Sechste Abteilung (I): Achtzehntes Jahrhundert
Erste Epoche: Von Newton bis auf Dollond
Bisher beschäftigten sich die Glieder mehrerer Nationen mit der Farbenlehre: Italiener, Franzosen, Deutsche und Engländer; jetzt haben wir unsern Blick vorzüglich auf die letztere Nation zu wenden, denn aus England verbreitet sich eine ausschließende Theorie über die Welt.
Londoner Sozietät
Wenn wir den Zustand der Naturwissenschaften in England während der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts uns vergegenwärtigen wollen, so ist es für unsere Zwecke hinreichend, mit flüchtiger Feder Ursprung und Wachstum der Londoner Akademie darzustellen. Hiezu geben uns hinlängliche Hülfsmittel Sprat, Birch und die Philosophischen Transaktionen. Nach diesen liefern wir eine Skizze der Geschichte der Sozietät bis auf die königliche Konfirmation, und den Umriß einer Geschichte der Wissenschaften in England, früherer Zeit.
Thomas Sprat
geboren 1634, gestorben 1713
History of the Royal Society of London. Die Ausgabe von 1702, deren wir uns bedienen, scheint nicht die erste zu sein. Das Buch war für den Augenblick geschrieben, und gewiß sogleich gedruckt. Auch ist die französische Übersetzung schon 1669 zu Genf herausgekommen.
Thomas Sprat, nachmals Bischof, war ein frühzeitiger guter Kopf, ein talentvoller, munterer, leidenschaftlicher Lebemann. Er hatte das Glück als Jüngling von vielen Hoffnungen den frühern Versammlungen der Gesellschaft in Oxford beizuwohnen, wodurch er also Ursprung und Wachstum derselben aus eigener Teilnahme kennenlernte. Als man späterhin etwas über die Sozietät ins Publikum bringen wollte, ward er zum Sprecher gewählt und wahrscheinlich von Oldenburg, der das Amt eines Sekretärs bekleidete, mit Nachrichten und Argumenten versehen. So schrieb er die Geschichte derselben bis zur königlichen Konfirmation und etwas weiter, mit vielem Geist, guter Laune und Lebhaftigkeit.
Als Schriftsteller betrachtet, finden wir ihn mehr geeignet, die Angelegenheiten einer Partei in Broschüren mutig zu verfechten – wie er denn sein Vaterland gegen die Zudringlichkeiten eines französischen Reisenden, Desorbières, in einem eigenen Bändchen mit großer Heftigkeit zu schützen suchte –, als daß er ein Buch zu schreiben fähig gewesen wäre, welches man für ein bedächtiges Kunstwerk ansprechen könnte. Wer solche Forderungen an ihn macht, wird ihn unbillig beurteilen, wie es von Montucla geschehen. (Histoire des Mathématiques. Paris 1758. Part. IV. Liv. 8 p. 486. Note a.)
Doch ist auf alle Fälle die erste Hälfte des Buchs sorgfältiger geschrieben und methodischer geordnet als die zweite: denn leider wird seine Arbeit durch das doppelte große Unglück der Seuche und des Brandes zu London unterbrochen. Von da an scheint das Buch mehr aus dem Stegereife geschrieben und sieht einer Kompilation schon ähnlicher. Doch hat er ein großes Verdienst um seine Zeit wie um die Nachwelt.
Denn alle Hindernisse, welche der Sozietät im Wege stehen, sucht er ins klare zu bringen und zu beseitigen; und gewiß hat er dazu beigetragen, daß manche Neigung erhöht und manches Vorurteil ausgelöscht worden. Was uns betrifft, so lernen wir den Gang der Gesellschaft, ihre Lage, ihre Grundsätze, ihren Geist und Sinn aus ihm recht wohl kennen. Ihre Handlungsweise nach innen, ihre Verhältnisse nach außen, die Vorstellung, die sich das Publikum von ihren Mitgliedern machte, was man ihr entgegensetzte, was sie für sich anzuführen hatte, das alles liegt in dem Werke teils klar und unbewunden ausgedrückt, teils rednerisch künstlich angedeutet und versteckt.
Glaubt man auch manchmal eine sachwalterische Deklamation zu hören, so müßten wir uns doch sehr irren, wenn nicht auch öfters eine Ironie durchschiene, daß er nämlich die Sozietät wegen verschiedener Tugenden preist, nicht sowohl weil sie solche besitzt, als weil sie solche zu erwerben denken soll.
Der Verfasser zeigt durchaus einen heitern lebhaften Geist, ein vordringendes leidenschaftliches Gemüt. Er hat seine Materie recht wohl inne, schreibt aber nur mit laufender Feder, im Gefühl, daß ihm sein Vorhaben leidlich gelingen müsse.
Eine bessere Übersetzung, als die französische ist, hätte er auf alle Fälle verdient.
Thomas Birch
History of the Royal Society of London. Vier Bände in Quart, der erste von 1666.
Dieses Werk ist eigentlich nur ein Abdruck der Protokolle der Sozietätssessionen bis 1687, und wenn wir den erstgenannten Sprat als einen Sachverwalter ansehen und seine Arbeit nur mit einigem Mißtrauen nutzen, so finden wir dagegen hier die schätzbarsten und untrüglichsten Dokumente, welche, indem sie alle Verhandlungen der Sessionen unschuldig und trocken anzeigen, uns über das, was geschehen, den besten Aufschluß geben. Aus ihnen ist die zerstückelte Manier zu erkennen, womit die Sozietät nach ihrer Überzeugung verfuhr und die Wissenschaften verspätete, indem sie für ihre Beförderung bemüht war.
Philosophische Transaktionen
Diese sind das Archiv dessen, was man bei ihr niederlegte. Hier findet man Nachrichten von den Unternehmungen, Studien und Arbeiten der Forscher in manchen bedeutenden Weltgegenden. Dieses allgemein bekannte Werk hat nach und nach für die Freunde der Wissenschaft einen unschätzbaren Wert erhalten. Denn obgleich jedes zufällige und empirische Sammeln anfangs nur verwirrt und die eigentliche wahre Kenntnis verhindert, so stellt sich, wenn es nur immer fortgesetzt wird, nach und nach die Methode von selbst her, und das, was ohne Ordnung aufbewahrt worden, gereicht dem, der zu ordnen weiß, zum größten Vorteile.
Ungewisse Anfänge der Sozietät
Der Ursprung wichtiger Begebenheiten und Erzeugnisse tritt sehr oft in eine undurchdringliche mythologische Nacht zurück. Die Anfänge sind unscheinbar und unbemerkt und bleiben dem künftigen Forscher verborgen.
Der patriotische Engländer möchte den Ursprung der Sozietät gern früh festsetzen, aus Eifersucht gegen gewisse Franzosen, welche sich gleichzeitig zu solchem Zwecke in Paris versammlet. Der patriotische Londner gönnt der Universität Oxford die Ehre nicht, als Wiege eines so merkwürdigen Instituts gerühmt zu werden.
Man setzt daher ihre frühsten Anfänge um das Jahr 1645 nach London, wo sich namhafte Naturfreunde wöchentlich einmal versammelten, um mit Ausschließung aller Staats- und Religionsfragen, welche in der unglücklichen Zeit des bürgerlichen Kriegs die Nation leidenschaftlich beschäftigten, sich über natürliche Dinge zu unterhalten. Boyle soll dieser Zusammenkünfte, unter dem Namen des unsichtbaren oder philosophischen Kollegiums, in seinen Briefen gedenken.
In den Jahren 1648 und 49 entstand zu Oxford ein ähnlicher Kreis, den die von London dahin versetzten Glieder jener ersten Gesellschaft entweder veranlaß ten oder erweiterten. Auch hier versammelte man sich, um durch Betrachtung der ewig gesetzmäßigen Natur sich über die gesetzlosen Bewegungen der Menschen zu trösten oder zu erheben.
Die Universitäten zu Cambridge und Oxford hatten sich, als Verwandte der bischöflichen Kirche, treu zu dem König gehalten und deshalb von Cromwell und der republikanischen Partei viel gelitten. Nach der Hinrichtung des Königs 1649 und dem vollkommenen Siege der Gegenpartei hatten die an beiden Akademien versammelten Gelehrten alle Ursache, still zu bleiben. Sie hielten sich an die unschuldige Natur fest, verbannten um so ernstlicher aus ihren Zusammenkünften alle Streitigkeiten sowohl über politische als religiöse Gegenstände, und hegten bei ihrer reinen Liebe zur Wahrheit ganz im stillen jene Abneigung gegen Schwärmerei, religiöse Phantasterei, daraus entspringende Weissagungen und andre Ungeheuer des Tages.
So lebten sie zehn Jahre nebeneinander, kamen anfangs öfter, nachher aber seltner zusammen, wobei ein jeder das, was ihn besonders interessierte, das, worauf er bei seinen Studien unmittelbar gestoßen, treulich den übrigen mitteilte, ohne daß man deshalb an eine äußere Form oder an eine innere Ordnung gedacht hätte.
Der größte Teil der Mitglieder dieser Oxforder Gesellschaft ward 1659 nach London zurück und in verschiedene Stellen gesetzt. Sie hielten immerfort mit hergebrachter vertraulicher Gewohnheit aneinander, versammelten sich regelmäßig jeden Donnerstag in Gresham College, und es dauerte nicht lange, so traten manche Londner Naturforscher hinzu, darunter sich mehrere aus dem hohen und niedern Adel befanden.
Beide Klassen des englischen Adels waren mit zeitlichen Gütern reichlich gesegnet. Der hohe Adel besaß von alters her große Güter und Bequemlichkeiten, die er stets zu vermehren im Fall war. Der niedere Adel war seit langer Zeit genötigt worden, gut hauszuhalten und seine Glücksumstände zu verbessern, indem ihn zwei Könige, Jakob und Karl, auf seinen Gütern zu wohnen und Stadt- und Hofleben zu meiden angehalten hatten. Viele unter ihnen waren zur Naturforschung aufgeregt und konnten sich mit Ehren an die neuversammelten Gelehrten anschließen.
Nur kurze Zeit wurde der Wachstum, die Mitteilung dieser Gesellschaft gestört, indem bei den Unruhen, welche nach der Abdankung von Cromwells Sohn entstanden, ihr Versammlungsort in ein Soldatenquartier verwandelt ward. Doch traten sie 1660 gleich wieder zusammen, und ihre Anzahl vermehrte sich.
Den 18. November dieses Jahrs bezeichnet die erste diese große Anstalt begründende Sitzung. Ungefähr fünfzehn Personen waren gegenwärtig; sie bestimmten die Zeit ihrer Versammlung, die Eintritts-und wöchentlichen Zuschußgelder, erwählten einen Präsidenten, Schatzmeister und Sekretär; zwanzig aufzunehmende Personen wurden vorgeschlagen. Bald darauf ordneten sie als Männer, die Gelegenheit genug gehabt hatten, über Konstitutionen nachzudenken, die übrigen zur äußern Form gehörigen Einrichtungen, vortrefflich und zweckmäßig.
Kaum hatte König Karl II. vernommen, daß eine Versammlung solcher ihm von jeher zugetaner Männer sich zu einer Gesellschaft konstituiert, so ließ er ihnen Bestätigung, Schutz und allen Vorschub anbieten und bekräftigte 1662 auf die ehrenvollste Weise die sämtlichen Statuten.
Naturwissenschaften in England
Die Teilnahme des Königs an den natürlichen Wissenschaften kam eben zur rechten Zeit: denn wie bisher teils die Wissenschaften überhaupt, teils die natürlichen verspätet worden, davon soll uns der Bischof Sprat eine flüchtige Übersicht geben.
»Bis zur Verbindung der beiden Häuser York und Lancaster wurden alle Kräfte unseres Landes zu häuslichen Kriegen zwischen dem König und dem Adel oder zu wütenden Kämpfen zwischen jenen beiden getrennten Familien verwendet, wenn nicht irgendeinmal ein mutiger Fürst ihre Kräfte zu fremden Eroberungen zu gebrauchen wußte. Die zwei Rosen waren in der Person des Königs Heinrich VII. vereinigt, dessen Regierung, wie seine Gemütsart, heimlich, streng, eifersüchtig, geizig, aber dabei siegreich und weise war. Wie wenig aber diese Zeit sich zu neuen Entdeckungen vorbereitet fand, sieht man daraus, wie gering er das Anerbieten des Christoph Kolumbus zu schätzen wußte. Die Regierung Heinrichs VIII. war kräftig, kühn, prächtig, freigebig und gelehrt, aber die Veränderung der Religion trat ein, und dies allein war genug, den Geist der Menschen zu beschäftigen.«
»Die Regierung Königs Eduard VI. war unruhig wegen des Zwiespalts derer, die während seiner Minderjährigkeit regierten, und die Kürze seines Lebens hat uns jener Früchte beraubt, die man nach den bewundernswerten Anfängen dieses Königs hoffen konnte. Die Regierung der Königin Maria war schwach, melancholisch, blutdürstig gegen die Protestanten, verdunkelt durch eine fremde Heirat und unglücklich durch den Verlust von Calais. Dagegen war die Regierung der Königin Elisabeth lang, triumphierend, friedlich nach innen und nach außen glorreich. Da zeigte sich, zu welcher Höhe die Engländer steigen können, wenn sie ein Fürst anführt, der ihren Herzen so gut als ihren Händen gebieten kann. In ihren Tagen setzte sich die Reformation fest; der Handel ward geregelt und die Schiffahrt erweiterte sich. Aber obgleich die Wissenschaft schon etwas Großes hoffen ließ, so war doch die Zeit noch nicht gekommen, daß den Naturerfahrungen eine öffentliche Aufmunterung hätte zuteil werden können, indem die Schriften des Altertums und die Streitigkeiten zwischen uns und der römischen Kirche noch nicht völlig studiert und beseitigt waren.«
»Die Regierung des Königs Jakob war glücklich in allen Vorteilen des Friedens und reich an Personen von tiefer Literatur; aber nach dem Beispiele des Königs wendeten sie vorzüglich ihre Aufmerksamkeit auf die Verhandlungen der Religion und der Streitigkeiten, so daß selbst Mylord Bacon, mit allem An sehn, das er im Staate besaß, sein Kollegium Salomons nur als eine Schilderung, als einen Roman zustande bringen konnte. Zwar fing die Zeit Karls I. an, zu solchen Unternehmungen reifer zu werden, wegen des Überflusses und der glücklichen Zustände seiner ersten Jahre, auch wegen der Fähigkeit des Königes selbst, der nicht nur ein unnachahmlicher Meister in Verstand und Redekunst war, sondern der auch in verschiedenen praktischen Künsten sich über die gewöhnliche Weise der Könige, ja sogar über den Fleiß der besten Künstler erhob. Aber ach! er wurde von den Studien, von Ruhe und Frieden hinweg zu der gefährlichern und rühmlichern Laufbahn des Märtyrers berufen.«
»Die letzten Zeiten des bürgerlichen Kriegs und der Verwirrung haben, zum Ersatz jenes unendlichen Jammers, den Vorteil hervorgebracht, daß sie die Geister der Menschen aus einem langen Behagen, aus einer müßigen Ruhe herausrissen und sie tätig, fleißig und neugierig machten. Und gegenwärtig, seit der Rückkehr des Königs, ist die Verblendung vergangener Jahre mit dem Jammer der letzten verschwunden. Die Menschen überhaupt sind müde der Überbleibsel des Altertums und gesättigt von Religionsstreitigkeiten. Ihre Augen sind gegenwärtig nicht allein offen und bereitet zur Arbeit, sondern ihre Hände sind es auch. Man findet jetzo ein Verlangen, eine allgemeine Begierde nach einer Wissenschaft, die friedlich, nützlich und nährend sei und nicht wie die der alten Sekten, welche nur schwere und unverdauliche Argumente gaben oder bittere Streitigkeiten statt Nahrung, und die, wenn der Geist des Menschen Brot verlangte, ihm Steine reichten, Schlangen oder Gift.«
Äußere Vorteile der Sozietät
Der Teilnahme des Königs folgte sogleich die der Prinzen und reichen Barone. Nicht allein Gelehrte und Forscher, sondern auch Praktiker und Techniker mußten sich für eine solche Anstalt bemühen. Weit ausgebreitet war der Handel; die Gegenstände desselben näher kennen zu lernen, neue Erzeugnisse fremder Weltgegenden in Umlauf zu bringen, war der Vorteil sämtlicher Kaufmannschaft. Wißbegierigen Reisenden gab man lange Register von Fragen mit; eben dergleichen sendete man an die englischen Residenten in den fernsten Ansiedelungen.
Gar bald drängte sich nunmehr von allen Seiten das Merkwürdige herzu. Durch Beantwortung jener Fragen, durch Einsendung von Instrumenten, Büchern und andern Seltenheiten ward die Gesellschaft jeden Tag reicher und ihre Einwirkung bedeutender.
Innere Mängel der Sozietät
Bei allen diesen großen äußeren Vorteilen war auch manches, das ihr widerstand. Am meisten schadete ihr die Furcht vor jeder Art von Autorität. Sie konnte daher zu keiner innern Form gelangen, zu keiner zweckmäßigen Behandlung desjenigen, was sie besaß und was sie sich vorgenommen hatte.
Durch Bacons Anlaß und Anstoß war der Sinn der Zeit auf das Reale, das Wirkliche gerichtet worden. Dieser außerordentliche Mann hatte das große Verdienst, auf die ganze Breite der Naturforschung aufmerksam gemacht zu haben. Bei einzelnen Erfahrungen drang er auf genaue Beobachtung der Bedingungen, auf Erwägung aller begleitenden Umstände. Der Blick in die Unendlichkeit der Natur war geöffnet und zwar bei einer Nation, die ihn sowohl nach innen als nach außen am lebhaftesten und weitesten umherwenden konnte. Sehr viele fanden eine leidenschaftliche Freude an solchen Versuchen, welche die Erfahrungen wiederholten, sicherten und mannigfaltiger machten; andere ergetzten sich hingegen an der nächsten Aussicht auf Anwendung und Nutzen.
Wie aber in der wissenschaftlichen Welt nicht leicht ohne Trennung gewirkt werden kann, so findet man auch hier eine entschiedene Spaltung zwischen Theorie und Praxis. Man hatte noch in frischem Andenken, wie die weichende Scholastik durch eine seltsame Philosophie, durch den Cartesianismus sogleich wieder ersetzt worden. Hier sah man aufs neue ein Beispiel, was ein einziger trefflicher Kopf auf andere zu wirken, wie er sie nach seinem Sinne zu bilden imstande ist. Wie entfernt man sei, die Gesinnungen eines einzelnen gelten zu lassen, drückte die Sozietät unter ihrem Wappen durch den Wahlspruch aus: Nullius in Verba; und damit man ja vor allem Allgemeinen, vor allem, was eine Theorie nur von fern anzudeuten schien, sicher wäre, so sprach man den Vorsatz bestimmt aus, die Phänomene sowie die Experimente an und für sich zu beobachten, nebeneinander, ohne irgendeine künstlich scheinende Verbindung, einzeln stehen zu lassen.
Die Unmöglichkeit, diesen Vorsatz auszuführen, sahen so kluge Leute nicht ein. Man bemerkte nicht, daß sehr bald nach den Ursachen gefragt wurde, daß der König selbst, indem er der Sozietät natürliche Körper verehrte, nach dem Wie der Wirkungen sich erkundigte. Man konnte nicht vermeiden, sich so gut und schlimm, als es gehen wollte, einige Rechenschaft zu geben; und nun entstanden partielle Hypothesen, die mechanische und machinistische Vorstellungsart gewann die Oberhand, und man glaubte noch immer, wenn man ein Gefolgertes ausgesprochen hatte, daß man den Gegenstand, die Erscheinung ausspreche.
Indem man aber mit Furcht und Abneigung sich gegen jede theoretische Behandlung erklärte, so behielt man ein großes Zutrauen zu der Mathematik, deren methodische Sicherheit in Behandlung körperlicher Dinge ihr, selbst in den Augen der größten Zweifler, eine gewisse Realität zu geben schien. Man konnte nicht leugnen, daß sie, besonders auf technische Probleme angewendet, vorzüglich nützlich war, und so ließ man sie mit Ehrfurcht gelten, ohne zu ahnden, daß, indem man sich vor dem Ideellen zu hüten suchte, man das Ideellste zugelassen und beibehalten hatte.
So wie das, was eigentlich Methode sei, den Augen der Gesellen fast gänzlich verborgen war, so hatte man gleichfalls eine sorgliche Abneigung vor einer Methode zu der Erfahrung. Die Unterhaltung der Gesellschaft in ihren ersten Zeiten war immer zufällig gewesen. Was die einen als eigenes Studium beschäftigte, was die andern als Neuigkeit interessierte, brachte jeder unaufgefordert und nach Belieben vor. Ebenso blieb es nach der übrigens sehr förmlich eingerichteten Konstitution. Jeder teilt mit, was gerade zufällig bereit ist. Erscheinungen der Naturlehre, Körper der Naturgeschichte, Operationen der Technik, alles zeigt sich bunt durcheinander. Manches Unbedeutende, anderes durch einen wunderbaren Schein Interessierende, anderes bloß Kuriose findet Platz und Aufnahme; ja sogar werden Versuche mitgeteilt, aus deren nähern Umständen man ein Geheimnis macht. Man sieht eine Gesellschaft ernsthafter würdiger Männer, die nach allen Richtungen Streifzüge durch das Feld der Naturwissenschaft vornehmen, und weil sie das Unermeßliche desselben anerkennen, ohne Plan und Maßregel darin herumschweifen. Ihre Sessionen sind öfters Quodlibets, über die man sich des Lächelns, ja des Lachens nicht enthalten kann.
Die Angst der Sozietät vor irgendeiner rationellen Behandlung war so groß, daß sich niemand getraute, auch nur eine empirische Abteilung und Ordnung in das Geschäft zu bringen. Man durfte nur die verschiedenen Klassen der Gegenstände, man durfte Physik, Naturgeschichte und Technik voneinander trennen und in diesen die notwendigsten Unterabteilungen machen, sodann die Einrichtung treffen, daß in jeder Session nur ein Fach bearbeitet werden sollte, so war der Sache schon sehr geholfen.
Porta hatte schon hundert Jahre vorher die physikalischen Phänomene in Rubriken vorgetragen. Man konnte dieses Buch bequem zum Grunde legen, das alte Wunderbare nach und nach sichten und auslöschen, das in der Zwischenzeit Erfundene nachtragen, sodann das jedesmal bei der Sozietät Vorkommende aus den Protokollen an Ort und Stelle eintragen, so entging man wenigstens der größten Verwirrung und war sicher, daß sich nichts versteckte oder verlor, wie es zum Beispiel mit Mayows Erfahrungen ging, von welchen die Sozietät Notiz hatte, sie aber vernachlässigte und freilich das Genauere nicht erfuhr, weil sie den von Hooke zum Mitglied vorgeschlagenen Mayow nicht aufnahm.
In seiner neuen Atlantis hatte Bacon für das naturforschende Salomonische Kollegium einen ungeheuern romantischen Palast mit vielen Flügeln und Pavillons gebaut, worin sich denn wohl auch mancher äußerst phantastische Saal befand. Diese Andeutungen konnten freilich einer Gesellschaft, die im wirklichen Leben entsprang, wenig Vorteil gewähren; aber bestimmt genug hatte er am Ende jener Dichtung die Notwendigkeit ausgesprochen, die verschiedenen Funktionen eines solchen Unternehmens unter mehrere Personen zu teilen, oder wenn man will, diese Funktionen als voneinander abgesondert, aber doch immer in gleichem Werte nebeneinander fortschreitend zu betrachten.
»Wir haben zwölf Gesellen, sagte er, um uns Bücher, Materialien und Vorschriften zu Experimenten anzuwerben. Drei haben wir, welche alle Versuche, die sich in Büchern finden, zusammenbringen; drei, welche die Versuche aller mechanischen Künste, der freien und praktischen Wissenschaften, die noch nicht zu einer Einheit zusammengeflossen, sammeln. Wir haben drei, die sich zu neuen Versuchen anschicken, wie es ihnen nützlich zu sein scheint; drei, welche die Erfahrungen aller dieser schon Genannten in Rubriken und Tafeln aufstellen, daß der Geist zu Beobachtungen und Schlüssen sie desto bequemer vor sich finde. Drei haben wir, welche diese sämtlichen Versuche in dem Sinne ansehen, daß sie daraus solche Erfindungen ziehen, die zum Gebrauche des Lebens und zur Ausübung dienen; dann aber drei, die nach vielen Zusammenkünften und Ratschlüssen der Gesellschaft, worin das Vorhandene durchgearbeitet worden, Sorge tragen, daß nach dem, was schon vor Augen liegt, neue, tiefer in die Natur dringende Versuche eingeleitet und angestellt werden; dann drei, welche solche aufgegebene Experimente ausführen und von ihrem Erfolg Nachricht geben. Zuletzt haben wir drei, die jene Erfindungen und Offenbarungen der Natur durch Versuche zu höheren Beobachtungen, Axiomen und Aphorismen erheben und befördern, welches nicht anders als mit Beirat der sämtlichen Gesellschaft geschieht.«
Von dieser glücklichen Sonderung und Zusammenstellung ist keine Spur in dem Verfahren der Sozietät, und ebenso geht es auch mit ihren nach und nach sich anhäufenden Besitzungen. Wie sie jeden Naturfreund ohne Unterschied des Ranges und Standes für sozietätsfähig erklärt hatte, ebenso bekannt war es, daß sie alles, was sich nur einigermaßen auf Natur bezog, annehmen und bei sich aufbewahren wolle. Bei der allgemeinen Teilnahme, die sie erregte, fand sich ein großer Zufluß ein, wie es bei allen empirischen Anhäufungen und Sammlungen zu geschehen pflegt. Der König, der Adel, Gelehrte, Ökonomen, Reisende, Kaufleute, Handwerker, alles drängte sich zu, mit Gaben und Merkwürdigkeiten. Aber auch hier scheint man vor irgendeiner Ordnung Scheu gehabt zu haben, wenigstens sieht man in der frühern Zeit keine Anstalt, ihre Vorräte zu rangieren, Katalogen darüber zu machen und dadurch auf Vollständigkeit auch nur von ferne hinzudeuten. Will man sie durch die Beschränktheit und Unsicherheit ihres Lokals entschuldigen, so lassen wir diesen Einwurf nur zum Teil gelten: denn durch einen wahren Ordnungsgeist wären diese Hindernisse wohl zu überwinden gewesen.
Jede einseitige Maxime muß, wenn sie auch zu gewissen Zwecken tauglich gefunden wird, sich zu andern unzulänglich, ja schädlich erzeigen. Sprat mag mit noch so vieler Beredsamkeit den Vorsatz der Gesellschaft, nicht zu theoretisieren, nicht zu methodisieren, nicht zu ordnen, rühmen und verteidigen, hinter seinen vielen Argumenten glaubt man nur sein böses Gewissen zu entdecken; und man darf nur den Gang des Sozietätsgeschäftes in den Protokollen einige Jahre verfolgen, so sieht man, daß sie die aus ihrer Maxime entspringenden Mängel gar wohl nach und nach bemerkt und dagegen, jedoch leider unzulängliche, Anordnungen macht.
Die Experimente sollen nicht aus dem Stegreife vorgelegt, sondern in der vorhergehenden Session angezeigt werden; man ordnet Versuche in gewissen Folgen an, man setzt Komitees nieder, welche, im Vorbeigehen sei es gesagt, in politischen und praktischen Fällen gut sein mögen, in wissenschaftlichen Dingen aber gar nichts taugen. Neigung oder Abneigung, vorgefaßte Meinung der Kommissarien sind hier nicht so leicht wie dort zu kontrollieren. Ferner verlangt man Gutachten und Übersichten; da aber nichts zusammenhängt, so wird eins über das andere vergessen. Selten geschieht, was man sich vorgesetzt hatte, und wenn es geschieht, so ist es meistenteils nicht auslangend noch hinreichend. Und nach welchem Maßstab soll es gemessen, von wem soll es beurteilt werden?
Vielleicht ist hieran auch der im Anfang monatliche Präsidentenwechsel schuld; so wie auch hier die Ungewißheit und Unzulänglichkeit des Lokals, der Mangel eines Laboratoriums und was andere daraus entspringende Hindernisse sind, zur Entschuldigung angeführt werden können.
Mängel, die in der Umgebung und in der Zeit liegen
Von manchem, was sich einem regelmäßigen und glücklichen Fortschritt der Sozietät entgegensetzte, haben wir freilich gegenwärtig kaum eine Ahndung. Man hielt von seiten der Menge, und zwar nicht eben gerade des Pöbels, die Naturwissenschaften und besonders das Experimentieren auf mancherlei Weise für schädlich, schädlich der Schullehre, der Erziehung, der Religion, dem praktischen Leben, und was dergleichen Beschränktheiten mehr waren.
Ingleichen stellen wir uns nicht vor, wenn wir von jenen englischen Experimentalphilosophen so vieles lesen, wie weit man überhaupt zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts noch im Experimentieren zurückstand. Von der alchimistischen Zeit her war noch die Lust am Geheimnis geblieben, von welchem man bei zunehmender Technik, beim Eingreifen des Wissens ins Leben, nunmehr manche Vorteile hoffen konnte. Die Werkzeuge, mit denen man operierte, waren noch höchst unvollkommen. Wer sieht dergleichen Instrumente aus jener Zeit in alten physikalischen Rüstkammern und ihre Unbehülflichkeit nicht mit Verwunderung und Bedauern.
Das größte Übel aber entsprang aus einer gewissen Verfahrungsart selbst. Man hatte kaum den Begriff, daß man ein Phänomen, einen Versuch auf seine Elemente reduzieren könne, daß man ihn zergliedern, vereinfachen und wieder vermannigfaltigen müsse, um zu erfahren, wohin er eigentlich deute. Die fleißigsten Beobachter der damaligen Zeit geben Anlaß zu dieser Reflexion, und Newtons Theorie hätte nicht entstehen können, wenn er für diese Hauptmaxime, die den Experimentierenden leiten soll, irgendeinen Sinn gehabt hätte. Man ergriff einen verwickelten Versuch und eilte sogleich zu einer Theorie, die ihn unmittelbar erklären sollte; man tat gerade das Gegenteil von dem, was man in Mund und Wappen führte.
Robert Hooke
Hooke, der Experimentator und Sekretär der Sozietät, war in demselben Falle, und ob ihm gleich die Gesellschaft manches schuldig ist, so hat ihr doch sein Charakter viel Nachteil gebracht. Er war ein lebhafter, unruhig tätiger Mann von den ausgebreitetsten Kenntnissen, aber er wollte auch nichts für neu oder bedeutend gelten lassen, was irgend angebracht und mitgeteilt wurde. Er glaubte es entweder selbst schon zu kennen oder etwas anderes und Besseres zu wissen.
Soviel er auch tat, ja im einzelnen durcharbeitete, so war er doch durchaus unstet und wurde es noch mehr durch seine Lage, da die ganze Erfahrungsmasse auf ihn eindrang und er, um ihr gewachsen zu sein, seine Kräfte bald dahin, bald dorthin wenden mußte. Dabei war er zerstreut, nachlässig in seinem Amte, obgleich auf seinem eigenen Wege immer tätig.
Viele Jahre müht sich die Sozietät vergebens mit ihm ab. Sehr ernstlich wird ihm auferlegt: er soll regelmäßig Versuche machen, sie vorher anzeigen, in den folgenden Sessionen wirklich darlegen; wobei die gute Sozietät freilich nicht bedenkt, daß Sessionen nicht dazu geeignet sind, Versuche anzustellen und sich von den Erscheinungen vollständig zu überzeugen. Wie ihnen denn auch einmal ein Vogel den Gefallen nicht tun will, unter der Mayowschen Glocke, ehe die Versammlung auseinander geht, zu sterben.
Ähnliche Fälle benutzt Hooke zu allerlei Ausflüchten. Er gehorcht nicht, oder nur halb; man verkümmert ihm seine Pension, er wird nicht gefügsamer, und wie es in solchen Fällen geht, man ermüdet streng zu sein, man bezahlt ihm zuletzt aus Gunst und Nachsicht seine Rückstände auf einmal. Er zeigt eine Anwandlung von Besserung, die nicht lange dauert, und die Sache schleppt sich ihren alten Gang.
So sah es mit der innern Verfassung eines Gerichtshofes aus, bei dessen Entscheidung über eine bedeutende und weit eingreifende Theorie sich die wissenschaftliche Welt beruhigen sollte.
Isaak Newton
geboren 1642, gestorben 1727
Unter denen, welche die Naturwissenschaften bearbeiten, lassen sich vorzüglich zweierlei Arten von Menschen bemerken.
Die ersten, genial, produktiv und gewaltsam, bringen eine Welt aus sich selbst hervor, ohne viel zu fragen, ob sie mit der wirklichen übereinkommen werde. Gelingt es, daß dasjenige, was sich in ihnen entwickelt, mit den Ideen des Weltgeistes zusammentrifft, so werden Wahrheiten bekannt, wovor die Menschen erstaunen und wofür sie jahrhundertelang dankbar zu sein Ursache haben. Entspringt aber in so einer tüchtigen genialen Natur irgendein Wahnbild, das in der allgemeinen Welt kein Gegenbild findet, so kann ein solcher Irrtum nicht minder gewaltsam um sich greifen und die Menschen Jahrhunderte durch hinreißen und übervorteilen.
Die von der zweiten Art, geistreich, scharfsinnig, behutsam, zeigen sich als gute Beobachter, sorgfältige Experimentatoren, vorsichtige Sammler von Erfahrungen; aber die Wahrheiten, welche sie fördern, wie die Irrtümer, welche sie begehen, sind gering. Ihr Wahres fügt sich zu dem anerkannten Richtigen oft unbemerkt oder geht verloren; ihr Falsches wird nicht aufgenommen, oder wenn es auch geschieht, verlischt es leicht.
Zu der ersten dieser Klassen gehört Newton, zu der zweiten die besseren seiner Gegner. Er irrt, und zwar auf eine entschiedene Weise. Erst findet er seine Theorie plausibel, dann überzeugt er sich mit Übereilung, ehe ihm deutlich wird, welcher mühseligen Kunstgriffe es bedürfen werde, die Anwendung seines hypothetischen Aperçus durch die Erfahrung durchzuführen. Aber schon hat er sie öffentlich ausgesprochen, und nun verfehlt er nicht, alle Gewandtheit seines Geistes aufzubieten, um seine These durchzusetzen, wobei er mit unglaublicher Kühnheit das ganz Absurde als ein ausgemachtes Wahre der Welt ins Angesicht behauptet.
Wir haben in der neuern Geschichte der Wissenschaften einen ähnlichen Fall an Tycho de Brahe. Dieser hatte sich gleichfalls vergriffen, indem er das Abgeleitete für das Ursprüngliche, das Untergeordnete für das Herrschende in seinem Weltsystem gestellt hatte. Auch er war zu geschwind mit dieser unhaltbaren Grille hervorgetreten; seine Freunde und gleichzeitigen Verehrer schreiben in ihren vertraulichen Briefen darüber ganz unbewunden und sprechen deutlich aus, daß Tycho, wenn er nicht schon sein System publiziert und eine Zeitlang behauptet hätte, das Kopernikanische wahrscheinlich annehmen und dadurch der Wissenschaft großen Dienst leisten würde; dahingegen nunmehr zu fürchten sei, daß er den Himmel öfter nach seiner Lehre ziehen und biegen werde.
Schon die Zeitgenossen und Mitarbeiter Tychos befreiten sich von seiner ängstlichen verwirrenden Meinung. Aber Newton teilte seine Überzeugung sowie seine Hartnäckigkeit seinen Schülern mit, und wer den Parteigeist kennt, wird sich nicht verwundern, daß diese keine Augen und Ohren mehr haben, sondern das alte Credo immerfort wiederholen, wie es ihnen der Meister eingelernt.
Der Charakter, die Fähigkeiten, das Benehmen, die Schicksale seiner Gegner, können nur im einzelnen vorgetragen werden. Zum Teil begriffen sie nicht, worauf es ankam, zum Teil sahen sie den Irrtum wohl ein, hatten aber weder Kraft noch Geschick noch Opportunität, ihn zu zerstören.
Wir finden 1666 Newton als Studierenden zu Cambridge, mit Verbesserung der Teleskope und mit prismatischen Versuchen zu diesem Zweck beschäftigt, wobei er seine Farbentheorie bei sich festsetzt. Von ihm selbst haben wir hierüber drei Arbeiten, aus welchen wir seine Denkweise übersehen, dem Gange, den er genommen, folgen können.
Lectiones Opticae
Nachdem er 1667 Magister, 1669 Professor der Mathematik an Barrows Stelle geworden, hält er in diesem und den beiden folgenden Jahren der studierenden Jugend Vorlesungen, in welchen er das Physische der Farbenphänomene durch mathematische Behandlung soviel als möglich an dasjenige heranzuziehen sucht, was man von ihm in seiner Stelle erwartet. Er arbeitet diese Schrift nachher immer weiter aus, läßt sie aber liegen, so daß sie erst nach seinem Tode 1729 gedruckt wird.
Brief an den Sekretär der Londner Sozietät
Im Jahre 1671 wird er Mitglied der Londner Sozietät und legt ihr sein neues katoptrisches Teleskop vor und zugleich seine Farbentheorie, aus welcher gefolgert wird, daß die dioptrischen Fernröhre nicht zu verbessern seien.
Dieser Brief eigentlich beschäftigt uns hier, weil Newton den Gang, den er genommen, sich von seiner Theorie zu überzeugen, darin ausführlich erzählt, und weil er überhaupt hinreichend wäre, uns einen vollkommenen Begriff von der Newtonischen Lehre zu geben.
An diesen Brief schließen sich auch die ersten Einwürfe gegen die Newtonische Lehre, welche nebst den Antworten des Verfassers bis 1676 reichen.
Die Optik
Seit gedachtem Jahre läßt sich Newton in weiter keine Kontrovers ein, schreibt aber die Optik, welche 1705 herauskommt, da seine Autorität am höchsten gestiegen und er zum Präsidenten der Sozietät ernannt war. In diesem Werke sind die Erfahrungen und Versuche so gestellt, daß sie allen Einwendungen die Stirn bieten sollen.
Um nunmehr dasjenige, worauf es bei der Sache ankommt, historisch deutlich zu machen, müssen wir einiges aus der vergangenen Zeit nachholen.
Die Wirkung der Refraktion war von den ältesten Zeiten her bekannt, ihre Verhältnisse aber bis in das sechzehnte Jahrhundert nur empirisch bestimmt. Snellius entdeckte das Gesetzliche daran und bediente sich zur Demonstration des subjektiven Versuchs, den wir mit dem Namen der Hebung bezeichnet haben. Andere wählten zur Demonstration den objektiven Versuch, und das Kunstwort Brechung wird davon ausschließlich gebraucht. Das Verhältnis der beiden Sinus des Einfalls- und Brechungswinkels wird rein ausgesprochen, als wenn kein Nebenumstand dabei zu beobachten wäre.
Die Refraktion kam hauptsächlich bei Gelegenheit der Fernröhre zur Sprache. Diejenigen, die sich mit Teleskopen und deren Verbesserung beschäftigten, mußten bemerken, daß durch Objektivgläser, die aus Kugelschnitten bestehen, das Bild nicht rein in einen Punkt zu bringen ist, sondern daß eine gewisse Abweichung stattfindet, wodurch das Bild undeutlich wird. Man schrieb sie der Form der Gläser zu und schlug deswegen hyperbolische und elliptische Oberflächen vor.
So oft von Refraktion, besonders seit Antonius De Dominis, die Rede ist, wird auch immer der Farbenerscheinung gedacht. Man ruft bei dieser Gelegenheit die Prismen zu Hülfe, welche das Phänomen so eminent darstellen. Als Newton sich mit Verbesserung der Teleskope beschäftigte und, um jene Aberration von seiten der Form wegzuschaffen, hyperbolische und elliptische Gläser arbeitete, untersuchte er auch die Farbenerscheinung und überzeugte sich, daß diese gleichfalls eine Art von Abweichung sei wie jene, doch von weit größerer Bedeutung, dergestalt, daß jene dagegen gar nicht zu achten sei, diese aber wegen ihrer Größe, Beständigkeit und Untrennbarkeit von der Refraktion alle Verbesserung der dioptrischen Teleskope unmöglich mache.
Bei Betrachtung dieser die Refraktion immer begleitenden Farbenerscheinung fiel hauptsächlich auf, daß ein rundes Bild wohl seine Breite behielt, aber in der Länge zunahm. Es wurde nunmehr eine Erklärung gefordert, welche im siebzehnten Jahrhundert oft versucht worden, niemanden aber gelungen war.
Newton scheint, indem er eine solche Erklärung aufsuchte, sich gleich die Frage getan zu haben: ob die Ursache in einer innern Eigenschaft des Lichts oder in einer äußern Bedingtheit desselben zu suchen sei? Auch läßt sich aus seiner Behandlung der Sache, wie sie uns bekannt worden, schließen, daß er sich sehr schnell für die erstere Meinung entschieden habe.
Das erste, was er also zu tun hatte, war, die Bedeutsamkeit aller äußern Bedingungen, die bei dem prismatischen Versuche vorkamen, zu schwächen oder ganz zu beseitigen. Ihm waren die Überzeugungen seiner Vorgänger wohl bekannt, welche eben diesen äußern Bedingungen einen großen Wert beigelegt. Er führt ihrer sechs auf, um eine nach der andern zu verneinen. Wir tragen sie in der Ordnung vor, wie er sie selbst aufführt, und als Fragen, wie er sie gleichfalls gestellt hat.
Erste Bedingung. Trägt die verschiedene Dicke des Glases zur Farbenerscheinung bei?
Diese hier nur im allgemeinen und Unbestimmten aufgestellte Frage ward eigentlich dadurch veranlaßt: Antonins De Dominis, Kircher und andere hatten geglaubt, indem sie das Gelbe durch die Spitze des brechenden Winkels oder näher an ihm, das Blaue aber zu oberst, wo das Prisma mehrere Masse hat, hervorgebracht sahen, es sei die größere oder geringere Stärke des Glases Ursache der Farbenverschiedenheit. Sie hätten aber nur dürfen beim Gebrauch eines größeren Prismas dasselbe von unten hinauf, oder von oben herunter, nach und nach zudecken, so würden sie gesehen haben, daß an jeder mittleren Stelle jede Farbe entstehen kann. Und Newton hatte also ganz recht, wenn er in diesem Sinne die Frage mit Nein beantwortet.
Doch haben weder er noch seine Nachfolger auf den wichtigen Umstand aufmerksam gemacht, daß die Stärke oder die Schwäche des Mittels überhaupt, zwar nicht zur Entstehung der verschiedenen Farben, aber doch zum Wachstum oder zur Verminderung der Erscheinung sehr viel beitrage, wie wir am gehörigen Orte umständlich ausgeführt haben. (E. 209–217.) Diese Bedingung ist also keineswegs als vollkommen beseitigt anzusehen, sie bleibt vielmehr in einem Sinne, an den man freilich damals nicht gedacht, als höchst bedeutend bestehen.
Zweite Bedingung. Inwiefern tragen größere oder kleinere Öffnungen im Fensterladen zur Gestalt der Erscheinung, besonders zum Verhältnis ihrer Länge zur Breite bei?
Newton will auch diese Bedingung unbedeutend gefunden haben, welches sich auf keine Weise begreifen läßt, als daß man annimmt, er habe, indem er mit kleinen Prismen operiert, die Öffnungen im Fensterladen nicht von sehr verschiedener Größe machen können. Denn obgleich das Verhältnis der Länge zur Breite im prismatischen Bilde von mancherlei Ursachen abhängt, so ist doch die Größe der Öffnung eine der hauptsächlichsten: denn je größer die Öffnung wird, desto geringer wird das Verhältnis der Länge zur Breite. Man sehe, was wir hierüber im polemischen Teil (92) umständlich und genau ausgeführt haben. Diese zweite Frage wird also von uns auf das entschiedenste mit Ja beantwortet.
Dritte Bedingung. Tragen die Grenzen des Hellen und Dunklen etwas zur Erscheinung bei?
Das ganze Kapitel unseres Entwurfs, welches die Farben abhandelt, die bei Gelegenheit der Refraktion entstehen, ist durchaus bemüht zu zeigen, daß eben die Grenzen ganz allein die Farbenerscheinung hervorbringen. Wir wiederholen hier nur das Hauptmoment.
Es entspringt keine prismatische Farbenerscheinung, als wenn ein Bild verrückt wird, und es kann kein Bild ohne Grenze sein. Bei dem gewöhnlichen prismatischen Versuch geht durch die kleinste Öffnung das ganze Sonnenbild durch, das ganze Sonnenbild wird verrückt; bei geringer Brechung nur an den Rändern, bei stärkerer aber völlig gefärbt.
Durch welche Art von Untersuchung jedoch Newton sich überzeugt habe, daß der Grenze kein Einfluß auf die Farbenerscheinung zuzuschreiben sei, muß jeden, der nicht verwahrlost ist, zum Erstaunen, ja zum Entsetzen bewegen, und wir fordern alle günstige und ungünstige Leser auf, diesem Punkte die größte Aufmerksamkeit zu widmen.
Bei jenem bekannten Versuche, bei welchem das Prisma innerhalb der dunklen Kammer sich befindet, geht das Licht, oder vielmehr das Sonnenbild, zuerst durch die Öffnung und dann durch das Prisma, da denn auf der Tafel das farbige Spektrum erscheint. Nun stellt der Experimentator, um gleichsam eine Probe auf seinen ersten Versuch zu machen, das Prisma hinaus vor die Öffnung und findet in der dunklen Kammer, vor wie nach, sein gefärbtes verlängertes Bild. Daraus schließt er, die Öffnung habe keinen Einfluß auf die Färbung desselben.
Wir fodern alle unsere gegenwärtigen und künftigen Gegner auf diese Stelle. Hier wird von nun an um die Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit des Newtonischen Systems gekämpft, hier, gleich am Eingange des Labyrinths und nicht drinnen in den verworrenen Irrgängen, hier, wo uns Newton selbst aufbewahrt hat, wie er zu seiner Überzeugung gelangt ist.
Wir wiederholen daher was schon oft von uns didaktisch und polemisch eingeschärft worden: das gebrochene Licht zeigt keine Farbe, als bis es begrenzt ist; das Licht nicht als Licht, sondern insofern es als ein Bild erscheint, zeigt bei der Brechung eine Farbe, und es ist ganz einerlei, ob erst ein Bild entstehe, das nachher gebrochen wird, oder ob eine Brechung vorgehe, innerhalb welcher man ein Bild begrenzt.
Man gewöhne sich, mit dem großen Wasserprisma zu operieren, welches uns ganz allein über die Sache einen vollkommnen Aufschluß geben kann, und man wird nicht aufhören, sich zu wundern, durch welch einen unglaublichen Fehlschluß sich ein so vorzüglicher Mann nicht allein zu Anfang getäuscht, sondern den Irrtum so bei sich festwurzeln lassen, daß er wider allen Augenschein, ja wider besser Wissen und Gewissen, in der Folge dabei verharrt und einen ungehörigen Versuch nach dem andern ersonnen, um seine erste Unaufmerksamkeit vor unaufmerksamen Schülern zu verbergen. Man sehe, was von uns im polemischen Teile, besonders zum zweiten Teil des ersten Buchs der Optik, umständlicher ausgeführt worden, und erlaube uns hier den Triumph der guten Sache zu feiern, den ihr die Schule, mit aller ihrer Halsstarrigkeit, nicht lange mehr verkümmern wird.
Jene drei nunmehr abgehandelten Fragepunkte beziehen sich auf Äußerungen älterer Naturforscher. Der erste kam vorzüglich durch Antonius De Dominis, der zweite und dritte durch Kircher und Descartes zur Sprache.
Außerdem waren noch andre Punkte zu beseitigen, andere äußere Bedingungen zu leugnen, die wir nun der Ordnung nach vorführen, wie sie Newton beibringt.
Vierte Bedingung. Sind vielleicht Ungleichheiten und Fehler des Glases schuld an der Erscheinung?
Noch in dem siebzehnten Jahrhunderte sind uns mehrere Forscher begegnet, welche die prismatischen Erscheinungen bloß für zufällig und regellos hielten. Newton bestand zuerst mit Macht darauf, daß sie regelmäßig und beständig seien.
Wenn Ungleichheiten und Fehler des Glases unregelmäßig scheinende Farben hervorbringen, so entstehen sie doch ebenso gut dem allgemeinen Gesetze gemäß, als die entschiedenen des reinsten Glases: denn sie sind nur Wiederholungen im kleinen von der größern Farbenerscheinung an den Rändern des Prismas, indem jede Ungleichheit, jede undurchsichtige Faser, jeder dunkle Punkt als ein Bildchen anzusehen ist, um welches her die Farben entstehen. Wenn also die Haupterscheinung gesetzlich und konstant ist, so sind es diese Nebenerscheinungen auch; und wenn Newton völlig recht hatte, auf dem Gesetzlichen des Phänomens zu bestehen, so beging er doch den großen Fehler, das eigentliche Fundament dieses Gesetzlichen nicht anzuerkennen.
Fünfte Bedingung. Hat das verschiedene Einfallen der Strahlen, welche von verschiedenen Teilen der Sonne herabkommen, Schuld an der farbigen Abweichung?
Es war freilich dieses ein Punkt, welcher eine genaue Untersuchung verdiente. Denn kaum hatte man sich an der durch Huyghens bekannt gewordnen Entdeckung des Snellius, wodurch dem Einfallswinkel zu dem gebrochnen Winkel ein beständiges Verhältnis zugesichert worden, kaum hatte man sich daran erfreut und hierin ein großes Fundament zu künftigen Untersuchungen und Ausübungen erblickt, als nun Newton auf einmal die früher kaum geachtete farbige Aberration so sehr bedeutend finden wollte. Die Geister hielten fest an jener Vorstellung, daß Inzidenz und Brechung in bestimmtem Verhältnisse stehen müsse, und die Frage war natürlich: ob nicht etwa auch bei dieser scheinbar aus der Regel schreitenden Erscheinung eine verschiedene Inzidenz im Spiele sei?
Newton wendete also hier ganz zweckmäßig seine mathematische Genauigkeit an diesen Punkt und zeigte, soviel wir ihn beurteilen können, gründlich, obgleich mit etwas zu viel Umständlichkeit, daß die Farbenerscheinung keiner diversen Inzidenz zugeschrieben werden könne, worin er denn auch ganz recht hat und wogegen nichts weiter zu sagen ist.
Sechste Bedingung. Ob vielleicht die Strahlen nach der Refraktion sich in krummen Linien fortpflanzen und also das so seltsam verlängerte Bild hervorbringen?
Durch Descartes und andre, welche zu mechanischen Erklärungsarten geneigt waren, kam beim Lichte, beim Schall und bei andern schwer zu versinnlichenden Bewegungen das in mechanischen Fällen übrigens ganz brauchbare Beispiel vom Ballschlag zur Sprache. Weil nun der geschlagene Ball sich nicht in gerader Linie, sondern in einer krummen bewegt, so konnte man nach jener globularen Vorstellungsart denken, das Licht erhalte bei der Refraktion einen solchen Schub, daß es aus seiner geradlinigen Bewegung in eine krummlinige überzugehen veranlaßt werde. Gegen diesem Vorstellungen argumentiert und experimentiert Newton, und zwar mit Recht.
Da nunmehr Newton diese sechs äußern Bedingungen völlig removiert zu haben glaubt, so schreitet er unmittelbar zu dem Schlusse: es sei die Farbe dem Licht nicht nur eingeboren, sondern die Farben in ihren spezifischen Zuständen seien in dem Licht als ursprüngliche Lichter enthalten, welche nur durch die Refraktion und andre äußere Bedingungen manifestiert, aus dem Lichte hervorgebracht und in ihrer Uranfänglichkeit und Unveränderlichkeit nunmehr dargestellt würden.
Daß an diesen dergestalt entwickelten und entdeckten Lichtern keine weitere Veränderung vorgehe, davon sucht er sich und andere durch das Experimentum Crucis zu überzeugen; worauf er denn in dreizehn Propositionen seine Lehre mit allen Klauseln und Kautelen, wie sie hernach völlig stehen geblieben, vorträgt, und da er die Farben zuerst aus dem weißen Licht entwickelt, zuletzt sich genötigt sieht, das weiße Licht wieder aus ihnen zusammenzusetzen.
Dieses glaubt er vermittelst der Linse zu leisten, die er ohne weitre Vorbereitung einführt und sich für vollkommen befriedigt hält, wenn er das im Brennpunkt aufgehobene farbige Bild für das wieder zusammengebrachte, vereinigte, gemischte ausgeben kann.
Die Folgerung, die er aus allem diesem zieht, ist sodann, daß es unnütz sei, sich mit Verbesserung der dioptrischen Fernröhre abzugeben, daß man sich vielmehr bloß an die katoptrischen halten müsse, wozu er eine neue Vorrichtung ausgesonnen.
Diese ersten Konfessionen und Behauptungen Newtons wurden in jenem von uns angezeigten Briefe an die königliche Sozietät der Wissenschaften gebracht und durch die Transaktionen öffentlich bekannt. Sie sind das erste, was von Newtons Lehre im Publikum erscheint und uns in manchem Sinne merkwürdig, besonders auch deshalb, weil die ersten Einwendungen seiner Gegner vorzüglich gegen diesen Brief gerichtet sind.
Nun haben wir gesehen, daß sein Hauptfehler darin bestanden, daß er jene Fragen, die sich hauptsächlich darauf beziehen: ob äußere Bedingungen bei der Farbenerscheinung mitwirken? zu schnell und übereilt beseitigt und verneint, ohne auf die näheren Umstände genauer hinzusehen. Deswegen haben wir ihm bei einigen Punkten völlig, bei andern zum Teil, und abermals bei andern nicht widersprechen müssen und können, und wir haben deutlich zu machen gesucht, welche Punkte, und inwiefern sie haltbar sind oder nicht. Widerstrebt nun einer seiner ersten Gegner irrigerweise den haltbaren Punkten, so muß er bei der Kontrovers verlieren, und es entsteht ein gutes Vorurteil für das Ganze; widerstrebt ein Gegner den unhaltbaren Punkten, aber nicht kräftig genug und auf die unrechte Weise, so muß er wieder verlieren, und das Falsche erhält die Sanktion des Wahren.
Schon in diesem Briefe, wie in allen Beantwortungen, die er gegen seine ersten Gegner richtet, findet sich jene von uns in der Polemik angezeigte Behandlungsart seines Gegenstandes, die er auf seine Schüler fortgepflanzt hat. Es ist ein fortdauerndes Setzen und Aufheben, ein unbedingtes Aussprechen und augenblickliches Limitieren, so daß zugleich alles und nichts wahr ist.
Diese Art, welche eigentlich bloß dialektisch ist und einem Sophisten ziemte, der die Leute zum besten haben wollte, findet sich, so viel mir bekannt geworden, seit der scholastischen Zeit wieder zuerst bei Newton. Seine Vorgänger, von den wiederauflebenden Wissenschaften an, waren, wenn auch oft beschränkt, doch immer treulich dogmatisch, wenn auch unzulänglich, doch redlich didaktisch; Newtons Vortrag hingegen besteht aus einem ewigen Hinterstzuvörderst, aus den tollsten Transpositionen, Wiederholungen und Verschränkungen, aus dogmatisierten und didaktisierten Widersprüchen, die man vergeblich zu fassen strebt, aber doch zuletzt auswendig lernt und also etwas wirklich zu besitzen glaubt.
Und bemerken wir nicht im Leben, in manchen andern Fällen: wenn wir ein falsches Aperçu, ein eigenes oder fremdes, mit Lebhaftigkeit ergreifen, so kann es nach und nach zur fixen Idee werden und zuletzt in einen völligen partiellen Wahnsinn ausarten, der sich hauptsächlich dadurch manifestiert, daß man nicht allein alles einer solchen Vorstellungsart Günstige mit Leidenschaft festhält, alles zart Widersprechende ohne weiteres beseitigt, sondern auch das auffallend Entgegengesetzte zu seinen Gunsten auslegt.
Newtons Verhältnis zur Sozietät
Newtons Verdienste, die ihm schon als Jüngling eine bedeutende Lehrstelle verschafft, wurden durchaus höchlich geachtet. Er hatte sich im stillen gebildet und lebte meist mit sich selbst und seinem Geiste: eine Art zu sein, die er auch in spätern Zeiten fortsetzte. Er hatte zu mehreren Gliedern der königlichen Sozietät, die mit ihm beinahe von gleichem Alter war, besonders aber zu Oldenburg, ein sehr gutes Verhältnis.
Oldenburg, aus Bremen gebürtig, bremischer Konsul in London, während des langen Parlaments, verließ seine öffentliche Stelle und ward Hofmeister junger Edelleute. Bei seinem Aufenthalte in Oxford ward er mit den vorzüglichsten Männern bekannt und Freund, und als die Akademie sich bildete, Sekretär derselben, eigentlich der auswärtigen Angelegenheiten, wenn Hooke die innern anvertraut waren.
Als Welt- und Geschäftsmann herangekommen, war seine Tätigkeit und Ordnungsliebe völlig ausgebildet. Er hatte sehr ausgebreitete Verbindungen, korrespondierte mit Aufmerksamkeit und Anhaltsamkeit. Durch ein kluges folgerechtes Bemühen beförderte vorzüglich er den Einfluß und Ruhm der königlichen Sozietät, besonders im Auslande.
Die Gesellschaft hatte kaum einige Zeit bestanden, als Newton in seinem dreißigsten Jahre darin aufgenommen wurde. Wie er aber seine Theorie in einen Kreis eingeführt, der alle Theorien entschieden verabscheute, dieses zu untersuchen ist wohl des Geschichtforschers wert.
Des Denkers einziges Besitztum sind die Gedanken, die aus ihm selbst entspringen; und wie ein jedes Aperçu, was uns angehört, in unserer Natur ein besonderes Wohlbefinden verbreitet, so ist auch der Wunsch ganz natürlich, daß es andere als das unsrige anerkennen, indem wir dadurch erst etwas zu werden scheinen. Daher werden die Streitigkeiten über die Priorität einer Entdeckung so lebhaft; recht genau besehen sind es Streitigkeiten um die Existenz selbst.
Schon in früherer Zeit fühlte jeder die Wichtigkeit dieses Punktes. Man konnte die Wissenschaften nicht bearbeiten, ohne sich mehreren mitzuteilen, und doch waren die mehreren selten groß genug, um das, was sie empfangen hatten, als ein Empfangenes anzuerkennen. Sie eigneten sich das Verdienst selbst zu, und man findet gar manchen Streit wegen solcher Präokkupationen. Galilei, um sich zu verwahren, legte seine Entdeckungen in Anagrammen mit beigeschriebenem Datum bei Freunden nieder, und sicherte sich so die Ehre des Besitzes.
Sobald Akademien und Sozietäten sich bildeten, wurden sie die eigentlichen Gerichtshöfe, die dergleichen aufzunehmen und zu bewahren hatten. Man meldete seine Erfindung; sie wurde zu Protokoll genommen, in den Akten aufbewahrt, und man konnte seine Ansprüche darauf geltend machen. Hieraus sind in England später die Patentdekrete entstanden, wodurch man dem Erfinder nicht allein sein geistiges Recht von Wissenschafts wegen, sondern auch sein ökonomisches von Staats wegen zusicherte.
Bei der königlichen Sozietät bringt Newton eigentlich nur sein neuerfundenes katoptrisches Teleskop zur Sprache. Er legt es ihr vor und bittet, seine Rechte darauf zu wahren. Seine Theorie bringt er nur nebenher und in dem Sinne heran, daß er den Wert seiner teleskopischen Erfindung dadurch noch mehr begründen will, weil durch die Theorie die Unmöglichkeit, dioptrische Fernröhre zu verbessern, außer allen Zweifel gesetzt werden soll.
Die falsche Maxime der Sozietät, sich mit nichts Theoretischem zu befassen, leidet hier sogleich Gefahr. Man nimmt das Newtonische Eingesendete mit Wohlwollen und Achtung auf, ob man sich gleich in keine nähere Untersuchung einläßt. Hooke jedoch widerspricht sogleich, behauptet, man komme ebenso gut, ja besser mit seiner Lehre von den Erschütterungen aus. Dabei verspricht er neue Phänomene und andre bedeutende Dinge vorzubringen. Newtons Versuche hingegen zu entwickeln fällt ihm nicht ein; auch läßt er die aufgeführten Erscheinungen als Fakta gelten, wodurch denn Newton im stillen viel gewinnt, obgleich Hooke zuletzt doch die Tücke ausübt und das erste Spiegelteleskop, nach dem frühern Vorschlag des Gregory, sorgfältig zustande bringt, um den Wert der Newtonischen Erfindung einigermaßen zu verringern.
Boyle, der nach seiner stillen zarten Weise in der Sozietät mitwirkt und bei dem monatlichen Präsidentenwechsel auch wohl einmal den Stuhl einnimmt, scheint von der Newtonischen Farbenlehre nicht die mindeste Notiz zu nehmen.
So sieht es im Innern der königlichen Sozietät aus, indessen nun auch Fremde, durch jenen Brief Newtons von seiner Theorie unterrichtet und dadurch aufgeregt, sowohl gegen die Versuche als gegen die Meinung manches einzuwenden haben. Auch hiervon das Detail einzusehen, ist höchst nötig, weil das Recht und Unrecht der Gegner auf sehr zarten Punkten beruht, die man seit vielen Jahren nicht mehr beachtet, sondern alles nur zugunsten der Newtonischen Lehre in Bausch und Bogen genommen hat.
Erste Gegner Newtons, denen er selbst antwortete
Wenn wir uns von vergangenen Dingen eine rechte Vorstellung machen wollen, so haben wir die Zeit zu bedenken, in welcher etwas geschehen, und nicht etwa die unsrige, in der wir die Sache erfahren, an jene Stelle zu setzen. So natürlich diese Forderung zu sein scheint, so bleibt es doch eine größere Schwierigkeit, als man gewöhnlich glaubt, sich die Umstände zu vergegenwärtigen, wovon entfernte Handlungen begleitet wurden. Deswegen ist ein gerechtes historisches Urteil über einzelnes persönliches Verdienst und Unverdienst so selten. Über Resultate ganzer Massenbewegungen läßt sich eher sprechen.
Den schlechten Zustand physikalischer Instrumente überhaupt in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts haben wir schon erwähnt, sowie die Unzulänglichkeit der Newtonischen Vorrichtungen. Er bediente sich keines überdachten, ausgesuchten, fixierten Apparats; deswegen er noch in der Optik fast bei jedem Versuche von vorn anfangen muß, seine Einrichtung umständlich zu beschreiben. Was ihm gerade zufällig zur Hand liegt, wird sogleich mit gebraucht und angewendet; daher seine Versuche voll unnützer Nebenbedingungen, die das Hauptinteresse nur verwirren. Im polemischen Teile finden sich genugsame Belege zu dieser Behauptung, und wenn Newton so verfuhr, wie mag es bei andern ausgesehn haben!
Wenden wir uns vom Technischen zum Innern und Geistigen, so begegnen uns folgende Betrachtungen. Als man beim Wiederaufleben der Wissenschaften sich nach Erfahrungen umsah und sie durch Versuche zu wiederholen trachtete, bediente man sich dieser zu ganz verschiedenen Zwecken.
Der schönste war und bleibt immer der, ein Naturphänomen, das uns verschiedene Seiten bietet, in seiner ganzen Totalität zu erkennen. Gilbert brachte auf diesem Wege die Lehre vom Magneten weit genug, so wie man auch, um die Elastizität der Luft und andere ihrer physischen Eigenschaften kennen zu lernen, konsequent zu Werke ging. Manche Naturforscher hingegen arbeiteten nicht in diesem Sinne; sie suchten Phänomene aus den allgemeinsten Theorien zu erklären, wie Descartes die Kügelchen seiner Materie, und Boyle seine Körperfacetten zur Erklärung der Farben anwendete. Andere wollten wieder durch Phänomene einen allgemeinen Grundsatz bestätigen, wie Grimaldi durch unzählige Versuche nur immer dahin deutete, daß das Licht wohl eine Substanz sein möchte.
Newtons Verfahren hingegen war ganz eigen, ja unerhört. Eine tief verborgene Eigenschaft der Natur an den Tag zu bringen, dazu bedient er sich nicht mehr als dreier Versuche, durch welche keineswegs Urphänomene, sondern höchst abgeleitete dargestellt wurden. Diese, dem Brief an die Sozietät zum Grunde liegenden drei Versuche, den mit dem Spektrum durch das einfache Prisma, den mit zwei Prismen, Experimentum Crucis, und den mit der Linse, ausschließlich zu empfehlen, alles andere aber abzuweisen, darin besteht sein ganzes Manöver gegen die ersten Gegner.
Wir bemerken hiebei, daß jener von uns oben ausgezogene Brief an die Sozietät eigentlich das erste Dokument war, wodurch die Welt Newtons Lehre kennen lernte. Wir können uns, da seine Lectiones opticae, seine Optik nunmehr vor uns liegen, da die Sache so tausendmal durchgesprochen und durchgestritten worden, keinen Begriff machen, wie abrupt und abstrus die Newtonische Vorstellungsart in der wissenschaftlichen Welt erscheinen mußte.
Auch können die Gelehrten sich in die Sache nicht finden. Im Praktischen will es niemanden in den Kopf, daß die dioptrischen Fernröhre, denen man so viel verdankt, um die man sich so viel Mühe gegeben, ganz verworfen werden sollten. Im Theoretischen hängt man an allgemeinen Vorstellungsarten, die man Newtonen entgegensetzt; oder man macht besondere Einwendungen. Mit seinen Versuchen kann man entweder nicht zurecht kommen oder man schlägt andere vor, davon die wenigsten zum Ziel, zu irgendeiner Entscheidung führen.
Was uns nun von Newtons Kontrovers mit seinen ersten Gegnern überliefert ist, tragen wir kürzlich auszugsweise vor, insofern es überhaupt bedeutend sein kann; wobei wir alles fallen lassen, was die Aussicht nur verwirren und eine weit umständlichere Abhandlung nötig machen würde. Die Aktenstücke liegen aller Welt vor Augen; wir werden sie unter Nummern und Buchstaben ordnen, damit man, was sich auf die verschiedenen Gegner bezieht, besser übersehen könne; wobei wir doch jedesmal die Nummer angeben, wie sie in Newtons kleinen Schriften, aus den Philosophischen Transaktionen abgedruckt, bezeichnet sind.
Jenes Hauptdokument, der angeführte Brief, macht den ersten Artikel aus. Bis zum neunten folgen Bemerkungen und Verhandlungen über das katoptrische Teleskop, die uns hier weiter nicht berühren; die folgenden jedoch verdienen mehr oder weniger unsere Aufmerksamkeit.
I. Ein Ungenannter. Kann eigentlich nicht als Widersacher Newtons angesehen werden.
A. Artikel X. Denn er schlägt noch einige Versuche vor, deren Absicht man nicht geradezu begreift, die aber auf mehrere Bewährung der Newtonischen Lehre zu dringen scheinen.
B. Artikel XI. Newton erklärt sich ganz freundlich darüber, sucht aber anzudeuten, daß er das hier Geforderte schon genugsam bei sich bedacht habe.
II. Ignatius Gaston Pardies, geboren 1636, gestorben 1673.
C. Art. XII. Er will die Erscheinung des verlängerten Bildes aus der verschiedenen Inzidenz erklären. Auch hat er gegen das Experimentum Crucis Einwendungen zu machen, wobei er gleichfalls die Inzidenz zu Hülfe ruft. Zugleich gedenkt er des bekannten Hookischen Versuchs mit den zwei keilförmigen aneinandergeschobenen farbigen Prismen.
D. Art. XIII. Newton removiert die beiden ersten Punkte und erklärt das letztere Phänomen zu seinen Gunsten. Dabei nimmt er es übel, daß man seine Lehre eine Hypothese und nicht eine Theorie nennt.
E. Art. XIV. Newton, unaufgefordert, sendet an den Herausgeber einen kleinen Aufsatz, welcher eigentlich seine Theorie, in acht Fragen eingeschlossen, enthält. Am Schlusse verlangt er, daß man vor allen Dingen prüfen möge, ob seine Versuche hinreichen, diese Fragen zu bejahen, und ob er sich nicht etwa in seinen Schlußfolgen geirrt; sodann auch, daß man Experimente, die ihm gerade entgegengesetzt wären, aufsuchen solle. Hier fängt er schon an, seine Gegner auf seinen eigenen Weg zu nötigen.
F. Art. XV. Pater Pardies antwortet auf das Schreiben des XIIIten Artikels und gibt höflich nach, ohne eigentlich überzeugt zu scheinen.
G. Art. XVI. Newton erklärt sich umständlich und verharrt bei seiner ersten Erklärungsart.
H. Pater Pardies erklärt sich für befriedigt, tritt von dem polemischen Schauplatze und bald nachher auch von dem Schauplatze der Welt ab.
III. Ein Ungenannter, vielleicht gar Hooke selbst, macht verschiedene Einwendungen gegen Newtons Unternehmungen und Lehre. Der Aufsatz wird in den Philosophischen Transaktionen nicht abgedruckt, weil, wie eine Note bemerkt, der Inhalt desselben aus Newtons Antwort genugsam hervorgehe. Doch für uns ist der Verlust desselben höchlich zu bedauern, weil die sonst bequeme Einsicht in die Sache dadurch erschwert wird.
I. Art. XVII. Newtons umständliche Verantwortung gegen vorgemeldete Erinnerung. Wir referieren sie punktweise, nach der Ordnung der aufgeführten Nummern.
1. Newton verteidigt sich gegen den Vorwurf, daß er an der Verbesserung der dioptrischen Fernröhre ohne genugsamen Bedacht verzweifelt habe.
2. Newton summiert, was von seinem Gegner vorgebracht worden, welches er im folgenden einzeln durchgeht.
3. Newton leugnet, behauptet zu haben, das Licht sei ein Körper. Hier wird die von uns schon oben bemerkte eigene Art seiner Behandlung auffallender. Sie besteht nämlich darin, sich ganz nahe an die Phänomene zu halten und um dieselben herum so viel zu argumentieren, daß man zuletzt glaubt, das Argumentierte mit Augen zu sehen. Die entfernteren Hypothesen, ob das Licht ein Körper oder eine Energie sei, läßt er unerörtert, doch deutet er darauf, daß die Erscheinungen für die erstere günstiger seien.
4. Der Widersacher hatte die Hypothese von den Schwingungen vorgebracht und ließ daher, auf diese oder jene Weise, eine Farbe anders als die andere schwingen. Newton fährt nunmehr fort, zu zeigen, daß diese Hypothese auch noch leidlich genug zu seinen Erfahrungen und Enunziaten passe: genug, die kolorifiken Lichter steckten im Licht und würden durch Refraktion, Reflexion etc. herausgelockt.
5. Hier wird, wo nicht gezeigt, doch angedeutet, daß jene Schwingungstheorie, auf die Erfahrungen angewendet, manche Unbequemlichkeit nach sich ziehe.
6. Es sei überhaupt keine Hypothese nötig, die Lehre Newtons zu bestimmen oder zu erläutern.
7. Des Gegners Einwendungen werden auf drei Fragen reduziert.
8. Die Strahlen werden nicht zufällig geteilt oder auf sonst eine Weise ausgedehnt. Hier tritt Newton mit mehreren Versuchen hervor, die in den damals noch nicht gedruckten Optischen Lektionen enthalten sind.
9 Der ursprünglichen Farben seien mehr als zweie. Hier wird von der Zerlegbarkeit oder Nichtzerlegbarkeit der Farben gehandelt.
10. Daß die weiße Farbe aus der Mischung der übrigen entspringe. Weitläuftig behauptet, auf die Weise, die uns bei ihm und seiner Schule schon widerlich genug geworden. Er verspricht ewig Weiß, und es wird nichts als Grau daraus.
11. Das Experimentum Crucis sei stringent beweisend und über alle Einwürfe erhoben.
12. Einige Schlußbemerkungen.
IV. Ein Ungenannter zu Paris.
K. Art. XVIII. Nicht durchaus ungereimte, doch nur problematisch vorgetragene Einwürfe: Man könne sich mit Blau und Gelb als Grundfarben begnügen; man könne vielleicht aus einigen Farben, ohne sie gerade alle zusammenzunehmen, Weiß machen. Wenn Newtons Lehre wahr wäre, so müßten die Teleskope lange nicht die Bilder so deutlich zeigen, als sie wirklich täten.
Was das erste betrifft, so kann man ihm, unter gewissen Bedingungen, recht geben. Das zweite ist eine alberne, nicht zu lösende Aufgabe, wie jedem gleich ins Gesicht fällt. Bei dem dritten aber hat er vollkommen recht.
L. Art. XIX. Newton zieht sich wegen des ersten Punktes auf seine Lehre zurück. Was den zweiten betrifft, so wird es ihm nicht schwer, sich zu verteidigen. Den dritten, sagt er, habe er selbst nicht übersehen und schon früher erwähnt, daß er sich verwundert habe, daß die Linsen noch so deutlich zeigten, als sie tun.
Man sieht, wie sehr sich Newton schon gleich anfangs verstockt und in seinen magischen Kreis eingeschlossen haben müsse, daß ihn seine Verwunderung nicht selbst zu neuen Untersuchungen und aufs Rechte geführt.
M. Art. XX. Der Ungenannte antwortet, aber freilich auf eine Weise, die nur zu neuen Weiterungen Anlaß gibt.
N. Art. XXI. Newton erklärt sich abermals, und um die Sache wieder ins Enge und in sein Gebiet zu bringen, verfährt er nun mit Definitionen und Propositionen, wodurch er alles dasjenige, was noch erst ausgemacht werden soll, schon als entschieden aufstellt und sodann sich wieder darauf bezieht und Folgerungen daraus herleitet. In diesen fünf Definitionen und zehn Propositionen ist wirklich abermals die ganze Newtonische Lehre verfaßt, und für diejenigen, welche die Beschränktheit dieser Lehre übersehen oder welche ein Glaubensbekenntnis derselben auswendig lernen wollen, gleich nützlich und hinreichend. Wäre die Sache wahr gewesen, so hätte es keiner weiteren Ausführung bedurft.
V. Franziscus Linus, Jesuit, geboren 1595 zu London, gestorben 1676 zu Lüttich, wo er, am englischen Kollegium angestellt, hebräische Sprache und Mathematik gelehrt hatte. Die Schwäche seines theoretischen Vermögens zeigt sich schon in frühern Kontroversen mit Boyle; nunmehr als Greis von achtzig Jahren, der zwar früher sich mit optischen Dingen beschäftigt und vor dreißig Jahren die prismatischen Experimente angestellt hatte, ohne ihnen jedoch weiter etwas abzugewinnen, war er freilich nicht der Mann, die Newtonische Lehre zu prüfen. Auch beruht seine ganze Opposition auf einem Mißverständnis.
O. Art. XXII. Schreiben desselben an Oldenburg. Er behauptet, das farbige Bild sei nicht länger als breit, wenn man das Experiment bei hellem Sonnenschein anstelle und das Prisma nahe an der Öffnung stehe; hingegen könne es wohl länger als breit werden, wenn eine glänzende Wolke sich vor der Sonne befinde und das Prisma so weit von der Öffnung abstehe, daß das von der Wolke sich herschreibende Licht, in der Öffnung sich kreuzend, das ganze Prisma erleuchten könne.
Diese salbaderische Einwendung kann man anfangs gar nicht begreifen, bis man endlich einsieht, daß er die Länge des Bildes nicht vertikal auf dem Prisma stehend, sondern parallel mit dem Prisma angenommen habe, da doch jenes und nicht dieses Newtons Vorrichtung und Behauptung ist.
P. Art. XXIII. Der Herausgeber verweist ihn auf die zweite Antwort Newtons an Pardies.
Q. Art. XXIV. Linus beharrt auf seinen Einwendungen und kommt von seinem Irrtum nicht zurück.
R. Art. XXV. Newton an Oldenburg. Die beiden Schreiben des Linus sind so stumpf und konfus gefaßt, daß man Newtonen nicht verargen kann, wenn ihm das Mißverständnis nicht klar wird. Er begreift deswegen gar nicht, wie sich Linus müsse angestellt haben, daß er bei hellem Sonnenscheine das prismatische Bild nicht länger als breit finden wolle. Newton gibt den Versuch nochmals genau an und erbietet sich, einem von der Sozietät, auf welchen Linus Vertrauen setze, das Experiment zu zeigen.
VI. Wilhelm Gascoigne. Wirkt in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Er hatte sich mit dioptrischen Fernröhren abgegeben, und es mochte ihm nicht angenehm sein, daß Newton sie so gar sehr heruntersetzte. Hier tritt er auf als Schüler und Anhänger des Linus, welcher indessen gestorben war. Newton hatte zu verstehen gegeben, der gute alte Mann möchte wohl die Versuche vor alten Zeiten einmal gemacht haben, und hatte ihn ersucht, sie zu wiederholen.
S. Art. XXVI. Gascoigne, nach dem Tode des Linus, vermehrt die Konfusion, indem er versichert: Linus habe das Experiment vor kurzem angestellt und jedermann sehen lassen. Die beiderseitigen Experimente bestünden also, und er wisse kaum, wie die Sache vermittelt werden solle.
T. Art. XXVII. Newton beruft sich auf sein vorhergehendes Schreiben, und weil ihm das obwaltende Mißverständnis noch verborgen bleibt, so gibt er sich abermals sehr ernstliche Mühe, den Gegnern zu zeigen, wie sie sich eigentlich benehmen müßten, um das Experiment zustandezubringen.
U. Art. XXVIII. Noch umständlicher wird Newton über diese Sache, als er jenen Brief des Linus Art. XXIV in den Transaktionen abgedruckt liest. Er geht denselben nochmals auf das genauste durch und läßt keinen Umstand unerörtert.
VII. Antonius Lucas zu Lüttich, Schüler des Linus und Geselle des Gascoigne, der erste helle Kopf unter den Gegnern Newtons.
V. Art. XXIX. Er sieht das Mißverständnis, welches obwaltet, ein und spricht zum erstenmal deutlich aus: Linus habe die Länge des Bildes parallel mit der Länge des Prismas und nicht vertikal auf derselben verstanden. Da es nun Newton auf die letztere Weise ansehe, so habe er vollkommen recht und sei über diese Sache nichts weiter zu sagen. Nur habe er, Lucas, die Länge dieses vertikalen Bildes niemals über drei Teile zu seiner Breite bringen können.
Sodann gibt er mehrere Versuche an, welche er der Newtonischen Lehre für schädlich und verderblich hält, wovon wir die bedeutendsten und klarsten ausziehn.
a) Er bringt zwei verschiedenfarbige seidene Bänder unter das Mikroskop. Nach Newtons Lehre dürften sie nicht zugleich deutlich erscheinen, sondern das eine früher, das andere später, je nachdem sie zu den mehr oder weniger refrangiblen Farben gehören. Er sieht aber beide zugleich, eins so deutlich als das andere, und konkludiert mit Recht gegen die Newtonische Lehre. Man erinnere sich, was wir umständlich gegen das zweite Experiment der Newtonischen Optik ausgeführt haben. Wahrscheinlich ist es durch diesen Einwurf des Lucas veranlaßt worden: denn es findet sich, wenn wir uns recht erinnern, noch nicht in den Optischen Lektionen.
b) Bringt er ein sehr geistreiches, der Newtonischen Lehre direkt entgegenstehendes Experiment vor, das wir folgendermaßen nachgeahmt haben:
Man verschaffe sich ein längliches Blech, das mit den Farben in der Ordnung des prismatischen Bildes der Reihe nach angestrichen ist. Man kann an den Enden Schwarz, Weiß und verschiedenes Grau hinzufügen. Dieses Blech legten wir in einen viereckten blechnen Kasten, und stellten uns so, daß es ganz von dem einen Rande desselben für das Auge zugedeckt war. Wir ließen alsdann Wasser hineingießen, und die Reihe der sämtlichen Farbenbilder stieg gleichmäßig über den Rand dem Auge entgegen, da doch, wenn sie divers refrangibel wären, die einen vorauseilen und die andern zurückbleiben müßten. Dieses Experiment zerstört die Newtonische Theorie von Grund aus, so wie ein anderes, das wir hier, weil es am Platze ist, einschalten.
Man verschaffe sich zwei etwa ellenlange, runde Stäbchen von der Stärke eines kleinen Fingers. Das eine werde blau, das andere orange angestrichen; man befestige sie aneinander und lege sie so nebeneinander ins Wasser. Wären diese Farben divers refrangibel, so müßte das eine mehr als das andere nach dem Auge zu gebogen erscheinen, welches aber nicht geschieht; so daß also an diesem einfachsten aller Versuche die Newtonische Lehre scheitert. Die sehr leichte Vorrichtung zu beiden darf künftig bei keinem physikalischen Apparat mehr fehlen.
c) Zuletzt kommt Lucas auf die Spur, daß die prismatische Farbe eine Randerscheinung sei, die sich umkehre, je nachdem dem Bilde ein hellerer oder dunklerer Grund, als es selbst ist, unterliegt. Man kann ihm also nicht ableugnen, daß er das wahre Fundament aller prismatischen Erscheinungen erkannt habe, und es muß uns unendlich freuen, der Wahrheit, die sich aus England flüchten muß, in Lüttich zu begegnen. Nur bringt freilich Lucas die Sache nicht ins Enge, weil er immer noch mit Licht und Lichtstrahl zu operieren glaubt; doch ist er dem Rechten so nahe, daß er es wagt, den kühnen Gedanken zu äußern: wenn es möglich wäre, daß hinter der Sonne ein hellerer Grund hervorträte, so müßte das prismatische Bild umgekehrt erscheinen. Aus diesem wahrhaft grandiosen Aperçu ist klar, daß Lucas für seine Person der Sache auf den Grund gesehen, und es ist schade, daß er nicht beharrlicher gewesen und die Materie, ohne weiter zu kontrovertieren, durchgearbeitet. Wie es zugegangen, daß er bei so schönen Einsichten die Sache ruhen lassen und weder polemisch noch didaktisch vorgetreten, ist uns leider ein Geheimnis geblieben.
W. Art. XXX. Eine Antwort Newtons auf vorgedachten Brief, an Oldenburg gerichtet. Den größten Teil nimmt der in unsern Augen ganz gleichgültige Nebenumstand ein, wie sich dem Maße nach das prismatische Bild in seiner Länge zur Breite verhalte. Da wir im didaktischen und polemischen Teil umständlich gezeigt haben, daß dieses Verhältnis durch mancherlei Bedingungen sich abändern kann und eigentlich gar nicht der Rede wert ist, so bedarf es hier keiner Wiederholung.
Bedeutender hingegen ist die Art, wie sich Newton gegen die neuen Experimente benimmt. Denn hier ist gleichsam der Text, welchen die Newtonische Schule ein ganzes Jahrhundert durch teils nachgebetet, teils amplifiziert und paraphrasiert hat. Wir wollen den Meister selbst reden lassen.
»Was des Herrn Lucas übrige Experimente betrifft, so weiß ich ihm vielen Dank für den großen Anteil, den er an der Sache nimmt, und für die fleißigen Überlegungen derselben, ja ich bin ihm um so mehr verpflichtet, als er der erste ist, der mir Versuche zusendet, um die Wahrheit zu erforschen; aber er wird sich schneller und vollkommener genugtun, wenn er nur die Methode, die er sich vorschrieb, verändert und statt vieler andern Dinge nur das Experimentum Crucis versucht: denn nicht die Zahl der Experimente, sondern ihr Gewicht muß man ansehen, und wenn man mit einem ausreicht, was sollen uns mehrere.«
»Hätte ich mehrere für nötig gehalten, so hätte ich sie beibringen können: denn bevor ich meinen ersten Brief über die Farben an Dich schrieb, hatte ich die Versuche sehr umständlich bearbeitet und ein Buch über diesen Gegenstand geschrieben, in welchem die vornehmsten von mir angestellten Experimente ausführlich erzählt werden, und da trifft sich’s, daß unter ihnen sich die vorzüglichsten, welche Lucas mir übersendet hat, mitbefinden. Was aber die Versuche betrifft, die ich in meinem ersten Briefe vortrage, so sind es nur die, welche ich aus meinem größern Aufsatz auszuwählen für gut befunden.«
»Wenn aber auch in jenem an Dich gerichteten Briefe der sämtliche Vorrat meiner Versuche enthalten wäre, so würde doch Lucas nicht wohl tun zu behaupten, daß mir Experimente abgehen, bis er jene wenigen selbst versucht: denn wenn einige darunter eine völlige Beweiskraft haben, so brauchen sie keine weiteren Helfershelfer, noch lassen sie Raum, über dasjenige, was sie bewiesen haben, weiter zu streiten.«
Dieses wären denn die Verhandlungen, welche zwischen Newton und seinen ersten Widersachern vorgekommen und welcher die Schule stets mit großem Triumphe gedacht hat. Wie es sich aber eigentlich damit verhalte, werden unsere Leser nun wohl aus unserer kurzen Erzählung übersehen können. Wir haben den Gang nur im allgemeinen bezeichnet und uns auf die sogenannten merita causae nicht eingelassen, weil dieses in unserm didaktischen und polemischen Teil genugsam geschehen. Wen die Sache näher interessiert, der wird an dem von uns gezogenen Faden das Labyrinth sichrer und bequemer durchlaufen. Eine kurze Rückweisung wird hiebei nicht überflüssig sein.
Unter den anonymen Gegnern zeichnet sich keiner auf eine vorzügliche Weise aus. Daß die dioptrischen Fernröhre nicht so ganz zu verwerfen seien, fühlen und glauben sie wohl alle; allein sie treffen doch den Punkt nicht, warum diese in ihrem damaligen Zustande doch weit mehr leisten, als sie nach Newtons Lehre leisten dürften. Die übrigen Einwendungen dieser unbekannten Männer sind zwar zum Teil nicht ohne Grund, doch keinesweges gründlich vorgetragen und durchgeführt.
Pater Pardies und Linus, zwei alte Männer, ohne Scharfsinn und ohne theoretisches Vermögen, tasten nur an der Sache umher, ohne sie anzufassen, und ihre sämtlichen Einwürfe verschwinden, sobald ihre Mißverständnisse sich offenbaren. Gascoigne, der in die Mängel des Linus sukzediert, verdient kaum eine Erwähnung.
Dagegen kann Lucas, von dem wir übrigens wenig wissen, nicht hoch genug gepriesen werden. Seine Folgerung aus der Newtonischen Lehre, daß eine Reihe farbiger Bilder sich nach der Refraktion ungleich über einen mit ihnen parallel stehenden Rand erheben müßten, zeigt von einem sehr geistreichen Manne, so wie seine Gegenfolgerung, als das Experiment nicht erwartetermaßen abläuft, die Newtonische Lehre sei nicht haltbar, ganz untadlig ist. Seine Einsicht, daß die Sonne bloß als Bild wirke, ob er es gleich nicht so ausdrückt, ist bewundernswert, so wie der kühne Gedanke, ein helleres Licht hinter der Sonne hervortreten zu lassen, um sie zu einem halbdunklen Körper zu machen, beneidenswert. Das, was er hier beabsichtigt, haben wir in unserm didaktischen Teil durch graue Bilder auf schwarzem und weißem Grunde darzutun gesucht.
Nun aber haben wir noch schließlich zu betrachten, wie sich denn Newton gegen diese Widersacher benommen. Er bringt in dem ersten Briefe an die Sozietät aus dem Vorrate seiner Experimente, die in den Optischen Lectionen enthalten sind, nur drei vor, welche er seine Lehre zu begründen für hinreichend hält, und verlangt, daß die Gegner sich nur mit diesen beschäftigen sollen. Schweifen diese jedoch ab, so zeigt er noch eins und das andre von seinem heimlichen Vorrat, kehrt aber immer zu seinem Verfahren zurück, indem er seine Gegner auf die wenigen Versuche beschränken will, von welchen freilich das Experimentum Crucis jeden, der die Sache nicht von Grund aus durchgearbeitet hat, zum lauten oder schweigenden Beistimmen nötigt. Daher wiederholt Newton aber und abermals: man solle zeigen, daß diese wenigen Versuche seine Lehre nicht beweisen, oder soll andere Versuche beibringen, die ihr unmittelbar entgegenstehen.
Wie benimmt er sich denn aber, als dieses von Lucas wirklich geschieht? Er dankt ihm für seine Bemühung, versichert, die vorzüglichsten von Lucas beigebrachten Versuche befänden sich in den Optischen Lektionen, welches keineswegs der Wahrheit gemäß ist, beseitigt sie auf diese Weise, dringt immer wieder darauf, daß man nur den eingeleiteten Weg gehen, sich auf demselben vorgeschriebnermaßen benehmen solle, und will jede andre Methode, jeden andern Weg, der Wahrheit sich zu nähern, ausschließen. Wenige Experimente sollen beweisen, alle übrigen Bemühungen unnötig machen, und eine über die ganze Welt ausgebreitete Naturerscheinung soll aus dem Zauberkreise einiger Formeln und Figuren betrachtet und erklärt werden.
Wir haben die wichtige Stelle, womit sich diese Kontrovers schließt, übersetzt. Newton erscheint nicht wieder polemisch, außer insofern die Optik polemischer Natur ist. Aber seine Schüler und Nachfolger wiederholen diese Worte des Meisters immerfort. Erst setzen sie sub- und obrepticie, was der Lehre günstig ist, fest, und dann verfahren sie ausschließend gegen Natur, Sinne und Menschenverstand. Erst lassen sich’s einzelne, dann läßt sich’s die Menge gefallen. Newtons übrige große Verdienste erregen ein günstiges Vorurteil auch für seine Farbentheorie. Sein Ruf, sein Einfluß steigt immer höher; er wird Präsident der Sozietät. Er gibt seine künstlich gestellte Optik heraus; durch Clarkes lateinische Übersetzung wird auch diese in der Welt verbreitet und nach und nach in die Schulen eingeführt. Experimentierende Techniker schlagen sich auf seine Seite, und so wird diese enggefaßte, in sich selbst erstarrte Lehre eine Art von Arche des Herrn, deren Berührung sogleich den Tod bringt.
So verfährt nun auch, teils bei Newtons Leben, teils bei seinem Tode, Desaguliers gegen alles, was die Lehre anzufechten wagt, wie nunmehr aus der geschichtlichen Darstellung, in der wir weiter fortschreiten, sich umständlicher ergeben wird.
Edme (Peter) Mariotte
geboren zu oder bei Dijon, Akademist 1666, gestorben 1684
Traité de la nature des couleurs. Paris 1688. Schwerlich die erste Ausgabe, doch ist nach dieser der Abdruck in seinen gesammelten Werken gemacht, welche zu Haag 1717 und 1740 veranstaltet worden.
Wir haben wenig Nachrichten von seinem Leben. Seinen Arbeiten sieht man die ungestörteste Ruhe an. Er ist einer der ersten, welche die Experimentalphysik in Frankreich einführen, Mathematiker, Mechaniker, Physiker, wo nicht Philosoph, doch redlicher Denker, guter Beobachter, fleißiger Sammler und Ordner von Beobachtungen, sehr genauer und gewissenhafter Experimentator, ja gewissenhaft bis ins Übertriebene: denn ihm in sein Detail zu folgen, wäre vielleicht nicht unmöglich, doch möchte es in unserer Zeit jedem höchst beschwerlich und fruchtlos erscheinen.
Durch Beobachten, Experimentieren, Messen und Berechnen gelangt er zu den allgemeinsten einfachsten Erscheinungen, die er Prinzipien der Erfahrung nennt. Er läßt sie empirisch in ihrer reinsten Einfalt stehen und zeigt nur, wo er sie in komplizierten Fällen wiederfindet. Dies wäre schön und gut, wenn sein Verfahren nicht andre Mängel hätte, die sich uns nach und nach entdecken, wenn wir an sein Werk selbst gehen und davon einige Rechenschaft zu geben suchen.
Er teilt die Farben in apparente und permanente. Unter den ersten versteht er bloß diejenigen, die bei der Refraktion erscheinen, unter den andern alle übrigen. Man sieht leicht, wie disproportioniert diese Haupteinteilung ist, und wie unbequem, ja falsch die Unterabteilungen werden müssen.
Erste Abteilung
Er hat Kenntnis von Newtons Arbeiten, wahrscheinlich durch jenen Brief in den Transaktionen. Er erwähnt nicht nur dessen Lehre, sondern man glaubt durchaus zu bemerken, daß er hauptsächlich durch sie zu seiner Arbeit angeregt worden: denn er tut den Phänomenen der Refraktion viel zu viel Ehre an und arbeitet sie allein höchst sorgfältig durch. Er kennt recht gut die objektiven und subjektiven Erscheinungen, gibt Rechenschaft von unzähligen Versuchen, die er anstellt, um das Allgemeine dieser Phänomene zu finden, welches ihm denn auch bis auf einen gewissen Punkt gelingt. Nur ist sein Allgemeines zu abstrakt, zu kahl, die Art, es auszudrücken, nicht glücklich; besonders aber ist es traurig, daß er sich vom Strahl nicht losmachen kann. Er nimmt leider bei seinen Erklärungen und Demonstrationen einen dichten Strahl an (rayon solide). Wie wenig damit zu tun sei, ist allen deutlich, welche sich die Lehre von Verrückung des Bildes eigen gemacht haben. Außerdem bleibt er dadurch zu nahe an Newtons Lehre, welcher auch mit Strahlen operiert und die Strahlen durch Refraktion affizieren läßt.
Eine eigene Art, diesen dichten Strahl, wenn er refrangiert wird, anzusehen, gibt den Grund zu Mariottens Terminologie. Man denke sich einen Stab, den man bricht, ein Rohr, das man biegt, so wird an denselben ein einspringender und ausspringender Winkel, eine Konkavität, eine Konvexität zu sehen sein. Nach dieser Ansicht spricht er in seinen Erfahrungssätzen die Erscheinung folgendermaßen aus:
An der konvexen Seite erscheint immer Rot, an der konkaven Violett. Zunächst am Roten zeigt sich Gelb, zunächst am Violetten Blau. Folgen mehrere Refraktionen im gleichen Sinne, so gewinnen die Farben an Lebhaftigkeit und Schönheit. Alle diese Farben erscheinen in den Halbschatten, bis an sie hinan ist keine Farbe im Lichte merklich. Bei starken Refraktionen erscheint in der Mitte Grün durch Vermischung des Blauen und Gelben.
Er ist also, wie man sieht, insoweit auf dem rechten Wege, daß er zwei entgegengesetzte Reihen als Randerscheinungen anerkennt. Auch gelingt es ihm, mehrere objektive und subjektive Farbenerscheinungen auf jene Prinzipien zurückzuführen und zu zeigen, wie nach denselben die Farben in jedem besondern Falle entstehen müssen. Ein Gleiches tut er in Absicht auf den Regenbogen, wobei man, soweit man ihm folgen kann und mag, seine Aufmerksamkeit, Fleiß, Scharfsinn, Reinlichkeit und Genauigkeit der Behandlung bewundern muß.
Allein es wird einem doch dabei sonderbar zumute, wenn man sieht, wie wenig mit so vielem Aufwande geleistet wird und wie das Wahre, bei einer so treuen, genauen Behandlung, so mager bleiben, ja werden kann, daß es fast null wird. Seine Prinzipien der Erfahrung sind natürlich und wahr, und sie scheinen deshalb so simpel ausgesprochen, um die Newtonische Theorie, welche keineswegs, wie wir schon oft wiederholt, von den einfachen Erscheinungen ausgegangen, sondern auf das zusammengesetzte abgeleitete Gespenst gebaut ist, verdächtig zu machen, ja in den Augen desjenigen, der eines Aperçus mit allen seinen Folgerungen fähig wäre, sogleich aufzuheben.
Das Ähnliche hatten wir in unsern Beiträgen zur Optik versucht; es ist aber uns so wenig als Mariotten gelungen, dadurch Sensation zu erregen.
Ausdrücklich von und gegen Newton spricht er wenig. Er gedenkt jener Lehre der diversen Refrangibilität, zeigt gutmütig genug, daß einige Phänomene sich dadurch erklären lassen, behauptet aber, daß andre nicht dadurch erklärbar seien, besonders folgendes:
Wenn man weit genug von seinem Ursprung das sogenannte prismatische Spektrum auffange, so daß es eine ansehnliche Länge gegen seine Breite habe, und das Violette weit genug vom Roten entfernt und durch andere Farben völlig von ihm getrennt sei, so daß man es also für hinreichend abgeschieden halten könne, wenn man alsdann einen Teil dieses violetten Scheines durch eine Öffnung gehen und durch ein zweites Prisma in derselben Richtung refrangieren lasse: so erscheine unten abermals Rot (Gelbrot), welches doch nach der Theorie keineswegs stattfinden könne; deswegen sie nicht anzunehmen sei.
Der gute Mariotte hatte hierin freilich vollkommen recht, und das ganze Rätsel löst sich dadurch, daß ein jedes Bild, es sei von welcher Farbe es wolle, wenn es verrückt wird, gesäumt erscheint. Das violette Halblicht aber, das durch die kleine Öffnung durchfällt, ist nur als ein violettes Bild anzusehen, an welchem der gelbrote Rand mit einem purpurnen Schein gar deutlich zu bemerken ist; die übrigen Randfarben aber fallen entweder mit der Farbe des Bildes zusammen oder werden von derselben verschlungen.
Der gute natürliche Mariotte kannte die Winkelzüge Newtons und seiner Schule nicht. Denn nach diesem lassen sich die Farben zwar sondern, aber nicht völlig; Violett ist zwar violett, allein es stecken die übrigen Farben auch noch drin, welche nun aus dem violetten Licht bei der zweiten Refraktion wie die sämtlichen Farben aus dem weißen Lichte bei der ersten Refraktion geschieden werden. Dabei ist denn freilich das Merkwürdige, daß das Violett, aus dem man nun das Rot geschieden, vollkommen so violett bleibt wie vorher; so wie auch an den übrigen Farben keine Veränderung vorgeht, die man in diesem Fall bringt. Doch genug hievon. Mehr als Obiges bedarf es nicht, um deutlich zu machen, inwiefern Mariotte als Newtons Gegner anzusehen sei.
Zweite Abteilung
In dieser sucht er alle übrigen Farben, welche nicht durch Refraktion hervorgebracht werden, aufzuführen, zu ordnen, gegeneinander zu halten, zu vergleichen, sie auseinander abzuleiten und daraus Erfahrungssätze abzuziehen, die er jedoch hier nicht Prinzipien, sondern Regeln nennt. Die sämtlichen Erscheinungen trägt er in vier Diskursen vor.
Erster Diskurs. Von Farben, die an leuchtenden Körpern erscheinen.
Verschiedenfarbiges Licht der Sonne, der Sterne, der Flamme, des Glühenden, des Erhitzten; wobei recht artige und brauchbare Versuche vorkommen. Die Erfahrungsregel, wozu er gelangt, ist ein Idem per Idem, womit man gar nichts ausrichten kann.
Zweiter Diskurs. Von den changeanten Farben, die auf der Oberfläche der Körper entstehen.
Hier führt er diejenigen Farben auf, welche wir die epoptischen nennen: aneinandergedruckte Glasplatten, angelaufenes Glas, Seifenblasen. Er schreibt diese Phänomene durchaus einer Art von Refraktion zu.
Dritter Diskurs. Von fixen und permanenten Farben, deren Erscheinungen er vorzüglich unter Regeln bringt.
Hier werden unsre chemischen Farben aufgeführt, und dabei etwas Allgemeines von Farben überhaupt. Weiß und Schwarz, dazwischen Gelb, Rot und Blau. Er hat die Einsicht, daß jede Farbe etwas weniger hell als das Weiße und etwas mehr hell als das Schwarze sein müsse.
In den Erklärungen verfährt er allzu realistisch, wie er denn das Blau zur eigenen Farbe der Luft macht; dann aber wieder zu unbestimmt; denn die körperlichen Farben sind ihm modifiziertes Licht. Das Licht muß nämlich in den Körper eindringen, dort zur besondern Farbenwirkung modifiziert in unser Auge zurückkehren und darin die Wirkung hervorbringen.
Der chemische Gegensatz von Acidum und Alkali ist ihm sehr bedeutend. Hier stehen wieder schöne und brauchbare Erfahrungen, doch ohne Ordnung untereinander, worauf denn schwache, nach Korpuskularvorstellungsart schmeckende Erklärungen folgen. Über die Farben organischer Körper macht er feine Bemerkungen.
Vierter Diskurs. Von Farbenerscheinungen, die von innern Modifikationen der Organe des Sehens entspringen.
Hier wird aufgeführt, was bei uns unter der Rubrik von physiologischen Farben vorkommt: Dauer des Eindrucks, farbiges Abklingen und dergleichen; zuletzt die Diakrisis des Auges durch Licht, die Synkrisis durch Finsternis. Und somit hört er da auf, wo wir anfangen.
Die aus dem Kapitel von den chemischen Farben ausgezogenen sechs Regeln übersetzen wir, weil man daraus das vorsichtige Benehmen dieses Mannes am besten beurteilen kann.
1. »Die fixen Farben erscheinen uns, wenn das Licht durch die Materie, welche diese Farben hervorbringt, gedrungen, zu unsern Augen mit genugsamer Kraft zurückkehrt.«
Dieses bezieht sich auf die wahre Bemerkung, daß jede chemisch spezifizierte Farbe ein Helles hinter sich haben muß, um zu erscheinen. Nur ist dieses notwendige Erfordernis von Mariotte nicht genug eingesehen, noch deutlich genug ausgedrückt.
2. »Die Säfte von allen blauen und violetten Blumen werden grün durch die Alkalien und schön rot durch die Säuren.«
3. »Die Absude roter Hölzer werden gelb durch die Säuren, violett durch die Alkalien; aber die Aufgüsse gelber Pflanzen werden dunkel durch die Alkalien und verlieren fast gänzlich ihre Farbe durch die Säuren.«
4. »Die Vegetationen, die in freier Luft vorgehen, sind grün; diejenigen an unterirdischen Örtern oder in der Finsternis sind weiß oder gelb.«
5. »Es gibt viele gelbe oder dunkle Materien, welche sich bleichen, wenn man sie wechselsweise netzt und an der Sonne trocknet. Sind sie sodann weiß und bleiben sie lange unbefeuchtet an der Luft, so werden sie gelb.«
6. »Irdische und schweflige Materien werden durch eine große Hitze rot und einige zuletzt schwarz.«
Hiezu fügt der Verfasser eine Bemerkung, daß man sehr viele Farbenerscheinungen auf diese sechs Regeln zurückführen und bei der Färberei sowie bei Verfertigung des farbigen Glases manche Anwendung davon machen könne. Unsre Leser werden sich erinnern, wie das Bewährte von diesen Regeln in unserer Abteilung von chemischen Farben beigebracht ist.
Im ganzen läßt sich nicht ableugnen, daß Mariotte eine Ahndung des Rechten gehabt und daß er auf dem Wege dahin gewesen. Er hat uns manches gute Besondere aufbewahrt, fürs Allgemeine aber zu wenig getan. Seine Lehre ist mager, seinem Unterricht fehlt Ordnung, und bei aller Vorsichtigkeit spricht er doch wohl zuletzt statt einer Erfahrungsregel etwas Hypothetisches aus. Aus dem bisher Vorgetragenen läßt sich nunmehr beurteilen, inwiefern Mariotte als ein Gegner von Newton anzusehen sei. Uns ist nicht bekannt geworden, daß er das, was er im Vorbeigehen gegen die neue Lehre geäußert, jemals wieder urgiert habe. Sein Aufsatz über die Farben mag kurz vor seinem Tode herausgekommen sein. Auf welche Weise jedoch die Newtonische Schule ihn angefochten und um seinen guten Ruf gebracht, wird sich sogleich des Nähern ergeben.
Johann Theophilus Desaguliers
geboren 1683
Die Philosophen des Altertums, welche sich mehr für den Menschen als für die übrige Natur interessierten, betrachteten diese nur nebenher und theoretisierten nur gelegentlich über dieselbe. Die Erfahrungen nahmen zu, die Beobachtungen wurden genauer und die Theorie eingreifender; doch brachten sie es nicht zur Wiederholung der Erfahrung, zum Versuch.
Im sechzehnten Jahrhundert, nach frischer Wiederbelebung der Wissenschaften, erschienen die bedeutenden Wirkungen der Natur noch unter der Gestalt der Magie, mit vielem Aberglauben umhüllt, in welchen sie sich zur Zeit der Barbarei versenkt hatten. Im siebzehnten Jahrhundert wollte man, wo nicht erstaunen, doch sich immer noch verwundern, und die angestellten Versuche verloren sich in seltsame Künsteleien.
Doch war die Sache immer ernsthafter geworden. Wer über die Natur dachte, wollte sie auch schauen. Jeder Denker machte nunmehr Versuche, aber auch noch nebenher. Gegen das Ende dieser Zeit traten immer mehr Männer auf, die sich mit einzelnen Teilen der Naturwissenschaft beschäftigten und vorzüglich diese durch Versuche zu ergründen suchten.
Durch diese lebhafte Verbindung des Experimentierens und Theoretisierens entstanden nun diejenigen Personen, welche man, besonders in England, Natural- und Experimentalphilosophen nannte, so wie es denn auch eine Experimentalphilosophie gab. Ein jeder, der die Naturgegenstände nur nicht gerade aus der Hand zum Mund, wie etwa der Koch, behandelte, wer nur einigermaßen konsequent aufmerksam auf die Erscheinungen war, der hatte schon ein gewisses Recht zu jenem Ehrennamen, den man freilich in diesem Sinne vielen beilegen konnte. Jedes allgemeine Räsonnement, das tief oder flach, zart oder krud, zusammenhängend oder abgerissen, über Naturgegenstände vorgebracht wurde, hieß Philosophie. Ohne diesen Mißbrauch des Wortes zu kennen, bliebe es unbegreiflich, wie die Londner Sozietät den Titel Philosophische Transaktionen für die unphilosophischeste aller Sammlungen hätte wählen können.
Der Hauptmangel einer solchen unzulänglichen Behandlung blieb daher immer, daß die theoretischen Ansichten so vieler Einzelnen vorwalteten und dasjenige, was man sehen sollte, nicht einem jeden gleichmäßig erschien. Uns ist bekannt, wie sich Boyle, Hooke und Newton benommen.
Durch die Bemühungen solcher Männer, besonders aber der Londner Sozietät, ward inzwischen das Interesse immer allgemeiner. Das Publikum wollte nun auch sehen und unterrichtet sein. Die Versuche sollten zu jeder Zeit auf eines jeden Erfordern wieder dargestellt werden, und man fand nun, daß Experimentieren ein Metier werden müsse.
Dies ward es zuerst durch Hawksbee. Er machte in London öffentliche Versuche der Elektrizität, Hydrostatik und Luftlehre, und enthielt sich vielleicht am reinsten von allem Theoretischen. Keill ward sein Schüler und Nachfolger. Dieser erklärte sich aber schon für Newtons Theorie. Hätte er die Farbenlehre behandelt, wie Hauksbee die Lehre von der Elektrizität, so würde alles ein anderes Ansehen gewonnen haben. Er wirkte in Oxford bis 1710.
Auf Keill folgte Desaguliers, der von ihm, seinem Meister, die Fertigkeit, Newtonische Experimente rezeptgemäß nachzubilden, sowie die Neigung zu dieser Theorie geerbt hatte, und dessen Kunstfertigkeit man anrief, wenn man Versuche sichten, durch Versuche etwas beweisen wollte.
Desaguliers ward berühmt durch sein Geschick zu experimentieren. s’Gravesande sagt von ihm: cuius peritia in instituendis experimentis nota est. Er hatte hinreichende mathematische Kenntnisse sowie auch genugsame Einsicht in das, was man damals Naturphilosophie nannte.
Desaguliers gegen Mariotte
Die Acta Eruditorum hatten 1706 S. 60 Nachricht von der Optik Newtons gegeben, durch einen gedrängten Auszug, ohne die mindeste Spur von Beifall oder Widerspruch.
Im Jahre 1713 S. 447 erwähnen sie, bei Gelegenheit von Rohaults Physik, jenes von Mariotte ausgesprochenen Einwurfs, und äußern sich darüber folgendermaßen: »Wenn es wahr ist, daß ein aus dem Spektrum abgesondertes, einzelnes farbiges Licht bei einer zweiten Brechung aufs neue an seinen Teilen Farben zeigt, so periklitiert die Newtonische Lehre. Noch entscheidender würde das Mariottische Experiment sein, wenn das ganze blaue Licht in eine andere Farbe verwandelt worden wäre.«
Man sieht wohl, daß dieser Zweifel sich von einer Person herschreibt, die mit der Sache zwar genugsam bekannt ist, sie aber nicht völlig durchdrungen hat. Denn jedes einfärbige Bild kann so gut als ein schwarzes, weißes oder graues, durch die verbreiterten Säume zugedeckt und seine Farbe dadurch aufgehoben, keineswegs aber in eine einzelne andere Farbe verwandelt werden. Genug, ein Aufruf dieser Art war von zu großer Bedeutung für Newton selbst und seine Schule, als daß nicht dadurch hätten Bewegungen hervorgebracht werden sollen. Dieses geschah auch, und Desaguliers stellte 1715 die Versuche gegen Mariotte an. Das Verfahren ist uns in den Philosophischen Transaktionen Nr. 348 S. 433 aufbewahrt.
Wir müssen uns Gewalt antun, indem wir von diesem Aufsatz Rechenschaft geben, aus der historischen Darstellung nicht wieder in die polemische Behandlung zu verfallen. Denn eigentlich sollte man Desaguliers gleichfalls Schritt vor Schritt, Wort vor Wort folgen, um zu zeigen, daß er wie sein Meister, ja noch schlimmer als dieser, sich bei den Versuchen benommen. Unbedeutende unnütze Nebenumstände werden hervorgehoben, die Hauptbedingungen des Phänomens spät und nur wie im Vorübergehen erwähnt, es wird versichert, daß man dieses und jenes leisten wolle, geleistet habe und sodann, als wenn es nichts wäre, zum Schlusse eingestanden, daß es nicht geschehen sei, daß eins und anderes noch beiher sich zeige und gerade das, wovon eben die Rede war, daß es sich nicht zeigen dürfe.
Gegen Mariotte soll bewiesen werden, daß die Farben des Spektrums, wenn sie recht gesondert seien, keine weitere Veränderung erleiden, aus ihnen keine andere Farben hervorgehen, an ihnen keine andere Farbe sich zeige. Um nun die prismatischen Farben auf diesen hohen Grad zu reinigen, wird der Newtonische elfte Versuch des ersten Teils als genugtuend an geführt, die dort vorgeschlagene umständliche Vorrichtung zwar als beschwerlich und verdrießlich (troublesome) angegeben und, wie auch Newton schon getan, mit einer bequemern ausgetauscht, und man glaubt nun, es solle direkt auf den Gegner losgehen, es werde dasjenige, was er behauptet, umgestoßen, dasjenige, was er geleugnet, bewiesen werden.
Allein Desaguliers verfährt völlig auf die Newtonische Manier und bringt ganz unschuldig bei: er wolle auch noch einige begleitende Versuche (concomitant) vorführen. Nun ist aber an diesem elften Experiment gar nichts zu begleiten: wenn es bestehen könnte, müßte es für sich bestehen. Desaguliers’ Absicht aber ist, wie man wohl einsieht, die ganze Newtonische Lehre von vornherein festzusetzen, damit das, was am elften Versuche fehlt, gegen die schon gegründete Lehre unbedeutend scheinen möge: eine Wendung, deren sich die Schule fortdauernd bedient hat. Er bringt daher nicht einen, sondern neun Versuche vor, welche sämtlich mit gewissen Versuchen der Optik korrespondieren, die wir deswegen nur kürzlich anzeigen und unsern Lesern dasjenige, was wir bei jedem einzelnen im polemischen Teile zur Sprache gebracht, zur Erinnerung empfehlen.
1. Versuch mit einem roten und blauen Bande nebeneinander, durchs Prisma angesehn. Der erste Versuch des ersten Teils mit einigen Veränderungen. Die ser wegen seiner Scheinbarkeit Newtonen so wichtige Versuch, daß er seine Optik damit eröffnet, steht auch hier wieder an der Spitze. Der Experimentator hält sich bei ganz unnötigen Bedingungen auf, versichert, der Versuch des Auseinanderrückens der beiden Bänder sei vortrefflich geraten, und sagt erst hinterdrein: wenn der Grund nicht schwarz ist, so gerät der Versuch nicht so gut. Daß der Grund hinter den Bändern schwarz sei, ist die unerläßliche Bedingung, welche obenan stehen müßte. Ist der Grund heller als die Bänder, so gerät der Versuch nicht etwa nur nicht so gut, sondern er gerät gar nicht; es entsteht etwas Umgekehrtes, etwas ganz anders. Man wird an dieser ausflüchtenden Manier doch wohl sogleich den echten Jünger Newtons erkennen.
2. Ein ähnliches Experiment mit den beiden Papierstreifen durch die Farben des Spektrums gefärbt, vergleicht sich mit dem dreizehnten Versuche des ersten Teils.
3. Das Bild dieser letzten, violetten und gelbroten Streifen durch eine Linse auf ein Papier geworfen, sodann derselbe Versuch mit gefärbten Papieren, kommt mit dem zweiten Versuch des ersten Teils überein.
4. Verschiedene Längen und Direktionen des prismatischen Bildes nach den verschiedenen Einfallswinkeln des reinen Lichts aufs Prisma. Was hier ausgeführt und dargestellt ist, würde zum dritten Versuch des ersten Teils gehören.
5. Das objektive Spektrum wird durch das Prisma angesehen, es scheint heruntergerückt und weiß. Ist der elfte Versuch des zweiten Teils.
6. Das Spektrum geht durch die Linse durch und erscheint im Fokus weiß. Ist ein Glied des zehnten Versuchs des zweiten Teils.
7. Das eigentliche Experimentum Crucis, das sechste des ersten Teils. Hier gesteht er, was Mariotte behauptet hat, daß die zu einzelnen Bildchen separierten prismatischen Farben, wenn man sie mit dem Prisma ansieht, wieder Farbenränder zeigen.
8. Nun schreitet er zu der komplizierten Vorrichtung des elften Experiments des ersten Teils, um ein Spektrum zu machen, das seiner Natur nach viel unsicherer und schwankender ist als das erste.
9. Mit diesem macht er nun ein Experiment, welches mit dem vierzehnten des ersten Teils zusammenfällt, um zu zeigen, daß nunmehr die farbigen Lichter ganz gereinigt, einfach, homogen gefunden worden. Dies sagt er aber nur: denn wer ihm aufmerksam nachversucht, wird das Gegenteil finden.
Das, was Desaguliers getan, teilt sich also in zwei Teile: die sieben ersten Versuche sollen die diverse Refrangibilität beweisen und in dem Kopf des Schauenden festsetzen; unter der achten und neunten Nummer hingegen, welche erst gegen Mariotte gerichtet sind, soll das wirklich geleistet sein, was versprochen worden. Wie kaptios und unredlich auch er hier zu Werke gehe, kann man daraus sehen, daß er wiederholt sagt: mit dem Roten gelang mir’s sehr gut, und so auch mit den übrigen. Warum sagt er denn nicht: es gelang mir mit allen Farben? oder warum fängt er nicht mit einer andern an? Alles dieses ist schon von uns bis zum Überdruß im polemischen Teile auseinandergesetzt. Besonders ist es in der supplementaren Abhandlung über die Verbindung der Prismen und Linsen bei Experimenten ausführlich geschehen und zugleich das elfte Experiment wiederholt beleuchtet worden.
Aber hier macht sich eine allgemeine Betrachtung nötig. Das, was Desaguliers gegen Mariotte und später gegen Rizzetti versucht und vorgetragen, wird von der Newtonischen Schule seit hundert Jahren als ein Schlußverfahren angesehn. Wie war es möglich, daß ein solcher Unsinn sich in einer Erfahrungswissenschaft einschleichen konnte? Dieses zu beantworten, müssen wir darauf aufmerksam machen, daß, wie sich in die Wissenschaften ethische Beweggründe, mehr als man glaubt, einschlingen, ebenso auch Staats und Rechtsmotive und -maximen darin zur Ausübung gebracht werden. Ein schließliches Aburteilen, ohne weitere Appellation zuzulassen, geziemt wohl einem Gerichtshofe. Wenn vor hundert Jahren ein Verbrecher vor die Geschworenen gebracht, von diesen schuldig befunden und sodann aufgehangen worden, so fällt es uns nicht leicht ein, die Revision eines solchen Prozesses zu verlangen, ob es gleich Fälle genug gegeben hat, wo das Andenken eines schmählich Hingerichteten durch Recht und Urteil rehabilitiert worden. Nun aber Versuche, von einer Seite so bedeutend, von der andern so leicht und bequem anzustellen, sollen, weil sie vor hundert Jahren, in England, von einer zwar ansehnlichen aber weder theoretisierend noch experimentierend völlig taktfesten Gesellschaft angestellt worden, nunmehr als ein für allemal abgetan, abgemacht und fertig erklärt und die Wiederholung derselben für unnütz, töricht, ja anmaßlich ausgeschrieen werden! Ist hierbei nur der mindeste Sinn, was Erfahrungswissenschaft sei, worauf sie beruhe, wie sie wachsen könne und müsse, wie sie ihr Falsches nach und nach von selbst wegwerfe, wie durch neue Entdeckungen die alten sich ergänzen und wie durch das Ergänzen die älteren Vorstellungsarten, selbst ohne Polemik, in sich zerfallen?
Auf die lächerlichste und unerträglichste Weise hat man von eben diesen Desaguliersschen Experimenten späterhin einsichtige Naturforscher weggeschreckt, gerade wie die Kirche von Glaubensartikeln die naseweisen Ketzer zu entfernen sucht. Betrachtet man dagegen, wie in der neuern Zeit Physiker und Chemiker die Lehre von den Luftarten, der Elektrizität, des Galvanism mit unsäglichem Fleiß, mit Aufwand und mancherlei Aufopferungen bearbeitet, so muß man sich schämen, im chromatischen Fach beinahe allein mit dem alten Inventarium von Traditionen, mit der alten Rüstkammer ungeschickter Vorrichtungen sich in Glauben und Demut begnügt zu haben.
Johannes Rizzetti
Ein Venezianer und aufmerksamer Liebhaber der Dioptrik faßte ein ganz richtiges Aperçu gegen Newton und fühlte, wie natürlich, einen großen Reiz, andern seine Entdeckung mitzuteilen und einleuchtend zu machen. Er verbreitete seine Meinung durch Briefe und reisende Freunde, fand aber überall Gegner. In Deutschland wurden seine Argumente in die Acta Eruditorum eingerückt. Professor Georg Friedrich Richter in Leipzig setzte sich dagegen; in England experimentierte und argumentierte Desaguliers gegen ihn, in Frankreich Gauger, in Italien die Bologneser Sozietät.
Er gab zuerst ein Diarium einer Reise durch Italien vor dem Jahre 1724 mit Nachträgen heraus, wovon man einen Auszug in die Acta Eruditorum setzte. (Supplemente der selben Tom. 8. p. 127.)
Bei Gelegenheit, daß Rizzetti die Frage aufwirft, wie es möglich sei, daß man die Gegenstände mit bloßen Augen farblos sähe, wenn es mit der von Newton bemerkten und erklärten farbigen Aberration seine Richtigkeit habe, bringt er verschiedene Einwendungen gegen die Newtonischen Experimente sowie auch gegen die Theorie vor. Richter schreibt dagegen (Tom. eod. p. 226). Darauf läßt sich Rizzetti wieder vernehmen und fügt noch einen Anhang hinzu (p. 303 f.). Aus einer neu veränderten Ausgabe des ersten Rizzettischen Aufsatzes findet sich gleichfalls ein Auszug (p. 234), und ein Auszug aus einem Briefe des Rizzetti an die Londner Sozietät (p. 236).
Richter verteidigt sich gegen Rizzetti (A. E. 1724, p. 27). Dieser gibt heraus: Specimen physico-mathematicum de Luminis affectionibus, Tarvisii et Venet. 1727. 8. Einzelne Teile daraus waren früher erschienen: De Luminis refractione, Auctore Rizzetto (Siehe A. E. 1726. Nr. 10.) De Luminis reflexione, Auctore Rizzetto (Siehe A. E. suppl. Tom. IX, Sect. 2. Nr. 4).
Gedachtes Werk darf keinem Freunde der Farbenlehre künftighin unbekannt bleiben. Wir machen zu unsern gegenwärtigen historischen Zwecken daraus einen flüchtigen Auszug.
Er nimmt an, das Licht bestehe aus Teilen, die sich ungern voneinander entfernen, aber doch durch Refraktion voneinander getrennt werden; dadurch entstehe die Dispersion desselben, welche Grimaldi sich schon ausgedacht hatte. Rizzetti nimmt leider auch noch Strahlen an, um mit denselben zu operieren.
Man sieht, daß diese Vorstellungsart viel zu nah an der Newtonischen liegt, um als Gegensatz derselben Glück zu machen.
Rizzettis dispergiertes Licht ist nur ein Halblicht; es kommt in ein Verhältnis zum Hellen oder Dunkeln, daraus entsteht die Farbe. Wir finden also, daß er auf dem rechten Wege war, indem er eben dasselbe abzuleiten sucht, was wir durch Doppelbild und Trübe ausgesprochen haben.
Der mathematische Teil seines Werks sowie das, was er im allgemeinen von Refraktion, Reflexion und Dispersion handelt, liegt außer unserm Kreise. Das übrige, was uns näher angeht, kann man in den polemischen und den didaktischen Teil einteilen.
Die Mängel der Newtonischen Lehre, das Kaptiose und Unzulängliche ihrer Experimente sieht Rizzetti recht gut ein. Er führt seine Kontrovers nach der Ordnung der Optik und ist den Newtonischen Unrichtigkeiten ziemlich auf der Spur; doch durchdringt er sie nicht ganz und gibt zum Beispiel gleich bei dem ersten Versuch ungeschickterweise zu, daß das blaue und rote Bild auf dunklem Grunde wirklich ungleich verrückt werde, da ihm doch sonst die Erscheinung der Säume nicht unbekannt ist. Dann bringt er die beiden Papiere auf weißen Grund, wo denn freilich durch ganz andere Säume für den Unbefangenen die Unrichtigkeit, die sich auf schwarzem Grunde versteckt, augenfällig werden muß.
Aber sein Widersacher, Richter in Leipzig, erhascht sogleich das Argument gegen ihn, daß die unter diesen Bedingungen erscheinenden Farben sich vom weißen Grunde herschreiben: eine ungeschickte Behauptung, in welcher sich jedoch die Newtonianer bis auf den heutigen Tag selig fühlen und welche auch mit großer Selbstgenügsamkeit gegen uns vorgebracht worden.
Seiner übrigen Kontrovers folgen wir nicht: sie trifft an vielen Orten mit der unsrigen überein, und wir gedenken nicht zu leugnen, daß wir ihm manches schuldig geworden, so wie noch künftig manches aus ihm zu nutzen sein wird.
In seinem didaktischen Teile findet man ihn weiter vorgerückt als alle Vorgänger, und er hätte wohl verdient, daß wir ihn mit Theophrast und Boyle unter den wenigen genannt, welche sich bemüht, die Masse der zu ihrer Zeit bekannten Phänomene zu ordnen.
In seiner Einteilung der Farben sind alle die Bedingungen beachtet, unter welchen uns die Farbe erscheint. Er hat unsere physiologischen Farben unter der Rubrik der phantastischen oder imaginären, unsere physischen unter der doppelten der variierenden, welche wir die dioptrischen der ersten Klasse, und der apparenten, welche wir die dioptrischen der zweiten Klasse genannt, vorgetragen. Unsere chemischen Farben finden sich bei ihm unter dem Titel der permanenten oder natürlichen.
Zum Grunde von allen Farbenerscheinungen legt er, wie schon oben bemerkt, dasjenige, was wir unter der Lehre von trüben Mitteln begreifen. Er nennt diese Farben die variierenden, weil ein trübes Mittel, je nachdem es Bezug auf eine helle oder dunkle Unterlage hat, verschiedene Farben zeigt. Auf diesem Wege erklärt er auch die Farben der Körper, wie wir es auf eine ähnliche Weise getan haben.
Die apparenten leitet er gleichfalls davon ab und nähert sich dabei unserer Darstellung vom Doppelbild; weil er aber das Doppelbild nicht als Faktum stehen läßt, sondern die Ursache desselben zugleich mit erklären will, so muß er seine Dispersion herbeibringen, wodurch denn die Sache sehr mühselig wird.
So sind auch seine Figuren höchst unerfreulich und beschwerlich zu entziffern; dahingegen die Newtonischen, obgleich meistens falsch, den großen Vorteil haben, bequem zu sein und deshalb faßlich zu scheinen.
Bei den physiologischen, seinen imaginären, bemerkt er recht gut den Unterschied der abklingenden Farbenerscheinung auf dunklem und hellem Grunde; weil ihm aber das wichtige, von Plato anerkannte Fundament von allem, die Synkrisis durchs Schwarze, die Diakrisis durchs Weiße bewirkt, abgeht, weil er auch die Forderung der entgegengesetzten Farben nicht kennt, so bringt er das Ganze nicht auf eine Art zusammen, die einigermaßen befriedigend wäre.
Übrigens rechnen wir es uns zur Ehre und Freude, ihn als denjenigen anzuerkennen, der zuerst am ausführlichsten und tüchtigsten das, wovon auch wir in der Farbenlehre überzeugt sind, nach Beschaffenheit der Erfahrung seiner Zeit ausgesprochen hat.
Desaguliers gegen Rizzetti
Als in den Leipziger Actis Eruditorum (Supplem. Tom. 8. § 3. p. 130. 131) einiger Einwürfe Rizzettis gegen Newton erwähnt ward, wiederholt Desaguliers das Experiment, wovon die Rede ist, 1722 vor der Sozietät zu London und gibt davon in den Philosophischen Transaktionen Vol. 32, pag. 206 eine kurze Nachricht.
Es ist das zweite Experiment des ersten Buchs der Optik, bei welchem ein hellrotes und ein dunkelblaues Papier, beide mit schwarzen Fäden umwunden, durch eine Linse auf einer weißen Tafel abgebildet werden; da denn das rote Bild oder vielmehr das Bild der schwarzen Fäden auf rotem Grunde sich ferner von der Linse, und das blaue Bild oder vielmehr das Bild der schwarzen Fäden auf blauem Grunde sich näher an der Linse deutlich zeigen soll. Wie es damit stehe, haben wir im polemischen Teil umständlich genug auseinandergesetzt und hinlänglich gezeigt, daß hier nicht die Farbe, sondern das mehr oder weniger Abstechende des Hellen und Dunkeln Ursache ist, daß zu dem einen Bilde der Abbildungspunkt schärfer genommen werden muß, da bei dem andern ein laxerer schon hinreichend ist.
Desaguliers, ob er gleich behauptet, sein Experiment sei vortrefflich gelungen, muß doch zuletzt auf dasjenige, worauf wir festhalten, in einem Notabene hindeuten; wie er denn, nach Newtonischer Art, die Hauptsachen in Noten und Notabene nachbringt, und so sagt er: Man muß Sorge tragen, daß die Farben ja recht tief sind; denn indem ich zufälligerweise von dem Blauen abgestreift hatte, so war das Weiße der Karte unter dem Blauen schuld, daß auch dieses Bild weiter reichte, fast so weit als das Rote.
Ganz natürlich! Denn nun ward das Blaue heller und die schwarzen Fäden stachen besser darauf ab, und wer sieht nun nicht, warum Newton, bei Bereitung einer gleichen Pappe zu seinen zwei ersten Experimenten, einen schwarzen Grund unter die aufzustreichenden Farben verlangt?
Dieses Experiment, dessen ganzen Wert man in einem Notabene zurücknehmen kann, noch besser kennen zu lernen, ersuchen wir unsere Leser, besonders dasjenige nachzusehen, was wir im polemischen Teil zum sechzehnten Versuch (312–315) angemerkt haben.
Rizzetti hatte 1727 sein Werk herausgegeben, dessen einzelne Teile schon früher bekannt gemacht worden. Desaguliers experimentiert und argumentiert gegen ihn: man sehe die Philosophischen Transaktionen Nr. 406. Monat Dezember 1728.
Zuerst beklagt sich Desaguliers über die arrogante Manier, womit Rizzetti dem größten Philosophen jetziger und vergangener Zeit begegne; über den triumphierenden Ton, womit er die Irrtümer eines großen Mannes darzustellen glaube. Darauf zieht er solche Stellen aus, die freilich nicht die höflichsten sind und von einem Schüler Newtons als Gotteslästerung verabscheut werden mußten. Ferner traktiert er den Autor als some people (so ein Mensch), bringt noch mehrere Stellen aus dem Werke vor, die er teils kurz abfertigt, teils auf sich beruhen läßt, ohne jedoch im mindesten eine Übersicht über das Buch zu geben. Endlich wendet er sich zu Experimenten, die sich unter verschiedene Rubriken begreifen lassen.
a) Zum Beweise der diversen Refrangibilität: 1. das zweite Experiment aus Newtons Optik; 2. das erste Experiment daher.
b) Refraktion und Reflexion an sich betreffend, meistens ohne Bezug auf Farbe, 3. 4. 5. 6. Ferner wird die Beugung der Strahlen bei der Refraktion, die Beugung der Strahlen bei der Reflexion nach Newtonischen Grundsätzen entwickelt und diese Phänomene der Attraktion zugeschrieben. Die Darstellung ist klar und zweckmäßig, obgleich die Anwendung auf die divers refrangiblen Strahlen mißlich und peinlich erscheint. In 7. und 8. wird die durch Berührung einer Glasfläche mit dem Wasser auf einmal aufgehobene Reflexion dargestellt, wobei die Bemerkung gemacht wird, daß die durch Refraktion und Reflexion gesehenen Bilder deutlicher sein sollen als die durch bloße Reflexion gesehenen, zum Beweis, daß das Licht leichter durch dichte als durch dünne Mittel gehe.
c) Als Zugabe 9. der bekannte Newtonische Versuch, der sechzehnte des zweiten Teils: wenn man unter freiem Himmel auf ein Prisma sieht, da sich denn ein blauer Bogen zeigt. Wir haben an seinem Orte diesen Versuch umständlich erläutert und ihn auf unsre Erfahrungssätze zurückgeführt.
Diese Experimente wurden vorgenommen vor dem damaligen Präsidenten der Sozietät Hans Sloane, vier Mitgliedern derselben, Engländern, und vier Italienern, welche sämtlich den guten Erfolg der Experimente bezeugten. Wie wenig aber hierdurch eigentlich ausgemacht werden können, besonders in Absicht auf Farbentheorie, läßt sich gleich daraus sehen, daß die Experimente 3 bis 8 inclus. sich auf die Theorie der Refraktion und Reflexion im allgemeinen beziehen, und daß die sämtlichen Herren von den drei übrigen Versuchen nichts weiter bezeugen konnten, als was wir alle Tage auch bezeugen können: daß nämlich unter den gegebenen beschränkten Bedingungen die Phänomene so und nicht anders erscheinen. Was sie aber aussprechen und aussagen, das ist ganz was anderes, und das kann kein Zuschauer bezeugen, am wenigsten solche, denen man die Versuche nicht in ihrer ganzen Fülle und Breite vorgelegt hat.
Wir glauben also der Sache nunmehr überflüssig genuggetan zu haben und verlangen vor wie nach von einem jeden, der sich dafür interessiert, daß er alle Experimente, so oft als es verlangt wird, darstellen könne.
Was übrigens Desaguliers betrifft, so ist der vollständige Titel des von ihm herausgegebenen Werkes: A Course of Experimental Philosophy by John Theophilus Desaguliers, L. L. D. F. R. S. Chaplain to his Royal Highness Frederick Prince of Wales, formerly of Hart Hall (now Hertford College) in Oxford. London.
Die erste Auflage des ersten Teils ist von 1734 und die zweite von 1745. Der zweite Band kam 1744 heraus. In der Vorrede des zweiten Teils pag. VII ist eine Stelle merkwürdig, warum er die Optik und so auch die Licht- und Farbenlehre nicht behandelt.
Gauger
Gehört auch unter die Gegner Rizzettis. Von ihm sind uns bekannt:
Lettres de Mr. Gauger, sur la différente Refrangibilité de la Lumière et l’immutabilité de leurs couleurs, etc etc. Sie sind besonders abgedruckt, stehen aber auch in der Continuation des Mémoires de Littérature et d’Histoire Tom. V, p. 1. Paris 1728, und ein Auszug daraus in den Mémoires pour l’histoire des Sciences et des beaux arts. Trevoux. Juillet 1728.
Im ganzen läßt sich bemerken, wie sehr es Rizzetti muß angelegen gewesen sein, seine Meinung zu verbreiten und die Sache zur Sprache zu bringen. Was hingegen die Kontrovers betrifft, die Gauger mit ihm führt, so müßten wir alles das wiederholen, was wir oben schon beigebracht, und wir ersparen daher uns und unsern Lesern diese Unbequemlichkeit.
Newtons Persönlichkeit
Die Absicht dessen, was wir unter dieser Rubrik zu sagen gedenken, ist eigentlich die, jene Rolle eines Gegners und Widersachers, die wir so lange behauptet und auch künftig noch annehmen müssen, auf eine Zeit abzulegen, so billig als möglich zu sein, zu untersuchen, wie so seltsam Widersprechendes bei ihm zusammengehangen und dadurch unsere mitunter gewissermaßen heftige Polemik auszusöhnen. Daß manche wissenschaftliche Rätsel nur durch eine ethische Auflösung begreiflich werden können, gibt man uns wohl zu, und wir wollen versuchen, was uns in dem gegenwärtigen Falle gelingen kann.
Von der englischen Nation und ihren Zuständen ist schon unter Roger Bacon und Baco von Verulam einiges erwähnt worden, auch gibt uns Sprats flüchtiger Aufsatz ein zusammengedrängtes historisches Bild. Ohne hier weiter einzugreifen, bemerken wir nur, daß bei den Engländern vorzüglich bedeutend und schätzenswert ist die Ausbildung so vieler derber, tüchtiger Individuen, eines jeden nach seiner Weise, und zugleich gegen das Öffentliche, gegen das gemeine Wesen: ein Vorzug, den vielleicht keine andere Nation, wenigstens nicht in dem Grade, mit ihr teilt.
Die Zeit, in welcher Newton geboren ward, ist eine der prägnantesten in der englischen, ja in der Weltgeschichte überhaupt. Er war sechs Jahre alt, als Karl I. enthauptet wurde, und erlebte die Thronbesteigung Georgs I. Ungeheure Konflikte bewegten Staat und Kirche, jedes für sich und beide gegeneinander, auf die mannigfaltigste und abwechselndste Weise. Ein König ward hingerichtet; entgegengesetzte Volks und Kriegsparteien stürmten widereinander; Regierungsveränderungen, Veränderungen des Ministeriums, der Parlamente folgten sich gedrängt; ein wiederhergestelltes, mit Glanz geführtes Königtum ward abermals erschüttert; ein König vertrieben, der Thron von einem Fremden in Besitz genommen und abermals nicht vererbt, sondern einem Fremden abgetreten.
Wie muß nicht durch eine solche Zeit ein jeder sich angeregt, sich aufgefordert fühlen! Was muß das aber für ein eigener Mann sein, den seine Geburt, seine Fähigkeiten zu mancherlei Anspruch berechtigen und der alles ablehnt und ruhig seinem von Natur eingepflanzten Forscherberuf folgt!
Newton war ein wohlorganisierter, gesunder, wohltemperierter Mann, ohne Leidenschaft, ohne Begierden. Sein Geist war konstruktiver Natur und zwar im abstraktesten Sinne; daher war die höhere Mathematik ihm als das eigentliche Organ gegeben, durch das er seine innere Welt aufzubauen und die äußere zu gewältigen suchte. Wir maßen uns über dieses sein Hauptverdienst kein Urteil an und gestehen gern zu, daß sein eigentliches Talent außer unserm Gesichtskreise liegt; aber, wenn wir aus eigener Überzeugung sagen können: das von seinen Vorfahren Geleistete ergriff er mit Bequemlichkeit und führte es bis zum Erstaunen weiter; die mittleren Köpfe seiner Zeit ehrten und verehrten ihn, die besten erkannten ihn für ihresgleichen oder gerieten gar wegen bedeutender Erfindungen und Entdeckungen mit ihm in Kontestation: so dürfen wir ihn wohl, ohne näheren Beweis, mit der übrigen Welt für einen außerordentlichen Mann erklären.
Von der praktischen, von der Erfahrungsseite rückt er uns dagegen schon näher. Hier tritt er in eine Welt ein, die wir auch kennen, in der wir seine Verfahrungsart und seinen Sukzeß zu beurteilen vermögen, um so mehr, als es überhaupt eine unbestrittne Wahrheit ist, daß, so rein und sicher die Mathematik in sich selbst behandelt werden kann, sie doch auf dem Erfahrungsboden sogleich bei jedem Schritte periklitiert und ebenso gut wie jede andere ausgeübte Maxime zum Irrtum verleiten, ja den Irrtum ungeheuer machen und sich künftige Beschämungen vorbereiten kann.
Wie Newton zu seiner Lehre gelangt, wie er sich bei ihrer ersten Prüfung übereilt, haben wir umständlich oben auseinandergesetzt. Er baut seine Theorie sodann konsequent auf, ja er sucht seine Erklärungsart als ein Faktum geltend zu machen; er entfernt alles, was ihr schädlich ist, und ignoriert dieses, wenn er es nicht leugnen kann. Eigentlich kontrovertiert er nicht, sondern wiederholt nur immer seinen Gegnern: greift die Sache an wie ich; geht auf meinem Wege; richtet alles ein wie ich’s eingerichtet habe; seht wie ich, schließt wie ich, und so werdet ihr finden, was ich gefunden habe: alles andere ist vom Übel. Was sollen hundert Experimente, wenn zwei oder drei meine Theorie auf das beste begründen?
Dieser Behandlungsart, diesem unbiegsamen Charakter ist eigentlich die Lehre ihr ganzes Glück schuldig. Da das Wort Charakter ausgesprochen ist, so werde einigen zudringenden Betrachtungen hier Platz vergönnt.
Jedes Wesen, das sich als eine Einheit fühlt, will sich in seinem eigenen Zustand ungetrennt und unverrückt erhalten. Dies ist eine ewige notwendige Gabe der Natur, und so kann man sagen, jedes einzelne habe Charakter bis zum Wurm hinunter, der sich krümmt, wenn er getreten wird. In diesem Sinne dürfen wir dem Schwachen, ja dem Feigen selbst Charakter zuschreiben: denn er gibt auf, was andere Menschen über alles schätzen, was aber nicht zu seiner Natur gehört: die Ehre, den Ruhm, nur damit er seine Persönlichkeit erhalte. Doch bedient man sich des Wortes Charakter gewöhnlich in einem höhern Sinne: wenn nämlich eine Persönlichkeit von bedeutenden Eigenschaften auf ihrer Weise verharret und sich durch nichts davon abwendig machen läßt.
Einen starken Charakter nennt man, wenn er sich allen äußerlichen Hindernissen mächtig entgegensetzt und seine Eigentümlichkeit, selbst mit Gefahr seine Persönlichkeit zu verlieren, durchzusetzen sucht. Einen großen Charakter nennt man, wenn die Stärke desselben zugleich mit großen, unübersehlichen, unendlichen Eigenschaften, Fähigkeiten, verbunden ist und durch ihn ganz originelle unerwartete Absichten, Plane und Taten zum Vorschein kommen.
Ob nun gleich jeder wohl einsieht, daß hier eigentlich das Überschwengliche, wie überhaupt, die Größe macht, so muß man sich doch ja nicht irren und etwa glauben, daß hier von einem Sittlichen die Rede sei. Das Hauptfundament des Sittlichen ist der gute Wille, der seiner Natur nach nur aufs Rechte gerichtet sein kann; das Hauptfundament des Charakters ist das entschiedene Wollen, ohne Rücksicht auf Recht und Unrecht, auf Gut und Böse, auf Wahrheit oder Irrtum: es ist das, was jede Partei an den ihrigen so höchlich schätzt. Der Wille gehört der Freiheit, er bezieht sich auf den innern Menschen, auf den Zweck; das Wollen gehört der Natur und bezieht sich auf die äußere Welt, auf die Tat: und weil das irdische Wollen nur immer ein beschränktes sein kann, so läßt sich beinahe voraussetzen, daß in der Ausübung das höhere Rechte niemals oder nur durch Zufall gewollt werden kann.
Man hat, nach unserer Überzeugung, noch lange nicht genug Beiworte aufgesucht, um die Verschiedenheit der Charaktere auszudrücken. Zum Versuch wollen wir die Unterschiede, die bei der physischen Lehre von der Kohärenz stattfinden, gleichnisweise gebrauchen; und so gäbe es starke, feste, dichte, elastische, biegsame, geschmeidige, dehnbare, starre, zähe, flüssige und wer weiß was sonst noch für Charaktere. Newtons Charakter würden wir unter die starren rechnen, so wie auch seine Farbentheorie als ein erstarrtes Aperçu anzusehen ist.
Was uns gegenwärtig betrifft, so berühren wir eigentlich nur den Bezug des Charakters auf Wahrheit und Irrtum. Der Charakter bleibt derselbe, er mag sich dem einen oder der andern ergeben; und so verringert es die große Hochachtung, die wir für Newton hegen, nicht im geringsten, wenn wir behaupten: er sei als Mensch, als Beobachter in einen Irrtum gefallen und habe als Mann von Charakter, als Sektenhaupt, seine Beharrlichkeit eben dadurch am kräftigsten betätigt, daß er diesen Irrtum trotz allen äußern und innern Warnungen bis an sein Ende fest behauptet, ja immer mehr gearbeitet und sich bemüht, ihn auszubreiten, ihn zu befestigen und gegen alle Angriffe zu schützen.
Und hier tritt nun ein ethisches Haupträtsel ein, das aber demjenigen, der in die Abgründe der menschlichen Natur zu blicken wagte, nicht unauflösbar bleibt. Wir haben in der Heftigkeit des Polemisierens Newtonen sogar einige Unredlichkeit vorgeworfen; wir sprechen gegenwärtig wieder von nicht geachteten inneren Warnungen, und wie wäre dies mit der übrigens anerkannten Moralität eines solchen Mannes zu verbinden?
Der Mensch ist dem Irren unterworfen, und wie er in einer Folge, wie er anhaltend irrt, so wird er sogleich falsch gegen sich und gegen andere; dieser Irrtum mag in Meinungen oder in Neigungen bestehen. Von Neigungen wird es uns deutlicher, weil nicht leicht jemand sein wird, der eine solche Erfahrung nicht an sich gemacht hätte. Man widme einer Person mehr Liebe, mehr Achtung, als sie verdient, sogleich muß man falsch gegen sich und andre werden: man ist genötigt, auffallende Mängel als Vorzüge zu betrachten und sie bei sich wie bei andern dafür gelten zu machen.
Dagegen lassen Vernunft und Gewissen sich ihre Rechte nicht nehmen. Man kann sie belügen, aber nicht täuschen. Ja wir tun nicht zu viel, wenn wir sagen: je moralischer, je vernünftiger der Mensch ist, desto lügenhafter wird er, sobald er irrt, desto ungeheurer muß der Irrtum werden, sobald er darin verharrt; und je schwächer die Vernunft, je stumpfer das Gewissen, desto mehr ziemt der Irrtum dem Menschen, weil er nicht gewarnt ist. Das Irren wird nur bedauernswert, ja es kann liebenswürdig erscheinen.
Ängstlich aber ist es anzusehen, wenn ein starker Charakter, um sich selbst getreu zu bleiben, treulos gegen die Welt wird und um innerlich wahr zu sein, das Wirkliche für eine Lüge erklärt und sich dabei ganz gleichgültig erzeigt, ob man ihn für halsstarrig, verstockt, eigensinnig, oder für lächerlich halte. Demungeachtet bleibt der Charakter immer Charakter, er mag das Rechte oder das Unrechte, das Wahre oder das Falsche wollen und eifrig dafür arbeiten.
Allein hiermit ist noch nicht das ganze Rätsel aufgelöst; noch ein Geheimnisvolleres liegt dahinter. Es kann sich nämlich im Menschen ein höheres Bewußtsein finden, so daß er über die notwendige ihm einwohnende Natur, an der er durch alle Freiheit nichts zu verändern vermag, eine gewisse Übersicht erhält. Hierüber völlig ins klare zu kommen, ist beinahe unmöglich; sich in einzelnen Augenblicken zu schelten, geht wohl an, aber niemanden ist gegeben, sich fortwährend zu tadeln. Greift man nicht zu dem gemeinen Mittel, seine Mängel auf die Umstände, auf andere Menschen zu schieben, so entsteht zuletzt aus dem Konflikt eines vernünftig richtenden Bewußtseins mit der zwar modifikablen, aber doch unveränderlichen Natur eine Art von Ironie in und mit uns selbst, so daß wir unsere Fehler und Irrtümer wie ungezogene Kinder spielend behandeln, die uns vielleicht nicht so lieb sein würden, wenn sie nicht eben mit solchen Unarten behaftet wären.
Diese Ironie, dieses Bewußtsein, womit man seinen Mängeln nachsieht, mit seinen Irrtümern scherzt und ihnen desto mehr Raum und Lauf läßt, weil man sie doch am Ende zu beherrschen glaubt oder hofft, kann von der klarsten Verruchtheit bis zur dumpfsten Ahndung sich in mancherlei Subjekten stufenweise finden, und wir getrauten uns eine solche Galerie von Charakteren, nach lebendigen und abgeschiedenen Mustern, wenn es nicht allzu verfänglich wäre, wohl aufzustellen. Wäre alsdann die Sache durch Beispiele völlig aufgeklärt, so würde uns niemand verargen, wenn er Newtonen auch in der Reihe fände, der eine trübe Ahndung seines Unrechts gewiß gefühlt hat.
Denn wie wäre es einem der ersten Mathematiker möglich, sich einer solchen Unmethode zu bedienen, daß er schon in den Optischen Lektionen, indem er die diverse Refrangibilität festsetzen will, den Versuch mit parallelen Mitteln, der ganz an den Anfang gehört, weil die Farbenerscheinung sich da zuerst entwickelt, ganz zuletzt bringt; wie konnte einer, dem es darum zu tun gewesen wäre, seine Schüler mit den Phänomenen im ganzen Umfang bekannt zu machen, um darauf eine haltbare Theorie zu bauen, wie konnte der die subjektiven Phänomene gleichfalls erst gegen das Ende und keineswegs in einem gewissen Parallelismus mit den objektiven abhandeln; wie konnte er sie für unbequem erklären, da sie ganz ohne Frage die bequemeren sind: wenn er nicht der Natur ausweichen und seine vorgefaßte Meinung vor ihr sicher stellen wollte? Die Natur spricht nichts aus, was ihr selbst unbequem wäre; desto schlimmer, wenn sie einem Theoretiker unbequem wird.
Nach allem diesem wollen wir, weil ethische Probleme auf gar mancherlei Weise aufgelöst werden können, noch die Vermutung anführen, daß vielleicht Newton an seiner Theorie so viel Gefallen gefunden, weil sie ihm, bei jedem Erfahrungsschritte, neue Schwierigkeiten darbot. So sagt ein Mathematiker selber: C’est la coutume des Géomètres de s’élever de difficultés en difficultés, et même de s’en former sans cesse de nouvelles, pour avoir le plaisir de les surmonter.
Wollte man aber auch so den vortrefflichen Mann nicht genug entschuldigt haben, so werfe man einen Blick auf die Naturforschung seiner Zeiten, auf das Philosophieren über die Natur, wie es teils von Descartes her, teils durch andere vorzügliche Männer üblich geworden war, und man wird aus diesen Umgebungen sich Newtons eigenen Geisteszustand eher vergegenwärtigen können.
Auf diese und noch manche andere Weise möchten wir den Manen Newtons, insofern wir sie beleidigt haben könnten, eine hinlängliche Ehrenerklärung tun. Jeder Irrtum, der aus dem Menschen und aus den Bedingungen, die ihn umgeben, unmittelbar entspringt, ist verzeihlich, oft ehrwürdig; aber alle Nachfolger im Irrtum können nicht so billig behandelt werden. Eine nachgesprochene Wahrheit verliert schon ihre Grazie; ein nachgesprochener Irrtum erscheint abgeschmackt und lächerlich. Sich von einem eigenen Irrtum loszumachen, ist schwer, oft unmöglich bei großem Geist und großen Talenten; wer aber einen fremden Irrtum aufnimmt und halsstarrig dabei verbleibt, zeigt von gar geringem Vermögen. Die Beharrlichkeit eines original Irrenden kann uns erzürnen; die Hartnäckigkeit der Irrtumskopisten macht verdrießlich und ärgerlich. Und wenn wir in dem Streit gegen die Newtonische Lehre manchmal aus den Grenzen der Gelassenheit herausgeschritten sind, so schieben wir alle Schuld auf die Schule, deren Inkompetenz und Dünkel, deren Faulheit und Selbstgenügsamkeit, deren Ingrimm und Verfolgungsgelüst miteinander durchaus in Proportion und Gleichgewicht stehen.
Erste Schüler und Bekenner Newtons
Außer den schon erwähnten Experimentatoren, Keill und Desaguliers, werden uns folgende Männer merkwürdig.
Samuel Clarke, geboren 1675, gestorben 1735, trägt zur Ausbreitung der Newtonischen Lehre unter allen am meisten bei. Zum geistlichen Stande bestimmt, zeigt er in der Jugend großes Talent zur Mathematik und Physik, penetriert früher als andere die Newtonischen Ansichten und überzeugt sich davon.
Er übersetzt Rohaults Physik, welche, nach Cartesianischen Grundsätzen geschrieben, in den Schulen gebraucht wurde, ins Lateinische. In den Noten trägt der Übersetzer die Newtonische Lehre vor, von welcher denn bei Gelegenheit der Farben gesagt wird: Experientia compertum est etc. Die erste Ausgabe ist von 1697. Auf diesem Wege führte man die Newtonische Lehre, neben der des Cartesius, in den Unterricht ein und verdrängte jene nach und nach.
Der größte Dienst jedoch, den Clarke Newtonen erzeigte, war die Übersetzung der Optik ins Lateinische, welche 1706 herauskam. Newton hatte sie selbst revidiert, und Engländer sagen, sie sei verständlicher als das Original selbst. Wir aber können dies keineswegs finden. Das Original ist sehr deutlich, naiv ernst geschrieben; die Übersetzung muß, um des lateinischen Sprachgebrauchs willen, oft umschreiben und Phrasen machen; aber vielleicht sind es eben diese Phrasen, die den Herren, welche sich nichts weiter dabei denken wollten, am besten zu Ohre gingen.
Übrigens standen beide Männer in einem moralischen, ja religiösen Verhältnis zueinander, indem sie beide dem Arianismus zugetan waren: einer mäßigen Lehre, die vielen vernünftigen Leuten der damaligen Zeit behagte und den Deismus der folgenden vorbereitete.
Wilhelm Molyneux, einer der ersten Newtonischen Bekenner. Er gab eine Dioptrica nova, London, 1692, heraus, woselbst er auf der vierten Seite sagt: »Aber Herr Newton in seinen Abhandlungen, Farben und Licht betreffend, die in den Philosophischen Transaktionen publiziert worden, hat umständlich dargetan, daß die Lichtstrahlen keineswegs homogen oder von einerlei Art sind, vielmehr von unterschiedenen Formen und Figuren, daß einige mehr gebrochen werden als die andern, ob sie schon einen gleichen oder ähnlichen Neigungswinkel zum Glase haben«.
Niemanden wird entgehen, daß hier, bei allem Glauben an den Herrn und Meister, die Lehre schon ziemlich auf dem Wege ist, verschoben und entstellt zu werden.
Regnault. Entretiens physiques Tom. 2. Entret. 23, p. 395 ff. und Entret. 22, p. 379 ff. trägt die Newtonische Lehre in der Kürze vor.
Maclaurin. Expositions des découvertes philosophiques de Mr. Newton.
Pemberton. A view of Sir Isaac Newton’s philosophy. London 1728.
Wilhelm Whiston. Praelectiones mathematicae.
Dunch. Philosophia mathematica Newtoniana.
Inwiefern diese letzteren sich auch um die Farbenlehre bekümmert und solche mehr oder weniger dem Buchstaben nach vorgetragen, gedenken wir hier nicht zu untersuchen; genug, sie gehören unter diejenigen, welche als die ersten Anhänger und Bekenner Newtons in der Geschichte genannt werden.
Von auswärtigen Anhängern erwähnen wir zunächst s’Gravesande und Musschenbroek.
Wilhelm Jakob s’Gravesande
geboren 1688
Physices elementa mathematica, sive introductio ad philosophiam Newtonianam. Lugd. Batav. 1721.
Im zweiten Bande p. 78, Cap. 18, trägt er die Lehre von der diversen Refrangibilität nach Newton vor; in seinen Definitionen setzt er sie voraus. Die ins Ovale gezogene Gestalt des runden Sonnenbildes scheint sie ihm ohne weiteres zu beweisen.
Merkwürdig ist, daß Tab. XV die erste Figur ganz richtig gezeichnet ist und daß er § 851 zur Entschuldigung, daß im vorhergehenden beim Vortrag der Refraktionsgesetze die weißen Strahlen als homogen behandelt worden, sagt: satis est exigua differentia refrangibilitatis in radiis solaribus, ut in praecedentibus negligi potuit.
Freilich, wenn die Versuche mit parallelen Mitteln gemacht werden, sind die farbigen Ränder unbedeutend, und man muß das Sonnenbild genug quälen, bis das Phänomen ganz farbig erscheint.
Übrigens sind die perspektivisch, mit Licht und Schatten vorgestellten Experimente gut und richtig, wie es scheint, nach dem wirklichen Apparat gezeichnet. Aber wozu der Aufwand, da die Farbenerscheinung als die Hauptsache fehlt? Reine Linearzeichnungen, richtig illuminiert, bestimmen und entscheiden die ganze Sache, dahingegen durch jene umständliche, bis auf einen gewissen Grad wahre und doch im Hauptpunkte mangelhafte Darstellung der Irrtum nur desto ehrwürdiger gemacht und fortgepflanzt wird.
Peter von Musschenbroek
geboren 1692, gestorben 1761
Elementa physica 1734. Völlig von der Newtonischen Lehre überzeugt, fängt er seinen Vortrag mit der hypothetischen Figur an, wie sie bei uns, Tafel VII, Figur 1 abgebildet ist. Dann folgt: Si per exiguum foramen mit der bekannten Litanei.
Bei dieser Gelegenheit erwähnen wir der florentinischen Akademie, deren Tentamina von Musschenbroek übersetzt und 1731 herausgegeben worden. Sie enthalten zwar nichts die Farbenlehre betreffend; doch ist uns die Vorrede merkwürdig, besonders wegen einer Stelle über Newton, die als ein Zeugnis der damaligen höchsten Verehrung dieses außerordentlichen Mannes mitgeteilt zu werden verdient. Indem nämlich Musschenbroek die mancherlei Hindernisse und Beschwerlichkeiten anzeigt, die er bei Übersetzung des Werks aus dem Italienischen ins Lateinische gefunden, fügt er folgendes hinzu: »Weil nun auch mehr als sechzig Jahre seit der ersten Ausgabe dieses Werkes verflossen, so ist die Philosophie inzwischen mit nicht geringem Wachstum vorgeschritten, besonders, seitdem der allerreichste und höchste Lenker und Vorsteher aller menschlichen Dinge, mit unendlicher Liebe und unbegreiflicher Wohltätigkeit die Sterblichen unserer Zeit bedenkend, ihre Gemüter nicht länger in dem Druck der alten Finsternis lassen wollte, sondern ihnen als ein vom Himmel gesandtes Geschenk jenes britische Orakel, Isaak Newton, gewährt; welcher, eine erhabene Mathesin auf die zartesten Versuche anwendend und alles geometrisch beweisend, gelehrt hat, wie man in die verborgensten Geheimnisse der Natur dringen und eine wahre befestigte Wissenschaft erlangen könne. Deswegen hat auch dieser mit göttlichem Scharfsinn begabte Philosoph mehr geleistet als alle die erfindsamsten Männer von den ersten Anfängen der Weltweisheit her zusammen. Verbannt sind nun alle Hypothesen; nichts, als was bewiesen ist, wird zugelassen; die Weltweisheit wird durch die gründlichste Lehre erweitert und auf den menschlichen Nutzen übergetragen, durch mehrere angesehene, die wahre Methode befolgende gelehrte Männer.«
Französische Akademiker
Die erste französische Akademie, schon im Jahre 1634 eingerichtet, war der Sprache im allgemeinsten Sinne, der Grammatik, Rhetorik und Poesie gewidmet. Eine Versammlung von Naturforschern aber hatte zuerst in England stattgefunden.
In einem Brief an die Londner Sozietät preist von Montmort-Desorbière die englische Nation glücklich, daß sie einen reichen Adel und einen König habe, der sich für die Wissenschaften interessiere, welches in Frankreich nicht der Fall sei. Doch fanden sich auch in diesem Lande schon so viel Freunde der Naturwissenschaften in einzelnen Gesellschaften zusammen, daß man von Hof aus nicht säumen konnte, sie näher zu vereinigen. Man dachte sich ein weit umfassendes Ganze und wollte jene erste Akademie der Redekünste und die neu einzurichtende der Wissenschaften miteinander vereinigen. Dieser Versuch gelang nicht; die Sprach-Akademiker schieden sich gar bald, und die Akademie der Wissenschaften blieb mehrere Jahre zwar unter königlichem Schutz, doch ohne eigentliche Sanktion und Konstitution, in einem gewissen Mittelzustand, in welchem sie sich gleichwohl um die Wissenschaften genug verdient machte.
Mit ihren Leistungen bis 1696 macht uns Du Hamel in seiner Regiae Scientiarum academiae historia auf eine stille und ernste Weise bekannt.
In dem Jahre 1699 wurde sie restauriert und völlig organisiert, von welcher Zeit an ihre Arbeiten und Bemühungen ununterbrochen bis zur Revolution fortgesetzt wurden.
Die Gesellschaft hielt sich, ohne sonderliche theoretische Tendenz, nahe an der Natur und deren Beobachtung, wobei sich von selbst versteht, daß in Absicht auf Astronomie, sowie auf alles, was dieser großen Wissenschaft vorausgehen muß, nicht weniger bei Bearbeitung der allgemeinen Naturlehre, die Mathematiker einen fleißigen und treuen Anteil bewiesen. Naturgeschichte, Tierbeschreibung, Tieranatomie beschäftigten manche Mitglieder und bereiteten vor, was später von Buffon und Daubenton ausgeführt wurde.
Im ganzen sind die Verhandlungen dieser Gesellschaft ebenso wenig methodisch als die der englischen; aber es herrscht doch eher eine Art von verständiger Ordnung darin. Man ist hier nicht so konfus wie dort, aber auch nicht so reich. In Absicht auf Farbenlehre verdanken wir derselben folgendes:
Mariotte
Unter dem Jahre 1679 gibt uns die Geschichte der Akademie eine gedrängte aber hinreichende Nachricht von den Mariottischen Arbeiten. Sie bezeigt ihre Zufriedenheit über die einfache Darstellung der Phänomene und äußert, daß es sehr wohl getan sei, auf eine solche Weise zu verfahren, als sich in die Aufsuchung entfernterer Ursachen zu verlieren.
De La Hire
Im Jahre 1678 hatte dieser in einer kleinen Schrift, Accidents de la vue, den Ursprung des Blauen ganz richtig gefaßt, daß nämlich ein dunkler schwärzlicher Grund, durch ein durchscheinendes weißliches Mittel gesehen, die Empfindung von Blau gebe.
Unter dem Jahre 1711 findet sich in den Memoiren der Akademie ein kleiner Aufsatz, worin diese Ansicht wiederholt und zugleich bemerkt wird, daß das Sonnenlicht durch ein angerauchtes Glas rot erscheine. Er war, wie man sieht, auf dem rechten Wege, doch fehlte es ihm an Entwicklung des Phänomens. Er drang nicht weit genug vor, um einzusehen, daß das angerauchte Glas hier nur als ein Trübes wirke, indem dasselbe, wenn es leicht angeraucht ist, vor einen dunklen Grund gehalten, bläulich erscheint. Ebenso wenig gelang es ihm, das Rote aufs Gelbe zurück-und das Blaue aufs Violette vorwärtszuführen. Seine Bemerkung und Einsicht blieb daher unfruchtbar liegen.
Wegen übereinstimmender Gesinnungen schalten wir an dieser Stelle einen Deutschen ein, den wir sonst nicht schicklicher unterzubringen wußten.
Johann Michael Conradi
Anweisung zur Optica. Koburg 1710 in Quart
Pag. 18. § 16. »Wo das Auge nichts siehet, so meinet es, es sehe etwas Schwarzes; als wenn man des Nachts gen Himmel siehet, da ist wirklich nichts, und man meinet, die Sterne hingen an einem schwarzen expanso. Wo aber eine durchscheinende Weiße vor dieser Schwärze oder diesem Nichts stehet, so gibt es eine blaue Farbe, daher der Himmel des Tages blau siehet, weil die Luft wegen der Dünste weiß ist. Dahero je reiner die Luft ist, je hochblauer ist der Himmel, als wo ein Gewitter vorüber ist, und die Luft von denen vielen Dünsten gereinigt; je dünstiger aber die Luft ist, desto weißlicher ist diese blaue Farbe. Und daher scheinen auch die Wälder von weitem blau, weil vor dem schwarzen schattenvollen Grün die weiße und illuminierte Luft sich befindet.«
Malebranche
Wir haben schon oben S. 472 den Entwurf seiner Lehre eingerückt. Er gehört unter diejenigen, welche Licht und Farbe zarter zu behandeln glaubten, wenn sie sich diese Phänomene als Schwingungen erklärten. Und es ist bekannt, daß diese Vorstellungsart durch das ganze achtzehnte Jahrhundert Gunst gefunden.
Nun haben wir schon geäußert, daß nach unserer Überzeugung damit gar nichts gewonnen ist. Denn wenn uns der Ton deswegen begreiflicher zu sein scheint als die Farbe, weil wir mit Augen sehen und mit Händen greifen können, daß eine mechanische Impulsion Schwingungen an den Körpern und in der Luft hervorbringt, deren verschiedene Maßverhältnisse harmonische und disharmonische Töne bilden, so erfahren wir doch dadurch keinesweges, was der Ton sei und wie es zugehe, daß diese Schwingungen und ihre Abgemessenheiten das, was wir im allgemeinen Musik nennen, hervorbringen mögen. Wenn wir nun aber gar diesen mechanischen Wirkungen, die wir für intelligibel halten, weil wir einen gewissermaßen groben Anstoß so zarter Erscheinungen bemerken können, zum Gleichnis brauchen, um das, was Licht und Farbe leisten, uns auf eben dem Wege begreiflich zu machen, so ist dadurch eigentlich gar nichts getan. Statt der Luft, die durch den Schall bewegt wird, einen Äther zu supponieren, der durch die Anregung des Lichts auf eine ähnliche Weise vibriere, bringt das Geschäft um nichts weiter: denn freilich ist am Ende alles Leben und Bewegung, und beide können wir doch nicht anders gewahr werden, als daß sie sich selbst rühren und durch Berührung das Nächste zum Fortschritt anreizen.
Wie unendlich viel ruhiger ist die Wirkung des Lichts als die des Schalles. Eine Welt, die so anhaltend von Schall erfüllt wäre, als sie es von Licht ist, würde ganz unerträglich sein.
Durch diese oder eine ähnliche Betrachtung ist wahrscheinlich Malebranche, der ein sehr zart fühlender Mann war, auf seine wunderlichen Vibrations de pression geführt worden, da die Wirkung des Lichts durchaus mehr einem Druck als einem Stoß ähnlich ist. Wovon diejenigen, welche es interessiert, die Memoiren der Akademie von 1699 nachsehen werden.
Bernard le Bovier de Fontenelle
geboren 1657, gestorben 1757
Es war nicht möglich, daß die Franzosen sich lange mit den Wissenschaften abgaben, ohne solche ins Leben, ja in die Sozietät zu ziehen und sie durch eine gebildete Sprache der Redekunst, wo nicht gar der Dichtkunst zu überliefern. Schon länger als ein halbes Jahrhundert war man gewohnt, über Gedichte und prosaische Aufsätze, über Theaterstücke, Kanzelreden, Memoiren, Lobreden und Biographien in Gesellschaften zu dissertieren und seine Meinung, sein Urteil gegenseitig zu eröffnen. Im Briefwechsel suchten Männer und Frauen der oberen Stände sich an Einsicht in die Welthändel und Charaktere, an Leichtigkeit, Heiterkeit und Anmut bei der möglichsten Bestimmtheit zu übertreffen; und nun trat die Naturwissenschaft als eine spätre Gabe hinzu. Die Forscher so gut als andre Literatoren und Gelehrte lebten in der Welt und für die Welt; sie mußten auch für sich Interesse zu erregen suchen und erregten es leicht und bald.
Aber ihr Hauptgeschäft lag eigentlich von der Welt ab. Die Untersuchung der Natur durch Experimente, die mathematische oder philosophische Behandlung des Erfahrenen, erforderte Ruhe und Stille, und weder die Breite noch die Tiefe der Erscheinung sind geeignet, vor die Versammlung gebracht zu werden, die man gewöhnlich Sozietät nennt. Ja manches Abstrakte, Abstruse läßt sich in die gewöhnliche Sprache nicht übersetzen. Aber dem lebhaften, geselligen, mundfertigen Franzosen schien nichts zu schwer, und gedrängt durch die Nötigung einer großen gebildeten Masse, unternahm er eben Himmel und Erde mit allen ihren Geheimnissen zu vulgarisieren.
Ein Werk dieser Art ist Fontenelles Schrift über die Mehrheit der Welten. Seitdem die Erde im Kopernikanischen System auf einem subalternen Platz erschien, so traten vor allen Dingen die übrigen Planeten in gleiche Rechte. Die Erde war bewachsen und bewohnt, alle Klimaten brachten nach ihren Bedingungen und Eigenheiten eigene Geschöpfe hervor, und die Folgerung lag ganz nahe, daß die ähnlichen Gestirne, und vielleicht auch gar die unähnlichen, ebenfalls mit Leben übersät und beglückt sein müßten. Was die Erde an ihrem hohen Rang verloren, ward ihr gleichsam hier durch Gesellschaft ersetzt, und für Menschen, die sich gern mitteilen, war es ein angenehmer Gedanke, früher oder später einen Besuch auf den umliegenden Welten abzustatten. Fontenelles Werk fand großen Beifall und wirkte viel, indem es außer dem Hauptgedanken noch manches andere, den Weltbau und dessen Einrichtung betreffend, popularisieren mußte.
Dem Redner kommt es auf den Wert, die Würde, die Vollständigkeit, ja die Wahrheit seines Gegenstandes nicht an; die Hauptfrage ist, ob er interessant sei oder interessant gemacht werde. Die Wissenschaft selbst kann durch eine solche Behandlung wohl nicht gewinnen, wie wir auch in neuerer Zeit durch das Feminisieren und Infantisieren so mancher höheren und profunderen Materie gesehen haben. Dasjenige wovon das Publikum hört, daß man sich damit in den Werkstätten, in den Studierzimmern der Gelehrten beschäftige, das will es auch näher kennen lernen, um nicht ganz albern zuzusehen, wenn die Wissenden davon sich laut unterhalten. Darum beschäftigen sich so viele Redigierende, Epitomisierende, Ausziehende, Urteilende, Vorurteilende; die launigen Schriftsteller verfehlen nicht, Seitenblicke dahin zu tun; der Komödienschreiber scheut sich nicht, das Ehrwürdige auf dem Theater zu verspotten, wobei die Menge immer am freisten Atem holt, weil sie fühlt, daß sie etwas Edles, etwas Bedeutendes los ist und daß sie vor dem, was andre für wichtig halten, keine Ehrfurcht zu haben braucht.
Zu Fontenelles Zeiten war dieses alles erst im Werden. Es läßt sich aber schon bemerken, daß Irrtum und Wahrheit, so wie sie im Gange waren, von guten Köpfen ausgebreitet, und eins wie das andre wechselsweise mit Gunst oder Ungunst behandelt wurden.
Dem großen Rufe Newtons, als derselbe in einem hohen Alter mit Tode abging, war niemand gewachsen. Die Wirkungen seiner Persönlichkeit erschienen durch ihre Tiefe und Ausbreitung der Welt höchst ehrwürdig, und jederVerdacht, daß ein solcher Mann geirrt haben könnte, wurde weggewiesen. Das Unbedingte, an dem sich die menschliche Natur erfreut, erscheint nicht mächtiger als im Beifall und im Tadel, im Haß und der Neigung der Menge. Alles oder Nichts ist von jeher die Devise des angeregten Demos.
Schon von jener ersten, der Sprache gewidmeten Akademie ward der löbliche Gebrauch eingeführt, bei dem Totenamte, das einem verstorbenen Mitgliede gehalten wurde, eine kurze Nachricht von des Abgeschiedenen Leben mitzuteilen. Pelisson, der Geschichtschreiber jener Akademie, gibt uns solche Notizen von den zu seiner Zeit verstorbenen Gliedern, auf seine reine, natürliche, liebenswürdige Weise. Je mehr nachher diese Institute selbst sich Ansehn geben und verschaffen, je mehr man Ursache hat, aus den Toten etwas zu machen, damit die Lebendigen als etwas erscheinen, desto mehr werden solche Personalien aufgeschmückt und treten in der Gestalt von Elogien hervor.
Daß nach dem Tode Newtons, der ein Mitglied der französischen Akademie war, eine bedeutende, allgemein verständliche, von den Anhängern Newtons durchaus zu billigende Lobrede würde gehalten werden, ließ sich erwarten. Fontenelle hielt sie. Von seinem Leben und seiner Lehre, und also auch von seiner Farbentheorie wurde mit Beifall Rechenschaft gegeben. Wir übersetzen die hierauf bezüglichen Stellen und begleiten sie mit einigen Bemerkungen, welche durch den polemischen Teil unsrer Arbeit bestätigt und gerechtfertigt werden.
Fontenelles Lobrede auf Newton
ausgezogen und mit Bemerkungen begleitet
»Zu gleicher Zeit, als Newton an seinem großen Werk der Prinzipien arbeitete, hatte er noch ein anderes unter Händen, das ebenso original und neu, weniger allgemein durch seinen Titel, aber durch die Manier, in welcher der Verfasser einen einzelnen Gegenstand zu behandeln sich vornahm, ebenso ausgebreitet werden sollte. Es ist die Optik, oder das Werk über Licht und Farbe, welches zum erstenmal 1704 erschien. Er hatte in dem Lauf von dreißig Jahren die Experimente angestellt, deren er bedurfte.«
In der Optik steht kein bedeutendes Experiment, das sich nicht schon in den Optischen Lektionen fände, ja in diesen steht manches, was in jener ausgelassen ward, weil es nicht in die künstliche Darstellung paßte, an welcher Newton dreißig Jahre gearbeitet hat.
»Die Kunst, Versuche zu machen, in einem gewissen Grade, ist keinesweges gemein. Das geringste Faktum, das sich unsern Augen darbietet, ist aus so viel andern Fakten verwickelt, die es zusammensetzen oder bedingen, daß man ohne eine außerordentliche Gewandtheit nicht alles, was darin begriffen ist, entwickeln noch ohne vorzüglichen Scharfsinn vermuten kann, was alles darin begriffen sein dürfte. Man muß das Faktum, wovon die Rede ist, in so viel andre trennen, die abermals zusammengesetzt sind, und manchmal, wenn man seinen Weg nicht gut gewählt hätte, würde man sich in Irrgänge einlassen, aus welchen man keinen Ausgang fände. Die ursprünglichen und elementaren Fakta scheinen von der Natur mit so viel Sorgfalt wie die Ursachen versteckt worden zu sein; und gelangt man endlich dahin, sie zu sehen, so ist es ein ganz neues und überraschendes Schauspiel.«
Dieser Periode, der dem Sinne nach allen Beifall verdient, wenngleich die Art des Ausdrucks vielleicht eine nähere Bestimmung erfoderte, paßt auf Newton nur dem Vorurteil, keinesweges aber dem Verdienst nach: denn eben hier liegt der von uns erwiesene, von ihm begangene Hauptfehler, daß er das Phänomen in seine einfachen Elemente nicht zerlegt hat; welches doch bis auf einen gewissen Grad leicht gewesen wäre, da ihm die Erscheinungen, aus denen sein Spektrum zusammengesetzt wird, selbst nicht unbekannt waren.
»Der Gegenstand dieser Optik ist durchaus die Anatomie des Lichts. Dieser Ausdruck ist nicht zu kühn, es ist die Sache selbst.«
So weit war man nach und nach im Glauben gekommen! An die Stelle des Phänomens setzte man eine Erklärung; nun nannte man die Erklärung ein Faktum, und das Faktum gar zuletzt eine Sache.
Bei dem Streite mit Newton, da er ihn noch selbst führte, findet man, daß die Gegner seine Erklärung als Hypothese behandelten; er aber glaubte, daß man sie als eine Theorie ja wohl gar ein Faktum nennen könnte, und nun macht sein Lobredner die Erklärung gar zur Sache!
»Ein sehr kleiner Lichtstrahl,«
Hier ist also der hypothetische Lichtstrahl: denn bei dem Experiment bleibt es immer das ganze Sonnenbild.
»den man in eine vollkommen dunkle Kammer hereinläßt,«
In jedem hellen Zimmer ist der Effekt ebenderselbe.
»der aber niemals so klein sein kann, daß er nicht noch eine unendliche Menge von Strahlen enthielte, wird geteilt, zerschnitten, so daß man nun die Elementarstrahlen hat,«
Man hat sie! und wohl gar als Sache!
»aus welchen er vorher zusammengesetzt war, die nun aber voneinander getrennt sind, jeder von einer andern Farbe gefärbt, die nach dieser Trennung nicht mehr verändert werden können. Das Weiße also war der gesamte Strahl vor seiner Trennung und entstand aus dem Gemisch aller dieser besondern Farben der primitiven Lichtstrahlen.«
Wie es sich mit diesen Redensarten verhalte, ist anderwärts genugsam gezeigt.
»Die Trennung dieser Strahlen war so schwer,«
Hinter die Schwierigkeit der Versuche steckt sich die ganze Newtonische Schule. Das, was an den Erscheinungen wahr und natürlich ist, läßt sich sehr leicht darstellen, was aber Newton zusammengekünstelt hat, um seine falsche Theorie zu beschönigen, ist nicht sowohl schwer, als beschwerlich (troublesome) darzustellen. Einiges, und gerade das Hauptsächlichste, ist sogar unmöglich. Die Trennung der farbigen Strahlen in sieben runde, völlig voneinander abstehende Bilder ist ein Märchen, das bloß als imaginäre Figur auf dem Papier steht und in der Wirklichkeit gar nicht darzustellen ist.
»daß Herr Mariotte, als er auf das erste Gerücht von Herrn Newtons Erfahrungen diese Versuche unternahm,«
Ehe Mariotte seinen Traktat über die Farben herausgab, konnte er den Aufsatz in den Transaktionen recht gut gelesen haben.
»sie verfehlte, er, der so viel Genie für die Erfahrung hatte und dem es bei andern Gegenständen so sehr geglückt ist.«
Und so mußte der treffliche Mariotte, weil er das Hokuspokus, vor dem sich die übrigen Schulgläubigen beugten, als ein ehrlicher Mann, der Augen hatte, nicht anerkennen wollte, seinen wohlhergebrachten Ruf als guter Beobachter vor seiner eigenen Nation verlieren, den wir ihm denn hiermit auf das vollkommenste wiederherzustellen wünschen.
»Noch ein anderer Nutzen dieses Werks der Optik, so groß vielleicht als der, den man aus der großen Anzahl neuer Kenntnisse nehmen kann, womit man es angefüllt findet, ist, daß es ein vortreffliches Muster liefert der Kunst, sich in der Experimentalphilosophie zu benehmen.«
Was man sich unter Experimentalphilosophie gedacht, ist oben schon ausgeführt, so wie wir auch gehörigen Orts dargetan haben, daß man nie verkehrter zu Werke gegangen ist, um eine Theorie auf Experimente aufzubauen, oder, wenn man will, Experimente an eine Theorie anzuschließen.
»Will man die Natur durch Erfahrungen und Beobachtungen fragen, so muß man sie fragen wie Herr Newton, auf eine so gewandte und dringende Weise.«
Die Ausdrücke gewandt und dringend sind recht wohl angebracht, um die Newtonische künstliche Behandlungsweise auszudrücken. Die englischen Lobredner sprechen gar von nice experiments, welches Beiwort alles, was genau und streng, scharf, ja spitzfindig, behutsam, vorsichtig, bedenklich, gewissenhaft und pünktlich bis zur Übertreibung und Kleinlichkeit einschließt. Wir können aber ganz kühnlich sagen: die Experimente sind einseitig, man läßt den Zuschauer nicht alles sehen, am wenigsten das, worauf es eigentlich ankommt; sie sind unnötig umständlich, wodurch die Aufmerksamkeit zerstreut wird; sie sind kompliziert, wodurch sie sich der Beurteilung entziehen, und also durchaus taschenspielerisch.
»Sachen, die sich fast der Untersuchung entziehen, weil sie zu subtil (déliées) sind,«
Hier haben wir schon wieder Sachen, und zwar so ganz feine, flüchtige, der Untersuchung entwischende Sachen!
»versteht er dem Kalkül zu unterwerfen, der nicht allein das Wissen guter Geometer verlangt, sondern, was mehr ist, eine besondre Geschicklichkeit.«
Nun, so wäre denn endlich die Untersuchung in die Geheimnisse der Mathematik gehüllt, damit doch ja niemand so leicht wage, sich diesem Heiligtum zu nähern.
»Die Anwendung, die er von seiner Geometrie macht, ist so fein, als seine Geometrie erhaben ist.«
Auf diesen rednerischen Schwung und Schwank brauchen wir nur so viel zu erwidern, daß die Hauptformeln dieser sublim feinen Geometrie nach Entdeckung der achromatischen Fernröhre falsch befunden und dafür allgemein anerkannt sind. Jene famose Messung und Berechnung des Farbenbildes, wodurch ihnen eine Art von Tonleiter angedichtet wird, ist von uns auch anderweit vernichtet worden, und es wird von ihr zum Überfluß noch im nächsten Artikel die Rede sein.
Jean-Jacques d’Ortous de Mairan
geboren 1678, gestorben 1771
Ein Mann, gleichsam von der Natur bestimmt, mit Fontenellen zu wetteifern, unterrichtet, klar, scharfsinnig, fleißig, von einer sozialen und höchstgefälligen Natur. Er folgte Fontenellen im Sekretariat bei der Akademie, schrieb einige Jahre die erforderlichen Lobreden, erhielt sich die Gunst der vornehmen und rührigen Welt bis in sein Alter, das er beinahe so hoch als Fontenelle brachte. Uns geziemt nur, desjenigen zu gedenken, was er getan, um die Farbenlehre zu fördern.
Schon mochte bei den Physikern vergessen sein, was Mariotte für diese Lehre geleistet; der Weg, den er gegangen, den er eingeleitet, war vielleicht zum zweitenmal von einem Franzosen nicht zu betreten. Er hatte still und einsam gelebt, so daß man beinahe nichts von ihm weiß, und wie wäre es sonst auch möglich gewesen, den Erfahrungen mit solcher Schärfe und Genauigkeit bis in ihre letzten notwendigsten und einfachsten Bedingungen zu folgen. Von Nuguet und demjenigen, was er im Journal von Trevoux geäußert, scheint niemand die mindeste Notiz genommen zu haben. Ebenso wenig von De la Hires richtigem Aperçu wegen des Blauen und Roten. Alles das war für die Franzosen verloren, deren Blick durch die magische Gewalt des englischen Gestirns fasziniert worden. Newton war Präsident einer schon gegründeten Sozietät, als die französische Akademie in ihrer ersten Bildungsepoche begriffen war; sie schätzte sich’s zur Ehre, ihn zum Mitglied aufzunehmen, und von diesem Augenblick an scheinen sie auch seine Lehre, seine Gesinnungen adoptiert zu haben.
Gelehrte Gesellschaften, sobald sie, vom Gouvernement bestätigt, einen Körper ausmachen, befinden sich in Absicht der reinen Wahrheit in einer mißlichen Lage. Sie haben einen Rang und können ihn mitteilen; sie haben Rechte und können sie übertragen; sie stehen gegen ihre Glieder, sie stehen gegen gleiche Korporationen, gegen die übrigen Staatszweige, gegen die Nation, gegen die Welt in einer gewissen Beziehung. Im einzelnen verdient nicht jeder, den sie aufnehmen, seine Stelle; im einzelnen kann nicht alles, was sie billigen, recht, nicht alles was sie tadeln, falsch sein: denn wie sollten sie vor allen andern Menschen und ihren Versammlungen das Privilegium haben, das Vergangene ohne hergebrachtes Urteil, das Gegenwärtige ohne leidenschaftliches Vorurteil, das Neuauftretende ohne mißtrauische Gesinnung und das Künftige ohne übertriebene Hoffnung oder Apprehension zu kennen, zu beschauen, zu betrachten und zu erwarten.
So wie bei einzelnen Menschen, um so mehr bei solchen Gesellschaften, kann nicht alles um der Wahrheit willen geschehen, welche eigentlich ein überirdisches Gut, selbständig und über alle menschliche Hülfe erhaben ist. Wer aber in diesem irdischen Wesen Existenz, Würde, Verhältnisse jeder Art erhalten will, bei dem kommt manches in Betracht, was vor einer höheren Ansicht sogleich verschwinden müßte.
Als Glied eines solchen Körpers, der sich nun schon die Newtonische Lehre als integrierenden Teil seiner Organisation angeeignet hatte, müssen wir Mairan betrachten, wenn wir gegen ihn gerecht sein wollen. Außerdem ging er von einem Grundsatze aus, der sehr löblich ist, wenn dessen Anwendung nur nicht so schwer und gefährlich wäre, von dem Grundsatze der Einförmigkeit der Natur, von der Überzeugung, es sei möglich, durch Betrachtung der Analogien ihrem Gesetzlichen näher zu kommen. Bei seiner Vorliebe für die Schwingungslehre erfreute ihn deswegen die Vergleichung, welche Newton zwischen dem Spektrum und dem Monochord anstellte. Er beschäftigte sich damit mehrere Jahre: denn von 1720 finden sich seine ersten Andeutungen, 1738 seine letzten Ausarbeitungen.
Rizzetti ist ihm bekannt, aber dieser ist schon durch Desaguliers aus den Schranken getrieben; niemand denkt mehr an die wichtigen Fragen, welche der Italiener zur Sprache gebracht; niemand an die große Anzahl von bedeutenden Erfahrungen, die er aufgestellt: alles ist durch einen wunderlichen Zauber in das Newtonische Spektrum versenkt und an demselben gefesselt, gerade so, wie es Newton vorzustellen beliebt.
Wenn man bedenkt, daß Mairan sich an die zwanzig Jahre mit dieser Sache wenigstens von Zeit zu Zeit abgegeben, daß er das Phänomen selbst wieder hervorgebracht, das Spektrum gemessen und die gefundenen Maße auf eine sehr geschickte, ja künstlichere Art als Newton selbst auf die Moll-Tonleiter angewendet; wenn man sieht, daß er in nichts weder an Aufmerksamkeit, noch an Nachdenken, noch an Fleiß gespart, wie wirklich seine Ausarbeitung zierlich und allerliebst ist, so darf man es sich nicht verdrießen lassen, daß alles dieses umsonst geschehen, sondern man muß es eben als ein Beispiel betrachten, daß falsche Annahmen so gut wie wahre auf das genauste durchgearbeitet werden können.
Beinahe unbegreiflich jedoch bleibt es, daß Mairan, welcher das Spektrum wiederholt gemessen haben muß, nicht zufällig seine Tafel näher oder weiter vom Prisma gestellt hat, da er denn notwendig hätte finden müssen, daß in keinem von beiden Fällen die Newtonischen Maße treffen. Man kann daher wohl behaupten, daß er in der Dunkelheit seines Vorurteils immer erst die Tafel so gerückt, bis er die Maße nach der Angabe richtig erfunden. So muß auch sein Apparat höchst beschränkt gewesen sein: denn er hätte bei jeder größern Öffnung im Fensterladen und beibehaltner ersten Entfernung abermals die Maße anders finden müssen.
Dem sei nun, wie ihm wolle, so scheinet sich durch diese, im Grunde redlichen, bewundernswürdigen, und von der Akademie gebilligten Bemühungen die Newtonische Lehre nur noch fester gesetzt und den Gemütern noch tiefer eingeprägt zu haben. Doch ist es sonderbar, daß seit 1738, als unter welchem Jahre die gedachte Abhandlung sich findet, der Artikel Farbe aus dem Register der Akademie verschwindet und kaum späterhin wieder zum Vorschein kommt.
Kardinal Polignac
geboren 1661, gestorben 1741
Im Gefolg der Akademiker führen wir diesen Mann auf, der als Welt- und Staatsmann und Negociateur einen großen Ruf hinterlassen hat, dessen weit umgreifender Geist aber sich über andere Gegenstände, besonders auch der Naturwissenschaft, verbreitete. Der Descartischen Lehre, zu der er in früher Jugend gebildet worden, blieb er treu und war also gewissermaßen ein Gegner Newtons. Rizzetti dedizierte demselben sein Werk De Luminis affectionibus. Unser Kardinal beschäftigte sich mit Prüfung der Newtonischen Lehre. Gauger behauptet in seinen Briefen, p. 40: der Kardinal sei durch das Experimentum Crucis überzeugt worden. Eine Stelle aus den Anecdotes littéraires, Paris 1750. Tom. 2, p. 430, lassen wir im Original abdrucken, welche sich auf diese Untersuchungen bezieht.
Les expériences de Newton avoient été tentées plusieurs fois en France, et toujours sans succès, d’où l’on commençoit à inférer, que le Système du docte Anglois ne pouvoit pas se soutenir. Le Cardinal de Polignac, qui n’a jamais été Newtonien, dit, qu’un fait avancé par Newton, ne devoit pas être nié légèrement, et qu’il falloit recommencer les expériences jusqu’à ce qu’on pût s’assurer de les avoir bien faites. If fit venir des prismes d’Angleterre. Les expériences furent faites en sa présence aux Cordeliers, et elles réussirent. Il ne put jamais cependant parvenir à faire du blanc, par la réunion des rayons, d’où il conclut que le blanc n’est pas le résultat de cette réunion, mais le produit des rayons directs, non rompus et non réfrangibles. Newton, qui s’étoit plaint du peu d’exactitude et même du peu de bonne foi des Physiciens François, écrivit au Cardinal, pour le remercier d’un procédé si honnête et qui marquoit tant de droiture.
Wir gestehen gern, daß wir mit den gesperrt gedruckten Worten nichts anzufangen wissen. Wahrscheinlich hat sich der Kardinal mündlich über diese Sache anders ausgedrückt, und man hat ihn unrecht verstanden.
Dem sei nun, wie ihm sei, so haben wir nicht Ursache, uns dabei aufzuhalten: denn es ist außer Zweifel, daß der Kardinal die Newtonische diverse Refrangibilität angenommen, wie aus einer Stelle seines Anti-Lucretius hervorgeht, wo er, im Begriff, Newtonen in einigen Punkten zu widersprechen, hiezu durch Lob und Beifall sich gleichsam die Erlaubnis zu nehmen sucht.
LIB. II. V. 874
Dicam
Tanti pare viri, quo non solertior alter
Naturam rerum ad leges componere motûs,
Ac Mundi partes justâ perpendere librâ,
Et radium Solis transverso prismate fractum
Septem in primigenos permansurosque colores
Solvere; quî potuit Spatium sibi fingere vanum,
Quod nihil est, multisque prius nihil esse probatum est?