was für Beschreibungen, für Allegorien, für Gleichnisse in dem Werke herumspuken und wie das ganze Material auch nicht mit einer Spur von poetischem Gefühl zusammen gebunden ist. Die Verse sind, wie mir scheint, nicht übel und manche Stellen haben eine rhetorische Tournüre die dem Sylbenmaße angehört. Genug das Detail erinnert einen an so viel englische Dichter die im didaktischen und beschreibenden gearbeitet haben. Was mag die englische zerstreute Welt sich nicht an einzelnen Stellen vergnügen! wenn ihr so eine Menge theoretisches Zeug, von dem sie schon so lange summen hörte, nun wieder im bekannten Sylbenmaße vorgesungen wird. Ich habe das Buch erst seit gestern Abend im Hause und finde es wirklich unter meiner Erwartung, denn ich bin Darwin im Grunde günstig. Zwar schon seine Zoonomie – –
So weit war ich gestern gekommen als man mich abrief um Chorführer zu sein. Es ging alles ganz gut, nur daß auch diesmal wie bei ähnlichen Fällen zuletzt der Raum fehlte sich gehörig zu produciren. Die Frauenzimmer hatten sich recht schön geputzt und die zwölf, theils großen theils kleinen Figuren, in einem Halbkreise, würden durch ihre verschiednen Gruppen, auf dem Theater, wo man sie ganz übersehen hätte, einen guten Effect gemacht haben. So ward aber in dem engen Raum alles zusammen gedrängt, und weil jeder recht gut sehen wollte, sah fast niemand. Indessen waren sie doch auch nachher noch einzeln hübsch geputzt und gefielen sich und andern.
Daß Sie unsere Freundinnen wollen einschlafen lassen war mir nicht ganz unerwartet. Was sagen Sie aber zu dem Gedanken daß man Monatschriften nur auf ein Jahr herausgeben sollte? Man sammelte z. B. 98 und gäbe 99 zwölf Stücke, und so fort, wenn man im Gange wäre, vielleicht immer mit einer Pause. Man müßte sich zum Gesetz große Mannigfaltigkeit machen, interessante, nicht zu lange Aufsätze, in dem Einen Jahre gewiß alles ganz, und seine Sache so machen daß es am Ende noch als ein ganzes Werk verkauft werden könnte. Soll ich Böttigers Aufsatz noch für Sie besprechen?
Einsiedel hat ein paar Mährchen geschrieben, die artig sein sollen, ich wollte sie auch zu erhalten suchen.
Für den Almanach habe ich einen Einfall der noch toller ist als die Xenien; was sagen Sie zu dieser anmaßlich scheinenden Versicherung? Ich communicire ihn aber nicht anders als unter gewissen Bedingungen, indem ich mir Redaction dieses abermaligen Anhangs vorbehalte, Ihnen aber zuletzt wie billig die Wahl frei steht ob Sie ihn aufnehmen wollen oder nicht. Ehe man eine Sylbe davon zu drucken anfängt, muß das ganze wie ein anderes Werk entschieden sein. Sie werden wenn Sie in der Welt recht herumrathen es zwar schwerlich auffinden, doch vielleicht entdecken Sie etwas ähnliches zum Gebrauch künftiger Zeiten. Leben Sie recht wohl; das schöne Wetter möchte ich nun gar zu gern in Ihrer Nachbarschaft zubringen. Ich warte nur auf einen Brief von Stuttgart, ob nicht Thouret, den wir zur Decoration des Schlosses verschrieben haben, bald kommen wird.
Lassen Sie uns denn also, wenn es auch in Europa noch etwas bunter zugehen sollte, gerne in diesem Welttheile verweilen.
Weimar am 27. Januar 1798.
G.
412. An Goethe.
Jena den 30. Januar 1798.
Für die schönen Neuigkeiten und Curiositäten, die Ihr letzter Brief enthielt, danken wir Ihnen sehr. Sie haben uns an dem ganzen stattlichen Aufzug Theil nehmen lassen, ohne daß uns das Gedränge und der Staub incommodirt hätte.
Die Schrift von Darwin würde wohl in Deutschland wenig Glück machen. Die Deutschen wollen Empfindungen, und je platter diese sind, desto allgemeiner willkommen; aber diese Spielerei der Phantasie mit Begriffen, dieses Reich der Allegorie, diese kalte Intellectualität und in Verse gebrachte Gelehrsamkeit kann nur die Engländer in ihrer jetzigen Frostigkeit und Gleichgültigkeit anziehen. Diese Schrift zeigt indeß, welche Function man der Poesie, bei einer großen und respektabeln Volksklasse, anzuweisen pflegt, und giebt den Philistern einen neuen glänzenden Triumph über ihre poetischen Widersacher.
Ich glaube übrigens nicht, daß der Stoff unzulässig und für die Poesie ganz ungeschickt ist; diese verunglückte Geburt schreibe ich ganz auf Rechnung des Dichters. Wenn man gleich anfangs auf alles sogenannte Unterrichten Verzicht thäte, und bloß die Natur in ihrer reichen Mannigfaltigkeit, Bewegung und Zusammenwirkung der Phantasie nahe zu bringen suchte, alle natürlichen Erzeugungen mit einer gewissen Liebe und Achtung aufführte, jedem seine selbstständige Existenz respektirte und so weiter, so müßte ein lebhaftes Interesse erregt werden können. Aber aus dem Küchenzettel, den Sie von dem Buche geben, muß ich schließen daß der Verfasser, gerade umgekehrt, das poetische Interesse bloß in der Zuthat, nicht in der Sache selbst zu erwecken gesucht, und daß es mithin das contradictorische Gegentheil eines guten Gedichts ist.
Den Trumpf, womit Sie selbst die Xenien stechen wollen, kann ich wirklich nicht errathen, und um auch nur möglicherweise darauf verfallen zu können, müßte ich wenigstens wissen, ob darin, so wie in den Xenien einzelne Personen herumgenommen werden sollen, oder ob der Krieg dem Ganzen gilt. In letzterm Fall würde es schwer sein, eine lebhaftere Bewegung hervorzubringen, als die Xenien erregt haben.
Ihren Bedingungen will ich mich recht gern unterwerfen; nur einen Antheil an der Arbeit selbst würde ich vor Ende Julius, wo der Wallenstein hoffentlich fertig sein wird, nicht übernehmen können. Ich vermuthe aber aus Ihrem Briefe selbst, daß es keine gemeinschaftliche Unternehmung sein wird und daß Sie also allein auch alle Kosten der Ausführung haben werden.
Böttigers Aufsatz und Herrn von Einsiedels Erzählungen würden mir beide zum letzten Horenstücke willkommen sein; nur müßte ich beide binnen drei Wochen erhalten, und könnte mir Einsiedel gleich jetzt etwas senden, so wäre im vorletzten Horenstück auch noch Platz.
Ihr Gedanke, eine Monatsschrift Jahrweise herauszugeben, ist so übel nicht, nur würde der Verleger nicht seine Rechnung dabei finden, weil man nicht gern auf einmal so viel Geld bezahlt. Bei den Horen wäre aber die Hauptschwierigkeit immer, wo man die Aufsätze hernehmen sollte; denn es ist merkwürdig daß wir es nicht einmal durch den Reiz eines ungewöhnlich großen Honorars haben dahin bringen können, gewisse Bäche in unser Journal zu leiten, die in andern Journalen um das halbe Geld so ergiebig fließen.
Es thut mir leid, daß Ihre Hieherkunft noch nicht ganz zu bestimmen ist. Vielleicht bringt mir Ihr morgender Brief die Nachricht mit.
Meine Frau grüßt Sie bestens. Leben Sie recht wohl.
Sch.
Dieser Tage hat sich wieder ein neuer Poet angemeldet, der mir gar nicht übel scheint, es müßte mich denn ein gewisser Widerschein Ihres Geistes bestechen, denn dieser scheint viel auf ihn gewirkt zu haben. Ich lege das Gedicht bei, sagen Sie mir doch Ihre Meinung darüber.
413. An Schiller.
Geschäfte und Zerstreuungen bringen immer wieder neue Geburten ihrer Art hervor, so daß ich mich fast entschließen möchte nur auf einen oder ein Paar Tage zu Ihnen hinüber zu kommen, weil ich noch keine ruhige Zeitfolge vor mir sehe.
Gestern haben wir eine neue Oper gehört, Cimarosa zeigt sich in dieser Composition als einen vollendeten Meister; der Text ist nach Italiänischer Manier, und ich habe dabei die Bemerkung gemacht: wie es möglich wird daß das alberne, ja das absurde sich mit der höchsten ästhetischen Herrlichkeit der Musik so glücklich verbindet. Es geschieht dieses allein durch den Humor; denn dieser, selbst ohne poetisch zu sein, ist eine Art von Poesie und erhebt uns seiner Natur nach über den Gegenstand. Dafür hat der Deutsche so selten Sinn, weil ihn seine Philisterhaftigkeit jede Albernheit nur ästimiren läßt, die einen Schein von Empfindung oder Menschenverstand vor sich trägt.
Hier schicke ich eine eigne Erscheinung, eine Ankündigung daß ein letzter Abkömmling der alten Nürnberger Meistersänger eine Auswahl seiner Gedichte herausgeben will. Ich kenne schon manches von ihm und habe leider versäumt ihn in Nürnberg selbst zu sehen. Er hat Sachen gemacht von Humor und Natürlichkeit, die leicht ins reinere Deutsch zu übersetzen wären und deren sich niemand schämen dürfte. Wir erhalten das Buch durch Knebeln wenn es herauskommt.
Dieser Freund ist nun wieder in Ilmenau angelangt, seine Schöne wird in wenig Tagen abreisen, um ihm das Joch der Ehe auf den alten steifen Nacken zu legen. Da ich ihm herzlich gut bin so wünsche ich ihm zu diesem Unterfangen das möglichste Glück.
Von allem übrigen bald auf ein oder die andere Weise mündlich. Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau.
Weimar am 31. Januar 1798.
G.
Könnten Sie nicht gelegentlich erfahren ob Justizrath Boie die Sechs Bände meiner neuen Schriften erhalten hat, die ich ihm, mit Dank für Cellini, schon am 6. Juni gesendet habe? Bis jetzt vernahm ich noch nichts von ihm.
414. An Goethe.
Jena den 2. Februar 1798.
Ihre Bemerkung über die Oper hat mir die Ideen wieder zurückgerufen, worüber ich mich in meinen ästhetischen Briefen so sehr verbreitete. Es ist gewiß, daß dem ästhetischen, so wenig es auch die Leerheit vertragen kann, die Frivolität doch weit weniger widerspricht, als die Ernsthaftigkeit, und weil es dem Deutschen weit natürlicher ist, sich zu beschäftigen und zu bestimmen, als sich in Freiheit zu setzen, so hat man bei ihm immer schon etwas ästhetisches gewonnen, wenn man ihn nur von der Schwere des Stoffs befreit, denn seine Natur sorgt schon hinlänglich dafür, daß seine Freiheit nicht ganz ohne Kraft und Gehalt ist.
Mir gefallen darum die Geschäftsleute und Philister überhaupt weit besser in einer solchen spielenden Stimmung, als die müßigen Weltleute, denn bei diesen bleibt das Spiel immer kraft- und gehaltleer. Man sollte einen jeden immer nach seinem Bedürfniß bedienen können, und so würde ich den einen Theil in die Oper und den andern in die Tragödie schicken.
Ihr Nürnberger Meistersänger spricht mich wie eine Stimme aus einem ganz andern Zeitalter an, und hat mich sehr ergötzt. Wenn Sie Knebeln schreiben, so bitten Sie ihn doch, auch mich zu einem Exemplar mit Kupfern unter den Subscribenten anzumerken. Ich halte es wirklich für nöthig daß man sich bei diesem Werklein vorher meldet, weil es sonst vielleicht nicht zu Stande kommt, denn der gute Freund hat sein Zeitalter überlebt, und man wird ihm die Gerechtigkeit schwerlich erzeigen, die er verdient. Wie wär’s wenn Sie nur ein paar Seiten, zu seiner Einführung ins Publicum, in den Horen sagten? Er scheint es wirklich so sehr zu brauchen als zu verdienen.
Nach allem, was von der unparteiischen Welt geurtheilt wird, dauert mich unser Freund Knebel sehr, und ich fürchte, das Joch wird seinem Nacken nicht sanft aufliegen.
Mit Boie habe ich nur einmal Verkehr gehabt, aber seit fast anderthalb Jahren nicht wieder. Ich weiß also nicht wie es mit dem Pakete steht; daß er es werde erhalten haben, ist wohl kein Zweifel, und daher glaube ich, daß Sie ihm zu viel Ehre anthun würden, wenn Sie weiter darnach fragten. Gelegenheitlich kann man’s schon an ihn bringen.
Möchten Sie nur endlich einmal herkommen. Nehmen Sie sich’s nur auf vier oder fünf Tage vor, so werden Sie schon in dem alten Schloß die Muse finden, die Sie halten wird. Leben Sie recht wohl.
Sch.
415. An Schiller.
Ich ergebe mich in die Umstände welche mich noch hier festhalten nur in so fern mit einiger Gemüthsruhe, als ich, wenn nur erst gewisse Dinge theils bei Seite geschafft, theils in Gang gebracht sind, auf eine Anzahl guter Tage in Jena hoffen kann.
Hier schicke ich eine Arbeit von Einsiedeln, die ich wegen Kürze der Zeit nicht habe lesen können ; sie steht, wenn Sie solche brauchen können, für die Horen zu Diensten. Nach der gewöhnlichen Erscheinung der Widersprüche, die der Zufall so oft in den Gang des Lebens mischt, erscheinen jetzt grade am Ende noch voluminöse Beiträge und Böttigers Aufsatz über die neufränkische Behandlung der Kunstwerke wird wohl gar erst nach dem seligen Hintritt unserer drei geliebten Nymphen eintreffen.
Ich brauche die Stunden, die mir übrig bleiben, theils zum reineren Schematisiren meines künftigen Aufsatzes über die Farbenlehre, theils zum Verengen und Simplificiren meiner frühern Arbeiten, theils zum Studiren der Literatur , weil ich zur Geschichte derselben sehr große Lust fühle und überhaupt hoffen kann, wenn ich noch die gehörige Zeit und Mühe daran wende, etwas gutes, ja sogar, durch die Klarheit der Behandlung, etwas angenehmes zu liefern. Sie haben in einem Ihrer letzten Briefe vollkommen recht gesagt: daß ich erst jetzt auf dem rechten Flecke stehe, da ich auf alle äußere Theilnehmung und Mitwirkung Verzicht gethan habe. In einem solchen Falle verdient nur eine vollendete Arbeit, die so viele andere Menschen aller Mühe überhebt, erst den Dank des Publikums und erhält ihn auch gewiß wenn sie gelingt.
Uebrigens habe ich etwa ein halb Dutzend Mährchen und Geschichten im Sinne, die ich, als den zweiten Theil der Unterhaltungen meiner Ausgewanderten bearbeiten, dem Ganzen noch auf ein gewisses Fleck helfen und es alsdann in der Folge meiner Schriften herausgeben werde.
Sodann denke ich etwas ernsthafter an meinen Faust und sehe mich auf diesem Weg schon für das ganze Jahr beschäftigt, besonders da wir doch immer einen Monat auf den Almanach rechnen müssen.
Durch die Verschiedenheit dieser Vorsätze komme ich in den Stand jede Stunde zu nutzen.
Die Idylle ist wirklich wieder eine sonderbare Erscheinung. Wieder ein beinahe weibliches Talent, hübsche jugendliche Ansichten der Welt, ein freundliches, ruhiges, sittliches Gefühl. Wäre es nun den Deutschen möglich sich zu bilden und eine solche Person lernte, was doch zu lernen ist, in Absicht auf innere und äußere Form des Gedichts, so könnte daraus was recht gutes entstehen, anstatt daß es jetzt bei einer gewissen gleichgültigen Anmuth bewenden muß. Meo voto müßte z. B. die Mutter die Abwesenheit der Tochter merken, ihr nachgehen, Erkennung und Entwicklung müßten in der Capelle geschehen, wodurch der langweilige Rückweg vermieden würde und der Schluß ein pathetisches und feierliches Ansehen gewinnen könnte.
Zu leugnen ist es nicht daß Hermann und Dorothea schon auf diese Natur gewirkt hat, und es ist wirklich sonderbar wie unsere junge Naturen das was sich von einer Dichtung durchs Gemüth auffassen läßt an sich reißen, nach ihrer Art reproduciren und dadurch zwar mitunter ganz was leidliches hervorbringen, aber auch gewöhnlich was man durch die ganze Kraft seiner Natur zum Styl zu erhöhen strebte, sogleich zur Manier herabwürdigen, und gerade dadurch, weil sie sich dem Publico mehr nähern, öfters einen größern Beifall davon tragen als das Original, von dessen Verdiensten sie nur theilweise etwas losgerissen haben.
Bei diesen Betrachtungen fallen mir unsere dichterische Freundinnen ein. Amelie hat wieder etwas vor. Meyer fürchtet daß das Sujet ihr große Hindernisse in den Weg legen werde. Es ist sonderbar daß die guten Seelen nicht begreifen wollen wie viel darauf ankommt, ob auch der Gegenstand sich behandeln lasse. Ich habe auch diese Tage den zweiten Theil von Agnes von Lilien gelesen. Es ist recht schade daß diese Arbeit übereilt worden ist. Die summarische Manier, in der die Geschichte vorgetragen ist und die, gleichsam in einem springenden Tact, rhythmisch eintretenden Reflexionen lassen einen nicht einen Augenblick zur Behaglichkeit kommen und man wird hastig ohne Interesse. Dies sei zum Tadel der Ausführung gesagt, da die Anlage so schöne Situationen darbietet, die, mit einiger Sodezz ausgeführt, eine unvergleichliche Wirkung thun müßten. Was das Naturell betrifft das dieses Werk überhaupt hervorgebracht, so erregt es immer noch Erstaunen, wenn man auch den Einfluß Ihres Umgangs auf die Entstehung und Ihrer Feder auf die Vollbringung des Werks nicht verkennen kann. Freilich fällt die Absonderung für uns andere Leser schwer; aber ich glaube doch immer sagen zu dürfen: daß eine solche Natur wenn sie einer Kunstbildung fähig gewesen wäre etwas unvergleichliches hätte hervorbringen müssen. Meyer ist voller Verwunderung, der sich sonst nicht leicht verwundert. Und ich am Ende des Blatts grüße schönstens, wünsche den besten Fortgang Ihrer Arbeiten und sehe Ihrem Wallenstein, als einem aufgehäuften Schatze entgegen.
Weimar am 3. Februar 1798.
G.
Darf ich um Humboldts Adresse bitten dem ich doch ehestens zu schreiben wünsche.
416. An Goethe.
Jena 6. Februar 1798 .
Es ist mir lieb auch von Ihnen zu hören, daß mein Urtheil über die Idylle und ihren Urheber mich nicht ganz getäuscht hat. Daß es eine weibliche Natur ist, ist wohl kein Zweifel, und dieser ganz naturalistische und dilettantische Ursprung erklärt und entschuldigt das ungehörige in der Behandlung.
Sie scheinen mir auf das Produkt meiner Schwägerin einen größern Einfluß einzuräumen, als ich mir gerechterweise anmaßen kann. Plan und Ausführung sind völlig frei und ohne mein Zuthun entstanden. Bei dem ersten Theil habe ich gar nichts zu sprechen gehabt, und er war fertig, eh ich nur seine Existenz wußte. Bloß Dieses dankt er mir, daß ich ihn von den auffallenden Mängeln einer gewissen Manier in der Darstellung befreite, aber auch bloß solcher, die sich durch Wegstreichen nehmen ließen, daß ich durch Zusammenziehung des bedeutenden ihm eine gewisse Kraftlosigkeit genommen und einige weitläuftige und leere Episoden ganz herausgeworfen. Bei dem zweiten Theil war an nichts zu denken als an das Fertigwerden, und bei diesem habe ich nicht einmal mehr auf die Sprache Einfluß gehabt. Wie also der zweite Theil geschrieben ist, so kann meine Schwägerin völlig ohne fremde Beihülfe schreiben. Es ist wirklich nicht wenig, bei so wenig solider und zweckmäßiger Cultur, und bloß vermittelst eines fast leidenden Auf sich wirken lassens und einer mehr hinträumenden als hellbesonnenen Existenz doch so weit zu gelangen als sie wirklich gelangt ist.
In dem Verzeichniß Ihrer Arbeits-Pensen für dieses Jahr finde ich Ihre neue Epopöe nicht, da ich doch glaubte, Sie würden schon im Spätjahr ernstlich daran gehen können: doch das können Sie ja selbst noch nicht wissen, wie die Göttin Sie führt.
Ihr längeres Ausbleiben vermehrt allerdings meinen Wallensteinischen Vorrath, und da ich diejenige Scene, welche am meisten von der äußern heitern Influenz abhängt, habe liegen lassen und zum ersten Ausflug in meinen Garten verschoben, so könnte ich in etlichen Wochen den dritten Akt geendigt haben. Der vierte und fünfte sind zusammen nicht größer als der erste, und machen sich beinahe von selbst.
Leben Sie recht wohl. Ich habe Besuch im Hause, von meiner Schwägerin, die Sie so wie auch meine Frau schönstens grüßt.
Sch.
417. An Schiller.
Das was Sie mir von Ihrem wenigern Einfluß auf Agnes von Lilien schreiben vermehrt meinen Wunsch daß die Verfasserin, im Stillen, die Arbeit, besonders des zweiten Theils, nochmals vornehmen, ihn an Geschichtsdetail reicher machen und in Reflexionen mäßiger halten möge. Das Werk ist es werth, um so mehr da sie schwerlich, ihrer Natur nach, ein zweites Süjet finden wird in dem sie sich so glücklich ergehen kann. Im zweiten Bande sind mehrere sehr glückliche Situationen, die durch die Eile mit der sie vorüberrauschen ihren Effect verfehlen. Ich wüßte nicht leicht einen Fall durch den man den Leser mehr ängstigen könnte als die Scheinheirath mit Julius; nur müßte freilich diese Stelle sehr retardirend behandelt werden.
Wenn Sie meiner Meinung sind, so suchen Sie die Verfasserin zu determiniren, um so mehr da es keine Eile hat, und man natürlich den ersten Eindruck eine Zeit lang muß walten lassen.
Da ich von aller Production gleichsam abgeschnitten bin, so treibe ich mich in allerlei praktischem herum, obgleich mit wenig Freude. Es wäre möglich sehr viele Ideen, in ihrem ganzen Umfang, auszuführen wenn nicht die Menschen die Determination, die sie von den Umständen borgen, auch schon für Ideen hielten, woraus denn gewöhnlich die größten Pfuschereien entstehen, und bei Verwendung von weit mehr Mühe, Sorge, Geld und Zeit doch zuletzt nichts das eine gewisse Gestalt hätte, hervorgebracht werden kann. Mit stiller, aber desto lebhafterer Sehnsucht sehe ich dem Tage entgegen, der mich wieder zu Ihnen bringen soll.
Ich sende Ihnen Schlossers zweites Schreiben. Es wird mir interessant sein über diesen Mann und dessen abermalige Aeußerungen umständlicher zu sprechen, wenn wir zusammen kommen. Mir kommt nichts wunderbarer vor als daß er nicht merkt daß er im Grunde seinen Gott doch auch nur postulirt; denn was ist ein Bedürfniß das auf eine bestimmte Weise befriedigt werden muß, anders als eine Forderung?
Leben Sie recht wohl: es ist spät geworden und ich kann nur noch Sie und Ihre Frauenzimmer bestens grüßen.
Weimar am 7. Februar 1798.
G.
418. An Goethe.
Jena den 9. Februar 1798.
Herr Schlosser hätte besser gethan, die Wahrheiten, die ihm Kant, und die Impertinenzen, die Friedr. Schlegel ihm gesagt, in der Stille einzustecken. Mit seiner seinsollenden Apologie macht er Uebel ärger, und giebt sich die unverzeihlichsten Blößen. Die Schrift hat mich angeekelt, ich kann’s nicht läugnen, sie zeigt einen gegen lautere Ueberzeugung verstockten Sinn, eine incorrigible Gemüthsverhärtung, Blindheit wenigstens, wenn keine vorsetzliche Verblendung. Sie, der den Menschen besser kennt, erklären sich vielleicht richtiger und natürlicher durch eine unwillkürliche Beschränktheit, was ich, der die Menschen gerne verständiger annimmt als sie sind, mir nur durch eine moralische Unart erklären kann. Deßwegen indignirte mich diese Schrift mehr als sie vielleicht verdienen mag. In einen arroganten Philosophenton finde ich eine recht gemeine Saalbaderei eingekleidet: überall wird an das gemeine niedrige Interesse der menschlichen Natur appellirt, und nirgends finde ich eine Spur von einem eigentlichen Interesse für Wahrheit an sich selbst.
Es läßt sich im einzelnen über die Schrift nichts sagen, weil der eigentliche Punkt, auf den alles ankam, nämlich die Argumente des Kriticism anzugreifen und die Argumente für diesen neuen Dogmatism zu führen, gar nicht von weitem versucht worden ist. Es ist wirklich kein einziger philosophischer Gedanke da, der einen philosophischen Streit einleiten könnte. Denn was soll man dazu sagen, wenn nach so vielen und gar nicht verlorenen Bemühungen der neuen Philosophen, den Punkt des Streits in die bestimmtesten und eigentlichsten Formeln zu bringen, wenn nun einer, mit einer Allegorie anmarschirt kommt, und was man sorgfältig dem reinen Denkvermögen zubereitet hatte, wieder in ein Helldunkel hüllt, wie dieser Herr Schlosser bei der Vorlegung der vier philosophischen Secten thut.
Es ist wirklich nicht zu verzeihen, daß ein Schriftsteller der auf eine gewisse Ehre hält, auf einem so reinlichen Felde als das philosophische durch Kant geworden ist, so unphilosophisch und unreinlich sich betragen darf. Sie und wir andern rechtlichen Leute wissen z. B. doch auch, daß der Mensch in seinen höchsten Funktionen immer als ein verbundenes Ganzes handelt, und daß überhaupt die Natur überall synthetisch verfährt – Deßwegen aber wird uns doch niemals einfallen, die Unterscheidung und die Analysis, worauf alles Forschen beruht, in der Philosophie zu verkennen, so wenig wir dem Chemiker den Krieg darüber machen, daß er die Synthesen der Natur künstlicherweise aufhebt. Aber diese Herren Schlosser wollen sich auch durch die Metaphysik hindurch riechen und fühlen, sie wollen überall synthetisch erkennen, aber in diesem anscheinenden Reichthum verbirgt sich am Ende die ärmlichste Leerheit und Plattitüde, und diese Affectation solcher Herren, den Menschen immer bei seiner Totalität zu behaupten, das physische zu vergeistigen und das geistige zu vermenschlichen, ist fürchte ich nur eine klägliche Bemühung, ihr armes Selbst in seiner behaglichen Dunkelheit glücklich durchzubringen.
Wir werden, wenn Sie kommen, über diese Materie noch vieles sprechen, aber der Schrift selbst werden wir dabei nicht viel zu danken haben. Schlosser wird übrigens seine Absicht nicht ganz verfehlen, er wird seine Partei, die Unphilosophen, bestärken, denn um die Philosophen mag es ihm überhaupt nicht zu thun sein.
Leben Sie recht wohl. Das Schmutzwetter ist meinem Fleiße nicht sehr günstig, da es die alten Nebel Katarrh und Schnupfen wieder zurückgebracht hat.
Meine Frau empfiehlt sich bestens.
Sch.
419. An Schiller.
Nach einer Redoute, welche meine Fakultäten schlimmer von einander getrennt hat als die Philosophie nur immer thun kann, war mir Ihr lieber Brief sehr erfreulich und erquicklich. Mir war die Schlosserische Schrift nur die Aeußerung einer Natur, mit der ich mich schon seit dreißig Jahren im Gegensatz befinde, und da ich eben in einem wissenschaftlichen Fache in dem Falle bin über beschränkte Vorstellungsarten, Starrsinn, Selbstbetrug und Unredlichkeit zu denken so war mir diese Schrift ein merkwürdiger Beleg. Die Newtonianer sind in der Farbenlehre offenbar in demselbigen Fall, ja der Pater Castel gibt geradezu Newton selbst Unredlichkeit schuld, und gewiß geht die Art wie er aus seinen Lectionibus opticis die Optik zusammenschrieb in diesem Sinne über alle Begriffe. Er hat offenbar die schwache Seite seines Systems eingesehen. Dort trug er seine Versuche vor wie einer der von seiner Sache überzeugt ist und in der Ueberzeugung mit der größten Confidenz Blößen giebt; hier stellt er das Scheinbarste voraus, erzwingt die Hypothese und verschweigt, oder berührt nur ganz leise, was ihm zuwider ist.
Was uns im theoretischen so auffallend ist sehen wir im praktischen alle Tage. Wie sehr der Mensch genöthigt ist, um sein einzelnes einseitiges, ohnmächtiges Wesen nur zu etwas zu machen, gegen Verhältnisse die ihm widersprechen die Augen zuzuschließen und sich mit der größten Energie zu sträuben, glaubt man seiner eignen Anschauung nicht, und doch liegt auch hievon der Grund in dem tiefern, bessern der menschlichen Natur, da er praktisch immer constitutiv sein muß und sich eigentlich um das was geschehen könnte nicht zu bekümmern hat, sondern um das was geschehen sollte. Nun ist aber das letzte immer eine Idee, und er ist concret im concreten Zustande; nun geht es in ewigem Selbstbetrügen fort um dem Concreten die Ehre der Idee zu verschaffen u. s. w., einen Punkt den ich schon in einem vorigen Briefe berührte und der einen im praktischen oft selbst überrascht und uns an andern ganz zur Verzweiflung bringt.
Die Philosophie wird mir deßhalb immer werther weil sie mich täglich immer mehr lehrt mich von mir selbst zu scheiden, das ich um so mehr thun kann da meine Natur, wie getrennte Quecksilberkugeln, sich so leicht und schnell wieder vereinigt. Ihr Verfahren ist mir darin eine schöne Beihülfe und ich hoffe bald durch mein Schema der Farbenlehre uns Gelegenheit zu neuen Unterhaltungen zu geben.
Ich habe diese Tage das Werk des Robert Boyle über die Farben gelesen und kenne in diesem ganzen Felde noch keine schönere Natur. Mit einer entschiednen Neigung zu einer gewissen Erklärungsart, die freilich auf den chemischen Theil, den er bearbeitet, noch so leidlich paßt, erhält er sich eine schöne Liberalität, die ihn einsehen läßt daß für andere Phänomene andere Vorstellungsarten bequemer sind. Die Unvollkommenheiten seiner Arbeit erkennt er sehr klar, und seine Darstellung ist in diesem Sinne sehr honett. Er unterläßt nicht seine Meinung vorzutragen und auszuführen, aber immer wie einer der mit einem Dritten spricht, mit einem jungen Manne, und diesen immer ermahnt alles noch besser zu untersuchen und zu überdenken. Er berührt fast alle bedeutende Fragen und beurtheilt das meiste mit sehr viel Sinn. Nur die zwei ersten Abtheilungen seines Werks sind eigentlich ausgearbeitet; im letzten sind die Experimente weniger methodisch zusammengestellt. Er schrieb das Werk, da er schon sehr an den Augen litt, aus einzelnen Papieren und aus dem Gedächtniß zusammen, um das was er gedacht und erfahren hatte nicht untergehen zu lassen. Er spricht mit einer erfreulichen Klarheit und Wahrheit vom Werth und Unwerth seiner Bemühungen und scheint mir bis jetzt in diesem Fache der einzige der nach des Baco gutem Rath gearbeitet hat. Sein Buch kam ein Jahr früher heraus ehe Newton auf seine Hypothese fiel und mit derselben ganz antibaconisch dieses Feld tyrannisirte. Wären nur noch zwei Menschen auf Boyle gefolgt welche dieses Fach in seiner Art fortbearbeitet hätten, so wäre uns nichts zu thun übrig geblieben und ich hätte meine Zeit vielleicht besser anwenden können. Doch man wendet seine Zeit immer gut auf eine Arbeit die uns täglich einen Fortschritt in der Ausbildung abnöthigt. Leben Sie recht wohl.
Ich wünsche guten Succeß Ihrer Arbeiten.
Weimar am 10. Februar 1798.
G.
420. An Goethe.
Jena den 13. Februar 1798.
Ich suchte mich über Ihr längeres Ausbleiben durch meinen Fleiß und durch die Aussicht zu trösten, Ihnen desto mehr von meiner Arbeit vorlegen zu können, aber die Jahrszeit und die unordentliche Witterung ist mir gar nicht günstig und hindert alle meine Fortschritte, einer lebhaften Neigung und guten Stimmung zum Trotze. Der Kopf ist mir wieder seit fast acht Tagen von einem katarrhalischen Zufall angegriffen und das alte Uebel plagt mich auch. Um mein Gemüth frisch zu erhalten, darf ich an meine gegenwärtige Arbeit nicht einmal denken, ich beschäftige mich mit dem Gedanken an eine entferntere und mit allgemeinen Ideen.
Da ich seit diesem Winter viele Reisebeschreibungen las, so habe ich mich nicht enthalten können , zu versuchen, welchen Gebrauch der Poet von einem solchen Stoffe wohl mochte machen können, und bei dieser Untersuchung ist mir der Unterschied zwischen einer epischen und dramatischen Behandlung neuerdings lebhaft geworden.
Es ist keine Frage, daß ein Weltentdecker oder Weltumsegler wie Cook einen schönen Stoff zu einem epischen Gedichte entweder selbst abgeben oder doch herbeiführen könnte; denn alle Requisite eines epischen Gedichts, worüber wir übereingekommen, finde ich darin, und auch das wäre dabei sehr günstig, daß das Mittel dieselbe Dignität und selbstständige Bedeutung hätte, wie der Zweck selbst, ja daß der Zweck mehr des Mittels wegen da wäre. Es ließe sich ein gewisser menschlicher Kreis darin erschöpfen, was mir bei einem Epos wesentlich däucht, und das physische würde sich mit dem moralischen zu einem schönen Ganzen verbinden lassen.
Wenn ich mir aber eben diesen Stoff als zu einem Drama bestimmt denke, so erkenne ich auf einmal die große Differenz beider Dichtungsarten. Da incommodirt mich die sinnliche Breite eben so sehr als sie mich dort anzog; das physische erscheint nun bloß als ein Mittel, um das moralische herbei zu führen; es wird lästig durch seine Bedeutung und den Anspruch den es macht, und kurz der ganze reiche Stoff dient nun bloß zu einem Veranlassungsmittel gewisser Situationen, die den innern Menschen ins Spiel setzen.
Es nimmt mich aber wirklich Wunder, daß ein solcher Stoff Sie noch nicht in Versuchung geführt hat, denn hier finden Sie beinahe schon von selbst fertig, was so nöthig und doch so schwierig ist, nämlich die persönliche und physische Wirksamkeit des natürlichen Menschen mit einem gewissen Gehalt den nur die Kunst ihm geben konnte vereinigt. Le Vaillant auf seinen afrikanischen Zügen ist wirklich ein poetischer Charakter und ein wahrhaft mächtiger Mensch, weil er mit aller Stärke der thierischen Kräfte und allen unmittelbar aus der Natur geschöpften Hülfsmitteln die Vortheile verbindet, welche nur die Kultur gewährt.
Leben Sie wohl für heute. Ich werde eben, Nachts um acht Uhr, zum Mittagessen gerufen. Meine Frau grüßt schön.
Sch.
421. An Schiller.
Ich übersende, was Sie wohl nicht erwarten, die Phänomene und hypothetischen Enunciationen über die Farbenlehre, nach den Kategorien aufgestellt. So wenig eine solche Arbeit mich kleiden mag, so werden Sie doch meine Absicht löblich finden Ihnen entgegen zu arbeiten, und Sie für diese Sache noch mehr zu interessiren, da denn doch jetzt auf die klarste Darstellung des Ganzen alles ankommt. Unter Ihren Händen wird dieses Blatt gar bald eine andere Gestalt gewinnen.
Ich habe eine Erklärung der Terminologie meiner dreifachen Eintheilung vorausgeschickt und einige Bemerkungen nachgebracht. Nehmen Sie mit dem was ich gebe einstweilen vorlieb, bis ich komme und die Sache durch ein lebhaftes Gespräch geschwind ein paar Stufen überspringt. Ich suche jetzt zu erlangen daß mir kein Name in der ganzen Literargeschichte dieses Faches ein bloßer Name sei. Dann ist der sittliche Charakter von der wissenschaftlichen Wirkung ganz unzertrennlich. Dabei ist unglaublich wie sehr die Wissenschaft retardirt worden ist, weil man immer nur von einzelnen praktischen Bedürfnissen ausging, diese zu befriedigen sich im einzelnen lange bei gewissen Punkten verweilte, und sich im Allgemeinen mit Hypothesen und Theorien übereilte. Doch bleibt es immer ein reizender Anblick wie, durch alle Hindernisse, der Menschenverstand seine impräscriptiblen Rechte verfolgt, und mit Gewalt zur möglichsten Uebereinstimmung der Ideen und der Gegenstände losdringt. Ich hoffe ehe ich am Ende der Arbeit bin soll sich auch alle Bitterkeit gegen den Widerstand verloren haben; ich hoffe ich werde darüber so frei fühlen als denken.
Die wiederholte Nachricht von Ihrem Uebelbefinden betrübt mich sehr. Es ist gerade jetzt das einzige böse das mich in meinem Verhältnisse trifft und ist mir um desto empfindlicher.
Mein längerer Aufenthalt hier am Orte bewirkt mir immer eine freiere Aussicht auf die nächste Zeit. Und in diesem Sinne freue ich mich mehr auf die bevorstehende Reise nach Jena.
Ich bin mit Ihnen völlig überzeugt daß in einer Reise, besonders von der Art die Sie bezeichnen, schöne epische Motive liegen, allein ich würde nie wagen einen solchen Gegenstand zu behandeln, weil mir das unmittelbare Anschauen fehlt und mir in dieser Gattung die sinnliche Identification mit dem Gegenstande, welche durch Beschreibungen niemals gewirkt werden kann, ganz unerläßlich scheint.
Ueberdieß hätte man mit der Odyssee zu kämpfen, welche die interessantesten Motive schon weggenommen hat. Die Rührung eines weiblichen Gemüths durch die Ankunft eines Fremden, als das schönste Motiv, ist nach der Nausikaa gar nicht mehr zu unternehmen. Wie weit steht nicht, selbst im Alterthum, Medea, Helena, Dido schon den Verhältnissen nach hinter der Tochter des Alcinous zurück. Die Narine des Vaillants, oder etwas ähnliches, würde immer nur Parodie jener herrlichen Gestalten bleiben. Dabei komme ich aber auf meinen ersten Satz zurück: daß uns die unmittelbare Erfahrung vielleicht zu Situationen Anlaß gäbe die noch Reiz genug hätten. Wie nöthig aber eine unmittelbare Anschauung sei wird aus folgendem erhellen:
Uns Bewohner des Mittellandes entzückt zwar die Odyssee, es ist aber nur der sittliche Theil des Gedichts der eigentlich auf uns wirkt; dem ganzen beschreibenden Theile hilft unsere Imagination nur unvollkommen und kümmerlich nach. In welchem Glanze aber dieses Gedicht vor mir erschien als ich Gesänge desselben in Neapel und Sicilien las ! Es war als wenn man ein eingeschlagnes Bild mit Firniß überzieht, wodurch das Werk zugleich deutlich und in Harmonie erscheint. Ich gestehe daß es mir aufhörte ein Gedicht zu sein, es schien die Natur selbst, das auch bei jenen Alten um so nothwendiger war, als ihre Werke in Gegenwart der Natur vorgetragen wurden. Wie viele von unsern Gedichten würden aushalten auf dem Markte oder sonst unter freiem Himmel vorgelesen zu werden.
Leben Sie recht wohl und grüßen Sie Ihre liebe Frau. Benutzen Sie jede guten Augenblicke .
Weimar am 14. Februar 1798.
G.
422. An Goethe.
Jena den 16. Februar 1798.
Es ist eine mißliche Unternehmung einen so vermischten empirischen Stoff nach einer Form zu behandeln, die den Anspruch auf eine erschöpfende Vollständigkeit mit sich führt. Weil die zwölf Kategorien alle mögliche Hauptfragen enthalten, die an einen Gegenstand gemacht werden können, so muß, wenn richtig subsumirt worden, ein Gefühl von Befriedigung erfolgen, welches ich aber gar nicht habe, sondern eher das Gegentheil. Indessen glaube ich liegt es mehr an der Materie als an Ihrer Ausführung, daß diese noch ein viel zu rhapsodistisches und daher willkürliches Ansehen hat. Es liege aber woran es will, so zweifle ich sehr, daß Sie mich auf diesem Wege sich näher bringen werden: denn unter einer so strengen Form, die eine Forderung der Totalität unausbleiblich erregt, wird mir dieser empirische Gegenstand immer als eine unübersehbare Masse erscheinen, und ich werde gerade deßwegen, weil der Verstand darüber herrschen will, meine empirische Insufficienz empfinden.
Wenn die Kategorienprobe überhaupt stattfinden und von Nutzen sein soll, so muß sie, däucht mir, mit dem allgemeinsten und einfachsten der Farbenlehre angestellt werden, ehe von den besondern Bestimmungen die Rede ist, denn diese können nur Verwirrung erregen.
Ferner scheint mir daraus eine Verwirrung entsprungen zu sein, daß Sie nicht immer bei dem nämlichen Subject der Frage geblieben, sondern in der einen Kategorie das Licht, in der andern die Farbe vor Augen hatten, wie es sich am gelegensten machte, da doch das Wesen dieser ganzen Operation darauf beruht, daß die Kategorien immer nur die Prädicate hergeben, das Subject, von welchem prädicirt wird, aber immer dasselbe bleibt.
Ich verspare es auf unsere mündliche Communicationen, auf die Sache genauer einzugehen, weil das Gespräch mir viel schneller forthelfen wird. Nur ein paar Anmerkungen will ich vorläufig niederschreiben.
Bei dem Moment der Qualität müßte däucht mir die wichtige Frage beantwortet werden, ob die Farbe als positive eigene Energie oder nur als limitirte Licht-Energie wirkt, und ob mithin bei der Wirkung der Farbe das eigentlich wirkende nur das Licht, die Farben-Erscheinung selbst aber nur eine eigen modificirte Negation des Lichts ist. (Ohne Licht giebt es für das Auge natürlich keine Farbe, weil das Licht die Bedingung alles Sehens ist. Aber ohne Licht giebt es für das Auge auch keine Gestalt, Größe etc. – und es fragt sich also, ob nicht die Qualität der Farbe auch unabhängig vom Licht existirt.)
Bei der Relation müßte also gefragt werden:
1. Ist die Farbe nur ein Accidens vom Licht, und mithin nichts substantielles?
2. Ist die Farbe bloß Wirkung des Lichts?
3. Ist sie das Produkt einer Wechselwirkung zwischen dem Licht und einem von demselben verschiedenen substantiellen Agens = x? (Weil bei der Kategorie der Relation alles nur relativ genommen wird, so wird bei obiger Frage das Licht als eine Substanz gleich gesetzt, und die Frage ist also bloß: ist die Farbe durchaus nur ein Accidens, relativ vom Licht, oder ist sie auch etwas selbstständiges?)
Sollte es nicht vielleicht zu fruchtbaren Ansichten führen, wenn die Farbe in dreifacher Beziehung betrachtet würde
1. in Beziehung auf das Licht und die Finsterniß;,
2. in Beziehung auf das Auge,
3. in Beziehung auf die Körper an denen sie erscheint.
Ihre Eintheilung der Farben hat mir jetzt noch etwas nicht völlig bestimmtes, daher ich nicht gewiß weiß, ob ich bei dem was Sie z. B. physische Farbe nennen, gerade das rechte denke. So wie es jetzt dasteht denke ich mir darunter prismatische Farben. Unter chemischen Farben verstehe ich Pigmente.
Ich habe heute wieder versucht zu arbeiten, aber ich werde einige Zeit brauchen, um die rechte Stimmung wieder zu finden.
Leben Sie recht wohl mit Meyern. Die Idylle von der Capelle im Walde erbitte ich mir gelegenheitlich zurück.
Meine Frau grüßt Sie herzlich.
Sch.
423. An Schiller.
(Weimar 17. Februar 1798.)
So sehr ich die Unvollkommenheit jenes ersten Versuches fühlte und fühle, so ein großes Vertrauen habe ich doch auf eine bessere Ausführung, bei der Sie mir gewiß, wenn wir nur erst wieder zusammenkommen, aufs nachdrücklichste beistehen werden.
Der Hauptfehler jener Arbeit, den Sie auch mit Recht bemerken, ist daß ich nicht immer bei dem nämlichen Subject geblieben bin, und daß ich bald Licht bald Farbe bald das allgemeinste bald das besonderste genommen habe.
Das hat aber gar nichts zu sagen! – Wenn man statt Einer Tabelle drei macht, und sie ein halb dutzendmal umschreibt, so müssen sie schon ein ander Ansehen gewinnen.
Ich glaube zwar selbst daß die empirische Masse von Phänomenen, die, wenn man sie recht absondert und nicht muthwillig verschmilzt, eine sehr große Zahl ausmachen und eine ungeheure Breite einnehmen, sich zu einer Vernunfteinheit schwerlich bequemen werden, aber auch nur die Methode des Vortrags zu verbessern ist jede Bestrebung der Mühe werth.
Auch ist meine Eintheilung diejenige die Sie verlangen:
1. In Beziehung aufs Auge physiologische
2. in Beziehung auf Licht und Finsternis physische , welche alle ohne Mäßigung und Gränze nicht bestehen und von denen die prismatischen nur eine Unterabtheilung sind.
3. Chemische die uns an Körpern erscheinen.
Wenn man diese Eintheilung auch nicht weiter als zum Vortrage geben will, so kann sie doch nicht entbehrt werden und bis jetzt weiß ich keine andere zu machen.
Was mich aber eigentlich zu jenem Schema nach den Kategorien geführt hat, ja was mich genöthigt auf dessen Ausführung zu bestehen, ist die Geschichte der Farbenlehre.
Sie theilt sich in zwei Theile, in die Geschichte der Erfahrungen und in die Geschichte der Meinungen, und die letztere müssen doch alle unter den Kategorien stehen.
Eine Sonderung ist daher höchst nöthig, vorzüglich weil man sonst nicht durch die neuern Aristoteliker durchkommt, welche die ganze Naturwissenschaft und besonders auch dieses Capitel ins metaphysische, oder vielmehr ins dialectische Fach spielten. Dabei, scheint mir’s, haben sie wirklich die möglichen Vorstellungsarten erschöpft, und es wäre interessant sie in einer reinen Ordnung neben einander zu sehen; denn weil die Natur von so unerschöpflicher und unergründlicher Art ist daß man alle Gegensätze und Widersprüche von ihr prädiciren kann, ohne daß sie sich im mindesten dadurch rühren läßt, so haben die Forscher von jeher sich dieser Erlaubnis redlich bedient, und auf eine so scharfsinnige Art die Meinungen gegen einander gestellt daß die größte Verwirrung daraus entstand, welche nur durch eine allgemeine Uebersicht des Prädikabeln zu heben ist.
Ich bin überzeugt und es wird sich in der Folge darthun lassen daß das Newtonische System nach und nach sich so viel Bekenner erwarb, weil ein Emanations- oder Emissionssystem, wie man’s nennen will, doch immer nur eine Art von mystischer Eselsbrücke ist, die den Vortheil hat aus dem Lande der unruhigen Dialectik in das Land des Glaubens und der Träume hinüber zu führen.
Das erste meo voto sollte also sein: die Lehre vom Licht und von den Farben im allgemeinsten, jede besonders, nach den Kategorien aufzustellen, wobei man sich alles empirisch Einzelnen enthalten müßte.
Das empirisch Einzelne ist nun schon nach den drei Eintheilungen, die mit Ihren geforderten übereinstimmen, aufgestellt. Nächstens erhalten Sie wohl das Schema über das Ganze, Sie werden sich über die ungeheure Masse verwundern, wenn Sie solche nur erst im Detail sehen.
Alles rückt in übersehbare Ordnung zusammen, und ich werde mich hüten irgend einen Theil auszuarbeiten, bis ich an meinem Schema nichts mehr zu bessern weiß, dann ist aber auch die Arbeit so gut als gethan. Ich bitte Sie um gefälligen Beistand, durch Einstimmung und Opposition; die letzte ist mir immer nöthig, niemals aber mehr als wenn ich in das Feld der Philosophie übergehe, weil ich mich darin immer mit Tasten behelfen muß.
Ich habe diese Woche ein Dutzend Autoren, die in meinem Fache geschrieben haben, nur flüchtig durchgesehen, um für die Geschichte einige Hauptmomente zu finden, und fühle ein Zutrauen daß sich aus derselben etwas artig-lesbares wird machen lassen, weil das besondere angenehm, und das allgemeine menschlich weitgreifend ist. Indessen fürchte ich und wünsche ich, daß der momentane Trieb zu dieser Materie mich bald verlassen und einem poetischen Platz machen möge. Doch kann ich immer zufrieden sein daß ich in meiner jetzigen zerstreuten Lage noch ein Interesse habe das mich durch alles durchhält.
G.
424. An Schiller.
Herr von Brinkmann , der um Sie zu sehen nach Jena geht, wünscht einige Worte von mir mitzunehmen. Da er Ihnen durch die Musen schon empfohlen ist, und seine lebhafte Unterhaltung Ihnen gewiß angenehm sein wird, so brauche ich weiter nichts zu sagen.
Meinen gestrigen Brief konnte ich nicht einmal mit einem Gruße schließen, so ging alles bei mir durcheinander. Leben Sie recht wohl und grüßen Ihre liebe Frau; wie sehr wünsche ich zu vernehmen, daß Ihre Arbeit bald wieder in Gange sei.
Weimar am 18. Februar 1798.
G.
425. An Goethe.
Jena den 20. Februar 1798.
Da ich eine Zeitlang »von dem Schall der menschlichen Rede« fast ganz entfernt lebte, so war mir die lebhafte Gesprächigkeit des Freundes, der mir gestern Ihren Brief überbrachte, sehr erfrischend und ergötzend. Es ist überhaupt unterhaltend, einen Leser zu sehen, und sich die eigenen oder fremden Ideen in irgend einer Gestalt wiedergeben zu lassen. Diesem sieht man übrigens die Filiation stark an, weil er durch Humboldts in unsern Kreis gezogen worden. Eigen ist es, wie sich bei einem gewissen Zustand der Literatur ein solches Geschlecht von Parasiten oder wie Sie’s nennen wollen, erzeugt, die sich aus dem was von andern geleistet ist, eine gewisse Existenz bilden, und ohne das Reich der Kunst oder Wissenschaft selbst zu bereichern oder zu erweitern, doch zum Vertrieb dessen dienen, was da ist, Ideen aus Büchern ins Leben bringen, und wie der Wind oder gewisse Vögel den Samen dahin und dorthin streuen. Als Zwischenläufer zwischen dem Schriftsteller und dem Publikum muß man sie wirklich sehr in Ehren halten, obgleich es gefährlich sein möchte, sie mit dem Publikum zu verwechseln. Uebrigens hat dieser gegenwärtige Freund einen feinen Sinn und bei seinem raisonnirenden Hange scheint er mir eine zarte Empfindung zu besitzen, dabei eine besondre Geschmeidigkeit, sich in fremdes zu finden, ja es sich anzueignen. Gegen Humboldt gehalten scheint er mir zwar ein viel flacheres Urtheil und schwankendere Begriffe, aber mehr Gefühl zu haben .
Die Anwendung der Kategorien auf Ihren aufgehäuften Stoff kann für Sie nicht anders als fruchtbar sein. Indem es zugleich eine treffliche Recapitulation ist, thut Ihnen dieses Geschäft die Dienste eines Freundes von entgegengesetzter Natur. Es zwingt Sie, wie ich mir’s vorstelle, zu strengen Bestimmungen, Grenzscheidungen, ja harten Oppositionen, wozu Sie von sich selbst nicht so geneigt sind, weil Sie der Natur Gewalt anzuthun fürchten; und weil diese Härte und Strenge, so gefährlich sie auch im einzelnen aussieht, durch die Totalität des Geschäfts selbst, immer wieder gut gemacht wird, so werden Sie, durch diese Operation, immer wieder befriedigend zu Ihrer eignen Vorstellungsweise zurückgeführt. Diesen Dienst leistet Ihnen vorzugsweise der Begriff der Wechselwirkung und der Limitation; Sie werden aber auch bei dem der Allheit und der Notwendigkeit das nämliche erfahren. Da Sie bei dem Werke selbst polemisch zu sein nicht vermeiden können, so giebt Ihnen die Kategorienprobe einen entschiedenen Vortheil, und wie sehr sie Ihnen zur Uebersicht des historischen Theiles dient, begreife ich sehr gut.
Auf das Schema selbst bin ich jetzt mehr als jemals begierig, und wenn Sie kommen, so wollen wir uns mit rechter Lust und Ernst darüber verbreiten; ich finde es, unabhängig von der Sache selbst, die mich so sehr interessirt zu approfondiren, sehr interessant Ihnen die Stelle eines guten Lesers zu vertreten und zu versuchen wie sich die doppelte Rücksicht auf den Gegenstand und auf das subjective Bedürfniß des Lesers in Einer und derselben Wendung vereinigen läßt.
Da ich so oft in meiner Arbeit gehemmt werde und deßwegen das Ende noch nicht absehen kann, so ängstigen mich die Nachfragen nach dem Wallenstein, die nun anfangen von außen an mich zu geschehen. Schröder will ihn selbst spielen und scheint nicht ungeneigt , selbst in Weimar darin auftreten zu wollen. Auch Unger aus Berlin schreibt mir gestern, daß mir das Berliner Theater jedes beliebige Honorar bezahlen wolle, wenn ich das Stück ihm noch vor dem Abdruck senden wolle. Wäre ich nur erst fertig! Die Arbeit geht jetzt wieder ein wenig, obgleich mir der Kopf noch nicht recht frei ist.
Leben Sie recht wohl. Meine Frau geht morgen hinüber, um die Zauberflöte zu hören, wird Sie aber, da sie in der Nacht wieder geht, schwerlich sprechen können. Kommen Sie nur endlich einmal, wir sehnen uns nach den hübschen Abenden. Meyern recht viele Grüße.
Sch.
426. An Schiller.
Heute früh erwartete ich vergebens einen Brief von Ihnen, wenn nur nicht das Außenbleiben desselben auf ein Uebelbefinden deutet.
Brinkmann war sehr erfreut mit Ihnen einige Stunden vertraulich zugebracht zu haben. Seine lebhafte Theilnahme an so vielem verdient wirklich eine gute Aufnahme; gestern aß er mit mir und ich hatte ihn zwischen unsere zwei liebenswürdige Schriftstellerinnen placirt, wo er sich außerordentlich gut befand. Eigentlich aber scheint er mir eine rechte Natur für ein so großes Element wie Berlin zu sein.
Sagen Sie mir doch Ihre Gedanken über die Versart in welcher der Schlegelsche Prometheus geschrieben ist. Ich habe etwas vor das mich reizt Stanzen zu machen, weil sie aber gar zu obligat und gemessen periodisch sind, so habe ich an jenes Sylbenmaß gedacht, es will mir aber bei näherer Ansicht nicht gefallen, weil es gar keine Ruhe hat und man wegen der fortschreitenden Reime nirgends schließen kann.
Sonst habe ich noch manches durchgedacht um die Anforderungen an die rationelle Empirie nach Ihrer Ausführung, die Sie mir vor einigen Wochen zuschickten, noch recht nach meiner Art durchzuarbeiten. Ich muß damit aufs reine kommen ehe ich wieder an den Baco gehe, zu dem ich abermals ein großes Zutrauen gewonnen habe. Ich lasse mich auf diesem Wege nichts verdrießen und ich sehe schon voraus daß wenn ich mein Farben-Capitel gut durchgearbeitet haben werde, ich in manchem andern mit großer Leichtigkeit vorschreiten kann. Nächstens mehr und ich hoffe bald mündlich.
Weimar am 21. Februar 1798.
G.
427. An Goethe.
Jena den 23. Februar 1798.
Bei der Art wie Sie jetzt Ihre Arbeiten treiben haben Sie immer den schönen doppelten Gewinn, erstlich die Einsicht in den Gegenstand und dann zweitens die Einsicht in die Operation des Geistes, gleichsam eine Philosophie des Geschäfts, und das letzte ist fast der größere Gewinn, weil eine Kenntniß der Geisteswerkzeuge und eine deutliche Erkenntniß der Methode den Menschen schon gewissermaßen zum Herrn über alle Gegenstände macht. Ich freue mich sehr darauf, wenn Sie hieher kommen, gerade über dieses allgemeine in Behandlung der Empirie recht viel zu lernen und nachzudenken. Vielleicht entschließen Sie sich dieses Allgemeine, an der Spitze Ihres Werks, recht ausführlich abzuhandeln und dadurch dem Werke, sogar unabhängig von seinem besondern Inhalt, einen absoluten Werth für alle diejenigen, welche über Naturgegenstände nachdenken, zu verschaffen. Baco sollte Sie billig dazu veranlassen.
Was Ihre Anfrage wegen des Sylbenmaßes betrifft, so kommt freilich das meiste auf den Gegenstand an, wozu Sie es brauchen wollen. Im allgemeinen gefällt mir dieses Metrum auch nicht, es leiert gar zu einförmig fort, und die feierliche Stimmung scheint mir unzertrennlich davon zu sein. Eine solche Stimmung ist es wahrscheinlich nicht, was Sie bezwecken. Ich würde also die Stanzen immer vorziehen, weil die Schwierigkeiten gewiß gleich sind, und die Stanzen ungleich mehr Anmuth haben.
Ich erfahre über Paris (durch Humboldt) daß Schlegels Jena verlassen und nach Dresden ziehen wollen. Haben Sie vielleicht auch davon gehört?
Nach dem, was meine Frau mir sagte, hat Brinkmann in Weimar gar großes Glück gemacht, und besonders am verwittweten Hofe. Er ist ein sehr unterhaltender Mensch in Gesellschaft und schlau genug, das Geistreiche und das Triviale an beiden Enden zusammenzuknüpfen.
Humboldt schreibt mir auch das Urtheil, welches Voß über Ihren Hermann gefällt hat; er hat es von Vieweg, der jetzt in Paris ist. »Er habe gefürchtet, sagt Voß, der Hermann würde seine Luise in Vergessenheit bringen. Das sei nun zwar nicht der Fall, aber er enthalte doch einzelne Stellen, für die er seine ganze Luise hingeben würde. Daß Sie im Hexameter die Vergleichung mit ihm nicht aushalten könnten, sei Ihnen nicht zu verdenken, da dieß einmal seine Sache sei, aber doch finde er daß Ihre neuesten Hexameter viel vollkommener seien« – Man sieht, daß er auch keine entfernte Ahnung von dem innern Geist des Gedichts und folglich auch keine von dem Geist der Poesie überhaupt haben muß, kurz keine allgemeine und freie Fähigkeit, sondern lediglich seinen Kunsttrieb, wie der Vogel zu seinem Nest und der Biber zu seinen Häusern .
Leben Sie recht wohl. Meine Frau will auch noch etwas beilegen.
Sch.
Humboldts Brief kann ich nicht sogleich finden, ich will ihn ein andermal schicken.