1813
Die erneuerte Gegenwart Brizzis hatte der Oper einen eigenen Schwung gegeben, auch die Aufführung derselben italienisch möglich gemacht. Keinem Sänger ist diese Sprache ganz fremd: denn er muß sein Talent mehrenteils in selbiger produzieren; sie ist überhaupt für den, dem die Natur ein glückliches Ohr gegönnt, leicht zu erlernen. Zu größerer Bequemlichkeit und schnellerer Wirkung ward ein Sprachmeister angestellt. Ebenso hatte Ifflands Gegenwart alle Aufmerksamkeit unserer Schauspieler angeregt, und sie wetteiferten allzusamt, würdig neben ihm zu stehen. Wer in die Sache tief genug hineinsah, konnte wohl erkennen, daß die Übereinstimmung, die Einheit unserer Bühne diesem großen Schauspieler vollkommene Leichtigkeit und Bequemlichkeit gab, sich wie auf einem reinen Element nach Gefallen zu bewegen. Nach seiner Abreise wurde alles wieder ernstlich und treulich fortgesetzt, aber jedes künstlerische Bestreben durch Furcht vor immer näher herandringenden Kriegsereignissen dergestalt gelähmt, daß man sich begnügen mußte, mit den Vorräten auszulangen.
Poetischer Gewinn war dieses Jahr nicht reichlich; drei Romanzen: »Der Totentanz«, »Der getreue Eckart« und »Die wandelnde Glocke« verdienten einige Erwähnung. »Der Löwenstuhl«, eine Oper, gegründet auf die alte Überlieferung, die ich nachher in der Ballade »Die Kinder, die hören es gerne« ausgeführt, geriet ins Stocken und verharrte darin. Der Epilog zum »Essex« darf wohl auch erwähnt werden.
Der dritte Band meiner Biographie ward redigiert und abgedruckt und erfreute sich, ungeachtet äußerer mißlicher Umstände, einer guten Wirkung. Das italienische Tagebuch ward näher beleuchtet und zu dessen Behandlung Anstalt gemacht, ein Aufsatz zu Wielands Andenken in der Trauerloge vorgelesen und zu vertraulicher Mitteilung dem Druck übergeben.
Im Felde der Literatur ward manches Ältere, Neuere und Verwandte vorgenommen und mehr oder weniger durch Fortsetzung der Arbeit irgendeinem Ziele näher gebracht; besonders ist das Studium zu erwähnen, das man Shakespearen in bezug auf seine Vorgänger widmete.
Geographische Karten zu sinnlicher Darstellung der über die Welt verteilten Sprachen wurden mit Wilhelm von Humboldts Teilnahme bearbeitet, begrenzt und illuminiert; ebenso ward ich von Alexander von Humboldt veranlaßt, die Berghöhen der Alten und Neuen Welt in ein vergleichendes landschaftliches Bild zu bringen.
Hier ist nun am Platze, mit wenigem auszusprechen, wie ich das Glück, gleichzeitig mit den vorzüglichsten Männern zu leben, mir zu verdienen suchte.
Von dem Standpunkte aus, worauf es Gott und der Natur mich zu setzen beliebt und wo ich zunächst den Umständen gemäß zu wirken nicht unterließ, sah ich mich überall um, wo große Bestrebungen sich hervortaten und andauernd wirkten. Ich meinesteils war bemüht, durch Studien, eigene Leistungen, Sammlungen und Versuche ihnen entgegenzukommen und so, auf den Gewinn dessen, was ich nie selbst erreicht hätte, treulich vorbereitet, es zu verdienen, daß ich unbefangen, ohne Rivalität oder Neid, ganz frisch und lebendig dasjenige mir zueignen durfte, was von den besten Geistern dem Jahrhundert geboten ward. Und so zog sich mein Weg gar manchen schönen Unternehmungen parallel, nahm seine Richtung grad auf andere zu; das Neue war mir deshalb niemals fremd, und ich kam nicht in Gefahr, es mit Überraschung aufzunehmen oder wegen veralteten Vorurteils zu verwerfen.
Als Zeichen der Aufmerksamkeit auf das Allerbesonderste brachte ich Durchzeichnungen von Bildern aus einer alten Handschrift des »Sachsenspiegels« Kennern und Liebhabern in die Hände, welche denn auch davon den löblichsten Gebrauch machten und die Symbolik eines in Absicht auf bildende Kunst völlig kindischen Zeitalters gar sinnig und überzeugend auslegten.
Des Allerneuesten hier zu erwähnen, sendete mir Abbate Monti, früherer Verhältnisse eingedenk, seine Übersetzung der »Ilias«.
Als Kunstschätze kamen mir ins Haus: Gipsabguß von Jupiters Kolossalbüste, kleine Herme eines indischen Bacchus von rotem antiken Marmor, Gipsabgüsse von Peter Vischers Statuen der Apostel am Grabmal des heiligen Sebaldus zu Nürnberg. Vorzüglich bereicherten eine meiner liebwertesten Sammlungen päpstliche Münzen, doppelt erwünscht teils wegen Ausfüllung gewisser Lücken, teils weil sie die Einsichten in die Geschichte der Plastik und der bildenden Kunst überhaupt vorzüglich beförderten. Freund Meyer setzte seine Kunstgeschichte fort; Philostrats Gemälde belebten sich wieder, man studierte Heynes Arbeiten darüber; die kolossale Statue Domitians, von Statius beschrieben, suchte man sich gleichfalls zu vergegenwärtigen, zu restaurieren und an Ort und Stelle zu setzen. Die Philologen Riemer und Hand waren mit Gefälligkeit beirätig. Viscontis »Iconographie grecque« ward wieder aufgenommen, und in jene alten Zeiten führte mich unmittelbar ein höchst willkommenes Geschenk. Herr Bröndsted beschenkte mich im Namen der zu so bedeutenden Zwecken nach Griechenland Gereisten mit einem zum Spazierstabe umgeformten Palmenzweig von der Akropolis; eine bedeutende griechische Silbermünze vertrat die Stelle des Knopfes.
Damit man ja recht an solchen Betrachtungen festgehalten werde, fand sich Gelegenheit, die Dresdener Sammlung der Originalien sowohl als der Abgüsse mit Muße zu betrachten.
Indessen zog denn doch auch die Meisterschaft mancher Art, die den Neuern vorzüglich zuteil geworden, eine gefühlte Aufmerksamkeit an sich. Bei Betrachtung Ruisdaelischer Arbeiten entstand ein kleiner Aufsatz: »Der Landschaftsmaler als Dichter«.
Von Mitlebenden hatte man Gelegenheit, die Arbeiten Kerstings kennenzulernen, und Ursache, sie wertzuschätzen.
Naturwissenschaften, besonders Geologie, erhielten sich gleichfalls in der Reihe. Von Teplitz aus besuchte ich die Zinnwerke von Graupen, Zinnwald und Altenberg; in Bilin erfreute ich mich der Leitung des erfahrnen, klar denkenden Dr. Reuß; ich gelangte unter seiner Führung bis an den Fuß des Biliner Felsens, wo auf dem Klingstein in Masse der säulenförmige unmittelbar aufsteht: eine geringe Veränderung der Bedingungen mag die Veränderung dieses Gestaltens leicht bewirkt haben.
Die in der Nähe von Bilin sich befindenden Granaten, deren Sortieren und Behandlung überhaupt ward mir gleichfalls ausführlich bekannt.
Ebensoviel wäre von anderer Seite ein Besuch von Dr. Stolz in Aussig zu rühmen; auch hier erschien das große Verdienst eines Mannes, der seinen Kreis zunächst durchprüft und dem ankommenden Gast gleich so viel Kenntnisse mitteilt, als ihm ein längerer Aufenthalt kaum hätte gewähren können.
Aus dem mannigfaltigen Bücherstudium sind hier abermals Trebras »Erfahrungen vom Innern der Gebirge« und Charpentiers Werke zu nennen. Es war meine Art, auf Ansichten und Überzeugungen mitlebender Männer vorzüglich zu achten, besonders wenn sie nicht gerade der Schnurre des Tags angemessene Bewegung machen konnten.
Das intentionierte Schwefelbad zu Berka gab zu mancherlei Diskussionen Gelegenheit; man versuchte, was man voraussehen konnte, und ließ bewenden, was man nicht hätte beabsichtigen sollen.
Die entoptischen Farben erregten Aufmerksamkeit; unabhängig hievon hatte ich einen Aufsatz über den Doppelspat geschrieben.
Und so bemerke ich am Schlusse, daß die Instrumente für die jenaische Sternwarte bestellt und Klugens Werk über den animalischen Magnetismus beachtet wurde.
Bedeutende Personen wurden von mir gesehen. In Tharandt Forstmeister Cotta; in Teplitz Dr. Kapp, Graf Brühl, General Thielmann, Rittmeister von Schwanenfeld, Professor Dittrich vom Gymnasium zu Komotau, Großfürstinnen Katharina und Maria.
Nach der Schlacht von Leipzig in Weimar gesehen: Wilhelm von Humboldt; Graf Metternich; Staatskanzler von Hardenberg; Prinz Paul von Württemberg; Prinz August von Preußen; Kurprinzeß von Hessen; Professor Jahn, Chemikus; Hofrat Rochlitz.
Hier muß ich noch einer Eigentümlichkeit meiner Handlungsweise gedenken. Wie sich in der politischen Welt irgendein ungeheures Bedrohliches hervortat, so warf ich mich eigensinnig auf das Entfernteste. Dahin ist denn zu rechnen, daß ich von meiner Rückkehr aus Karlsbad an mich mit ernstlichstem Studium dem chinesischen Reich widmete und dazwischen, eine notgedrungene unerfreuliche Aufführung des »Essex« im Auge, der Schauspielerin Wolff zuliebe und um ihre fatale Rolle zuletzt noch einigermaßen glänzend zu machen, den »Epilog zu ›Essex‹« schrieb, gerade an dem Tage der Schlacht von Leipzig.
Zum Behuf meiner eigenen Biographie zog ich aus den »Frankfurter Gelehrten Zeitungen« vom Jahr 1772 und 1773 die Rezensionen aus, welche ganz oder zum Teil mir gehörten. Um in jene Zeiten mich noch mehr zu versetzen, studierte ich Mösers »Phantasien«, sodann aber auch Klingers Werke, die mich an die unverwüstliche Tätigkeit nach einem besondern, eigentümlichen Wesen gar charakteristisch erinnerten. In Absicht auf allgemeineren Sinn in Begründung ästhetischen Urteils hielt ich mich immerfort an Ernestis »Technologie griechischer und römischer Redekunst« und bespiegelte mich darinnen scherz-und ernsthaft mit nicht weniger Beruhigung, daß ich Tugenden und Mängel nach ein paar tausend Jahren als einen großen Beweis menschlicher Beschränktheit in meinen eigenen Schriften unausweichlich wieder zurückkehren sah.
Von Ereignissen bemerke vorläufig: Der französische Gesandte wird in Gotha überrumpelt und entkommt. Ein geringes Korps Preußen besetzt Weimar und will uns glauben machen, wir seien unter seinem Schutze sicher. Die Freiwilligen betragen sich unartig und nehmen nicht für sich ein. Ich reise ab, Begegnisse unterwegs. In Dresden russische Einquartierung, nachts mit Fackeln. Ingleichen der König von Preußen. In Teplitz Vertraulichkeiten. Vorläufige Andeutungen einer allgemeinen Verbindung gegen Napoleon. Schlacht von Lützen. Franzosen in Dresden. Waffenstillstand. Aufenthalt in Böhmen. Lustmanœuvre zwischen Bilin, Ossegg und Dux. Mannigfache Ereignisse in Dresden. Rückkehr nach Weimar. Die jüngste französische Garde zieht ein. General Travers, den ich als jenen Begleiter des Königs von Holland kennengelernt, wird bei mir zu seiner höchsten Verwunderung einquartiert. Die Franzosen ziehen alle vorwärts. Schlacht von Leipzig. Die Kosaken schleichen heran; der französische Gesandte wird hier genommen; die Franzosen von Apolda und Umpferstedt her andrängend. Die Stadt wird vom Ettersberg her überfallen. Die Österreicher rücken ein.
1814
Auf dem Theater sah man »Die Schuld« von Müllner. Ein solches Stück, man denke übrigens davon, wie man wolle, bringt der Bühne den großen Vorteil, daß jedes Mitglied sich zusammennehmen, sein möglichstes tun muß, um seiner Rolle nur einigermaßen gemäß zu erscheinen.
Die Lösung dieser Aufgabe bewirkte mehrere treffliche Vorstellungen von »Romeo und Julie«, »Egmont«, »Wallensteins Lager« und »Tod«. Alle Rollenveränderungen, die in diesen Stücken vorfielen, wurden benutzt zu sorgfältigen Didaskalien, um geübte und ungeübte Schauspieler miteinander in Harmonie zu setzen.
Indem man sich nun nach etwas Neuem, Fremdem und zugleich Bedeutendem umsah, glaubte man aus den Schauspielen Fouqués, Arnims und anderer Humoristen einigen Vorteil ziehen zu können und durch theatermäßige Bearbeitung ihrer öfters sehr glücklichen und bis auf einen gewissen Grad günstigen Gegenstände sie bühnengerecht zu machen: ein Unternehmen, welches jedoch nicht durchzuführen war, sowenig als bei den früheren Arbeiten von Tieck und Brentano.
Der Besuch des Fürsten Radziwill erregte gleich falls eine schwer zu befriedigende Sehnsucht; seine genialische, uns glücklich mit fortreißende Komposition zu »Faust« ließ uns doch nur entfernte Hoffnung sehen, das seltsame Stück auf das Theater zu bringen.
Unsere Schauspielergesellschaft sollte wie bisher auch diesmal der Gunst genießen, in Halle den Sommer durch Vorstellungen zu geben. Der wackere Reil, dem die dortige Bühne ihre Entstehung verdankte, war gestorben; man wünschte ein Vorspiel, das zugleich als Totenfeier für den trefflichen Mann gelten könnte; ich entwarf es beim Frühlingsaufenthalte zu Berka an der Ilm. Als ich aber, durch Iffland unerwartet aufgefordert, »Das Erwachen des Epimenides« unternahm, so wurde jenes durch Riemer nach Verabredung ausgearbeitet. Kapellmeister Weber besuchte mich wegen der Komposition des »Epimenides«, über die wir uns verglichen.
Das Monodram »Proserpina« wurde, nach Eberweins Komposition, mit Madame Wolff eingelernt und eine kurze, aber höchst bedeutende Vorstellung vorbereitet, in welcher Rezitation, Deklamation, Mimik und edelbewegte plastische Darstellung wetteiferten und zuletzt ein großes Tableau, Plutos Reich vorstellend und das Ganze krönend, einen sehr günstigen Eindruck hinterließ.
»Das Gastmahl der Weisen«, ein dramatisch-lyrischer Scherz, worin die verschiedenen Philosophen jene zudringlichen metaphysischen Fragen, womit das Volk sie oft belästigt, auf heitere Weise beantworten oder vielmehr ablehnen, war wohl nicht fürs Theater, doch für gesellschaftliche Musik bestimmt, mußte aber, wegen Anzüglichkeit, unter die Paralipomena gelegt werden.
Musikalische Aufmunterung durch Zelters Gegenwart und durch Inspektor Schützens Vortrag der Bachischen Sonaten.
Die Feierlichkeiten zur Ankunft des Herzogs aus dem glücklichen Feldzug erregten Vorbereitungen zu architektonischer Zierde der Straßen. Redaktion einer Gedichtsammlung, nachher unter dem Titel »Willkommen!« herausgegeben.
Indessen war die neue Ausgabe meiner Werke vorbereitet; der biographische dritte Band gelangte zu Jubilate ins Publikum. Die »Italienische Reise« rückte vor, der »West-östliche Divan« ward gegründet; die Reise nach den Rhein-, Main- und Neckargegenden gewährte eine große Ausbeute und reichlichen Stoff an Persönlichkeiten, Lokalitäten, Kunstwerken und Kunstresten.
In Heidelberg bei Boisserées: Studium der niederländischen Schule in Gefolg ihrer Sammlung. Studium des Kölner Doms und anderer alten Baulichkeiten nach Rissen und Planen. Letzteres fortgesetzt in Darmstadt bei Moller. Alte oberdeutsche Schule in Frankfurt bei Schütz. Von dieser Ausbeute und reichlichem Stoff an Menschenkenntnis, Gegenden, Kunstwerken und Kunstresten mitgeteilt in der Zeitschrift »Rhein und Main«.
Naturwissenschaft wurde sehr gefördert durch gefällige Mitteilung des Bergrat Cramer zu Wiesbaden an Mineralien und Notizen des Bergwesens auf dem Westerwalde. Das Darmstädter Museum, die Frankfurter Museen, Aufenthalt bei Geheimerat von Leonhard in Hanau. Nach meiner Rückkunft Sorge für Jena.
Von öffentlichen Ereignissen bemerke ich die Einnahme von Paris und daß ich der ersten Feier des 18. Oktobers in Frankfurt beiwohnte.
1815
Schon im vorigen Jahre waren mir die sämtlichen Gedichte Hafis’ in der von Hammerschen Übersetzung zugekommen, und wenn ich früher den hier und da in Zeitschriften übersetzt mitgeteilten einzelnen Stücken dieses herrlichen Poeten nichts abgewinnen konnte, so wirkten sie doch jetzt zusammen desto lebhafter auf mich ein, und ich mußte mich dagegen produktiv verhalten, weil ich sonst vor der mächtigen Erscheinung nicht hätte bestehen können. Die Einwirkung war zu lebhaft, die deutsche Übersetzung lag vor, und ich mußte also hier Veranlassung finden zu eigener Teilnahme. Alles, was dem Stoff und dem Sinne nach bei mir Ähnliches verwahrt und gehegt worden, tat sich hervor, und dies mit um so mehr Heftigkeit, als ich höchst nötig fühlte, mich aus der wirklichen Welt, die sich selbst offenbar und im stillen bedrohte, in eine ideelle zu flüchten, an welcher vergnüglichen Teil zu nehmen meiner Lust, Fähigkeit und Willen überlassen war.
Nicht ganz fremd mit den Eigentümlichkeiten des Ostens, wandt ich mich zur Sprache, insofern es unerläßlich war, jene Luft zu atmen, sogar zur Schrift mit ihren Eigenheiten und Verzierungen. Ich rief die »Moallakats« hervor, deren ich einige gleich nach ihrer Erscheinung übersetzt hatte. Den Beduinenzustand bracht ich mir vor die Einbildungskraft; »Mahomets Leben« von Oelsner, mit dem ich mich schon längst befreundet hatte, förderte mich aufs neue. Das Verhältnis zu von Diez befestigte sich; das Buch »Kabus« eröffnete mir den Schauplatz jener Sitten in einer höchst bedeutenden Zeit, der unsrigen gleich, wo ein Fürst gar wohl Ursache hatte, seinen Sohn in einem weitläufigen Werke zu belehren, wie er allenfalls bei traurigstem Schicksale sich doch noch in einem Geschäft und Gewerbe durch die Welt bringen könne. »Medschnun und Leila«, als Muster einer grenzenlosen Liebe, ward wieder dem Gefühl und der Einbildungskraft zugeeignet; die reine Religion der Parsen aus dem späteren Verfall hervorgehoben und zu ihrer schönen Einfalt zurückgeführt; die längst studierten Reisenden Pietro della Valle, Tavernier, Chardin absichtlich durchgelesen, und so häufte sich der Stoff, bereicherte sich der Gehalt, daß ich nur ohne Bedenken zulangen konnte, um das augenblicklich Bedurfte sogleich zu ergreifen und anzuwenden. Diez war die Gefälligkeit selbst, meine wunderlichen Fragen zu beantworten; Lorsbach höchst teilnehmend und hülfreich; auch blieb ich durch ihn nicht ohne Berührung mit Sylvestre de Sacy; und obgleich diese Männer kaum ahnen, noch weniger begreifen konnten, was ich eigentlich wolle, so trug doch ein jeder dazu bei, mich aufs eiligste in einem Felde aufzuklären, in dem ich mich manchmal geübt, aber niemals ernstlich umgesehen hatte. Und wie mir die von Hammersche Übersetzung täglich zur Hand war und mir zum Buch der Bücher wurde, so verfehlte ich nicht, aus seinen »Fundgruben« mir manches Kleinod zuzueignen.
Indessen schien der politische Himmel sich nach und nach aufzuklären; der Wunsch in die freie Welt, besonders aber ins freie Geburtsland, zu dem ich wieder Lust und Anteil fassen konnte, drängte mich zu einer Reise. Heitere Luft und rasche Bewegung gaben sogleich mehreren Produktionen im neuen östlichen Sinne Raum. Ein heilsamer Badeaufenthalt, ländliche Wohnung in bekannter, von Jugend auf betretener Gegend, Teilnahme geistreicher, liebender Freunde gedieh zur Belebung und Steigerung eines glücklichen Zustandes, der sich einem jeden Reinfühlenden aus dem »Divan« darbieten muß.
Gegen Ende dieser Wallfahrt fand ich meine Sammlung so bereichert, daß ich sie schon nach gewisser Verwandtschaft sondern, in Bücher einteilen, die Verhältnisse der verschiedenen Zweige ermessen und das Ganze wo nicht der Vollendung, doch dem Abschluß näher bringen konnte. Und so hatt ich in dieser Zerstreuung mehr gewonnen und gefunden, als mir eine gleiche Zeit in den ruhvollsten Tagen hätte gewähren können.
Vor meiner Abreise waren vier Bände der neuen Auflage meiner Werke fortgesendet; ich fing an, die »Sizilianische Reise« zu redigieren, doch riß das orientalische Interesse mein ganzes Vermögen mit sich fort: glücklich genug! denn wäre dieser Trieb aufgehalten, abgelenkt worden, ich hätte den Weg zu diesem Paradiese nie wieder zu finden gewußt.
Wenig Fremdes berührte mich; doch nahm ich großen Anteil an griechischen Liedern neuerer Zeit, die in Original und Übersetzung mitgeteilt wurden und die ich bald gedruckt zu sehen wünschte. Die Herren von Natzmer und Haxthausen hatten diese schöne Arbeit übernommen.
In literarischer Hinsicht förderten mich nicht wenig »Göttinger Anzeigen«, deren ich viele Bände auf der Wiesbadner Bibliothek antraf und sie, der Ordnung nach, mit gemütlicher Aufmerksamkeit durchlas. Hier ward man erst gewahr, was man erlebt und durchlebt hatte und was ein solches Werk bedeute, das, mit Umsicht aus dem Tage entsprungen, in die Zeiten fortwirkt. Es ist höchst angenehm, in diesem Sinne das längst Geschehene zu betrachten. Man sieht das Wirkende und Gewirkte schon im Zusammenhange, aller mindere Wert ist schon zerstoben, der falsche Anteil des Augenblicks ist verschwunden, die Stimme der Menge verhallt, und das überbliebene Würdige ist nicht genug zu schätzen.
Zunächst wäre sodann der älteren deutschen Baukunst zu gedenken, deren Begriff sich mir immer mehr und mehr erweiterte und reinigte.
Eine Fahrt nach Köln in der ehrenden Gesellschaft des Herrn Staatsministers von Stein drückte hierauf das Siegel. Ich sah mit vorbereitetem Erstaunen das schmerzenvolle Denkmal der Unvollendung und konnte doch mit Augen das Maß fassen von dem, was es hätte werden sollen, ob es gleich dem angestrengtesten Sinne noch immer unbegreiflich blieb. Auch von altertümlicher Malerei fand sich in Professor Wallrafs Sammlung und anderer Privaten gar viel zu schauen, gar mancher Wert zu erkennen, und der Aufenthalt, so kurz er gewesen, ließ doch unvergängliche Wirkungen zurück. Diese wurden gehegt und erhöht durch die gesellige Nähe von Sulpiz Boisserée, mit dem ich, von Wiesbaden über Mainz, Frankfurt, Darmstadt reisend, fast nur solche Gespräche führte. In Heidelberg angelangt, fand ich die gastfreundlichste Aufnahme und hatte die schönste Gelegenheit, die unschätzbare Sammlung mehrere Tage zu betrachten, mich von ihrer charakteristischen Vortrefflichkeit im einzelnen zu überzeugen und in ebendem Maße historisch wie artistisch zu belehren. Aufgezeichnet ward manches Bemerkte, dem Gedächtnis zu Hülfe und künftigem Gebrauche zum Besten.
Hinsichtlich auf Baukunst, in bezug auf meine Kölner Fahrt, ward gar manches in Gegenwart von Grund- und Aufrissen älterer deutscher, niederländischer und französischer Gebäude besprochen und verhandelt, wodurch man denn sich nach und nach fähig fühlte, aus einer großen, oft wunderlichen und verwirrenden Masse das Reine und Schöne, wohin der menschliche Geist unter jeder Form strebt, herauszufinden und sich zuzueignen. Die zwei Mollerschen ersten Hefte, in dem Augenblick erscheinend, gewährten hierbei erwünschte Hülfe. Das Technische anlangend, gab ein altes gedrucktes Exemplar »Der Steinmetzen Brüderschaft« von der hohen Bedeutsamkeit dieser Gilde ein merkwürdiges Zeugnis. Wie Handwerk und Kunst hier zusammentraf, ließ sich recht gut einsehen.
So wurd ich denn auch auf dieser Reise gewahr, wie viel ich bisher, durch das unselige Kriegs- und Knechtschaftswesen auf einen kleinen Teil des Vaterlandes eingeschränkt, leider vermißt und für eine fortschreitende Bildung verloren hatte. In Frankfurt konnte ich die Städelischen Schätze abermals bewundern, auch der patriotischen Absichten des Sammlers mich erfreuen; nur überfiel mich die Ungeduld, so viel Kräfte ungenutzt zu sehen: denn meinem Sinne nach hätte man bei viel geringerem Vermögen die Anstalt gründen, errichten und die Künstler ins Leben führen können. Dann hätte die Kunst schon seit Jahren schöne Früchte getragen und dasjenige hinreichend ersetzt, was dem Kapital an Interessen vielleicht abgegangen wäre.
Die Brentanosche Sammlung an Gemälden und Kupferstichen und anderen Kunstwerken gab doppelten Genuß bei dem lebhaften Anteil der Besitzer und ihrer freundlichen Aufforderung, soviel Gutes mit zu genießen.
Dr. Grambs, der seine Kunstschätze den Städelischen anzuschließen bedacht war, ließ mehrmals seine trefflichen Besitzungen teilweise beschauen, wobei denn gar manche Betrachtung einer gründlicheren Kenntnis den Weg bahnte. Hofrat Becker in Offenbach zeigte bedeutende Gemälde, Münzen und Gemmen vor, nicht abgeneigt, dem Liebhaber eins und das andere Wünschenswerte zu überlassen.
Auf Naturgeschichte bezüglich, sahen wir die Sammlung von Vögeln bei Hofrat Meyer, nicht ohne neue Belehrung über diesen herrlichen Zweig der Naturkunde.
Das Senckenbergische Stift in Frankfurt fand man in den besten Händen; die Tätigkeit des Augenblicks ließ voraussehen, daß eine neue Epoche dieser schönen Anstalt unmittelbar zu erwarten sei.
In Karlsruhe ward uns durch Geneigtheit des Herrn Gmelin eine zwar flüchtige, aber hinreichende Übersicht des höchst bedeutenden Kabinetts; wie wir denn überhaupt die kurze dort vergönnte Zeit ebenso nützlich als vergnüglich anwendeten.
Bei so manchen Hin- und Widerfahrten konnte die Geognosie auch nicht leer ausgehen. Von Hövels »Gebirge der Grafschaft Mark« wurden, besonders mit Beihülfe dortiger Beamten, auch in der Ferne belehrend. In Holzapfel, bei Gelegenheit des dortigen höchst merkwürdigen Ganges, kam Werners »Gangtheorie« (von 1791) zur Sprache, ingleichen des dort angestellten Schmidt »Verschiebung der Gänge« (von 1810). Diese wichtige, von mir so oft betrachtete und immer geheimnisvoll bleibende Erscheinung trat mir abermals vor die Seele, und ich hatte das Glück, im Lahntal, einer aufgehobenen Abtei ungefähr gegenüber, auf einer verlassenen Halde Tonschieferplatten mit kreuzweis laufenden, sich mehr oder weniger verschiebenden Quarzgängen zu finden, wo das Grundphänomen mit Augen gesehen, wenn auch nicht begriffen, doch wenigstens ausgesprochen werden kann.
Besonderes Glück ereignete sich mir auch zu Biebrich, indem des Herrn Erzherzogs Karl Kaiserliche Hoheit die Gnade hatte, nach einem interessanten Gespräch mir die Beschreibung ihrer Feldzüge mit den höchst genau und sauber gestochenen Karten zu verehren. Auf diesen überaus schätzbaren Blättern fand sich gerade die Umgebung der Lahn von Wetzlar bis Neuwied, und ich machte die Bemerkung, daß eine gute Militärkarte zu geognostischen Zwecken die allerdienlichste sei. Denn weder Soldat noch Geognost fragt, wem Fluß, Land und Gebirg gehöre, sondern jener, inwiefern es ihm zu seinen Operationen vorteilhaft, und dieser, wie es für seine Erfahrungen ergänzend und nochmals belegend sein möchte. Eine Fahrt in verschiedene Gegenden zu beiden Seiten der Lahn, mit Bergrat Cramer begonnen und mit ihm größtenteils durchgeführt, gab manche schöne Kenntnis und Einsicht; auch verdiente sie wohl, unter die kleinen geognostischen Reisen aufgenommen zu werden.
Auch meiner Rückreise werde ich mich immer mit vorzüglichem Anteil erinnern. Von Heidelberg auf Würzburg legte ich sie mit Sulpiz Boisserée zurück. Da uns beiden der Abschied wehe tat, so war es besser, auf fremdem Grund und Boden zu scheiden als auf dem heimischen. Ich reiste sodann über Meiningen, den Thüringer Wald auf Gotha und kam den 11. Oktober in Weimar an, nachdem ich viele Wochen mich auswärts umgesehen.
Zu Hause erwähn ich zuerst den Besuch des Dr. Stolz, des wackern Arztes aus Teplitz, wobei mineralogische und geognostische Unterhaltung, die uns früher in Böhmen belehrt und ergötzt, mit Leidenschaft erneuert wurde. Bei dem nächsten Aufenthalte in Jena leitete mich Professor Döbereiner zuerst in die Geheimnisse der Stöchiometrie; auch machte er zu gleicher Zeit wiederholte Versuche mit dem Weißfeuer, welches, von dem Landgrafen herunter das jenaische Tal erhellend, einen magisch überraschenden Anblick gewährte.
In der »Farbenlehre« ward fortschreitend einiges getan; die entoptischen Farben bleiben beständiges Augenmerk. Daß ich in Frankfurt Dr. Seebeck begegnet war, geriet zu großem Gewinn, indem er außer allgemeiner, ins Ganze greifender Unterhaltung besonders die Lehre des Doppelspats, die er wohl durchdrungen hatte, und das Verhältnis der Achsen solcher doppelt refrangierender Körper Naturfreunden vor Augen zu bringen wußte. Die Tonlehre ward weiter mit der Farbenlehre verglichen; Professor Voigt verfolgte seine Bemerkungen bezüglich auf Farben organischer Körper, und über meiner ganzen naturhistorischen Beschäftigung schwebte die Howardische Wolkenlehre.
Nach soviel Natürlichem ist’s doch wohl auch billig, zur Kunst zurückzukehren! Auf dem Weimarischen Theater beschäftigte man sich immerfort mit Calderon; »Die große Zenobia« ward aufgeführt. Die drei ersten Akte gerieten trefflich, die zwei letzteren, auf national-konventionelles und temporäres Interesse gegründet, wußte niemand weder zu genießen noch zu beurteilen, und nach diesem letzten Versuche verklang gewissermaßen der Beifall, der den ersten Stücken so reichlich geworden war.
Das Monodram »Proserpina« ward bei uns mit Eberweins Komposition glücklich dargestellt; »Epimenides« für Berlin gearbeitet; zu Schillers und Ifflands Andenken gemeinschaftlich mit Peucer ein kleines Stück geschrieben. In dieser Epoche durfte man wohl sagen, daß sich das Weimarische Theater in Absicht auf reine Rezitation, kräftige Deklamation, natürliches zugleich und kunstreiches Darstellen auf einen bedeutenden Gipfel des inneren Werts erhoben hatte. Auch das Äußere mußte sich nach und nach steigern; so die Garderobe durch Nacheiferung, zuerst der Frauenzimmer, hierauf der Männer. Ganz zur rechten Zeit gewannen wir an dem Dekorateur Beuther einen vortrefflichen, in der Schule von Fuentes gebildeten Künstler, der durch perspektivische Mittel unsere kleinen Räume ins Grenzenlose zu erweitern, durch charakteristische Architektur zu vermannigfaltigen und durch Geschmack und Zierlichkeit höchst angenehm zu machen wußte. Jede Art von Stil unterwarf er seiner perspektivischen Fertigkeit, studierte auf der weimarischen Bibliothek die ägyptische sowie die altdeutsche Bauart und gab den sie fordernden Stücken dadurch neues Ansehn und eigentümlichen Glanz.
Und so kann man sagen, das Weimarische Theater war auf seinen höchsten ihm erreichbaren Punkt zu dieser Epoche gelangt, der man eine erwünschte Dauer auch für die nächste und folgende Zeit versprechen durfte.
Von der eingeschränkten Bretterbühne auf den großen Weltschauplatz hinauszutreten möge nun auch vergönnt sein. Napoleons Wiederkehr erschreckte die Welt, hundert schicksalschwangere Tage mußten wir durchleben; die kaum entfernten Truppen kehrten zurück, in Wiesbaden fand ich die preußische Garde; Freiwillige waren aufgerufen, und die friedlich beschäftigten, kaum zu Atem gekommenen Bürger fügten sich wieder einem Zustande, dem ihre physischen Kräfte nicht gewachsen und ihre sittlichen nicht einstimmig waren; die Schlacht von Waterloo, in Wiesbaden zu großem Schrecken als verloren gemeldet, sodann zu überraschender, ja betäubender Freude als gewonnen angekündigt. In Furcht vor schneller Ausbreitung der französischen Truppen, wie vormals über Provinzen und Länder, machten Badegäste schon Anstalten zum Einpacken und konnten, sich vom Schrecken erholend, die unnütze Vorsicht keineswegs bedauern.
Von Personen habe noch mit Ehrfurcht und Dankbarkeit zu nennen: Erzherzog Karl in Biebrich, Großfürstin Katharina in Wiesbaden, Herzog und Herzogin von Cumberland bei Frankfurt, den Erbgroßherzog von Mecklenburg ebendaselbst; in Karlsruhe die Grafen von Hochberg, Herrn Weinbrenner und Hebel; nach Hause gelangt, Ihro der regierenden Kaiserin von Rußland Majestät sämtliche Umgebung; Graf Barclay de Tolly.
1816
Das mannigfaltig Bedeutende, das ich vor einem Jahr im eigentlichen Mutterlande gesehen, erlebt und gedacht hatte, mußte sich auf irgendeine Weise widerspiegeln. Ein Heft »Kunst und Altertum am Rhein und Main« ward unternommen und dazu am Ende vorigen Jahrs mehr als eine Vorarbeit durchgeführt; die älteren Niederländer, van Eyck und was sich von ihm herschrieb, gründlich erwogen; das frühere problematische Bild »Veronika« zu künftigem Gebrauch verkleinert und gestochen. Büschings »Wöchentliche Nachrichten« arbeiteten zu gleichem Zweck, und in diesem Sinne wandte sich die Pietät der Weimarischen Kunstfreunde gegen alte Heiligenbilder, die wir von Heilsberg am Thüringer Wald kommen und unter unsern Augen reparieren ließen. Weil aber immer in neuerer Zeit eins ins andere wirkt, ja sogar Gegenseitiges durch Gegenseitiges, so war auch ein Heldenbild als Gleichnis von Blüchers Persönlichkeit in Gefolg seiner großen Taten zur Sprache gekommen.
Wenn der Held mit Gefahr seines Lebens und Ruhms die Schicksale der Welt aufs Spiel setzt und der Erfolg ihm glücklicherweise zusagt, so staunt der Patriot und nimmt gern den Künstler zu Hülfe, um für sein Bewundern, sein Verehren irgendeine Sprache zu finden.
In hergebrachter Denkweise der Vorzeit heroische Gestalt mit angenähertem Kostüm der Neuwelt heranzubringen war nach vorgängigem Schriftwechsel mit Herrn Direktor Schadow zuletzt die Aufgabe und Übereinkunft. Wegen Beschädigung des ersten Modells brachte der Künstler ein zweites, worüber man nach lehrreichen Gesprächen zuletzt bis auf Veränderungen, welche das Vollenden immer herbeiführt, sich treulich vereinigte. Und so steht dieses Bild, wie auf dem Scheidepunkt älterer und neuerer Zeit, auf der Grenze einer gewissen konventionellen Idealität, welche an Erinnerung und Einbildungskraft ihre Forderungen richtet, und einer unbedingten Natürlichkeit, welche die Kunst, selbst wider Willen, an eine oft beschwerliche Wahrhaftigkeit bindet.
Von Berlin erfreuten mich transparente Gemälde nach meinem »Hans Sachs«. Denn wie mich früher Nachbildung der älteren, treulich-ernsten charakteristischen Dichtkunst lange Zeit ergötzt hatte, so war mir es angenehm, sie wieder als vermittelnd gegen neuere Künstler auftreten zu sehen. Zeichnungen zum »Faust« von Cornelius und Retzsch wirkten in ihrer Art das Ähnliche: denn ob man gleich eine vergangene Vorstellungsweise weder zurückrufen kann noch soll, so ist es doch löblich, sich historisch-praktisch an ihr zu üben und durch neuere Kunst das Andenken einer älteren aufzufrischen, damit man, ihre Verdienste erkennend, sich alsdann um so lieber zu freieren Regionen erhebe.
In gesellschaftlichen Kreisen hatte die Lust zu Bilderszenen immer zugenommen und ward von mir, wenn auch nicht unmittelbar gefördert, doch gelegentlich mit einigen Strophen begleitet.
Im Nachklang der rheinischen Eindrücke ward von den Weimarischen Kunstfreunden das Bild des heiligen Rochus, wie er als völlig ausgebeutelt von seinem Palast die Pilgerschaft antritt, erfunden und skizziert, hierauf sorgfältig kartoniert und zuletzt, von zarter Frauenzimmerhand gemalt, in der freundlichen Rochuskapelle günstig aufgenommen. Ein gestochener verkleinerter Umriß ist in dem zweiten »Rhein- und Main«-Heft, wie billig, vorgebunden.
Von Offenbach erhielt ich schöne bronzene Münzen, die mich in den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts wieder zurückführten. Graf Cicognaras »Storia della scultura« kam eben zu rechter Zeit diesen schönen Studien zu Hülfe. In höhere Regionen führte uns der »Olympische Jupiter« von Quatremère de Quincy; hier gab es viel zu lernen und zu denken. Die Ankunft der Elginischen Marmore erregte großes Verlangen unter allen Kunstliebhabern; indessen blieb auch Burtin, »Connaissance des tableaux«, das uns Einsicht in ein anderes bedeutendes Feld gewährte, nicht unbeachtet.
Die Restauration der Dresdner Gemälde kam in Anregung. Welch eine große Anstalt hiezu erforderlich sei, einigermaßen darzustellen, erzählte ich von der Restaurations-Akademie in Venedig, die aus einem Direktor und zwölf Professoren bestand und große Räume eines Klosters zu ihren Arbeiten bezogen hatte. Eine solche Wiederherstellung und Rettung ist wichtiger, als man denkt, sie kann nicht aus dem Stegreif unternommen werden.
Die weimarische Zeichenschule hatte sich in eine große Veränderung zu fügen. Da das alte Lokal zu andern Zwecken bestimmt und kein gleich großes für sie zu finden war, so wurden die Klassen geteilt, für die erste ein Gebäude auf der Esplanade erkauft, die beiden andern aber vor dem Frauentor im sogenannten Jägerhaus eingerichtet. Auch diese Veränderung wie die vorhergehenden verdiente wohl eine besondere Schilderung, indem sie nicht ohne gute Folgen für die Anstalt selbst bleiben sollte.
Gleichzeitig ward ein vorzüglicher Bildhauer namens Kaufmann von Rom berufen, der auch diese Kunst wieder neu zum Leben brachte.
Soll ich meiner eigenen Arbeiten gedenken, so hab ich wohl zuerst des »Divans« zu erwähnen. Er ward immer mehr suppliert, geordnet und einiges davon zum »Damenkalender« bestimmt. Für den historischen und erklärenden Teil sammelte ich immer mehr Vorarbeit. Von Diez’ »Denkwürdigkeiten«, dessen Streitigkeit mit Hammer, des letzteren »Orientalische Fundgruben« studierte ich mit Aufmerksamkeit, und überall schöpfte ich frische östliche Luft. Knox’ »Ceylon« kam zu rechter Zeit mir in die Hände; besonders wert jedoch erschien mir Hyde, »Persische Religion«; und wie denn, sobald ein bedeutender Stoff mir vor die Seele trat, ich denselben unwillkürlich zu gestalten aufgefordert wurde, so entwarf ich eine orientalische Oper und fing an, sie zu bearbeiten. Sie wäre auch fertig geworden, da sie wirklich eine Zeitlang in mir lebte, hätte ich einen Musiker zur Seite und ein großes Publikum vor mir gehabt, um genötigt zu sein, den Fähigkeiten und Fertigkeiten des einen sowie dem Geschmack und den Forderungen des andern entgegenzuarbeiten.
Wunderliche Menschen, wie es gibt, verlangten, verführt durch die Schillersche Ausgabe in chronologischer Folge, das gleiche von mir und hätten beinahe den schon eingeleiteten Abdruck in Verwirrung gebracht. Meine Gründe, dieses abzulehnen, wurden indes gebilligt, und das Geschäft ging unbehelligt seinen Gang. Der neunte und zehnte Band ward revidiert; die »Italienische Reise«, besonders nach Neapel und Sizilien, gestaltete sich immer mehr, und wie eine Arbeit die andere jederzeit hervorruft, konnt ich nicht unterlassen, an dem vierten, so lange verzögerten und erwarteten Bande von »Wahrheit und Dichtung« wieder einige Hauptmomente zu verzeichnen. Das »Rhein- und Main«-Heft, zweites Stück, ward gefördert, »Reineke Fuchs« durchgesehen und das »Rochusfest« geschrieben.
Die zweite Lieferung meiner Werke kommt an, die Paralipomena werden neuerdings beachtet, ein Lied für das Berliner Künstlerfest geschrieben, wogegen eine beabsichtigte große Kantate zum Lutherfest wegen Mangel an Zeit und Aufmunterung bald nach der Konzeption, aufgestelltem Schema und geringer Bearbeitung liegenblieb und für die Ausbildung verlorenging.
Mein Anteil an fremden Werken bezog sich lebhaft auf Byrons Gedichte, der immer wichtiger hervortrat und mich nach und nach mehr anzog, da er mich früher durch hypochondrische Leidenschaft und heftigen Selbsthaß abgestoßen und, wenn ich mich seiner großen Persönlichkeit zu nähern wünschte, von seiner Muse mich völlig zu entfernen drohte. Ich lese den »Korsaren« und »Lara« nicht ohne Bewunderung und Anteil. Zu gleicher Zeit erschienen Nelsons »Briefe« mit seinem »Leben«, gaben viel zu denken und viel zu trauern. Gries, durch die Ausgabe des zweiten Teils seines »Calderon«, machte uns im Spanien des siebzehnten Jahrhunderts immer einheimischer. »Anatole« versetzte uns nach einem neuern Paris und ließ uns einen schönen Roman bewundern. »Die Friedensgefangenen« von Lawrence, eine der seltsamsten Produktionen, nötigte uns, alle Aufmerksamkeit einem ganz verwünschten Zustand zu schenken. Reisende Engländer, in Verdun festgehalten nach neueren Völkerrechtsmaximen beim Ausbruch eines Krieges mit Albion; republikanische Franzosen, besonders Kommandant und Kommandantin, von geringem Stande, während der Revolution emporgekommen; heimliche, für Engländer gehaltene Emigrierte, verkappte Vornehme, und wer sonst noch zu bemerken wäre, machen ein barockes Bild, das auf die Nachwelt zu kommen verdient, weil es nur unter dieser Bedingung von einem geistreich anschauenden Leidensgenossen konzipiert und mehr mit Haß als Liebe vollendet werden konnte.
Ruckstuhl schrieb über die deutsche Sprache, und das nicht zu erschöpfende Werk Ernestis, »Technologia rhetorica Graecorum et Romanorum«, lag mir immer zur Hand: denn dadurch erfuhr ich wiederholt, was ich in meiner schriftstellerischen Laufbahn recht und unrecht gemacht hatte. Noch aber muß ich einer höchst merkwürdigen, vielleicht einzigen Darstellung gedenken; es ist das Tag- und Stundenbuch der Leipziger Schlacht von Rochlitz, wovon ich anderwo gehandelt habe.
Die jenaischen unmittelbaren Anstalten, der Naturlehre im allgemeinen, der Naturgeschichte im besondern gewidmet, erfreuten sich der aufmerksamsten Behandlung. Fast in allen Abteilungen war die innere Tätigkeit so herangewachsen, daß man sie zwar durch gute Haushaltung sämtlich bestreiten konnte, aber doch an einen neuen, erhöhten Museumsetat notwendig denken und einen neuen Maßstab feststellen mußte. Döbereiners Wohnhaus ward ausgebaut, ein Gartenstück bei der Sternwarte angekauft und zu diesem Besitz hinzugeschlagen. Die Veterinäranstalt in Jena bestätigte sich; Professor Renner begann seinen Kursus, und ich gab meine älteren zersägten und sonst präparierten Pferdeschädel zum didaktischen Anfang hinüber, da sie früher mir auch zum Anfang gedient hatten.
Die lang unterbrochenen Ausgrabungen des uralten Grabhügels bei Romstedt wurden fortgesetzt und gaben uns mehrere Schädel; nicht weniger wurde durch besondere Aufmerksamkeit nach Jena ein ganzes Skelett geschafft und sorgfältig geordnet niedergelegt. Ein durch Knochenaufschwellung merkwürdig monstroser Schädel kam in Gipsabgüssen von Darmstadt durch die Gewogenheit des Herrn Schlichtegroll.
Ich rief mir das Andenken Kaspar Friedrich Wolffs wieder hervor, durchdachte Jägers »Mißbildung der Gewächse«, ingleichen Philipp Rés »Pflanzenkrankheiten«. Von Humboldts Werk über Verteilung der Pflanzengestalten auf dem Erdboden war höchst willkommen, und Nees’ von Esenbeck ausführlichste Arbeit über Pilze und Schwämme ließ mich ein treffliches Mikroskop bedauern, das mir ein seltsames Schicksal in den angenehmsten Lebensaugenblicken zerstört hatte.
Aus dem Tierreiche wurde uns ein Wundergeschöpf, der Proteus anguinus, durch Herrn Professor Configliacchi vorgezeigt, der ihn in einem Glase mit Wasser, auf der Reise höchst sorgfältig im Busen verwahrt, lebendig bis zu uns gebracht hatte.
Im Mineralreiche waren wir sehr begünstigt; Geheimerat Heims zu Meiningen wichtige Sammlung gelangte durch sein Wohlwollen für unsere Anstalt nach Jena, wo sie, nach seinem Sinn geordnet, aufgestellt wurde. Von einzelnen Merkwürdigkeiten verdient der Kugelsyenit von Valinco aus Korsika vorzüglich Erwähnung. In meine Sammlung gelangten, in Gefolg eines vorjährigen Reisebesuchs, Mineralien vom Westerwald und Rhein, auch ein Hyalit von Frankfurt als Überzug vielleicht der größesten Fläche, an der er je sich vorgefunden, von sieben Zoll im Durchmesser. Geheimerat von Leonhards »Bedeutung und Stand der Mineralien« bereicherte uns von theoretischer Seite.
Howards Wolkenterminologie ward fleißig auf die atmosphärischen Erscheinungen angewendet, und man gelangte zu besonderer Fertigkeit, sie mit dem Barometerstand zu parallelisieren.
Zu sonstigen physikalischen Aufklärungen war der Versuch einer Gasbeleuchtung in Jena veranstaltet; wie wir denn auch durch Döbereiner die Art, durch Druck verschiedene Stoffe zu extrahieren, kennenlernten.
Im Chromatischen waren die entoptischen Phänomene an der Tagesordnung. Ich nahm zusammen, was ich bis jetzt erfahren hatte, und trug es in einem kurzen Aufsatz vor, dessen bald gefühlte Unzulänglichkeit mich zu weitern Forschungen nötigte und mich immer näher zu dem Wahrhaften hindrängte.
Professor Pfaff sandte mir sein Werk gegen die »Farbenlehre« nach einer den Deutschen angebornen unartigen Zudringlichkeit. Ich legte es zur Seite bis auf künftige Tage, wo ich mit mir selbst vollkommen abgeschlossen hätte. Seinen eigenen Weg zu verfolgen bleibt immer das vorteilhafteste: denn dieser hat das Glückliche, uns von Irrwegen wieder auf uns selbst zurückzuführen.
Dr. Schopenhauer trat als wohlwollender Freund an meine Seite. Wir verhandelten manches übereinstimmend miteinander, doch ließ sich zuletzt eine gewisse Scheidung nicht vermeiden, wie wenn zwei Freunde, die bisher miteinander gegangen, sich die Hand geben, der eine jedoch nach Norden, der andere nach Süden will, da sie denn sehr schnell einander aus dem Gesichte kommen.
Farbenversuche mit vegetabilischen Extrakten dienten wiederholt, die höchste Konsequenz der »Farbenlehre« darzutun.
Nun muß ich aber ein Zwischenspiel im Zusammenhange vortragen, worin mancherlei vorkommt, das ich unter die Rubriken nicht zersplittern mochte. Bei herannahender guter Witterung gedachte ich, nach Wunsch und Neigung die schönen Tage des vorigen Jahrs im Mutterlande abermals zu genießen. Freund Meyer wollte mich begleiten; Natur und Kunst sollten uns mit ihren Schätzen überfüllen. Vorarbeiten waren gemacht, Plane entworfen, wie alles zu genießen und zu nutzen wäre, und so saßen wir wohlgepackt und eingerichtet in einem bequemen Wagen; aber die Hälfte des Erfurter Weges war noch nicht erreicht, als wir umgeworfen wurden, die Achse brach, der Freund sich an der Stirne beschädigte und wir umzukehren genötigt wurden. Aus Unmut und Aberglaube ward die vorgesetzte Reise vielleicht übereilt aufgegeben, und wir verfügten uns ohne langes Besinnen nach Tennstedt, wo ein Thüringer Schwefelwasser gute Wirkung versprach. Dort interessierte mich nach meiner Gewohnheit Lokalität und Geschichte: denn eigentlich bewegt sich die Thüringer Vorwelt viel an der Unstrut. Ich las daher die »Thüringische Chronik«, die an Ort und Stelle gar manches in deutlicher Lokalität erscheinen ließ. Die Lage der Stadt an ihrem Platz und in der Umgegend ward beachtet, und man konnte wohl begreifen, wie hier in der frühsten Zeit sich Wohnungen gesammelt hatten. Wir besuchten Herbsleben an der Unstrut, Klein-Ballhausen und andere nah gelegene Orte, und so fanden wir in der Ebene ausgetrocknete Seen, Tuffsteinbrüche und Konchylien des süßen Wassers in Menge. Fast bei allen Exkursionen hatten wir die Rückseite des Ettersbergs vor Augen und konnten uns leicht nach Hause denken. Die Menge versammelte sich bei einem Vogelschießen, nicht weniger bei einem Brunnenfest, welches durch einen Kinderaufzug recht gemütlich wurde.
»Agamemnon«, übersetzt von Humboldt, war mir soeben in die Hände gekommen und verlieh mir den bequemen Genuß eines Stückes, das ich von jeher abgöttisch verehrt hatte. »Marcus Cornelius Fronto« von Niebuhr suchte mich auf; unerwartet erschien Geheimerat Wolf, die Unterhaltung war bedeutend und förderlich, und Meyer nahm daran eingreifenden künstlerischen Anteil. Zufällig jedoch verließen mich beide Freunde am 27. August, und so hatte ich Zeit genug, meinen Geburtstag abermals in stiller Sammlung zu feiern und den Wert der Kränze zu bedenken, womit ich mein Zimmer von der wohlwollenden Wirtin aufgeschmückt sah. Übrigens war ich der mir an diesem Orte gegönnten Sammlung und Ruhe die ausführliche Darstellung des »Rochusfestes« schuldig geworden.
Ferner hab ich zu rühmen, welchen vorzüglichen Genuß mir ein Hermstedtisches Konzert und Privatexhibition gegeben, da, von musikalischen Freunden lange Zeit entfernt, ich diesem herrlichen Kunst- und Naturelement beinahe entfremdet worden.
Öffentliche Ereignisse, die mich in diesem Jahr nah genug berührten, erwähn ich mit freudiger und trauriger Erinnerung. Am 30. Januar ward der Falkenorden gestiftet und mir zugleich das Großkreuz erteilt. Des Herzog Bernhards Vermählung gab die schönsten Hoffnungen; dagegen versetzte mich der Tod der Kaiserin von Österreich in einen Zustand, dessen Nachgefühl mich niemals wieder verlassen hat. Der Staatsminister von Voigt, ein teurer vieljähriger Mitarbeiter und Beförderer meiner wohlgemeinten Unternehmungen, feierte sein Dienstjubiläum, das ich mit einem Gedicht und den treusten Wünschen begrüßte.
Von Besuchen bemerk ich folgende, sämtlich Erinnerungen früher und frühster Zeiten erweckend: von Mellish, Dr. Hufeland, Max Jacobi, von Laffert, Dr. Chladni, Zelter und Wilken, Graf und Gräfin O’Do nell, Hofrätin Kestner aus Hannover.
Ein solcher innerer Friede ward durch den äußern Frieden der Welt begünstigt, als nach ausgesprochener Preßfreiheit die Ankündigung der »Isis« erschien und jeder wohldenkende Weltkenner die leicht zu berechnenden unmittelbaren und die nicht zu berechnenden weiteren Folgen mit Schrecken und Bedauern voraussah.
1817
Dieses Jahr ward ich auf mehr als eine Weise zu einem längern Aufenthalt in Jena veranlaßt, den ich voraussah und deshalb an eigenen Manuskripten, Zeichnungen, Apparaten und Sammlungen manches hinüberschaffte. Zuvörderst wurden die sämtlichen Anstalten durchgesehen und, als ich gar manches für Bildung und Umbildung der Pflanzen Merkwürdiges vorfand, ein eigenes botanisches Museum eingerichtet und darin sowohl bedeutende Sammlungen getrockneter Pflanzen, Anfänge einer Zusammenstellung von Sämereien, nicht weniger Beispiele dessen, was sich auf Holzbildung bezog, angelegt und in Verbindung gebracht, Monstrositäten aber von besonderer Wichtigkeit in einer großen Reihenfolge aufgestellt.
Die Versetzung des Hofmechanikus Körner von Weimar nach Jena brachte einen geschickt-gewandten, tätigen Mann den dortigen Anstalten in die Nähe. Ein noch in Weimar von demselben verfertigtes Passageinstrument ward, wegen einiger an der Sternwarte zu besorgenden Baulichkeiten, zuerst in dem Schlosse aufgestellt.
Ferner die mannigfaltigen Gaben, welche Serenissimus von der mailändischen Reise mitgebracht, wurden in die verschiedenen Fächer eingeordnet.
Die Ausgaben hatten sich gemehrt, der Etat mußte abermals kapitelweise durchgearbeitet werden; ich schrieb einen umständlichen Aufsatz deshalb, und eine klare Übersicht war sodann höchsten Ortes vorzulegen.
Allein es kam in dem letzten Viertel des Jahres eine mehrjährig besprochene und wegen großer Schwierigkeiten immer verschobene Angelegenheit wieder in Anregung. Unter allen teils auf Serenissimi Betrieb und Kosten allein, teils mit Zuziehung des gothaischen Hofes verbesserten oder gar neu gegründeten Anstalten konnte man leider die akademische Bibliothek noch nicht zählen; sie lag hoffnungslos im argen, ohne daß man deshalb jemand eigentlich die Schuld hätte geben können. Zu den vor dreihundert Jahren gestifteten Anfängen hatte sich nach und nach eine bedeutende Zahl von einzelnen Büchersammlungen durch Vermächtnis, Ankauf und sonstige Kontrakte, nicht weniger einzelne Bücher, auf mannigfaltige Weise gehäuft, daß sie flözartig in dem ungünstigsten Lokale bei der widerwärtigsten, großenteils zufälligen Einrichtung über- und nebeneinander gelagert standen. Wie und wo man ein Buch finden sollte, war beinahe ein ausschließliches Geheimnis mehr des Bibliothekdieners als der höheren Angestellten. Die Räume langten nicht mehr zu, die Buderische Bibliothek stand verschlossen, kaum zugänglich; sie sollte nach dem Willen des Stifters ewig unangetastet bleiben.
Aber nicht nur diese sonderbaren Verhältnisse sollten entwickelt und dieses Chaos geordnet werden, auch die im Schloß befindliche ehmals Büttnerische Bibliothek wollte man gleichfalls der Hauptmasse einverleibt sehen. Überschaute man die Sache im ganzen, durchdrang man das einzelne, so durfte man sich nicht leugnen, daß bei völlig neu zu schaffenden Lokalitäten vielleicht wenig Bände in der alten Ordnung nebeneinander würden zu stehen kommen. Unter diesen Umständen war wohl niemand zu verdenken, wenn er den Angriff des Geschäfts zu beschleunigen Anstand nahm. Endlich aber erhielt ich am 14. Oktober durch gnädigstes Reskript den Auftrag, die Angelegenheit ungesäumt zu behandeln. Hier blieb also nichts übrig, als die Sache nochmals durchzudenken, die Hindernisse für null zu erklären, wie man ja bei jedem bedeutenden Unternehmen tun muß, besonders wenn es unter der Clausul »non obstantibus quibuscunque« mutig anzugreifen ist. Und so begann ich rasch und fuhr unaufhaltsam fort.
Die Feuchtigkeit des untern Saals hatte man jahrelang bejammert; kein Vorschlag aber war ins Werk gesetzt, noch weniger durchgeführt worden. Dies war also zuerst ins Auge zu fassen. Die beschränkende Mauer nach dem Graben zu wurde trotz einer lebhaften, sogar intrigierenden Protestation abgetragen, die vorliegende Erde weggeschafft, vor allen Dingen aber die Expeditionszimmer so eingerichtet, daß man darin gern arbeiten mochte. Indessen andere Baulichkeiten vorbereitet und akkordiert wurden, verfloß das Jahr.
Für die Veterinärschule mußte nun vorzüglich gesorgt werden. Die Einrichtung derselben ging Schritt vor Schritt. Von wissenschaftlicher Seite brachte ich mein Portefeuille der vergleichenden Anatomie nach Jena und stellte, was von Zeichnungen am meisten bedeutend gefunden wurde, unter Glas und Rahmen.
Professor Renner demonstrierte mir verschiedenes, besonders bezüglich auf das lymphatische System. Eine verendete Phoca wird dem herumziehenden Tierwärter abgekauft und seziert, bedeutende Präparate werden verfertigt.
Spix’ »Cephalogenesis« erscheint: bei mannigfaltiger Benutzung derselben stößt man auf unangenehme Hindernisse. Methode der allgemeinen Darstellung, Nomenklatur der einzelnen Teile, beides ist nicht zur Reife gediehen; auch sieht man dem Text an, daß mehr Überliefertes als Eigengedachtes vorgetragen werde.
Herold von Marburg macht uns durch »Anatomie der Raupen und Schmetterlinge« ein angenehmes Geschenk. Wieviel weiter in sinniger Betrachtung organischer Naturwesen sind wir nicht seit dem fleißigen und übergenauen Lyonnet gekommen!
Ich bearbeite mit Neigung das zweite Heft der »Morphologie« und betrachte geschichtlich den Einfluß der Kantischen Lehre auf meine Studien.
Geognosie, Geologie, Mineralogie und Angehöriges war an der Tagesordnung. Ich überdachte die Lehre von den Gängen überhaupt, vergegenwärtigte mir Werners und Charpentiers Überzeugungen. Die merkwürdigen Tonschieferplatten aus dem Lahntal stellt ich als Tableau zusammen. Muster des Gerinnens der Felsmassen suchte ich überall auf und glaubte vieles zu finden, was für die porphyrartige Entstehung so mancher Breccien zeugte. Eine von Serenissimo angeschaffte Suite von Chamonix ward im Museum folgemäßig aufgestellt, nicht weniger manche Schweizer Gebirgsarten, Modelle und Panoramen, jedes nach seiner Weise aufbewahrt, benutzt und zur Evidenz gebracht.
Die Umgegenden Badens erregten durch Gimbernats Untersuchung und Behandlung ein wachsendes Interesse, und seine geologische Karte jener Gegend, von hoher Hand mitgeteilt, war dem augenblicklichen Bedürfnis unserer Studien überaus willkommen. Brocchis »Tal von Fassa« forderte uns auf, die Wackenbildung nach ihm und andern zu studieren.
Herr Kammerherr von Preen hatte auf einer Reise dorthin auch für mich die schönsten Exemplare besorgt.
Mawes Aufsatz über Brasilien und die dortigen Edelsteine gab uns von dieser Seite eine nähere Kenntnis jener Länder. Ich aber trat in ein unmittelbares Verhältnis zu ihm und erhielt durch seine Vorsorge eine schöne Sammlung englischer Zinnstufen, wie immer unmittelbar vom Urgebirg gewonnen, und zwar diesmal im Chloritgestein.
Geheimerats von Leonhard große Tabellenwerke, in Gesellschaft mit andern Naturforschern herausgegeben, erleichterten die Anordnung meines Privatkabinetts.
Nicht geringe Aufklärungen in Geologie und Geographie jedoch verdankte ich der europäischen Gebirgskarte Sorriots. So ward mir zum Beispiel Spaniens für einen Feldherrn so schikanoser, den Guerillas so günstiger Grund und Boden auf einmal deutlich. Ich zeichnete seine Hauptwasserscheide auf meine Karte von Spanien, und so ward mir jede Reiseroute sowie jeder Feldzug, jedes regelmäßige und unregelmäßige Beginnen der Art klar und begreiflich; und wer gedachte kolossale Karte seinen geognostischen, geologischen, geographischen und topographischen Studien mit Sinn zugrunde legt, wird sich dadurch aufs höchste gefördert sehen.
Die Chromatik beschäftigte mich im stillen unausgesetzt; ich suchte mir den Zustand derselben in England, Frankreich, Deutschland zu vergegenwärtigen, ich studierte vier englische Schriftsteller, welche sich in diesem Fache hervorgetan, suchte mir ihre Leistungen und Sinnesweisen deutlich zu machen; es waren Bancroft, Sowerby, Dr. Reade und Brewster. Einerseits bemerkte ich mit Vergnügen, daß sie durch reine Betrachtung der Phänomene sich dem Naturwege genähert, ja ihn sogar manchmal berührt hatten; aber mit Bedauern wurde ich bald gewahr, daß sie sich von dem alten Irrtum, die Farbe sei im Licht enthalten, nicht völlig befreien konnten, daß sie sich der herkömmlichen Terminologie bedienten und deshalb in die größte Verwickelung gerieten. Auch schien besonders Brewster zu glauben, durch eine unendliche Ausführlichkeit der Versuche werde die Sache gefördert, da vielmehr mannigfaltige und genaue Experimente nur Vorarbeiten der wahren Naturfreunde sind, um ein reines, von allen Nebendingen befreites Resultat zuletzt aussprechen zu können.
Das Widerwärtigste aber, was mir jemals vor Augen gekommen, war Biots Kapitel über die entoptischen Farben, dort Polarisation des Lichts genannt. So hatte man denn, nach falscher Analogie eines Magnetstabs, das Licht auch in zwei Pole verzerrt und also nicht weniger wie vorher die Farben aus einer Differenzierung des Unveränderlichsten und Unantastbarsten erklären wollen.
Um nun aber einen falschen Satz mit Beweisen zu verdecken, ward hier abermals die sämtliche mathematische Rüstkammer in Bewegung gesetzt, so daß die Natur ganz und gar vor dem äußern und innern Sinne verschwand. Ich mußte das ganze Ereignis als einen pathologischen Fall ansehen, als wenn ein organischer Körper einen Splitter finge und ein ungeschickter Chirurg, anstatt diesen zu augenblicklicher Heilung herauszuziehen, die größte Sorgfalt auf die Geschwulst verwendete, um solche zu mildern und zu verteilen, indessen das Geschwür innerlich bis zur Unheilbarkeit fortarbeitete.
Und so war es mir denn auch ganz schrecklich, als ein akademischer Lehrer, nach Anleitung eines Programms des Hofrat Mayer in Göttingen, mit unglaublicher Ruhe und Sicherheit vor hohen und einsichtigen Personen den unstatthaftesten Apparat auskramte, da man denn nach Schauen und Wiederschauen, nach Blinzen und Wiederblinzen weder wußte, was man gesehen hatte, noch was man sehen sollte. Ich war indessen bei den ersten Anstalten auf und davon gegangen und hörte den Verlauf dieser Demonstration, als vorausgesehen, bei meiner Rückkunft ohne Verwunderung. Auch erfuhr man bei dieser Gelegenheit unter Vorweisung einiger Billardkugeln, daß die runden Lichtteilchen, wenn sie mit den Polen aufs Glas treffen, durch und durch gehen, wie sie aber mit dem Äquator ankommen, mit Protest zurückgeschickt wer den.
Indessen vermannigfaltigte ich die entoptischen Versuche ins Grenzenlose, da ich denn zuletzt den einfachen atmosphärischen Ursprung entdecken mußte. Zu völliger Überzeugung bestätigte sich der Hauptbegriff am 17. Juni bei ganz klarem Himmel, und ich machte nun Anstalt, die vielen Einzelheiten als Schalen und Hüllen wegzuwerfen und den Kern Natur- und Kunstfreunden mündlich und schriftlich mitzuteilen. Dabei entdeckte sich, daß ein dem Maler günstiges oder ungünstiges Licht von dem direkten oder obliquen Widerschein herrühre. Professor Roux hatte die Gefälligkeit, mir genaue Nachbildungen der entoptischen Farbenbilder zu liefern. Beide Seiten, die helle sowohl als die dunkle, sah man nun in gesteigerter Folge nebeneinander; jeder Beschauende rief aus, daß er die Chladnischen Figuren gefärbt vor sich sehe.
Der Aufsatz Leonardo da Vincis über die Ursache der blauen Farbenerscheinung an fernen Bergen und Gegenständen machte mir wiederholt große Freude. Er hatte als ein die Natur unmittelbar anschauend auffassender, an der Erscheinung selbst denkender, sie durchdringender Künstler ohne weiters das Rechte getroffen. Nicht weniger kam die Teilnahme einzelner aufmerkender und denkender Männer. Staatsrat Schultz in Berlin übersandte mir den zweiten Aufsatz über physiologe Farben, wo ich meine Hauptbegriffe ins Leben geführt sah. Ebenso erbaute mich Professor Hegels Zustimmung. Seit Schillers Ableben hatte ich mich von aller Philosophie im stillen entfernt und suchte nur die mir eingeborne Methodik, indem ich sie gegen Natur, Kunst und Leben wendete, immer zu größerer Sicherheit und Gewandtheit auszubilden. Großen Wert mußte deshalb für mich haben, zu sehen und zu bedenken, wie ein Philosoph von dem, was ich meinerseits nach meiner Weise vorgelegt, nach seiner Art Kenntnis nehmen und damit gebaren mögen. Und hierdurch war mir vollkommen vergönnt, das geheimnisvoll klare Licht als die höchste Energie ewig, einzig und unteilbar zu betrachten.
Für die bildende Kunst näherten sich dieses Jahr große Aufschlüsse. Von Elgins Marmoren vernahm man immer mehr und mehr, und die Begierde, etwas dem Phidias Angehöriges mit Augen zu sehen, ward so lebhaft und heftig, daß ich an einem schönen, sonnigen Morgen, ohne Absicht aus dem Hause fahrend, von meiner Leidenschaft überrascht, ohne Vorbereitung aus dem Stegreife nach Rudolstadt lenkte und mich dort an den erstaunenswürdigen Köpfen von Monte Cavallo für lange Zeit herstellte. Nähere Kenntnis der äginetischen Marmore ward mir gleichfalls durch Zeichnungen des in Rom mit der Restauration Beauftragten; und zu einem der herrlichsten Erzeugnisse neuerer Kunst wendete ich mich durch eine gleiche Veranlassung.
Bossis Werk »Über das Abendmahl von Leonardo da Vinci« näher zu betrachten, befähigten mich die Durchzeichnungen, welche unser Fürst aus Mailand mitgebracht hatte; Studium und Vergleichung derselben beschäftigten mich lange, und sonst war noch manches uns zur Betrachtung angenähert. Die architektonischen Überreste von Eleusis, in Gesellschaft unseres Oberbaudirektors Coudray betrachtet, ließen in eine unvergleichliche Zeit hinübersehen. Schinkels große, bewundernswürdige Federzeichnungen, die neusten Münchner Steindrücke, Tierfabeln von Menken, eine Kupferstichsammlung aus einer Leipziger Auktion, ein schätzenswertes Ölbildchen, von Rochlitz verehrt, hielten meine Betrachtung von vielen Seiten fest. Zuletzt fand ich Gelegenheit, eine bedeutende Sammlung Majolika anzuschaffen, welche ihrem Verdienst nach unter neueren Kunstwerken sich allerdings zeigen durften.
Von eignen Arbeiten sag ich folgendes: Um des »Divans« willen setzte ich meine Studien orientalischer Eigenschaften immer fort und wendete viele Zeit darauf; da aber die Handschrift im Orient von so großer Bedeutung ist, so wird man es kaum seltsam finden, daß ich mich, ohne sonderliches Sprachstudium, doch dem Schönschreiben mit Eifer widmete und zu Scherz und Ernst orientalische, mir vorliegende Manuskripte so nett als möglich, ja mit mancherlei herkömmlichen Zieraten nachzubilden suchte. Dem aufmerksamen Leser wird die Einwirkung dieser geistig-technischen Bemühungen bei näherer Betrachtung der Gedichte nicht entgehen.
Die dritte Lieferung meiner Werke, neunter bis zwölfter Band, erscheint zu Ostern; das zweite »Rhein- und Main«-Heft wird abgeschlossen, das dritte angefangen und vollbracht. Die »Reise nach Neapel und Sizilien« wird gedruckt, die Biographie überhaupt wieder vorgenommen. Ich verzeichne die »Meteore des literarischen Himmels« und beschäftige mich, die »Urteilsworte französischer Kritiker« aus der von Grimmischen »Korrespondenz« auszuziehen; einen Aufsatz über die Hohlmünzen, Regenbogenschüsselchen genannt, teil ich den Freunden solcher Kuriositäten mit. Die berühmte Heilsberger Inschrift lasse ich mit einer von Hammerschen Erklärung abdrucken, die jedoch kein Glück macht.
Von Poetischem wüßt ich nichts vorzuzeigen als die »Orphischen Worte« in fünf Stanzen und einen »Irischen Totengesang«, aus »Glenarvon« übersetzt.
Zur Naturkenntnis erwähne ich hier ein bedeutendes Nordlicht im Februar.
Übereinstimmung des Stoffs mit der Form der Pflanzen belebte die Unterhaltung zwischen mir und Hofrat Voigt, dessen »Naturgeschichte«, als dem Studium höchst förderlich, dankbar anzunehmen war. An die Verstäubung der Berberisblume und der dorthin deutenden gelben Auswüchse älterer Zweigblätter wendete ich manche Betrachtung. Durch die Gefälligkeit Hofrat Döbereiners konnte ich mich der stöchiometrischen Lehre im allgemeinen fernerweit annähern. Zufällig macht ich mir ein Geschäft, eine alte Ausgabe des Thomas Campanella, »De sensu rerum«, von Druckfehlern zu reinigen: eine Folge des höchst aufmerksamen Lesens, das ich diesem wichtigen Denkmal seiner Zeit von neuem zuwendete. Graf Boucquoi erfreute auch seine abwesenden Freunde durch fernere gedruckte Mitteilungen, in welchen seine geistreiche Tätigkeit uns um so mehr ansprach, als sie uns die persönliche Unterhaltung desselben wieder vergegenwärtigte.
Da aus näherer Betrachtung der Howardischen Wolkenformen hervorzugehen schien, daß ihre verschiedenen Formen verschiedenen atmosphärischen Höhen eigneten, so wurden sie versuchsweise auf jene frühere Höhentafel sorgfältig eingetragen und so die wechselseitigen Bezüge im allgemeinen versinnlicht und dadurch einer Prüfung angenähert.
Hier schließt sich nun, indem ich von Büchern zu reden gedenke, ganz natürlich die Übersetzung des indischen »Megha-Duta« freundlichst an. Man hatte sich mit Wolken und Wolkenformen so lange getragen und konnte nun erst diesem »Wolkenboten« in seinen tausendfältig veränderten Gestalten mit desto sichrerer Anschauung im Geiste folgen.
Englische Poesie und Literatur trat vor allen andern dieses Jahr besonders in den Vordergrund; Lord Byrons Gedichte, je mehr man sich mit den Eigenheiten dieses außerordentlichen Geistes bekannt machte, gewannen immer größere Teilnahme, so daß Männer und Frauen, Mägdlein und Junggesellen fast aller Deutschheit und Nationalität zu vergessen schienen. Bei erleichterter Gelegenheit, seine Werke zu finden und zu besitzen, ward es auch mir zur Gewohnheit, mich mit ihm zu beschäftigen. Er war mir ein teurer Zeitgenoß, und ich folgte ihm in Gedanken gern auf den Irrwegen seines Lebens.
Der Roman »Glenarvon« sollte uns über manches Liebesabenteuer desselben Aufschlüsse geben; allein das voluminose Werk war an Interesse seiner Masse nicht gleich, es wiederholte sich in Situationen, besonders in unerträglichen; man mußte ihm einen gewissen Wert zugestehen, den man aber mit mehr Freude bekannt hätte, wenn er uns in zwei mäßigen Bänden wäre dargereicht worden.
Von Peter Pindar wünscht ich mir, nachdem ich seinen Namen so lange nennen gehört, endlich auch einen deutlichen Begriff; ich gelangte dazu, erinnere mich dessen aber nur, daß er mir wie ein der Karikatur sich zuneigendes Talent vorkam. »John Hunters Leben« erschien höchst wichtig als Denkmal eines herrlichen Geistes, der sich bei geringer Schulbildung an der Natur edel und kräftig entwickelte. Das »Leben Franklins« sprach im allgemeinen denselben Sinn aus, im besondern himmelweit von jenem verschieden. Von fernen, bisher unzugänglichen Gegenden belehrte uns Elphinstones »Kabul«, das Bekanntere dagegen verdeutlichte Raffles’ »Geschichte von Java« ganz ungemein. Zugleich traf das Prachtwerk indischer Jagden, besorgt von Howett, bei uns an und half durch treffliche Bilder einer Einbildungskraft nach, die sich, ohne gerade diesen Punkt der Wirklichkeit zu treffen, ins Unbestimmte würde verloren haben. Auf Nordamerika bezüglich ward uns Vielfaches zuteil.
Von Büchern und sonstigen Druckschriften und deren Einwirkung bemerke folgendes: Hermann, »Über die älteste griechische Mythologie«, interessierte die weimarischen Sprachfreunde auf einen hohen Grad. In einem verwandten Sinne Raynouard, »Grammatik der romanischen Sprache«. »Manuscrit venu de Sainte-Hélène« beschäftigte alle Welt. Echtheit oder Unechtheit, halbe oder ganze Ursprünglichkeit wurde durchgesprochen und durchgefochten. Daß man dem Heroen gar manches abgehorcht hatte, blieb offenbar und unzweifelhaft. »Deutschlands Urgeschichte« von Barth griff in unsere Studien der Zeit nicht ein; dagegen war »Der Pfingstmontag« von Professor Arnold in Straßburg eine höchst liebenswürdige Erscheinung. Es ist ein entschieden anmutiges Gefühl, von dem man wohltut, sich recht klares Bewußtsein zu geben, wenn sich eine Nation in den Eigentümlichkeiten ihrer Glieder bespiegelt: denn ja nur im besondern erkennt man, daß man Verwandte hat, im allgemeinen fühlt man immer nur die Sippschaft von Adam her. Ich beschäftigte mich viel mit gedachtem Stück und sprach mein Behagen daran aufrichtig und umständlich aus.
Von Ereignissen bemerke weniges, aber für mich und andere Bedeutendes. Seit vierzig Jahren zu Wagen, Pferd und Fuß Thüringen kreuz und quer durchwandernd, war ich niemals nach Paulinzelle gekommen, obgleich wenige Stunden davon hin und her mich bewegend. Es war damals noch nicht Mode, diese kirchlichen Ruinen als höchst bedeutend und ehrwürdig zu betrachten; endlich aber mußte ich so viel davon hören, die einheimische und reisende junge Welt rühmte mir den großartigen Anblick, daß ich mich entschloß, meinen diesjährigen Geburtstag, den ich immer gern im stillen feierte, einsam dort zuzubringen. Ein sehr schöner Tag begünstigte das Unternehmen, aber auch hier bereitete mir die Freundschaft ein unerwartetes Fest. Oberforstmeister von Fritsch hatte von Ilmenau her mit meinem Sohne ein frohes Gastmahl veranstaltet, wobei wir jenes von der schwarzburg-rudolstädtischen Regierung aufgeräumte alte Bauwerk mit heiterer Muße beschauen konnten. Seine Entstehung fällt in den Anfang des zwölften Jahrhunderts, wo noch die Anwendung der Halbzirkelbogen stattfand. Die Reformation versetzte solches in die Wüste, worin es entstanden war; das geistliche Ziel war verschwunden, aber es blieb ein Mittelpunkt weltlicher Gerechtsame und Einnahme bis auf den heutigen Tag. Zerstört ward es nie, aber zu ökonomischen Zwecken teils abgetragen, teils entstellt, wie man denn auf dem Brauhause noch von den uralten Kolossalziegeln einige, hart gebrannt und glasiert, wahrnehmen kann; ja ich zweifle nicht, daß man in den Amts- und andern Angebäuden noch einiges von dem uralten Gebälke der flachen Decke und sonstiger ursprünglichen Kontignation entdecken würde.
Aus der Ferne kam uns Nachricht von Zerstörung und Wiederherstellung. Das Berliner Schauspielhaus war niedergebrannt; ein neues ward in Leipzig errichtet. Ein Symbol der Souveränetät ward uns Weimaranern durch die Feierlichkeit, als der Großherzog vom Thron den Fürsten von Thurn und Taxis in seinem Abgeordneten mit dem Postregal belieh, wobei wir sämtlichen Diener in geziemendem Schmuck nach Rangesgebühr erschienen und also auch unsrerseits die Oberherrschaft des Fürsten anerkannten, indessen im Lauf desselben Jahrs eine allgemeine Feier deutscher Studierenden am 18. Juni zu Jena und, noch bedeutender, den 18. Oktober auf der Wartburg eine ahnungsvolle Gegenwirkung verkündigten.
Das Reformationsjubiläum verschwand vor diesen frischen jüngeren Bemühungen. Vor dreihundert Jahren hatten tüchtige Männer Großes unternommen; nun schienen ihre Großtaten veraltet, und man mochte sich ganz anderes von den neuesten öffentlich-geheimen Bestrebungen erwarten.
Persönliche Erneuerung früherer Gunst und Gewogenheit sollte mich auch dieses Jahr öfter beglücken. Die Frau Erbprinzessin von Hessen wußte mich niemals in ihrer Nähe, ohne mir Gelegenheit zu geben, mich ihrer fortdauernden Gnade persönlich zu versichern. Herr Staatsminister von Humboldt sprach auch diesmal wie immer belebend und anregend bei mir ein. Eine ganz eigene Einwirkung jedoch auf längere Zeit empfand ich von der bedeutenden Anzahl in Jena und Leipzig studierender junger Griechen. Der Wunsch, sich besonders deutsche Bildung anzueignen, war bei ihnen höchst lebhaft sowie das Verlangen, allen solchen Gewinn dereinst zur Aufklärung, zum Heil ihres Vaterlandes zu verwenden. Ihr Fleiß glich ihrem Bestreben, nur war zu bemerken, daß sie, was den Hauptsinn des Lebens betraf, mehr von Worten als von klaren Begriffen und Zwecken regiert wurden.
Papadopulos, der mich in Jena öfters besuchte, rühmte mir einst im jugendlichen Enthusiasmus den Lehrvortrag seines philosophischen Meisters. »Es klingt«, rief er aus, »so herrlich, wenn der vortreffliche Mann von Tugend, Freiheit und Vaterland spricht!« Als ich mich aber erkundigte, was denn dieser treffliche Lehrer eigentlich von Tugend, Freiheit und Vaterland vermelde, erhielt ich zur Antwort, das könne er so eigentlich nicht sagen, aber Wort und Ton klängen ihm stets vor der Seele nach: Tugend, Freiheit und Vaterland.
Es ist derselbe, welcher zu jener Zeit meine »Iphigenie« ins Neugriechische übersetzte, und, wunderbar genug, wenn man das Stück in dieser Sprache und in dieser Beziehung betrachtet, so drückt es ganz eigentlich die sehnsüchtigen Gefühle eines reisenden oder verbannten Griechen aus: denn die allgemeine Sehnsucht nach dem Vaterlande ist hier unter der Sehnsucht nach Griechenland als dem einzig menschlich gebildeten Lande ganz spezifisch ausgedrückt.
Eine neue angenehme Bekanntschaft machte ich an einem Fellenbergischen Gehülfen namens Lippe, dessen klare Ruhe, Entschiedenheit seiner Lebenszwecke, Sicherheit von dem guten Erfolg seiner Wirkungen mir höchst schätzbar entgegentraten und mich zugleich in der guten Meinung, so für ihn wie für das Institut, dem er sich gewidmet hatte, bestärkten. Gar mannigfaltig war ein erwünschtes Wiedersehen: Wilhelm von Schütz von Ziebingen erneuerte frühere Unterhaltungen in Ernst und Tiefe. Mit diesem Freunde erging es mir indessen sehr wunderlich: bei dem Anfange jedes Gespräches trafen wir in allen Prämissen völlig zusammen; in fortwährender Unterhaltung jedoch kamen wir immer weiter auseinander, so daß zuletzt an keine Verständigung mehr zu denken war. Gewöhnlich ereignete sich dies auch bei der Korrespondenz und verursachte mir manche Pein, bis ich mir diesen selten vorkommenden Widerspruch endlich aufzulösen das Glück hatte. Doch auch das Umgekehrte sollte mir begegnen, damit es ja an keiner Erfahrung fehle. Hofrat Hirt, mit welchem ich mich, was die Grundsätze betraf, niemals hatte vereinigen können, erfreute mich durch einen mehrtägigen Besuch, bei welchem so im ganzen Verlauf als im einzelnen auch nicht die geringste Differenz vorkam. Betrachtete ich nun das angedeutete Verhältnis zu beiden Freunden genau, so entsprang es daher, daß von Schütz aus dem Allgemeinen, das mir gemäß war, ins Allgemeinere ging, wohin ich ihm nicht folgen konnte, Hirt dagegen das beiderseitige Allgemeine auf sich beruhen ließ und sich an das Einzelne hielt, worin er Herr und Meister war, wo man seine Gedanken gern vernahm und ihm mit Überzeugung zustimmte.
Der Besuch von Berliner Freunden, Staatsrat Hufeland und Langermann, Varnhagen von Ense, blieb mir, wie die Frommen sich auszudrücken gewohnt sind, nicht ohne Segen: denn was kann segenreicher sein, als wohlwollende, einstimmende Zeitgenossen zu sehen, die auf dem Wege, sich und andere zu bilden, unaufhaltsam fortschreiten?
Ein junger Batsch, an seinen Vater durch freundliches, tätiges Benehmen sowie durch übereinstimmende, gefällig-geistreiche Gestalt erinnernd, kehrte von Kairo zurück, wohin er in Geschäften europäischer Kaufleute gegangen war. Er hatte zwar treue, aber keineswegs kunstgemäße Zeichnungen von dortigen Gegenden mitgebracht, so auch kleine Altertümer ägyptischer und griechischer Abkunft. Er schien mit lebendiger Tätigkeit dasjenige im praktischen Handel wirken zu wollen, was sein Vater theoretisch in der Naturwissenschaft geleistet hatte.
1818
Der »Divan« war auch den Winter über mit so viel Neigung, Liebe, Leidenschaft gehegt und gepflegt worden, daß man den Druck desselben im Monat März anzufangen nicht länger zauderte. Auch gingen die Studien immer fort, damit man durch Noten, durch einzelne Aufsätze ein besseres Verständnis zu erreichen hoffen durfte: denn freilich mußte der Deutsche stutzen, wenn man ihm etwas aus einer ganz andern Welt herüberzubringen unternahm. Auch hatte die Probe in dem »Damenkalender« das Publikum mehr irregemacht als vorbereitet. Die Zweideutigkeit, ob es Übersetzungen oder angeregte oder angeeignete Nachbildungen seien, kam dem Unternehmen nicht zugute; ich ließ es aber seinen Gang gehen, schon gewohnt, das deutsche Publikum erst stutzen zu sehen, eh es empfing und genoß.
Vor allen Dingen schien sodann notwendig, die Charaktere der sieben persischen Hauptdichter und ihre Leistungen mir und andern klarzumachen. Dies ward nur möglich, indem ich mich der von Hammerischen bedeutenden Arbeit mit Ernst und Treue zu bedienen trachtete. Alles ward herangezogen: Anquetils »Religionsgebräuche der alten Parsen«, Bidpais »Fabeln«, Freytags »Arabische Gedichte«, Michaelis’ »Arabische Grammatik«, alles mußte dienen, mich dort einheimischer zu machen.
Indessen hatten die von unserm Fürsten aus Mailand mitgebrachten Seltenheiten, wovon sich der größere Teil auf Leonardos Abendmahl bezog, im höchsten Grad meine Aufmerksamkeit erregt. Nach eifrigem Studium der Arbeit Bossis über diesen Gegenstand, nach Vergleichung der vorliegenden Durchzeichnungen, nach Betrachtung vieler andern gleichzeitigen Kunstleistungen und Vorkommnisse ward endlich die Abhandlung geschrieben, wie sie im Druck vorliegt, und zugleich ins Französische übersetzt, um den Mailänder Freunden verständlich zu sein. Zu gleicher Zeit ward uns von dorther ein ähnlicher Widerstreit des Antiken und Modernen, wie er sich auch in Deutschland rührt und regt, gemeldet; man mußte von dorther auch über Klassisches und Romantisches polemische Nachrichten vernehmen.
Zwischen allem diesem bei irgendeiner Pause nach dem Griechischen hingezogen, verfolgte ich einen alten Lieblingsgedanken, daß Myrons Kuh auf den Münzen Dyrrhachiums dem Hauptsinne nach aufbehalten sei: denn was kann erwünschter sein als entschiedenes Andenken des Höchsten aus einer Zeit, die nicht wiederkommt? Eben dieser Sinn ließ mich auch Philostrats Gemälde wieder aufnehmen mit dem Vorsatz, das trümmerhaft Vergangene durch einen Sinn, der sich ihm gleichzubilden trachtet, wieder zu beleben. Womit ich mich sonst noch beschäftigt, zeigt »Kunst und Altertum«, viertes Stück.
Ein wundersamer Zustand bei hehrem Mondenschein brachte mir das Lied »Um Mitternacht«, welches mir desto lieber und werter ist, da ich nicht sagen könnte, woher es kam und wohin es wollte. Gefordert und deshalb in seiner Entstehung klarer, aber doch ebensowenig in der Ausführung berechenbar, erschien mir zu Ende des Jahrs ein Gedicht, in kurzer Zeit verlangt, erfunden, eingeleitet und vollbracht. Zu Verehrung Ihro Majestät der Kaiserinmutter sollte ein Maskenzug die vieljährigen poetischen Leistungen des weimarischen Musenkreises in einzelnen Gruppen gestalten und diese, einen Augenblick in höchster Gegenwart verweilend, durch schickliche Gedichte sich selbst erklären. Er ward am 18. Dezember aufgeführt und hatte sich einer günstigen Aufnahme und dauernden Erinnerns zu erfreuen.
Kurz vorher war der siebzehnte und achtzehnte Band meiner Werke bei mir angelangt. Mein Aufenthalt in Jena war diesmal auf mehr als eine Weise fruchtbar. Ich hatte mich im Erker der »Tanne« zu Kamsdorf einquartiert und genoß mit Bequemlichkeit bei freier und schöner Aus- und Umsicht besonders der charakteristischen Wolkenerscheinungen. Ich beachtete sie, nach Howard, in bezug auf den Barometer und gewann mancherlei Einsicht.
Zugleich war das entoptische Farbenkapitel an der Tagesordnung. Brewsters Versuche, dem Glase durch Druck, wie sonst durch Hitze, dieselbe Eigenschaft des regelmäßigen Farbenzeigens bei Spiegelung zu erteilen, gelangen gar wohl, und ich meinerseits, überzeugt vom Zusammenwirken des Technisch-Mechanischen mit dem Dynamisch-Ideellen, ließ die Seebeckischen Kreuze auf Damastart sticken und konnte sie nun nach beliebigem Scheinwechsel hell oder dunkel auf derselben Fläche sehen. Dr. Seebeck besuchte mich den 16. Juni, und seine Gegenwart förderte in diesem Augenblick wie immer zur gelegenen Zeit.
In Karlsbad sah ich voll Bedauern ein wohlgearbeitetes messingenes Rohr mit Gradbogen, wodurch die Polarisation des Lichtes erwiesen werden sollte. Es war in Paris gefertigt; man sah aber hier in der Beschränkung nur teilweise, was wir schon längst ganz und völlig in freier Luft darzustellen verstanden. Desto angenehmer war mir ein Apparat zu gleichem Zwecke, verehrt zu meinem Geburtstage, von Professor Schweigger, welcher alles leistet, was man in diesem Kapitel verlangen kann.
Zur Geognosie waren uns auch die schönsten Beiträge gekommen mit bedeutenden Exemplaren aus Italien. Brocchis Werk über italienische Fossilien, Sömmerrings »Fossile Eidechsen und Fledermäuse«. Von da erhuben wir uns wieder in ältere Regionen, betrachteten Werners »Gangtheorie« und Freieslebens »Sächsische Zinnformation«. Eine angekündigte Mineraliensammlung aus Norden kommt an, Versteinerungen von der Insel Rügen durch Kosegarten, Mineralien aus Sizilien und der Insel Elba durch Odeleben. Die Lage des Zölestins bei Dornburg wird erforscht. Durch besondere Gelegenheit kommt die Geognosie der Vereinigten Staaten uns näher. Was für Vorteil daher entspringt, wird auf freundliche und solide Weise erwidert.
In Böhmen war sogleich die allgemeine Geognosie um desto ernster gefördert, als ein junger, weitschreitender Bergfreund namens Riepl auf kurze Zeit mit uns zusammentraf und eine Karte des Königreichs mir zu illuminieren die Gefälligkeit hatte, des Vorsatzes, in einer eigenen Schrift dieses Bestreben weiterzuführen und öffentlich bekanntzumachen. Man besuchte Haidingers Porzellanfabrik in Elbogen, wo man außer dem Material des reinen verwitterten Feldspates auch das ausgebreitete Brennmaterial der Braunkohlen kennenlernte und von dem Fundort der Zwillingskristalle zugleich unterrichtet wurde. Wir besuchten Bergmeister Beschorner in Schlaggenwald, erfreuten uns an dessen instruktiver Mineraliensammlung und erlangten zugleich am Tage eine Art von Übersicht der Lokalität des Stockwerks. Im Granit einbrechende oder vielmehr im Granit enthaltene und sich durch Verwitterung daraus ablösende Teile, wie z.B. Glimmerkugeln, wurden bemerkt und aufgehoben. So wurden mir auch sehr belehrende kristallographische Unterhaltungen mit Professor Weiß. Er hatte einige kristallisierte Diamanten bei sich, deren Entwicklungsfolge er nach seiner höheren Einsicht mich gewahr werden ließ. Eine kleine Müllerische Sammlung, besonders instruktiv, ward zurechtgelegt; Rosenquarz von Königswart gelangte zu mir, so wie ich einige böhmische Chrysolithe gelegentlich anschaffte.
Bei meiner Rückkehr fand ich zu Hause Mineralien von Koblenz und sonstiges Belehrendes dieser Art. Auf die Akademie Jena war die Aufmerksamkeit der höchsten Herren Erhalter ganz besonders gerichtet; sie sollte aufs neue ausgestattet und besetzt werden. Man unternahm, die älteren Statuten der neuen Zeit gemäß einzurichten, und auch ich, insofern die unmittelbaren Anstalten mit der Akademie sich berührten, hatte das Meinige durch diensame Vorschläge beigetragen. Das Bibliotheksgeschäft jedoch heischte seit Anfang des Jahres fortgesetzte und erweiterte Tätigkeit. Das Lokal wurde in genaue Betrachtung gezogen und hauptsächlich, was an Räumlichkeiten ohne großen Aufwand zu gewinnen sei, artistisch und handwerksmäßig überlegt, auch inwiefern demgemäß die Arbeit selbst begonnen und fortgesetzt werden könne, wohl überdacht. Die Vorschläge zu sicherem Gang der Angelegenheit werden durch die höchsten Höfe gebilligt und entschieden und Akkorde mit den Handwerkern sogleich geschlossen. Die Hauptsache blieb immer die Trockenlegung des untern großen Saals. Wie man von außen gegen Graben und Garten zu Luft gemacht hatte, so geschah es nun auch von innen durch Vertiefung des Hofes. Alles andere, was zur Sicherheit und Trocknis des Gebäudes dienen konnte, ward beraten und ausgeführt, daher die äußere Berappung sogleich vorgenommen. Nachdem auch im Innern gewisse Hindernisse mit Lebhaftigkeit beseitigt waren, ward nunmehr die Schloßbibliothek transloziert, welches mit besonderer Sorgfalt und Vorsicht geschah, indem man sie in der bisherigen Ordnung wieder aufstellte, um bis zur neuen Anordnung auch die Benutzung derselben nicht zu unterbrechen. Überhaupt ist hier zu Ehren der Angestellten zu bemerken, daß bei allem Umkehren des Ganzen wie des einzelnen die Bibliothek nach wie vor, ja noch viel stärker und lebhafter, benutzt werden konnte.
Hier finde ich nun eine Schuld abzutragen, indem ich die Männer nenne, welche mir in diesem höchst verwickelten und verworrenen Geschäft treulich und jeder Anordnung gemäß mitwirkend sich erwiesen haben. Professor Güldenapfel, bisheriger jenaischer Bibliothekar, hatte unter dem vorigen Zustand so viel gelitten, daß er zu einer Veränderung desselben freudig die Hand bot und eine gewisse hypochondrische Sorgfalt auch auf die neue Veränderung mit Rätlichkeit hinwendete. Rat Vulpius, Bibliothekar in Weimar, hatte bisher der im Schloß verwahrten Büttnerischen Bibliothek vorgestanden und versagte zu der Translokation derselben seine Dienste nicht, wie er denn auch manche neue, nötig werdende Verzeichnisse mit großer Fertigkeit zu liefern wußte. Dr. Weller, ein junger, kräftiger Mann, übernahm die Obsorge über die oft mißlichen Baulichkeiten, indem sowohl die Benutzung der Lokalitäten zu neuen Zwecken als auch der Wiedergebrauch von Repositorien und andern Holzarbeiten eine sowohl gewandte als fortdauernde Aufsicht und Anleitung erforderten. Der Kanzlist Compter, der bisherige Kustos der Schloßbibliothek Färber taten jeder an seiner Stelle und auf seine Weise das mögliche, so daß ich in diesem Falle die Liebe zur Sache und die Anhänglichkeit an mich sämtlicher Angestellten nicht genugsam zu rühmen wüßte.
Innerhalb dieser arbeitsamen Zeit war der Verkauf der Grunerschen so höchst bedeutenden Bibliothek angekündigt und sogar der Antrag getan, solche im ganzen anzukaufen und die Dubletten in der Folge wieder zu veräußern. Ich, als ein abgesagter Feind solcher Operationen, bei denen nichts zu gewinnen ist, ließ den Grunerschen Katalog mit den Katalogen sämtlicher Bibliotheken vergleichen und durch Buchstaben andeuten, was und wo es schon besessen werde. Durch diese mühselige und in der Zwischenzeit oft getadelte Sorgfalt erschien zuletzt, wieviel Vorzügliches die öffentlichen Anstalten schon besaßen; über das andere, was noch zu akquirieren wäre, ward die medizinische Fakultät gefragt, und wir gelangten dadurch mit mäßigem Aufwand zu dem Inhalt der ganzen Grunerschen Bibliothek. Schon aber konnte sich diese neue, nun eben erst Bestand gewinnende, in Gefolg ihres akademischen Rufes einer auswärtigen Aufmerksamkeit erfreuen, indem mit freundlicher Anerkennung der Herzog von Egerton die von ihm herausgegebenen Werke sämtlich einsendete. Im November erstattete die Behörde einen Hauptbericht, welcher sich höchsten Beifalls um so mehr getrösten sollte, als der umsichtige Fürst persönlich von dem ganzen Geschäftsgange Schritt vor Schritt Kenntnis genommen hatte.
Die Oberaufsicht über die sämtlichen unmittelbaren Anstalten hatte sich im Innern noch einer besondern Pflicht zu entledigen. Die Tätigkeit in einzelnen wissenschaftlichen Fächern hatte sich dergestalt vermehrt, die Forderungen waren auf einen solchen Grad gewachsen, daß der bisherige Etat nicht mehr hinreichte. Dies konnte zwar im ganzen bei guter Wirtschaft einigermaßen ausgeglichen werden; allein das Unsichere war zu beseitigen, ja es mußten mehrerer Klarheit wegen neue Rechnungskapitel und eine neue Etatsordnung eingeführt werden. In diesem Augenblick war der bisherige Rechnungsführer als Rentbeamter von herzoglicher Kammer an eine andere Stelle befördert, und die beschwerliche Arbeit, die alte Rechnung abzuschließen, die Gewährschaft loszuwerden und einen neuen Etat nebst Rechnungsformular aufzustellen, blieb mir, dem Vorgesetzten, der wegen Eigenheit der Lage sich kaum der Mitwirkung eines Kunstverständigen bedienen konnte.
Auch in dieses Jahr fällt ein Unternehmen, dessen man sich vielleicht nicht hätte unterziehen sollen: das Abtragen des Löbertors. Als nämlich das heiter auch von außen hergestellte Bibliotheksgebäude den Wunsch hervorrief, gleicherweise die nächste bisher vernachlässigte Umgebung gereinigt und erheitert zu sehen, so tat man den Vorschlag, sowohl das äußere als innere Löbertor abzutragen, zu gleicher Zeit die Gräben auszufüllen und dadurch einen Marktplatz für Holz- und Fruchtwagen, nicht weniger eine Verbindung der Stadt in Feuersgefahr mit den Teichen zu bewirken. Das letztere ward auch bald erreicht; als man aber an die innern Gebäude kam, durch deren Wegräumung man einen stattlichen Eingang der Stadt zu gewinnen hoffte, tat sich eine Gegenwirkung hervor, gegründet auf die moderne Maxime, daß der einzelne durchaus ein Recht habe, gegen den Vorteil des Ganzen den seinigen geltend zu machen. Und so blieb ein höchst unschicklicher Anblick stehen, den, wenn es glückt, die Folgezeit den Augen unserer Nachkommen entziehen wird.
Für die Einsicht in höhere bildende Kunst begann dieses Jahr eine neue Epoche. Schon war Nachricht und Zeichnung der äginetischen Marmore zu uns gekommen, die Bildwerke von Phigalia sahen wir in Zeichnungen, Umrissen und ausgeführteren Blättern vor uns, jedoch war das Höchste uns noch fern geblieben; daher forschten wir dem Parthenon und seinen Giebelbildern, wie sie die Reisenden des siebzehnten Jahrhunderts noch gesehen hatten, fleißig nach und erhielten von Paris jene Zeichnung kopiert, die, damals zwar nur leicht gefertigt, doch einen deutlichern Begriff von der Intention des Ganzen verschaffte, als es in der neuern Zeit bei fortgesetzter Zerstörung möglich ist. Aus der Schule des Londner Malers Haydon sandte man uns die Kopien in schwarzer Kreide, gleich groß mit den Marmoren, da uns denn der Herkules und die im Schoß einer andern ruhende Figur, auch die dritte dazugehörige sitzende im kleineren Maßstab in ein würdiges Erstaunen versetzte. Einige Weimarische Kunstfreunde hatten auch die Gipsabgüsse wiederholt gesehen und bekräftigten, daß man hier die höchste Stufe der aufstrebenden Kunst im Altertum gewahr werde.
Zu gleicher Zeit ließ uns eine kostbare Sendung von Kupferstichen aus dem sechzehnten Jahrhundert in eine andere, gleichfalls höchst ernsthaft gemeinte Kunstepoche schauen. Die beiden Bände von Bartsch, XIV und XV, wurden bezüglich hierauf studiert und, was wir dahin Gehöriges schon besaßen durchgesehen und nur einiges, wegen sehr hoher Preise, mit bescheidener Liebhaberei angekauft.
Gleichfalls höchst unterrichtend, in einer neuern Sphäre jedoch, war eine große Kupferstichsendung aus einer Leipziger Auktion. Ich sah Jacksons holzgeschnittene Blätter beinahe vollständig zum erstenmal; ich ordnete und betrachtete diese Akquisition und fand sie in mehr als einem Sinne bedeutend. Eine jede Technik wird merkwürdig, wenn sie sich an vorzügliche Gegenstände, ja wohl gar an solche wagt, die über ihr Vermögen hinausreichen.
Aus der französischen Schule erhielt ich viele gute Blätter um den geringsten Preis. Die Nachbarnation war damals in dem Grade verhaßt, daß man ihr kein Verdienst zugestehen und so wenig irgend etwas, das von ihr herkäme, an seinen Besitz heranziehen mochte. Und so war mir schon seit einigen Auktionen gelungen, für ein Spottgeld bedeutende, sogar in der Kunst und Kunstgeschichte wohl gekannte, durch An ekdoten und Eigenheiten der Künstler namhafte große, wohlgestochene Blätter, eigenhändige Radierungen mehrerer im achtzehnten Jahrhundert berühmter und beliebter Künstler, das Stück für zwei Groschen, anzuschaffen. Das gleiche geriet mir mit Sebastian Bourdons geätzten Blättern, und ich lernte bei dieser Gelegenheit einen Künstler, den ich immer im allgemeinen geschätzt, auch im einzelnen wertachten.
Eine Medaille, welche die Mailänder zu Ehren unseres Fürsten als ein Andenken seines dortigen Aufenthalts prägen lassen, gibt mir Gelegenheit, zur Plastik zurückzukehren. Ich akquirierte zu gleicher Zeit eine vorzüglich schöne Münze Alexanders; mehrere kleine Bronzen von Bedeutung wurden mir in Karlsbad teils käuflich, teils durch Freundesgeschenk glücklich zu eigen. Graf Tolstois Basreliefe, deren ich nur wenige kannte, überschickte mir der wohlwollende Künstler durch einen vorübereilenden Kurier, und daß ich noch einiges Zerstreute zusammenfasse: Das Kupferwerk vom Campo Santo in Pisa erneute das Studium jener ältern Epoche, so wie im wunderbarsten Gegensatz das »Omaggio della Provincia Veneta alla S. M. l’Imperatrice d’Austria« von dem wunderlichen Sinnen und Denken gleichzeitiger Künstler ein Beispiel vor Augen brachte. Von den in Paris bestellten zwei Pferdeköpfen, einem venezianischen und athenischen, kam jener zuerst und ließ uns seine Vorzüge empfinden, ehe uns der andere durch überschwengliche Großheit dafür unempfänglich gemacht hätte.
1819
Von persönlichen Verhältnissen wäre folgendes zu sagen: Die Königin von Württemberg stirbt zu Anfang, Erbgroßherzog von Mecklenburg zu Ende des Jahrs. Staatsminister von Voigt verläßt uns den 22. März; für mich entsteht eine große Lücke, und dem Kreise meiner Tätigkeit entgeht ein mitwirkendes Prinzip. Er fühlte sich in der letzten Zeit sehr angegriffen von den unaufhaltsam wirkenden revolutionären Potenzen, und ich pries ihn deshalb selig, daß er die Ermordung Kotzebues, die am 23. März vorfiel, nicht mehr erfuhr noch durch die heftige Bewegung, welche Deutschland hierauf ergriff, ängstlich beunruhigt wurde.
In dem übrigens ganz ruhigen Gang und Zug der Welt trafen Ihro Majestät die regierende Kaiserin von Rußland in Weimar ein; ich sah in dieser Zeit den Grafen Stourdza und den Staatsrat von Köhler.
Erfreuliches begegnete dem fürstlichen Hause, daß dem Herzog Bernhard ein Sohn geboren war, ein Ereignis, das allgemeine Heiterkeit verbreitete. Der Aufenthalt in Dornburg und Jena gab zu mancherlei Vergnüglichkeiten Anlaß. Die Prinzessinnen hatten ihren Garten in Jena bezogen, wodurch denn hin und her viele Bewegung entstand; auch wurde die hohe Gesellschaft dadurch vermehrt, daß Herzog von Meiningen und Prinz Paul von Mecklenburg der Studien wegen in Jena einige Zeit verweilten.
In Karlsbad sah ich Fürst Metternich und dessen diplomatische Umgebung und fand an ihm wie sonst einen gnädigen Herrn. Grafen Bernstorff lernt ich persönlich kennen, nachdem ich ihn lange Jahre hatte vorteilhaft nennen hören und ihn wegen inniger, treuer Verhältnisse zu werten Freunden auch schätzen lernen. Auch sah ich Graf Kaunitz und andere, die mit Kaiser Franz in Rom gewesen waren, fand aber keinen darunter, der von der deutschfrommen Ausstellung im Palaste Caffarelli hätte ein Günstiges vermelden mögen. Den Grafen Karl Harrach, den ich vor soviel Jahren, als er sich der Medizin zu widmen den Entschluß faßte, in Karlsbad genau kannte, fand ich zu meinem großen Vergnügen gegen mich wieder, wie ich ihn verlassen, und seinem Berufe nunmehr leidenschaftlich treu. Seine ganz einfach lebhaften Erzählungen von der beweglichen Wiener Lebensweise verwirrten mir wirklich in den ersten Abenden Sinne und Verstand, doch in der Folge ging es besser; teils wurd ich die Darstellung eines so kreiselhaften Treibens mehr gewohnt, teils beschränkte er sich auf die Schilderung seiner praktischen Tätigkeit, ärztlicher Verhältnisse, merkwürdiger Berührungen und Einflüsse, die eine Person der Art als Standes-, Welt- und Heilmann erlebt, und ich erfuhr in diesem Punkte gar manches Neue und Fremdartige.
Geheimerat Berends von Berlin, ein sogleich Vertrauen erweckender Medikus, ward mir und meinem Begleiter, dem Dr. Rehbein, einem jüngeren, vorzüglich einsichtigen und sorgfältigen Arzte, als Nachbar lieb und wert. Die verwitwete Frau Berghauptmann von Trebra erinnerte mich an den großen Verlust, den ich vor kurzem in ihrem Gemahl, einem vieljährigen, so nachsichtigen als nachhelfenden Freund, erlitten; und so ward ich auch im Gespräch mit Professor Dittrich von Komotau an frühere Teplitzer Momente hingewiesen, alte Freude, altes Leid wieder hervorgerufen.
Zu Hause sowie in Jena ward mir gar manches Gute durch bleibende und vorübergehende Personen. Ich nenne die Grafen Kanikoff und Bombelles und sodann ältere und neuere Freunde, teilnehmend und belehrend. Nees von Esenbeck, nach Berlin reisend und zurückkehrend, von Stein aus Breslau. Mannigfaltige Mitteilungen dieses tätigen, rüstigen Mannes und früheren Zöglings erfreuten mich. Ein gleiches Verhältnis erneuerte sich zu Bergrat von Herder. Generalsuperintendent Krause erschien als tiefkranker Mann, und man mußte vielleicht manche schwache Äußerung einem inwohnenden unheilbaren Übel zuschreiben. Er empfahl den oberen Klassen des Gymnasiums Tiedgens »Urania« als ein klassisches Werk, wohl nicht bedenkend, daß die von dem trefflichen Dichter so glücklich bekämpfte Zweifelsucht ganz aus der Mode gekommen, daß niemand mehr an sich selbst zweifle und sich die Zeit gar nicht nehme, an Gott zu zweifeln. Seine Gegenwart mutete mich nicht an; ich habe ihn nur einmal gesehen und bedauert, daß er seine gerühmte Einsicht und Tätigkeit nicht auch an weimarischen Kirchen und Schulen habe beweisen können. Lebensheiterer war mir der Anblick der zahlreichen Seebeckischen Familie, die von Nürnberg nach Berlin zog, den glücklichen Aufenthalt an jenem Orte mit innigem Bedauern rühmend, früherer jenaischer Verhältnisse an Ort und Stelle sich lebhaft erinnernd und nach Berlin mit freudiger Hoffnung hinschauend. Ein Besuch Dr. Schopenhauers, eines meist verkannten, aber auch schwer zu kennenden verdienstvollen jungen Mannes, regte mich auf und gedieh zur wechselseitigen Belehrung. Ein junger Angestellter von Berlin, der sich durch Talent, Mäßigung und Fleiß aus bedenklichen Umständen zu einer ansehnlichen Stelle, einem bequemen häuslichen Zustande und einer hübschen jungen Frau geholfen hatte. Major von Luck, der Mainzer Humorist, der ganz nach seiner Weise zum Besuch bei mir unversehens eintritt, sein Bleiben ohne Not verkürzt und gerade aus Übereilung die Reisegelegenheit versäumt. Franz Nicolovius, ein lieber Verwandter, hielt sich länger auf und gab Raum, eine vielversprechende Jugend zu kennen und zu schätzen. Geheimerat von Willemer, der die Folgen einer für ihn höchst traurigen Angelegenheit großmütig abzulenken suchte, reiste nach Berlin, um von Ihro Majestät dem König Verzeihung für den Gegner seines Sohnes zu erflehen. Der Grieche Gigas besuchte mich öfters, auch hatte ich seine Landsleute, die, um höhere Bildung zu gewinnen, nach Deutschland gekommen waren, immer freundlich aufgenommen. Präsident von Welden aus Bayreuth, so sehr wie jeder Vorgesetzte von akademischer Turbulenz beunruhigt, besuchte mich, und man konnte sich über die damals so dringenden Angelegenheiten nichts Erfreuliches mitteilen. Die weimar-und gothaischen Regierungsbevollmächtigten von Conta und von Hoff sprachen gleichfalls wegen akademischer Besorgnisse bei mir ein. Ein Sohn von Baggesen erfreute mich durch heitere Gegenwart und unbewundenes Gespräch. Ernst von Schiller, dem es hier nicht glücken wollte, ging einer Anstellung im Preußischen entgegen. Sodann lernte ich noch einen jungen Chemikus namens Runge kennen, der mir auf gutem Wege zu sein schien.
Des Anteils hab ich nunmehr zu erwähnen, den man meinem siebzigsten Geburtstage an vielen Orten und von vielen Seiten her zu schenken geneigt war. Durch eine wunderliche Grille eigensinniger Verlegenheit suchte ich der Feier meines Geburtstags jederzeit auszuweichen. Diesmal hatte ich ihn zwischen Hof und Karlsbad auf der Reise zugebracht; am letzten Orte kam ich abends an, und in beschränktem Sinne glaubt ich überwunden zu haben. Allein am 29. August sollte ich zu einem schon besprochenen Gastmahl auf den Posthof eingeladen werden, wovon ich mich in Rücksicht auf meine Gesundheit nicht ohne Grund entschuldigen mußte. Auch überraschte mich aus der Ferne noch gar mannigfaltiges Gute. In Frankfurt am Main hatte man am 28. August ein schönes und bedeutendes Fest gefeiert; die Gesellschaft der deutschen Geschichtkunde hatte mich zum Ehrenmitgliede ernannt; die Ausfertigung deshalb erhielt ich durch ministerielle Gelegenheit. Die mecklenburgischen Herren Stände verehrten mir zu diesem Tage eine goldne Medaille als Dankzeichen für den Kunstanteil, den ich bei Verfertigung der Blücherischen Statue genommen hatte.
1820
Nachdem wir den 29. März eine Mondverdunklung beobachtet hatten, blieb die auf den 7. September angekündigte ringförmige Sonnenfinsternis unser Augenmerk. Auf der Sternwarte zu Jena wurden vorläufige Zeichnungen derselben verfertigt; der Tag kam heran, aber leider mit ganz überwölktem Himmel. In dem Garten der Prinzessinnen waren Einrichtungen getroffen, daß mehrere Personen zugleich eintreten konnten. Serenissimus besuchten ihre lieben Enkel zur guten Stunde, das Gewölk um die Sonne ward lichter, Anfang und Mitte konnten vollkommen beobachtet werden, und den Austritt, das Ende zu sehen, begab man sich auf die Sternwarte, wo Professor Posselt mit andern Angestellten beschäftigt war. Auch hier gelang die Betrachtung, und man konnte vollkommen zufrieden sein, während in Weimar ein bedeckter Himmel jede Ansicht vereitelte.
Auf einer Reise nach Karlsbad beobachtete ich die Wolkenformen ununterbrochen und redigierte die Bemerkungen daselbst. Ich setzte ein solches Wolkendiarium bis Ende Juli und weiter fort, wodurch ich die Entwicklung der sichtbaren atmosphärischen Zustände aus einander immer mehr kennenlernte und endlich eine Zusammenstellung der Wolkenformen auf einer Tafel in verschiedenen Feldern unternehmen konnte. Nach Hause zurückgekehrt, besprach ich die Angelegenheit mit Professor Posselt, welcher daran sehr verständigen Teil nahm. Auch wurden nunmehr von Eisenach Wetterbeobachtungen eingesendet. Von Büchern förderte mich am meisten Brandes’ »Witterungskunde« und sonstige Bemühungen in diesem Fache. Dittmars Arbeiten wurden benutzt, freilich nicht in dem Sinne, wie es der gute Mann wünschen mochte.
Das Botanische ward nicht außer Augen gelassen; der belvederische Katalog kam zustande, und ich sah mich dadurch veranlaßt, die Geschichte der weimarischen Botanik zu schreiben. Ich ließ hierauf ein französisches Heft übersetzen, das in galantem Vortrag die Vermehrung der Eriken anriet und anleitete. Jäger, »Über Mißbildung der Pflanzen«, de Candolle, »Arzneikräfte« derselben, Henschel, »Gegen die Sexualität«, Nees von Esenbecks »Handbuch«, Robert Brown, »Über die Syngenesisten«, wurden sämtlich beachtet, da ein Aufenthalt in dem Botanischen Garten zu Jena mir dazu die erwünschteste Muße gab.
Bedeutender Honigtau wurde auf der Stelle beobachtet und beschrieben. Herr Dr. Carus teilte von einem Kirchhof in Sachsen ein zartes Geflechte von Lindenwurzeln mit, welche, zu den Särgen hinabgestiegen, diese sowohl als die enthaltenen Leichname wie mit Filigranarbeit umwickelt hatten. Ich fuhr fort, mich mit Wartung des Bryophyllum calycinum zu beschäftigen, dieser Pflanze, die den Triumph der Metamorphose im Offenbaren feiert. Indessen war durch die Reise österreichischer und bayerischer Naturforscher nach Brasilien die lebhafteste Hoffnung erregt.
Auf meiner Reise nach Karlsbad nahm ich den Weg über Wunsiedel nach Alexanderbad, wo ich die seltsamen Trümmer eines Granitgebirges nach vielen Jahren, seit 1785 zum erstenmal, wieder beobachtete. Mein Abscheu vor gewaltsamen Erklärungen, die man auch hier mit reichlichen Erdbeben, Vulkanen, Wasserfluten und andern titanischen Ereignissen geltend zu machen suchte, ward auf der Stelle vermehrt, da mit einem ruhigen Blick sich gar wohl erkennen ließ, daß durch teilweise Auflösung wie teilweise Beharrlichkeit des Urgesteins, durch ein daraus erfolgendes Stehenbleiben, Sinken, Stürzen, und zwar in ungeheuern Massen, diese staunenswürdige Erscheinung ganz naturgemäß sich ergeben habe. Auch dieser Gegenstand ward in meinen wissenschaftlichen Heften wörtlich und bildlich entwickelt; ich zweifle jedoch, daß eine so ruhige Ansicht dem turbulenten Zeitalter genügen werde.
In Karlsbad legte ich die alte geognostische Folge wieder in belehrenden Mustern zusammen, worunter schöne Stücke des Granits vom Schloßberge und Bernhardsfelsen, mit Hornsteinadern durchzogen, gar wohl in die Augen fielen. Eine neue, speziellere Folge, auf Porzellan- und Steingutsfabrikation sich beziehend, zugleich die natürlichen, unveränderten Stücke enthaltend, ward angefügt. Eine solche vollständigste Sammlung zeigte ich dem Fürsten von Thurn und Taxis und seiner Umgebung vor, welcher bei teilnehmendem Besuch mit dem Aufgewiesenen zufrieden schien.
Den pseudovulkanischen Gebirgen schenkte ich gleichfalls erneute Aufmerksamkeit, wozu mir einige behufs des Wegebaues neu aufgeschlossene Bergräume in der Gegend von Dallwitz und Lessau die beste Gelegenheit gaben. Hier war es augenfällig, wie die ursprünglichen Schichten des früheren Flözgebirges, ehmals innigst mit Steinkohlenmasse vermischt, nunmehr durchgeglüht, als bunter Porzellanjaspis in ihrer alten Lage verharrten, da denn z.B. auch eine ganze Schicht stengligen Eisensteins sich dazwischen deutlich auszeichnete und Veranlassung gab, sowohl die Müllerische Sammlung als die eigenen und Freundeskabinette mit großen und belehrenden Stücken zu bereichern.
Als ich nun hierauf den durch den Wegebau immer weiter aufgeschlossenen Kammerberg bei Eger bestieg, sorgfältig abermals betrachtete und die regelmäßigen Schichten desselben genau ansah, so mußt ich freilich zu der Überzeugung des Bergrat Reuß wieder zurückkehren und dieses problematische Phänomen für pseudovulkanisch ansprechen. Hier war ein mit Kohlen geschichteter Glimmerschiefer wie dort spätere Tonflözlager durchglüht, geschmolzen und dadurch mehr oder weniger verändert.
Diese Überzeugung, einem frischen Anschauen gemäß, kostete mich nichts selbst gegen ein eignes gedrucktes Heft anzunehmen; denn wo ein bedeutendes Problem vorliegt, ist es kein Wunder, wenn ein redlicher Forscher in seiner Meinung wechselt.
Die kleinen Basalte vom Horn, einem hohen Berge in der Nähe von Elbogen, denen man bei der Größe einer Kinderfaust oft eine bestimmte Gestalt abgewinnen kann, gaben mir manche Beschäftigung. Der Grundtypus, woraus alle die übrigen Formen sich zu entwickeln schienen, ward in Ton nachgebildet, auch Musterstücke an Herrn von Schreibers nach Wien gesendet.
Auf den jenaischen Museen revidiere ich die Karlsbader Suite mit neuer Übersicht, und da man denn doch immer vorsätzliche Feuer- und Glutversuche anstellt, um zu den Naturbränden parallele Erscheinungen zu gewinnen, so hatte ich in der Flaschenfabrik zu Zwätzen dergleichen anstellen lassen, und es betrübt mich, die chemischen Erfolge nicht in der eingeleiteten Ordnung des Katalogs aufbewahrt zu haben, besonders da einige Gebirgsarten nach dem heftigsten Brande sich äußerst regelmäßig gestalteten. Gleicherweise sandte man von Koblenz aus natürlichen Ton und daraus übermäßig gebrannte Ziegeln, welche auch sich schlackenartig und zugleich gestaltet erwiesen.
Jüngere Freunde versorgten mich mit Musterstücken von dem Urgeschiebe bei Danzig, ingleichen bei Berlin, aus denen man eine völlig systematische Sammlung Gesteinarten, und zwar in ihren härtesten Fels- und Gangteilen, anreihen konnte.
Das Beispiel einer allerletzten Formation zeigte uns der Steinschneider Facius. Er hatte in einem Tuffsteinkonglomerat, welches mancherlei abgerundete Geschiebe enthielt, auch einen geschnittenen Chalzedon gefunden, worauf ein Obelisk mit allerlei nicht ägyptischen Zeichen, ein kniend Betender an der einen, ein stehend Opfernder an der andern Seite, von leidlicher Arbeit. Man suchte sich diese offenbar zufällige Erscheinung aus vorwaltenden Umständen zu erklären, die jedoch hier zu entwickeln nicht der Ort ist. Der mecklenburgische Kammerherr Herr von Preen verehrte mir von einer Reise aus Tirol mitgebrachte bedeutende Mineralien; Graf Bedemar, Königlich Dänischer Kammerherr, schöne Opale von den Färö-Inseln.
An Büchern waren mir sehr angenehm: Nose, »Über Basaltgenese«, ein alter Gleichzeitiger, der auch noch an alten Begriffen hielt; ferner dessen »Symbola«; einen Auszug des ersteren teilt ich im Drucke mit, einer des letzteren liegt noch unter meinen Papieren. Herrn von Schreibers’ »Aerolithen« förderten uns auch in diesem Kapitel. Von England waren sehr willkommen »The First Principles of Geology«, by G. B. Greenough, London 1819. Die Wernerischen Ansichten, die man nun schon so viele Jahre gewohnt war, in einer fremden Sprache wieder zu vernehmen, war aufregend ergötzlich. Eine große geologische Karte von England war durch besondere Ausführung und Reinlichkeit einer ernsten Belehrung höchst förderlich. Als selbsttätig lieferte ich »Zur Morphologie und Naturwissenschaft«, des ersten Bandes drittes Heft.
Frische Lust zu Bearbeitung der Farbenlehre gaben die entoptischen Farben. Ich hatte mit großer Sorgfalt meinen Aufsatz im August dieses Jahrs abgeschlossen und dem Druck übergeben. Die Ableitung, der ich in meiner »Farbenlehre« gefolgt, fand sich auch hier bewährt; der entoptische Apparat war immer mehr vereinfacht worden. Glimmer- und Gipsblättchen wurden bei Versuchen angewendet und ihre Wirkung sorgfältig verglichen. Ich hatte das Glück, mit Herrn Staatsrat Schultz diese Angelegenheit nochmals durchzugehen, sodann begab ich mich an verschiedene Paralipomena der »Farbenlehre«. Purkinje, »Zur Kenntnis des Sehens«, ward ausgezogen und die Widersacher meiner Bemühungen nach Jahren aufgestellt.
Von teilnehmenden Freunden wurd ich auf ein Werk aufmerksam gemacht: »Nouvelle Chroagénésie«, par Le Prince, welches als Wirkung und Bestätigung meiner Farbenlehre angesehen werden könne. Bei näherer Betrachtung fand sich jedoch ein bedeutender Unterschied. Der Verfasser war auf demselben Wege wie ich dem Irrtum Newtons auf die Spur gekommen, allein er förderte weder sich noch andere, indem er, wie Dr. Reade auch getan, etwas gleich Unhaltbares an die alte Stelle setzen wollte. Es gab mir zu abermaliger Betrachtung Anlaß, wie der Mensch, von einer Erleuchtung ergriffen und aufgeklärt, doch so schnell wieder in die Finsternis seines Individuums zurückfällt, wo er sich alsdann mit einem schwachen Laternchen kümmerlich fortzuhelfen sucht.
Gar mancherlei Betrachtungen über das Herkommen in den Wissenschaften, über Vorschritt und Retardation, ja Rückschritt, werden angestellt. Der sich immer mehr an den Tag gebende und doch immer geheimnisvollere Bezug aller physikalischen Phänomene aufeinander ward mit Bescheidenheit betrachtet und so die Chladnischen und Seebeckischen Figuren parallelisiert, als auf einmal in der Entdeckung des Bezugs des Galvanismus auf die Magnetnadel durch Professor Oersted sich uns ein beinahe blendendes Licht auftat. Dagegen betrachtete ich ein Beispiel des fürchterlichsten Obskurantismus mit Schrecken, indem ich die Arbeiten Biots über die Polarisation des Lichtes näher studierte. Man wird wirklich krank über ein solches Verfahren; dergleichen Theorien, Beweis-und Ausführungsarten sind wahrhafte Nekrosen, gegen welche die lebendigste Organisation sich nicht herstellen kann.
Der untere große jenaische Bibliotheksaal war nun in der Hauptsache hergestellt; die Repositorien, die sonst der Länge nach den Raum verfinsterten, nahmen nunmehr in der Quere das Licht gehörig auf. Ein buntes, von Serenissimo verehrtes altdeutsches Fenster ward eingesetzt und daneben die Gipsbüsten der beiden Herren Nutritoren aufgestellt, in dem oberen Saal ein geräumiger Pult eingerichtet und so immer mehreren Erfordernissen Genüge geleistet. Um in den allzu einfachen, unverzierten, dem Auge wenig Ergötzliches bietenden Sälen einige Erheiterung anzubringen, dachte man auf symbolische, die verschiedenen geistigen Tätigkeiten bezeichnende Bilder, welche, sonst so beliebt, mit Sinnsprüchen begleitet, in allen wissenschaftlichen Anstalten dem Besucher entgegenleuchteten. Einiges wurde ausgeführt, anderes durch Herrn Schinkels Gefälligkeit vorbereitet, das meiste blieb als Skizze, ja nur als bloßer Gedanke zurück. Die Buderischen Deduktionen wurden durch Vulpius katalogiert, ein böhmisches Manuskript, auf Hussens Zeiten bezüglich, durch Dr. Wloka übersetzt, ein Hauptbibliotheksbericht erstattet, eine übersichtliche Fortwirkung durch ausführliche Tagebücher und Dr. Wellers persönliche Berichterstattung möglich gemacht.
Bei der botanischen Anstalt beschäftigte uns die Anlage eines neuen Glashauses nach dem Befehl Serenissimi und unter dessen besonderer Mitwirkung. Riß und Anschlag wurden geprüft, die Akkorde abgeschlossen und zu gehöriger Zeit die Arbeit vollendet. Auch war der Ankauf der Starkischen Präparatensammlung für das anatomische Kabinett gebilligt und abgeschlossen, der Transport derselben aber, welcher ein neues Lokal forderte, noch aufgeschoben. Der untere große Saal im Schlosse, der seit Entfernung der Büttnerischen Bibliothek noch im Wuste lag, ward völlig wiederhergestellt, um verschiedene Kuriosa darin aufzubewahren. Ein bedeutendes Modell des Amsterdamer Rathauses, das bei mehrmaligem Umstellen und Transportieren höchst beschädigt worden war, ließ sich nun, repariert, ruhig wieder aufrichten.
In Weimar ging alles seinen Gang; das Münzkabinett war an Vulpius zu endlicher Einordnung übergeben worden; auch kam die Aktenrepositur völlig in Ordnung.
Zu meinem Geburtstagsfeste hatte voriges Jahr die angesehene Gesellschaft der Deutschen Altertümer in Frankfurt am Main die Aufmerksamkeit, mich unter die Ehrenmitglieder aufzunehmen. Indem ich nun ihre Forderungen näher betrachtete und welche Teilnahme sie allenfalls auch von mir wünschen könnte, so ging mir der Gedanke bei, es möchte wohl auch ein Vorteil sein, in spätern Jahren bei höherer Ausbildung in ein neues Fach gerufen zu werden. Es lag auf der jenaischen Bibliothek ein geschätztes Manuskript von der »Chronik« des Otto von Freisingen, auch einige andere, welche nach dem Wunsch jener Gesellschaft sollten beschrieben werden. Nun hatte der Bibliothekschreiber Compter ein besonderes Talent zu dergleichen Dingen, es glückte ihm die Nachahmung der alten Schriftzüge ganz besonders, deswegen er auch die genaueste Aufmerksamkeit auf so etwas zu legen pflegte. Ich verfertigte ein sorgfältiges Schema, wornach die Codices Punkt für Punkt verglichen werden sollten. Hiernach fing er an, gedachtes Manuskript des Otto von Freisingen mit dem ersten Straßburger Abdruck desselben zu vergleichen, eine Arbeit, die nicht fortgesetzt wurde. Im ganzen ward jedoch die Beschäftigung eine Zeitlang fortgesetzt sowie das Verhältnis zu Herrn Büchler in Frankfurt unterhalten.
Zu gleicher Zeit erkaufte die Frau Erbgroßherzogin aus der Auktion des Kanonikus Pick zu Köln eine wohlerhaltene silberne Schale, deren eingegrabene Darstellung sowohl als Inschrift sich auf einen Taufakt Friedrich des Ersten beziehen und auf einen Paten, Otto genannt. Es wurde in Steindruck für Frankfurt kopiert, daselbst und an mehreren Orten kommentiert; aber eben hieraus zeigte sich, wie unmöglich es sei, antiquarische Meinungen zu vereinigen. Ein deshalb geführtes Aktenheft ist ein merkwürdiges Beispiel eines solchen antiquarisch-kritischen Dissensus, und ich leugne nicht, daß mir nach solcher Erfahrung weitere Lust und Mut zu diesem Studium ausging. Denn meiner gnädigsten Fürstin hatte ich eine Erklärung der Schale angekündigt, und da immer ein Widerspruch dem andern folgte, so ward die Sache dergestalt ungewiß, daß man kaum noch die silberne Schale in der Hand zu halten glaubte und wirklich zweifelte, ob man Bild und Inschrift noch vor Augen habe.
Der Triumphzug Mantegnas, von Andreas Andreani in Holz geschnitten, hatte unter den Kunstwerken des sechzehnten Jahrhunderts von jeher meine größte Aufmerksamkeit an sich gezogen. Ich besaß einzelne Blätter desselben und sah sie vollständig in keiner Sammlung, ohne ihnen eine lebhafte Betrachtung ihrer Folge zu widmen. Endlich erhielt ich sie selbst und konnte sie ruhig neben- und hintereinander beschauen; ich studierte den Vasari deshalb, welcher mir aber nicht zusagen wollte. Wo aber gegenwärtig die Originale seien, da sie, als auf Tafeln gemalt, von Mantua weggeführt worden, blieb mir verborgen. Ich hatte meine Blätter eines Morgens in dem jenaischen Gartenhause vollständig aufgelegt, um sie genauer zu betrachten, als der junge Mellish, ein Sohn meines alten Freundes, hereintrat und sich alsobald in bekannter Gesellschaft zu finden erklärte, indem er kurz vor seiner Abreise aus England sie zu Hamptoncourt wohlerhalten in den königlichen Zimmern verlassen hatte. Die Nachforschung ward leichter, ich erneuerte meine Verhältnisse zu Herrn Dr. Noehden, welcher auf die freundlichste Weise bemüht war, allen meinen Wünschen entgegenzukommen. Zahl, Maß, Zustand, ja die Geschichte ihres Besitzes von Karl dem Ersten her, alles ward aufgeklärt, wie ich solches in »Kunst und Altertum«, vierter Band, zweites Heft, umständlich ausgeführt habe. Die von Mantegna selbst in Kupfer gestochenen Originalblätter aus dieser Folge kamen mir gleichfalls durch Freundesgunst zur Hand, und ich konnte alle zusammen, mit den Nachweisungen von Bartsch verglichen, nunmehr ausführlich erkennen und mich über einen so wichtigen Punkt der Kunstgeschichte ganz eigens aufklären.
Von Jugend auf war meine Freude, mit bildenden Künstlern umzugehen. Durch freie, leichte Bemühung entstand im Gespräch und aus dem Gespräch etwas vor unsern Augen; man sah gleich, ob man sich verstanden hatte, und konnte sich um desto eher verständigen. Dieses Vergnügen ward mir diesmal in hohem Grade: Herr Staatsrat Schultz brachte mir drei würdige Berliner Künstler nach Jena, wo ich gegen Ende des Sommers in der gewöhnlichen Gartenwohnung mich aufhielt. Herr Geheimerat Schinkel machte mich mit den Absichten seines neuen Theaterbaues bekannt und wies zugleich unschätzbare landschaftliche Federzeichnungen vor, die er auf einer Reise ins Tirol gewonnen hatte. Die Herren Tieck und Rauch modellierten meine Büste, ersterer zugleich ein Profil von Freund Knebel. Eine lebhafte, ja leidenschaftliche Kunstunterhaltung ergab sich dabei, und ich durfte diese Tage unter die schönsten des Jahres rechnen. Nach vollbrachtem Modell in Ton sorgte Hofbildhauer Kaufmann für eine Gipsform. Die Freunde begaben sich nach Weimar, wohin ich ihnen folgte und die angenehmsten Stunden wiederholt genoß. Es hatte sich in den wenigen Tagen so viel Produktives – Anlage und Ausführung, Plane und Vorbereitung, Belehrendes und Ergötzliches – zusammengedrängt, daß die Erinnerung daran immer wieder neu belebend sich erweisen mußte.
Von den berlinischen Kunstzuständen ward ich nunmehr aufs vollständigste unterrichtet, als Hofrat Meyer mir das Tagebuch eines dortigen Aufenthaltes mitteilte; so wie die Betrachtung über Kunst und Kunstwerke im allgemeinen durch dessen Aufsätze in bezug auf Kunstschulen und Kunstsammlungen bis zu Ende des Jahrs lebendig erhalten wurde. Von moderner Plastik erhielt ich die vollständige Sammlung der Medaillons, welche Graf Tolstoi zu Ehren des großen Befreiungskrieges in Messing geschnitten hatte. Wie höchlich lobenswert diese Arbeit angesprochen werden mußte, setzten die Weimarischen Kunstfreunde in »Kunst und Altertum« mehr auseinander.
Leipziger Auktionen und sonstige Gelegenheiten verschafften meiner Kupferstichsammlung belehrende Beispiele. Braundrücke, nach Raffaelin da Reggio, einer Grablegung, wovon ich das Original schon einige Zeit besaß, gaben über die Verfahrungsart der Künstler und Nachbildner erfreulichen Aufschluß. Die »Sakramente« von Poussin ließen tief in das Naturell eines so bedeutenden Künstlers hineinschauen. Alles war durch den Gedanken gerechtfertigt, auf Kunstbegriff gegründet; aber eine gewisse Naivetät, die sich selbst und die Herzen anderer aufschließt, fehlte fast durchaus, und in solchem Sinne war eine Folge so wichtiger und verehrter Gegenstände höchst förderlich.
Auch kamen mir gute Abdrücke zu von Haldenwangs Aquatinta nach sorgfältigen Nahlischen Zeichnungen der vier Kasseler Claude Lorrains. Diese setzen immerfort in Erstaunen und erhalten um so größeren Wert, als die Originale, aus unserer Nachbarschaft entrückt, in dem hohen Norden nur wenigen zugänglich bleiben.
Der wackere, immer fleißige, den Weimarischen Kunstfreunden immer geneigt gebliebene Friedrich Gmelin sendete von seinen Kupfern zum Virgil der Herzogin von Devonshire die meisten Probeabdrücke. Sosehr man aber auch hier seine Nadel bewunderte, so sehr bedauerte man, daß er solchen Originalen habe seine Hand leihen müssen. Diese Blätter, zur Begleitung einer Prachtausgabe der »Aeneis« von Annibale Caro bestimmt, geben ein trauriges Beispiel von der modernen realistischen Tendenz, welche sich hauptsächlich bei den Engländern wirksam erweist. Denn was kann wohl trauriger sein, als einem Dichter aufhelfen zu wollen durch Darstellung wüster Gegenden, welche die lebhafteste Einbildungskraft nicht wieder anzubauen und zu bevölkern wüßte? Muß man denn nicht schon annehmen, daß Virgil zu seiner Zeit Mühe gehabt, sich jenen Urzustand der lateinischen Welt zu vergegenwärtigen, um die längst verlassenen, verschwundenen, durchaus veränderten Schlösser und Städte einigermaßen vor den Römern seiner Zeit dichterisch aufzustutzen? Und bedenkt man nicht, daß verwüstete, der Erde gleichgemachte, versumpfte Lokalitäten die Einbildungskraft völlig paralysieren und sie alles Auf- und Nachschwungs, der allenfalls noch möglich wäre, sich dem Dichter gleichzustellen, völlig berauben?
Die Münchener Steindrücke ließen uns die unaufhaltsamen Fortschritte einer so hochwichtigen Technik von Zeit zu Zeit anschauen. Die Kupfer zum »Faust«, von Retzsch gezeichnet, erschienen im Nachstich zu London höchst reinlich und genau. Ein historisches Blatt, die versammelten Minister beim Wiener Kongresse darstellend, ein Geschenk der Frau Herzogin von Kurland, nahm in den Portefeuillen des größten Formats seinen Platz.
Der älteste Grundsatz der Chromatik, die körperliche Farbe sei ein Dunkles, das man nur bei durchscheinendem Lichte gewahr werde, betätigte sich an den transparenten Schweizer Landschaften, welche König von Schaffhausen bei uns aufstellte. Ein kräftig Durchschienenes setzte sich an die Stelle des lebhaft Beschienenen und übermannte das Auge so, daß anstatt des entschiedensten Genusses endlich ein peinvolles Gefühl eintrat.
Schließlich habe ich noch dankbar eines Steindrucks zu gedenken, welcher von Mainz aus, meinen diesjährigen Geburtstag feiernd, mit einem Gedicht freundlich gesendet wurde. Auch langte der Riß an zu einem Monument, welches meine teuren Landsleute mir zugedacht hatten. Als anmutige Verzierung einer idyllischen Gartenszene, wie der erste Freundesgedanke die Absicht aussprach, wär es dankbar anzuerkennen gewesen, aber als große architektonische, selbständige Prachtmasse war es wohl geziemender, sie bescheiden zu verbitten.
Aber zu höheren, ja zu den höchsten Kunstbetrachtungen wurden wir aufgefordert, indem die Bau- und Bildwerke Griechenlands lebhafter zur Sprache kamen. An das Parthenon wurden wir aufs neue geführt, von den Elginischen Marmoren kam uns nähere Kunde, nicht weniger von den phigalischen. Die äußersten Grenzen menschlicher Kunsttätigkeit im höchsten Sinne und mit natürlichster Nachbildung wurden wir gewahr und priesen uns glücklich, auch dies erlebt zu haben.
Auch ein gleichzeitiger Freund fesselte Trieb und Einbildungskraft am Altertum; das neueste Heft von Tischbeins Bildwerken zum Homer gab zu manchen Vergleichungen Anlaß. Der mailändische Kodex der »Ilias«, obgleich aus späterer Zeit, war für die Kunstbetrachtungen von großem Belang, indem offenbar ältere herrliche Kunstwerke darin nachgebildet und deren Andenken dadurch für uns erhalten worden.
Der Aufenthalt Herrn Raabes in Rom und Neapel war für uns nicht ohne Wirkung geblieben. Wir hatten auf höhere Veranlassung demselbigen einige Aufgaben mitgeteilt, wovon sehr schöne Resultate uns übersendet wurden. Eine Kopie der »Aldobrandinischen Hochzeit«, wie der Künstler sie vorfand, ließ sich mit einer älteren, vor dreißig Jahren gleichfalls sehr sorgfältig gefertigten, angenehm vergleichen. Auch hatten wir, um das Kolorit der pompejischen Gemälde wieder ins Gedächtnis zu rufen, davon einige Kopien gewünscht, da uns denn der wackere Künstler mit Nachbildung der bekannten Zentauren und Tänzerinnen höchlich erfreute. Das chromatische Zartgefühl der Alten zeigte sich ihren übrigen Verdiensten völlig gleich, und wie sollt es auch einer so harmonischen Menschheit an diesem Hauptpunkte gerade gemangelt haben? Wie sollte, statt dieses großen Kunsterfordernisses, eine Lücke in ihrem vollständigen Wesen geblieben sein?
Als aber unser werter Künstler bei der Rückreise nach Rom diese seine Arbeit vorwies, erklärten sie die dortigen Nazarener für völlig unnütz und zweckwidrig. Er aber ließ sich dadurch nicht irren, sondern zeichnete und kolorierte auf unsern Rat in Florenz einiges nach Peter von Cortona, wodurch unsere Überzeugung, daß dieser Künstler besonders für Farbe ein schönes Naturgefühl gehabt habe, sich abermals bestätigte. Wäre seit Anfang des Jahrhunderts unser Einfluß auf deutsche Künstler nicht ganz verlorengegangen, hätte sich der durch Frömmelei erschlaffte Geist nicht auf ergrauten Moder zurückgezogen, so würden wir zu einer Sammlung der Art Gelegenheit gegeben haben, die dem reinen Natur- und Kunstblick eine Geschichte älteren und neueren Kolorits, wie sie schon mit Worten verfaßt worden, in Beispielen vor Augen gelegt hätte. Da es aber einmal nicht sein sollte, so suchten wir nur uns und die wenigen zunächst Verbündeten in vernünftiger Überzeugung zu bestärken, indes jener wahnsinnige Sektengeist keine Scheu trug, das Verwerfliche als Grundmaxime alles künstlerischen Handelns auszusprechen.
Mit eigenen künstlerischen Produktionen waren wir in Weimar nicht glücklich. Heinrich Müller, der sich in München des Steindrucks befleißigt hatte, ward aufgemuntert, verschiedene hier vorhandene Zeichnungen, worunter auch Carstenssche waren, auf Stein zu übertragen; sie gelangen ihm zwar nicht übel, allein das unter dem Namen Weimarische Pinakothek ausgegebene erste Heft gewann bei überfülltem Markt, wo noch dazu sich vorzüglichere Ware fand, keine Käufer. Er versuchte noch einige Platten, allein man ließ das Geschäft innehalten in Hoffnung, bei verbesserter Technik in der Folge dasselbe wieder aufzunehmen.
Als mit bildender Kunst einigermaßen verwandt, bemerke ich hier, daß meine Aufmerksamkeit auf eigenhändige Schriftzüge vorzüglicher Personen dieses Jahr auch wieder angeregt worden, indem eine Beschreibung des Schlosses Friedland mit Faksimiles von bedeutenden Namen aus dem Dreißigjährigen Kriege herauskam, die ich an meine Originaldokumente sogleich ergänzend anschloß. Auch erschien zu derselben Zeit ein Porträt des merkwürdigen Mannes in ganzer Figur von der leichtgeübten Hand des Direktor Langer in Prag, wodurch denn die Geister jener Tage zwiefach an uns wieder herangebannt wurden.
Von gleicher Teilnahme an Werken mancher Art wäre soviel zu sagen: Hermanns Programm »Über das Wesen und die Behandlung der Mythologie« empfing ich mit der Hochachtung, die ich den Arbeiten dieses vorzüglichen Mannes von jeher gewidmet hatte: denn was kann uns zu höherem Vorteil gereichen, als in die Ansichten solcher Männer einzugehen, die mit Tief- und Scharfsinn ihre Aufmerksamkeit auf ein einziges Ziel hin richten? Eine Bemerkung konnte mir nicht entgehen: daß die spracherfindenden Urvölker bei Benamung der Naturerscheinungen und deren Verehrung als waltender Gottheiten mehr durch das Furchtbare als durch das Erfreuliche derselben aufgeregt worden, so daß sie eigentlich mehr tumultuarisch zerstörende als ruhig schaffende Gottheiten gewahr wurden. Mir schienen, da sich denn doch dieses Menschengeschlecht in seinen Grundzügen niemals verändert, die neuesten geologischen Theoristen von ebendem Schlage, die ohne feuerspeiende Berge, Erdbeben, Kluftrisse, unterirdische Druck- und Quetschwerke (πιεσματα), Stürme und Sündfluten keine Welt zu erschaffen wissen.
Wolfs »Prolegomena« nahm ich abermals vor. Die Arbeiten dieses Mannes, mit dem ich in näheren persönlichen Verhältnissen stand, hatten mir auch schon längst auf meinem Wege vorgeleuchtet. Beim Studieren des gedachten Werkes merkt ich mir selbst und meinen innern Geistesoperationen auf. Da gewahrt ich denn, daß eine Systole und Diastole immerwährend in mir vorging. Ich war gewohnt, die beiden Homerischen Gedichte als Ganzheiten anzusehen, und hier wurden sie mir jedes mit großer Kenntnis, Scharfsinn und Geschicklichkeit getrennt und auseinandergezogen, und indem sich mein Verstand dieser Vorstellung willig hingab, so faßte gleich darauf ein herkömmliches Gefühl alles wieder auf einen Punkt zusammen, und eine gewisse Läßlichkeit, die uns bei allen wahren poetischen Produktionen ergreift, ließ mich die bekannt gewordenen Lücken, Differenzen und Mängel wohlwollend übersehen. Reisigs Bemerkungen über den Aristophanes erschienen bald darauf; ich eignete mir gleichfalls, was mir gehörte, daraus zu, obgleich das Grammatische an sich selbst außerhalb meiner Sphäre lag. Lebhafte Unterhaltungen mit diesem tüchtigen jungen Manne, geistreich wechselseitige Mitteilungen verliehen mir bei meinem diesmaligen längeren Aufenthalt in Jena die angenehmsten Stunden.
Die französische Literatur, ältere und neuere, erregte auch diesmal vorzüglich mein Interesse. Den mir zum Lesen fast aufgedrungenen Roman »Anatole« mußt ich als genügend billigen. Die Werke der Madame Roland erregten bewunderndes Erstaunen. Daß solche Charaktere und Talente zum Vorschein kommen, wird wohl der Hauptvorteil bleiben, welchen unselige Zeiten der Nachwelt überliefern. Sie sind es denn auch, welche den abscheulichsten Tagen der Weltgeschichte in unsern Augen einen so hohen Wert geben. Die Geschichte der Johanna von Orleans in ihrem ganzen Detail tut eine gleiche Wirkung, nur daß sie in der Entfernung mehrerer Jahrhunderte noch ein gewisses abenteuerliches Helldunkel gewinnt. Ebenso werden die Gedichte Mariens von Frankreich durch den Duft der Jahre, der sich zwischen uns und ihre Persönlichkeit hineinzieht, anmutiger und lieber.
Von deutschen Produktionen war mir »Olfried und Lisena« eine höchst willkommene Erscheinung, worüber ich mich auch mit Anteil aussprach. Das einzige Bedenken, was sich auch in der Folge einigermaßen rechtfertigte, war: der junge Mann möchte sich in solchem Umfang zu früh ausgegeben haben. Werners »Makkabäer« und Houwalds »Bild« traten mir, jedes in seiner Art, unerfreulich entgegen; sie kamen mir vor wie Ritter, welche, um ihre Vorgänger zu überbieten, den Dank außerhalb der Schranken suchen. Auch enthielt ich mich von dieser Zeit an alles Neueren, Genuß und Beurteilung jüngeren Gemütern und Geistern überlassend, denen solche Beeren, die mir nicht mehr munden wollten, noch schmackhaft sein konnten.
In eine frühere Zeit jedoch durch Blumauers »Aeneis« versetzt, erschrak ich ganz eigentlich, indem ich mir vergegenwärtigen wollte, wie eine so grenzenlose Nüchternheit und Plattheit doch auch einmal dem Tag willkommen und gemäß hatte sein können. »Touti Nameh« von Iken zog mich unerwartet wieder nach dem Orient. Meine Bewunderung jener Märchen, besonders nach der älteren Redaktion, wovon Kosegarten in dem Anhange uns Beispiele gab, erhöhte sich, oder vielmehr sie frischte sich an: Lebendige Gegenwart des Unerforschlichen und Unglaublichen ist es, was uns hier so gewaltsam erfreulich anzieht. Wie leicht wären solche unschätzbare naive Dinge durch mystische Symbolik für Gefühl und Einbildungskraft zu zerstören. Als völligen Gegensatz erwähne ich hier einer schriftlichen Sammlung lettischer Lieder, die, ebenso begrenzt wie jene grenzenlos, sich in dem natürlichsten, einfachsten Kreise bewegten.
In ferne Länder ward mein Anteil hingezogen und in die schrecklichsten afrikanischen Zustände versetzt durch Dumont, »In marokkanischer Sklaverei«, in Verhältnisse älterer und neuerer steigender und sinkender Bildung durch Labordes »Reise nach Spanien«. An die Ostsee führte mich ein geschriebenes Reisetagebuch von Zelter, das mir aufs neue die Überzeugung betätigte, daß die Neigung, die wir zum Reisenden hegen, uns aufs allersicherste entfernte Lokalitäten und Sitten vergegenwärtigt.
Bedeutende Persönlichkeiten, ferner und näher, forderten meine Teilnahme. Des Schweizerhauptmann Landolts Biographie von Weiß, besonders mit einigen handschriftlichen Zusätzen, erneuerten Anschauung und Begriff des wundersamsten Menschenkindes, das vielleicht auch nur in der Schweiz geboren und groß werden konnte. Ich hatte den Mann im Jahre 1779 persönlich kennengelernt und als Liebhaber von Seltsamkeiten und Exzentrizitäten die tüchtige Wunderlichkeit desselben angestaunt, auch mich an den Märchen, mit denen man sich von ihm trug, nicht wenig ergötzt. Hier fand ich nun jene früheren Tage wieder hervorgehoben und konnte ein solches psychisches Phänomen um so eher begreifen, als ich seine persönliche Gegenwart und die Umgebung, worin ich ihn kennengelernt, der Einbildungskraft und dem Nachdenken zu Hülfe rief.
Näher berührte mich die zwischen Voß und Stolberg ausbrechende Mißhelligkeit, nicht sowohl der Ausbruch selbst als die Einsicht in ein vieljähriges Mißverhältnis, das klügere Menschen früher ausgesprochen und aufgehoben hätten. Aber wer entschließt sich leicht zu einer solchen Operation? Sind doch Ortsverhältnisse, Familienbezüge, Herkömmlichkeiten und Gewohnheiten schon abstumpfend genug; sie machen in Geschäften, im Eh- und Hausstande, in geselligen Verbindungen das Unerträgliche ertragbar. Auch hätte das Unvereinbare von Vossens und Stolbergs Natur sich früher ausgesprochen und entschieden, hätte nicht Agnes als Engel das irdische Unwesen besänftigt und als Grazioso eine furchtbar drohende Tragödie mit anmutiger Ironie durch die ersten Akte zu mildern gesucht. Kaum war sie abgetreten, so tat sich das Unversöhnliche hervor, und wir haben daraus zu lernen, daß wir zwar nicht übereilt, doch baldmöglichst aus Verhältnissen treten sollen, die einen Mißklang in unser Leben bringen, oder daß wir uns ein für allemal entschließen müssen, denselben zu dulden und aus anderm Betracht mit Weisheit zu übertragen. Eins ist freilich so schwer als das andere, indessen schicke sich jeder, so gut er kann, in das, was ihm begegnet in Gefolg von Ereignissen oder von Entschluß.
Mich besuchte Ernst Schubarth, dessen persönliche Bekanntschaft mir höchst angenehm war. Die Neigung, womit er meine Arbeiten umfaßt hatte, mußte mir ihn lieb und wert machen, seine sinnige Gegenwart lehrte mich ihn noch höher schätzen, und ob mir zwar die Eigenheit seines Charakters einige Sorge für ihn gab, wie er sich in das bürgerliche Wesen finden und fügen werde, so tat sich doch eine Aussicht auf, in die er mit günstigem Geschick einzutreten hoffen durfte.
Eigene Arbeiten und Vorarbeiten beschäftigten mich auf einen hohen Grad. Ich nahm den »Zweiten Aufenthalt in Rom« wieder vor, um der »Italienischen Reise« einen notwendigen Fortgang anzuschließen; sodann aber fand ich mich bestimmt, die »Kampagne von 1792« und die »Belagerung von Mainz« zu behandeln. Ich machte deshalb einen Auszug aus meinen Tagebüchern, las mehrere auf jene Epochen bezügliche Werke und suchte manche Erinnerungen hervor. Ferner schrieb ich eine summarische Chronik der Jahre 1797 und 98 und lieferte zwei Hefte von »Kunst und Altertum« als Abschluß des zweiten Bandes und bereitete das erste des dritten vor, wobei ich einer abermaligen sorgfältigen Entwicklung der Motive der »Ilias« zu gedenken habe. Ich schrieb den »Verräter sein selbst«, die Fortsetzung des »Nußbraunen Mädchens« und förderte den ideellen Zusammenhang der »Wanderjahre«. Die freie Gemütlichkeit einer Reise erlaubte mir, dem »Divan« wieder nahe zu treten; ich erweiterte das »Buch des Paradieses« und fand manches in die vorhergehenden einzuschalten. Die so freundlich von vielen Seiten her begangene Feier meines Geburtstages suchte ich dankbar durch ein symbolisches Gedicht zu erwidern. Aufgeregt durch teilnehmende Anfrage, schrieb ich einen Kommentar zu dem abstrusen Gedicht »Harzreise im Winter«.
Von fremder Literatur beschäftigte mich »Graf Carmagnola«. Der wahrhaft liebenswürdige Verfasser, Alexander Manzoni, ein geborner Dichter, ward wegen theatralischer Ortsverletzung von seinen Landsleuten des Romantizismus angeklagt, von dessen Unarten doch nicht die geringste an ihm haftete. Er hielt sich an einem historischen Gange, seine Dichtung hatte den Charakter einer vollkommenen Humanität, und ob er gleich wenig sich in Tropen erging, so waren doch seine lyrischen Äußerungen höchst rühmenswert, wie selbst mißwollende Kritiker anerkennen mußten. Unsere guten deutschen Jünglinge könnten an ihm ein Beispiel sehen, wie man in einfacher Größe natürlich waltet; vielleicht dürfte sie das von dem durchaus falschen Transzendieren zurückbringen.
Musik war mir spärlich, aber doch lieblich zugemessen. Ein Kinderlied, zum Nepomuksfeste in Karlsbad gedichtet, und einige andere von ähnlicher Naivetät gab mir Freund Zelter in angemessener Weise und hohem Sinne zurück. Musikdirektor Eberwein wandte sein Talent dem »Divan« mit Glück zu, und so wurde mir durch den allerliebsten Vortrag seiner Frau manche ergötzliche gesellige Stunde.
Einiges auf Personen Bezügliche will ich, wie ich es bemerkt finde, ohne weiteren Zusammenhang aufzeichnen. Der Herzog von Berry wird ermordet zum Schrecken von ganz Frankreich. Hofrat Jagemann stirbt zur Bedaurung von Weimar. Herrn von Gagerns längst ersehnte Bekanntschaft wird mir bei einem freundlichen Besuche, wo mir die eigentümliche Individualität des vorzüglichen Mannes entgegentritt. Ihro Majestät der König von Württemberg beehren mich in Begleitung unserer jungen Herrschaften mit Ihro Gegenwart. Hierauf habe ich das Vergnügen, auch seine begleitenden Kavaliere, werte Männer, kennenzulernen. In Karlsbad treff ich mit Gönnern und Freunden zusammen. Gräfin von der Recke und Herzogin von Kurland find ich wie sonst anmutig und teilnehmend gewogen. Mit Dr. Schütze werden literarische Unterhaltungen fortgesetzt. Legationsrat Conta nimmt einsichtigen Teil an den geognostischen Exkursionen. Die auf solchen Wanderungen und sonst zusammengebrachten Musterstücke betrachtet der Fürst von Thurn und Taxis mit Anteil, so wie auch dessen Begleitung sich dafür interessiert. Prinz Karl von Schwarzburg-Sondershausen zeigt sich mir gewogen. Mit Professor Hermann aus Leipzig führt mich das gute Glück zusammen, und man gelangt wechselseitig zu näherer Aufklärung.
Und so darf ich denn wohl auch zuletzt in Scherz und Ernst einer bürgerlichen Hochzeit gedenken, die auf dem Schießhause, dem sogenannten kleinen Versailles, gefeiert wurde. Ein angenehmes Tal an der Seite des Schlaggenwalder Weges war von wohlgekleideten Bürgern übersäet, welche sich, teils als Gäste des jungen Paars unter einer alles überschallenden Tanzmusik mit einer Pfeife Tabak lustwandelnd oder bei oft wieder gefüllten Gläsern und Bierkrüglein sitzend, gar traulich ergötzten. Ich gesellte mich zu ihnen und gewann in wenigen Stunden einen deutlichern Begriff von dem eigentlich städtischen Zustande Karlsbads, als ich in vielen Jahren vorher mir nicht hatte zueignen können, da ich den Ort bloß als ein großes Wirts- und Krankenhaus anzusehen gewohnt war.
Mein nachheriger Aufenthalt in Jena wurde dadurch sehr erheitert, daß die Herrschaften einen Teil des Sommers in Dornburg zubrachten, wodurch eine lebhaftere Geselligkeit entstand, auch manches Unerwartete sich hervortat, wie ich denn den berühmten indischen Gaukler und Schwertverschlucker Krtom Balahja seine außerordentlichen Künste mit Erstaunen bei dieser Gelegenheit vortragen sah.
Gar mancherlei Besuche beglückten und erfreuten mich in dem alten Gartenhause und dem daran wohlgelegenen wissenschaftlich geordneten Botanischen Garten: Madame Rodde, geborne Schlözer, die ich vor vielen Jahren bei ihrem Vater gesehen hatte, wo sie als das schönste, hoffnungsvollste Kind zur Freude des strengen, fast mißmutigen Mannes glücklich emporwuchs. Dort sah ich auch ihre Büste, welche unser Landsmann Trippel kurz vorher in Rom gearbeitet hatte, als Vater und Tochter sich dort befanden. Ich möchte wohl wissen, ob ein Abguß davon noch übrig ist und wo er sich findet; er sollte vervielfältigt werden: Vater und Tochter verdienen, daß ihr Andenken erhalten bleibe. Von Both und Gemahlin aus Rostock, ein wertes Ehepaar, durch Herrn von Preen mir näher verwandt und bekannt, brachten mir eines Natur- und Nationaldichters, D. G. Babsts, Produktionen, welche sich neben den Arbeiten seiner Gleichbürtigen gar wohl und löblich ausnehmen. Höchst schätzbar sind seine Gelegenheitsgedichte, die uns einen altherkömmlichen Zustand in festlichen Augenblicken neu belebt wieder darstellen. Graf Paar, Adjutant des Fürsten von Schwarzenberg, dem ich in Karlsbad mich freundschaftlich verbunden hatte, versicherte mir durch unerwartetes Erscheinen und durch fortgesetzte vertrauliche Gespräche seine unverbrüchliche Neigung. Anton Prokesch, gleichfalls Adjutant des Fürsten, ward mir durch ihn zugeführt. Beide, von der Hahnemannischen Lehre durchdrungen, auf welche der herrliche Fürst seine Hoffnung gesetzt hatte, machten mich damit umständlich bekannt, und mir schien daraus hervorzugehen, daß, wer, auf sich selbst aufmerksam, einer angemessenen Diät nachlebt, bereits jener Methode sich unbewußt annähert.
Herr von der Malsburg gab mir Gelegenheit, ihm für so manches aufklärende Vergnügen und tiefere Einsicht in die spanische Literatur zu danken. Ein Fellenbergscher Sohn brachte mir die menschenfreundlich bildenden Bemühungen des Vaters deutlicher zu Sinn und Seele. Frau von Helvig, geborne von Imhoff, erweckte durch ihre Gegenwart angenehme Erinnerungen früherer Verhältnisse, so wie ihre Zeichnungen bewiesen, daß sie auf dem Grund immer fortbaute, den sie in Gesellschaft der Kunstfreunde vor Jahren in Weimar gelegt hatte. Graf und Gräfin Hopffgarten sowie Förster und Frau brachten mir persönlich die Versicherung bekannten und unbekannten treuen Anteils an meinem Dasein. Geheimerat Rudolphi von Berlin sowie Professor Weiß gingen allzu schnell vorüber, und doch war ihre kurze Gegenwart mir zur aufmunternden Belehrung.
Für unsern Kreis erwarteten wir zu dieser Zeit Herrn Generalsuperintendenten Röhr. Welche große Vorteile durch ihn für uns sich bereiteten, war gleich bei seinem Eintritt zwar nicht zu berechnen, aber doch vorauszusehen. Mir kam er zur glücklichen Stunde; seine erste geistliche Handlung war die Taufe meines zweiten Enkels, dessen unentwickeltes Wesen mir schon manches Gute vorzudeuten schien. Geheimer Hofrat Blumenbach und Familie erfreuten uns einige Tage durch ihre Gegenwart, er immer der heitere, umsichtige, kenntnisreiche Mann von unerloschnem Gedächtnis, selbständig, ein wahrer Repräsentant der großen gelehrten Anstalt, als deren höchst bedeutendes Mitglied er so viele Jahre gewirkt hatte. Die lieben Verwandten, Rat Schlosser und Gattin, von Frankfurt am Main kommend, hielten sich einige Tage bei uns auf, und das vieljährig tätige freundschaftliche Verhältnis konnte sich durch persönliche Gegenwart nur zu höherem Vertrauen steigern. Geheimerat Wolf belebte die gründlichen literarischen Studien durch seinen belehrenden Widerspruchsgeist, und bei seiner Abreise traf es sich zufällig, daß er den nach Halle berufenen Dr. Reisig als Gesellschafter mit dahin nehmen konnte, welchen jungen Mann ich nicht allein um meinetwillen sehr ungern scheiden sah. Dr. Küchelbecker von Petersburg, von Quandt und Gemahlin, von Arnim und Maler Ruhl brachten durch die interessantesten Unterhaltungen große Mannigfaltigkeit in unsere geselligen Tage.
Von seiten unserer fürstlichen Familie erfreute uns die Gegenwart Herzog Bernhards mit Gemahlin und Nachkommenschaft; fast zu gleicher Zeit aber sollten durch eine unglückliche Beschädigung unserer Frau Großherzogin, indem sie bei einem unversehenen Ausgleiten den Arm brach, die sämtlichen Ihrigen in Kummer und Sorge versetzt werden.
Nachträglich will ich noch bemerken, daß Ende Septembers die Revolution in Portugal ausbrach; daß ich persönlich einem Geschäft entging, dessen Übernahme bei großer Verantwortlichkeit mich mit unübersehbarem Verdruß bedrohte.
1821
Zu eigenen Arbeiten fand ich manche Veranlassung. Vieljährige Neigung und Freundschaft des Grafen Brühl verlangte zu Eröffnung des neuen Berliner Schauspielhauses einen Prolog, der denn wegen dringender Zeit gleichsam aus dem Stegreife erfunden und ausgeführt werden mußte. Die gute Wirkung war auch mir höchst erfreulich: denn ich hatte die Gelegenheit erwünscht gefunden, dem werten Berlin ein Zeichen meiner Teilnahme an bedeutenden Epochen seiner Zustände zu geben.
Ich faßte darauf die Paralipomena wieder an. Unter dieser Rubrik verwahre ich mir verschiedene Futterale, was noch von meinen Gedichten ungedruckt oder ungesammelt vorhanden sein mag. Sie zu ordnen und, da viel Gelegenheitsgedichte darunter sind, sie zu kommentieren pflegte ich von Zeit zu Zeit, indem eine solche Arbeit in die Länge nicht anziehen kann.
Auch »Zahme Xenien« bracht ich zusammen, denn ob man gleich seine Dichtungen überhaupt nicht durch Verdruß und Widerwärtiges entstellen soll, so wird man sich doch im einzelnen manchmal Luft machen; von kleinen auf diese Weise entstehenden Produktionen sonderte ich die läßlichsten und stellte sie in Pappen zusammen.
Schon seit einigen Jahren hatte mich die Wolkenbildung nach Howard beschäftigt und große Vorteile bei Naturbetrachtungen gewährt. Ich schrieb ein »Ehrengedächtnis« in vier Strophen, welche die Hauptworte seiner Terminologie enthielten; auf Ansuchen Londoner Freunde sodann noch einen Eingang von drei Strophen zu besserer Vollständigkeit und Verdeutlichung des Sinnes.
Lord Byrons Invektive gegen die Edinburger, die mich in vielfachem Sinne interessierte, fing ich an zu übersetzen, doch nötigte mich die Unkunde der vielen Partikularien, bald innezuhalten. Desto leichter schrieb ich Gedichte zu einer Sendung von Tischbeins Zeichnungen und eben dergleichen zu Landschaften, nach meinen Skizzen radiert.
Hierauf ward mir das unerwartete Glück, Ihro des Großfürsten Nikolaus und Gemahlin Alexandra Kaiserliche Hoheit im Geleit unsrer gnädigsten Herrschaften bei mir in Haus und Garten zu verehren. Der Frau Großfürstin Kaiserliche Hoheit vergönnten, einige poetische Zeilen in das zierlichprächtige Album verehrend einzuzeichnen.
Auf Anregung eines teilnehmenden Freundes suchte ich meine in Druck und Manuskript zerstreuten naturwissenschaftlichen Gedichte zusammen und ordnete sie nach Bezug und Folge.
Endlich ward eine indische, mir längst im Sinne schwebende, von Zeit zu Zeit ergriffene Legende wieder lebendig, und ich suchte sie völlig zu gewältigen.
Geh ich nun von der Poesie zur Prosa hinüber, so habe ich zu erzählen, daß die »Wanderjahre« neuen Anteil erregten. Ich nahm das Manuskript vor, aus einzelnen, zum Teil schon abgedruckten kleinen Erzählungen bestehend, welche, durch Wanderungen einer bekannten Gestalt verknüpft, zwar nicht aus einem Stück, aber doch in einem Sinn erscheinen sollten. Es war wenig daran zu tun, und selbst der widerstrebende Gehalt gab zu neuen Gedanken Anlaß und ermutigte zur Ausführung. Der Druck war mit Januar angefangen und in der Hälfte Mai beendigt.
»Kunst und Altertum«, dritten Bandes zweites Heft, behandelte man zu gleicher Zeit und legte darin manches nieder, was gebildeten Freunden angenehm sein sollte.
Sonderbar genug ergriff mich im Vorübergehen der Trieb, am vierten Bande von »Wahrheit und Dichtung« zu arbeiten; ein Dritteil davon ward geschrieben, welches freilich einladen sollte, das übrige nachzubringen. Besonders ward ein angenehmes Abenteuer von Lilis Geburtstag mit Neigung hervorgehoben, anderes bemerkt und ausgezeichnet. Doch sah ich mich bald von einer solchen Arbeit, die nur durch liebevolle Vertraulichkeit gelingen kann, durch anderweitige Beschäftigung zerstreut und abgelenkt.
Einige Novellen wurden projektiert: die gefährliche Nachlässigkeit, verderbliches Zutrauen auf Gewohnheit und mehr dergleichen ganz einfache Lebensmomente aus herkömmlicher Gleichgültigkeit heraus-und auf ihre bedeutende Höhe hervorgehoben.
In der Mitte November ward an der »Kampagne von 1792« angefangen. Die Sonderung und Verknüpfung des Vorliegenden erforderte alle Aufmerksamkeit; man wollte durchaus wahr bleiben und zugleich den gebührenden Euphemismus nicht versäumen. »Kunst und Altertum«, dritten Bandes drittes Heft, verfolgte gleichfalls seinen Weg; auch leichtere Bemühungen, wie etwa die Vorreden zum »Deutschen Gil Blas«, kleinere »Biographien zur Trauerloge«, gelangen freundlich in ruhigen Zwischenzeiten.
Von außen, auf mich und meine Arbeiten bezüglich, erschien gar manches Angenehme. Eine Übersetzung von »Howards Ehrengedächtnis« zeigte mir, daß ich auch den Sinn der Engländer getroffen und ihnen mit der Hochschätzung ihres Landsmannes Freude gemacht. Dr. Noehden, bei dem Museum in London angestellt, übersetzte kommentierend meine Abhandlung über da Vincis Abendmahl, die er in trefflicher Ausgabe, auf das zierlichste gebunden, übersendet. »Rameaus Neffe« wird in Paris übersetzt und einige Zeit für das Original gehalten, und so werden auch meine Theaterstücke nach und nach übertragen. Meine Teilnahme an fremder wie an deutscher Literatur kann ich folgendermaßen bewähren.
Man erinnert sich, welch ein schmerzliches Gefühl über die Freunde der Dichtkunst und des Genusses an derselben sich verbreitete, als die Persönlichkeit des Homer, die Einheit des Urhebers jener weltberühmten Gedichte, auf eine so kühne und tüchtige Weise bestritten wurde. Die gebildete Menschheit war im tiefsten aufgeregt, und wenn sie schon die Gründe des höchst bedeutenden Gegners nicht zu entkräften vermochte, so konnte sie doch den alten Sinn und Trieb, sich hier nur eine Quelle zu denken, woher soviel Köstliches entsprungen, nicht ganz bei sich auslöschen. Dieser Kampf währte nun schon über zwanzig Jahre, und es war eine Umwälzung der ganzen Weltgesinnung nötig, um der alten Vorstellungsart wieder einigermaßen Luft zu machen.
Aus dem Zerstörten und Zerstückten wünschte die Mehrheit der klassisch Gebildeten sich wiederherzustellen, aus dem Unglauben zum Glauben, aus dem Sondern zum Vereinen, aus der Kritik zum Genuß wieder zu gelangen. Eine frische Jugend war herangewachsen, unterrichtet wie lebenslustig; sie unternahm mit Mut und Freiheit, den Vorteil zu gewinnen, dessen wir in unsrer Jugend auch genossen hatten, ohne die schärfste Untersuchung selbst den Schein eines wirksamen Ganzen als ein Ganzes gelten zu lassen. Die Jugend liebt das Zerstückelte überhaupt nicht, die Zeit hatte sich in manchem Sinne kräftig hergestellt, und so fühlte man schon den früheren Geist der Versöhnung wiederum walten.
Schubarths »Ideen über Homer« wurden laut, seine geistreiche Behandlung, besonders die herausgehobene Begünstigung der Trojaner, erregten ein neues Interesse, und man fühlte sich dieser Art, die Sache anzusehn, geneigt. Ein englischer Aufsatz über Homer, worin man auch die Einheit und Unteilbarkeit jener Gedichte auf eine freundliche Weise zu behaupten suchte, kam zu gelegener Zeit, und ich, in der Überzeugung, daß, wie es ja bis auf den heutigen Tag mit solchen Werken geschieht, der letzte Redakteur und sinnige Abschreiber getrachtet habe, ein Ganzes nach seiner Fähigkeit und Überzeugung herzustellen und zu überliefern, suchte den Auszug der »Ilias« wieder vor, den ich zu schnellerer Übersicht derselben vor vielen Jahren unternommen hatte.
Die Fragmente »Phaëtons«, von Ritter Hermann mitgeteilt, erregten meine Produktivität. Ich studierte eilig manches Stück des Euripides, um mir den Sinn dieses außerordentlichen Mannes wieder zu vergegenwärtigen. Professor Göttling übersetzte die Fragmente, und ich beschäftigte mich lange mit einer möglichen Ergänzung.
»Aristophanes« von Voß gab uns neue Ansichten und ein frisches Interesse an dem seltsamsten aller Theaterdichter. Plutarch und Appian werden studiert, diesmal um der Triumphzüge willen, in Absicht, Mantegnas Blätter, deren Darstellungen er offenbar aus den Alten geschöpft, besser würdigen zu können. Bei diesem Anlaß ward man zugleich in den höchst wichtigen Ereignissen und Zuständen der römischen Geschichte hin und her geführt. Von Knebels Übersetzung des Lukrez, welcher nach vielfältigen Studien und Bemühungen endlich herauskam, nötigte zu weiteren Betrachtungen und Studien in demselben Felde; man ward zu dem hohen Stande der römischen Kultur ein halbes Jahrhundert vor Christi Geburt und in das Verhältnis der Dicht- und Redekunst zum Kriegs- und Staatswesen genötigt. Dionys von Halikarnaß konnte nicht versäumt werden, und so reizend war der Gegenstand, daß mehrere Freunde sich mit und an demselben unterhielten.
Nun war der Anteil an der englischen Literatur durch vielfache Bücher und Schriften, besonders auch durch die Hüttnerischen höchst interessanten handschriftlichen Berichte, von London gesendet, immer lebendig erhalten. Lord Byrons früherer Kampf gegen seine schwachen und unwürdigen Rezensenten brachte mir die Namen mancher seit dem Anfange des Jahrhunderts merkwürdig gewordener Dichter und Prosaisten vor die Seele, und ich las daher Jacobsens biographische Chrestomathie mit Aufmerksamkeit, um von ihren Zuständen und Talenten das Genauere zu erfahren. Lord Byrons »Marino Faliero« wie sein »Manfred«, in Dörings Übersetzung, hielten uns jenen werten, außerordentlichen Mann immer vor Augen. »Kenilworth« von Walter Scott, statt vieler andern seiner Romane aufmerksam gelesen, ließ mich sein vorzügliches Talent, Historisches in lebendige Anschauung zu verwandeln, bemerken und überhaupt als höchst gewandt in dieser Dicht- und Schreibart anerkennen.
Unter Vermittlung des Englischen, nach Anleitung des werten Professor Kosegarten, wandte ich mich wieder eine Zeitlang nach Indien. Durch seine genaue Übersetzung des Anfangs von »Kamarupa« kam dieses unschätzbare Gedicht mir wieder lebendig vor die Seele und gewann ungemein durch eine so treue Annäherung. Auch »Nala« studierte ich mit Bewunderung und bedauerte nur, daß bei uns Empfindung, Sitten und Denkweise so verschieden von jener östlichen Nation sich ausgebildet haben, daß ein so bedeutendes Werk unter uns nur wenige, vielleicht nur Leser vom Fache sich gewinnen möchte.
Von spanischen Erzeugnissen nenne ich zuvörderst ein bedeutendes Werk: »Spanien und die Revolution«. Ein Gereister, mit den Sitten der Halbinsel, den Staats-, Hof- und Finanzverhältnissen gar wohl bekannt, eröffnet uns methodisch und zuverlässig, wie es in den Jahren, wo er selbst Zeuge gewesen, mit den innern Verhältnissen ausgesehen, und gibt uns einen Begriff von dem, was in einem solchen Lande durch Umwälzungen bewirkt wird. Seine Art, zu schauen und zu denken, sagt dem Zeitgeist nicht zu; daher sekretiert dieser das Buch durch ein unverbrüchliches Schweigen, in welcher Art von Inquisitionszensur es die Deutschen weit gebracht haben.
Zwei Stücke von Calderon machten mich sehr glücklich: der absurdeste Gegenstand in »Aurora von Copacabana«, der vernunft- und naturgemäßeste, »Die Tochter der Luft«, beide mit gleichem Geist und überschwenglichem Talent behandelt, daß die Macht des Genies in Beherrschung alles Widersprechenden daraus aufs kräftigste hervorleuchtet und den hohen Wert solcher Produktionen doppelt und dreifach beurkundet.
Eine spanische Blumenlese, durch Gefälligkeit des Herrn Perthes erhalten, war mir höchst erfreulich; ich eignete mir daraus zu, was ich vermochte, obgleich meine geringe Sprachkenntnis mich dabei manche Hinderung erfahren ließ.
Aus Italien gelangte nur wenig in meinen Kreis: »Ildegonda« von Grossi erregte meine ganze Aufmerksamkeit, ob ich gleich nicht Zeit gewann, öffentlich darüber etwas zu sagen. Hier sieht man die mannigfaltigste Wirksamkeit eines vorzüglichen Talents, das sich großer Ahnherren rühmen kann, aber auf eine wundersame Weise. Die Stanzen sind ganz fürtrefflich, der Gegenstand modern unerfreulich, die Ausführung höchst gebildet nach dem Charakter großer Vorgänger: Tassos Anmut, Ariosts Gewandtheit, Dantes widerwärtige, oft abscheuliche Großheit, eins nach dem andern wickelt sich ab. Ich mochte das Werk nicht wieder lesen, um es näher zu beurteilen, da ich genug zu tun hatte, die gespensterhaften Ungeheuer, die mich bei der ersten Lesung verschüchterten, nach und nach aus der Einbildungskraft zu vertilgen.
Desto willkommener blieb mir »Graf Carmagnola«, Trauerspiel von Manzoni, einem wahrhaften, klar auffassenden, innig durchdringenden, menschlich fühlenden, gemütlichen Dichter.
Von der neuern deutschen Literatur durft ich wenig Kenntnis nehmen; meist nur, was sich unmittelbar auf mich bezog, konnt ich in meine übrige Tätigkeit mit aufnehmen. Zaupers »Grundzüge einer deutschen theoretisch-praktischen Poetik« brachten mich mir selbst entgegen und gaben mir, wie aus einem Spiegel, zu manchen Betrachtungen Anlaß. Ich sagte mir: Da man ja doch zum Unterrichte der Jugend und zur Einleitung in eine Sprache Chrestomathien anwendet, so ist es gar nicht übel getan, sich an einen Dichter zu halten, der mehr aus Trieb und Schicksal denn aus Wahl und Vorsatz dahin gelangt, selbst eine Chrestomathie zu sein: denn da findet sich im ganzen doch immer ein aus dem Studium vieler Vorgänger gebildeter Sinn und Geschmack. Dieses beschränkt keineswegs den jüngeren Mann, der einen solchen Gang nimmt, sondern nötigt ihn, wenn er sich lange genug in einem gewissen Kreise eigensinnig umhergetrieben hat, zum Ausflug in die weite Welt und in die Ferne der Zeitalter, wie man an Schubarth sehen kann, der sich eine ganze Weile in meinem Bezirk enthielt und sich dadurch nur gestärkt fand, nunmehr die schwierigsten Probleme des Altertums anzugreifen und eine geistreiche Lösung zu bewirken. Dem guten Zauper sagte ich manches, was ihm förderlich sein konnte, und beantwortete seine »Aphorismen«, die er mir im Manuskript zusendete, mit kurzen Bemerkungen, für ihn und andere nicht ohne Nutzen.
Die Neigung, womit Dr. Kannegießer meine »Harzreise« zu entziffern suchte, bewog mich, in meine frühste Zeit zurückzugehen und einige Aufschlüsse über jene Epoche zu geben.
Ein Manuskript aus dem funfzehnten Jahrhundert, die Legende der Heiligen Drei Könige ins Märchenhafteste dehnend und ausmalend, hatte mich, da ich es zufällig gewann, in manchem Sinne interessiert. Ich beschäftigte mich damit, und ein geistreicher junger Mann, Dr. Schwab, mochte es übersetzen. Dieses Studium gab Anlaß zu Betrachtung, wie Märchen und Geschichten epochenweise gegen- und durcheinander arbeiten, so daß sie schwer zu sondern sind und man sie durch ein weiteres Trennen nur weiter zerstört.
Jedesmal bei meinem Aufenthalt in Böhmen bemüht ich mich einigermaßen um Geschichte und Sprache, wenn auch nur im allgemeinsten. Diesmal las ich wieder Zacharias Theobaldus’ »Hussitenkrieg« und ward mit Stransky, »Respublica Bohemiae«, mit der Geschichte des Verfassers selbst und dem Werte des Werks zu Vergnügen und Belehrung näher bekannt. Durch die Ordnung der akademischen Bibliothek zu Jena wurde auch eine Sammlung fliegender Blätter des sechzehnten Jahrhunderts dem Gebrauch zugänglich: einzelne Nachrichten, die man in Ermangelung von Zeitungen dem Publikum mitteilte, wo man unmittelbar mit dem ursprünglichen Faktum genauer bekannt wurde als jetzt, wo jedesmal eine Partei uns dasjenige mitteilt, was ihren Gesinnungen und Absichten gemäß ist, weshalb man erst hinterdrein die Tagesblätter mit Nutzen und wahrer Einsicht zu lesen in den Fall kommt.
Die unschätzbare Boisseréesche Sammlung, die uns einen neuen Begriff von früherer niederdeutscher Kunstmalerei gegeben und so eine Lücke in der Kunstgeschichte ziemlich ausgefüllt hat, sollte denn auch durch treffliche Steindrücke dem Abwesenden bekannt und der Ferne sogleich angelockt werden, sich diesen Schätzen persönlich zu nähern. Strixner, schon wegen seiner Münchner Arbeiten längst gerühmt, zeigte sich auch hier zu seinem großen Vorteil; und obgleich der auffallende Wert der Originalbilder in glänzender Färbung besteht, so lernen wir doch hier den Gedanken, den Ausdruck, die Zeichnung und Zusammensetzung kennen und werden, wie mit den oberdeutschen Künstlern durch Kupferstiche und Holzschnitte, so hier durch eine neuerfundene Nachbildungsweise auch mit den bisher unter uns kaum genannten Meistern des funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts vertraut. Jeder Kupferstichsammler wird sich diese Hefte gern anschaffen, da in Betracht ihres innern Wertes der Preis für mäßig zu achten ist.
So erschienen uns denn auch die Hamburger Steindrücke, meist Porträts, in Vortrefflichkeit von zusammen lebenden und arbeitenden Künstlern unternommen und ausgeführt. Wir wünschen einem jeden Liebhaber Glück zu guten Abdrücken derselben.
Vieles andere, was die Zeit hervorbrachte und was wohl für grenzenlos angesprochen werden kann, ist an anderem Orte genannt und gewürdigt.
Nun wollen wir noch einer eigenen Bemühung gedenken, eines weimarisch-lithographischen Heftes mit erklärendem Text, das wir unter dem Titel einer »Pinakothek« herausgaben. Die Absicht war, manches bei uns vorhandene Mitteilungswerte ins Publikum zu bringen. Wie es aber auch damit mochte beschaffen sein, dieser kleine Versuch erwarb sich zwar manche Gönner, aber wenig Käufer und ward nur langsam und im stillen fortgesetzt, um den wackeren Künstler nicht ohne Übung zu lassen und eine Technik lebendig zu erhalten, welche zu fördern ein jeder Ort, groß oder klein, sich zum Vorteil rechnen sollte.
Nun aber brachte die Kupferstecherkunst nach langem Erwarten uns ein Blatt von der größten Bedeutung. Hier wird uns in schönster Klarheit und Reinlichkeit ein Bild Raffaels überliefert, aus den schönsten Jünglingsjahren; hier ist bereits soviel geleistet als noch zu hoffen. Die lange Zeit, welche der überliefernde Kupferstecher Longhi hierauf verwendet, muß als glücklich zugebracht angesehen werden, so daß man ihm den dabei errungenen Gewinn gar wohl gönnen mag.
Von Berlin kamen uns fast zu gleicher Zeit Musterblätter für Handwerker, die auch wohl einem jeden Künstler höchst willkommen sein müßten. Der Zweck ist edel und schön, einer ganzen großen Nation das Gefühl des Schönen und Reinen auch an unbelebten Formen mitzuteilen; daher ist an diesen Mustern alles musterhaft: Wahl der Gegenstände, Zusammenstellung, Folge und Vollständigkeit – Tugenden, welche zusammen, diesem Anfange gemäß, sich in den zu wünschenden Heften immer mehr offenbaren werden.
Nach so trefflichen ins Ganze reichenden Arbeiten darf ich wohl eines einzelnen Blattes gedenken, das sich zunächst auf mich bezieht, doch als Kunstwerk nicht ohne Verdienst bleibt; man verdankt es der Bemühung, welche sich Dawe, ein englischer Maler, bei seinem längeren hiesigen Aufenthalt um mein Porträt gegeben; es ist in seiner Art als gelungen anzusprechen und war es wohl wert, in England sorgfältig gestochen zu werden.
In die freie Welt wurden wir durch Landschaftszeichnungen des Herrn David Heß aus Zürich hinausgeführt. Eine sehr schön kolorierte Aquatintenfolge brachte uns auf den Weg über den Simplon, ein Kolossalbau, der zu seiner Zeit viel Redens machte.
In ferne Regionen versetzten uns die Zeichnungen zu des Prinzen von Neuwied Durchlaucht brasilianischer Reise: das Wundersame der Gegenstände schien mit der künstlerischen Darstellung zu wetteifern.
Noch einer Künstelei muß ich gedenken, die aber als rätselhaft jeden guten erfinderischen Kopf in Anspruch nahm und beunruhigte: es war die Erfindung, eine Kupfertafel nach Belieben größer oder kleiner abzudrucken. Ich sah dergleichen Probeblätter bei einem Reisenden, der solche soeben als eine große Seltenheit von Paris gebracht hatte, und man mußte sich, ungeachtet der Unwahrscheinlichkeit, doch bei näherer Untersuchung überzeugen: der größere und kleinere Abdruck seien wirklich als eines Ursprungs anzuerkennen.
Um nun auch von der Malerei einiges Bedeutende zu melden, so verfehlen wir nicht zu eröffnen, daß, als auf höhere Veranlassung dem talentreichen Hauptmann Raabe nach Italien bis Neapel zu gehen Mittel gegönnt waren, wir ihm den Auftrag geben konnten, verschiedenes zu kopieren, welches zur Geschichte des Kolorits merkwürdig und für diesen wichtigen Kunstteil selbst förderlich werden möchte. Was er während seiner Reise geleistet und ins Vaterland gesendet sowie das nach Vollendung seiner Wanderschaft Mitgebrachte war gerade der lobenswürdige Beitrag, den wir wünschten. Die »Aldobrandinische Hochzeit« in ihrem neusten Zustande, die unschätzbaren Tänzerinnen und bacchischen Zentauren, von deren Gestalt und Zusammensetzung man allenfalls im Norden durch Kupferstiche unterrichtet wird, sah man jetzt gefärbt und konnte auch hier den großen antiken Geschmacksinn freudig bewundern. Solche Bemühung wollte freilich deutschen, von modernem Irrsal befangenen Kunstjüngern nicht einsichtig werden, weshalb man denn sowohl sich selbst als den verständigen Künstler zu beruhigen wußte.
Angenähert dem antiken Sinne, erschien uns darauf Mantegnas »Triumphzug« abermals höchst willkommen; wir ließen, gestützt auf den eigenhändigen Kupferstich des großen Künstlers, das zehnte hinter den Triumphwagen bestimmte Blatt in gleicher Art und Größe zeichnen und brachten dadurch eine höchst lehrreich abgeschlossene Folge zur Anschauung.
Mit größter Sorgfalt in Zeichnung und Farbe nachgebildete Kopien alter Glasmalereien der Sankt Gereonskirche in Köln setzten jedermann in Verwunderung und gaben einen merkwürdigen Beleg, wie sich eine aus ihren ersten Elementen auftretende Kunst zu Erreichung ihrer Zwecke zu benehmen gewußt.
Anderes dieser niederdeutschen Schule, weiter heraufkommend und ausgebildeter, ward uns durch die Freundlichkeit des Boisseréeschen Kreises zuteil, wie uns denn auch später von Kassel ein neueres, zu dem Alten zurückstrebendes Kunstbemühen vor Augen kam: drei singende Engel von Ruhl, welche wir wegen ausführlicher Genauigkeit besonderer Aufmerksamkeit wertzuachten Ursache hatten.
Im Gegensatz jedoch von dieser strengen, sich selbst retardierenden Kunst kam uns von Antwerpen ein lebenslustiges Gemälde: Rubens als Jüngling, von einer schönen, stattlichen Frau dem alternden Lipsius vorgestellt, und zwar in dem unverändert aus jener Zeit her verbliebenen Zimmer, worin dieser auf seine Weise vorzügliche Mann als Revisor der Plantinischen Offizin gearbeitet hatte.
Unmittelbar stimmte hiezu eine Kopie nach den Söhnen Rubens’ in Dresden, welche Gräfin Julie von Egloffstein vor kurzem lebhaft und glücklich vollendet hatte. Wir bewunderten zu gleicher Zeit ihr höchst geübtes und ausgebildetes Talent in einem Zeichenbuche, worin sie Freundesporträte sowie landschaftliche Familiensitze mit so großer Gewandtheit als Natürlichkeit eingezeichnet.
Endlich kam auch mein eigenes stockendes Talent zur Sprache, indem bedeutende und werte Sammler etwas von meiner Hand verlangten, denen ich denn mit einiger Scheu willfahrte, zugleich aber eine ziemliche Anzahl von mehr als gewohnt reinlichen Blättern in einen Band vereinigte: Es waren die vom Jahre 1810, wo mich zum letzten Male der Trieb, die Natur nach meiner Art auszusprechen, monatelang belebte; sie durften für mich, des sonderbaren Umstands halber, einigen Wert haben.
Im Bezug auf die Baukunst verhielt ich mich eigentlich nur historisch, theoretisch und kritisch. Oberbaudirektor Coudray, gründlich, gewandt, so tätig als geistreich, gab mir Kenntnis von den bei uns zu unternehmenden Bauten, und das Gespräch darüber war mir höchst förderlich. Wir gingen manche bedeutende Kupferwerke zusammen durch, das neue von Durand: »Partie graphique des cours d’architecture etc.«, an kurz vergangene Zeit erinnernd; Richardson: »The New Vitruvius Britannicus«, und im einzelnen die stets musterhaften Zieraten Albertollis und Moreaus.
Höchst vollkommen in diesem Fache war eine Zeichnung, mir von Berlin durch das Wohlwollen des Herrn Theaterintendanten zugesendet, die Dekoration, innerhalb welcher bei Eröffnung des Theaters der von mir verfaßte Prolog gesprochen worden.
Boisserées Abhandlung über den Kölner Dom rief mich in frühere Jahrhunderte zurück; man bedurfte aber das Manuskript eher, als mir lieb war, und der mit augenblicklichem Interesse angesponnene Faden der Reflexionen zerriß, dessen ebenso eifriges Anknüpfen jedoch manchen Zufälligkeiten unterworfen sein möchte.
Hatte man nun dort die altdeutsche Baukunst auf ihrem höchst geregelten Gipfel erblickt, so ließen andere Darstellungen, wie z.B. die alten Baudenkmale im österreichischen Kaisertume, nur eine beim Hergebrachten ins Willkürliche auslaufende Kunst sehen.
An eine gute Zeit dieser Bauart erinnerte jedoch eine uralte jüdische Synagoge in Eger, einst zur christlichen Kapelle umgewandelt, jetzt verwaist vom Gottesdienste des Alten und Neuen Testaments. Die Jahrzahl einer alten hebräischen Inschrift hoch am Pfeiler war selbst einem durchreisenden studierten Juden nicht zu entziffern. Dieselbe Zweideutigkeit, welche sowohl die Jahres- als Volkszahlen der Ebräer höchst unsicher läßt, waltet auch hier und hieß uns von fernerer Untersuchung abstehen.
In der Plastik zeigte sich auch einige Tätigkeit, wenn nicht im Vielen, doch im Bedeutenden; einige Büsten in Gips und Marmor vom Hofbildhauer Kaufmann erhalten Beifall, und eine kleinere Medaille mit Serenissimi Bild, in Paris zu fertigen, ward besprochen und beraten.
Theorie und Kritik, auch sonstiger Einfluß verfolgte seinen Gang und nützte bald im Engeren, bald im Breiteren. Ein Aufsatz des Weimarischen Kunstfreundes für Berlin, Kunstschulen und Akademien betreffend, ein anderer, auf Museen rücksichtlich, nach Überzeugung mitgeteilt, wenn auch nicht allerorten mit Billigung aufgenommen; eine Abhandlung über den Steindruck, die Meister solcher Kunst belobend, ihnen gewiß erfreulich: alles dieses zeigte von dem Ernst, womit man das Heil der Kunst von seiner Seite zu fördern mannigfaltig bedacht war.
Eine sehr angenehme Unterhaltung mit auswärtigen Freunden gewährte, durch Vermittelung von Kupferstichen, manche Betrachtung über Konzeption, höhere sowie technische Komposition, Erfinden und Geltendmachen der Motive. Der hohe Wert der Kupferstecherkunst in diesem historischen Sinne ward zugleich hervorgehoben und sie für ein Glück gehalten.
Die Musik versprach gleichfalls in meinem häuslichen Kreise sich wieder zu heben; Alexander Boucher und Frau mit Violine und Harfe setzten zuerst einen kleinen Kreis versammelter Freunde in Verwunderung und Erstaunen, wie es ihnen nachher mit unserm und dem so großen und an alles Treffliche gewöhnten Berliner Publikum gelang. Direktor Eberweins und seiner Gattin musikalisch-produktive und ausführende Talente wirkten zu wiederholtem Genuß, und in der Hälfte Mai konnte schon ein größeres Konzert gegeben werden. Rezitation und rhythmischen Vortrag zu vernehmen und anzuleiten war eine alte, nie ganz erstorbene Leidenschaft. Zwei entschiedene Talente dieses Faches, Gräfin Julie Egloffstein und Fräulein Adele Schopenhauer, ergötzten sich, den Berliner Prolog vorzutragen, jede nach ihrer Weise, jede die Poesie durchdringend und ihrem Charakter gemäß in liebenswürdiger Verschiedenheit darstellend. Durch die kenntnisreiche Sorgfalt eines längst bewährten Freundes, Hofrat Rochlitz, kam ein bedachtsam geprüfter Streicherischer Flügel von Leipzig an, glücklicherweise: denn bald darauf brachte uns Zelter einen höchste Verwunderung erregenden Zögling, Felix Mendelssohn, dessen unglaubliches Talent wir ohne eine solche vermittelnde Mechanik niemals hätten gewahr werden können. Und so kam denn auch ein großes, bedeutendes Konzert zustande, wobei unser nicht genug zu preisende Kapellmeister Hummel sich gleichfalls hören ließ, der sodann auch von Zeit zu Zeit durch die merkwürdigsten Ausübungen den Besitz des vorzüglichen Instrumentes ins Unschätzbare zu erheben verstand.
Ich wende mich zur Naturforschung, und da hab ich vor allem zu sagen, daß Purkinjes Werk über das subjektive Sehen mich besonders aufregte. Ich zog es aus und schrieb Noten dazu und ließ in Absicht, Gebrauch davon in meinen Heften zu machen, die beigefügte Tafel kopieren, welche mühsame und schwierige Arbeit der genaue Künstler gern unternahm, weil er in früherer Zeit durch ähnliche Erscheinungen geängstigt worden und nun mit Vergnügen erfuhr, daß sie als naturgemäß keinen krankhaften Zustand andeuteten.
Da auf dem reinen Begriff vom Trüben die ganze Farbenlehre beruht, indem wir durch ihn zur Anschauung des Urphänomens gelangen und durch eine vorsichtige Entwicklung desselben uns über die ganze sichtbare Welt aufgeklärt finden, so war es wohl der Mühe wert, sich umzusehen, wie die verschiedenen Völker sich hierüber ausgedrückt, von wo sie ausgegangen und wie sie, roher oder zarter, in der Beziehung sich näherer oder entfernterer Analogien bedient. Man suchte gewisse Wiener Trinkgläser habhaft zu werden, auf welchen eine trübe Glasur das Phänomen schöner als irgendwo darstellte.
Verschiedenes Chromatische wurde zum vierten Hefte aus früheren Papieren hervorgesucht, Bernardinus Telesius sowohl überhaupt als besonders der Farbe wegen studiert. Seebecks Vorlesung »Über die Wärme im prismatischen Sonnenbilde« war höchst willkommen, und die früheren eigenen Vorstellungen über diese merkwürdigen Erscheinungen erwachten wieder.
Hofmechanikus Körner beschäftigte sich, Flintglas zu fertigen, stellte in seiner Werkstatt nach französischen Vorschriften ein Instrument auf zu den sogenannten Polarisationsversuchen; das Resultat derselben war, wie man sich schon lange belehrt hatte, kümmerlich, und merkwürdig genug, daß zu gleicher Zeit eine Fehde zwischen Biot und Arago laut zu werden anfing, woraus für den Wissenden die Nichtigkeit dieser ganzen Lehre noch mehr an den Tag kam.
Herr von Henning von Berlin besuchte mich, er war in die »Farbenlehre«, dem zufolge, was ich mit ihm sprach, vollkommen eingeweiht und zeigte Mut, öffentlich derselben sich anzunehmen. Ich teilte ihm die Tabelle mit, woraus hervorgehen sollte, was für Phänomene und in welcher Ordnung man bei einem chromatischen Vortrag zu schauen und zu beachten habe.
In der Kenntnis der Oberfläche unsres Erdbodens wurden wir sehr gefördert durch Graf Sternbergs »Flora der Vorwelt«, und zwar deren erstes und zweites Stück. Hiezu gesellte sich die »Pflanzenkunde« von Rhode in Breslau. Auch des Urstiers, der aus dem Haßleber Torfbruch nach Jena gebracht und dort aufgestellt wurde, ist wohl als eines der neuesten Zeugnisse der früheren Tiergestalten hier zu erwähnen. Das »Archiv der Urwelt« hatte schon eines gleichen gedacht, und mir ward das besondere Vergnügen, mit Herrn Körte in Halberstadt bei dieser Gelegenheit ein früheres freundliches Verhältnis zu erneuern.
Die Absicht Kefersteins, einen geologischen Atlas für Deutschland herauszugeben, war mir höchst erwünscht; ich nahm eifrig teil daran und war gern, was die Färbung betrifft, mit meiner Überzeugung beirätig. Leider konnte durch die Gleichgültigkeit der ausführenden Techniker gerade dieser Hauptpunkt nicht ganz gelingen. Wenn die Farbe zu Darstellung wesentlicher Unterschiede dienen soll, so müßte man ihr die größte Aufmerksamkeit widmen.
Die Marienbader Gebirgsarten sammelte man mit Sorgfalt; in Jena geordnet, wurden sie dann versuchsweise dem Publikum mitgeteilt, sowohl um mich selbst bei Wiederkehr eines Anhaltens zu versichern, als auch Nachfolgern dergleichen an die Hand zu geben. Sartorius übergab dem jenaischen Museum eine Folge der Gebirgsarten, von der Rhön sich herschreibend, als Beleg zu seiner dem Vulkan gewidmeten Abhandlung.
Auch in diesem Jahre lenkte ich die Aufmerksamkeit meiner schlesischen Freunde auf den Prieborner gegliederten Sandstein, oder wie man diese wundersame Gebirgsart nennen will, sowie auf die in früherer Zeit häufigen, aber nicht erkannten Blitzröhren bei Massel, an einem endlichen Gelingen nicht verzweifelnd.
Im allgemeinsten wurde ich gefördert durch d’Aubuisson de Voisins’ »Geognosie« und durch Sorriot, »Höhenkarte von Europa«.
Meteorologie ward fleißig betrieben; Professor Posselt tat das Seinige; Kondukteur Schrön bildete sein Talent immer mehr aus; Hofmechanikus Körner war in allen technischen Vorrichtungen auf das sorgfältigste behülflich, und alles trug bei, die Absichten und Anordnungen des Fürsten möglichst zu befördern. Eine Instruktion für die sämtlichen Beobachter im Großherzogtum ward aufgesetzt, neue Tabellen gezeichnet und gestochen; die atmosphärischen Beobachtungen in der Mitte April waren merkwürdig sowie der Höherauch vom 27. Juni. Der junge Preller brachte meine Wolkenzeichnungen ins reine, und damit es an keinerlei Beobachtungen fehlen möge, beauftragte man den jenaischen Türmer, auf gewisse Meteore aufmerksam zu sein. Indessen gaben die Dittmarischen Prophezeiungen viel zu reden, woraus aber weder Nutzen noch Beifall hervorging.
Wollte man ausführlicher von der belvederischen Tätigkeit in der Pflanzenkultur sprechen, so müßte man hiezu ein eigenes Heft verwenden. Erwähnt sei nur, daß ein Palmenhaus zustande kam, welches zugleich dem Kenner genügen und den Geschmack eines jeden Besuchenden befriedigen muß. Das entgegengesetzte Ende der tropischen Vegetation gaben getrocknete Pflanzenexemplare von der Insel Melville, welche durch Kummer und Dürftigkeit sich besonders auszeichneten und das letzte Verschwinden einer übrigens bekannten Vegetation vors Auge setzten. Der Klotz eines beschädigten und wieder zusammengewachsenen Baumstammes gab zu manchen Untersuchungen über die Wiederherstellungskraft der Natur Anlaß.
In Jena fing der Botanische Garten an, sich neu belebt zu zeigen; der demselben vorgesetzte Hofrat Voigt, imgleichen der dabei angestellte Kunstgärtner Baumann machten eine Reise nach Berlin, woher sie nicht ohne Vorteil für sich und die Anstalt zurückkehrten.
Ich ließ mir angelegen sein, die beiden Bände »Morphologie« und »Wissenschaftslehre« durch das vierte Heft abzuschließen, und behielt noch so viel Vorrat übrig, um auch wohl ein folgendes vorzubereiten.
1822
Zur altdeutschen Baukunst, zur Prüfung ihres Charakters durch Schätzung ihres Sinnes, zum Begriff der Zeit, worin sie entstand, führten mich zwei bedeutende Werke. Mollers »Deutsche Baudenkmale«, deren erstes Heft nun geschlossen, lagen uns vor. Nach mehreren Probedrücken erschien auch das erste Heft des Boisseréeschen Domwerks. Ein großer Teil des Textes, den ich vorher im Manuskript studiert hatte, lag bei, und die Überzeugung bestätigte sich, daß zu richtiger Einsicht in dieser Sache Zeit, Religion, Sitte, Kunstfolge, Bedürfnis, Anlage der Jahrhunderte, wo diese Bauart überschwenglich ausgedehnt in Anwendung blühte, alles zusammen als eine große lebendige Einheit zu betrachten sei. Wie sich nun an das Kirchtum auch das Rittertum anschloß zu anderm Bedürfnis in gleichem Sinne, wollte ebenmäßig wohl erwogen sein.
Die Plastik brachte wenig, aber Bedeutendes. Die kleinere Medaille mit Serenissimi Bild und der Inschrift »Doctarum frontium praemia« ward in Paris von Barre geschnitten. Ein kleiner Bacchus von Bronze, echt antik und von der größten Zierlichkeit, ward mir durch die Geneigtheit des Herrn Major von Staff. Er war auf dem Feldzuge nach Italien durch Welschland bis nach Kalabrien gekommen und hatte manches hübsche Kunstwerk anzuschaffen Gelegenheit. Meine Vorliebe für solche Werke kennend, verehrte er mir das kleine Bild, welches, wie ich es ansehe, mich zu erheitern geeignet ist.
Tischbein, aus alter guter Neigung, überraschte mich durch eine Gemme mit Storch und Fuchs, die Arbeit roh, Gedanke und Komposition ganz vortrefflich.
Ich erhalte Howards »Klima von London«, zwei Bände. Posselt schreibt eine Rezension. Die inländischen Beobachtungen gehen nach allen Rubriken fort und werden regelmäßig in Tabellen gebracht. Direktor Bischóf von Dürrenberg dringt auf vergleichende Barometerbeobachtungen, denen man entgegenkommt. Zeichnungen der Wolkengestalten wurden gesammelt, mit Aufmerksamkeit fortgesetzt. Beobachten und Überlegen gehen gleichen Schrittes, dabei wird durch synoptisch-graphische Darstellung der gleichförmige Gang so vieler, wo nicht zu sagen aller Barometer, deren Beobachtungen sich von selbst parallel stellten, zum Anlaß, eine tellurische Ursache zu finden und das Steigen und Fallen des Quecksilbers innerhalb gewisser Grenzen einer stetig veränderten Anziehungskraft der Erde zuzuschreiben.
Bei meinem diesmaligen Aufenthalt in Böhmen ward die geologische Sammlung der Marienbader Gegend wieder aufgenommen und vervollständigt in bezug auf die Akten und das in den Druck gegebene Verzeichnis. In einem Schranke wurden solche, wohlgeordnet, bei der Abreise Dr. Heidler übergeben als Grundlage für künftige Naturforscher. Das Tepler Museum verehrt mir schönen Kalkschiefer mit Fischen und Pflanzen von der Herrschaft Waltsch. Angenehmes und lehrreiches Einsprechen des Herrn von Buch. In Eger traf ich den für Naturkunde aufmerksamen Herrn Rat Grüner beschäftigt, eine uralte kolossale Eiche, die quer über das Flußbett im Tiefen gelegen hatte, hervorziehen zu lassen. Die Rinde war völlig braunkohlenartig. Sodann besuchten wir den ehemaligen Kalkbruch von Dölitz, wo der Mammutszahn sich herschrieb, der, lange Zeit als merkwürdiges Erbstück der besitzenden Familie sorgfältig aufbewahrt, nunmehr für das Prager Museum bestimmt wurde. Ich ließ ihn abgießen, um ihn zur nähern Untersuchung an Herrn d’Alton mitzuteilen.
Mit durchreisenden Fremden wurde das Gesammelte betrachtet wie auch der problematische Kammerberg wieder besucht. Bei allem diesem war Dlask, »Naturgeschichte von Böhmen«, förderlich und behülflich.
Herr von Eschwege kommt aus Brasilien, zeigt Juwelen, Metalle und Gebirgsarten vor. Serenissimus machen bedeutenden Ankauf. Bei dieser Gelegenheit wird mir die Edelsteinsammlung übergeben, welche früher aus der Brückmannischen Erbschaft erkauft wurde. Mir war höchst interessant, eine solche von einem früheren passionierten Liebhaber und für seine Zeit treuen und umsichtigen Kenner zusammengestellte Folge zu revidieren, das später Akquirierte einzuschalten und dem Ganzen ein fröhliches Ansehn zu geben. Eine Zahl von funfzig rohen Demantkristallen, merkwürdig einzeln, noch mehr der Reihe nach betrachtet, jetzt von Herrn Soret nach ihrer Gestaltung beschrieben und geordnet, gab mir eine ganz neue Ansicht über dieses merkwürdige und höchste Naturereignis. Ferner teilte Herr von Eschwege brasilianische Gebirgsarten mit, die abermals bewiesen, daß die Gebirgsarten der Neuen Welt mit denen der Alten in der ersten Urerscheinung vollkommen übereinstimmen; wie denn auch sowohl seine gedruckten als handschriftlichen Bemerkungen hierüber dankenswerten Aufschluß verleihen.
Zur Pflanzenkunde verfertigte ich das »Schema zur Pflanzenkultur im Großherzogtum Weimar«. Ein wunderbar gezeichnetes Buchenholz gewann ich als pathologisches Phänomen. Ein gespaltener Klotz war es von einem Buchstamme, in welchem sich entdeckte, daß vor mehreren Jahren die Rinde regelmäßig mit einem eingeschnittenen Kreuze bezeichnet worden, welches aber, vernarbend überwachsen, in den Stamm eingeschlossen, sich nunmehr in der Spaltung als Form und Abdruck wiederholt.
Das Verhältnis zu Ernst Meyer gab mir neues Leben und Anregung. Das Geschlecht Juncus, von demselben näher bestimmt und durchgeführt, bracht ich mir mit Beihülfe von Host, »Gramina Austriaca«, zur Anschauung.
Und so muß ich noch zum Schluß eines riesenhaften Cactus melocactus, von Herrn Andreä zu Frankfurt gesendet, dankbar erwähnen.
Für das Allgemeine erschienen mehrere bedeutende Werke. Die große naturgeschichtliche Karte von Wilbrand und Ritgen in bezug auf das Element des Wassers und auf Bergeshöhe, wie sich die Organisation überall verhalte. Ihr Wert ward sogleich anerkannt, die schöne augenfällige Darstellung an die Wand geheftet, zum täglichen Gebrauch vorgezeigt und kommentiert in geselligen Verhältnissen und immerfort studiert und benutzt.
Kefersteins »Geognostisches Deutschland« war in seiner Fortsetzung gleichfalls sehr förderlich und wäre es bei genauerer Färbung noch mehr gewesen. Man wird sich’s in solchen Fällen noch öfter wiederholen müssen, daß da, wo man durch Farben unterscheiden will, sie doch auch unterscheidbar sein sollten.
Das vierte Heft meiner morphologischen und naturwissenschaftlichen Bemühungen ward sorgfältig durchdacht und ausgeführt, da mit ihm die beiden Bände für diesmal geschlossen sein sollten.
»Die Veränderung der Erdoberfläche« von Herrn von Hoff gab neuen Reiz. Hier liegt ein Schatz, zu welchem man immer etwas hinzutun möchte, indem man sich daran bereichert.
Ich erhielt zu Anfrischung der Berg- und Gesteinlust bedeutende Pflanzenabdrücke in Kohlenschiefer durch den sorgfältigen und diesen Studien ergebenen Rentamtmann Mahr. Fichtelbergische Mineralien erhalte ich von Redwitz, manches andere von Tirol, wogegen ich den Freunden verschiedenes zusende. Herr Soret vermehrt meine Sammlung durch manches Bedeutende sowohl aus Savoyen als aus der Insel Elba und fernern Gegenden. Seine kristallographische Kenntnis war höchst förderlich in Bestimmung der Diamanten und anderer näher zu bezeichnenden Mineralien, wobei er denn die von ihm in Druck verfaßten Aufsätze willig mitteilte und besprach.
Im Chromatischen ward mir großer Gewinn, indem endlich die Hoffnung erschien, daß ein Jüngerer die Pflicht über sich nehmen wolle, dieses wichtige Kapitel durchzuführen und durchzufechten. Herr von Henning besuchte mich und brachte höchst glücklich geratene entoptische Gläser, auch schwarze Glasspiegel mit, welche verbunden durchaus alle wünschenswerten Phänomene ohne viel weitere Umständlichkeit vor die Augen bringen. Die Unterhaltung war leicht, er hatte das Geschäft durchdrungen, und manche Frage, die ihm übrigblieb, konnt ich ihm gar bald beantworten. Er erzählte von seinen Vorlesungen, wie er es damit gehalten, und zu denen er mir schon die Einleitung mitgeteilt. Wechselseitig tauschte man Ansicht und Versuche; einen älteren Aufsatz über Prismen in Verbindung mit Linsen, die man im bisherigen Vortrag zu falschen Zwecken angewendet, überlieferte ich ihm, und er dagegen regte mich an, die chromatischen Akten und Papiere nunmehr vollkommener und sachgemäßer zu ordnen. Dieses alles geschah im Herbst und gab mir nicht wenig Beruhigung.
Ein entoptischer Apparat war für Berlin eingerichtet und fortgesendet, indessen die einfachen entoptischen Gläser mit schwarzen Glasspiegeln auf einen neuen Weg leiteten, die Entdeckungen vermehrten, die Ansicht erweiterten und sodann zu der entoptischen Eigenschaft des schmelzenden Eises Gelegenheit gaben.
Die »Farbentabelle« wurde revidiert und abgedruckt; ein höchst sorgfältiges Instrument, die Phänomene der Lichtpolarisation nach französischen Grundsätzen sehen zu lassen, ward bei mir aufgestellt, und ich hatte Gelegenheit, dessen Bau und Leistung vollkommen kennenzulernen.
In der Zoologie förderte mich Carus’ »Urwirbel«, nicht weniger eine Tabelle, in welcher die Filiation sämtlicher Wirbelverwandlungen anschaulich verzeichnet war. Hier empfing ich nun erst den Lohn für meine früheren allgemeinen Bemühungen, indem ich die von mir nur geahnte Ausführung bis ins einzelne vor Augen sah. Ein gleiches ward mir, indem ich d’Altons frühere Arbeit über die Pferde wieder durchnahm und sodann durch dessen »Pachyderme und Raubtiere« belehrt und erfreut wurde.
Der hinter dem Ettersberg im Torfbruche gefundene Urstier beschäftigte mich eine Zeitlang. Er ward in Jena aufgestellt, möglichst restauriert und zu einem Ganzen verbunden. Dadurch kam ich wieder mit einem alten Wohlwollenden in Berührung, Herrn Dr. Körte, der mir bei dieser Gelegenheit manches Angenehme erwies.
Heinroths »Anthropologie« gab mir Aufschlüsse über meine Verfahrungsart in Naturbetrachtungen, als ich eben bemüht war, mein naturwissenschaftliches Heft zustande zu bringen.
Herr Purkinje besuchte uns und gewährte einen entschiedenen Begriff von merkwürdiger Persönlichkeit und unerhörter Anstrengung und Aufopferung.
Indem ich zu meiner eigenen Aufklärung Kunkels »Glasmacherkunst«, die ich bisher in düsterem Vorurteil und ohne wahre Schätzung betrachtet hatte, genauer zu kennen und anschaulicher zu machen wünschte, hatte ich manche Kommunikation mit Herrn Dr. Döbereiner, welcher mir die neusten Erfahrungen und Entdeckungen mitteilte. Gegen Ende des Jahrs kam er nach Weimar, um vor Serenissimo und einer gebildeten Gesellschaft die wichtigen Versuche galvanisch-magnetischer wechselseitiger Einwirkung mit Augen sehen zu lassen und erklärende Bemerkungen anzuknüpfen, die bei kurz vorher erfreuendem Besuche des Herrn Professor Oersted nur um desto erwünschter sein mußten.
Was gesellige Mitteilungen betrifft, war dieses Jahr unserem Kreise gar wohl geraten; zwei Tage der Woche waren bestimmt, unsern gnädigsten Herrschaften bei mir einiges Bedeutende vorzulegen und darüber die nötigen Aufklärungen zu geben. Hiezu fand sich denn jederzeit neuer Anlaß, und die Mannigfaltigkeit war groß, indem Altes und Neues, Kunstreiches und Wissenschaftliches jederzeit wohl aufgenommen wurde.
Jeden Abend fand sich ein engerer Kreis bei mir zusammen, unterrichtete Personen beiderlei Geschlechts; damit aber auch der Anteil sich erweiterte, setzte man den Dienstag fest, wo man sicher war, eine gute Gesellschaft an dem Teetisch zusammen zu sehen; auch vorzügliche, Geist und Herz erquickende Musik ward von Zeit zu Zeit vernommen. Gebildete Engländer nahmen an diesen Unterhaltungen teil, und da ich außerdem gegen Mittag gewöhnlich Fremde auf kurze Zeit gern annahm, so blieb ich zwar auf mein Haus eingeschränkt, doch immer mit der Außenwelt in Berührung, vielleicht inniger und gründlicher, als wenn ich mich nach außen bewegt und zerstreut hätte.
Ein junger Bibliothek- und Archivsverwandter macht ein Repertorium über meine sämtlichen Werke und ungedruckten Schriften, nachdem er alles sortiert und geordnet hatte.
Bei dieser Gelegenheit fand sich auch ein vorläufiger Versuch, die Chronik meines Lebens zu redigieren, der bisher vermißt war, wodurch ich mich ganz besonders gefördert sah. Ich setzte gleich darauf mit neuer Lust die Arbeit fort durch weitere Ausführung des Einzelnen.
Van Brée aus Antwerpen sendete seine Hefte »Zur Lehre der Zeichenkunst«. Tischbeins »Homer«, siebentes Stück, kam an. Die große Masse lithographischer Zeichnungen von Strixner und Piloty sonderte ich nach Schulen und Meistern, wodurch denn die Sammlung zuerst wahrhaften Wert gewann. Steindrücke von allen Seiten dauerten fort und brachten manches gute Bild zu unsrer Kenntnis. Einem Freund zuliebe erklärte ich ein paar problematische Kupfer, Polidors »Manna« und ein Tizianisches Blatt, Landschaft, Sankt Georg mir dem Drachen und der ausgesetzten Schönheit; »Mantegnas Triumphzug« ward fernerweit redigiert.
Maler Kolbe von Düsseldorf stellte hier einige Arbeiten aus und vollendete verschiedene Porträte; man freute sich, diesen wackern Mann, den man schon seit den weimarischen Kunstausstellungen gekannt, nunmehr persönlich zu schätzen und sich seines Talents zu freuen. Gräfin Julie Egloffstein machte bedeutende Vorschritte in der Kunst. Ich ließ die Radierungen nach meinen Skizzen austuschen und ausmalen, um sie an Freunde zu überlassen.
Meyers »Kunstgeschichte« ward schließlich mundiert und dem Druck angenähert. Dr. Carus gab einen sehr wohlgedachten und wohlgefühlten Aufsatz über Landschaftsmalerei in dem schönen Sinne seiner eigenen Produktionen.