Johann Wolfgang Goethe

Die
natürliche
Tochter

entstanden 1799-1803, veröffentlicht 1804,
uraufgeführt am 2.4.1803 in Weimar

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t  o  c  h  t  e  r

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Personen

Erster Aufzug

Zweiter Aufzug

Dritter Aufzug

Vierter Aufzug

Fünfter Aufzug

Personen

König.

Herzog.

Graf.

Eugenie.

Hofmeisterin.

Sekretär.

Weltgeistlicher.

Gerichtsrat.

Gouverneur.

Äbtissin.

Mönch.

Erster Aufzug

(Dichter Wald.)

Erster Auftritt

König. Herzog.

König.

Das flücht’ge Ziel, das Hunde, Ross und Mann,

Auf seine Fährte bannend, nach sich reißt,

Der edle Hirsch, hat über Berg und Tal

So weit uns irr’ geführt, dass ich mich selbst,

Obgleich so landeskundig, hier nicht finde.

Wo sind wir, Oheim? Herzog, sage mir,

Zu welchen Hügeln schweiften wir heran?

Herzog.

Der Bach, der uns umrauscht, mein König, fließt

Durch deines Dieners Fluren, die er deiner

Und einer Ahnherrn königlicher Gnade,

Als erster Lehnsmann deines Reiches, dankt.

An jenes Felsens andrer Seite liegt

Am grünen Hang ein artig Haus versteckt,

Dich zu bewirten keineswegs gebaut;

Allein bereit, dich huld’gend zu empfangen.

König.

Lass dieser Bäume hochgewölbtes Dach

Zum Augenblick des Rastens freundlich schatten.

Lass dieser Lüfte liebliches Geweb’

Uns leis umstricken, dass an Sturm und Streben

Der Jagdlust auch der Ruhe Zeit sich füge.

Herzog.

Wie du auf einmal völlig abgeschieden

Hier hinter diesem Bollwerk der Natur,

Mein König, dich empfindest, fühl’ ich mit.

Hier dränget sich der Unzufriednen Stimme,

Der Unverschämten offne Hand nicht nach.

Freiwillig einsam merkest du nicht auf,

Ob Undankbare schleichend sich entfernen.

Die ungestüme Welt reicht nicht hierher,

Die immer fordert, nimmer leisten will.

König.

Soll ich vergessen, was mich sonst bedrängt,

So muss kein Wort erinnernd mich berühren.

Entfernten Weltgetöses Widerhall

Verklinge nach und nach aus meinem Ohr.

Ja, lieber Oheim, wende dein Gespräch

Auf Gegenstände diesem Ort gemäßer.

Hier sollen Gatten aneinander wandeln,

Ihr Stufenglück in wohlgeratnen Kindern

Entzückt betrachten; hier ein Freund dem Freunde,

Verschlossnen Busen traulich öffnend, nahn.

Und gabst du nicht erst neulich stille Winke,

Du hofftest mir in ruh’gen Augenblicken

Verborgenes Verhältnis zu bekennen,

Drangvoller Wünsche holden Inbegriff,

Erfüllung hoffend, heiter zu gestehn?

Herzog.

Mit größrer Gnade konntest du mich nicht,

O Herr, beglücken, als indem du mir

In diesem Augenblick die Zunge lösest.

Was ich zu sagen habe, könnt’ es wohl

Ein andrer besser hören als mein König,

Dem unter allen Schätzen seine Kinder

Am herrlichsten entgegenleuchten, der

Vollkommner Vaterfreuden Hochgenuss

Mit seinem Knechte herzlich teilen wird?

König.

Du sprichst von Vaterfreuden! Hast du je

Sie denn gefühlt? Verkümmerte dir nicht

Dein einz’ger Sohn durch rohes, wildes Wesen,

Verworrenheit, Verschwendung, starren Trutz

Dein reiches Leben, dein erwünschtes Alter?

Verändert er auf einmal die Natur?

Herzog.

Von ihm erwart’ ich keine frohen Tage!

Sein trüber Sinn erzeugt nur Wolken, die,

Ach, meinen Horizont so oft verfinstern.

Ein anderes Gestirn, ein andres Licht

Erheitert mich. Und wie in dunklen Grüften,

Das Märchen sagt’s, Karfunkelsteine leuchten,

Mit herrlich mildem Schein der öden Nacht

Geheimnisvolle Schauer hold beleben,

So ward auch mir ein Wundergut beschert,

Mir Glücklichem! Das ich mit Sorgfalt, mehr

Als den Besitz ererbt errungner Güter,

Als meiner Augen, meines Lebens Licht,

Mit Freud’ und Furcht, mit Lust und Sorge pflege.

König.

Sprich vom Geheimnis nicht geheimnisvoll.

Herzog.

Wer spräche vor der Majestät getrost

Von seinen Fehlern, wenn sie nicht allein

Den Fehl in Recht und Glück verwandeln könnte.

König.

Der wonnevoll geheim verwahrte Schatz?

Herzog.

Ist eine Tochter.

König.

Eine Tochter? Wie?

Und suchte, Fabelgöttern gleich, mein Oheim,

Zum niedern Kreis verstohlen hingewandt,

Sich Liebesglück und väterlich Entzücken?

Herzog.

Das Große wie das Niedre nötigt uns,

Geheimnisvoll zu handeln und zu wirken.

Nur allzu hoch stand jene heimlich mir

Durch wundersam Geschick verbundne Frau,

Um welche noch dien Hof in Trauer wandelt

Und meiner Brust geheime Schmerzen teilt.

König.

Die Fürstin? Die verehrte, nah verwandte,

Nur erst verstorbne?

Herzog.

War die Mutter! Lass,

O lass mich nur von diesem Kinde reden,

Das, seiner Eltern wert und immer werter,

Mit edlem Sinne sich des Lebens freut.

Begraben sei das übrige mit ihr,

Der hoch begabten, hoch gesinnten Frauen.

Ihr Tod eröffnet mir den Mund, ich darf

vor meinem König meine Tochter nennen,

Ich darf ihn bitten, sie zu mir herauf,

Zu sich herauf zu heben, ihr das Recht

Der fürstlichen Geburt vor seinem Hofe,

Vor seinem Reiche, vor der ganzen Welt

Aus seiner Gnadenfülle zu bewähren.

König.

Vereint in sich die Nichte, die du mir,

So ganz erwachsen, zuzuführen denkst,

Des Vaters und der Mutter Tugenden:

So muss der Hof, das königliche Haus,

Indem uns ein Gestirn entzogen wird,

Den Aufgang eines neuen Sterns bewundern.

Herzog.

O kenne sie, eh’ du zu ihrem Vorteil

Dich ganz entscheidest. Lass ein Vaterwort

Dich nicht bestechen! Manches hat Natur

Für sie getan, das ich entzückt betrachte,

Und alles, was in meinem Kreise webt,

Hab’ ich um ihre Kindheit hergelagert.

Schon ihren ersten Weg geleiteten

Ein ausgebildet Weib, ein weiser Mann.

Mit welcher Leichtigkeit, mit welchem Sinn

Erfreut sie sich des Gegenwärtigen,

Indes ihr Phantasie das künft’ge Glück

Mit schmeichelhaften Dichterfarben malt.

An ihrem Vater hängt ihr frommes Herz,

Und wenn ihr Geist den Lehren edler Männer,

Sich stufenweis entwickelnd, friedlich horcht:

So mangelt Übung ritterlicher Tugend

Dem wohl gebauten, festen Körper nicht.

Du selbst, mein König, hast sie unbekannt

Im wilden drang der Jagd um dich gesehn.

Ja, heute noch! Die Amazonentochter,

Die in den Fluss dem Hirsche sich zuerst

Auf raschem Pferde flüchtig nachgestürzt.

König.

Wir sorgten alle für das edle Kind!

Ich freue mich, sie mir verwandt zu hören.

Herzog.

Und nicht zum ersten Mal empfand ich heute,

Wie Stolz und Sorge, Vaterglück und Angst

Zu übermenschlichem Gefühl sich mischen.

König.

Gewaltsam und behände riss das Pferd

Sich und die Reiterin auf jenes Ufer,

In dicht bewachsner Hügel Dunkelheit.

Und so verschwand sie mir.

Herzog.

Noch einmal hat

Mein Auge sie gesehen, eh’ ich sie

Im Labyrinth der hast’gen Jagd verlor.

Wer weiß, welch ferne Gegend sie durchstreift,

Verdrossnen Muts, am Ziel sich nicht zu finden,

Wo, ihrem angebeteten Monarchen sich

In ehrerbietiger Entfernung anzunähern,

Allein ihr jetzt erlaubt ist, bis er sie

Als Blüte seines hoch bejahrten Stammes

Mit königlicher Huld zu grüßen würdigt.

König.

Welch ein Getümmel seh’ ich dort entstehn?

Welch einen Zulauf nach den Felsenwänden?

(Er winkt nach der Szene.)

Zweiter Auftritt

Die Vorigen. Graf.

König.

Warum versammelt sich die Menge dort?

Graf.

Die kühne Reiterin ist eben jetzt

Von jener Felsenwand herabgestürzt.

Herzog.

Gott!

König.

Ist sie sehr beschädigt?

Graf.

Eilig hat

Man deinen Wundarzt, Herr, dahin gerufen.

Herzog.

Was zaudr’ ich? Ist sie tot, so bleibt mir nichts,

Was mich im Leben länger halten kann.

Dritter Auftritt

König. Graf.

König.

Kennst du den Anlass der Begebenheit?

Graf.

Vor meinen Augen hat sie sich ereignet.

Ein starker Trupp von Reitern, welcher sich

Durch Zufall von der Jagd getrennt gesehn,

Geführt von dieser Schönen, zeigte sich

Auf jener Klippen Wald bewachsner Höhe.

Sie hören, sehen unten in dem Tal

Den Jagdgebrauch vollendet, sehn den Hirsch

Als Beute liegen seiner kläffenden

Verfolger. Schnell zerstreuet sich die Schar,

Und jeder sucht sich einzeln seinen Pfad,

Hier oder dort, mehr oder weniger

Durch einen Umweg. Sie allein besinnt

Sich keinen Augenblick und nötiget

Ihr Pferd von Klipp’ zu Klippe grad’ herein.

Des Frevels Glück betrachten wir erstaunt;

Denn ihr gelingt es eine Weile, doch

Am untern stielen Abhang gehen dem Pferde

Die letzten, schmalen Klippenstufen aus,

Es stürzt herunter, sie mit ihm. So viel

Konnt’ ich bemerken, eh’ der Menge Drang

Sie mir verdeckte. Doch ich hörte bald

Nach deinem Arzte rufen. So erschein’ ich nun

Auf deinen Wink, den Vorfall zu berichten.

König.

O möge sie ihm bleiben! Fürchterlich

Ist einer, der nichts zu verlieren hat.

Graf.

So hat ihm dieser Schrecken das Geheimnis

Auf einmal abgezwungen, das er sonst

Mit so viel Klugheit zu verbergen strebte?

König.

Er hatte schon sich völlig mir vertraut.

Graf.

Die Lippen öffnet ihm der Fürstin Tod,

Nun zu bekennen, was für Hof und Stadt

Ein offenbar Geheimnis lange war.

Es ist ein eigner, grillenhafter Zug,

Dass wir durch Schweigen das Geschehene

Für uns und andre zu vernichten glauben.

König.

O lass dem Menschen diesen edlen Stolz!

Gar vieles kann, gar vieles muss geschehn,

Was man mit Worten nicht bekennen darf.

Graf.

Man bringt sie, fürcht’ ich, ohne Leben her!

König.

Welch unerwartet schreckliches Ereignis!

Vierter Auftritt

Die Vorigen. Eugenie, auf zusammen geflochtenen Ästen für tot herein getragen. Herzog. Wundarzt. Gefolge.

Herzog (zum Wundarzt).

Wenn deine Kunst nur irgend was vermag,

Erfahrner Mann, dem unsres Königs Leben,

Das unschätzbare Gut, vertraut ist, lass

Ihr helles Auge sich noch einmal öffnen,

Dass Hoffnung mir in diesem Blick erscheine!

Dass aus der Tiefe meines Jammers ich

Nur Augenblicke noch gerettet werde!

Vermagst du dann nichts weiter, kannst du sie

Nur wenige Minuten mir erhalten:

So lasst mich eilen, vor ihr hinzusterben,

Dass ich im Augenblick des Todes noch

Getröstet rufe: Meine Tochter lebt!

König.

Entferne dich, mein Oheim! Dass ich hier

Die Vaterpflichten treulich übernehme.

Nichts unversucht lässt dieser wackre Mann.

Gewissenhaft, als läg’ ich selber hier,

Wird er um deine Tochter sich bemühen.

Herzog.

Sie regt sich!

König.

Ist es wahr?

Graf.

Sie regt sich!

Herzog.

Starr

Blickt sie zum Himmel, blickt verirrt umher.

Sie lebt! Sie lebt!

König (ein wenig zurücktretend).

Verdoppelt eure Sorge!

Herzog.

Sie lebt! Sie lebt! Sie hat dem Tage wieder

Ihr Aug’ eröffnet. Ja! Sie wird nun bald

Auch ihren Vater, ihre Freunde kennen.

Nicht so umher, mein liebes Kind, verschwende

Die Blicke staunend, ungewiss; auf mich,

Auf deinen Vater wende sie zuerst.

Erkenne mich, lass meine Stimme dir

Zuerst das Ohr berühren, da du uns

Aus jener stummen Nacht zurückekehrst.

Eugenie (die indes nach und nach zu sich gekommen ist und sich aufgerichtet hat).

Was ist aus uns geworden?

Herzog.

Kenne mich

Nur erst! – Erkennst du mich?

Eugenie.

Mein Vater!

Herzog.

Ja!

Dein Vater, den mit diesen holden Tönen

Du aus den Armen der Verzweiflung rettest.

Eugenie.

Wer bracht’ uns unter diese Bäume?

Herzog (dem der Wundarzt ein weißes Tuch gegeben).

Bleib

Gelassen, meine Tochter! Diese Stärkung,

Nimm sie mit Ruhe, mit Vertrauen an!

Eugenie (Sie nimmt dem Vater das Tuch ab, das er ihr vorgehalten, und verbirgt ihr Gesicht darin. Dann steht sie schnell auf, indem sie das Tuch vom Gesicht nimmt).

Da bin ich wieder! – Ja, nun weiß ich alles.

Dort oben hielt ich, dort vermaß ich mich

Herab zu reiten, grad’ herab. Verzeih!

Nicht wahr, ich bin gestürzt? Vergibst du mir’s?

Für tot hob man mich auf? Mein guter Vater!

Und wirst du die Verwegne lieben können,

Die solche bittre Schmerzen dir gebracht?

Herzog.

Zu wissen glaubt’ ich, welch ein edler Schatz

In dir, o Tochter, mir beschieden ist;

Nun steigert mir gefürchteter Verlust

Des Glücks Empfindung ins Unendliche.

König (der sich bisher im Grunde mit dem Wundarzt und dem Grafen unterhalten, zu dem letzten).

Entferne jedermann! Ich will sie sprechen.

Fünfter Auftritt

König. Herzog. Eugenie.

König (näher tretend).

Hat sich die wackre Reiterin erholt?

Hast sie sich nicht beschädigt?

Herzog.

Nein, mein König!

Und was noch übrig ist von Schreck und Weh,

Nimmst du, o Herr, durch deinen milden Blick,

Durch deiner Worte sanften Ton hinweg.

König.

Und wem gehört es an, das liebe Kind?

Herzog (nach einer Pause).

Da du mich fragst, so darf ich dir bekennen;

Da du gebietest, darf ich sie vor dich

Als meine Tochter stellen.

König.

Deine Tochter?

So hat für dich das Glück, mein lieber Oheim,

Unendlich mehr als das Gesetz getan.

Eugenie.

Wohl muss ich fragen, ob ich wirklich denn

Aus jener tödlichen Betäubung mich

Ins Leben wieder aufgerafft? Und ob,

Was mir begegnet, nicht ein Traumbild sei?

Mein Vater nennt vor seinem Könige

Mich seine Tochter. O, so bin ich’s auch!

Der Oheim eines Königes bekennt

Mich für sein Kind, so bin ich denn die Nichte

Des großen Königs. O verzeihe mir

Die Majestät! Wenn aus geheimnisvollem,

Verborgnem Zustand ich, ans Licht auf einmal

Hervor gerissen und geblendet, mich,

Unsicher, schwankend, nicht zu fassen weiß.

(Sie wirft sich vor dem König nieder.)

König.

Mag diese Stellung die Ergebenheit

In dein Geschick von Jugend auf bezeichnen,

Die Demut, deren unbequeme Pflicht

Du, deiner höheren Geburt bewusst,

So manches Jahr im Stillen ausgeübt!

Doch sei auch nun, wenn ich von meinen Füßen

Zu meinem Herzen dich herauf gehoben,

(Er hebt sie auf und drückt sie sanft an sich.)

Wenn ich des Oheims heil’gen Vaterkuss

Auf dieser Stirne schönen Raum gedrückt,

So sei dies auch ein Zeichen, sei ein Siegel,

Dich, die Verwandte, hab’ ich anerkannt

Und werde bald, was hier geheim geschah,

Vor meines Hofes Augen wiederholen.

Herzog.

So große Gabe fordert ungeteilten

Und unbegrenzten Dank des ganzen Lebens.

Eugenie.

Von edlen Männern hab’ ich viel gelernt,

Auch manches lehrte mich mein eigen Herz;

Doch meinen König anzureden, bin

Ich nicht entfernterweise vorbereitet.

Doch wenn ich schon das ganz Gehörige

Dir nicht zu sagen weiß, so möcht’ ich doch

Vor dir, o Herr, nicht ungeschickt verstummen.

Was fehlte dir? Was wäre dir zu bringen?

Die Fülle selber, die zu dir sich drängt,

Fließt nur für andere strömend wieder fort.

Hier stehen Tausende, dich zu beschützen,

Hier wirken Tausende nach deinem Wink;

Und wenn der einzelne dir Herz und Geist

Und Arm und Leben fröhlich opfern wollte;

In solcher großen Menge zählt er nicht,

Er muss vor dir und vor sich selbst verschwinden.

König.

Wenn dir die Menge, gutes, edles Kind,

Bedeutend scheinen mag, so tadl’ ich’s nicht;

Sie ist bedeutend, mehr noch aber sind’s

Die wenigen, geschaffen, dieser Menge

Durch Wirken, Bilden, Herrschen vorzustehn.

Berief hierzu den König die Geburt,

So sind ihm seine nächsten Anverwandten

Geborne Räte, die, mit ihm vereint,

Das Reich beschützen und beglücken sollten.

O träte doch in diese Regionen,

Zum Rate dieser hohen Wächter nie

Vermummte Zwietracht, leise wirkend, ein!

Dir, edle Nichte, geb’ ich einen Vater

Durch allgewalt’gen königlichen Spruch;

Erhalte mir nun auch, gewinne mir

Des nah verwandten Mannes Herz und Stimme!

Gar viele Widersacher hat ein Fürst,

O lass ihn jene Seite nicht verstärken!

Herzog.

Mit welchem Vorwurf kränkest du mein Herz!

Eugenie.

Wie unverständlich sind mir diese Worte!

König.

O lerne sie nicht allzu früh verstehn!

Dir Pforten unsres königlichen Hauses

Eröffn’ ich dir mit eigner Hand; ich führe

Auf glatten Marmorboden dich hinein.

Noch staunst du dich, noch staunst du alles an,

Und in den innern Tiefen ahnest du

Nur sichre Würde mit Zufriedenheit.

Du wirst es anders finden! Ja, du bist

In eine Zeit gekommen, wo dein König

Dich nicht zum heitren, frohen Feste ruft,

Wenn er den Tag, der ihm das Leben gab,

In kurzem feiern wird; doch soll der Tag

Um deinetwillen mir willkommen sein;

Dort werd’ ich dich im offnen Kreise sehn,

Und aller Augen werden auf dir haften.

Die schönste Zierde gab dir die Natur;

Und dass der Schmuck der Fürstin würdig sei,

Die Sorge lass dem Vater, lass dem König.

Eugenie.

Der freud’gen Überraschung lauter Schrei,

Bedeutender Gebärde dringend Streben,

Vermöchten sie die Wonne zu bezeugen,

Die du dem Herzen schaffend aufgeregt?

Zu deinen Füßen, Herr, lass mich verstummen.

(Sie will knien.)

König (hält sie ab).

Du sollst nicht knien.

Eugenie.

Lass, o lass mich hier

Der völligsten Ergebung Glück genießen.

Wenn wir in raschen, mutigen Momenten

Auf unsern Füßen stehen, strack und kühn,

Als eigner Stütze froh uns selbst vertraun,

Dann scheint uns Welt und Himmel zu gehören.

Doch was in Augenblicken der Entzückung

Die Knie beugt, ist auch ein süß Gefühl.

Und was wir unserm Vater, König, Gott

Von Wonnedank, von ungemessner Liebe

Zum reinsten Opfer bringen möchten, drückt

In dieser Stellung sich am besten aus.

(Sie fällt vor ihm nieder.)

Herzog (kniet).

Erneute Huldigung gestatte mir.

Eugenie.

Zu ewigen Vasallen nimm uns an.

König.

Erhebt euch denn und stellt euch neben mich,

Ins Chor der Treuen, die an meiner Seite

Das Rechte, das Beständige beschützen.

O diese Zeit hat fürchterliche Zeichen:

Das Niedre schwillt, das Hohe senkt sich nieder,

Als könnte jeder nur am Platz des andern

Befriedigung verworrner Wünsche finden,

Nur dann sich glücklich fühlen, wenn nichts mehr

Zu unterscheiden wäre, wenn wir alle,

Von einem Strom vermischt dahin gerissen,

Im Ozean uns unbemerkt verlören.

O lasst uns widerstehen, lasst uns tapfer,

Was uns und unser Volk erhalten kann,

Mit doppelt neu vereinter Kraft erhalten!

Lasst endlich uns den alten Zwist vergessen,

Der Große gegen Große reizt, von innen

Das Schiff durchbohrt, das, gegen äußre Wellen

Geschlossen kämpfend, nur sich halten kann.

Eugenie.

Welch frisch wohltät’ger Glanz umleuchtet mich

Und regt mich auf, anstatt mich zu verblenden!

Wie! Unser König achtet uns so sehr,

Um zu gestehen, dass er uns bedarf;

Wir sind ihm nicht Verwandte nur, wir sind

Durch sein Vertraun zum höchsten Platz erhoben.

Und wenn die Edlen seines Königreichs

Um ihn sich drängen, seine Brust zu schützen,

So fordert er uns auf zu größerem Dienst.

Die Herzen dem Regenten zu erhalten,

Ist jedes Wohlgesinnten höchste Pflicht;

Denn, wo er wankt, wankt das gemeine Wesen,

Und wenn er fällt, mit ihm stürzt alles hin.

Die Jugend, sagt man, bilde sich zu viel

Auf ihre Kraft, auf ihren Willen ein;

Doch dieser Wille, diese Kraft, auf ewig,

Was sie vermögen, dir gehört es an.

Herzog.

Des Kindes Zuversicht, erhabner Fürst,

Weißt du zu schätzen, weißt du zu verzeihen.

Und wenn der Vater, der erfahrne Mann,

Die Gabe dieses Tags, die nächste Hoffnung

In ihrem ganzen Werte fühlt und wägt,

So bist du seines vollen Danks gewiss.

König.

Wir wollen bald einander wieder sehn,

An jenem Fest, wo sich die treuen Meinen

Der Stunde freun, die mir das Licht gegeben.

Dich geb’ ich, edles Kind, an diesem Tage

Der großen Welt, dem Hofe, deinem Vater

Und mir. Am Throne glänze dein Geschick.

Doch bis dahin verlang’ ich von euch beiden

Verschwiegenheit. Was unter uns geschehn,

Erfahre niemand. Missgunst lauert auf,

Schnell regt sie Wog’ auf Woge, Sturm auf Sturm;

Das Fahrzeug treibt an jähe Klippen hin,

Wo selbst der Steurer nicht zu retten weiß.

Geheimnis nur verbürget unsre Taten;

Ein Vorsatz, mitgeteilt, ist nicht mehr dein;

Der Zufall spielt mit deinem Willen schon;

Selbst wer gebieten kann, muss überraschen.

Ja, mit dem besten Willen leisten wir

So wenig, weil uns tausend Willen kreuzen.

O wäre mir zu meinen reinen Wünschen

Auch volle Kraft auf kurze Zeit gegeben;

Bis an den letzten Herd im Königreich

Empfände man des Vaters warme Sorge.

Begnügte sollten unter niedrem Dach,

Begnügte sollten im Palaste wohnen.

Und hätt’ ich einmal ihres Glücks genossen,

Entsagt’ ich gern dem Throne, gern der Welt.

Sechster Auftritt

Herzog. Eugenie.

Eugenie.

O welch ein selig jubelvoller Tag!

Herzog.

O möcht’ ich Tag’ auf Tage so erleben!

Eugenie.

Wie göttlich hat der König uns beglückt.

Herzog.

Genieße rein so ungehoffte Gaben.

Eugenie.

Er scheint nicht glücklich, ach! Und ist so gut.

Herzog.

Die Güte selbst erregt oft Widerstand.

Eugenie.

Wer ist so hart, sich ihm zu widersetzen?

Herzog.

Der Heil des Ganzen von der Strenge hofft.

Eugenie.

Des Königs Milde sollte Milde zeugen.

Herzog.

Des Königs Milde zeugt Verwegenheit.

Eugenie.

Wie edel hat ihn die Natur gebildet.

Herzog.

Doch auf zu hohen Platz hinaufgestellt.

Eugenie.

Und ihn mit so viel Tugend ausgestattet.

Herzog.

Zur Häuslichkeit, zum Regimente nicht.

Eugenie.

Von altem Heldenstamme grünt er auf.

Herzog.

Die Kraft entgeht vielleicht dem späten Zweige.

Eugenie.

Die Schwäche zu vertreten, sind wir da.

Herzog.

Sobald er unsre Stärke nicht verkennt.

Eugenie (nachdenklich).

Mich leiten seine Reden zum Verdacht.

Herzog.

Was sinnest du? Enthülle mir dein Herz.

Eugenie (nach einer Pause).

Auch du bist unter denen, die er fürchtet.

Herzog.

Er fürchte jene, die zu fürchten sind.

Eugenie.

Und sollten ihm geheime Feinde drohen?

Herzog.

Wer die Gefahr verheimlicht, ist ein Feind.

Wo sind wir hingeraten! Meine Tochter!

Wie hat der sonderbarste Zufall uns

Auf einmal weggerissen nach dem Ziel.

Unvorbereitet red’ ich, übereilt

Verwirr’ ich dich, anstatt dich aufzuklären.

So musste dir der Jugend heitres Glück

Beim ersten Eintritt in die Welt verschwinden.

Du konntest nicht in süßer Trunkenheit

Der blendenden Befriedigung genießen.

Das Ziel erreichst du; doch des falschen Kranzes

Verborgne Dornen ritzen deine Hand.

Geliebtes Kind! So sollt’ es nicht geschehn!

Erst nach und nach, so hofft’ ich, würdest du

Dich aus Beschränkung an die Welt gewöhnen,

Erst nach und nach den liebsten Hoffnungen

Entsagen lernen, manchem holden Wunsch.

Und nun auf einmal, wie der jähe Sturz

Dir vorbedeutet, bist du in den Kreis

Der Sorgen, der Gefahr herabgestürzt.

Misstrauen atmet man in dieser Luft,

Der Neid verhetzt ein fieberhaftes Blut

Und übergibt dem Kummer seine Kranken.

Ach, soll ich nun nicht mehr ins Paradies,

Das dich umgab, am Abend wieder kehren,

Zu deiner Unschuld heil’gen Vorgefühl

Mich von der Welt gedrängter Posse retten!

Du wirst fortan, mit mir ins Netz verstrickt,

Gelähmt, verworren, dich und mich betrauern.

Eugenie.

Nicht so, mein Vater! Konnt’ ich schon bisher,

Untätig, abgesondert, eingeschlossen,

Ein kindlich Nichts, die reinste Wonne dir,

Schon in des Daseins Unbedeutenheit

Erholung, Trost und Lebenslust gewähren:

Wie soll die Tochter erst, in dein Geschick

Verflochten, im Gewebe deines Lebens

Als heitrer bunter Faden künftig glänzen!

Ich nehme teil an jeder edlen Tat,

An jeder großen Handlung, die den Vater

Dem König und dem Reiche werter macht.

Mein frischer Sinn, die jugendliche Lust,

Die mich belebt, sie teilen dir sich mit,

Verscheuchen jene Träume, die der Welt

Unüberwindlich ungeheure Last

Auf eine Menschenbrust zerknirschend wälzen.

Wenn ich dir sonst in trüben Augenblicken

Ohnmächt’gen guten Willen, arme Liebe,

Dir leere Tändeleien kindlich bot;

Nun hoff’ ich, eingeweiht in deine Pläne,

Bekannt mit deinen Wünschen, mir das Recht

Vollbürt’ger Kindschaft rühmlich zu erwerben.

Herzog.

Was du bei diesem wicht’gen Schritt verlierst,

Erscheint dir ohne Wert und ohne Würde;

Was du erwartest, schätzest du zu sehr.

Eugenie.

Mit hoch erhabnen, hoch beglückten Männern

Gewalt’ges Ansehn, würd’gen Einfluss teilen,

Für edle Seelen reizender Gewinn!

Herzog.

Gewiss! Vergib, wenn du in dieser Stunde

Mich schwächer findest, als dem Manne ziemt.

Wir tauschten sonderbar die Pflichten um:

Ich soll dich leiten, und du leitest mich.

Eugenie.

Wohl denn, mein Vater, tritt mit mir herauf

In diese Regionen, wo mir eben

Die neue, heitre Sonne sich erhebt!

In diesen muntren Stunden lächle nur,

Wenn ich den Inbegriff von meinen Sorgen

Dir auch eröffne.

Herzog.

Sage, was es ist.

Eugenie.

Der wichtigen Momente gibt’s im Leben

Gar manche, die mit Freude, die mit Trauer

Des Menschen Herz bestürmen. Wenn der Mann

Sein Äußeres in solchem Fall vergisst,

Nachlässig oft sich vor die Menge stellt,

So wünscht ein Weib noch, jedem zu gefallen,

Durch ausgesuchte Tracht, vollkommnen Schmuck

Beneidenswert vor andern zu erscheinen.

Das hab’ ich oft gehört und oft bemerkt,

Und nun empfind’ ich im bedeutendsten

Momente meines Lebens, dass auch ich

Der mädchenhaften Schwachheit schuldig bin.

Herzog.

Was kannst du wünschen, das du nicht erlangst?

Eugenie.

Du bist geneigt, mir alles zu gewähren,

Ich weiß es. Doch der große Tag ist nah,

Zu nah, um alles würdig zu bereiten;

Und was von Stoffen, Stickerei und Spitzen,

Was von Juwelen mich umgeben soll,

Wie kann’s geschafft, wie kann’s vollendet werden?

Herzog.

Uns überrascht längst gewünschtes Glück;

Doch vorbereitet können wir’s empfangen.

Was du bedarfst, ist alles angeschafft,

Und heute noch, verwahrt im edlen Schrein,

Erhältst du Gaben, die du nicht erwartet.

Doch leichte Prüfung leg’ ich dir dabei

Zum Vorbild mancher künftig schweren auf.

Hier ist der Schlüssel! Den verwahre wohl!

Bezähme deine Neugier! Öffne nicht,

Eh’ ich dich wieder sehe, jenen Schatz.

Vertraue niemand, sei es, wer es sei.

Die Klugheit rät’s, der König selbst gebeut’s.

Eugenie.

Dem Mädchen sinnst du harte Prüfung aus;

Doch will ich sie bestehn, ich schwör’ es dir!

Herzog.

Mein eigner wüster Sohn umlauert ja

Die stillen Wege, die ich dich geführt.

Der Güter kleinen Teil, den ich bisher

Dir schuldig zugewandt, missgönnt er schon.

Erführ’ er, dass du, höher nun empor

Durch unsres Königs Gunst gehoben, bald

In manchem Recht ihm gleich dich stellen könntest,

Wie müsst’ er wüten! Würd’ er tückisch nicht,

Den schönen Schritt zu hindern, alles tun?

Eugenie.

Lass uns im Stillen jenen Tag erharren.

Und wenn geschehn ist, was mich seine Schwester

Zu nennen mich berechtigt, soll’s an mir,

Soll’s an gefälligem Betragen, guten Worten,

Nachgiebigkeit und Neigung nicht gebrechen.

Er ist dein Sohn; und sollt’ er nicht nach dir

Zur Liebe, zur Vernunft gebildet sein?

Herzog.

Ich traue dir ein jedes Wunder zu,

Verrichte sie zu meines Hauses Bestem

Und lebe wohl. Doch ach! Indem ich scheide,

Befällt mich grausend jäher Furcht Gewalt.

Hier lagst du tot in meinen Armen! Hier

Bezwang mich der Verzweiflung Tigerklaue.

Wer nimmt das Bild vor meinen Augen weg!

Dich hab’ ich tot gesehn! So wirst du mir

An manchem Tag, in mancher Nacht erscheinen.

War ich entfernt von dir nicht stets besorgt?

Nun ist’s nicht mehr ein kranker Grillentraum,

Es ist ein wahres, unauslöschlichs Bild:

Eugenie, das Leben meines Lebens,

Bleich, hingesunken, atemlos, entseelt.

Eugenie.

Erneue nicht, was du entfernen solltest,

Lass diesen Sturz, lass diese Rettung dir

Als wertes Pfand erscheinen meines Glücks.

Lebendig siehst du sie vor deinen Augen

(Indem sie ihn umarmt.)

Und fühlst lebendig sie an deiner Brust.

So lass mich immer, immer wieder kehren!

Und vor dem glühnden, liebevollen Leben

Entweiche des verhassten Todes Bild.

Herzog.

Kann wohl ein Kind empfinden, wie den Vater

Die Sorge möglichen Verlustes quält?

Gesteh’ ich’s nur! Wie öfters hat mich schon

Dein überkühner Mut, mit dem du dich,

Als wie ans Pferd gewachsen, voll Gefühl

Der doppelten, zentaurischen Gewalt,

Durch Tal und Berg, durch Fluss und Graben schleuderst,

Wie sich ein Vogel durch die Lüfte wirft,

Ach! Öfters mehr geängstigt als entzückt.

Dass doch gemäßigter dein Trieb fortan

Der ritterlichen Übung sich erfreue!

Eugenie.

Dem Ungemessnen beugt sich die Gefahr,

Beschlichen wird das Mäßige von ihr.

O fühle jetzt wie damals, da du mich,

Ein kleines Kind, in ritterliche Weise

Mit heitrer Kühnheit fröhlich eingeweiht.

Herzog.

Ich hatte damals unrecht; soll mich nun

Ein langes Leben sorgenvoll bestrafen?

Und locket Übung des Gefährlichen

Nicht die Gefahr an uns heran?

Eugenie.

Das Glück,

Und nicht die Sorge bändigt die Gefahr.

Leb’ wohl, mein Vater, folge deinem König,

Und sei nun auch um deiner Tochter willen

Sein redlicher Vasall, sein treuer Freund.

Leb’ wohl!

Herzog.

O bleib! Und steh an diesem Platz

Lebendig, aufrecht, noch einmal, wie du

Ins Leben wieder aufsprangst, wo mit Wonne

Du mein zerrissen Herz erfüllend heiltest.

Unfruchtbar bleibe diese Freude nicht!

Zum ew’gen Denkmal weih’ ich diesen Ort.

Hier soll ein Tempel aufstehn, der Genesung,

Der glücklichsten, gewidmet. Rings umher

Soll deine Hand ein Feenreich erschaffen.

Den wilden Wald, das struppige Gebüsch

Soll sanfter Gänge Labyrinth verknüpfen.

Der steile Fels wird gangbar, dieser Bach,

In reinen Spiegeln fällt er hier und dort.

Der überraschte Wandrer fühlt sich hier

Ins Paradies versetzt. Hier soll kein Schuss,

Solang ich lebe, fallen, hier kein Vogel

Von seinem Zweig, kein Wild in seinem Busch

Geschreckt, verwundet, hingeschmettert werden.

Hier will ich her, wenn mir der Augen Licht,

Wenn mir der Füße Kraft zuletzt versagt,

Auf dich gelehnt, wallfahrten; immer soll

Des gleichen Danks Empfindung mich beleben.

Nun aber lebe wohl! Und wie? – Du weinst?

Eugenie.

O! Wenn mein Vater ängstlich fürchten darf,

Die Tochter zu verlieren, soll in mir

Sich keine Sorge regen, ihn vielleicht –

Wie kann ich’s denken, sagen – ihn zu missen?

Verwaiste Väter sind beklagenswert;

Allein verwaiste Kinder sind es mehr.

Und ich, die Ärmste, stünde ganz allein

Auf dieser weiten, fremden, wilden Welt,

Müsst’ ich von ihm, dem Einzigen, mich trennen.

Herzog.

Wie du mich stärktest, geb’ ich dir’s zurück.

Lass uns getrost, wie immer, vorwärts gehen!

Das Leben ist des Lebens Pfand; es ruht

Nur auf sich selbst und muss sich selbst verbürgen.

Drum lass uns eilige auseinander scheiden!

Von diesem allzu weichen Lebewohl

Soll ein erfreulich wieder Sehn uns heilen!

(Sie trennen sich schnell; aus der Entfernung werfen sie sich mit ausgebreiteten Armen ein Lebewohl zu und gehen eilig ab.)

 
 * 

Zweiter Aufzug

(Zimmer Eugenies, im gotischen Stil.)

Erster Auftritt

Hofmeisterin. Sekretär.

Sekretär.

Verdien’ ich, dass du mich, im Augenblick,

Da ich erwünschte Nachricht bringe, fliehst?

Vernimm nur erst, was ich zu sagen habe!

Hofmeisterin.

Wohin es deutet, fühl’ ich nur zu sehr.

O lass mein Auge vom bekannten Blick,

Mein Ohr sich von bekannter Stimme wenden!

Entfliehen lass mich der Gewalt, die, sonst

Durch Lieb’ und Freundschaft wirksam, fürchterlich

Wie ein Gespenst mir nun zur Seite steht.

Sekretär.

Wenn ich des Glückes Füllhorn dir auf einmal

Nach langem Hoffen vor die Füße schütte,

Wenn sich die Morgenröte jenes Tags,

Der unsern Bund auf ewig gründen soll,

Am Horizonte feierlich erhebt,

So scheinst du nun verlegen, widerwillig

Den Antrag eines Bräutigams zu fliehn.

Hofmeisterin.

Du zeigst mir nur die eine Seite dar,

Sie glänzt und leuchtet, wie im Sonnenschein

Die Welt erfreulich daliegt; aber hinten

Droht schwarzer Nächte Graus, ich ahn’ ihn schon.

Sekretär.

So lass uns erst die schöne Seite sehn!

Verlangst du Wohnung, mitten in der Stadt,

Geräumig, heiter, trefflich ausgestattet,

Wie man’s für sich, so wie für Gäste wünscht?

Sie ist bereit, der nächste Winter findet

Uns festlich dort umgeben, wenn du willst.

Sehnst du im Frühling dich aufs Land, auch dort

Ist uns ein Haus, ein Garten uns bestimmt,

Ein reiches Feld. Und was Erfreuliches

An Waldung, Busch, an Wiesen, Bach und Seen

Sich Phantasie zusammendrängen mag,

Genießen wir, zum Teil als unser eignes,

Zum Teil als allgemeines Gut. Wobei

Noch manche Rente gar bequem vergönnt,

Durch Sparsamkeit ein sichres Glück zu steigern.

Hofmeisterin.

In trübe Wolken hüllt sich jenes Bild,

So heiter du es malst, vor meinen Augen.

Nicht wünschenswert, abscheulich naht sich mir

Der Gott der Welt im Überfluss heran.

Was für ein Opfer fordert er? Das Glück

Des holden Zöglings müsst’ ich morden helfen!

Und was ein solch Verbrechen mir erwarb,

Ich sollt’ es je mit freier Brust genießen?

Eugenie! Du, deren holdes Wesen

In meiner Nähe sich von Jugend auf

Aus reicher Fülle rein entwickeln sollte,

Kann ich noch unterscheiden, was an dir

Dein eigen ist, und was du mir verdankst?

Dich, die ich als mein selbst gebildet Werk

Im Herzen trage, sollt’ ich nun zerstören?

Von welchem Stoffe seid ihr denn geformt,

Ihr Grausamen, dass eine solche Tat

Ihr fordern dürft und zu belohnen glaubt?

Sekretär.

Gar manchen Schatz bewahrt von Jugend auf

Ein edles, gutes Herz und bildet ihn

Nur immer schöner, liebenswürd’ger aus

Zur holden Gottheit des geheimen Tempels;

Doch wenn das Mächtige, das uns regiert,

Ein großes Opfer heischt, wir bringen’s doch

Mit blutendem Gefühl der Not zuletzt.

Zwei Welten sind es, meine Liebe, die,

Gewaltsam sich bekämpfend, uns bedrängen,

Hofmeisterin.

In völlig fremder Welt für mein Gefühl

Scheinst du zu wandeln, da du deinem Herrn,

Dem edlen Herzog, solche Jammertage

Verräterisch bereitest, zur Partei

Des Sohns dich fügest – Wenn das Waltende

Verbrechen zu begünst’gen scheinen mag,

So nennen wir es Zufall; doch der Mensch,

Der ganz besonnen solche Tat erwählt,

Er ist ein Rätsel. – Doch – und bin ich nicht

Mir auch ein Rätsel, dass ich noch an dir

Mit solcher Neigung hänge, da du mich

Zum jähen Abgrund hinzureißen strebst?

Warum o! Schuf dich die Natur von außen

Gefällig, liebenswert, unwiderstehlich,

Wenn sie ein kaltes Herz in deinen Busen,

Ein Glück zerstörendes, zu pflanzen dachte?

Sekretär.

An meiner Neigung Wärme zweifelst du?

Hofmeisterin.

Ich würde mich vernichten, wenn ich’s könnte.

Doch ach! Warum, und mit verhasstem Plan,

Aufs Neue mich bestürmen? Schwurst du nicht,

In ew’ge Nacht das Schrecknis zu begraben?

Sekretär.

Ach leider drängt sich’s mächtiger hervor.

Den jungen Fürsten zwingt man zum Entschluss.

Erst blieb Eugenie so manches Jahr

Ein unbedeutend unbekanntes Kind.

Du hast sie selbst von ihren ersten Tagen

In diesen alten Sälen auferzogen,

Von wenigen besucht und heimlich nur.

Doch wie verheimlichte sich Vaterliebe!

Der Herzog, stolz auf seiner Tochter Wert,

Lässt nach und nach sie öffentlich erscheinen;

Sie zeigt sich reitend, fahrend. Jeder fragt

Und jeder weiß zuletzt, woher sie sei.

Nun ist die Mutter tot. Der stolzen Frau

War dieses Kind ein Gräuel, das ihr nur

Der Neigung Schwäche vorzuwerfen schien.

Nie hat sie’s anerkannt und kaum gesehn.

Durch ihren Tod fühlt sich der Herzog frei,

Entwirft geheime Pläne, nähert sich

Dem Hofe wieder und entsagt zuletzt

Dem alten Groll, versöhnt sich mit dem König

Und macht sich’s zur Bedingung, dieses Kind

Als Fürstin seines Stamms erklärt zu sehn.

Hofmeisterin.

Und gönnt ihr dieser köstlichen Natur

Vom Fürstenblute nicht das Glück des Rechts?

Sekretär.

Geliebte, Teure! Sprichst du doch so leicht,

Durch diese Mauern von der Welt geschieden,

In klösterlichem sinne von dem Wert

Der Erdengüter. Blicke nur hinaus!

Dort wägt man besser solchen edlen Schatz.

Der Vater neidet ihn dem Sohn, der Sohn

Berechnet seines Vaters Jahre, Brüder

Entzweit ein ungewisses Recht auf Tod

Und Leben. Selbst der Geistliche vergisst,

Wohin er streben soll, und strebt nach Gold.

Verdächte man’s dem Prinzen, der sich stets

Als einz’gen Sohn gefühlt, wenn er sich nun

Die Schwester nicht gefallen lassen will,

Die, eingedrungen, ihm das Erbteil schmälert?

Man stelle sich an seinen Platz und richte.

Hofmeisterin.

Und ist er nicht schon jetzt ein reicher Fürst?

Und wird er’s nicht durch seines Vaters Tod

Zum Übermaß? Wie wär’ ein Teil der Güter

So köstlich angelegt, wenn er dafür

Die holde Schwester zu gewinnen wüsste!

Sekretär.

Willkürlich handeln ist des Reichen Glück!

Er widerspricht der Fordrung der Natur,

Der Stimme des Gesetzes, der Vernunft,

Und spendet an den Zufall seine Gaben.

Genug besitzen hieße darben. Alles

Bedürfte man! Unendlicher Verschwendung

Sind ungemessne Güter wünschenswert.

Hier denke nicht zu raten, nicht zu mildern;

Kannst du mit uns nicht wirken, gib uns auf!

Hofmeisterin.

Und was denn wirken? Lange droht ihr schon

Von fern dem Glück des liebenswürd’gen Kindes.

Was habt ihr denn in eurem furchtbarn Rat

Beschlossen über sie? Verlangt ihr etwa,

Dass ich mich blind zu eurer Tat geselle?

Sekretär.

Mitnichten! Hören kannst und sollst du gleich,

Was zu beginnen, was von dir zu fordern

Wir selbst genötigt sind. Eugenien

Sollst du entführen! Sie muss dergestalt

Auf einmal aus der Welt verschwinden, dass

Wir sie getrost als tot beweinen können;

Verborgen muss ihr künftiges Geschick,

Wie das Geschick der Toten, ewig bleiben.

Hofmeisterin.

Lebendig weiht ihr sie dem Grabe, mich

Bestimmt ihr tückisch zur Begleiterin.

Mich stoßt ihr mit hinab. Ich soll mit ihr,

Mit der Verratnen die Verräterin,

Der Toten Schicksal vor dem Tode teilen.

Sekretär.

Du führst sie hin und kehrest gleich zurück.

Hofmeisterin.

Soll sie im Kloster ihre Tage schließen?

Sekretär.

Im Kloster nicht; wir mögen solch ein Pfand

Der Geistlichkeit nicht anvertrauen, die

Es leicht als Werkzeug gegen uns gebrauchte.

Hofmeisterin.

So soll sie nach den Inseln? Sprich es aus.

Sekretär.

Du wirst’s vernehmen! Jetzt beruh’ge dich.

Hofmeisterin.

Wie kann ich ruhen bei Gefahr und Not,

Die meinen Liebling, die mich selbst bedräut?

Sekretär.

Dein Liebling kann auch drüben glücklich sein,

Und dich erwarten hier Genuss und Wonne.

Hofmeisterin.

O schmeichelt euch mit solcher Hoffnung nicht.

Was hilft’s, in mich zu stürmen? Zum Verbrechen

Mich anzulocken, mich zu drängen? Sie,

Das hohe Kind, wird euren Plan vereiteln.

Gedenkt nur nicht, sie als geduld’ges Opfer

Gefahrlos wegzuschleppen. Dieser Geist,

Der mutvoll sie beseelt, ererbte Kraft

Begleiten sie, wohin sie geht, zerreißen

Das falsche Netz, womit ihr sie umgabt.

Sekretär.

Sie festzuhalten, das gelinge dir!

Willst du mich überreden, dass ein Kind,

Bisher im sanften Arm des Glücks gewiegt,

Im unverhofften Fall Besonnenheit

Und Kraft, Geschick und Klugheit zeigen werde?

Gebildet ist ihr Geist, doch nicht zur Tat,

Und wenn sie richtig fühlt und weise spricht,

So fehlt noch viel, dass sie gemessen handle.

Des Unerfahrnen hoher, freier Mut

Verliert sich leicht in Feigheit und Verzweiflung,

Wenn sich die Not ihm gegenüberstellt.

Was wir gesonnen, führe du es aus!

Klein wird das Übel werden, groß das Glück.

Hofmeisterin.

So gebt mir Zeit, zu prüfen und zu wählen!

Sekretär.

Der Augenblick des Handelns drängt uns schon.

Der Herzog scheint gewiss, dass ihm der König

Am nächsten Fest die hohe Gunst gewähren

Und seine Tochter anerkennen wolle;

Denn Kleider und Juwelen stehn bereit,

Im prächt’gen Kasten sämtlich eingeschlossen,

Wozu er selbst die Schlüssel wohl verwahrt

Und ein Geheimnis zu verwahren glaubt;

Wir aber wissen’s wohl und sind gerüstet;

Geschehen muss nun schnell das Überlegte.

Heut Abend hörst du mehr. Nun lebe wohl!

Hofmeisterin.

Auf düstern Wegen wirkt ihr tückisch fort

Und wähnet, euren Vorteil klar zu sehen.

Habt ihr denn jeder Ahnung euch verschlossen,

Dass über Schuld und Unschuld, Licht verbreitend,

Ein rettend, rächend Wesen göttlich schwebt?

Sekretär.

Wer wagt, ein Herrschendes zu leugnen, das

Sich vorbehält, den Ausgang unsrer Taten

Nach seinem einz’gen Willen zu bestimmen?

Doch wer hat sich zu seinem hohen Rat

Gesellen dürfen? Wer Gesetz und Regel,

Wonach es ordnend spricht, erkennen mögen?

Verstand empfingen wir, uns mündig selbst

Im ird’schen Element zurecht zu finden,

Und was uns nützt, ist unser höchstes Recht.

Hofmeisterin.

Und so verleugnet ihr das Göttlichste,

Wenn euch des Herzens Winke nichts bedeuten.

Mich ruft es auf, die schreckliche Gefahr

Vom holden Zögling kräftig abzuwenden,

Mich gegen dich und gegen Macht und List

Beherzt zu waffnen. Kein Versprechen soll,

Kein Drohn mich von der Stelle drängen. Hier,

Zu ihrem Heil gewidmet, steh’ ich fest.

Sekretär.

O meine Gute! Dies ihr Heil vermagst

Du ganz allein zu schaffen, die Gefahr

Von ihr zu wenden, magst du ganz allein,

Und zwar, indem du uns gehorchst. Ergreife

Sie schnell, die holde Tochter, führe sie,

So weit du kannst, hinweg, verbirg sie fern

Von aller Menschen Anblick, denn – du schauderst,

Du fühlst, was ich zu sagen habe. Sei’s,

Weil du mich drängest, endlich auch gesagt:

Sie zu entfernen ist das Mildeste.

Willst du zu diesem Plan nicht tätig wirken,

Denkst du, dich ihm geheim zu widersetzen,

Und wagtest du, was ich dir anvertraut,

Aus guter Ansicht irgend zu verraten,

So liegt sie tot in deinen Armen! Was

Ich selbst beweinen werde, muss geschehn.

Zweiter Auftritt

Hofmeisterin.

Die kühne Drohung überrascht mich nicht!

Schon lange seh’ ich dieses Feuer glimmen,

Nun schlägt es blad in lichte Flammen aus.

Um dich zu retten, muss ich, liebes Kind,

Dich deinem holden Morgentraum entreißen.

Nur eine Hoffnung lindert meinen Schmerz;

Allein sie schwindet, wie ich sie ergreife.

Eugenie! Wenn du entsagen könntest

Dem hohen Glück, das unermesslich scheint,

An dessen Schwelle dir Gefahr und Tod,

Verbannung als ein Milderes begegnet.

O dürft’ ich dich erleuchten! Dürft’ ich dir

Verborgne Winkel öffnen, wo die Schar

Verschworener Verfolger tückisch lauscht!

Ach schweigen soll ich! Leise kann ich nur

Dich ahnungsvoll ermahnen; wirst du wohl

Im Taumel deiner Freude mich verstehen?

Dritter Auftritt

Eugenie. Hofmeisterin.

Eugenie.

Sei mir gegrüßt! Du Freundin meines Herzens,

An Mutter Statt Geliebte, sei gegrüßt!

Hofmeisterin.

Mit Wonne drück’ ich dich an dieses Herz,

Geliebtes Kind, und freue mich der Freude,

Die reich aus Lebensfülle dir entquillt.

Wie heiter glänzt dein Auge! Welch Entzücken

Umschwebet Mund und Wange! Welches Glück

Drängt aus bewegtem Busen sich hervor!

Eugenie.

Ein großes Unheil hatte mich ergriffen,

Vom Felsen stürzte Ross und Reiterin.

Hofmeistern.

O Gott!

Eugenie.

Sei ruhig! Siehst du doch mich wieder,

Gesund und hoch beglückt, nach diesem Fall.

Hofmeisterin.

Und wie?

Eugenie.

Du sollst es hören, wie so schön

Aus diesem Übel sich das Glück entwickelt.

Hofmeisterin.

Ach! Aus dem Glück entwickelt oft sich Schmerz.

Eugenie.

Sprich böser Vorbedeutung Wort nicht aus!

Und schrecke mich der Sorge nicht entgegen.

Hofmeisterin.

O möchtest du mir alles gleich vertrauen!

Eugenie.

Von allen Menschen dir zuerst. Nur jetzt,

Geliebte, lass mich mir. Ich muss allein

Ins eigene Gefühl mich finden lernen.

Du weißt, wie hoch mein Vater sich erfreut,

Wenn unerwartet ihm ein klein Gedicht

Entgegenkommt, wie mir’s der Muse Gunst

Bei manchem Anlass willig schenken mag.

Verlass mich! Eben schwebt mir’s heiter vor,

Ich muss es haschen, sonst entschwindet’s mir.

Hofmeisterin.

Wann soll wie sonst vertrauter Stunden Reihe

Mit reichlichen Gesprächen uns erquicken?

Wann öffnen wir, zufriednen Mädchen gleich,

Die ihren Schmuck einander wiederholt

Zu zeigen kaum ermüden, unsres Herzens

Geheimste Fächer, uns bequem und herzlich

Des wechselseit’gen Reichtums zu erfreuen?

Eugenie.

Auch jene Stunden werden wieder kehren,

Von deren stillem Glück man mit Vertrauen,

Sich des Vertrauns erinnernd, gerne spricht.

Doch heute lass in voller Einsamkeit

Mich das Bedürfnis jener Tage finden.

Vierter Auftritt

Eugenie, nachher Hofmeisterin außen.

Eugenie (eine Brieftasche hervorziehend).

Und nun geschwind zum Pergament, zum Griffel!

Ich hab’ es ganz und eilig fass’ ich’s auf,

Was ich dem Könige zu jener Feier,

Bei der ich, neu geboren durch sein Wort,

Ins Leben trete, herzlich widmen soll.

(Sie rezitiert langsam und schreibt.)

Welch Wonneleben wird hier ausgespendet!

Willst du, o Herr der obern Regionen,

Des Neulings Unvermögen nicht verschonen?

Ich sinke hin, von Majestät geblendet.

Doch bald getrost zu dir hinauf gewendet

Erfreut’s mich, an dem Fuß der festen Thronen,

Ein Sprössling deines Stamms, beglückt zu wohnen,

Und all mein frühes Hoffen ist vollendet.

So fließe denn der holde Born der Gnaden!

Hier will die treue Brust so gern verweilen

Und an der Liebe Majestät sich fassen.

Mein Ganzes hängt an einem zarten Faden,

Mir ist, als müsst’ ich unaufhaltsam eilen,

Das Leben, das du gabst, für dich zu lassen.

(Das Geschriebene mit Gefälligkeit betrachtend.)

So hast du lange nicht, bewegtes Herz,

Dich in gemessnen Worten ausgesprochen!

Wie glücklich, den Gefühlen unsrer Brust

Für ew’ge Zeit den Stempel aufzudrücken!

Doch ist es wohl genug? Hier quillt es fort,

Hier quillt es auf! – Du nahest, großer Tag,

Der uns den König gab und der nun mich

Dem Könige, dem Vater, mich mir selbst

Zu ungemessner Wonne geben soll.

Dies hohe Fest verherrliche meine Lied!

Beflügelt drängt sich Phantasie voraus,

Sie trägt mich vor den Thron und stellt mich vor,

Sie gibt im Kreise mir –

Hofmeisterin (außen).

Eugenie!

Eugenie.

Was soll das?

Hofmeisterin.

Höre mich und öffne gleich!

Eugenie.

Verhasste Störung! Öffnen kann ich nicht.

Hofmeisterin.

Vom Vater Botschaft!

Eugenie.

Wie? Vom Vater? Gleich!

Da muss ich öffnen.

Hofmeisterin.

Große Gaben scheint

Er dir zu schicken.

Eugenie.

Warte!

Hofmeisterin.

Hörst du?

Eugenie.

Warte!

Doch wo verberg’ ich dieses Blatt? Zu klar

Spricht’s jene Hoffnung aus, die mich beglückt.

Hier ist nichts zum Verschließen! Und bei mir

Ist’s nirgend sicher, diese Tasche kaum;

Denn meine Leute sind nicht alle treu.

Gar manches hat man schon mir, als ich schlief,

Durchblättert und entwendet. Das Geheimnis,

Das größte, das ich je gehegt, wohin,

Wohin verberg’ ich’s?

(Indem sie sich der Seitenwand nähert.)

Wohl! Hier war es ja,

Wo du, geheimer Wandschrank, meiner Kindheit

Unschuldige Geheimnisse verbargst!

Du, den mir kindisch allausspähende,

Von Neugier und von Müßiggang erzeugte,

Rastlose Tätigkeit entdecken half,

Du, jedem ein Geheimnis, öffne dich!

(Sie drückt an einer unbemerkbaren Feder, und eine kleine Türe springt auf.)

So wie ich sonst verbotnes Zuckerwerk

Zu listigem Genuss in dir versteckte,

Vertrau’ ich heute meines Lebens Glück

Entzückt und sorglich dir auf kurze Zeit.

(Sie legt das Pergament in den Schrank und drückt ihn zu.)

Die Tage schreiten vor, und ahnungsvoller

Bewegen sich nun Freud’ und Schmerz heran.

(Sie öffnet die Türe.)

Fünfter Auftritt

Eugenie. Hofmeisterin. Bediente, die einen prächtigen Putzkasten tragen.

Hofmeisterin.

Wenn ich dich störte, führ’ ich gleich mit mir,

Was mich gewiss entschuld’gen soll, herbei.

Eugenie.

Von meinem Vater? Dieser prächt’ge Schrein!

Auf welchen Inhalt deutet solch Gefäß?

(Zu den Bedienten.)

Verweilt!

(Sie reicht ihnen einen Beutel hin.)

Zum Vorschmack eures Botenlohns

Nehmt diese Kleinigkeit! Das Bessre folgt.

(Bediente gehen.)

Und ohne Brief und ohne Schlüssel! Steht

Mir solch ein Schatz verborgen, in der Nähe?

O Neugier! O Verlangen! Ahnest du,

Was diese Gabe mir bedeuten kann?

Hofmeisterin.

Ich zweifle nicht, du hast es selbst erraten.

Auf nächste Hoheit deutet sie gewiss.

Den Schmuck der Fürstentochter bringt man dir,

Weil dich der König bald berufen wird.

Eugenie.

Wie kannst du das vermuten?

Hofmeisterin.

Weiß ich’s doch!

Geheimnisse der Großen sind belauscht.

Eugenie.

Und wenn du’s weißt, was soll ich dir’s verbergen?

Soll ich die Neugier, dies Geschenk zu sehn,

Vor dir umsonst bezähmen! – Hab’ ich doch

Den Schlüssel hier! – Der Vater zwar verbot’s.

Doch was verbot er? Das Geheimnis nicht

Unzeitig zu entdecken; doch dir ist

Es schon entdeckt. Du kannst nicht mehr erfahren,

Als du schon weißt, und schweigst nun, mir zuliebe.

Was zaudern wir? Komm, lass uns öffnen! Komm,

Dass uns der Gaben hoher Glanz entzücke.

Hofmeisterin.

Halt ein! Gedenke des Verbots! Wer weiß,

Warum der Herzog weislich so befohlen?

Eugenie.

Mit Sinn befahl er, zum bestimmten Zweck;

Der ist vereitelt; alles weißt du schon.

Du liebst mich, bist verschwiegen, zuverlässig.

Lass uns das Zimmer schließen! Das Geheime

Lass uns sogleich vertraulich untersuchen.

(Sie schließt die Zimmertüre und eilt gegen den Schrank.)

Hofmeisterin (sie abhaltend).

Der prächt’gen Stoffe Gold und Farbenglanz,

Der Perlen Milde, der Juwelen Strahl

Bleib’ im Verborgnen! Ach, sie reizen dich

Zu jenem Ziel unwiderstehlich auf.

Eugenie.

Was sie bedeuten, ist das Reizende.

(Sie öffnet den Schrank, an der Türe zeigen sich Spiegel.)

Welch köstliches Gewand entwickelt sich,

Indem ich’s nur berühre, meinem Blick.

Und diese Spiegel! Fordern sie nicht gleich,

Das Mädchen und den Schmuck vereint zu schildern?

Hofmeisterin.

Kreusas tödliches Gewand entfaltet,

So scheint es mir, sich unter meiner Hand.

Eugenie.

Wie schwebt ein solcher Trübsinn dir ums Haupt?

Denk’ an beglückter Bräute frohes Fest.

Komm! Reiche mir die Teile, nach und nach.

Das Unterkleid! Wie reich und süß durchflimmert

Sich rein des Silbers und der Farben Blitz.

Hofmeisterin (indem sie Eugenie das Gewand umlegt).

Verbirgt sich je der Gnade Sonnenblick,

Sogleich ermattet solch ein Widerglanz.

Eugenie.

Ein treues Herz verdient sich diesen Blick,

Und, wenn er weichen wollte, zieht’s ihn an. –

Das Oberkleid, das goldne, schlage drüber,

Die Schleppe ziehe, weit verbreitet, nach.

Auch diesem Gold ist, mit Geschmack und Wahl,

Der Blumen Schmelz metallisch aufgebrämt.

Und tret’ ich so nicht schön umgeben auf?

Hofmeisterin.

Doch wird von Kennern mehr die Schönheit selbst

In ihrer eignen Herrlichkeit verehrt.

Eugenie.

Das einfach Schöne soll der Kenner schätzen;

Verziertes aber spricht der Menge zu. –

Nun leihe mir der Perlen sanftes Licht,

Auch der Juwelen leuchtende Gewalt.

Hofmeisterin.

Doch deinem Herzen, deinem Geist genügt

Nur eigner, innrer Wert und nicht der Schein.

Eugenie.

Der Schein, was ist er, dem das Wesen fehlt?

Das Wesen, wär’ es, wenn es nicht erschiene?

Hofmeisterin.

Und hast du nicht in diesen Mauern selbst

Der Jugend ungetrübte Zeit verlebt?

Am Busen deiner Liebenden, entzückt,

Verborgner Wonne Seligkeit erfahren?

Eugenie.

Gefaltet kann die Knospe sich genügen,

Solange sie des Winters Frost umgibt;

Nun schwillt vom Frühlingshauche Lebenskraft,

In Blüten bricht sie auf an Licht und Lüfte.

Hofmeisterin.

Aus Mäßigkeit entspringt ein reines Glück.

Eugenie.

Wenn du ein mäßig Ziel dir vorgesteckt.

Hofmeisterin.

Beschränktheit sucht sich der Genießende.

Eugenie.

Du überredest die Geschmückte nicht.

O dass sich dieser Saal erweiterte

Zum Raum des Glanzes, wo der König thront!

Dass reicher Teppich unten, oben sich

Der goldnen Decke Wölbung breitete!

Dass hier im Kreise vor der Majestät

Demütig stolz die Großen, angelacht

Von dieser Sonne, herrlich leuchteten!

Ich unter diesen Ausgezeichnete!

O lass mir dieser Wonne Vorgefühl,

Wenn aller Augen mich zum Ziel erlesen!

Hofmeisterin.

Zum Ziele der Bewunderung nicht allein,

Zum Ziel des Neides und des Hasses mehr.

Eugenie.

Der Nieder steht als Folie des Glücks,

Der Hasser lehrt uns immer wehrhaft bleiben.

Hofmeisterin.

Demütigung beschleicht die Stolzen oft.

Eugenie.

Ich setz’ ihr Geistesgegenwart entgegen.

(Zum Schranke gewendet.)

Noch haben wir nicht alles durchgesehn;

Nicht mich allein bedenk’ ich diese Tage,

Für andre hoff’ ich manche Kostbarkeit.

Hofmeistern (ein Kästchen hervor nehmend).

Hier aufgeschrieben steht es: „Zu Geschenken“.

Eugenie.

So nimm voraus, was dich vergnügen kann,

Von diesen Uhren, diesen Dosen. Wähle! –

Nein, überlege noch! Vielleicht verbirgt

Sich Wünschenswerteres im reichen Schrein.

Hofmeisterin.

O fände sich ein kräft’ger Talisman,

Des trüben Bruders Neigung zu gewinnen!

Eugenie.

Den Widerwillen tilge nach und nach

Des unbefangnen Herzens reines Wirken.

Hofmeisterin.

Doch die Partei, die seinen Groll bestärkt,

Auf ewig steht sie deinem Wunsch entgegen.

Eugenie.

Wenn sie bisher mein Glück zu hindern suchte,

Tritt nun Entscheidung unaufhaltsam ein,

Und ins Geschehne fügt sich jedermann.

Hofmeisterin.

Das, was du hoffest, noch ist’s nicht geschehn.

Eugenie.

Doch als vollendet kann ich’s wohl betrachten.

(Nach dem Schrank gekehrt.)

Was liegt im langen Kästchen, obenan?

Hofmeisterin (die es herausnimmt).

Die schönsten Bänder, frisch und neu gewählt –

Zerstreue nicht durch eitlen Flitterwesens

Neugierige Betrachtung deinen Geist.

O wär’ es möglich, dass du meinem Wort

Gehör verliehest einen Augenblick!

Aus stillem Kreise trittst du nun heraus

In weite Räume, wo dich Sorgendrang,

Vielfach geknüpfte Netze, Tod vielleicht

Von meuchelmörderischer Hand erwartet.

Eugenie.

Du scheinst mir krank! Wie könnte sonst mein Glück

Dir fürchterlich, als ein Gespenst erscheinen.

(In das Kästchen blickend.)

Was seh’ ich? Diese Rolle! Ganz gewiss

Das Ordensband der ersten Fürstentöchter!

Auch dieses werd’ ich tragen! Nur geschwind!

Lass sehen, wie es kleidet! Es gehört

Zum ganzen Prunk; so sei auch das versucht!

(Das Band wird umgelegt.)

Nun sprich vom Tode nur! Sprich von Gefahr!

Was zieret mehr den Mann, als wenn er sich

Im Heldenschmuck zu seinem Könige,

Sich unter seinesgleichen stellen kann?

Was reizt das Auge mehr als jenes Kleid,

Das kriegerische lange Reihen zeichnet?

Und dieses Kleid und seine Farben, sind

Sie nicht ein Sinnbild ewiger Gefahr?

Die Schärpe deutet Krieg, womit sich, stolz

Auf seine Kraft, ein edler Mann umgürtet.

O meine Liebe! Was bedeutend schmückt,

Es ist durchaus gefährlich. Lass auch mir

Das Mutgefühl, was mir begegnen kann,

So prächtig ausgerüstet, zu erwarten.

Unwiderruflich, Freundin, bleibt mein Glück.

Hofmeisterin (beiseite).

Das Schicksal, das dich trifft, unwiderruflich.

 
 * 

Dritter Aufzug

(Vorzimmer des Herzogs, prächtig, modern.)

Erster Auftritt

Sekretär. Weltgeistlicher.

Sekretär.

Tritt still herein in diese Totenstille!

Wie ausgestorben findest du das Haus.

Der Herzog schläft, und alle Diener stehen,

Von seinem Schmerz durchdrungen, stumm gebeugt.

Er schläft! Ich segnet’ ihn, als ich ihn sah

Bewusstlos auf dem Pfühle ruhig atmen.

Das Übermaß der Schmerzen löste sich

In der Natur balsam’scher Wohltat auf.

Den Augenblick befürcht’ ich, der ihn weckt;

Euch wird ein jammervoller Mann erscheinen.

Weltgeistlicher.

Darauf bin ich bereitet, zweifelt nicht.

Sekretär.

Vor wenig Stunden kam die Nachricht an,

Eugenie sei tot! Vom Pferd gestürzt!

An eurem Orte sei sie beigesetzt,

Als an dem nächsten Platz, wohin man sie

Aus jenem Felsendickicht bringen können,

Wo sie verwegen sich den Tod erstürmt.

Weltgeistlicher.

Und sie indessen ist schon weit entfernt?

Sekretär.

Mit rascher Eile wird sie weggeführt.

Weltgeistlicher.

Und wem vertraut ihr solch ein schwer Geschäft?

Sekretär.

Dem klugen Weibe, das uns angehört.

Weltgeistlicher.

In welche Gegend habt ihr sie geschickt?

Sekretär.

Zu dieses Reiches letztem Hafenplatz.

Weltgeistlicher.

Von dorten soll sie in das fernste Land?

Sekretär.

Sie führt ein günst’ger Wind sogleich davon.

Weltgeistlicher.

Und hier auf ewig gelte sie für tot!

Sekretär.

Auf deiner Fabel Vortrag kommt es an.

Weltgeistlicher.

Der Irrtum soll im ersten Augenblick

Auf alle künft’ge Zeit gewaltig wirken.

An ihrer Gruft, an ihrer Leiche soll

Die Phantasie erstarren. Tausendfach

Zerreiß’ ich das geliebte Bild und grabe

Dem Sinne des entsetzten Hörenden

Mit Feuerzügen dieses Unglück ein.

Sie ist dahin für alle, sie verschwindet

Ins Nichts der Asche. Jeder kehret schnell

Den Blick zum Leben und vergisst im Taumel

Der treibenden Begierden, dass auch sie

Im Reihen der Lebendigen geschwebt.

Sekretär.

Du trittst mit vieler Kühnheit ans Geschäft;

Besorgst du keine Reue hintennach?

Weltgeistlicher.

Welch eine Frage tust du? Wir sind fest!

Sekretär.

Ein innres Unbehagen fügt sich oft

Auch wider unsern Willen an die Tat.

Weltgeistlicher.

Was hör’ ich? Du bedenklich? Oder willst

Du mich nur prüfen, ob es euch gelang,

Mich, euren Schüler, völlig auszubilden?

Sekretär.

Das Wichtige bedenkt man nie genug.

Weltgeistlicher.

Bedenke man, eh’ noch die Tat beginnt.

Sekretär.

Auch in der Tat ist Raum für Überlegung.

Weltgeistlicher.

Für mich ist nichts zu überlegen mehr!

Da wär’ es Zeit gewesen, als ich noch

Im Paradies beschränkter Freuden weilte,

Als, von des Gartens engem Hag umschlossen,

Ich selbst gesäte Bäume selber pfropfte,

Aus wenig Beeten meinen Tisch versorgte,

Als noch Zufriedenheit im kleinen Hause

Gefühl des Reichtums über alles goss,

Und ich nach meiner Einsicht zur Gemeinde

Als Freund, als Vater aus dem Herzen sprach,

Dem Guten fördernd meine Hände reichte,

Dem Bösen wie dem Übel widerstritt.

O hätte damals ein wohltät’ger Geist

Vor meiner Türe dich vorbei gewiesen,

An der du müde, durstig von der Jagd

Zu klopfen kamst; mit schmeichlerischem Wesen,

Mit süßem Wort mich zu bezaubern wusstest.

Der Gastfreundschaft geweihter, schöner Tag,

Er war der letzte rein genossnen Friedens.

Sekretär.

Wir brachten dir so manche Freude zu.

Weltgeistlicher.

Und dranget mir so manch Bedürfnis auf.

Nun war ich arm, als ich die Reichen kannte;

Nun war ich sorgenvoll, denn mir gebrach’s;

Nun hatt’ ich Not, ich brauchte fremde Hilfe.

Ihr wart mir hilfreich, teuer büß’ ich das.

Ihr nahmt mich zum Genossen eures Glücks,

Mich zum Gesellen eurer Taten auf.

Zum Sklaven, sollt’ ich sagen, dingtet ihr

Den sonst so freien, jetzt bedrängten Mann.

Ihr lohnt ihm zwar, doch immer noch versagt

Ihr ihm den Lohn, den er verlangen darf.

Sekretär.

Vertraue, dass wir dich in kurzer Zeit

Mit Gütern, Ehren, Pfründen überhäufen.

Weltgeistlicher.

Das ist es nicht, was ich erwarten muss.

Sekretär.

Und welche neue Fordrung bildest du?

Weltgeistlicher.

Als ein gefühllos Werkzeug braucht ihr mich

Auch diesmal wieder. Dieses holde Kind

Verstoßt ihr aus dem Kreise der Lebend’gen;

Ich soll die Tat beschönen, sie bedecken,

Und ihr beschließt, begeht sie ohne mich.

Von nun an fordr’ ich, mit im Rat zu sitzen,

Wo Schreckliches beschlossen wird, wo jeder,

Auf seinen Sinn, auf seine Kräfte stolz,

Zum unvermeidlich Ungeheuren stimmt.

Sekretär.

Dass du auch diesmal dich mit uns verbunden,

Erwirbt aufs neue dir ein großes Recht.

Gar manch Geheimnis wirst du blad vernehmen;

Dahin gedulde dich und sei gefasst.

Weltgeistlicher.

Ich bin’s und bin noch weiter, als ihr denkt;

In eure Pläne schaut’ ich längst hinein.

Der nur verdient geheimnisvolle Weihe,

Der ihr durch Ahnung vorzugreifen weiß.

Sekretär.

Was ahnest du? Was weißt du?

Weltgeistlicher.

Lass uns das

Auf ein Gespräch der Mitternacht versparen.

O dieses Mädchens trauriges Geschick

Verschwindet, wie ein Bach im Ozean,

Wenn ich bedenke, wie verborgen ihr

Zu mächtiger Parteigewalt euch hebt

Und an die Stelle der Gebietenden

Mit frecher List euch einzudrängen hofft.

Nicht ihr allein; denn andre streben auch,

Euch widerstrebend, nach demselben Zweck.

So untergrabt ihr Vaterland und Thron;

Wer soll sich retten, wenn das Ganze stürzt?

Sekretär.

Ich höre kommen! Tritt hier an die Seite!

Ich führe dich zu rechter Zeit herein.

Zweiter Auftritt

Herzog. Sekretär.

Herzog.

Unsel’ges Licht! Du rufst mich auf zum Leben,

Mich zum Bewusstsein dieser Welt zurück

Und meiner selbst. Wie öde, hohl und leer

Liegt alles vor mir da, und ausgebrannt,

Ein großer Schutt, die Stätte meines Glücks.

Sekretär.

Wenn jeder von den Deinen, die um dich

In dieser Stunde leiden, einen Teil

Von deinen Schmerzen übertragen könnte,

Du fühltest dich erleichtert und gestärkt.

Herzog.

Der Schmerz um Liebe, wie die Liebe, bleibt

Unteilbar und unendlich. Fühl’ ich doch,

Welch ungeheures Unglück den betrifft,

Der seines Tags gewohntes Gut vermisst.

Warum o! Lasst ihr die bekannten Wände

Mit Farb’ und Gold mir noch entgegen scheinen,

Die mich an gestern, mich an ehegestern,

An jenen Zustand meines vollen Glücks

Mich kalt erinnern. O warum verhüllet

Ihr nicht Gemach und Saal mit schwarzem Krepp!

Dass, finster wie mein Innres, auch von außen

Ein ewig nächt’ger Schatten mich umfange.

Sekretär.

O möchte doch das Viele, das dir bleibt,

Nach dem Verlust als etwas dir erscheinen.

Herzog.

Ein geistverlassner körperlicher Traum!

Sie war die Seele dieses ganzen Hauses.

Wie schwebte beim Erwachen sonst das Bild

Des holden Kindes dringend mir entgegen!

Hier fand ich oft ein Blatt von ihrer Hand,

Ein geistreich, herzlich Blatt zum Morgengruß.

Sekretär.

Wie drückte nicht der Wunsch, dich zu ergötzen,

Sich dichtrisch oft in frühen Reimen aus.

Herzog.

Die Hoffnung, sie zu sehen, gab den Stunden

Des mühevollen Tags den einz’gen Reiz.

Sekretär.

Wie oft bei Hindernis und Zögrung hat

Man ungeduldig, wie nach der Geliebten

Den raschen Jüngling, dich nach ihr gesehn.

Herzog.

Vergleiche doch die jugendliche Glut,

Die selbstischen Besitz verzehrend hascht,

Nicht dem Gefühl des Vaters, der entzückt,

In heil’gem Anschaun stille hingegeben,

Sich an Entwicklung wunderbarer Kräfte,

Sich an der Bildung Riesenschritten freut.

Der Liebe Sehnsucht fordert Gegenwart;

Doch Zukunft ist des Vaters Eigentum.

Dort liegen seiner Hoffnung weite Felder,

Dort seiner Saaten keimender Genuss.

Sekretär.

O Jammer! Diese grenzenlose Wonne,

Dies ewig frische Glück verlorst du nun.

Herzog.

Verlor ich’s? War es doch im Augenblick

Vor meiner Seele noch im vollen Glanz.

Ja, ich verlor’s! Du rufst’s, Unglücklicher,

Die öde Stunde ruft mir’s wieder zu.

Ja, ich verlor’s! So strömt, ihr Klagen, denn!

Zerstöre, Jammer, diesen festen Bau,

Den ein zu günstig Alter noch verschont.

Verhasst sei mir das Bleibende, verhasst,

Ws mir in seiner Dauer Stolz erscheint;

Erwünscht, was fließt und schwankt. Ihr Fluten, schwellt,

Zerreißt die Dämme, wandelt Land in See!

Eröffne deine Schlünde, wildes Meer!

Verschlinge Schiff und Mann und Schätze! Weit

Verbreitet euch, ihr kriegerischen Reihen,

Und häuft auf blut’gen Fluren Tod auf Tod!

Entzünde, Strahl des Himmels, dich im Leeren

Und triff der kühnen Türme sichres Haupt!

Zertrümmr’, entzünde sie und geißle weit

Im Stadtgedräng’ der Flamme Wut umher,

Dass ich, von allem Jammer rings umfangen,

Dem Schicksal mich ergebe, das mich traf!

Sekretär.

Das ungeheuer Unerwartete

Bedrängt dich fürchterlich, erhabner Mann.

Herzog.

Wohl unerwartet kam’s, nicht ungewarnt.

In meinen Armen ließ ein guter Geist

Sie von den Toten wieder auferstehn

Und zeigte mir gelind, vorübereilend,

Ein Schreckliches, nun ewig Bleibendes.

Da sollt’ ich strafen die Verwegenheit,

Dem Übermut mich scheltend widersetzen,

Verbieten jene Raserei, die, sich

Unsterblich, unverwundbar wähnend, blind,

Wetteifern mit dem Vogel, sich durch Wald

Und Fluss und Sträuche von dem Felsen stürzt.

Sekretär.

Was oft und glücklich unsre Besten tun,

Wie sollt’ es dir des Unglücks Ahnung bringen?

Herzog.

Die Ahnung dieser Leiden fühlt’ ich wohl,

Als ich zum letzten Mal – Zum letzten Mal!

Du sprichst es aus, das fürchterliche Wort,

Das deinen Weg mit Finsternis umzieht.

O hätt’ ich sie nur einmal noch gesehn!

Vielleicht war dieses Unglück abzuleiten.

Ich hätte flehentlich gebeten, sie als Vater

Zum treulichsten ermahnt, sich mir zu schonen,

Und von der Wut tollkühner Reiterei

Um unsres Glückes willen abzustehn.

Ach, diese Stunde war mir nicht gegönnt.

Und nun vermiss’ ich mein geliebtes Kind!

Sie ist dahin! Verwegner ward sie nur

Durch jenen Sturz, dem sie so leicht entrann.

Und niemand, sie zu warnen, sie zu leiten!

Entwachsen war sie dieser Frauenzucht.

In welchen Händen ließ ich solchen Schatz?

Verzärtelnden, nachgieb’gen Weiberhänden.

Kein festes Wort, den Willen meines Kinds

Zu mäßiger Vernünftigkeit zu lenken!

Zur unbedingten Freiheit ließ man ihr,

Zu jedem kühnen Wagnis offnes Feld.

Ich fühlt’ es oft und sagt’ es mir nicht klar:

Bei diesem Weibe war sie schlecht verwahrt.

Sekretär.

O tadle nicht die Unglückselige!

Vom tiefsten Schmerz begleitet, irrt sie nun,

Wer weiß, in welche Lande, trostlos hin.

Sie ist entflohn. Denn wer vermöchte dir

Ins Angesicht zu sehen, der auch nur

Den fernsten Vorwurf zu befürchten hätte.

Herzog.

O lass mich ungerecht auf andre zürnen,

Dass ich mich nicht verzweifelnd selbst zerreiße!

Wohl trag’ ich selbst die Schuld und trag’ sie schwer.

Denn rief ich nicht mit törigem Beginnen

Gefahr und Tod auf dieses teure Haupt?

Sie überall zu sehn als Meisterin,

Das war mein Stolz! Zu teuer büß’ ich ihn.

Zu Pferde sollte sie, im Wagen sie,

Die Rosse bändigend, als Heldin glänzen.

Ins Wasser tauchend, schwimmend schien sie mir

Den Elementen göttlich zu gebieten.

So, hieß es, kann sie jeglicher Gefahr

Dereinst entgehen. Statt sie zu bewahren,

Gibt Übung zur Gefahr den Tod ihr nun.

Sekretär.

Des edlen Pflichtgefühles Übung gibt,

Ach! Unsrer Unvergesslichen den Tod.

Herzog.

Erkläre dich!

Sekretär.

Und weck’ ich diesen Schmerz

Durch Schildrung kindlich edlen Unternehmens?

Ihr alter, erster, hoch geliebter Freund

Und Lehrer wohnt, von dieser Stadt entfernt,

Verschränkt in Trübsinn, Krankheit, Menschenhass.

Nur sie allein vermocht’ ihn zu erheitern;

Als Leidenschaft empfand sie diese Pflicht;

Nur allzu oft verlangte sie hinüber,

Und oft versagte man’s. Nun hatte sie’s

Planmäßig angelegt; sie nutzte kühn

Des Morgenrittes abgemessne Stunden

Mit ungeheurer Schnelligkeit zum Zweck,

Den alten, viel geliebten Mann zu sehn.

Ein einz’ger Reitknecht nur war im Geheimnis,

Er unterlegt’ ihr jedes Mal das Pferd,

Wie wir vermuten; denn auch er ist fort.

Der arme Mensch und jene Frau verloren

Aus Furcht vor dir sich in die weite Welt.

Herzog.

Die Glücklichen, die noch zu fürchten haben,

Bei denen sich der Schmerz um ihres Herrn

Verlornes Heil in leicht verwundene,

In leicht gehobne Bangigkeit verwandelt!

Ich habe nichts zu fürchten! Nichts zu hoffen!

Drum lass mich alles wissen; zeige mir

Den kleinsten Umstand an! Ich bin gefasst.

Dritter Auftritt

Herzog. Sekretär. Weltgeistlicher.

Sekretär.

Auf diesen Augenblick, verehrter Fürst,

Hab’ ich hier einen Mann zurückgehalten,

Der, auch gebeugt, vor deinem Blick erscheint.

Es ist der Geistliche, der aus der Hand

Des Todes deine Tochter aufgenommen

Und sie, da keiner Hilfe Trost sich zeigte,

Mit liebevoller Sorgfalt beigesetzt.

Vierter Auftritt

Herzog. Weltgeistlicher.

Weltgeistlicher.

Den Wunsch, vor deinem Antlitz zu erscheinen,

Erhabner Fürst, wie lebhaft hegt’ ich ihn!

Nun wird er mir gewährt im Augenblick,

Der dich und mich in tiefen Jammer senkt.

Herzog.

Auch so willkommen, unwillkommner Bote!

Du hast sie noch gesehn, den letzten Blick,

Den sehnsuchtsvollen, dir ins Herz gefasst,

Das letzte Wort bedächtig aufgenommen,

Dem letzten Seufzer Mitgefühl erwidert.

O sage: Sprach sie noch? Was sprach sie aus?

Gedachte sie des Vaters? Bringst du mir

Von ihrem Mund ein herzlich Lebewohl?

Weltgeistlicher.

Willkommen scheint ein unwillkommner Bote,

Solang er schweigt und noch der Hoffnung Raum,

Der Täuschung Raum in unserm Herzen gibt.

Der ausgesprochne Jammer ist verhasst.

Herzog.

Was zauderst du? Was kann ich mehr erfahren?

Sie ist dahin! Und diesen Augenblick

Ist über ihrem Sarge Ruh’ und Stille.

Was sie auch litt, es ist für sie vorbei,

Für mich beginnt es; aber rede nur!

Weltgeistlicher.

Ein allgemeines Übel ist der Tod.

So denke dir das Schicksal deiner Toten,

Und finster wie des Grabes Nacht verstumme

Der Übergang, der sie hinabgeführt.

Nicht jeden leitet ein gelinder Gang

Unmerklich in das stille Reich der Schatten.

Gewaltsam schmerzlich reißt Zerstörung oft

Durch Höllenqualen in die Ruhe hin.

Herzog.

So hat sie viel gelitten?

Weltgeistlicher.

Viel, nicht lange.

Herzog.

Es war ein Augenblick, in dem sie litt,

Ein Augenblick, wo sie um Hilfe rief.

Und ich? Wo war ich da? Welch ein Geschäft,

Welch ein Vergnügen hatte mich gefesselt?

Verkündigte mir nichts das Schreckliche,

Das mir das Leben voneinander riss?

Ich hörte nicht den Schrei, ich fühlte nicht

Den Unfall, der mich ohne Rettung traf.

Der Ahnung heil’ges, fernes Mitgefühl

Ist nur ein Märchen. Sinnlich und verstockt,

Ins Gegenwärtige verschlossen, fühlt

Der Mensch das nächste Wohl, das nächste Weh,

Und Liebe selbst ist in der Ferne taub.

Weltgeistlicher.

Soviel auch Worte gelten, fühl’ ich doch,

Wie wenig sie zum Troste wirken können.

Herzog.

Das Wort verwundet leichter, als es heilt.

Und ewig wiederholend strebt vergebens

Verlornes Glück der Kummer herzustellen.

So war denn keine Hilfe, keine Kunst

Vermögend, sie ins Leben aufzurufen?

Was hast du, sage mir, begonnen? Was

Zu ihrem Heil versucht? Du hast gewiss

Nichts unbedacht gelassen.

Weltgeistlicher.

Leider war

Nichts zu bedenken mehr, als ich sie fand.

Herzog.

Und soll ich ihres Lebens holde Kraft

Auf ewig missen! Lass mich meinen schmerz

Durch meinen Schmerz betrügen, diese Reste

Verewigen. O komm! Wo liegen sie?

Weltgeistlicher.

In würdiger Kapelle steht ihr Sarg

Allein verwahrt. Ich sehe vom Altar

Durchs Gitter jedes Mal die Stätte, will

Für sie, solang ich lebe, betend flehen.

Herzog.

O komm und führe mich dahin! Begleiten

Soll uns der Ärzte viel erfahrenster.

Lass uns den schönen Körper der Verwesung

Entreißen! Lass mit edlen Spezereien

Das unschätzbare Bild zusammenhalten!

Ja! Die Atomen alle, die sich einst

Zur köstlichen Gestalt versammelten,

Sie sollen nicht ins Element zurück.

Weltgeistlicher.

Was darf ich sagen? Muss ich dir bekennen!

Du kannst nicht hin! Ach! Das zerstörte Bild!

Kein Fremder säh’ es ohne Jammer an!

Und vor die Augen eines Vaters – Nein,

Verhüt’ es Gott! Du darfst sie nicht erblicken.

Herzog.

Welch neuer Qualenkrampf bedroht mich!

Weltgeistlicher.

O lass mich schweigen, dass nicht meine Worte

Auch die Erinnrung der Verlornen schänden!

Lass mich verhehlen, wie sie durchs Gebüsch,

Durch Felsen hergeschleift, entstellt und blutig,

Zerrissen und zerschmettert und zerbrochen,

Unkenntlich, mir im Arm zur Erde hing.

Da segnet’ ich, von Tränen überfließend,

Der Stunde Heil, in der ich feierlich

Dem holden Vaternamen einst entsagt.

Herzog.

Du bist nicht Vater! Bist der selbstischen

Verstockten, der Verkehrten einer, die

Ihr abgeschlossnes Wesen unfruchtbar

Verzweifeln lässt. Entferne dich! Verhasst

Erscheinet mir dein Anblick.

Weltgeistlicher.

Fühlt’ ich’s doch!

Wer kann dem Boten solcher Not verzeihn?

(Will sich entfernen.)

Herzog.

Vergib und bleib. Ein schön entworfnes Bild,

Das wunderbar dich selbst zum zweiten Mal

Vor deinen Augen zu erschaffen strebt,

Hast du entzückt es jemals angestaunt?

O hättest du’s! Du hättest diese Form,

Die sich zu meinem Glück, zur Lust der Welt

In tausendfält’gen Zügen auferbaut,

Mir grausam nicht zerstümmelt, mir die Wonne

Der traurigen Erinnrung nicht verkümmert.

Weltgeistlicher.

Was sollt’ ich tun? Dich zu dem Sarge führen,

Den tausend fremde Tränen schon benetzt,

Als ich das morsche, schlotternde Gebein

Zu ruhiger Verwesung eingeweiht?

Herzog.

Schweig, Unempfindlicher! Du mehrest nur

Den herben Schmerz, den du zu lindern denkst.

O! Wehe! Dass die Elemente nun,

Von keinem Geist der Ordnung mehr beherrscht,

Im leisen Kampf das Götterbild zerstören.

Wenn über werdend Wachsendem vorher

Der Vatersinn mit Wonne brütend schwebte,

So stockt, so kehrt in Moder nach und nach

Vor der Verzweiflung Blick die Lust des Lebens.

Weltgeistlicher.

Was Lust und Licht Zerstörliches erbaut,

Bewahret lange das verschlossne Grab.

Herzog.

O weiser Brauch der Alten, das Vollkommne,

Das ernst und langsam die Natur geknüpft,

Des Menschenbilds erhabne Würde, gleich

Wenn sich der Geist, der wirkende, getrennt,

Durch reiner Flammen Tätigkeit zu lösen!

Und wenn die Glut mit tausend Gipfeln sich

Zum Himmel hob und zwischen Dampf und Wolken,

Des Adlers Fittich deutend sich bewegte,

Da trocknete die Träne, freier Blick

Der Hinterlassnen stieg dem neuen Gott

In des Olymps verklärte Räume nach.

O sammle mir in köstliches Gefäß

Der Asche, der Gebeine trüben Rest,

Dass die vergebens ausgestreckten Arme

Nur etas fassen, dass ich dieser Brust,

Die sehnsuchtsvoll sich in das Leere drängt,

Den schmerzlichsten Besitz entgegendrücke.

Westgeistlicher.

Die Trauer wird durch Trauern immer herber.

Herzog.

Durch Trauern wird die Trauer zum Genuss.

O dass ich doch geschwundner Asche Rest,

Im kleinen Hause, wandernd, immer weiter,

Bis zu dem Ort, wo ich zuletzt sie sah,

Als Büßender mit kurzen Schritten trüge!

Dort lag sie tot in meinen Armen, dort

Sah ich, getäuscht, sie in das Leben kehren.

Ich glaubte, sie zu fassen, sie zu halten,

Und nun ist sie auf ewig mir entrückt.

Dort aber will ich meinen Schmerz verew’gen.

Ein Denkmal der Genesung hab’ ich dort

In meines Traums Entzückungen gelobt –

Schon führet klug des Gartenmeisters Hand

Durch Busch und Fels bescheidne Wege her,

Schon wird der Platz gerundet, wo mein König

Als Oheim sie an seine Brust geschlossen,

Und ebenmaß und Ordnung will den Raum

Verherrlichen, der mich so hoch beglückt.

Doch jede Hand soll feiern! Halb vollbracht

Soll dieser Plan wie mein Geschick erstarren!

Das Denkmal nur, ein Denkmal will ich stiften,

Von rauen Steinen ordnungslos getürmt,

Dorthin zu wallen, stille zu verweilen,

Bis ich vom Leben endlich selbst genese.

O lasst mich dort, versteint, am Steine ruhn,

Bis aller Sorgfalt lichtgezogne Spur

Aus dieser Wüste Trauersitz verschwindet!

Mag sich umher der freie Platz berasen,

Mag sich der Zweig dem Zweige wild verflechten,

Der Birke hangend Haar den Boden schlagen,

Der junge Busch zum Baume sich erheben,

Mit Moos der glatte Stamm sich überziehn;

Ich fühle keine Zeit; denn sie ist hin,

An deren Wachstum ich die Jahre maß.

Weltgeistlicher.

Den viel bewegten Reiz der Welt zu meiden,

Das Einerlei der Einsamkeit zu wählen,

Wird sich’s der Mann erlauben, der sich oft

Wohltätiger Zerstreuung übergab,

Wenn Unerträgliches, mit Felsenlast

Herbei sich wälzend, ihn bedrohend, schlich?

Hinaus! Mit Flügelschnelle durch das Land,

Durch fremde Reiche, dass vor deinem Sinn

Der Erde Bilder heilend sich bewegen.

Herzog.

Was hab’ ich in der Welt zu suchen, wenn

Ich sie nicht wieder finde, die allein

Ein Gegenstand für meine Blicke war?

Soll Fluss und Hügel, Tal und Wald und Fels

Vorüber meinen Augen gehen und nur

Mir das Bedürfnis wecken, jenes Bild,

Das einzige geliebte, zu erhaschen?

Vom hohen Berg hinab, ins weite Meer,

Was soll für mich ein Reichtum der Natur,

Der an Verlust und Armut mich erinnert!

Weltgeistlicher.

Und neue Güter eignest du dir an!

Herzog.

Nur durch der Jugend frisches Auge mag

Das längst Bekannte neubelebt uns rühren,

Wenn das Erstaunen, das wir längst verschmäht,

Von Kindes Munde hold uns widerklingt.

So hofft’ ich, ihr des Reichs bebaute Flächen,

Der Wälder Tiefen, der Gewässer Flut

Bis an das offne Meer zu zeigen, dort

Mich ihres trunknen Blicks ins Unbegrenzte

Mit unbegrenzter Liebe zu erfreun.

Weltgeistlicher.

Wenn du, erhabner Fürst, des großen Lebens

Beglückte Tage der Beschauung nicht

Zu widmen trachtetest, wenn Tätigkeit

Fürs Wohl Unzähliger am Throne dir

Zum Vorzug der Geburt den herrlichern

Des allgemeinen, edlen Wirkens gab,

So ruf’ ich dich im Namen aller auf:

Ermanne dich! Und lass die trüben Stunden,

Die deinen Horizont umziehn, für andre,

Durch Trost und Rat und Hilfe, lass für dich

Auch diese Stunden so zum Feste werden.

Herzog.

Wie schal und abgeschmackt ist solch ein Leben,

Wenn alles Regen, alles Treiben stets

Zu neuem Regen, neuem Treiben führt

Und kein geliebter Zweck euch endlich lohnt.

Den sah ich nur in ihr, und so besaß

Und so erwarb ich mit Vergnügen, ihr

Ein kleines Reich anmut’gen Glücks zu schaffen.

So war ich heiter, aller Menschen Freund,

Behilflich, wach, zu Rat und Tat bequem.

Den Vater lieben sie! So sagt’ ich mir,

Dem Vater danken sie’s und werden auch

Die Tochter einst als werte Freundin grüßen.

Weltgeistlicher.

Zu süßen Sorgen bleibt nun keine Zeit!

Ganz andre fordern dich, erhabner Mann!

Darf ich’s erwähnen? Ich, der unterste

Von deinen Dienern? Jeder ernste Blick

In diesen trüben Tagen ist auf dich,

Auf deinen Wert, auf deine Kraft gerichtet.

Herzog.

Der Glückliche nur fühlt sich Wert und Kraft.

Weltgeistlicher.

So tiefer Schmerzen heiße Qual verbürgt

Dem Augenblick unendlichen Gehalt,

Mir aber auch Verzeihung, wenn sich kühn

Vertraulichkeit von meinen Lippen wagt.

Wie heftig wilde Gärung unten kocht,

Wie Schwäche kaum sich oben schwankend hält;

Nicht jedem wird es klar, dir aber ist’s

Mehr als der Menge, der ich angehöre.

O zaudre nicht, im nahen Sturmgewitter

Das falsch gelenkte Steuer zu ergreifen!

Zum Wohle deines Vaterlands verbanne

Den eignen Schmerz; sonst werden tausend Väter

Wie du um ihre Kinder weinen, tausend

Und aber tausend Kinder ihre Väter

Vermissen, Angstgeschrei der Mütter grässlich

An hohler Kerkerwand verklingend hallen.

O bringe deinen Jammer, deinen Kummer

Auf dem Altar des allgemeinen Wohls

Zum Opfer dar, und alle, die zu rettest,

Gewinnst du dir als Kinder zum Ersatz.

Herzog.

Aus grauenvollen Winkeln führe nicht

Mir der Gespenster dichte Schar heran,

Die meiner Tochter liebliche Gewalt

Mir zaubrisch oft und leicht hinweggebannt.

Sie ist dahin, die schmeichlerische Kraft,

Die meinen Geist in holde Träume sang.

Nun drängt das Wirkliche mit dichten Massen

An mich heran und droht, mich zu erdrücken.

Hinaus, hinaus! Von dieser Welt hinweg!

Und lügt mir nicht das Kleid, in dem du wandelst,

So führe mich zur Wohnung der Geduld,

Ins Kloster führe mich und lass mich dort,

Im allgemeinen Schweigen, stumm, gebeugt,

Ein müdes Leben in die Grube senken.

Weltgeistlicher.

Mir ziemt es kaum, dich an die Welt zu weisen;

Doch andre Worte sprech’ ich kühner aus.

Nicht in das Grab, nicht übers Grab verschwendet

Ein edler Mann der Sehnsucht hohen Wert.

Er kehrt in sich zurück und findet staunend

In seinem Busen das Verlorene wieder.

Herzog.

Dass ein Besitz so fest sich hier erhält,

Wenn das Verlorne fern und ferner flieht,

Das ist die Qual, die das geschiedene,

Für ewig losgerissne Glied aufs neue

Dem Schmerz ergriffnen Körper fügen will.

Getrenntes Leben, wer vereinigt’s wieder?

Vernichtetes, wer stellt es her?

Weltgeistlicher.

Der Geist!

Des Menschen Geist, dem nichts verloren geht,

Was er von Wert mit Sicherheit besessen.

So lebt Eugenie vor dir, sie lebt

In deinem Sinne, den sie sonst erhub,

Dem sie das Anschaun herrlicher Natur

Lebendig aufgeregt; so wirkt sie noch

Als hohes Vorbild, schützet vor Gemeinem,

Vor Schlechtem dich, wie’s jede Stunde bringt,

Und ihrer Würde wahrer Glanz verscheuchet

Den eitlen Schein, der dich bestechen will.

So fühle dich durch ihre Kraft beseelt!

Und gib ihr so ein unzerstörlich Leben,

Das keine Macht entreißen kann, zurück.

Herzog.

Lass eines dumpfen, dunklen Traumgeflechtes

Verworrne Todesnetze mich zerreißen!

Und bleibe mir, du vielgeliebtes Bild,

Vollkommen, ewig jung und ewig gleich!

Lass deiner klaren Augen reines Licht

Mich immerfort umglänzen! Schwebe vor,

Wohin ich wandle, zeige mir den Weg

Durch dieser Erde Dornenlabyrinth!

Du bist kein Traumbild, wie ich dich erblicke;

Du warst, du bist. Die Gottheit hatte dich

Vollendet einst gedacht und dargestellt.

So bist du teilhaft des Unendlichen,

Des Ewigen, und bist auf ewig mein.

 
 * 

Vierter Aufzug

(Platz am Hafen. Zur einen Seite ein Palast, auf der andern eine Kirche, im Grund eine Reihe Bäume, durch die man nach dem Hafen hinab sieht.)

Erster Auftritt

Eugenie, in einen Schleier gehüllt, auf einer Bank im Grunde, mit dem Gesicht nach der See. Hofmeisterin, Gerichtsrat im Vordergrunde.

Hofmeisterin.

Drängt unausweichlich ein betrübt Geschäft

Mich aus dem Mittelpunkt des Reiches, mich

Aus dem Bezirk der Hauptstadt an die Grenze

Des festen Lands zu diesem Hafenplatz,

So folgt mir streng die Sorge, Schritt vor Schritt,

Und deutet mir bedenklich in die Weite.

Wie müssen Rat und Anteil eines Manns,

Der allen edel, zuverlässig gilt,

Mir als ein Leitstern wonniglich erscheinen!

Verzeih daher, wenn ich mit diesem Blatt,

Das mich zu solcher schweren Tat berechtigt,

Zu dir mich wendend komme, den so lange

Man im Gericht, wo viel Gerechte wirken,

Erst pries als Beistand, nun als Richter preist.

Gerichtsrat (der indessen das Blatt nachdenkend angesehen).

Nicht mein Verdienst, nur mein Bemühen war

Vielleicht zu preisen. Sonderbar jedoch

Will es mich dünken, dass du eben diesen,

Den du gerecht und edel nennen willst,

In solcher Sache fragen, ihm getrost

Solch ein Papier vors Auge dringen magst,

Worauf er nur mit Schauder blicken kann.

Nicht ist von Recht, noch von Gericht die Rede;

Hier ist Gewalt! Entsetzliche Gewalt,

Selbst wenn sie klug, selbst wenn sie weise handelt.

Anheim gegeben ward ein edles Kind,

Auf Tod und Leben, sag’ ich wohl zu viel?

Anheim gegeben deiner Willkür. Jeder,

Sei er Beamter, Kriegsmann, Bürger, alle

Sind angewiesen, dich zu schützen, sie

Nach deines Worts Gesetzen zu behandeln.

(Er gibt das Blatt zurück.)

Hofmeisterin.

Auch hier beweise dich gerecht und lass

Nicht dies Papier allein als Kläger sprechen,

Auch mich, die hart Verklagte, höre nun

Und meinen offnen Vortrag günstig an.

Aus edlem Blut entspross die Treffliche;

Von jeder Gabe, jeder Tugend schenkt’

Ihr die Natur den allerschönsten Teil,

Wenn das Gesetz ihr andre Rechte weigert.

Und nun verbannt! Ich sollte sie dem Kreise

Der Ihrigen entführen, sie hierher,

Hinüber nach den Inseln sie geleiten.

Gerichtsrat.

Gewissem Tod entgegen, der im Qualm

Erhitzter Dünste schleichend überfällt.

Dort soll verwelken diese Himmelsblume,

Die Farbe dieser Wange dort verbleichen!

Verschwinden die Gestalt, die sich das Auge

Mit Sehnsucht immer zu erhalten wünscht.

Hofmeisterin.

Bevor du richtest, höre weiter an!

Unschuldig ist, bedarf es wohl Beteurung?

Doch vieler Übel Ursach’ dieses Kind.

Sie als des Haders Apfel warf ein Gott

Erzürnt ins Mittel zwischen zwei Parteien,

Die sich, auf ewig nun getrennt, bekämpfen.

Sie will der eine Teil zum höchsten Glück

Berechtigt wissen, wenn der andre sie

Hinabzudrängen strebt. Entschieden beide! –

Und so umschlang ein heimlich Labyrinth

Verschmitzten wirkens doppelt ihr Geschick,

So schwankte List um List im Gleichgewicht,

Bis ungeduld’ge Leidenschaft zuletzt

Den Augenblick entschiedenen Gewinns

Beschleunigte. Da brach von beiden Seiten

Die Schranke der Verstellung, drang Gewalt,

Dem Staate selbst gefährlich, drohend los,

Und nun, sogleich der Schuld’gen Schuld zu hemmen,

Zu tilgen, trifft ein hoher Götterspruch

Des Kampfs unschuld’gen Anlass, meinen Zögling,

Und reißt, verbannend, mich mit ihm dahin.

Gerichtsrat.

Ich schelte nicht das Werkzeug, rechte kaum

Mit jenen Mächten, die sich solche Handlung

Erlauben können. Leider sind auch sie

Gebunden und gedrängt. Sie wirken selten

Aus freier Überzeugung. Sorge, Furcht

Vor größerm Übel nötiget Regenten

Die nützlich ungerechten Taten ab.

Vollbringe, was du musst, entferne dich

Aus meiner Enge rein gezognem Kreis.

Hofmeisterin.

Den eben such’ ich auf! Da dring’ ich hin!

Dort hoff’ ich Heil! Du wirst mich nicht verstoßen.

Den werten Zögling wünscht’ ich lange schon

Vom Glück zu überzeugen, das im Kreise

Des Bürgerstandes hold genügsam weilt.

Entsagte sie der nicht gegönnten Höhe,

Ergäbe sich des biedern Gatten Schutz

Und wendete von jenen Regionen,

Wo sie Gefahr, Verbannung, Tod umlauern,

Ins Häusliche den liebevollen Blick;

Gelöst wär’ alles, meiner strengen Pflicht

Wär’ ich entledigt, könnt’ im Vaterland

Vertrauter Stunden mich verweilend freuen.

Gerichtsrat.

Ein sonderbar Verhältnis zeigst du mir!

Hofmeisterin.

Dem klug entschlossnen Manne zeig’ ich’s an.

Gerichtsrat.

Du gibst sie frei, wenn sich ein Gatte findet?

Hofmeisterin.

Und reichlich ausgestattet geb’ ich sie.

Gerichtsrat.

So übereilt, wer dürfte sich entschließen?

Hofmeisterin.

Nur übereilt bestimmt die Neigung sich.

Gerichtsrat.

Die Unbekannte wählen wäre Frevel.

Hofmeisterin.

Dem ersten Blick ist sie gekannt und wert.

Gerichtsrat.

Der Gattin Feinde drohen auch dem Gatten.

Hofmeisterin.

Versöhnt ist alles, wenn sie Gattin heißt.

Gerichtsrat.

Und ihr Geheimnis, wird man’s ihm entdecken?

Hofmeisterin.

Vertrauen wird man dem Vertrauenden.

Gerichtsrat.

Und wird sie frei solch einen Bund erwählen?

Hofmeisterin.

Ein großes Übel dränget sie zur Wahl.

Gerichtsrat.

In solchem Fall zu werben, ist es redlich?

Hofmeisterin.

Der Rettende fasst an und klügelt nicht.

Gerichtsrat.

Was forderst du vor allen andern Dingen?

Hofmeisterin.

Entschließen soll sie sich im Augenblick.

Gerichtsrat.

Ist euer Schicksal ängstlich so gesteigert?

Hofmeisterin.

Im Hafen regt sich emsig schon die Fahrt.

Gerichtsrat.

Hast du ihr früher solchen Bund geraten?

Hofmeisterin.

Im allgemeinen deutet’ ich dahin.

Gerichtsrat.

Entfernte sie unwillig den Gedanken?

Hofmeisterin.

Noch war das alte Glück ihr allzu nah.

Gerichtsrat.

Die schönen Bilder, werden sie entweichen?

Hofmeisterin.

Das hohe Meer hat sie hinweggeschreckt.

Gerichtsrat.

Sie fürchtet, sich vom Vaterland zu trennen?

Hofmeisterin.

Sie fürchtet’s, und ich fürcht’ es wie den Tod.

O lass uns, Edler, glücklich Aufgefundner,

Vergebne Worte nicht bedenklich wechseln!

Noch lebt in dir, dem Jüngling, jede Tugend,

Die mächt’gen Glaubens, unbedingter Liebe

Zu nie genug geschätzter Tat bedarf.

Gewiss umgibt ein schöner Kreis dich auch

Von Ähnlichen! Von Gleichen sag’ ich nicht!

O seih dich um in deinem eignen Herzen,

In deiner Freunde Herzen sieh umher,

Und findest du ein überfließend Maß

Von Liebe, von Ergebung, Kraft und Mut,

So werde dem Verdientesten dies Kleinod

Mit stillem Segen heimlich übergeben!

Gerichtsrat.

Ich weiß, ich fühle deinen Zustand, kann

Und mag nicht mit mir selbst bedächtig erst.

Wie Klugheit forderte, zu Rate gehen!

Ich will sie sprechen.

Hofmeisterin (tritt zurück gegen Eugenie).

Gerichtsrat.

Was geschehen soll,

Es wird geschehn! In ganz gemeinen Dingen

Hängt viel von Wahl und Wollen ab; das Höchste,

Was uns begegnet, kommt wer weiß woher.

Zweiter Auftritt

Eugenie. Gerichtsrat.

Gerichtsrat.

Indem du mir, verehrte Schöne, nahst,

So zweifl’ ich fast, ob man mich treu berichtet.

Du bist unglücklich, sagt man; doch du bringst,

Wohin du wandelst, Glück und Heil heran.

Eugenie.

Find’ ich den ersten, dem aus tiefer Not

Ich Blick und Wort entgegen wenden darf,

So mild und edel, als du mir erscheinst;

Dies Angstgefühl, ich hoffe, wird sich lösen.

Gerichtsrat.

Ein viel Erfahrner wäre zu bedauern,

Wär’ ihm das Los gefallen, das dich trifft;

Wie ruft nicht erst bedrängter Jugend Kummer

Die Mitgefühle hilfsbedürftig an!

Eugenie.

So hob ich mich vor kurzem aus der Nacht

Des Todes an des Tages Licht herauf,

Ich wusste nicht, wie mir geschehn! Wie hart

Ein jäher Sturz mich lähmend hingestreckt.

Da rafft’ ich mich empor, erkannte wieder

Die schöne Welt, ich sah den Arzt bemüht,

Die Flamme wieder anzufachen, fand

In meines Vaters liebevollem Blick,

An seinem Ton mein Leben wieder. Nun

Zum zweiten Mal, von einem jähern Sturz,

Erwach’ ich! Fremd und schattengleich erscheint

Mir die Umgebung, mir der Menschen Wandeln,

Und deine Milde selbst ein Traumgebild.

Gerichtsrat.

Wenn Fremde sich in unsre Lage fühlen,

Sind sie wohl näher als die Nächsten, die

Oft unsern Gram als wohlbekanntes Übel

Mit lässiger Gewohnheit übersehn.

Dein Zustand ist gefährlich! Ob er gar

Unheilbar sei, wer wagt es zu entscheiden!

Eugenie.

Ich habe nichts zu sagen! Unbekannt

Sind mir die Mächte, die mein Elend schufen.

Du hast das Weib gesprochen, jene weiß;

Ich dulde nur dem Wahnsinn mich entgegen.

Gerichtsrat.

Was auch der Obermacht gewalt’gen Schluss

Auf dich herab gerufen, leichte Schuld,

Ein Irrtum, den der Zufall schädlich leitet;

Die Achtung bleibt, die Neigung spricht für dich.

Eugenie.

Des reinen Herzens traulich mir bewusst,

Sinn’ ich der Wirkung kleiner Fehler nach.

Gerichtsrat.

Auf ebnem Boden straucheln ist ein Scherz,

Ein Fehltritt stürzt vom Gipfel dich herab.

Eugenie.

Auf jenen Gipfeln schwebt’ ich voll Entzücken,

Der Freunde Übermaß verwirrte mich.

Das nahe Glück berührt’ ich schon im Geist,

Ein köstlich Pfand lag schon in meinen Händen.

Nur wenig Ruhe! Wenige Geduld!

Und alles war, so darf ich glauben, mein.

Doch übereilt’ ich’s, überließ mich rasch

Zudringlicher Versuchung. – War es das? –

Ich sah, ich sprach, was mir zu sehn, zu sprechen

Verboten war. Wird ein so leicht Vergehn

So hart bestraft? Ein lässlich scheinendes,

Scherzhafter Probe gleichendes Verbot,

Verdammt’s den Übertreter ohne Schonung?

O, so ist’s wahr, was uns der Völker Sagen

Unglaublich überliefern! Jenes Apfels

Leichtsinnig augenblicklicher Genuss

Hat aller Welt unendlich Weh verschuldet.

So ward auch mir ein Schlüssel anvertraut!

Verbotne Schätze wagt’ ich aufzuschließen,

Und aufgeschlossen hab’ ich mir das Grab.

Gerichtsrat.

Des Übels Quelle findest du nicht aus,

Und aufgefunden fließt sie ewig fort.

Eugenie.

In kleinen Fehlern such’ ich’s, gebe mir

Aus eitlem Wahn die Schuld so großer Leiden.

Nur höher, höher wende den Verdacht!

Die beiden, denen ich mein ganzes Glück

Zu danken hoffte, die erhabnen Männer,

Zum Scheine reichten sie sich Hand um Hand.

Der innre Zwist unsicherer Parteien,

Der nur in düstern Höhlen sich geneckt,

Er bricht vielleicht ins Freie bald hervor!

Und was mich erst als Furcht und Sorg’ umgeben,

Entscheidet sich, indem es mich vernichtet,

Und droht Vernichtung aller Welt umher.

Gerichtsrat.

Du jammerst mich! Das Schicksal einer Welt

Verkündest du nach deinem Schmerzgefühl.

Und schien dir nicht die Erde froh und glücklich,

Als du, ein heitres Kind, auf Blumen schrittest?

Eugenie.

Wer hat es reizender als ich gesehn,

Der Erde Glück mit allen seinen Blüten.

Ach, alles um mich her, es war so reich,

So voll und rein, und was der Mensch bedarf,

Es schien zur Lust, zum Überfluss gegeben.

Und wem verdankt’ ich solch ein Paradies?

Der Vaterliebe dankt’ ich’s, die, besorgt

Ums Kleinste, wie ums Größte, mich verschwendrisch

Mit Prachtgenüssen zu erdrücken schien

Und meinen Körper, meinen Geist zugleich,

Ein solches Wohl zu tragen, bildete.

Wenn alles weichlich Eitle mich umgab,

Ein wonniges Behagen mir zu schmeicheln,

So rief mich ritterlicher Trieb hinaus,

Zu Ross und Wagen, mit Gefahr zu kämpfen.

Oft sehnt’ ich mich in ferne Weiten hin,

Nach fremder Lande seltsam neuen Kreisen.

Dorthin versprach der edle Vater mich,

Ans Meer versprach er mich zu führen, hoffte

Sich meines ersten Blicks ins Unbegrenzte

Mit liebevollem Anteil zu erfreun –

Da steh’ ich nun und schaue weit hinaus,

Und enger scheint mich’s, enger zu umschließen.

O Gott, wie schränkt sich Welt und Himmel ein,

Wenn unser Herz in seinen Schranken banget!

Gerichtsrat.

Unselige! Die mir aus deinen Höhen,

Ein Meteor, verderblich niederstreifst

Und meiner Bahn Gesetz berührend störst!

Auf ewig hast du mir den heitren Blick

Ins volle Meer getrübt. Wenn Phöbus nun

Ein feuerwallend Lager sich bereitet,

Und jedes Auge von Entzücken tränt,

Da werd’ ich weg mich wenden, werde dich

Und dein Geschick beweinen. Fern am Rande

Des nachtumgebnen Ozeans erblick’ ich

Mit Not und Jammer deinen Pfad umstrickt!

Entbehrung alles nötig lang Gewohnten,

Bedrängnis neuer Übel, ohne Flucht.

Der Sonne glühendes Geschoss durchdringt

Ein feuchtes, kaum der Flut entrissnes Land.

Um Niederungen schwebet, gift’gen Brodens,

Blaudunst’ger Streifen angeschwollne Pest.

Im Vortod seh’ ich, matt und hingebleicht,

von Tag zu Tag ein Kummerleben schwanken.

O die so blühend, heiter vor mir steht,

Sie soll so früh langsamen Tods verschwinden!

Eugenie.

Entsetzen rufst du mir hervor! Dorthin?

Dorthin verstößt man mich! In jenes Land,

Als Höllenwinkel mir von Kindheit auf

In grauenvollen Zügen dargestellt.

Dorthin, wo sich in Sümpfen Schlang’ und Tiger

Durch Rohr und Dorngeflechte tückisch drängen,

Wo, peinlich quälend, als belebte Wolken

Um Wandrer sich Insektenscharen ziehn,

Wo jeder Hauch des Windes, unbequem

Und schädlich, Stunden raubt und Leben kürzt.

Zu bitten dacht’ ich; flehend siehst du nun

Die Dringende. Du kannst, du wirst mich retten.

Gerichtsrat.

Ein mächtig ungeheurer Talisman

Liegt in den Händen deiner Führerin.

Eugenie.

Was ist Gesetz und Ordnung? Können sie

Der Unschuld Kindertage nicht beschützen?

Wer seid denn ihr, die ihr mit leerem Stolz

Durchs Recht Gewalt zu bänd’gen euch berühmt?

Gerichtsrat.

In abgeschlossnen Kreisen lenken wir

Gesetzlich streng das in der Mittelhöhe

Des Lebens wiederkehrend Schwebende.

Was droben sich in ungemessnen Räumen

Gewaltig seltsam hin und her bewegt,

Belebt und tötet ohne Rat und Urteil,

Das wird nach anderm Maß, nach andrer Zahl

Vielleicht berechnet, bleibt uns rätselhaft.

Eugenie.

Und ist das alles? Hast du weiter nichts

Zu sagen, zu verkünden?

Gerichtsrat.

Nichts!

Eugenie.

Ich glaub’ es nicht!

Ich darf’s nicht glauben.

Gerichtsrat.

Lass, o lass mich fort!

Soll ich als feig, als unentschlossen gelten?

Bedauern, jammern? Soll nicht irgendhin

Mit kühner Hand auf deine Rettung deuten?

Doch läge nicht in dieser Kühnheit selbst

Für mich die grässlichste Gefahr, von dir

Verkannt zu werden? Mit verfehltem Zweck

Als frevelhaft unwürdig zu erscheinen?

Eugenie.

Ich lasse dich nicht los, den mir das Glück,

Mein altes Glück, vertraulich zugesendet.

Mich hat’s von Jugend auf gehegt, gepflegt,

Und nun im rauen Sturme sendet mir’s

Den edlen Stellvertreter seiner Neigung.

Sollt’ ich nicht sehen, fühlen, dass du teil

An mir und meinem Schicksal nimmst? Ich stehe

Nicht ohne Wirkung hier: Du sinnst! Du denkst! –

Im weiten Kreise rechtlicher Erfahrung

Schaust du zu meinen Gunsten um dich her.

Noch bin ich nicht verloren! Ja, du suchst

Ein Mittel, mich zu retten; hast es wohl

Schon ausgefunden! Mir bekennt’s dein Blick,

Dein tiefer, ernster, freundlich trüber Blick.

O kehre dich nicht weg! O sprich es aus,

Ein hohes Wort, das mich zu heilen töne!

Gerichtsrat.

So wendet voll Vertrauen zum Arzte sich

Der tief Erkrankte, fleht um Linderung,

Fleht um Erhaltung schwer bedrohter Tage;

Als Gott erscheint ihm der erfahrne Mann.

Doch ach! Ein bitter, unerträglich Mittel

Wird nun geboten. Ach! Soll ihm vielleicht

Der edlen Glieder grausame Verstümmlung,

Verlust statt Heilung angekündigt werden?

Gerettet willst du sein! Zu retten bist du,

Nicht herzustellen. Was du warst, ist hin,

Und was du sein kannst, magst du’s übernehmen?

Eugenie.

Um Rettung aus des Todes Nachtgewalt,

Um dieses Lichts erquickenden Genuss,

Um Sicherheit des Daseins ruft zuerst

Aus tiefer Not ein Halbverlorner noch.

Was dann zu heilen sei, was zu erstatten,

Was zu vermissen, lehre Tag um Tag.

Gerichtsrat.

Und nächst dem Leben, was erflehst du dir?

Eugenie.

Des Vaterlandes vielgeliebten Boden!

Gerichtsrat.

Du forderst viel im einz’gen, großen Wort!

Eugenie.

Ein einzig Wort enthält mein ganzes Glück.

Gerichtsrat.

Den Zauberbann, wer wagt’s, ihn aufzulösen?

Eugenie.

Der Tugend Gegenzauber siegt gewiss!

Gerichtsrat.

Der obern Macht ist schwer zu widerstehen.

Eugenie.

Allmächtig ist sie nicht, die obre Macht.

Gewiss! Dir gibt die Kenntnis jener Formen,

Für Hohe wie für Niedre gleich verbindlich,

Ein Mittel an. Du lächelst. Ist es möglich!

Das Mittel ist gefunden! Sprich es aus!

Gerichtsrat.

Was hilf’ es, meine Beste, wenn ich dir

Von Möglichkeiten spräche! Möglich scheint

Fast alles unsern Wünschen; unsrer Tat

Setzt sich von innen wie von außen viel,

Was sie durchaus unmöglich macht, entgegen.

Ich kann, ich darf nicht reden, lass mich los!

Eugenie.

Und wenn du täuschen solltest! – Wäre nur

Für Augenblicke meiner Phantasie

Ein zweifelhafter, leichter Flug vergönnt!

Ein Übel um das andre biete mir!

Ich bin gerettet, wenn ich wählen kann.

Gerichtsrat.

Ein Mittel gibt es, dich im Vaterland

Zurückzuhalten. Friedlich ist’s und manchem

Erschien’ es auch erfreulich. Große Gunst

Hat es vor Gott und Menschen. Heil’ge Kräfte

Erheben’s über alle Willkür. Jedem,

Der’s anerkennt, sich’s anzueignen weiß,

Verschafft es Glück und Ruhe. Vollbestand

Erwünschter Lebensgüter sind wir ihm,

So wie der Zukunft höchste Bilder schuldig.

Als allgemeines Menschengut verordnet’s

Der Himmel selbst und ließ dem Glück, der Kühnheit

Und stiller Neigung Raum, sich’s zu erwerben.

Eugenie.

Welch Paradies in Rätseln stellst du dar?

Gerichtsrat.

Der eignen Schöpfung himmlisch Erdenglück.

Eugenie.

Was hilft mein Sinnen! Ich verwirre mich!

Gerichtsrat.

Errätst du’s nicht, so liegt es fern von dir.

Eugenie.

Das zeige sich, sobald du ausgesprochen.

Gerichtsrat.

Ich wage viel! Der Ehstand ist es!

Eugenie.

Wie?

Gerichtsrat.

Gesprochen ist’s, nun überlege du.

Eugenie.

Mich überrascht, mich ängstet solch ein Wort.

Gerichtsrat.

Ins Auge fasse, was dich überrascht.

Eugenie.

Mir lag es fern in meiner frohen Zeit,

Nun kann ich seine Nähe nicht ertragen;

Die Sorge, die Beklemmung mehrt sich nur.

Von meines Vaters, meines Königs Hand

Musst’ ich dereinst den Bräutigam erwarten.

Voreilig schwärmte nicht mein Blick umher,

Und keine Neigung wuchs in meiner Brust.

Nun soll ich denken, was ich nie gedacht,

Und fühlen, was ich sittsam weg gewiesen;

Soll mir den Gatten wünschen, eh’ ein Mann

Sich liebenswert und meiner wert gezeigt,

Und jenes Glück, das Hymen uns verspricht,

Zum Rettungsmittel meiner Not entweihen.

Gerichtsrat.

Dem wackern Mann vertraut ein Weib getrost,

Und wär’ er fremd, ein zweifelhaft Geschick.

Der ist nicht fremd, wer teilzunehmen weiß,

Und schnell verbindet ein Bedrängter sich

Mit seinem Retter. Was im Lebensgange

Dem Gatten seine Gattin fesselnd eignet,

Ein Sicherheitsgefühl, ihr werd’ es nie

An Rat und Trost, an Schutz und Hilfe fehlen,

Das flößt im Augenblick ein kühner Mann

Dem Busen des Gefahr umgebnen Weibes

Durch Wagetat auf ew’ge Zeiten ein.

Eugenie.

Und mir, wo zeigte sich ein solcher Held?

Gerichtsrat.

Der Männer Schar ist groß in dieser Stadt.

Eugenie.

Doch allen bin und bleib’ ich unbekannt.

Gerichtsrat.

Nicht lange bleibt ein solcher Blick verborgen!

Eugenie.

O täusche nicht ein leicht betrognes Hoffen!

Wo fände sich ein Gleicher, seine Hand

Mir, der Erniedrigten, zu reichen? Dürft’ ich

Dem Gleichen selbst ein solches Glück verdanken?

Gerichtsrat.

Ungleich erscheint im Leben viel, doch bald

Und unerwartet ist es ausgeglichen.

In ew’gem Wechsel wiegt ein Wohl das Weh

Und schnelle Leiden unsre Freuden auf.

Nichts ist beständig! Manches Missverhältnis

Löst unbemerkt, indem die Tage rollen,

Durch Stufenschritte sich in Harmonie.

Und ach! Den größten Abstand weiß die Liebe,

Die Erde mit dem Himmel, auszugleichen.

Eugenie.

In leere Träume denkst du mich zu wiegen.

Gerichtsrat.

Du bist gerettet, wenn du glauben kannst.

Eugenie.

So zeige mir des Retters treues Bild.

Gerichtsrat.

Ich zeig’ ihn dir, er bietet seine Hand!

Eugenie.

Du! Welch ein Leichtsinn überraschte dich?

Gerichtsrat.

Entschiedne bleibt auf ewig mein Gefühl.

Eugenie.

Der Augenblick, vermag er solche Wunder?

Gerichtsrat.

Das Wunder ist des Augenblicks Geschöpf.

Eugenie.

Und Irrtum auch der Übereilung Sohn.

Gerichtsrat.

Ein Mann, der dich gesehen, irrt nicht mehr.

Eugenie.

Erfahrung bleibt des Lebens Meisterin.

Gerichtsrat.

Verwirren kann sie, doch das Herz entscheidet.

O lass dir sagen: Wie vor wenig Stunden,

Ich mit mir selbst zu Rate ging und mich

So einsam fühlte, meine ganze Lage,

Vermögen, Stand, Geschäft ins Auge fasste

Und um mich her nach einer Gattin sann,

Da regte Phantasie mir manches Bild,

Die Schätze der Erinnrung sichtend, auf,

Und wohlgefällig schwebten sie vorüber.

Zu keiner Wahl bewegte sich mein Herz.

Doch du erscheinest, ich empfinde nun,

Was ich bedurfte. Dies ist mein Geschick.

Eugenie.

Die Fremde, Schlechtumgebne, Missempfohlne,

Sie könnte frohen, stolzen Trost empfinden,

Sich so geschätzt, sich so geliebt zu sehn;

Bedächte sie nicht auch des Freundes Glück,

Des edlen Manns, der unter allen Menschen

Vielleicht zuletzt ihr Hilfe bieten mag.

Betrügst du dich nicht selbst? Und wagst du, dich

Mit jener Macht, die mich bedroht, zu messen?

Gerichtsrat.

Mit jener nicht allein! – Dem Ungestüm

Des rohen Drangs der Menge zu entgehn,

Hat uns ein Gott den schönsten Port bezeichnet.

Im Hause, wo der Gatte sicher waltet,

Da wohnt allein der Friede, den vergebens

Im Weiten du da draußen suchen magst.

Unruh’ge Missgunst, grimmige Verleumdung,

Verhallendes, parteiisches Bestreben,

Nicht wirken sie auf diesen heil’gen Kreis!

Vernunft und Liebe hegen jedes Glück,

Und jeden Unfall mildert ihre Hand.

Komm! Rette dich zu mir! Ich kenne mich!

Und weiß, was ich versprechen darf und kann.

Eugenie.

Bist du in deinem Hause Fürst?

Gerichtsrat.

Ich bin’s!

Und jeder ist’s, der Gute wie der Böse.

Reicht eine Macht denn wohl in jenes Haus,

Wo der Tyrann die holde Gattin kränkt,

Wenn er nach eignem Sinn verworren handelt,

Durch Launen, Worte, Taten jede Lust

Mit Schadenfreude sinnreich untergräbt?

Wer trocknet ihre Tränen? Welch Gesetz,

Welch Tribunal erreicht den Schuldigen?

Er triumphiert, und schweigende Geduld

Senkt nach und nach, verzweifelnd, sie ins Grab.

Notwendigkeit, Gesetz, Gewohnheit gaben

Dem Mann so grobe Rechte; sie vertrauten

Auf seine Kraft, auf seinen Biedersinn. –

Nicht Heldenfaust, nicht Heldenstamm, geliebte,

Verehrte Fremde, weiß ich dir zu bieten;

Allein des Bürgers hohen Sicherstand.

Und bist du mein, was kann dich mehr berühren?

Auf ewig bist du mein, versorgt, beschützt.

Der König fordre dich von mir zurück;

Als Gatte kann ich mit dem König rechten.

Eugenie.

Vergib! Mir schwebt noch allzu lebhaft vor,

Was ich verscherzte! Du, Großmütiger,

Bedenkest nur, was mir noch übrig blieb.

Wie wenig ist es! Dieses Wenige

Lehrst du mich schätzen, gibst mein eignes Wesen

Durch dein Gefühl belebend mir zurück.

Verehrung zoll’ ich dir. Wie soll ich’s nennen?

Dankbare, schwesterlich entzückte Neigung!

Ich fühle mich als dein Geschöpf und kann

Dir leider, wie du wünschest, nicht gehören.

Gerichtsrat.

So schnell versagst du dir und mir die Hoffnung?

Eugenie.

Das Hoffnungslose kündet schnell sich an!

Dritter Auftritt

Die Vorigen. Hofmeisterin.

Hofmeisterin.

Dem günst’gen Wind gehorcht die Flotte schon.

Die Segel schwellen, alles eilt hinab.

Die Scheidenden umarmen tränend sich,

Und von den Schiffen, von dem Strande wehn

Die weißen Tücher noch den letzten Gruß.

Bald lichtet unser Schiff die Anker auch!

Komm! Lass uns gehen! Uns begleitet nicht

Ein Scheidegruß, wir ziehen unbeweint.

Gerichtsrat.

Nicht unbeweint, nicht ohne bittern Schmerz

Zurückgelassner Freunde, die nach euch

Die Arme rettend strecken. O! Vielleicht

Erscheint, was ihr im Augenblick verschmäht,

Euch blad ein sehnsuchtswertes, fernes Bild.

(Zu Eugenie.) Vor wenigen Minuten nannt’ ich dich

Entzückt willkommen! Soll ein Lebewohl

Behend auf ewig unsre Trennung siegeln?

Hofmeisterin.

Der Unterredung Inhalt, ahn’ ich ihn?

Gerichtsrat.

Zum ew’gen Bunde siehst du mich bereit.

Hofmeisterin (zu Eugenie).

Und wie erkennst du solch ein groß Erbieten?

Eugenie.

Mit höchst gerührten Herzens reinstem Dank.

Hofmeisterin.

Und ohne Neigung, diese Hand zu fassen?

Gerichtsrat.

Zur Hilfe bietet sie sich dringend an.

Eugenie.

Das Nächste steht oft unergreifbar fern.

Hofmeisterin.

Ach! Fern von Rettung stehn wir nur zu bald.

Gerichtsrat.

Und hast du künftig Drohendes bedacht?

Eugenie.

Sogar das letzte Drohende, den Tod.

Hofmeisterin.

Ein angebotnes Leben schlägst du aus?

Gerichtsrat.

Erwünschte Feier froher Bundestage?

Eugenie.

Ein Fest versäumt’ ich, keins erscheint mir wieder.

Hofmeisterin.

Gewinnen kann, wer viel verloren, schnell.

Gerichtsrat.

Noch glänzendem ein dauerhaft Geschick.

Eugenie.

Hinweg die Dauer, wenn der Glanz verlosch.

Hofmeisterin.

Der Mögliches bedenkt, lässt sich genügen.

Gerichtsrat.

Und wem genügte nicht an Lieb’ und Treue?

Eugenie.

Den Schmeichelworten widerspricht mein Herz,

Und widerstrebt euch beiden ungeduldig.

Gerichtsrat.

Ach, allzu lästig scheint, ich weiß es wohl,

Uns unwillkommne Hilfe! Sie erregt

Nur innern Zwiespalt. Danken möchten wir,

Und sind undankbar, da wir nicht empfangen.

Drum lasst mich scheiden! Doch des Hafenbürgers

Gebrauch und Pflicht vorher an euch erfüllen,

Aufs unfruchtbare Meer von Landesgaben

Zum Lebewohl Erquickungsvorrat widmen.

Dann werd’ ich stehen, werde starren Blicks

Geschwollne Segel ferner, immer ferner,

Und Glück und Hoffnung weichend schwinden sehn.

Vierter Auftritt

Eugenie. Hofmeisterin.

Eugenie.

In deiner Hand, ich weiß es, ruht mein Heil,

Sowie mein Elend. Lass dich überreden!

Lass dich erweichen! Schiffe mich nicht ein!

Hofmeisterin.

Du lenkest nun, was uns begegnen soll,

Du hast zu wählen! Ich gehorche nur

Der starken Hand, sie stößt mich vor sich hin.

Eugenie.

Und nennst du Wahl, wenn Unvermeidliches

Unmöglichem sich gegenüberstellt?

Hofmeisterin.

Der Bund ist möglich, wie der Bann vermeidlich.

Eugenie.

Unmöglich ist, was Edle nicht vermögen.

Hofmeisterin.

Für diesen biedern Mann vermagst du viel.

Eugenie.

In bessre Lagen führe mich zurück;

Und sein Erbieten lohn’ ich grenzenlos.

Hofmeisterin.

Ihm lohne gleich, was ihn allein belohnt:

Zu hohen Stufen heb’ ihn deine Hand!

Wenn Tugend, wenn Verdienst den Tüchtigen

Nur langsam fördern, wenn er, still entsagend

Und kaum bemerkt sich andern widmend, strebt,

So führt ein edles Weib ihn leicht ans Ziel.

Hinunter soll kein Mann die Blicke wenden;

Hinauf zur höchsten Frauen kehr’ er sich!

Gelingt es ihm, sie zu erwerben, schnell

Geebnet zeigt des Lebens Pfad sich ihm.

Eugenie.

Verwirrender, verfälschter Worte Sinn

Entwickl’ ich wohl aus deinen falschen Reden,

Das Gegenteil erkenn’ ich nur zu klar:

Der Gatte zieht sein Weib unwiderstehlich

In seines Kreises abgeschlossne Bahn.

Dorthin ist sie gebannt, sie kann sich nicht

Aus eigner Kraft besondre Wege wählen;

Aus niedrem Zustand führt er sie hervor,

Aus höhern Sphären lockt er sie hernieder.

Verschwundne ist die frühere Gestalt,

Verloschen jede Spur vergangner Tage.

Was sie gewann, wer will es ihr entreißen?

Was sie verlor, wer gibt es ihr zurück?

Hofmeisterin.

So bricht du grausam dir und mir den Stab.

Eugenie.

Noch forscht mein Blick nach Rettung hoffnungsvoll.

Hofmeisterin.

Der Liebende verzweifelt; kannst du hoffen?

Eugenie.

Ein kalter Mann verlieh’ uns bessern Rat.

Hofmeisterin.

Von Rat und Wahl ist keine Rede mehr;

Du stürzest mich ins Elend, folge mir!

Eugenie.

O dass ich dich noch einmal freundlich hold

Vor meinen Augen sähe, wie du stets

Von früher Zeit herauf mich angeblickt!

Der Sonne Glanz, die alles Leben regt,

Des klaren Monds erquicklich leiser Schein

Begegneten mir holder nicht als du.

Was konnt’ ich wünschen? Vorbereitet war’s.

Was durft’ ich fürchten? Abgelehnt war alles!

Und zog sich ins Verborgne meine Mutter

Vor ihres Kindes Blicken früh zurück,

So reichtest du ein überfließend Maß

Besorgter Mutterliebe mir entgegen.

Bist du denn ganz verwandelt? Äußerlich

Erscheinst du mir die Vielgeliebte selber;

Doch ausgewechselt ist, so scheint’s, dein Herz –

Du bist es noch, die ich um Kleines und Großes

So oft gebeten, die mir nichts verweigert.

Gewohnter Ehrfurcht kindliches Gefühl,

Es lehrt mich nun, das Höchste zu erbitten.

Und könnt’ es mich erniedrigen, dich nun

An Vaters, Königs, dich an Gottes Statt

Gebognen Knies um Rettung anzuflehen?

(Sie kniet.)

Hofmeisterin.

In dieser Lage scheinst du meiner nur

Verstellt zu spotten. Falschheit rührt mich nicht.

(Hebt Eugenie mit Heftigkeit auf.)

Eugenie.

So hartes Wort, so widriges Betragen,

Erfahr’ ich das, erleb’ ich das von dir?

Und mit Gewalt verscheuchst du meinen Traum.

Im klaren Lichte seh’ ich mein Geschick!

Nicht meine Schuld, nicht jener Großen Zwist,

Des Bruders Tücke hat mich hergestoßen,

Und, mitverschworen, hältst du mich gebannt.

Hofmeisterin.

Dein Irrtum schwankt nach allen Seiten hin.

Was will der Bruder gegen dich beginnen?

Den bösen Willen hat er, nicht die Macht.

Eugenie.

Sei’s, wie ihm wolle! Noch verschmacht’ ich nicht

In ferner Wüste hoffnungslosen Räumen.

Ein lebend Volk bewegt sich um mich her,

Ein liebend Volk, das auch den Vaternamen

Entzückt aus seines Kindes Mund vernimmt.

Die fordr’ ich auf. Aus roher Menge kündet

Ein mächt’ger Ruf mir meine Freiheit an.

Hofmeisterin.

Die rohe Menge hast du nie gekannt,

Sie starrt und staunt und zaudert, lässt geschehn;

Und regt sie sich, so endet ohne Glück,

Was ohne Plan zufällig sie begonnen.

Eugenie.

Den Glauben wirst du mir mit kaltem Wort

Nicht, wie mein Glück mit frecher Tag, zerstören.

Dort unten hoff’ ich Leben, aus dem Leben,

Dort, wo die Masse, tätig strömend, wogt,

Wo jedes Herz, mit wenigem befriedigt,

Für holdes Mitleid gern sich öffnen mag.

Du hältst mich nicht zurück! Ich rufe laut,

Wie furchtbar mich Gefahr und Not bedrängen,

Ins wühlende Gemisch mich stürzend, aus.

 
 * 

Fünfter Aufzug

(Platz am Hafen.)

Erster Auftritt

Eugenie. Hofmeisterin.

Eugenie.

Mit welchen Ketten führst du mich zurück?

Gehorch! Ich wider Willen diesmal auch!

Fluchwürdige Gewalt der Stimme, die

Mich einst so glatt zur Folgsamkeit gewöhnte,

Die meines ersten bildsamen Gefühls

Im ganzen Umfang sich bemeisterte!

Du warst es, der ich dieser Worte Sinn

Zuerst verdanke, dieser Sprache Kraft

Und künstliche Verknüpfung; diese Welt

Hab’ ich aus deinem Munde, ja, mein eignes Herz.

Nun brauchst du diesen Zauber gegen mich,

Du fesselst mich, du schleppst mich hin und wider,

Mein Geist verwirrt sich, mein Gefühl ermattet,

Und zu den Toten sehn’ ich mich hinab.

Hofmeisterin.

O hätte diese Zauberkraft gewirkt,

Von jenen hohen Plänen abzustehn.

Eugenie.

Du ahntest solch ungeheures Übel

Und warntest nicht den allzu sichern Mut?

Hofmeisterin.

Wohl durft’ ich warnen, aber leise nur;

Die ausgesprochne Silbe trug den Tod.

Eugenie.

Und hinter deinem Schweigen lag Verbannung!

Ein Todeswort, willkommner war es mir.

Hofmeisterin.

Dies Unglück, vorgesehen oder nicht,

Hat mich und dich in gleiches Netz verschlungen.

Eugenie.

Was kann ich wissen, welch ein Lohn dir wird,

Um deinen armen Zögling zu verderben.

Hofmeisterin.

Er wartet wohl am fremden Strande mein!

Das Segel schwillt und führt uns beide hin.

Eugenie.

Noch hat das Schiff in seine Kerker nicht

Mich aufgenommen. Sollt’ ich willig gehen?

Hofmeisterin.

Und riefst du nicht das Volk zur Hilfe schon?

Es staunte nur dich an und schwieg und ging.

Eugenie.

Mit ungeheurer Not im Kampfe, schien

Ich dem gemeinen Blick des Wahnsinns Beute.

Doch sollst du mir mit Worten, mit Gewalt

Den mut’gen Schritt nach Hilfe nicht verkümmern.

Die Ersten dieser Stadt erheben sich

Aus ihren Häusern dem Gestadte zu,

Die Schiffe zu bewundern, die gereiht,

Uns unerwünscht das hohe Meer gewinnen.

Schon regt sich am Palast des Gouverneurs

Die Wache. Jener ist es, der die Stufen,

Von mehreren begleitet, niedersteigt.

Ich will ihn sprechen, ihm den Fall erzählen!

Und ist er wert, an meines Königs Platz

Den wichtigsten Geschäften vorzustehn,

So weist er mich nicht unerhört von hinnen.

Hofmeisterin.

Ich hindre dich an diesem Schritte nicht,

Doch nennst du keinen Namen, nur die Sache.

Eugenie.

Den Namen nicht, bis ich vertrauen darf.

Hofmeisterin.

Es ist ein edler junger Mann und wird,

Was er vermag, mit Anstand gern gewähren.

Zweiter Auftritt

Die Vorigen. Der Gouverneur. Adjutanten.

Eugenie.

Dir in den Weg zu treten, darf ich’s wagen?

Wirst du der kühnen Fremden auch verzeihn?

Gouverneur (nachdem er sie aufmerksam betrachtet).

Wer sich wie du dem ersten Blick empfiehlt,

Der ist gewiss des freundlichsten Empfangs.

Eugenie.

Nicht froh und freundlich ist es, was ich bringe,

Entgegen treibt mich dir die höchste Not.

Gouverneur.

Ist, sie zu heben, möglich, sei mir’s Pflicht;

Ist sie auch nur zu lindern, soll’s geschehn.

Eugenie.

Von hohem Haus entspross die Bittende;

Doch leider ohne Namen tritt sie auf.

Gouverneur.

Ein Name wird vergessen; dem Gedächtnis

Schreibt solch ein Bild sich unauslöschlich ein.

Eugenie.

Gewalt und List entreißen, führen, drängen

Mich von des Vaters Brust ans wilde Meer.

Gouverneur.

Wer durfte sich an diesem Friedensbild

Mit ungeweihter Feindeshand vergreifen?

Eugenie.

Ich selbst vermute nur! Mich überrascht

Aus meinem eignen Hause dieser Schlag.

Von Eigennutz und bösem Rat geleitet,

Sann mir ein Bruder dies Verderben aus,

Und diese hier, die mich erzogen, steht,

Mir unbegreiflich, meinen Feinden bei.

Hofmeisterin.

Ihr steh’ ich bei und mildre großes Übel,

Das ich zu heilen leider nicht vermag.

Eugenie.

Ich soll zu Schiffe steigen, fordert sie!

Nach jenen Ufern führt sie mich hinüber!

Hofmeisterin.

Geb’ ich auf solchem Weg ihr das Geleit,

So zeigt es Liebe, Muttersorgfalt an.

Gouverneur.

Verzeiht, geschätzte Frauen, wenn ein Mann,

Der, jung an Jahren, manches in der Welt

Gesehn und überlegt, im Augenblick,

Da er euch sieht und hört, bedenklich stutzt.

Vertrauen scheint ihr beide zu verdienen,

Und ihr misstraut einander beide selbst,

So scheint es wenigstens. Wie soll ich nun

Des wunderbaren Knotens Rätselschlinge,

Die euch umstrickt, zu lösen übernehmen?

Eugenie.

Wenn du mich hören willst, vertrau’ ich mehr.

Hofmeisterin.

Auch ich vermöchte manches zu erklären.

Gouverneur.

Dass uns mit Fabeln oft ein Fremder täuscht,

Muss auch der Wahrheit schaden, wenn wir sie

In abenteuerlicher Hülle sehn.

Eugenie.

Misstraust du mir, so bin ich ohne Hilfe.

Gouverneur.

Und traut’ ich auch, ist doch zu helfen schwer.

Eugenie.

Nur zu den Meinen sende mich zurück.

Gouverneur.

Verlorne Kinder aufzunehmen, gar

Entwendete, verstoßne zu beschützen,

Bringt wenig Dank dem wohl gesinnten Mann.

Um Gut und Erbe wird sogleich ein Streit,

Um die Person, ob sie die rechte sei,

Gehässig aufgeregt, und wenn Verwandte

Ums Mein und dein gefühllos hadern, trifft

Den Fremden, der sich eingemischt, der Hass

Von beiden Teilen, und nicht selten gar,

Weil ihm der strengere Beweis nicht glückt,

Steht er zuletzt auch vor Gericht beschämt.

Verzeih mir also, wenn ich nicht sogleich

Mit Hoffnung dein Gesuch erwidern kann.

Eugenie.

Ziemt eine solche Furcht dem edlen Mann,

Wohin soll sich ein Unterdrückter wenden?

Gouverneur.

Doch wenigstens entschuldigst du gewiss

Im Augenblick, wo ein Geschäft mich ruft,

Wenn ich auf morgen frühe dich hinein

In meine Wohnung lade, dort genauer

Das Schicksal zu erfahren, das dich drängt.

Eugenie.

Mit Freuden werd’ ich kommen. Nimm voraus

Den lauten Dank für meine Rettung an!

Hofmeisterin (die ihm ein Papier überreicht).

Wenn wir auf deine Ladung nicht erscheinen,

So ist dies Blatt Entschuldigung genug.

Gouverneur (der es aufmerksam eine Weile angesehn, es zurückgebend).

So kann ich freilich nur beglückte Fahrt,

Ergebung ins Geschick und Hoffnung wünschen.

Dritter Auftritt

Eugenie. Hofmeisterin.

Eugenie.

Ist dies der Talisman, mit dem du mich

Entführst, gefangen hältst, der alle Guten,

Die sich zu Hilfe mir bewegen, lähmt?

Lass mich es ansehn, dieses Todesblatt!

Mein Elend kenn’ ich, nun, so lass mich auch,

Wer es verhängen konnte, lass mich’s wissen.

Hofmeisterin (die das Blatt offen darzeigt).

Hier! Sieh herein.

Eugenie (sich weg wendend).

Entsetzliches Gefühl!

Und überlebt’ ich’s, wenn des Vaters Name,

Des Königs Name mir entgegen blitzte?

Noch ist die Täuschung möglich, dass verwegen

Ein Kronbeamter die Gewalt missbraucht

Und, meinem Bruder frönend, mich verletzt.

Da bin ich noch zu retten. Eben dies

Will ich erfahren! Zeige her!

Hofmeisterin (wie oben).

Du siehst’s!

Eugenie (wie oben).

Der Mut verlässt mich! Nein, ich wag’ es nicht.

Sei’s, wie es will, ich bin verloren, bin

Aus allem Vorteil dieser Welt gestoßen;

Entsag’ ich denn auf ewig dieser Welt!

O dies vergönnst du mir! Du willst es ja,

Die Feinde wollen meinen Tod, sie wollen

Mich lebend eingescharrt. Vergönne mir,

Der Kirche mich zu nähern, die begierig

So manch unschuldig Opfer schon verschlang.

Hier ist der Tempel; diese Pforte führt

Zu stillem Jammer, wie zu stillem Glück.

Lass diesen Schritt mich ins Verborgne tun!

Was mich daselbst erwartet, sei mein Los.

Hofmeisterin.

Ich sehe, die Äbtissin steigt, begleitet

Von zwei der Ihren, zu dem Platz herab;

Auch sie ist jung, von hohem Haus entsprossen;

Entdeck’ ihr deinen Wunsch, ich hindr’ es nicht.

Vierter Auftritt

Die Vorigen. Äbtissin. Zwei Nonnen.

Eugenie.

Betäubt, verworren, mit mir selbst entzweit

Und mit der Welt, verehrte heil’ge Jungfrau,

Siehst du mich hier. Die Angst des Augenblicks,

Die Sorge für die Zukunft treiben mich

In deine Gegenwart, in der ich Lindrung

Des ungeheuren Übels hoffen darf.

Äbtissin.

Wenn Ruhe, wenn Besonnenheit und Friede

Mit Gott und unserm eigenen Herzen sich

Mitteilen lässt, so soll es, edle Fremde,

Nicht fehlen an der Lehre treuem Wort,

Dir einzuflößen, was der Meinen Glück

Und meins für heut’ sowie auf ewig fördert.

Eugenie.

Unendlich ist mein Übel, schwerlich möcht’

Es durch der Worte göttliche Gewalt

Sogleich zu heilen sein. O nimm mich auf

Und lass mich weilen, wo du weilst, mich erst

In Tränen lösen diese Bangigkeit

Und mein erleichtert Herz dem Troste weihen!

Äbtissin.

Wohl hab’ ich oft im heiligen Bezirk

Der Erde Tränen sich in göttlich Lächeln

Verwandeln sehn, in himmlisches Entzücken,

Doch drängt man sich gewaltsam nicht herein;

Gar manche Prüfung muss die neue Schwester

Und ihren ganzen Wert uns erst entwickeln.

Hofmeisterin.

Entschiedner Wert ist leicht zu kennen, leicht,

Was du bedingen möchtest, zu erfüllen.

Äbtissin.

Ich zweifle nicht am Adel der Geburt,

Nicht am Vermögen, dieses Hauses Rechte,

Die groß und wichtig sind, dir zu gewinnen.

Drum lasst mich bald vernehmen, was ihr denkt.

Eugenie.

Gewähre meine Bitte, nimm mich auf!

Verbirg mich vor der Welt im tiefsten Winkel.

Und meine ganze Habe nimm dahin.

Ich bringe viel und hoffe mehr zu leisten.

Äbtissin.

Kann uns die Jugend, uns die Schönheit rühren,

Ein edles Wesen, spricht’s an unser Herz,

So hast du viele Rechte, gutes Kind.

Geliebte Tochter! Komm an meine Brust!

Eugenie.

Mit diesem Wort, mit diesem Herzensdruck

Besänftigst du auf einmal alles Toben

Der aufgeregten Brust. Die letzte Welle

Umspielt mich weichend noch. Ich bin im Hafen.

Hofmeisterin (dazwischen tretend).

Wenn nicht ein grausam Schicksal widerstünde!

Betrachte dieses Blatt, uns zu beklagen.

(Sie reicht der Äbtissin das Blatt.)

Äbtissin (die gelesen).

Ich muss dich tadeln, dass du wissentlich

So manch vergeblich Wort mit angehört.

Ich beuge vor der höheren Hand mich tief,

Die hier zu walten scheint.

Fünfter Auftritt

Eugenie. Hofmeisterin.

Eugenie.

Wie? Höhre Hand?

Was meint die Heuchlerin? Versteht sie Gott?

Der himmlisch Höchste hat gewiss nicht hier

Mit dieser Freveltat zu tun. Versteht

Sie unsern König? Wohl! Ich muss es dulden,

Was dieser über mich verhängt. Allein

Ich will nicht mehr in Zweifel, zwischen Furcht

Und Liebe schweben, will nicht weibisch mehr,

Indem ich untergehe, noch des Herzens

Und seiner weichlichen Gefühle schonen.

Es breche, wenn es brechen soll, und nun

Verlang’ ich, dieses Blatt zu sehen, sei

Von meinem Vater, sei von meinem König

Das Todesurteil unterzeichnet. Jener

Gereizten Gottheit, die mich niederschmettert,

Will ich getrost ins Auge schauend stehn.

O dass ich vor ihr stünde! Fürchterlich

Ist der bedrängten Unschuld letzter Blick.

Hofmeisterin.

Ich hab’ es nie verweigert, nimm es hin.

Eugenie (das Papier von außen ansehend).

Das ist des Menschen wunderbar Geschick,

Dass bei dem größten Übel noch die Furcht

Vor feinerem Verlust ihm übrig bleibt.

Sind wir so reich, ihr Götter, dass ihr uns

Mit einem Schlag nicht alles rauben könnt?

Des Lebens Glück entriss mir dieses Blatt,

Und lässt mich größeren Jammer noch befürchten.

(Sie entfaltet’s.)

Wohlan! Getrost, mein Herz, und schaudre nicht,

Die Neige dieses bittren Kelchs zu schlürfen.

(Blickt hinein.)

Des Königs Hand und Siegel!

Hofmeisterin (die ihr das Blatt abnimmt).

Gutes Kind,

Bedaure mich, indem du dich bejammerst.

Ich übernahm das traurige Geschäft,

Der Allgewalt Befehl vollzieh’ ich nur,

Um dir in deinem Elend beizustehn,

Dich keiner fremden Hand zu überlassen.

Was meine Seele peinigt, was ich noch

Von diesem schrecklichen Ereignis kenne,

Erfährst du künftig. Jetzt verzeihe mir,

Wenn mich die eiserne Notwendigkeit,

Uns unverzüglich einzuschiffen, zwingt.

Sechster Auftritt

Eugenie allein, hernach Hofmeisterin im Grunde.

Eugenie.

So ist mir denn das schönste Königreich,

Der Hafenplatz, von Tausenden belebt,

Zur Wüste worden, und ich bin allein.

Hier sprechen edle Männer nach Gesetzen,

Und Krieger lauschen auf gemessnes Wort.

Hier flehen heilig Einsame zum Himmel;

Beschäftigt strebt die Menge nach Gewinn.

Und mich verstößt man ohne Recht und Urteil,

Nicht eine Hand bewaffnet sich für mich,

Man schließt mir die Asyle, niemand mag

Zu meinen Gunsten wenig Schritte wagen.

Verbannung! Ja, des Schreckensworts Gewicht

Erdrückt mich schon mit allen seinen Lasten.

Schon fühl’ ich mich ein abgestorbnes Glied,

Der Körper, der gesunde, stößt mich los.

Dem selbstbewussten Toten gleich’ ich, der,

Ein Zeuge seiner eigenen Bestattung,

Gelähmt, in halbem Träume, grausend liegt.

Entsetzliche Notwendigkeit! Doch wie?

Ist mir nicht eine Wahl verstattet? Kann

Ich nicht des Mannes Hand ergreifen, der

Mir, einzig edel, seine Hilfe beut? –

Und könnt’ ich das? Ich könnte die Geburt,

Die mich so hoch hinaufgerückt, verleugnen!

Von allem Glanze jener Hoffnung mich

Auf ewig trennen! Das vermag ich nicht!

O fasse mich, Gewalt, mit ehrnen Fäusten!

Geschick, du blindes, reiße mich hinweg!

Die Wahl ist schwerer als das Übel selbst,

Die zwischen zweien Übeln schwankend bebt.

(Hofmeisterin, mit Leuten, welche Gepäcke tragen, geht schweigend hinten vorbei.)

Sie kommen! Tragen meine Habe fort,

Das Letzte, was von köstlichem Besitz

Mir übrig blieb. Wird es mir auch geraubt?

Man bringt’s hinüber, und ich soll ihm nach.

Ein günst’ger Wind bewegt die Wimpel seewärts,

Bald werd’ ich alle Segel schwellen sehn.

Die Flotte löset sich vom Hafen ab!

Und nun das Schiff, das mich Unsel’ge trägt.

Man kommt! Man fordert mich an Bord. O Gott!

Ist denn der Himmel ehern über mir?

Dringt meine Jammerstimme nicht hindurch?

So sei’s! Ich gehe! Doch mich soll das Schiff

In seines Kerkers Räume nicht verschlingen.

Das letzte Brett, das mich hinüberführt,

Soll meiner Freiheit erste Stufe werden.

Empfangt mich dann, ihr Wellen, fasst mich auf,

Und, fest umschlingend, senket mich hinab

In eures tiefen Friedens Grabesschoß.

Und wenn ich dann vom Unbill dieser Welt

Nichts mehr zu fürchten habe, spült zuletzt

Mein bleiches Gebein dem Ufer zu,

Dass eine fromme Seele mir das Grab

Auf heim’schem Boden wohlgesinnt bereite.

(Mit einigen Schritten.)

Wohlan denn!

(Hält inne.) Will mein Fuß nicht mehr gehorchen?

Was fesselt meinen Schritt, was hält mich hier?

Unsel’ge Liebe zum unwürd’gen Leben!

Du führest mich zum harten Kampf zurück.

Verbannung, Tod, Entwürdigung umschließen

Mich fest und ängsten mich einander zu.

Und wie ich mich von einem schaudernd wende,

So grinst das andre mir mit Höllenblick.

Ist denn kein menschlich, ist kein göttlich Mittel,

Von tausendfacher Qual mich zu befreien?

O dass ein einzig ahnungsvolles Wort

Zufällig aus der Menge mir ertönte!

O dass ein Friedensvogel mir vorbei

Mit leisem Fittich leitend sich bewegte!

Gern will ich hin, wohin das Schicksal ruft;

Es deute nur! Und ich will gläubig folgen.

Es winke nur! Ich will dem heil’gen Winke,

Vertrauend, hoffend, ungesäumt mich fügen.

Siebenter Auftritt

Eugenie. Mönch.

Eugenie (die eine Zeitlang vor sich hingesehen, indem sie die Augen aufhebt und den Mönch erblickt).

Ich darf nicht zweifeln, ja! Ich bin gerettet!

Ja! Dieser ist’s, der mich bestimmen soll.

Gesendet auf mein Flehn, erscheint er mir,

Der Würdige, Bejahrte, dem das Herz

Beim ersten Blick vertraut entgegen flieht.

(Ihm entgegen gehend.)

Mein Vater! Lass den ach! Mir nun versagten,

Verkümmerten, verbotnen Vaternamen

Auf dich, den edlen Fremden, übertragen.

Mit wenig Worten höre meine Not.

Nicht als dem weisen, wohl bedächt’gen Mann,

Dem Gott begabten Greise leg’ ich sie

Mit schmerzlichem Vertraun dir an die Brust.

Mönch.

Was dich bedrängt, eröffne freien Mutes.

Nicht ohne Schickung trifft der Leidende

Mit dem zusammen, der als höchste Pflicht

Die Linderung der Leiden üben soll.

Eugenie.

Ein Rästel statt der Klagen wirst du hören,

Und ein Orakel fordr’ ich, keinen Rat.

Zu zwei verhassten Zielen liegen mir

Zwei Wege vor den Füßen, einer dorthin,

Hierhin der andre; welchen soll ich wählen?

Mönch.

Du führst mich in Versuchung! Soll ich nur

Als Los entscheiden?

Eugenie.

Als ein heilig Los.

Mönch.

Begreif’ ich dich, so hebt aus tiefer Not

Zu höhern Regionen sich dein Blick.

Erstorben ist im Herzen eigner Wille,

Entscheidung hoffst du dir vom Waltenden.

Ja wohl! Das ewig Wirkende bewegt,

Uns unbegreiflich, dieses oder jenes

Als wie von ungefähr zu unserm Wohl,

Zum Rate, zur Entscheidung, zum Vollbringen,

Und wie getragen werden wir ans Ziel.

Dies zu empfinden, ist das höchste Glück,

Es nicht zu fordern, ist bescheidne Pflicht,

Es zu erwarten, schöner Trost im Leiden.

O wär’ ich doch gewürdigt, nun für dich,

Was dir am besten frommte, vorzufühlen!

Allein die Ahnung schweigt in meiner Brust,

Und kannst du mehr nicht mir vertraun, so nimm

Ein fruchtlos Mitleid hin zum Lebewohl.

Eugenie.

Schiffbrüchig fass’ ich noch die letzte Planke!

Dich halt’ ich fest und sage wider Willen

Zum letzten Mal das hoffnungslose Wort:

Aus hohem Haus entsprossen, werd’ ich nun

Verstoßen, übers Meer verbannt und könnte

Mich durch ein Ehebündnis retten, das

ZU niedren Sphären mich herunterzieht.

Was sagt nun dir das Herz? Verstummt es noch?

Mönch.

Es schweige, bis der prüfende Verstand

Sich als ohnmächtig selbst bekennen muss.

Du hast nur Allgemeines mir vertraut,

Ich kann dir nur das Allgemeine raten.

Bist du zur Wahl genötigt unter zwei

Verhassten Übeln, fasse sie ins Auge

Und wähle, was dir noch den meisten Raum

Zu heil’gem Tun und wirken übrig lässt,

Was deinen Geist am wenigsten begrenzt,

Am wenigsten die frommen Taten fesselt.

Eugenie.

Die Ehe, merk’ ich, rätst du mir nicht an.

Mönch.

Nicht eine solche, wie sie dich bedroht.

Wie kann der Priester segnen, wenn das Ja

Der holden Braut nicht aus dem Herzen quillt.

Er soll nicht Widerwärt’ges aneinander

Zu immer neu erzeugtem Streite ketten;

Den Wunsch der Liebe, die zum All das Eine,

Zum Ewigen das Gegenwärtige,

Das Flüchtige zum Dauernden erhebt,

Den zu erfüllen, ist kein göttlich Amt.

Eugenie.

Ins Elend übers Meer verbannst du mich.

Mönch.

Zum Troste jener drüben ziehe hin.

Eugenie.

Wie soll’ ich trösten, wenn ich selbst verzweifle?

Mönch.

Ein reines Herz, wovon dein Blick mir zeugt,

Ein edler Mut, ein hoher, freier Sinn

Erhaltne dich und andre, wo du auch

Auf dieser Erde wandelst. Wenn du nun,

In frühen Jahren ohne Schuld verbannt,

Durch heil’ge Fügung fremde Fehler büßest,

So führst du wie ein überirdisch Wesen

Der Unschuld Glück und Wunderkräfte mit.

So ziehe denn hinüber! Trete frisch

In jenen Kreis der Traurigen. Erheitre

Durch dein Erscheinen jene trübe Welt.

Durch mächt’ges Wort, durch kräft’ge Tat errege

Der tief gebeugten Herzen eigne Kraft;

Vereine die Zerstreuten um dich her,

Verbinde sie einander, alle dir;

Erschaffe, was du hier verliern sollst,

Dir Stamm und Vaterland und Fürstentum.

Eugenie.

Getraust du zu tun, was du gebietest?

Mönch.

Ich tat’s! – Als jungen Mann entführte schon

Zu wilden Stämmen mich der Geist hinüber.

Ins rohe Leben bracht’ ich milde Sitte,

Ich brachte Himmelshoffnung in den Tod.

O hätt’ ich nicht, verführt von treuer Neigung,

Dem Vaterland zu nützen, mich zurück

Zu dieser Wildnis frechen Städtelebens,

Zu diesem Wust verfeinerter Verbrechen,

Zu diesem Pfuhl der Selbstigkeit gewendet!

Hier fesselt mich des Alters Unvermögen,

Gewohnheit, Pflichten; ein Geschick vielleicht,

Das mir die schwerste Prüfung spät bestimmt.

Du aber, jung, von allen Banden frei,

Gestoßen in das Weite, dringe vor

Und rette dich! Was du als Elend fühlst,

Verwandelt sich in Wohltat! Eile fort!

Eugenie.

Eröffne klarer! Was befürchtest du?

Mönch.

Im Dunklen drängt das Künft’ge sich heran,

Das künftig Nächste selbst erscheinet nicht

Dem offnen Blick der Sinne, des Verstands.

Wenn ich beim Sonnenschein durch diese Straßen

Bewundernd wandle, der Gebäude Pracht,

Die felsengleich getürmten Massen schaue,

Der Plätze Kreis, der Kirchen edlen Bau,

Des Hafens masterfüllten Raum betrachte;

Das scheint mir alles für die Ewigkeit

Gegründet und geordnet; diese Menge

Gewerksam Tätiger, die hin und her

In diesen Räumen wogt, auch die verspricht,

Sich unvertilgbar ewig herzustellen.

Allein wenn dieses große Bild bei Nacht

In meines Geistes Tiefen sich erneut,

Da stürmt ein Brausen durch die düstre Luft,

Der feste Boden wankt, die Türme schwanken,

Gefugte Steine lösen sich herab,

Und so zerfällt in ungeformten Schutt

Die Prachterscheinung. Wenig Lebendes

Durchklimmt bekümmert neu entstanden Hügel,

Und jeder Trümmer deutet auf ein Grab.

Das Element zu bändigen, vermag

Ein tief gebeugt, vermindert Volk nicht mehr,

Und rastlos wiederkehrend, füllt die Flut

Mit Sand und Schlamm des Hafens Becken aus,

Eugenie,

Die Nacht entwaffnet erst den Menschen, dann

Bekämpft sie ihn mit nichtigem Gebild.

Mönch.

Ach! Bald genug steigt über unsern Jammer

Der Sonne trüb gedämpfter Blick heran.

Du aber fliehe, die ein guter Geist

Verbannend segnete. Leb’ wohl und eile!

Achter Auftritt

Eugenie (allein).

Vom eignen Elend leitet man mich ab,

Und fremden Jammer prophezeit man mir.

Doch wär’ es fremd, was deinem Vaterland

Begegnen soll? Dies fällt mit neuer Schwere

Mir auf die Brust! Zum gegenwärt’gen Übel

Soll ich der Zukunft Geistesbürden tragen?

So ist’s denn wahr, was in der Kindheit schon

Mir um das Ohr geklungen, was ich erst

Erhorcht, erfragt und nun zuletzt sogar

Aus meines Vaters, meines Königs Mund

Vernehmen musste! Diesem Reiche droht

Ein jäher Umsturz. Die zum großen Leben

Gefugten Elemente wollen sich

Nicht wechselseitig mehr mit Liebeskraft

Zu stets erneuter Einigkeit umfangen.

Sie fliehen sich, und einzeln tritt nun jedes

Kalt in sich selbst zurück. Wo blieb der Ahnherrn

Gewalt’ger Geist, der sie zu einem Zweck

Vereinigte, die feindlich kämpfenden?

Der diesem großen Volk als Führer sich,

Als König und als Vater dargestellt?

Er ist entschwunden! Was uns übrig bleibt,

Ist ein Gespenst, das mit vergebnem Streben

Verlorenen Besitz zu greifen wähnt.

Und solche Sorge nähm’ ich mit hinüber?

Entzöge mich gemeinsamer Gefahr?

Entflöhe der Gelegenheit, mich kühn

Der hohen Ahnen würdig zu beweisen,

Und jeden, der mich ungerecht verletzt,

In böser Stunde hilfreich zu beschämen?

Nun bist du, Boden meines Vaterlands,

Mir erst ein Heiligtum, nun fühl’ ich erst

Den dringenden Beruf, mich anzuklammern.

Ich lasse dich nicht los, und welches Band

Mich dir erhalten kann, es ist nun heilig.

Wo find’ ich jenen gut gesinnten Mann,

Der mir die Hand so traulich angeboten?

An ihn will ich mich schließen! Im Verborgnen

Verwahr’ er mich, als reinen Talisman.

Denn, wenn ein Wunder auf der Welt geschieht,

Geschieht’s durch liebevolle, treue Herzen.

Die Größe der Gefahr betracht’ ich nicht,

Und meine Schwäche darf ich nicht bedenken;

Das alles wird ein günstiges Geschick

Zu rechter Zeit auf hohe Zwecke leiten.

Und wenn mein Vater, mein Monarch mich einst

Verkannt, verstoßen, mich vergessen, soll

Erstaunt ihr Blick auf der Erhaltnen ruhn,

Die das, was sie im Glücke zugesagt,

Aus tiefem Elend zu erfüllen strebt.

Er kommt! Ich seh’ ihm freundiger entgegen,

Als ich ihn ließ. Er kommt. Er sucht mich auf!

Zu scheiden denkt er; bleiben werd’ ich ihm.

Neunter Auftritt

Eugenie. Gerichtsrat. Ein Knabe mit einem schönen Kästchen.

Gerichtsrat.

Schon ziehn die Schiffe nacheinander fort,

Und bald, so fürcht’ ich, wirst auch du berufen.

Empfange noch ein herzlich Lebewohl

Und eine frische Gabe, die auf langer Fahrt

Beklommnen Reisenden Erquickung atmet.

Gedenke mein! O dass du meiner nicht

Am bösen Tage sehnsuchtsvoll gedenkest!

Eugenie.

Ich nehme dein Geschenk mit Freuden an,

Es bürgt mir deine Neigung, deine Sorgfalt;

Doch send’ es eilig in dein Haus zurück!

Und wenn du denkst, wie du gedacht, empfindest,

Wie du empfunden, wenn dir meine Freundschaft

Genügen kann, so folg’ ich dir dahin.

Gerichtsrat (nach einer Pause, den Knaben durch einen Wink entfernend).

Ist’s möglich? Hätte sich zu meiner Gunst

In kurzer Zeit dein Wille so verändert?

Eugenie.

Er ist verändert! Aber denke nicht,

Dass Bangigkeit mich dir entgegen treibe.

Ein edleres Gefühl, lass mich’s verbergen!

Hält mich am Vaterland, an dir zurück.

Nun sei’s gefragt: Vermagst du hohen Muts

Entsagung der Entsagenden zu weihen?

Vermagst du zu versprechen, mich als Bruder

Mit reiner Neigung zu empfangen? Mir,

Der liebevollen Schwester, Schutz und Rat

Und stille Lebensfreude zu gewähren?

Gerichtsrat.

Zu tragen glaub’ ich alles, nur das eine,

Dich zu verlieren, da ich dich gefunden,

Erscheint mir unerträglich. Dich zu sehen,

Dir nah zu sein, für dich zu leben, wäre

Mein einzig höchstes Glück. Und so bedinge

Dein Herz allein das Bündnis, das wir schließen.

Eugenie.

Von dir allein gekannt, muss ich fortan,

Die Welt vermeidend, im Verborgnen leben.

Besitzest du ein still entferntes Landgut,

So widm’ es mir und sende mich dahin.

Gerichtsrat.

Ein kleines Gut besitz’ ich, wohl gelegen;

Doch alt und halb verfallen ist das Haus.

Du kannst jedoch in jener Gegend bald

Die schönste Wohnung finden, sie ist feil.

Eugenie.

Nein! In das alt verfallne lass mich ziehn,

Zu meiner Lager stimmt es, meinem Sinn.

Und wenn er sich erheitert, find’ ich gleich

Der Tätigkeit bereiten Stoff und Raum.

Sobald ich mich die deine nenne, lass,

Von irgend einem alten zuverläss’gen Knecht

Begleitet, mich in Hoffnung einer künft’gen

Beglückung Auferstehung mich begraben.

Gerichtsrat.

Und zum besuch, wann darf ich dort erscheinen?

Eugenie.

Du wartest meinen Ruf geduldig ab.

Auch solch ein Tag wird kommen, uns vielleicht

Mit ernsten Banden enger zu verbinden.

Gerichtsrat.

Du legest mir zu schwere Prüfung auf.

Eugenie.

Erfülle deine Pflichten gegen mich;

Dass ich die meinen kenne, sei gewiss.

Indem du, mich zu retten, deine Hand

Mir bietest, wagst du viel. Werd’ ich entdeckt,

Werd’ ich’s zu früh, so kannst du vieles dulden.

Ich sage dir das tiefste Schweigen zu;

Woher ich komme, niemand soll’s erfahren,

Ja, die entfernten Leiben will ich nur

Im Geist besuchen, keine Zeile soll,

Kein Bote dort mich nennen, wo vielleicht

Zu meinem Heil ein Funke glühen möchte.

Gerichtsrat.

In diesem wicht’gen Fall, was soll ich sagen?

Uneigennütz’ge Liebe kann der Mund

Mit Frechheit oft beteuern, wenn im Herzen

Der Selbstsucht Ungeheuer lauschend grinst.

Die Tat allein beweist der Liebe Kraft.

Indem ich dich gewinne, soll ich allem

Entsagen, deinem Blick sogar! Ich will’s.

Wie du zum ersten Male mir erschienen,

Erscheinst du bleibend mir, ein Gegenstand

Der Neigung, der Verehrung. Deinetwillen

Wünsch’ ich zu leben, du gebietest mir.

Und wenn der Priester sich sein Leben lang

Der unsichtbaren Gottheit niederbeugt,

Die im beglückten Augenblick vor ihm

Als höchstes Musterbild vorüberging,

So soll von deinem Dienste mich fortan,

Wie du dich auch verhüllest, nichts zerstreun.

Eugenie.

Ob ich vertraue, dass dein Äußres nicht,

Nicht deiner Worte Wohllaut lügen kann;

Dass ich empfinde, welch ein Mann du bist,

Gerecht, gefühlvoll, tätig, zuverlässig,

Davon empfange den Beweis, den höchsten,

Den eine Frau besonnen geben kann!

Ich zaudre nicht, ich eile, dir zu folgen!

Hier meine Hand; wir gehen zum Altar.

 
 * 

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