Siebenter Gesang

Und nun sah man den Hof gar herrlich bestellt und bereitet.

Manche Ritter kamen dahin, den sämtlichen Tieren

Folgten unzählige Vögel, und alle zusammen verehrten

Braun und Isegrim hoch, die ihrer Leiden vergaßen.

Da ergötzte sich festlich die beste Gesellschaft, die jemals

Nur beisammen gewesen; Trompeten und Pauken erklangen,

Und den Hoftanz führte man auf mit guten Manieren.

Überflüssig war alles bereitet, was jeder begehrte.

Boten auf Boten gingen ins Land und luden die Gäste,

Vögel und Tiere machten sich auf, sie kamen zu Paaren,

Reisten hin bei Tag und bei Nacht und eilten zu kommen.

Aber Reineke Fuchs lag auf der Lauer zu Hause,

Dachte nicht nach Hof zu gehen, der verlogene Pilger:

Wenig Dankes erwart’ er sich. Nach altem Gebrauch

Seine Tücke zu üben, gefiel am besten dem Schelm.

Und man hörte bei Hof die allerschönsten Gesänge,

Speis’ und Trank ward über und über den Gästen gereicht,

Und man sah turnieren und fechten. Es hatte sich jeder

Zu den Seinen gesellt, da ward getanzt und gesungen,

Und man hörte Pfeifen dazwischen und hörte Schalmeien.

Freundlich schaute der König von seinem Saal hernieder;

Ihm behagte das große Getümmel, er sah es mit Freuden.

Und acht Tage waren vorbei (es hatte der König

Sich zu Tafel gesetzt mit seinen ersten Baronen,

Neben der Königin saß er), und blutig kam das Kaninchen

Vor den König getreten und sprach mit traurigem Sinn:

„Herr! Herr König! Und alle zusammen! Erbarmt euch meiner!

Denn ihr habt so argen Verrat und mördrische Taten,

wie ich von Reineken diesmal erduldet, nur selten vernommen

Gestern morgen fand ich ihn sitzen, es war um die sechste

Stunde, da ging ich die Straße vor Malepartus vorüber,

Und ich dachte, den Weg in Frieden zu ziehen. Er hatte,

Wie ein Pilger gekleidet, als läs’ er Morgengebete,

Sich vor seine Pforte gesetzt. Da wollt’ ich behände

Meines Weges vorbei, zu Eurem Hof zu kommen.

Als er mich sah, erhub er sich gleich und trat mir entgegen,

Und ich glaubt’, er wollte mich grüßen; da fasst’ er mich aber

Mit den Pfoten gar mörderlich an, und zwischen den Ohren

Fühlt’ ich die Klauen und dachte wahrhaftig das Haupt zu verlieren;

Denn sie sind lang und scharf, er druckte mich nieder zur Erde.

Glücklicherweise macht’ ich mich los, und da ich so leicht bin,

Konnt’ ich entspringen; er knurrte mir nach und schwur, mich zu finden.

Aber ich schwieg und machte mich fort, doch leider behielt er

Mir ein Ohr zurück, ich komme mit blutigem Haupt.

Seht, vier Löcher trug ich davon! Ihr werdet begreifen,

Wie er mit Ungestüm schlug, fast wär’ ich liegen geblieben.

Nun bedenkt die Not, bedenkt Euer Geleit!

Wer mag reisen? Wer mag an Eurem Hof sich finden,

Wenn der Räuber die Straße belegt und alle beschädigt?“

Und er endigte kaum, da kam die gesprächige Krähe,

Merkenau, sagte: „Würdiger Herr und gnädiger König!

Traurige Mär bring’ ich vor Euch, ich bin nicht imstande,

Viel zu reden vor Jammer und Angst, ich fürchte, das bricht mir

Noch das Herz: So jämmerlich Ding begegnet’ mir heute.

Scharfenebbe, mein Weib, und ich, wir gingen zusammen

Heute früh, und Reineke lag für tot auf der Heide,

Beide Augen im Kopf verkehrt, es hing ihm die Zunge

Weit zum offenen Mund heraus. Da fing ich vor Schreck

Laut an zu schrein. Er regte sich nicht, ich schrie und beklagt’ ihn,

Rief: ‚O weh mir!’ und ‚Ach!’ und wiederholte die Klage:

‚Ach! Er ist tot! Wie dauert er mich! Wie bin ich bekümmert!’

Meine Frau betrübte sich auch, wir jammerten beide.

Und ich betastet’ ihm Bauch und Haupt, es nahte desgleichen

Meine Frau sich und trat ihm ans Kinn, ob irgend der Atem

Einiges Leben verriet’; allein sie lauschte vergebens:

Beide hätten wir drauf geschworen. Nun hört das Unglück!

Wie sie nun traurig und ohne Besorgnis dem Mund des Schelmen

Ihren Schnabel näher gebracht, bemerkt’ es der Unhold,

Schnappte grimmig nach ihr und riss das Haupt ihr herunter.

Wie ich erschrak, das will ich nicht sagen. ‚O weh mir! O weh mir!’

Schrie ich und rief. Da schoss er hervor und schnappte mit einmal

Auch nach mir; da fuhr ich zusammen und eilte zu fliehen.

Wär’ ich nicht so behände gewesen, er hätte mich gleichfalls

Festgehalten: Mit Not entkam ich den Klauen des Mörders,

Eilend erreicht’ ich den Baum! O hätt’ ich mein trauriges Leben

Nicht gerettet! Ich sah mein Weib in des Bösewichts Klauen.

Ach! Er hatte die Gute gar blad gegessen, er schien mir

So begierig und hungrig, als wollt’ er noch einige speisen:

Nicht ein Beinchen ließ er zurück, kein Knöchelchen übrig.

Solchen Jammer sah ich mit an! Er eilte von dannen,

Aber ich konnt’ es nicht lassen und flog mit traurigem Herzen

An die Stätte: Da fand ich nur Blut und wenige Federn

Meines Weibes. Ich bringe sie her, Beweise der Untat.

Ach, erbarmt Euch, gnädiger Herr! Denn solltet Ihr diesmal

Diesen Verräter verschonen, gerechte Rache verzögern,

Eurem Frieden und Eurem Geleit nicht Nachdruck verschaffen,

Vieles würde darüber gesprochen, es würd’ Euch missfallen.

Denn man sagt: Der ist schuldig der Tat, der zu strafen Gewalt hat

Und nicht straft; es spielt alsdann ein jeder den Herrn.

Eurer Würde ging’ es zu nah, Ihr mögt es bedenken.“

Also hatte der Hof die Klage des guten Kaninchens

Und der Krähe vernommen. Da zürnte Nobel, der König,

Rief: „So sei es geschworen bei meiner ehlichen Treue,

Diesen Frevel bestraf’ ich, man soll es lange gedenken!

Mein Geleit und Gebot zu verhöhnen! Ich will es nicht dulden.

Gar zu leicht vertraut’ ich dem Schelm und ließ ihn entkommen,

Stattet’ ihn selbst als Pilger noch aus und sah ihn von hinnen

Scheiden, als ging’ er nach Rom. Was hat uns der Lügner nicht alles

Aufgeheftet! Wie wusst’ er sich nicht der Königin Vorwort

Leicht zu gewinnen: Sie hat mich beredet, nun ist er entkommen!

Aber ich werde der letzte nicht sein, den es bitter gereute,

Frauenrat befolgt zu haben. Und lassen wir länger

Ungestraft den Bösewicht laufen, wir müssen uns schämen.

Immer war er ein Schalk und wird es bleiben. Bedenkt

Nun zusammen, Ihr Herren, wie wir ihn sahen und richten!

Greifen wir ernstlich dazu, so wird die Sache gelingen.“

Isegrim und Braun behagte die Rede des Königs.

„Werden wir doch am Ende gerochen!“, so dachten sie beide.

Aber sie trauten sich nicht zu reden, sie sahen, der König

War verstörten Gemüts und zornig über die Maßen.

Und die Königin sagte zuletzt: „Ihr solltet so heftig,

Gnädiger Herr, nicht zürnen, so leicht nicht schwören; es leidet

Euer Ansehn dadurch und Eurer Worte Bedeutung;

Denn wir sehen die Wahrheit noch keinesweges am Tage:

Ist doch erst der Beklagte zu hören! Und wär’ er zugegen,

Würde mancher verstummen, der wider Reineken redet.

Beide Parteien sind immer zu hören; denn mancher Verwegne

Klagt, um seine Verbrechen zu decken. Für klug und verständig

Hielt ich Reineken, dachte nichts Böses und hatte nur immer

Euer Bestes vor Augen, wiewohl es nun anders gekommen.

Denn sein Rat ist gut zu befolgen, wenn freilich sein Leben

Manchen Tadel verdient. Dabei ist seines Geschlechtes

Große Verbindung wohl zu bedenken. Es werden die Sachen

Nicht durch Übereilung gebessert, und was Ihr beschließt,

Werdet Ihr dennoch zuletzt als Herr und Gebieter vollziehen.“

Und Lupardus sagte darauf: „Ihr hört so manchen;

Hört diesen denn auch. Er mag sich stellen, und was Ihr

Dann beschließt, vollziehe man gleich. So denken vermutlich

Diese sämtlichen Herrn mit Eurer edlen Gemahlin.“

Isegrim sagte darauf: „Ein jeder rate zum Besten!

Herr Lupardus, hört mich an. Und wäre zur Stunde

Reineke hier und entledigte sich der doppelten Klage

Dieser beiden, so wär’ es mir immer ein Leichtes zu zeigen,

Dass er das Leben verwirkt. Allein ich schweige von allem,

Bis wir ihn haben. Und habt Ihr vergessen, wie sehr er den König

Mit dem Schatz belogen? Den sollt’ er in Hüsterlo neben

Krekelborn finden, und was der groben Lüge noch mehr war.

Alle hat er betrogen und mich und Braunen geschändet;

Aber ich setzte mein Leben daran. So treibt es der Lügner:

Auf der Heide nun streicht er herum und raubt und mordet.

Deucht es dem Könige gut und seinen Herren, so mag man

Also verfahren. Doch wär’ es ihm Ernst, nach Hof zu kommen,

Hätt’ er sich lange gefunden. Es eilten die Boten des Königs

Durch das Land, die Gäste zu laden, doch blieb er zu Hause.“

Und es sagte der König darauf: „Was sollen wir lange

Hier ihn erwarten? Bereitet euch alle (so sie es geboten!),

Mir am sechsten Tage zu folgen: Denn wahrlich , das Ende

Dieser Beschwerden will ich erleben. Was sagen die Herren?

Wär’ er nicht fähig, zuletzt ein Land zugrunde zu richten?

Macht euch fertig, so gut ihr nur könnt, und kommt im Harnisch,

Kommt mit Bogen und Spießen und allen andern Gewehren

Und betragt euch wacker und brav! Es führe mir jeder,

Denn ich schlage wohl Ritte rim Feld, den Namen mit Ehren.

Malepartus, die Burg, belegen wir! Was er im Haus hat,

Wollen wir sehen.“ Da riefen sie alle: „Wir werden gehorchen!“

Also dachte der König und seine Genossen, die Feste

Malepartus zu stürmen, den Fuchs zu strafen. Doch Grimbart,

Der im Rat gewesen, entfernte sich heimlich und eilte,

Reineke aufzusuchen und ihm die Nachricht zu bringen.

Traurend ging er und klagte vor sich und sagte die Worte:

„Ach, was kann es nun werden, mein Oheim! Billig bedauert

Dich dein ganzes Geschlecht, du Haupt des ganzen Geschlechtes!

Vor Gericht vertratest du uns, wir waren geborgen:

Niemand konnte bestehn vor dir und deiner Gewandtheit.“

So erreicht’ er das Schloss, und Reineke fand er im Freien

Sitzen. Er hatte sich erst zwei junge Tauben gefangen:

Aus dem Nest wagten sie sich, den Flug zu versuchen,

Aber die Federn waren zu kurz; sie fielen zu Boden,

Nicht imstande, sich wieder zu heben, und Reineke griff sie;

Denn oft ging er umher zu jagen. Da sah er von weiten

Grimbart kommen und wartete sein, er grüßt’ ihn und sagte:

„Seid mir, Neffe, willkommen vor allen meines Geschlechtes!

Warum lauft Ihr so sehr? Ihr keicht! Bringt Ihr was neues?“

Ihm erwiderte Grimbar: „Die Zeitung, die ich vermelde,

Klingt nicht tröstlich, Ihr seht, ich komm’ in Ängsten gelaufen.

Leben und Gut ist alles verloren! Ich habe des Königs

Zorn gesehen: Er schwört, Euch zu fahen und schändlich zu töten.

Allen hat er befohlen, am sechsten Tag gewaffnet

Hier zu erscheinen mit Bogen und Schwert, mit Büchsen und Wagen.

Alles fällt nun über Euch her, bedenkt Euch in Zeiten!

Isegrim aber und braun sind mit dem König wieder

Besser vertraut, als ich nur immer mit Euch bin, und alles,

Was sie wollen, geschieht. Den grässlichsten Mörder und Räuber

Schilt Euch Isegrim laut, und so bewegt er den König.

Er wird Marschall; Ihr werdet es sehen in wenigen Wochen.

Das Kaninchen erschien, dazu die Krähe, sie brachten

Große Klagen gegen Euch vor. Und sollt’ Euch der König

Diesmal fahen, so lebt Ihr nicht lange! Das muss ich befürchten!“

„Weiter nichts?“, versetzte der Fuchs. „Das ficht mich nun alles

Keinen Pfifferling an. Und hätte der König mit seinem

Ganzen Rat doppelt und dreifach gelobt und geschworen:

Komm’ ich nur selber dahin, ich hebe mich über sie alle;

Denn sie raten und raten und wissen es immer zu treffen.

Lieber Neffe, lasst das fahren und folgt mir und seht,

Was ich Euch gebe. Da hab’ ich soeben die Tauben gefangen,

Jung und fett, es bleibt mir das liebste von allen Gerichten!

Denn sie sind leicht zu verdauen, man schluckt sie nur eben hinunter;

Und die Knöchelchen schmecken so süß! Sie schmelzen im Munde,

Sind halb Milch, halb Blut. Die leichte Speise bekommt mir,

Und mein Weib ist von gleichem Geschmack. So kommt nur, sie wird uns

Freundlich empfangen; doch merke sie nicht, warum Ihr gekommen!

Jede Kleinigkeit fällt ihr aufs Herz und macht ihr zu schaffen.

Morgen geh’ ich nach Hof mit Euch: Da hoff’ ich, Ihr werdet,

Lieber Neffe, mir helfen, so wie es Verwandten geziemt.“

„Leben und Gut verpflicht’ ich Euch gern zu Eurem Behufe“,

Sagte der Dachs, und Reineke sprach: „Ich will es gedenken!

Leb’ ich lange, so soll es Euch frommen!“ Der andre versetzte:

„Tretet immer getrost vor die Herren und wahrt zum besten

Eure Sache, sie werden Euch hören! Auch stimmte Lupardus

Schon dahin, man sollt’ Euch nicht strafen, bevor Ihr genugsam

Euch verteidigt; es meinte das Gleiche die Königin selber.

Merkt den Umstand und sucht ihn zu nutzen!“ Doch Reineke sagte:

„Seid nur gelassen, es findet sich alles. Der zornige König,

Wenn er mich hört, verändert den Sinn: Es frommt mir am Ende.“

Und so gingen sie beide hinein und wurden gefällig

Von der Hausfrau empfangen, sie brachte, was sie nur hatte.

Und man teilte die Tauben, man fand sie schmackhaft, und jedes

Speiste sein Teil; sie wurden nicht satt und hätten gewisslich

Ein halb Dutzend verzehrt, wofern sie zu haben gewesen.

Reineke sagte zum Dachs: „Bekennt mir, Oheim, ich habe

Kinder trefflicher Art, sie müssen jedem gefallen.

Sagt mir, wie Euch Rossel behagt und Reinhart der Kleine?

Sie vermehren einst unser Geschlecht und fangen allmählich

An, sich zu bilden, sie machen mir Freude von Morgen bis Abend.

Einer fängt sich ein Huhn, der andre hascht sich ein Küchlein,

Auch ins Wasser drucken sie brav, die Ente zu holen

Und den Kiebitz. Ich schickte sie gern noch öfter zu jagen;

Aber Klugheit muss ich vor allem sie lehren und Vorsicht

Wie sie vor Strick und Jäger und Hunden sich weise bewahren.

Und verstehen sie dann das rechte Wesen, und sind sie

Abgerichtet, wie sich’s gehört, dann sollen sie täglich

Speise holen und bringen, und soll im Haus nichts fehlen;

Denn sie schlagen mir nach und spielen grimmige Spiele.

Wenn sie’s beginnen, so ziehn den kürzern die übrigen Tiere,

An der Kehle fühlt sie der Gegner und zappelt nicht lange:

Das ist Reinekes Art und Spiel. Auch greifen sie hastig,

Und ihr Sprung ist gewiss; das dünkt mich eben das Rechte!“

Grimbart sprach: „Es gereicht zur Ehre, und mag man sich freuen,

Kinder zu haben, wie man sie wünscht, und die zum Gewerbe

Bald sich gewöhnen, den Eltern zu helfen. Ich freue mich herzlich,

Sie von meinem Geschlecht zu wissen, und hoffe das Beste.“

„Mag es für heute bewenden,“ versetzte Reineke: „Gehen wir

Schlafen; denn alle sind müd’ und Grimbart besonders ermattet.“

Und sie legten sich nieder im Saal, der über und über

War mit Heu und Blättern bedeckt, und schliefen zusammen.

Aber Reineke wachte vor Angst: Es schien ihm die Sache

Guten Rats zu bedürfen, und sinnend fand ihn der Morgen.

Und er hub vom Lager sich auf und sagte zu seinem

Weib: „Betrübt Euch nicht! Es hat mich Grimbart gebeten,

Mit nach Hof zu gehen; Ihr bleibt ruhig zu Hause.

Redet jemand von mir, so kehrt es immer zum Besten

Und verwahrt die Burg: So ist uns allen geraten.“

Und Frau Ermelyn sprach: „Ich find’ es seltsam! Ihr wagt es,

Wieder nach Hof zu gehen, wo Eurer so übel gedacht wird.

Seid Ihr genötigt? Ich seh’ es nicht ein, bedenkt das Vergangne!“

„Freilich,“ sagte Reineke drauf: „Es war nicht zu scherzen!

Viele wollten mir übel, ich kam in große Bedrängnis;

Aber mancherlei Dinge begegnen unter der Sonne.

Wider alles Vermuten erfährt man dieses und jenes,

Und wer was zu haben vermeint, vermisst es auf einmal.

Also lasst mich nur gehen! Ich habe dort manches zu schaffen.

Bleibt ruhig, das bitt’ ich Euch sehr, Ihr habt nicht nötig,

Euch zu ängstigen. Wartet es ab! Ihr seht, mein Liebchen,

Ist es mir immer nur möglich, in fünf, sechs Tagen ich wieder.“

Und so schied er von dannen, begleitet von Grimbart, dem Dachs.

 
 * 

Achter Gesang

Weiter gingen sie nun zusammen über die Heide,

Grimbart und Reineke, grad den Weg zum Schloss des Königs.

Aber Reineke sprach: „Es falle, wie es auch wolle,

Diesmal ahnt es mir, die Reise führt zum Besten.

Lieber Oheim, hört mich nun! Seitdem ich zum letzten

Euch gebeichtet, verging ich mich wieder in sündigem Wesen.

Hört Großes und Kleines, und was ich damals vergessen.

Von dem Leib des Bären und seinem Fell verschafft’ ich

Mir ein tüchtiges Stück; es ließen der Wolf und die Wölfin

Ihre Schuhe mir ab: So hab’ ich mein Mütchen gekühlt.

Meine Lüge verschaffte mir das, ich wusste den König

Aufzubringen und hab’ ihn dabei entsetzlich betrogen:

Denn ich erzählt’ ihm ein Märchen, und Schätze wusst’ ich zu dichten.

Ja, ich hatte daran nicht genug, ich tötete Lampen,

Ich bepackte Ballyn mit dem Haupt des Ermordeten; grimmig

Sah der König auf ihn, er musste die Zeche bezahlen.

Und das Kaninchen, ich drückt’ es gewaltig hinter die Ohren,

Dass es beinah das Leben verlor, und war mir verdrießlich,

Dass es entkam. Auch muss ich bekennen, die Krähe beklagt sich

Nicht mit Unrecht, ich habe Frau Scharfenebbe, sein Weibchen,

Aufgegessen. Das hab’ ich begangen, seitdem ich gebeichtet.

Aber damals vergaß ich nur eines, ich will es erzählen,

Eine Schalkheit, die ich beging, Ihr müsst sie erfahren;

Denn ich möchte nicht gern so etwas tragen: Ich lud es

Damals dem Wolf auf dem Rücken. Wir gingen nämlich zusammen

Zwischen Kachyß und Elverdingen, da sahn wir von weitem

Eine Stute mit ihrem Fohlen, und eins wie das andre

Wie eine Rabe so schwarz; vier Monat mochte das Fohlen

Alt sein, und Isegrim war vom Hunger gepeinigt, da bat er:

‚Fragt mir doch, verkauft uns die Stute nicht etwas das Fohlen?

Und wie teuer?’ Da ging ich zu ihr und wagte das Stückchen.

‚Liebe Frau Mähre!’, sagt’ ich zu ihr, ‚das Fohlen ist Euer,

Wie ich weiß: verkauft Ihr es wohl? Das möcht’ ich erfahren.’

Sie versetzte: ‚Bezahlt Ihr es gut, so kann ich es missen,

Und die Summe, für die es mir feil ist, Ihr werdet sie lesen,

Hinten steht sie geschrieben an meinem Fuß.’ Da merkt’ ich,

Was sie wollte, versetzte darauf: ‚Ich muss Euch bekennen,

Lesen und Schreiben gelingt mir nicht ebenso, wie ich es wünschte.

Auch begehr’ ich des Kindes nicht selbst; denn Isegrim möchte

Das Verhältnis eigentlich wissen, er hat mich gesendet.’

‚Lasst ihn kommen!’, versetzte sie drauf: ‚Er soll es erfahren.’

Und ich ging, und Isegrim stand und wartete meiner.

‚Wollt Ihr Euch sättigen,’ sagt’ ich zu ihm: ‚so geht nur, die Mähre

Gibt Euch das Fohlen, es steht der Preis am hinteren Fuß

Unten geschrieben; ich möchte nur, sagte sie, selber da nachsehn.

Aber zu meinem Verdruss musst’ ich schon manches versäumen,

Weil ich nicht lesen und schreiben gelernt. Versucht es, mein Oheim,

Und bescheut die Schrift, Ihr werdet vielleicht sie verstehen.’

Isegrim sage: ‚Was sollt’ ich nicht lesen! Das wäre mir seltsam!

Deutsch, Latein und Welsch, sogar Französisch versteh’ ich:

Denn in Erfurt hab’ ich mich wohl zur Schule gehalten,

Bei den Weisen, Gelehrten, und mit den Meistern des Rechts

Fragen und Urteil gestellt; ich habe meine Lizenzen

Förmlich genommen, und was für Skripturen man immer auch findet,

Les’ ich, als wär’ es mein Name. Drum wird es mir heute nicht fehlen.

Bleibt, ich geh’ und lese die Schrift, wir wollen doch sehen!’

Und er ging und fragte die Frau: ‚Wie teuer das Fohlen?

Macht es billig!’ Sie sagte darauf: ‚Ihr dürft nur die Summe

Lesen, sie steht geschrieben an meinem hinteren Fuß.’

‚Lasst mich sehen!’, versetzte der Wolf. Sie sagte: ‚Das tu’ ich!’

Und sie hub den Fuß empor aus dem Gras, der war erst

Mit sechs Nägel beschlagen: sie schlug gar richtig und fehlte

Nicht ein Härchen, sie traf ihm den Kopf, er stürzte zur Erde,

Lag betäubt wie tot. Sie aber eitle von dannen,

Was sie konnte. So lag er verwundet, es dauerte lange.

Eine Stunde verging, da regt’ er sich wieder und heulte

Wie ein Hund. Ich trat ihm zur Seite und sagte: ‚Herr Oheim,

Wo ist die Stute? Wie schmeckte das Fohlen? Ihr habt Euch gesättigt,

Habt mich vergessen! Ihr tatet nicht wohl: Ich brachte die Botschaft!

Nach der Mahlzeit schmeckte das Schäfchen. Wie lautete, sagt mir,

Unter dem Fuß die Schrift? Ihr seid ein großer Gelehrter.’

‚Ach!’, versetzt’ er: ‚Spottet Ihr noch? Wie bin ich so übel

Diesmal gefahren! Es sollte fürwahr ein Stein sich erbarmen.

Die langbeinige Mähre! Der Henker mag’s ihr bezahlen!

Denn der Fuß war mit Eisen beschlagen: Das waren die Schriften!

Neue Nägel! Ich habe davon sechs Wunden im Kopf.’

Kaum behielt er sein Leben. – Ich habe nun alles gebeichtet,

Lieber Neffe! Vergebt mir nun die sündigen Werke!

Wie es bei Hof gerät, ist misslich; aber ich habe

Mein Gewissen befreit und mich von Sünden gereinigt.

Sagt nun, wie ich mich bessre, damit ich zu Gnaden gelange.“

Grimbart sprach: „Ich find’ Euch von neuem mit Sünden beladen.

Doch es werden die Toten nicht wieder lebendig, es wäre

Freilich besser, wenn sie noch lebten. So will ich, mein Oheim,

In Betrachtung der schrecklichen Stunde, der Nähe des Todes,

Der Euch droht, die Sünde vergeben als Diener des Herrn:

Denn sie streben Euch nach mit Gewalt, ich fürchte das Schlimmste,

Und man wird euch vor allem das Haupt des Hasen gedenken!

Große Dreistigkeit war es, gesteht’s, den König zu reizen,

Und es schadet Euch mehr, als Euer Leichtsinn gedacht hat.“

„Nicht ein Haar!“, versetzte der Schelm. „Und dass ich Euch sage:

Durch die Welt sich zu helfen, ist ganz was Eignes; man kann sich

Nicht so heilig bewahren als wie im Kloster, das wisst Ihr.

Handelt einer mit Honig, er leckt zuweilen die Finger.

Lampe reizte mich sehr: Er sprang herüber, hinüber,

Mir vor den Augen herum, sein fettes Wesen gefiel mir,

Und ich setzte die Liebe beiseite. So gönnt’ ich Bellynen

Wenig Gutes. Sie haben den Schaden, ich habe die Sünde.

Aber sie sind zum Teil auch so plump, in jeglichen dingen

Grob und stumpf. Ich sollte noch viel Zeremonien machen?

Wenig Lust behielt ich dazu. Ich hatte von Hof

Mich mit Ängsten gerettet und lehrte sie dieses und jenes,

Aber es wollte nicht fort. Zwar jeder sollte den Nächsten

Lieben, das muss ich gestehen; indessen achtet’ ich diese

Wenig, und tot ist tot, so sagt Ihr selber. Doch lasst uns

Andre Dinge besprechen: Es sind gefährliche Zeiten.

Denn wie geht es von oben herab? Man soll ja nicht reden,

Doch wir andern merken darauf und denken das Unsre.

Raubt der König ja selbst so gut als einer, wir wissen’s;

Was er selber nicht nimmt, das lässt er Bären und Wölfe

Holen und glaubt, es geschehe mit Recht. Da findet sich keiner,

Der sich getraut, ihm die Wahrheit zu sagen – so weit hinein ist es

Böse – kein Beichtiger, kein Kaplan: Sie schweigen! Warum das?

Sie genießen es mit, und wär’ nur ein Rock zu gewinnen.

Komme dann einer und klage! Der haschte mit gleichem Gewinn

Nach der Luft, er tötet die Zeit und beschäftigte besser

Sich mit neuem Erwerb. Denn fort ist fort, und was einmal

Dir ein Mächtiger nimmt, das hast du besessen; der Klage

Gibt man wenig Gehör, und sie ermüdet am Ende.

Unser Herr ist der Löwe, und alles an sich zu reißen,

Hält er seiner Würde gemäß. Er nennt uns gewöhnlich

Seine Leute: Fürwahr, das Unsre, scheint es, gehört ihm!

Darf ich reden, mein Oheim? Der edle König, er liebt sich

Ganz besonders Leute, die bringen, und die nach der Weise,

Die er singt, zu tanzen verstehn: Man sieht es zu deutlich.

Dass der Wolf und der Bär zum Rate wieder gelangen,

Schadet noch manchem. Sie stehlen und rauben, es liebt sie der König:

Jeglicher sieht es und schweigt: Er denkt, an die Reihe zu kommen.

Mehr als vier befinden sich so zur Seite des Herren,

Ausgezeichnet vor allen, sie sind die Größten am Hof.

Nimmt ein armer Teufel, wie Reineke, irgendein Hühnchen,

Wollen sie alle gleich über ihn her, ihn suchen und fangen,

Und verdammen ihn laut mit einer Stimme zum Tod.

Kleine Diebe hängt man so weg, es haben die großen

Starken Vorsprung, mögen das Land und die Schlösser verwalten.

Seht, Oheim, bemerk’ ich nun das und sinne darüber,

Nun, so spiel’ ich halt auch mein Spiel und denke darneben

Öfters bei mir: Es muss ja wohl recht sein, tun’s doch so viele!

Freilich regt sich dann auch das Gewissen und zeigt mir von fern

Gottes Zorn und Gericht und lässt mich das Ende bedenken.

Ungerecht Gut, so klein es auch sei, man muss es erstatten.

Und da fühl’ ich denn Reu’ im Herzen; doch währt es nicht lange.

Ja, was hilft dich’s, der Beste zu sein! Es bleiben die Besten

Doch nicht unberedet in diesen Zeiten vom Volk.

Denn es weiß die Menge genau nach allem zu forschen,

Niemand vergessen sie leicht, erfinden dieses und jenes.

Wenig Gutes ist in der Gemeine, und wirklich verdienen

Wenige drunter auch gute, gerechte Herren zu haben:

Denn sie singen und sagen vom Bösen immer und immer;

Auch das Gute wissen sie zwar von großen und kleinen

Herren, doch schweigt man davon, und selten kommt es zur Sprache.

Doch das Schlimmste find’ ich den Dünkel des irrigen Wahnes,

Der die Menschen ergreift: Es könne jeder im Taumel

Seines heftigen Wollens die Welt beherrschen und richten.

Hielte doch jeder sein Weib und seine Kinder in Ordnung,

Wüsste sein trotzig Gesinde zu bändigen, könnte sich stille,

Wenn die Toren verschwenden, in mäßigem Leben erfreuen!

Aber wie sollte die Welt sich verbessern? Es lässt sich ein jeder

Alles zu und will mit Gewalt die andern bezwingen.

Und so sinken wir tiefer und immer tiefer ins Arge.

Afterreden, Lug und Verrat und Diebstahl und falscher

Eidschwur, Rauben und Morden, man hört nichts anders erzählen.

Falsche Propheten und Heuchler betrügen schändlich die Menschen.

Jeder lebt nur so hin! Und will man sie treulich ermahnen,

Nehmen sie’s leicht und sagen auch wohl: ‚Ei, wäre die Sünde

Groß und schwer, wie hier und dort uns manche Gelehrte

Predigen, würde der Pfaffe die Sünde selber vermeiden.’

Sie entschuldigen sich mit bösem Exempel und gleichen

Gänzlich dem Affengeschlecht, das, nachzuahmen geboren,

Weil es nicht denkt und wählt, empfindlichen Schaden erduldet.

Freilich sollten die geistlichen Herren sich besser betragen!

Manches könnten sie tun, wofern sie es heimlich vollbrächten:

Aber sie schonen uns nicht, uns andre Laien, und treiben

Alles, was ihnen beleibt, vor unsern Augen, als wären

Wir mit Blindheit geschlagen; allein wir sehen zu deutlich,

Ihre Gelübde gefallen den guten Herren so wenig,

Als sie dem sündigen Freunde der weltlichen Werke behagen.

Denn so haben über den Alpen die Pfaffen gewöhnlich

Eigens ein Liebchen; nicht weniger sind in diesen Provinzen,

Die sich sündlich vergehn. Man will mir sagen, sie haben

Kinder wie andre verehlichte Leute, und sie zu versorgen,

Sind sie eifrig bemüht und bringen sie hoch in die Höhe.

Diese denken hernach nicht weiter, woher sie gekommen,

Lassen niemand den Rang und gehen stolz und gerade,

Eben als wären sie edlen Geschlechts, und bleiben der Meinung,

Ihre Sache sei richtig. So pflegte man aber vor diesem

Pfaffenkinder so hoch nicht zu halten: Nun heißen sie alle

Herren und Frauen. Das Geld ist freilich alles vermögend!

Selten findet man fürstliche Lande, worin nicht die Pfaffen

Zölle und Zinsen erhüben und Dörfer und Mühlen benutzten.

Diese verkehren die Welt, es lernt die Gemeine das Böse:

Denn man sieht, so hält es der Pfaffe, da sündigt jeder,

Und vom Guten leitet hinweg ein Blinder den andern.

Ja, wer merkte denn wohl die guten Werke der frommen

Priester, und wie sie die heilige Kirche mit gutem Exempel

Auferbauen? Wer lebt nun darnach? Man stärkt sich im Bösen.

So geschieht es im Volk: Wie sollte die Welt sich verbessern?

Aber hört mich weiter! Ist einer unecht geboren,

Sei er ruhig darüber, was kann er weiter zur Sache?

Denn ich meine nur so, versteht mich. Wird sich ein solcher

Nur mit Demut betragen und nicht durch eitles Benehmen

Andre reizen, so fällt es nicht auf, und hätte man unrecht,

Über dergleichen Leute zu reden. Es macht die Geburt uns

Weder edel noch gut, noch kann sie zur Schande gereichen.

Aber Tugend und Laster, sie unterscheiden die Menschen.

Gute, gelehrte geistliche Männer, man hält sie, wie billig,

Hoch in Ehren, doch geben die bösen ein böses Exempel.

Predigt so einer das Beste, so sagen doch endlich die Laien:

‚Spricht er das Gute, und tut er das Böse, was soll man erwählen?’

Auch der Kirche tut er nichts Gutes, er predigt jedem:

‚Legt nur aus und baut die Kirche! Das rat’ ich, ihr Lieben,

Wollt ihr Gnade verdienen und Ablass!’ So schließt er die Rede,

Und er legt wohl wenig dazu, ja gar nichts, und fiele

Seinetwegen die Kirche zusammen. So hält er denn weiter

Für die beste Weise zu leben: Sich köstlich zu kleiden,

Lecker zu essen. Und hat sich so einer um weltliche Sachen

Übermäßig bekümmert, wie will er beten und singen?

Gute Priester sind täglich und stündlich im Dienst des Herren

Fleißig begriffen und üben das Gute: Der heiligen Kirche

Sind sie nütze, sie wissen die Laien durch gutes Exempel

Auf dem Weg des Heils zur echten Pforte zu leiten.

Aber ich kenne denn auch die Bekappten: Sie plärren und plappern

Immer zum Schein so fort und suchen immer die Reichen,

Wissen den Leuten zu schmeicheln und gehen am liebsten zu Gaste.

Bittet man einen, so kommt auch der zweite; da finden sich weiter

Noch zu diesen zwei oder drei. Und wer in dem Kloster

Gut zu schwatzen versteht, der wird im Orden erhoben,

Wird zum Lesemeister, zum Kustos oder zum Prior.

Andre stehen beiseite. Die Schüsseln werden gar ungleich

Aufgetragen; denn einige müssen des Nachts in dem Chor

Singen, lesen, die Gräber umgehn; die anderen haben

Guten Vorteil und Ruh’ und essen die köstlichen Bissen.

Und die Legaten des Papsts, die Äbte, Pröpste, Prälaten,

Die Beguinen und Nonnen, da wäre vieles zu sagen!

Überall heißt es: ‚Gebt mir das Eure und lasst mir das Meine.’

Wenige finden sich wahrlich, nicht sieben, welche der Vorschrift

Ihres Ordens gemäß ein heiliges Leben beweisen.

Und so ist der geistliche Stand gar schwach und gebrechlich.“

„Oheim!“, sagte der Dachs, „Ich find’ es besonders: Ihr beichtet

Fremde Sünden. Was will es Euch helfen? Mich dünkt, es wären

Eurer eignen genug. Und sagt mir, Oheim, was habt Ihr

Um die Geistlichkeit Euch zu bekümmern, und dieses und jenes?

Seine Bürde mag jeglicher tragen, und jeglicher gebe

Red’ und Antwort, wie er in seinem Sand die Pflichten

Zu erfüllen strebt. Dem soll sich niemand entziehen,

Weder Alte noch Junge, hier außen oder im Kloster.

Doch Ihr redet zu viel von allerlei Dingen und könntet

Mich zuletzt zum Irrtum verleiten. Ihr kennt vortrefflich,

Wie die Welt nun besteht, und alle Dinge sich fügen:

Niemand schickte sich besser zum Pfaffen. Ich käme mit andern

Schafen zu beichten bei Euch und Eurer Lehre zu horchen,

Eure Weisheit zu lernen; denn freilich muss ich gestehen:

Stumpf und grob sind die meisten von uns und hätten’s von nöten.“

Also hatten sie sich dem Hof des Königs genähert.

Reineke sagte: „So ist es gewagt!“ und nahm sich zusammen.

Und sie begegneten Martin, dem Affen, der hatte sich eben

Aufgemacht und wollte nach Rom. Er grüßte die beiden:

„Lieber Oheim, fasst ein Herz!“, so sprach er zum Fuchs,

Fragt’ ihn dieses und jenes, obschon ihm die Sache bekannt war.

„Ach, wie ist mir das Glück in diesen Tagen entgegen!“

Sagte Reineke drauf: „Da haben mich etliche Diebe

Wieder beschuldigt, wer sie auch sind, besonders die Krähe

Mit dem Kaninchen; sein Weib verlor das eine, dem andern

Fehlt ein Ohr. Was kümmert mich das? Und könnt’ ich nur selber

Mit dem Könige reden, sie beide sollten’s empfinden.

Aber mich hindert am meisten, dass ich am Bann des Papstes

Leider noch bin. Nun hat in der Sache der Dompropst die Vollmacht,

Der beim König gilt. Und in dem Bann befind’ ich

Mich um Isegrims willen, der einst ein Klausner geworden,

Aber dem Kloster entlief, von Elkmar, wo er gewohnt.

Und er schwur, so könnt’ er nicht leben, man halt’ ihn zu streng,

Lange könn’ er nicht fasten und könne nicht immer so lesen.

Damals half ich ihm fort. Es reut mich: Denn er verleumdet

Mich beim König nun und sucht mir immer zu schaden.

Soll ich nach Rom? Wie werden indes zu Hause die Meinen

In Verlegenheit sein! Denn Isegrim kann es nicht lassen:

Wo er sie findet, beschädigt er sie. Auch sind noch so viele,

Die mir Übels gedenken und sich an die Meinigen halten.

Wär’ ich aus dem Bann gelöst, so hätt’ ich es besser,

Könnte gemächlich mein Glück bei Hof wieder versuchen.“

Martin versetzte: „Da kann ich Euch helfen, es trifft sich! Soeben

Geh’ ich nach Rom und nütz’ Euch daselbst mit künstlichen Stücken.

Unterdrücken lass’ ich Euch nicht! Als Schreiber des Bischofs,

Dünkt mich, versteh’ ich das Werk. Ich schaffe, dass man den Dompropst

Grad nach Rom zitiert, da will ich gegen ihn fechten.

Seht nur, Oheim, ich treibe die Sache und weiß sie zu leiten:

Exequieren lass’ ich das Urteil, Ihr werdet mir sicher

Absolviert, ich bring’ es Euch mit; es sollen die Feinde

Übel sich freun und ihr Geld zusamt der Mühe verlieren.

Denn ich kenne den Gang der Dinge zu Rom und verstehe,

Was zu tun und zu lassen. Da ist Herr Simon, mein Oheim,

Angesehn und mächtig, er hilft den guten Bezahlern.

Schalkefund, das ist ein Herr! Und Doktor Greifzu und andre,

Wendemantel und Losefund hab’ ich alle zu Freunden.

Meine Gelder schickt’ ich voraus; denn, seht nur, so wird man

Dort am besten bekannt. Sie reden wohl von Zitieren,

Aber das Geld begehren sie nur. Und wäre die Sache

Noch so krumm, ich mache sie grad mit guter Bezahlung.

Bringst du Geld, so findest du Gnade; sobald es dir mangelt,

Schließen die Türen sich zu. Ihr bleibt ruhig im Land:

Eurer Sache nehm’ ich mich an, ich löse den Knoten.

Geht nur nach Hof, Ihr werdet daselbst Frau Rückenau finden,

Meine Gattin: Es leibt sie der König, unser Gebieter,

Und die Königin auch, sie ist behänden Verstandes.

Sprecht sie an, sie ist klug, verwendet sich gerne für Freunde.

Viele Verwandte findet Ihr da. Es hilft nicht immer,

Recht zu haben. Ihr findet bei ihr zwei Schwestern, und meiner

Inder sind drei, daneben noch manche von Eurem Geschlecht,

Euch zu dienen bereit, wie Ihr es immer begehrt.

Und versagte man Euch das Recht, so sollt Ihr erfahren,

Was ich vermag. Und wenn man Euch druckt, berichtet mir’s eilig!

Und ich lasse das Land in Bann tun, den König und alle

Weiber und Männer und Kinder. Ein Interdikt will ich senden:

Singen soll man nicht mehr, noch Messe lesen, noch taufen,

Noch begraben, was es auch sei. Des tröstet Euch, Neffe!

Denn der Papst ist alt und krank und nimmt sich der Dinge

Weiter nicht an, man achtet ihn wenig. Auch hat nun am Hof

Kardinal Ohnegenüge die ganze Gewalt, der ein junger

Rüstiger Mann ist, ein feuriger Mann von schnellem Entschluss.

Dieser liebt ein Weib, das ich kenne; sie soll ihm ein schreiben

Bringen, und was sie begehrt, das weiß sie trefflich zu machen.

Und sein Schreiber Johannes Partey, der kennt aufs genauste

Alte und neue Münze; dann Horchegenau, sein Geselle,

Ist ein Hofmann; Schleifenundwenden ist Notarius,

Baccalaureus beider Rechte, und bleibt er nur etwa

Noch ein Jahr, so ist er vollkommen in praktischen Schriften.

Dann sind noch zwei Richter daselbst, die heißen Moneta

Und Donarius: Sprechen sie ab, so bleibt es gesprochen.

So verübt man in Rom gar manche Listen und Tücken,

Die der Papst nicht erfährt. Man muss sich Freunde verschaffen!

Denn durch sie vergibt man die Sünden und löst die Völker

Aus dem Bann. Verlasst euch darauf, mein wertester Oheim!

Denn es weiß der König schon lang’, ich lass’ Euch nicht fallen:

Eure Sache führ’ ich hinaus und bin es vermögend.

Ferner mag er bedenken, es sind gar viele den Affen

Und den Füchsen verwandt, die ihn am besten beraten,

Und das hilft Euch gewiss, es gehe, wie es auch wolle.“

Reineke sprach: „Das tröstet mich sehr! Ich denk’ es Euch wieder,

Komm’ ich diesmal nur los.“ Und einer empfahl sich dem andern.

Ohne Geleit ging Reineke nun mit Grimbart, dem Dachs,

Nach dem Hof des Königs, wo man ihm übel gesinnt war.

 
 * 

Neunter Gesang

Reineke war nach Hof gelangt, er dachte die Klagen

Abzuwenden, die ihn bedrohten. Doch als er die vielen

Feinde beisammen erblickte, wie alle standen, und alle

Sich zu rächen begehrten und ihn am Leben zu strafen,

Fiel ihm der Mut: Er zweifelte nun, doch ging er mit Kühnheit

Grade durch alle Barone, und Grimbart ging ihm zur Seite.

Sie gelangten zum Thron des Königs, da lispelte Grimbart:

„Seid nicht furchtsam, Reineke, diesmal! Gedenkt: Dem Blöden

Wird das Glück nicht zuteil, der Kühne sucht die Gefahr auf

Und erfreut sich mit ihr, sie hilft ihm wieder entkommen.“

Reineke sprach: „Ihr sagt mir die Wahrheit, ich danke zum schönsten

Für den herrlichen Trost, und komm’ ich wieder in Freiheit,

Werd’ ich’s gedenken.“ Er sah nun umher, und viele Verwandte

Fanden sich unter der Schar, doch wenige Gönner, den meisten

Pflegt’ er übel zu dienen, ja, unter den Ottern und Bibern,

Unter Großen und Kleinen trieb er sein schelmisches Wesen.

Doch entdeckt’ er noch Freunde genug im Saal des Königs.

Reineke kniete vorm Thron zur Erde und sagte bedächtig:

„Gott, dem alles bekannt ist, und der in Ewigkeit mächtig

Bleibt, bewahr’ Euch, mein Herr und König, bewahre nicht minder

Meine Frau, die Königin, immer, und beiden zusammen

Geb’ er Weisheit und gute Gedanken, damit sie besonnen

Recht und Unrecht erkennen. Denn viele Falschheit ist jetzo

Unter den Menschen im Gang, da scheine viele von außen,

Was sie nicht sind. O hätte doch jeder am Vorhaupt geschrieben,

Wie er gedenkt, und säh’ es der König! Da würde sich zeigen,

Dass ich nicht lüge, und dass ich euch immer zu dienen bereit bin.

Zwar verklagen die Bösen mich heftig, sie möchten mir gerne

Schaden und Eurer Huld mich berauben, als wär’ ich derselben

Unwert. Aber ich kenne die strenge Gerechtigkeitsliebe

Meines Königs und Herrn; denn ihn verleitete keiner

Je, die Wege des Rechtes zu schmälern: So wird es auch bleiben!“

Alles kam und drängte sich nun, ein jeglicher musste

Reinekes Kühnheit bewundern, es wünscht’ ihn jeder zu hören.

Seine Verbrechen waren bekannt, wie wollt’ er entrinnen?

„Reineke, Bösewicht!“, sagte der König: „Für diesmal erretten

Deine losen Worte dich nicht, sie helfen nicht länger,

Lügen und Trug zu verkleiden, nun bist du ans Ende gekommen.

Denn du hast die Treue zu mir, ich glaube, bewiesen

Am Kaninchen und an der Krähe. Das wäre genugsam;

Aber du übest Verrat an allen Orten und Enden!

Deine Streiche sind falsch und behände, doch werden sie nicht mehr

Lange dauern; denn voll ist das Maß, ich schelte nicht länger.“

Reineke dachte: „Wie wird es mir gehen? O hätt’ ich nur wieder

Meine Behausung erreicht! Wo will ich Mittel ersinnen?

Wie es auch geht, ich muss nun hindurch – versuchen wir alles! –

Mächtiger König, edelster Fürst!“, so ließ er sich hören.

„Meint Ihr, ich habe den Tod verdient, so habt Ihr die Sache

Nicht von der rechten Seite betrachtet; drum bitt’ ich, Ihr wollt

Erst mich hören. Ich habe ja sonst Euch nützlich geraten,

In der Not bin ich bei Euch geblieben, wenn etliche wichen,

Die sich zwischen uns beide nun stellen zu meinem Verderben

Und die Gelegenheit nützen, wenn ich entfernt bin. Ihr mögt,

Edler König, hab’ ich gesprochen, die Sache dann schlichten:

Werd’ ich schuldig befunden, so muss ich es freilich ertragen.

Wenig habt Ihr meiner gedacht, indes ich im Lande

Vieler Orten und Enden die sorglichste Wache gehalten.

Meint Ihr, ich wäre nach Hof gekommen, wofern ich mich schuldig

Wusste großer oder kleiner Vergehn? Ich würde bedächtig

Eure Gegenwart fliehn und meine Feinde vermeiden.

Nein, mich hätten gewiss aus meiner Feste nicht sollen

Alle Schätze der Welt hierher verleiten: Da war ich

Frei auf eigenem Grund und Boden. Nun bin ich mir aber

Keines Übels bewusst, und also bin ich gekommen.

Eben stand ich, Wache zu halten; da brachte mein Oheim

Mir die Zeitung, ich solle nach Hof. Ich hatte von neuem,

Wie ich dem Bann mich entzöge, gedacht, darüber mit Martin

Vieles gesprochen, und er gelobte mir heilig, er wolle

Mich von dieser Bürde befrein. ‚Ich werde nach Rom gehen’,

Sagt’ er, ‚und nehme die Sache von nun an völlig auf meine

Schultern; geht nur nach Hof, des Bannes werdet Ihr ledig.’

Seht, so hat mir Martin geraten, er muss es verstehen.

Denn der vortreffliche Bischof, Herr Ohnegrund, braucht ihn beständig:

Schon fünf Jahre dient er demselben in rechtlichen Sachen.

Und so kam ich hieher und finde Klagen auf Klagen.

Das Kaninchen, der Äugler, verleumdet mich; aber es steht nun

Reineke hier: So tret’ er hervor mit unter die Augen!

Denn es ist freilich was Leichtes, sich über Entfernte beklagen,

Aber man soll den Gegenteil hören, bevor man ihn richtet.

Diese falschen Gesellen, bei meiner Treue! Sie haben

Gutes genossen von mir, die Krähe mit dem Kaninchen:

Denn vorgestern am Morgen in aller Frühe begegnet’

Mir das Kaninchen und grüßte mich schön; ich hatte soeben

Vor mein Schloss mich gestellt und als die Gebete des Morgens.

Und er zeigte mir an, er gehe nach Hof. Da sagt’ ich:

‚Gott begleit’ Euch!’ Er klagte darauf: ‚Wie hungrig und müde

Bin ich geworden!’ Da fragt’ ich ihn freundlich: ‚Begehrt Ihr zu essen?’ –

‚Dankbar nehm’ ich es an,’ versetzt’ er. Aber ich sagte:

‚Geb’ ich’s doch gerne.’ So ging ich mit ihm und bracht’ ihm behände

Krischen und Butter: Ich pflege kein Fleisch am Mittwoch zu essen.

Und er sättigte sich mit Brot und Butter und Früchten.

Aber es trat mein Söhnchen, das jüngste, zum Tisch, zu sehen,

Ob was übrig geblieben: Denn Kinder lieben des Essen.

Und der Knabe haschte darnach. Da schlug das Kaninchen

Hastig ihn über das Maul, es bluteten Lippen und Zähne.

Reinhart, mein andrer, sah die Begegnung und fasste den Äugler

Grad an der Kehle, spielte sein Spiel und rächte den Bruder.

Das geschah, nicht mehr und nicht minder. Ich säumte nicht lange,

Lief und strafte die Knaben und brachte mit Mühe die beiden

Auseinander. Kriegt’ er was ab, so mag er es tragen;

Denn er hatte noch mehr verdient; auch wären die Jungen,

Hätt’ ich es übel gemeint, mit ihm wohl fertig geworden.

Und so dankt er mir nun! Ich riss ihm, sagt er, ein Ohr ab;

Ehre hat er genossen und hat ein Zeichen behalten.

Ferner kam die Krähe zu mir und klagte, die Gattin

Hab’ er verloren, sie habe sich leider zu Tode gegessen,

Einen ziemlichen Fisch mit allen gräten verschlungen:

Wo es geschah, das weiß er am besten. Nun sagt er, ich habe

Sie gemordet! Er tat es wohl selbst, und würde man ernstlich

Ihn verhören, dürft’ ich es tun, er spräche wohl anders:

Denn sie fliegen, es reicht kein Sprung so hoch, in die Lüfte.

Will nun solcher verbotenen Taten mich jemand bezichten,

Tu’ er’s mit redlichen, gültigen Zeugen: Denn also gehört sich’s,

Gegen edle Männer zu rechten, ich müsst’ es erwarten.

Aber finden sich keine, so gibt’s ein anderes Mittel.

Hier! Ich bin zum Kampf bereit! Man setze den Tag an

Und den Ort! Es zeige sich dann ein würdiger Gegner,

Gleich mit mir von Geburt, ein jeder führe sein Recht aus.

Wer dann Ehre gewinnt, dem mag sie bleiben! So hat es

Immer zu Rechte gegolten, und ich verlang’ es nicht besser.“

Alle standen und hörten und waren über die Worte

Reinekes höchlich verwundert, die er so trotzig gesprochen.

Und es erschraken die beiden, die Krähe mit dem Kaninchen,

Räumten den Hof und trauten nicht weiter ein Wörtchen zu sprechen,

Gingen und sagten untereinander: „Es wäre nicht ratsam,

Gegen ihn weiter zu rechten. Wir möchten alles versuchen,

Und wir kämen nicht aus. Wer hat’s gesehen? Wir waren

Ganz allein mit dem Schelm – wer sollte zeugen? Am Ende

Bleibt der Schaden uns doch. Für alle seine Verbrechen

Warte der Henker ihm auf und lohn’ ihm, wie er’s verdiente!

Kämpfen will er mit uns? Das möcht’ uns übel bekommen.

Nein, fürwahr, wir lassen es lieber! Denn falsch und behende,

Lose und tückisch kennen wir ihn. Es wären ihm wahrlich

Unser fünfe zu wenig, wir müsste es teuer bezahlen.“

Isegrim aber und Braune war übel zumute, sie sahen

Ungern die beiden von Hof sich schleichen. Da sagte der König:

„Hat noch jemand zu klagen, der komme! Lasst uns vernehmen!

Gestern drohten so viele, hier steht der Beklagte! Wo sind sie?“

Reineke sagte: „So pflegt es zu gehen! Man klagt und beschuldigt

Diesen und jenen; doch stünd’ er dabei, man bleibe zu Hause.

Diese losen Verräter, die Krähe mit dem Kaninchen,

Hätten mich gern in Schande gebracht und Schaden und Strafe.

Aber sie bitten mir’s ab, und ich vergebe: Denn freilich,

Da ich komme, bedenken sie sich und weichen zur Seite.

Wie beschämt’ ich sie nicht! Ihr seht, wie es gefährlich

Ist, die losen Verleumder entfernter Diener zu hören:

Sie verdrehen das Rechte und sind den Besten gehässig.

Andre dauern mich nur, an mir ist wenig gelegen.“

„Höre mich,“ sagte der König darauf, „du loser Verräter!

Sage, was trieb dich dazu, dass du mir Lampe, den treuen,

Der mir die Briefe zu tragen pflegte, so schmählich getötet?

Hatt’ ich nicht alles vergeben, so viel du immer verbrochen?

Ränzel und Stab empfingst du von mir, so warst du versehen,

Solltest nach Rom und über das Meer; ich gönnte dir alles,

Und ich hoffte Bessrung von dir. Nun seh’ ich zum Anfang,

Wie du Lampe gemordet: Es musste Bellyn dir zum Boten

Dienen, der brachte das Haupt im Ränzel getragen und sagte

Öffentlich aus, er bringe mir Briefe, die ihr zusammen

Ausgedacht und geschrieben, er habe das Beste geraten.

Und im Ränzel fand sich das Haupt, nicht mehr und nicht minder.

Mir zum Hohne tatet ihr das. Bellyne behielt ich

Gleich zum Pfand, sein Leben verlor er – nun geht es an deines.“

Reineke sagte: „Was hör’ ich? Ist Lampe tot? Und Bellyne

Find’ ich nicht mehr? Was wird nun aus mir? O wär’ ich gestorben!

Ach, mit beiden geht mir ein Schatz, der größte, verloren!

Denn ich sandt’ Euch durch die Kleinode, welche nicht besser

Über der Erde sich finden. Wer sollte glauben, der Widder

Würde Lampen ermorden und Euch der Schätze berauben?

Hüte sich einer, wo niemand Gefahr und Tücke vermutet.“

Zornig hörte der König nicht aus, was Reineke sagte,

Wandte sich weg nach seinem Gemach und hatte nicht deutlich

Reinekes Rede vernommen; er dacht’ ihn am Leben zu strafen.

Und er fand die Königin eben in seinem Gemach

Mit Frau Rückenau stehn. Es war die Äffin besonders

König und Königin lieb: Das sollte Reineke helfen.

Unterrichtet war sie und klug und wusste zu reden,

Wo sie erschien, sah jeder auf sie und ehrte sie höchlich.

Diese merkte des Königs Verdruss und sprach mit Bedacht:

„Wenn Ihr, gnädiger Herr, auf meine Bitte zuweilen

Hörtet, gereut’ es Euch nie, und Ihr vergabt mir die Kühnheit,

Wenn Ihr zürntet, ein Wort gelinder Meinung zu sagen.

Seid auch diesmal geneigt, mich anzuhören: Betrifft es

Doch mein eignes Geschlecht! Wer kann die Seinen verleugnen?

Reineke, wie er auch sei, ist mein Verwandter, und soll ich,

Wie sein Betragen mir scheint, aufrichtig bekennen: Ich denke,

Da er zu Rechte sich stellt, von seiner Sache das beste.

Musste sein Vater doch auch, den Euer Vater gegünstigt,

Viel von losen Mäulern erdulden und falschen Verklägern!

Doch beschämt’ er sie stets. Sobald man die Sache genauer

Untersuchte, fand es sich klar: Die tückischen Nieder

Suchten Verdienste sogar als schwere Verbrechen zu deuten.

So erheitl er sich immer in größerem Ansehn bei Hof als

Braun und Isegrim jetzt: Denn diesen wäre zu wünschen,

Dass sie alle Beschwerden auch zu beseitigen wüssten,

Die man häufig über sie hört; allein sie verstehen

Wenig vom Rechte, so zeigt es ihr Rat, so zeigt es ihr Leben.“

Doch der König versetzte darauf: „Wie kann es Euch wundern,

Dass ich Reineke gram bin, dem Dieb, der mir vor kurzem

Lampe getötet, Bellyne verführt und frecher als jemals

Alles leugnet und sich als treuen und redlichen Diener

Anzupreisen erkühnt, indessen alle zusammen

Laute Klagen erheben und nur zu deutlich beweisen,

Wie er mein sicher Geleit verletzt, und wie er mit Stehlen,

Rauben und Morden das Land und meine Getreuen beschädigt.

Nein! Ich duld’ es nicht länger!“ Dagegen sagte die Äffin:

„Freilich ist’s nicht vielen gegeben, in jeglichen Fällen

Klug zu handeln und klug zu raten, und wem es gelingt,

Der erwirbt sich Vertrauen; allein es suchen die Nieder

Ihm dagegen heimlich zu schaden, und werden sie zahlreich,

Treten sie öffentlich auf. So ist es Reineke mehrmals

Schon ergangen; doch werden sie nicht die Erinnrung vertilgen,

Wie er in Fällen Euch weise geraten, wenn alle verstummten.

Wisst Ihr noch? Vor kurzem geschah’s: Der Mann und die Schlange

Kamen vor Euch, und niemand verstund die Sache zu schlichten;

Aber Reineke fand’s, Ihr lobtet ihn damals vor allen.“

Und der König versetzte nach kurzem Bedenken dagegen:

„Ich erinnre der Sache mich wohl, doch hab’ ich vergessen,

Wie sie zusammenhing: Sie war verworren, so dünkt mich.

Wisst Ihr sie noch, so lasst sie mich hören, es macht mir Vergnügen.“

Und sie sagte: „Befiehlt es mein Herr, so soll es geschehen.

Eben sind’s zwei Jahre, da kam ein Lindwurm und klagte

Stürmisch, gnädiger Herr, vor Euch: Es woll’ ihm ein Bauer

Nicht im Recht sich fügen, ein Mann, den zweimal das Urteil

Nicht begünstigt. Er brachte den Bauer vor Euern Gerichtshof

Und erzählte die Sache mit vielen heftigen Worten.

Durch ein Loch im Zaun zu kriechen gedachte die Schlange,

Fing sich aber im Strick, der vor die Öffnung gelegt war;

Fester zog die Schlinge sich zu, sie hätte das Leben

Dort gelassen, da kam ihr zum Glück ein Wandrer gegangen.

Ängstlich rief sie: ‚Erbarme dich meiner und mache mich ledig!

Lass dich erbitten!’ Da sagte der Mann: ‚Ich will dich erlösen;

Denn mich jammert dein Elend; allein erst sollst du mir schwören,

Mir nicht Leides zu tun.’ Die Schlange fand sich erbötig,

Schwur den teuersten Eid: Sie wolle auf keinerlei Weise

Ihren Befreier verletzen, und so erlöste der Mann sie.

Und sie gingen ein Weilchen zusammen, da fühlte die Schlange

Schmerzlichen Hunger, sie schoss auf den Mann und wollt’ ihn erwürgen,

Ihn verzehren. Mit Angst und Not entsprang ihr der Arme.

‚Da ist mein Dank? Das hab’ ich verdient?’, so rief er, ‚und hast du

Nicht geschworen den teuersten Eid?’ Da sagte die Schlange:

‚Leider nötigt mich der Hunger, ich kann mir nicht helfen;

Not erkennt kein Gelobt, und so besteht es zu Recht.’

Da versetzte der Mann: ‚So schone nur meiner so lange,

bis wir zu Leuten kommen, die unparteiisch uns richten.’

Und es sagte der Wurm: ‚Ich will mich so lange gedulden.’

Also gingen sie weiter und fanden über dem Wasser

Pflückebeutel, den Raben, mit seinem Sohn; man nennt ihn

Quackeler. Und die Schlang eben rief sie zu sich und sagte:

‚Kommt und hört!’ Es hörte die Sache der Rabe bedächtig,

Und er richtete gleich: Den Mann zu essen. Er hoffte,

Selbst ein Stück zu gewinnen. Da freute die Schlange sich höchlich:

‚Nun, ich habe gesiegt! Es kann mir’s niemand verdenken.’ –

‚Nein!’, versetzte der Mann: ‚Ich habe nicht völlig verloren;

Sollt’ ein Räuber zum Tod verdammen? Und sollte nur einer

Richten? Ich fordere ferner Gehör, im Gang des Rechtes!

Lasst uns vor vier, vor zehn die Sache bringen und hören.’

‚Gehen wir!’, sagte die Schlange. Sie gingen, und es begegnet’

Ihnen der Wolf und der Bär, und alle traten zusammen.

Alles befürchtete nun der Mann: Denn zwischen den fünfen

War es gefährlich zu stehn und zwischen solchen Gesellen;

Ihn umringten die Schlange, der Wolf, der Bär und die Raben.

Bange war ihm genug; denn bald verglichen sich beide,

Wolf und Bär, das Urteil in dieser Maße zu fällen:

Töten dürfe die Schlange den Mann, der leidige Hunger

Kenne keine Gesetze, die Not entbinde vom Eidschwur.

Sorgen und Angst befielen den Wandrer; denn alle zusammen

Wollten sein Leben. Da schoss die Schlange mit grimmigem Zischen,

Spritzte Geifer auf ihn, und ängstlich sprang er zur Seite.

‚Großes Unrecht,’ rief er, ‚begehst du! Wer hat dich zum Herren

Über mein Leben gemacht?’ Sie sprach: ‚Du hast es vernommen,

Zweimal sprachen die Richter, und zweimal hast du verloren.’

Ihr versetzte der Mann: ‚Sie rauben selber und stehlen!

Ich erkenne sie nicht, wir wollen zum König gehen.

Mag er sprechen, ich füge mich drein; und wenn ich verliere,

Hab’ ich noch Übels genug, allein ich will es ertragen.’

Spottend sagte der Wolf und der Bär: ‚Du magst es versuchen!

Aber die Schlange gewinnt, sie wird’s nicht besser begehren.’

Denn sie dachten, es würden die sämtlichen Herren des Hofes

Sprechen wie sie, und gingen getrost und führten den Wandrer,

Kamen vor Euch, die Schlange, der Wolf, der Bär und die Raben.

Ja, selbdritt erschein der Wolf, er hatte zwei Kinder,

Eitelbauch heiß der eine, der andere Nimmersatt, beide

Machten dem Mann am meisten zu schaffen: Sie waren gekommen,

Auch ihr Teil zu verzehren; denn sie sind immer begierig,

Heulten damals vor Euch mit unerträglicher Grobheit.

Ihr verbotet den Hof den beiden plumpen Gesellen.

Da berief sich der Mann auf Eure Gnaden, erzählte,

Wie ihn die Schlange zu töten gedenke: Sie habe der Wohltat

Völlig vergessen, sie breche den Eid! So fleht’ er um Rettung.

Aber die Schlange leugnete nicht: ‚Es zwingt mich des Hungers

Allgewaltige Not, sie kennt keine Gesetze.’

Gnädiger Herr, da wart Ihr bekümmert: Es schien Euch die Sache

Gar bedenklich zu sein und rechtlich schwer zu entschieden;

Denn es schien Euch hart, den guten Mann zu verdammen,

Der sich hilfreich bewiesen; allein Ihr dachtet dagegen

Auch des schmählichen Hungers. Und so berieft Ihr die Räte.

Leider war die Meinung der meisten dem Mann zum Nachteil;

Denn sie wünschten die Mahlzeit und dachten der Schlange zu helfen.

Doch Ihr sendetet Boten nach Reineke: Alle die andern

Sprachen gar manches und konnten die Sache zu Recht nicht scheiden.

Reineke kam und hörte den Vortrag. Ihr legtet das Urteil

Ihm in die Hände, und wie er es spräche, so sollt’ es geschehen.

Reineke sprach mit gutem Bedacht: ‚Ich finde vor allem

Nötig, den Ort zu besuchen, und seh’ ich die Schlange gebunden,

Wie der Bauer sie fand, so wird das Urteil sich geben.’

Und man band die Schlange von neuem an selbiger Stätte,

In der Maße, wie sie der Bauer im Zaun gefunden.

Reineke sagte darauf: ‚Hier ist nun jedes von beiden

Wieder im vorigen Stand, und keines hat weder gewonnen,

Noch verloren! Jetzt zeigt sich das Recht, so scheint mir’s, von selber.

Denn beliebt es dem Mann, so mag er die Schlange noch einmal

Aus der Schlinge befrein; wo nicht, so lässt er sie hängen,

Frei, mit Ehren geht er die Straße nach seinen Geschäften.

Da sie untreu geworden, als sie die Wohltat empfangen,

Hat der Mann nun billig die Wahl. Das scheint mir des Rechtes

Wahrer Sinn! Wer’s besser versteht, der lass’ es uns hören.’

Damals gefiel Euch das Urteil und Euren Räten zusammen.

Reineke wurde gepriesen, der Bauer dankt’ Euch, und jeder

Rühmte Reinekes Klugheit, ihn rühmte die Königin selber.

Vieles wurde gesprochen: Im Krieg wären noch eher

Isegrim und Braun zu gebrauchen, man fürchte sie beide

Weit und breit, sie fänden sich gern, wo alles verzehrt wird.

Groß und stark und kühn sei jeder, man könn’ es nicht leugnen;

Doch im Rate fehle gar oft die nötige Klugheit;

Denn sie pflegen zu sehr auf ihre Stärke zu trotzen:

Kommt man ins Feld und naht sich dem Werk, da hinkt es gewaltig.

Mutiger kann man nichts sehn, als sie zu Hause sich zeigen;

Draußen liegen sie gern im Hinterhalt. Setzt es denn einmal

Tüchtige Schläge, so nimmt man sie mit, so gut als ein andrer.

Bären und Wölfe verderben das Land, es kümmert sie wenig,

Wessen Haus die Flamme verzehrt, sie pflegen sich immer

An den Kohlen zu wärmen, und sie erbarmen sich keines,

Wenn ihr Kropf sich nur füllt. Man schlürft die Eier hinunter,

Lässt den Armen die Schalen und glaubt noch redlich zu teilen.

Reineke Fuchs mit seinem Geschlecht versteht sich dagegen

Wohl auf Weisheit und Rat, und hat er nun etwas versehen,

Gnädiger Herr, so ist er kein Stein. Doch wird Euch ein andrer

Niemals besser beraten. Darum verzeiht ihm, ich bitte!“

Da versetzte der König: „Ich will es bedenken. Das Urteil

Ward gesprochen, wie Ihr erzählt, es büßte die Schlange.

Doch von Grund aus bleibt er ein Schalk, wie sollt’ er sich bessern?

Macht man ein Bündnis mit ihm, so bleibt man am Ende betrogen;

Denn er dreht sich so listig heraus, wer ist ihm gewachsen?

Wolf und Bär und Kater, Kaninchen und Krähe, sie sind ihm

Nicht behende genug, er bringt sie in Schaden und Schande.

Diesem behielt er ein Ohr, dem andern das Auge, das Leben

Raubt’ er dem dritten! Fürwahr, ich weiß nicht, wie Ihr dem Bösen

So zugunsten sprecht und seine Sache verteidigt.“ –

„Gnädiger Herr,“ versetzte die Äffin, „ich kann es nicht bergen:

Sein Geschlecht ist edel und groß, Ihr mögt es bedenken.“

Da erhub sich der König, herauszutreten: Es stunden

Alle zusammen und warteten sein. Er sah in dem Kreise

Viele von Reinekes nächsten Verwandten, sie waren gekommen,

Ihren Vetter zu schützen, sie wären schwerlich zu nennen.

Und er sah das große Geschlecht, er sah auf der andern

Seite Reinekes Feinde: Es schien der Hof sich zu teilen.

Da begann der König: „So höre mich, Reineke! Kannst du

Solchen Frevel entschuld’gen, dass du mit Hilfe Bellynes

Weinen frommen Lampe getötet? Und dass ihr Verwegnen

Mir sein Haupt ins Ränzel gesteckt, als wären es Briefe?

Mich zu höhnen, tatet ihr das! Ich habe den einen

Schon bestraft, es büßte Bellyn: Erwarte das Gleiche.“

#“Weh mir!“, sagte Reineke drauf. „O wär’ ich gestorben!

Hört mich an, und wie es sich findet, so mag es geschehen:

Bin ich schuldig, so tötet mich gleich, ich werde doch nimmer

Aus der Not und sorge mich retten, ich bleibe verloren.

Denn der Verräter Bellyn, er unterschlug mir die größten

Schätze, kein Sterblicher hat dergleichen jemals gesehen.

Ach, sie kosten Lampen das Leben! Ich hatte sie beiden

Anvertraut, nun raubte Bellyn die köstlichen Sachen.

Ließen sie sich doch wieder erforschen! Allein ich befürchte,

Niemand findet sie mehr, sie bleiben auf immer verloren.“

Aber die Äffin versetzte darauf: „Wer wollte verzweifeln?

Sind sie nur über der Erde, so ist noch Hoffnung zu schöpfen.

Früh und späte wollen wir gehen und Laien und Pfaffen

Emsig fragen. Doch zeigt uns an, wie waren die Schätze?“

Reineke sagte: „Sie waren so köstlich, wir finden sie nimmer!

Wer sie besitzt, verwahrt sie gewiss. Wie wird sich darüber

Nicht Frau Ermelyn quälen! Sie wird mir’s niemals verzeihen;

Denn sie missriet mir, den beiden das köstliche Kleinod zu geben.

Nun erfindet man Lügen auf mich und will mich verklagen!

Doch ich verfechte mein Recht, erwarte das Urteil, und werd’ ich

Los gesprochen, so reis’ ich umher durch Länder und Reiche,

Suche die Schätze zu schaffen, und sollt’ ich mein Leben verlieren.“

 
 * 

Zehnter Gesang

„O mein König!“, sagte darauf der listige Redner:

„Lasst mich, edelster Fürst, vor meinen Freunden erzählen,

Was Euch alles von mir an köstlichen Dingen bestimmt war.

Habt Ihr sie gleich nicht erhalten, so war mein Wille doch löblich.“

„Sage nur an,“ versetzte der König, „und kürze die Worte!“

„Glück und Ehre sind hin! Ihr werdet alles erfahren,“

Sagte Reineke traurig. „Das erste köstliche Kleinod

War ein Ring; ich gab ihn Bellyn, er sollt’ ihn dem König

Überliefern. Es war auf wunderbarliche Weise

Dieser Ring zusammengesetzt und würdig, im Schatz

Meines Fürsten zu glänzen, aus feinem Gold gebildet.

Auf der inneren Seite, die nach dem Finger sich kehrt,

Standen Lettern gegraben und eingeschmolzen: Es waren

Drei hebräische Worte von ganz besonderer Deutung.

Niemand erklärte so leicht in diesen Landen die Züge,

Meister Abryon nur von Trier, der konnte sie lesen.

Es ist ein Jude, gelehrt, und alle Zungen und Sprachen

Kennt er, die von Poitou bis Lüneburg werden gesprochen,

Und auf Kräuter und Steine versteht sich der Jude besonders.

Als ich den Ring ihm gezeigt, da sagt’ er: ‚Köstliche Dinge

Sind hier innen verborgen. Die drei gegrabenen Namen

Brachte Seth, der Fromme, vom Paradies hernieder,

Als er das Öl der Barmherzigkeit suchte; und wer ihn am Finger

Trägt, der findet sich frei von allen Gefahren: Es werden

Weder Donner, noch Blitz, noch Zauberei ihn verletzen.’

Ferner sagte der Meister, er habe gelesen, es könne,#

Wer den Ring am Finger bewahrt, in grimmiger Kälte

Nicht erfrieren, er lebe gewiss ein ruhiges Alter.

Außen stand ein Edelgestein, ein heller Karfunkel,

Dieser leuchtete nachts und zeigte deutlich die Sachen.

Viele Kräfte hatte der Stein: Er heilte die Kranken,

Wer ihn berührte, fühlte sich frei von allen Gebrechen,

Aller Bedrängnis, nur ließ sich der Tod allein nicht bezwingen.

Weiter entdeckte der Meister des Steines herrliche Kräfte:

Glücklich reist der Besitzer durch alle Lande, ihm schadet

Weder Wasser noch Feuer, gefangen oder verraten

Kann er nicht werden, und jeder Gewalt des Feindes entgeht er.

Und besieht er nüchtern den Stein, so wird er im Kampf

Hundert überwinden und mehr; die Tugend des Steines

Nimmt dem Gift die Wirkung und allen schädlichen Säften.

Ebenso vertilgt sie den Hass, und sollte gleich mancher

Den Besitzer nicht lieben, er fühlt sich in kurzem verändert.

Wer vermöchte die Kräfte des Steines alle zu zählen,

Den ich im Schatz des Vaters gefunden und den ich dem König

Nun zu senden gedachte? Denn solches köstlichen Ringes

War ich nicht wert, ich wusst’ es recht wohl: Er sollte dem einen,

Der von allen der Edelste bleibt, so dacht’ ich, gehören!

Unser Wohl beruht nur auf ihm und unser Vermögen,

Und ich hoffte, sein Leben vor allem Übel zu schützen.

Ferner sollte Widder Bellyn der Königin gleichfalls

Kamm und Spiegel verehren, damit sie meiner gedächte.

Diese hatt’ ich einmal zur Lust vom Schatz des Vaters

Zu mir genommen, es fand sich auf Erden kein schöneres Kunstwerk.

O wie oft versucht’ es mein Weib und wollte sie haben!

Sie verlangte nichts weiter von allen Gütern der Erde,

Und wir stritten darum; sie konnte mich niemals bewegen.

Doch nun sendet’ ich Spiegel und Kamm mit gutem Bedachte

Meiner gnädigen Frauen, der Königin, welche mir immer

Große Wohltat erwies und mich vor Übel beschirmte:

Öfters hat sie für mich ein günstiges Wörtchen gesprochen,

Edel ist sie, von hoher Geburt, es ziert sie die Tugend,

Und ihr altes Geschlecht bewährt sich in Worten und Werken.

Würdig war sie des Spiegels und Kammes! Die hat sie nun leider

Nicht mit Augen gesehn, sie bleiben auf immer verloren.

Nun vom Kamm zu reden. Zu diesem hatte der Künstler

Pantherknochen genommen, die Reste des edlen Geschöpfes.

Zwischen Indien wohnt es und zwischen dem Paradies,

Allerlei Farben zieren sein Fell, und süße Gerüche

Breiten sich aus, wohin es sich wendet, darum auch die Tiere

Seine Fährte so gern auf allen Wegen verfolgen;

Denn sie werden gesund von diesem Geruch, das fühlen

Und erkennen sie alle. Von solchen Knochen und Beinen

War der zierliche Kamm mit vielem Fleiß gebildet,

Klar wie Silber und weiß, von unaussprechlicher Reinheit,

Und des Kammes Geruch ging über Nelken und Zimt.

Stirbt das Tier, so fährt der Geruch in alle Gebeine,

Bleibt beständig darin und lässt sie nimmer verwesen;

Alle Seuche treibt er hinweg und alle Vergiftung.

Ferner sah man die köstlichsten Bilder am Rücken des Kammes

Hocherhaben, durchflochten mit goldenen zierlichen Ranken

Und mit rot- und blauer Lasur. Im mittelsten Feld

War die Geschichte künstlich gebildet, wie Paris von Troja

Eines Tages am Brunnen saß, drei göttliche Frauen

Vor sich sah, man nannte sie Pallas und Juno und Venus.

Lange stritten sie erst; denn jegliche wollte den Apfel

Gerne besitzen, der ihnen bisher zusammen gehörte;

Endlich verglichen sie sich, es solle den goldenen Apfel

Paris der Schönsten bestimmen, sie sollt’ allein ihn behalten.

Und der Jüngling beschaute sie wohl mit gutem Bedacht.

Uno sagte zu ihm: ‚Erhalt’ ich den Apfel, erkennst du

Mich für die Schönste, so wirst du der erste vor allen an Reichtum.’

Pallas versetzte: ‚Bedenke dich wohl und gibt mir den Apfel,

Und du wirst der mächtigste Mann; es fürchten dich alle,

Wird dein Name genannt, so Feind’ als Freunde zusammen.’

Venus sprach: ‚Was soll die Gewalt? Was sollen die Schätze?

Ist dein Vater nicht König Priamus? Deine Gebrüder,

Hektor und andre, sind sie nicht reich und mächtig im Land?

Ist nicht Troja geschützt von seinem Heer, und habt Ihr

Nicht umher das Land bezwungen und fernere Völker?

Wirst du die Schönste mich preisen und mir den Apfel erteilen,

Sollst du des herrlichsten Schatzes auf dieser Erde dich freuen.

Dieser Schatz ist ein treffliches Weib, die Schönste von allen,

Tugendsam, edel und weise, wer könnte würdig sie loben?

Gib mir den Apfel, du sollst des griechischen Königs Gemahlin,

Helena mein’ ich, die schöne, den Schatz der Schätze, besitzen.’

Und er gab ihr den Apfel und pries sie vor allen die Schönste.

Aber sie half ihm dagegen die schöne Königin rauben,

Menelaus’ Gemahlin, sie ward in Troja die Seine.

Diese Geschichte sah man erhaben im mittelsten Feld.

Und es waren Schilder umher mit künstlichen Schriften:

Jeder durfte nur lesen, und so verstand der die Fabel.

Hört nun weiter vom Spiegel, daran die Stelle des Glases

Ein Beryl vertrat von großer Klarheit und Schönheit!

Alles zeigte sich drin, und wenn es meilenweit vorging,

War es Tag oder Nacht. Und hatte jemand im Antlitz

Einen Fehler, wie er auch war, ein Fleckchen im Auge,

Durft’ er sich nur im Spiegel besehn, so gingen von Stund an

Alle Mängel hinweg und alle fremden Gebrechen.

Ist’s ein Wunder, dass mich es verdrießt, den Spiegel zu missen?

Und es war ein Köstliches Holz zur Fassung der Tafel,

Sethym heißt es, genommen von festem, glänzendem Wuchs;

Keine Würmer stechen es an, und wird auch, wie billig,

Höher gehalten als Gold, nur Ebenholz kommt ihm am nächsten.

Denn aus diesem verfertigt’ einmal ein trefflicher Künstler

Unter König Krompardes ein Pferd von seltnem Vermögen:

Eine Stunde brauchte der Reiter und mehr nicht zu hundert

Meilen. Ich könnte die Sache für jetzt nicht gründlich erzählen;

Denn es fand sich kein ähnliches Ross, solange die Welt steht.

Anderthalb Fuß war rings die ganze Breite des Rahmens

Um die Tafel herum, geziert mit künstlichem Schnitzwerk,

Und mit goldenen Lettern stand unter jeglichem Bild,

Wie sich’s gehört, die Bedeutung geschrieben. Ich will die Geschichten

Kürzlich erzählen. Die erste war von dem neidischen Pferd:

Um die Wette gedacht’ es mit einem Hirsch zu laufen,

Aber hinter ihm blieb es zurück, das schmerzte gewaltig.

Und es eilte darauf, mit einem Hirten zu reden,

Sprach: ‚Du findest dein Glück, wenn du mir eilig gehorchest.

Setze dich auf, ich bringe dich hin, es hat sich vor kurzem

Dort ein Hirsch im Wald verborgen, den sollst du gewinnen;

Fleisch und Haut und Geweih, du magst sie teuer verkaufen,

Setze dich auf, wir wollen ihm nach!’ – ‚Das will ich wohl wagen!’

Sagte der Hirt und setzte sich auf, sie eilten von dannen

Und sie erblickten den Hirsch in kurzem, folgten behände

Seiner Spur und jagten ihm nach. Er hatte den Vorsprung,

Und es ward dem Pferd zu sauer, da sagt’ es zum Mann:

‚Sitze was ab, ich bin müde geworden, der Ruhe bedarf ich.’

‚Nein, wahrhaftig!’, versetzte der Mann: ‚Du sollst mir gehorchen,

Meine Sporen sollst du empfinden, du hast mich ja selber

Zu dem Ritt gebracht!’ Und so bezwang es der Reiter.

Seht, so lohnt sich der mit vielem Bösen, der, andern

Schaden zu bringen, sich selbst mit Pein und Übel beladet.

Ferner zeig’ ich Euch an, was auf dem Spiegel gebildet

Stand: Wie ein Esel und Hund bei einem Reichen in Diensten

Beide gewesen, so war denn der Hund nun freilich der Liebling.

Denn er saß beim Tisch des Herrn und aß mit demselben

Fisch und Fleisch und ruhte wohl auch im Schoß des Gönners,

Der ihm das beste Brot zu reichen pflegte; dagegen

Wedelte mit dem Schwanz der Hund und leckte den Herren.

Boldewyn sah das Glück des Hundes, und traurig im Herzen

Ward der Esel und sagte bei sich: ‚Wo denkt doch der Herr hin,

Dass er dem faulen Geschöpf so äußerst freundlich begegnet?

Springt das Tier nicht auf ihm herum und leckt ihn am Bart!

Und ich muss die Arbeit verrichten und schleppe die Säcke.

Er probier’ es einmal und tu’ mit fünf, ja mit zehn

Hunden im Jahr so viel, als ich des Monats verrichte!

Und doch wird ihm das Beste gereicht, mich speist man mit Stroh ab,

Lässt auf der harten Erde mich liegen, und wo man mich hintreibt

Oder reitet, spottet man meiner. Ich kann, und ich will es

Länger nicht dulden, will auch des Herrn Gunst mir erwerben.’

Als er so sprach, kam eben sein Herr die Straße gegangen.

Da erhub der Esel den Schwanz und bäumte sich springend

Über den Herren und schrie und sang und plärrte gewaltig,

Leckt’ ihm den Bart und wollte nach Art und Weise des Hundes

An die Wange sich schmiegen und stieß ihm einige Beulen.

Ängstlich entsprang ihm der Herr und rief: ‚O fangt mir den Esel!

Schlagt ihn tot!’ Es kamen die Knechte, da regnet’ es Prügel,

Nach dem Stall trieb man ihn fort: Da blieb er ein Esel.

Mancher findet sich noch von seinem Geschlecht, der andern

Ihre Wohlfahrt missgönnt und sich nicht besser befindet.

Kommt dann aber einmal so einer in reichlichen Zustand,

Schickt sich’s grad, als äße das Schwein mit Löffeln die Suppe,

Nicht viel besser fürwahr. Der Esel trage die Säcke,

Habe Stroh zum Lager und finde Disteln zur Nahrung.

Will man ihn anders behandeln, so bleibt es doch immer beim alten.

Wo ein Esel zur Herrschaft gelangt, kann’s wenig gedeihen:

Ihren Vorteil suchen sie wohl, was kümmert sie weiter?

Ferner sollt Ihr erfahren, mein König, und lasst Euch die Rede

Nicht verdrießen, es stand noch auf dem Rahmen des Spiegels

Schön gebildet und deutlich beschrieben, wie ehmals mein Vater

Sich mit Hinzen verbündet, auf Abenteuer zu zeihen,

Und wie beide heilig geschworen, in allen Gefahren

Tapfer zusammen zu halten und jede Beute zu teilen.

Als sie nun vorwärts zogen, bemerkten sie Jäger und Hunde

Nicht gar fern vom Weg. Da sagte Hinze, der Kater:

‚Guter Rat scheint euer zu werden!’ Mein Alter versetzte:

‚Wunderlich sieht es wohl aus, doch hab’ ich mit herrlichem Rat

Meinen Sack noch gefüllt, und wir gedenken des Eides,

Halten wacker zusammen, das bleibt vor allem das erste.

Hinze sagte dagegen: ‚Es gehe, wie es auch wolle,

Bleibt mir doch ein Mittel bekannt, das denk’ ich zu brauchen.’

Und so sprang er behend auf einen Baum, sich zu retten

Vor der Hund Gewalt, und so verließ er den Oheim.

Ängstlich stand mein Vater nun da, es kamen die Jäger.

Hinze sprach: ‚Nun, Oheim? Wie steht’s? So öffnet den Sack doch!

Ist er voll Rates, so braucht ihn doch jetzt, die Zeit ist gekommen.’

Und die Jäger bliesen das Horn und riefen einander.

Lief mein Vater, so liefen die Hunde, sie folgten mit Bellen,

Und er schwitzte vor Angst, und häufige Losung entfiel ihm:

Leichter fand er sich da, und so entging er den Feinden.

Schändlich, Ihr habt es gehört, verriet ihn der nächste Verwandte,

Dem er sich doch am meisten vertraut. Es ging ihm ans Leben:

Denn die Hunde waren zu schnell, und hätt’ er nicht eilig

Einer Höhle sich wieder erinnert, so war es geschehen;

Aber da schlupft’ er hinein, und ihn verloren die Feinde.

Solcher Bursche gibt es noch viel, wie Hinze sich damals

Gegen den Vater bewies: Wie sollt’ ich ihn lieben und ehren?

Halb zwar hab’ ich’s vergeben, doch bleibt noch etwas zurück.

All dies war auf dem Spiegel geschnitten mit Bildern und Worten.

Ferner sah man daselbst ein eignes Stückchen vom Wolf,

Wie er zu danken bereit ist für Gutes, das er empfangen.

Auf dem Anger fand er ein Pferd, woran nur die Knochen

Übrig waren; doch hungert’ ihn sehr, er nagte sie gierig,

Und es kam ihm ein spitziges Bein die Quer in den Kragen,

Ängstlich stellt’ er sich an, es war ihm übel geraten.

Boten auf Boten sendet’ er fort, die Ärzte zu rufen:

Niemand vermochte zu helfen, wiewohl er große Belohnung

Allen geboten. Da meldete sich am Ende der Kranich

Mit dem roten Barett auf dem Haupt. Ihm flehte der Kranke:

‚Doktor, helft mir geschwind von diesen Nöten! Ich geb’ Euch,

Bringt Ihr den Knochen heraus, soviel Ihr immer begehrt.’

Also glaubte der Kranich den Worten und steckte den Schnabel

Mit dem Haupt in den Rachen des Wolfes und holte den Knochen.

‚Weh mir!’, heulte der Wolf, ‚du tust mir Schaden! Es schmerzt!

Lass es nicht wieder geschehn! Für heute sei es vergeben.

Wär’ es ein andrer, ich hätte das nicht geduldig gelitten.’

‚Gebt Euch zufrieden,’ versetzte der Kranich, ‚Ihr seid nun genesen;

Gebt mir den Lohn, ich hab’ ihn verdient, ich hab’ Euch geholfen.’

‚Hört den Gecken!’, sagte der Wolf. ‚Ich habe das Übel,

Er verlangt die Belohnung und hat die Gnade vergessen,

Die ich ihm eben erwies. Hab’ ich ihm Schnabel und Schädel,

Den ich im Mund gefühlt, nicht unbeschädigt entlassen?

Hat mir der Schäker nicht Schmerzen gemacht? Ich könnte wahrhaftig,

Ist von Belohnung die Rede, sie selbst am ersten verlangen.’

Also pflegen die Schälke mit ihren Knechten zu handeln.

Diese Geschichten und mehr verzierten, künstlich geschnitten,

Rings die Fassung des Spiegels und mancher gegrabene Zierrat,

Manche goldene Schrift. Ich hielt des köstlichen Kleinods

Mich nicht wert, ich bin zu gering, und sandt’ es deswegen

Meiner Frauen, der Königin, zu. Ich dachte durch solches

Ihr und ihrem Gemahl mich ehrerbietig zu zeigen.

Meine Kinder betrübten sich sehr, die artigen Knaben,

Als ich den Spiegel dahingab: Sie sprangen gewöhnlich und spielten

Vor dem Glas, beschauten sich gern, sie sahen die Schwänzchen

Hängen vom Rücken herab und lachten den eigenen Mäulchen.

Leider vermutet’ ich nicht den Tod des ehrlichen Lampe,

Da ich ihm und Bellyn auf Treu und Glauben die Schätze

Heilig empfahl; ich heilt sie beide für redliche Leute,

Keine besseren Freunde gedacht’ ich jemals zu haben.

Wehe sei über den Mörder gerufen! Ich will es erfahren,

Wer die schätze verborgen: Es bleibt kein Mörder verhohlen.

Wüsste doch ein und andrer vielleicht im Kreis hier zu sagen,

Wo die schätze geblieben, und wie man Lampen getötet!

Seht, mein gnädiger König, es kommen täglich so viele

Wichtige Sachen vor Euch, Ihr könnt nicht alles behalten;

Doch vielleicht gedenkt Ihr noch des herrlichen Dienstes,

Den mein Vater dem Euren an dieser Stätte bewiesen.

Krank lag Euer Vater, sein Leben rettete meiner,

Und doch sagt Ihr, ich habe noch nie, es habe mein Vater

Euch nichts Gutes erzeigt. Beliebt, mich weiter zu hören!

Sei es mit Eurer Erlaubnis gesagt: Es fand sich am Hofe

Eures Vaters der meine bei großen Würden und Ehren

Als erfahrener Arzt. Er wusste das Wasser des Kranken

Klug zu besehen; er half der Natur; was immer den Augen,

Was den edelsten Gliedern gebrach, gelang ihm zu heilen;

Kannte wohl die emetischen Kräfte, verstand auch daneben

Auf die Zähne sich gut und holte die schmerzenden spielend.

Gerne glaub’ ich, Ihr habt es vergessen: Es wäre kein Wunder;

Denn drei Jahre hattet Ihr nur. Es legte sich damals

Euer Vater im Winter mit großen Schmerzen zu Bett,

Ja, man musst’ ihn heben und tragen. Da ließ er die Ärzte

Zwischen hier und Rom zusammen berufen, und alle

Gaben ihn auf; er schickte zuletzt, man holte den Alten:

Dieser hörte die Not und sah die gefährliche Krankheit.

Meinen Vater jammert’ es sehr, er sagte: ‚Mein König,

Gnädiger Herr, ich setzte, wie gern! Mein eigenes Leben,

Könnt’ ich Euch retten, daran! Doch lasst im Glas mich Euer

Wasser besehn.’ Der König befolgte die Worte des Vaters,

Aber klagte dabei, es werde je länger, je schlimmer.

Auf dem Spiegel war es gebildet, wie glücklich zur Stunde

Euer Vater genesen. Denn meiner sagte bedächtig:

‚Wenn Ihr Gesundheit verlangt, entschließt Euch ohne Versäumnis,

Eines Wolfes Leber zu speisen, doch sollte derselbe

Sieben Jahre zum wenigsten haben; die müsst Ihr verzehren.

Sparen dürft Ihr mir nicht; denn Euer Leben betrifft es.

Euer Wasser zeugt nur Blut, entschließt Euch geschwinde!’

In dem Kreis befand sich der Wolf und hört’ es nicht gern.

Euer Vater sagte darauf: ‚Ihr habt es vernommen!

Hört, Herr Wolf, Ihr werdet mir nicht zu meiner Genesung

Eure Leber verweigern.’ Der Wolf versetzte dagegen:

‚Nicht fünf Jahre bin ich geboren! Was kann sie Euch nutzen?’

‚Eitles Geschwätz!’, versetzte mein Vater: ‚Es soll uns nicht hindern,

An der Leber seh’ ich das gleich.’ Es musste zur Stelle

Nach der Küche der Wolf, und brauchbar fand sich die Leber.

Euer Vater verzehrte sie stracks: Zur selbigen Stunde

War er von aller Krankheit befreit und allen Gebrechen.

Meinem Vater dankt’ er genug, es musst’ ihn ein jeder

Doktor heißen am Hof, man durft’ es niemals vergessen.

Also ging mein Vater beständig dem König zur Rechten.

Euer Vater verehrt’ ihm hernach, ich weiß es am besten,

Eine goldene Spange mit einem roten Barett,

Sie vor allen Herren zu tragen; so haben ihn alle

Hoch in Ehren gehalten. Es hat sich aber mit seinem

Sohne leider geändert, und an die Tugend des Vaters

Wird nicht weiter gedacht. Die allergierigsten Schälke

Werden erhoben, und Nutz und Gewinn bedenkt man alleine,

Recht und Weisheit stehen zurück. Es werden die Diener

Große Herren, das muss der Arme gewöhnlich entgelten.

Hat ein solcher Macht und Gewalt, so schlägt er nur blindlings

Unter die Leute, gedenkt nicht mehr, woher er gekommen:

Seinen Vorteil gedenkt er aus allem Spiele zu nehmen.

Um die Großen finden sich viele von diesem Gelichter.

Keine Bitte hören sie je, wozu nicht die Gabe

Gleich sich reichlich gesellt, und wenn sie die Leute bescheiden,

Heißt es: ‚Bringt nur! Und bring! Zum ersten, zweiten und dritten.’

Solche gierige Wölfe behalten köstliche Bissen

Gerne für sich, und wär’ es zu tun, mit kleinem Verlust

Ihres Herren Leben zu retten, sie trügen Bedenken.

Wollte der Wolf doch die Leber nicht lassen, dem König zu dienen!

Und was Leber! Ich sag’ es heraus! Es möchten auch zwanzig

Wölfe das Leben verlieren, behielte der König und seine

Teure Gemahlin das ihre, so wär’ es weniger schade;

Denn ein schlechter Same, was kann er Gutes erzeugen?

Was in Eurer Jugend geschah, Ihr habt es vergessen;

Aber ich weiß es genau, als wär’ es gestern geschehen.

Auf dem Spiegel stand die Geschichte, so wollt’ es mein Vater,

Edelsteine zierten das Werk und goldene Ranken.

Könnt’ ich den Spiegel erfragen, ich wagte Vermögen und Leben.“

„Reineke,“ sagte der König: „Die Rede hab’ ich verstanden,

Habe die Worte gehört und, was du alles erzähltest.

War dein Vater so groß hier am Hof, und hat er so viele

Nützliche Taten getan, das mag wohl lange schon her sein.

Ich erinnre mich’s nicht, auch hat mir’s niemand berichtet.

Eure Händel dagegen, die kommen mir öfters zu Ohren,

Immer seid Ihr im Spiel, so hör’ ich wenigstens sagen.

Tun sie Euch unrecht damit, und sind es alte Geschichten,

Möcht’ ich einmal was Gutes vernehmen; es findet sich selten.“

„Herr,“ versetzte Reineke drauf: „Ich darf mich hierüber

Wohl erklären vor Euch; denn mich betrifft ja die Sache.

Gutes hab’ ich Euch selber getan! Es sei Euch nicht etwa

Vorgeworfen! Behüte mich Gott! Ich erkenne mich schuldig,

Euch zu leisten, soviel ich vermag. Ihr habt die Geschichte

Ganz gewiss nicht vergessen. Ich war mit Isegrim glücklich

Einst ein Schwein zu erjagen, es schrie, wir bissen es nieder.

Und Ihr kamt und klagtet so sehr und sagtet, es käme

Eure Frau noch hinter Euch drein, und teilte nur jemand

Wenig Speise mit euch, so wär’ Euch beiden geholfen.

‚Gebt von eurem Gewinn was ab!’, so sagtet Ihr damals.

Isegrim sagte wohl: ‚Ja!’, doch murmelt’ er unter dem Bart,

Dass man kaum es verstand. Ich aber sagte dagegen:

‚Herr! Es ist Euch gegönnt, und wären’s der Schweine die Menge.

Sagt, wer soll es verteilen?’ – ‚Der Wolf!’, versetztet Ihr wieder.

Isegrim freute sich sehr; er teilte, wie er gewohnt war,

Ohne Scham und scheu und gab Euch eben ein Vierteil,

Eurer Frau das andre, und er fiel über die Hälfte,

Schlang begierig hinein und reichte mir außer den Ohren

Nur die Nase noch hin und eine Hälfte der Lunge;

Alles andre behielt er für sich, Ihr habt es gesehen.

Wenig Edelmut zeigt’ er uns da. Ihr wisst es, mein König!

Euer Teil verzehrtet Ihr bald, doch merkt’ ich, Ihr hattet

Nicht den Hunger gestillt, nur Isegrim wollt’ es nicht sehen,

Aß und kaute so fort und bot Euch nicht das Geringste.

Aber da traft Ihr ihn auch mit Euren Tatzen gewaltig

Hinter die Ohren, verschobt ihm das Fell: Mit blutiger Glatze

Lief er davon, mit Beulen am Kopf, und heulte vor Schmerzen.

Und Ihr rieft ihm noch zu: ‚Komm wieder, lerne dich schämen!

Teilst du wieder, so triff mir’s besser, sonst will ich dir’s zeigen.

Jetzt mach’ eilig dich fort und bring’ uns ferner zu essen!’

‚Herr! Gebietet Ihr das?’, versetzt’ ich: ‚So will ich ihm folgen,

Und ich weiß, ich hole schon was.’ Ihr war’t es zufrieden.

Ungeschickt hielt sich Isegrim damals, er blutete, seufzte,

Klagte mir vor; doch trieb ich ihn an, wir jagten zusammen,

Fingen ein Kalb! Ihr liebt Euch die Speise. Und als wir es brachten,

Fand sich’s fett. Ihr lachtet dazu und sagtet zu meinem

Lob manch freundliches Wort; ich wäre, meintet Ihr, trefflich

Auszusenden zur Stunde der Not, und sagtet daneben:

‚Teile das Kalb!’ Da sprach ich: ‚Die Hälfte gehört schon Euer!

Und die Hälfte gehört der Königin; was sich im Leib

Findet, als Herz und Leber und Lunge, gehört, wie billig,

Euren Kindern; ich nehme die Füße, die lieb’ ich zu nagen,

Und das Haupt behalte der Wolf, die köstliche Speise.’

Als Ihr die Rede vernommen, versetztet Ihr: ‚Sage, wer hat dich

So nach Hofart teilen gelehrt? Ich möcht’ es erfahren.’

Da versetzt’ ich: ‚Mein Lehrer ist nah; denn dieser mit rotem

Kopf, mit blutiger Glatze, hat mir das Verständnis geöffnet.

Ich bemerkte genau, wie er heut früh das Ferkel

Teilte, da lernt’ ich den Sinn von solcher Teilung begreifen;

Kalb oder Schwein, ich find’ es nun leicht und werde nicht fehlen.’

Schaden und Schande befiel den Wolf und seine Begierde.

Seinesgleichen gibt es genug! Sie schlingen der Güter

Reichliche Früchte zusamt den Untersassen hinunter.

Alles Wohl zerstören sie leicht, und keine Verschonung

Ist zu erwarten, und wehe dem Land, das selbige nährt!

Seht! Herr König, so hab’ ich Euch oft in Ehren gehalten.

Alles, was ich besitze, und was ich nur immer gewinne,

Alles widm’ ich Euch gern und eurer Königin; sei es

Wenig oder auch viel, Ihr nehmt das meiste von allem.

Wenn Ihr des Kalbes und Schweines gedenkt, so merkt Ihr die Wahrheit,

Wo die rechte Treue sich findet. Und dürfte wohl etwa

Isegrim sich mit Reineke messen? Doch leider im Ansehn

Steht der Wolf als oberster Vogt, und alle bedrängt er.

Euren Vorteil besorgt er nicht sehr, zum Halben und Ganzen

Weiß er den seinen zu fördern. So führt er freilich mit Braunen

Nun das Wort, und Reinekes Rede wird wenig geachtet.

Herr! Es ist wahr, man hat mich verklagt, ich werde nicht weichen;

Denn ich muss nun hindurch, und also sie es gesprochen:

Ist hier einer, der glaubt zu beweisen, so komm’ er mit Zeugen,

Halte sich fest an die Sache und setze gerichtlich zum Pfand

Sein Vermögen, sein Ohr, sein Leben, wenn er verlöre,

Und ich setze das Gleiche dagegen. So hat es zu Recht

Stets gegolten, so halte man’s noch, und alle die Sache,

Wie man sie für und wider gesprochen, sie werde getreulich

Solcherweise geführt und gerichtet; ich darf es verlangen!“

„Wie es auch sei,“ versetzte der König: „Am Weg des Rechtes

Will und kann ich nicht schmälern, ich hab’ es auch niemals gelitten.

Groß ist zwar der Verdacht, du habest an Lampes Ermordung

Teilgenommen, des redlichen Boten! Ich liebt’ ihn besonders

Und verlor ihn nicht gern, betrübte mich über die Maßen,

Als man sein blutiges Haupt aus deinem Ränzel herauszog:

Auf der Stelle büßt’ es Bellyn, der böse Begleiter,

Und du magst die Sache nun weiter gerichtlich verfechten.

Was mich selber betrifft, vergeb’ ich Reineken alles;

Denn er heilt sich zu mir in manchen bedenklichen Fällen.

Hätte weiter jemand zu klagen, wir wollen ihn hören:

Stell’ er unbescholtene Zeugen und bringe die Klage

Gegen Reineke ordentlich vor, hier steht er zu Recht!“

Reineke sagte: „Gnädiger Herr! Ich danke zum besten.

Jeden hört Ihr, und jeder genießt die Wohltat des Rechtes.

Lasst mich heilig beteuern, mit welchem traurigen Herzen

Ich Bellyn und Lampe entließ: Mir ahnte, glaub’ ich,

Was den beiden sollte geschehn, ich leibte sie zärtlich.“

So staffierte Reineke klug Erzählung und Wort.

Jedermann glaubt’ ihm: Er hatte die Schätze so zierlich beschrieben,

Sich so ernstlich betragen, er schien die Wahrheit zu reden;

Ja, man sucht’ ihn zu trösten, Und so betrog er den König,

Dem die Schätze gefielen: Er hätte sie gerne besessen,

Sagte zu Reineke: „Gebt Euch zufrieden, Ihr reist und sucht

Weit und breit, das Verlorne zu finden, das mögliche tut Ihr;

Wenn Ihr meiner Hilfe bedürft, sie steht Euch zu Diensten.“

„Dankbar,“ sagte Reineke drauf, „erkenn’ ich die Gnade;

Diese Worte richten mich auf und lassen mich hoffen.

Raub und Mord zu bestrafen, ist Eure höchste Behörde.

Dunkel bleibt mir die Sache, doch wird sich’s finden: Ich sehe

Mit dem größten Fleiß darnach und werde des Tages

Emsig reisen und nachts und alle Leute befragen.

Hab’ ich erfahren, wo sie sich finden, und kann sie nicht selber

Wieder gewinnen, wär’ ich zu schwach, so bitt’ ich um Hilfe,

Die gewährt Ihr alsdann, und sicher wird es geraten.

Bring’ ich glücklich die Schätze vor Euch, so find’ ich am Ende

Meine Mühe belohnt und meine Treue bewährt.“

Gerne hört’ es der König und fiel in allem und jedem

Reineke bei, der hatte die Lüge so künstlich geflochten.

Alle die andern glaubten es auch: Er durfte nun wieder

Reisen und gehen, wohin ihm gefiel, und ohne zu fragen.

Aber Isegrim konnte sich länger nicht halten, und knirschend

Sprach er: „Gnädiger Herr! So glaubt Ihr wieder dem Diebe,

Der Euch zwei- und dreifach belog? Wen sollt’ es nicht wundern!

Seht Ihr nicht, dass der Schalk Euch betrügt und uns alle beschädigt?

Wahrheit redet er nie, und eitel Lügen ersinnt er.

Aber ich lass’ ihn so leicht nicht davon! Ihr sollt es erfahren,

Dass er ein Schelm ist und falsch. Ich weiß drei große Verbrechen,

Die er begangen; er soll nicht entgehn, und sollten wir kämpfen.

Zwar man fordert Zeugen von uns, was wollte das helfen?

Stünden sie hier und sprächen und zeigten den ganzen Gerichtstag,

Könnte das fruchten? Er täte nur immer nach seinem Beleiben.

Oft sind keine Zeugen zu stellen, da sollte der Frevler

Nach wie vor die Tücke verüben? Wer traut sich zu reden?

Jedem hängt er was an, und jeder fürchtet den Schaden.

Ihr und die Euren empfinden es auch und alle zusammen.

Heute will ich ihn halten, er soll nicht wanken noch weichen,

Und er soll zu Recht mir stehn: Nun mag er sich wahren!“

 
 * 

Elfter Gesang

Isegrim klagte, der Wolf, und sprach: „Ihr werdet verstehen!

Reineke, gnädiger König, so wie er immer ein Schalk war,

Bleibt er es auch und steht und redet schändliche Dinge,

Mein Geschlecht zu beschimpfen und mich. So hat er mir immer,

Meinem Weib noch mehr, empfindliche Schande bereitet.

So bewog er sie einst, in einem Teich zu waten

Durch den Morast, und hatte versprochen, sie solle des Tages

Viele Fische gewinnen, sie habe den Schwanz nur ins Wasser

Einzutauchen und hängen zu lassen: Es würden die Fische

Fest sich beißen, sie könne selbviert nicht alle verzehren.

Watend kam sie darauf und schwimmend gegen das Ende,

Gegen den Zapfen; da hatte das Wasser sich tiefer gesammelt,

Und er hieß sie den Schwanz ins Wasser hängen. Die Kälte

Gegen Abend war groß, und grimmig begann es zu frieren,

Dass sie fast nicht länger sich heilt; so war auch in kurzem

Ihr der Schwanz ins Eis gefroren, sie konnt’ ihn nicht regen,

Glaubte, die Fische wären so schwer, es wäre gelungen.

Reineke merkt’ es, der schändliche Dieb, und was er getrieben,

Darf ich nicht sagen: Er kam und übermannte sie leider.

Von der Stelle soll er mir nicht! Es kostet der Frevel

Einen von beiden, wie Ihr uns seht, noch heute das Leben;

Denn er schwätzt sich nicht durch! Ich hab’ ihn selber betroffen

Über der Tat, mich führte der Zufall am Hügel den Weg her.

Laut um Hilfe hört’ ich sie schreien, die arme Betrogne,

Fest im Eis stand sie gefangen und konnt’ ihm nicht wehren,

Und ich kam und musste mit eignen Augen das alles

Sehen! Ein Wunder fürwahr, dass mir das Herz nicht gebrochen.

‚Reineke!’, rief ich, ‚was tust du?’ Er hörte mich kommen und eilte

Seine Straße. Da ging ich hinzu mit traurigem Herzen,

Musste waten und frieren im kalten Wasser und konnte

Nur mit Mühe das Eis zerbrechen, mein Weib zu erlösen.

Ach, es ging nicht glücklich von statten! Sie zerrte gewaltig,

Und es blieb ihr ein Viertel des Schwanzes im Eis gefangen.

Jammernd klagte sie laut und viel. Das hörten die Bauern,

Kamen hervor und spürten uns aus und riefen einander.

Hitzig liefen sie über den Damm mit Piken und Äxten,

Mit dem Rocken kamen die Weiber und lärmten gewaltig:

‚Fangt sie! Schlagt nur und werft!’ So riefen sie gegeneinander.

Angst wie damals empfand ich noch nie, das gleiche bekennt

Gieremund auch, wir retteten kaum mit Mühe das Leben,

Liefen, es rauchte das Fell. Da kam ein Bube gelaufen,

Ein vertrackter Geselle, mit einer Pike bewaffnet:

Leicht zu Fuß, stach er nach uns und drängt’ uns gewaltig.

Wäre die Nacht nicht gekommen, wir hätten das Leben gelassen.

Und die Weiber riefen noch immer, die Hexen, wir hätten

Ihre Schafe gefressen. Sie hätten uns gerne getroffen,

Schimpften und schmähten hinter uns drein. Wir wandten uns aber

Von dem Land wieder zum Wasser und schlupften behände

Zwischen den Binsen: Da trauten die Bauern nicht weiter zu folgen;

Denn es war dunkel geworden, sie machten sich wieder nach Hause.

Knapp entkamen wir so. Ihr seht, gnädiger König:

Überwältigung, Mord und Verrat, von solchen Verbrechen

Ist die Rede; die werdet Ihr streng, mein König, bestrafen.“

Als der König die Klage vernommen, versetzt’ er: „Es werde

Rechtlich hierüber erkannt, doch lasst uns Reineke hören.“

Reineke sprach: „Verhielt’ es sich also, würde die Sache

Wenig Ehre mir bringen, und Gott bewahre mich gnädig,

Dass man es fände, wie er erzählt! Doch will ich nicht leugnen,

Dass ich sie Fische fangen gelehrt und auch ihr die beste

Straße, zu Wasser zu kommen, und sie zu dem Teich gewiesen.

Aber sie lief so gierig darnach, sobald sie nur Fische

Nennen gehört, und Weg und Maß und Lehre vergaß sie.

Blieb sie fest im Eise befroren, so hatte sie freilich

Viel zu lange gesessen; denn hätte sie zeitig gezogen,

Hätten sie Fische genug zum köstlichen Mahl gefangen.

Allzu große Begierde wird immer schädlich. Gewähnt sich

Ungenügsam das Herz, so muss es vieles vermissen;

Wer den Geist der Gierigkeit hat, er lebt nur in Sorgen,

Niemand sättigt ihn. Frau Gieremund hat es erfahren,

Da sie im Eise befror. Sie dankt nun meiner Bemühung

Schlecht. Das hab’ ich davon, dass ich ihr redlich geholfen!

Denn ich schob und wollte mit allen Kräften sie heben,

Doch sie war mir zu schwer, und über dieser Bemühung

Traf mich Isegrim an, der längs dem Ufer daher ging,

Stand da droben und rief und fluchte grimmig herunter.

Ja fürwahr, ich erschrak, den schönen Segen zu hören.

Eins und zwei- und dreimal warf er die grässlichsten Flüche

Über mich her und schrie, von wildem Zorn getrieben,

Und ich dachte: ‚Du machst dich davon und wartest nicht länger!

Besser laufen, als faulen.’ Ich hatt’ es eben getroffen;

Denn er hätte mich damals zerrissen. Und wenn es begegnet,

Dass zwei Hunde sich beißen um einen Knochen, da muss wohl

Einer verlieren. So schien mir auch da das Beste geraten,

Seinem Zorn zu entweichen und seinem verworrnen Gemüte.

Grimmig war er und bleibt es, wie kann er’s leugnen? Befragt

Seine Frau! Was hab’ ich mit ihm, dem Lügner, zu schaffen?

Denn sobald er sein Weib im Eis befroren bemerkte,

Flucht’ und schalt er gewaltig und kam und half ihr entkommen.

Machten die Bauern sich hinter sie her, so war es zum besten:

Denn so kam ihr Blut in Bewegung, sie froren nicht länger.

Was ist weiter zu sagen? Es ist ein schlechtes Benehmen,

Wer sein eigenes Weib mit solchen Lügen beschimpft.

Fragt sie selber, da steht sie, und hätt’ er die Wahrheit gesprochen,

Würde sie selber zu klagen nicht fehlen. Indessen erbitt’ ich

Eine Woche mir Frist, mit meinen Freunden zu sprechen,

Was für Antwort dem Wolf und seiner Klage gebührt.“

Gieremund sagte darauf: „In Eurem Treiben und Wesen

Ist nur Schalkheit, wir wissen es wohl, und Lügen und Trügen,

Büberei, Täuschung und Trotz. Wer Euren verfänglichen Reden

Glaubt, wird sicher am Ende beschädigt; immer gebraucht Ihr

Lose verworrene Worte. So hab’ ich’s am Borne gefunden.

Denn zwei Eimer hingen daran, Ihr hattet in einen,

Weiß ich, warum? Euch gesetzt und wart hernieder gefahren;

Nun vermochtet Ihr nicht, Euch selber wieder zu heben,

Und Ihr klagtet gewaltig. Des Morgens kam ich zum Brunnen,

Fragte: ‚Wer bracht’ Euch herein?’ Ihr sagtet: ‚Kommt Ihr doch eben,

Liebe Gevatterin, recht! Ich gönn’ Euch jeglichen Vorteil:

Steigt in den Eimer da droben, so fahrt Ihr hernieder und esst

Hier an Fischen Euch satt.’ Ich war zum Unglück gekommen;

Denn ich glaubt’ es, Ihr schwurt noch dazu, Ihr hättet so viele

Fische verzehrt, es schmerz’ Euch der Leib. Ich ließ mich betören,

Dumm, wie ich war, und stieg in den Eimer; da ging er hernieder

Und der andere wieder herauf, Ihr kamt mir entgegen.

Wunderlich schien mir’s zu sein, ich fragte voller Erstaunen:

‚Sagt, wie geht das zu?’ Ihr aber sagtet dawider:

‚Auf und ab, so geht’s in der Welt, so geht es uns beiden.

Ist es doch also der Lauf! Erniedrigt werden die einen

Und die andern erhöht, nach eines jeglichen Tugend.’

Aus dem Eimer sprangt Ihr und lieft und eiltet von dannen.

Aber ich saß im Brunnen bekümmert und musste den Tag lang

Harren und Schläge genug am selbigen Abend erdulden,

Eh’ ich entkam. Es traten zum Brunnen einige Bauern,

Sie bemerkten mich da. Von grimmigem Hunger gepeinigt,

Saß ich in Trauer und Angst, erbärmlich war mir zumute.

Untereinander sprachen die Bauern: ‚Da sieh nur! Im Eimer

Sitzt da unten der Feind, der unsre Schafe vermindert.’

‚Hol’ ihn herauf!’, versetzte der eine: ‚Ich halte mich fertig

Und empfang’ ihn am Rand, er soll uns die Lämmer bezahlen!’

Wie er mich aber empfing, das war ein Jammer! Es fielen

Schläg’ auf Schläge mir über den Pelz, ich hatte mein Leben

Keinen traurigern Tag, und kaum entrann ich dem Tod.“

Reineke sagte darauf: „Bedenkt genauer die Folgen,

Und Ihr findet gewiss, wie heilsam die Schläge gewesen.

Ich für meine Person mag lieber dergleichen entbehren,

Und wie die Sache stand, so musste wohl eines von beiden

Sich mit den Schlägen beladen, wir konnten zugleich nicht entgehen.

Wenn Ihr’s Euch merkt, so nutzt es Euch wohl, und künftig vertraut Ihr

Keinem so leicht in ähnlichen Fällen. Die Welt ist voll Schalkheit.“

„Ja,“ versetzte der Wolf, „was braucht es weiter Beweise!

Niemand verletzte mich mehr als dieser böse Verräter.

Eines erzählt’ ich noch nicht, wie er in Sachsen mich einmal

Unter das Affengeschlecht zu Schand’ und Schaden geführt.

Er beredete mich, in eine Höhle zu kriechen,

Und er wusste voraus, es würde mir Übels begegnen.

Wär’ ich nicht eilig entflohn, ich wär’ um Augen und Ohren

Dort gekommen. Er sagte vorher mit gleißenden Worten,

Seine Frau Muhme find’ ich daselbst; er meinte die Äffin.

Doch es verdross ihn, dass ich entkam. Er schickte mich tückisch

In das abscheuliche Nest, ich dacht’, es wäre die Hölle.“

Reineke sagte darauf vor allen Herren des Hofes:

„Isegrim redet verwirrt, er scheint nicht völlig bei Sinnen.

Von der Äffin will er erzählen? So sag’ er es deutlich.

Drittehalb Jahr sind’s her, als nach dem Land zu Sachsen

Er mit großem prassen gezogen, wohin ich ihm folgte.

Das ist wahr, das übrige lügt er. Es waren nicht Affen,

Meerkatzen waren’s, von welchen er redet, und nimmermehr werd’ ich

Diese für meine Muhmen erkennen. Martin, der Affe,

Und Frau Rückenau sind mir verwandt: Sie ehr’ ich als Muhme,

Ihn als Vetter und rühme mich des. Notarius ist er

Und versteht sich aufs Recht. Doch was von jenen Geschöpfen

Isegrim sagt, geschieht mir zum Hohn, ich habe mit ihnen

Nichts zu tun, und nie sind’s meine Verwandten gewesen;

Denn sie gleichen dem höllischen Teufel. Und dass ich die Alte

Damals Muhme geheißen, das tat ich mit gutem Bedacht.

Nichts verlor ich dabei, das will ich gerne gestehen:

Gut gastierte sie mich, sonst hätte sie mögen ersticken.

Seht, Ihr Herren! Wir hatten den Weg zur Seite gelassen,

Gingen hinter dem Berg, und eine düstere Höhle,

Tief und lang, bemerkten wir da. Es fühlte sich aber

Isegrim krank, wie gewöhnlich, vor Hunger. Wann hätt’ ihn auch jemals

Einer so satt gesehen, dass er zufrieden gewesen?

Und ich sagte zu ihm: ‚In dieser Höhle befindet

Speise fürwahr sich genug, ich zweifle nicht, ihre Bewohner

Teilen gerne mit uns, was sie haben, wir kommen gelegen.’

Isegrim aber versetzte darauf: ‚Ich werde, mein Oheim,

Unter dem Baum hier warten, Ihr seid in allem geschickter,

Neue Bekannte zu machen, und wenn Euch Essen gereicht wird,

Tut mir’s zu wissen!’ So dachte der Schalk, auf meine Gefahr erst

Abzuwarten, was sich ergäbe; ich aber begab mich

In die Höhle hinein. Nicht ohne Schauer durchwandert’

Ich den langen und krummen Gang, er wollte nicht enden.

Aber was ich dann fand – den Schrecken wollt’ ich um vieles

Rotes Gold nicht zweimal in meinem Leben erfahren!

Welch ein Nest voll hässlicher Tiere, größer und kleiner!

Und die Mutter dabei, ich dacht,’ es wäre der Teufel.

Weit und groß ihr Maul mit langen hässlichen Zähnen,

Lange Nägel an Händen und Füßen und hinten ein langer

Schwanz an den Rücken gesetzt, so was Abscheuliches hab’ ich

Nicht im Leben gesehn! Die schwarzen leidigen Kinder

Waren seltsam gebildet wie lauter junge Gespenster.

Gräulich sah sie mich an. Ich dachte: ‚Wär’ ich von dannen!’

Größer war sie als Isegrim selbst, und einige Kinder

Fast von gleicher Statur. Im faulen Heue gebettet

Fand ich die garstige Brut und über und über beschlabbert

Bis an die Ohren mit Kot, es stank in ihrem Revier

Ärger als höllisches Pech. Die reine Wahrheit zu sagen:

Wenig gefiel es mir da; denn ihrer waren so viele,

Und ich stand nur allein; sie zogen gräuliche Fratzen.

Da besann ich mich denn, und einen Ausweg versucht’ ich,

Grüßte sie schön – ich meint’ es nicht so – und wusste so freundlich

Und bekannt mich zu stellen. ‚Frau Muhme!’, sagt’ ich zur Alten,

Vettern hieß ich die Kinder und ließ es an Worten nicht fehlen:

‚Spar’ Euch der gnädige Gott auf lange glückliche Zeiten!

Sind das Eure Kinder? Fürwahr! Ich sollte nicht fragen;

Wie behagen sie mir! Hilf Himmel! Wie sie so lustig,

Wie sie so schön sind! Man nähme sie alle für Söhne des Königs.

Seid mir vielmal gelobt, dass Ihr mit würdigen Sprossen

Mehrt unser Geschlecht, ich freue mich über die Maßen.

Glücklich find’ ich mich nun, von solchen Öhmen zu wissen;

Denn zu Zeiten der Not bedarf man seiner Verwandten.’

Als ich ihr so viel Ehre geboten, wiewohl ich es anders

Meinte, bezeigte sie mir von ihrer Seite desgleichen,

Hieß mich Oheim und tat so bekannt, so wenig die Närrin

Auch zu meinem Geschlecht gehört. Doch konnte für diesmal

Gar nicht schaden, sie Muhme zu heißen. Ich schwitzte dazwischen

Über und über vor Angst; allein sie redete freundlich:

‚Reineke, werter Verwandter, ich heiß’ Euch schönstes willkommen!

Seid Ihr auch wohl? Ich bin Euch mein ganzes Leben verbunden,

Dass Ihr zu mir gekommen. Ihr lehrt kluge Gedanken

Meine Kinder fortan, dass sie zu Ehren gelangen.’

Also hört’ ich sie reden; das hatt’ ich mit wenigen Worten,

Dass ich sie Muhme genannt, und dass ich die Wahrheit geschont,

Reichlich verdient. Doch wär’ ich so gern im Freien gewesen.

Aber sie ließ mich nicht fort und sprach: ‚Ihr dürft, mein Oheim,

Unbewirtet nicht weg! Verweilt, lasst Euch bedienen!’

Und sie brachte mir Speise genug, ich wüsste sie wahrlich

Jetzt nicht alle zu nennen; verwundert war ich zum höchsten,

Wie sie zu allem gekommen. Von Fischen, Rehen und anderm

Guten Wildbret, ich speiste davon, es schmeckte mir herrlich.

Als ich zur Genüge gegessen, belud sie mich über das alles,

Bracht’ ein Stück vom Hirsch getragen: Ich sollt’ es nach Hause

Zu den Meinigen bringen, und ich empfahl mich zum Besten.

‚Reineke,’ sagte sie noch, ‚besucht mich öfters!’ Ich hätte,

Was sie wollte, versprochen; ich machte, dass ich herauskam.

Lieblich war es nicht da für Augen und Nase, ich hätte

Mir den Tod beinahe geholt; ich suchte zu fliehen,

Lief behände den Gang bis zu der Öffnung am Baum.

Isegrim lag und stöhnte daselbst. Ich sagte: ‚Wie geht’s Euch,

Oheim?’ Er sprach: ‚Nicht wohl! Ich muss vor Hunger verderben.’

Ich erbarmte mich seiner und gab ihm den köstlichen Braten,

Den ich mit mir gebracht. Er aß mit großer Begierde,

Vielen Dank erzeigt’ er mir da; nun hat er’s vergessen!

Als er nun fertig geworden, begann er: ‚Lasst mich erfahren,

Wer die Höhle bewohnt. Wie habt Ihr’s drin gefunden?

Gut oder schlecht?’ Ich sagt’ ihm darauf die lauterste Wahrheit,

Unterrichtet’ ihn wohl. Das Nest sei böse, dagegen

Finde sich drin viel köstliche Speise. Sobald er begehre,

Seinen Teil zu erhalten, so mög’ er kecklich hineingehn,

Nur vor allem sich hüten, die grade Wahrheit zu sagen.

‚Soll es Euch nach Wünschen ergehn, so spart mir die Wahrheit!’

Wiederholt’ ich ihm noch: ‚Denn führt sie jemand beständig

Unklug im Mund, der leidet Verfolgung, wohin er sich wendet;

Überall steht er zurück, die andern werden geladen.’

Also hieß ich ihn gehen, ich lehrt’ ihn: Was er auch fände,

Sollt’ er reden, was jeglicher gerne zu hören begehrt,

Und man werd’ ihn freundlich empfangen. Das waren die Worte,

Gnädiger König und Herr, nach meinem besten Gewissen.

Aber das Gegenteil tat er hernach, und kriegt’ er darüber

Etwas ab, so hab’ er es auch! Er sollte mir folgen.

Grau sind seine Zotteln fürwahr, doch sucht man die Weisheit

Nur vergebens dahinter. Es achten solche Gesellen

Weder Klugheit noch seine Gedanken; es bleibt dem groben,

Tölpischen Volk der Wert von aller Weisheit verborgen.

Treulich schärft’ ich ihm ein, die Wahrheit diesmal zu sparen,

‚Weiß ich doch selbst, was sich ziemt!’ versetzt’ er trotzig dagegen,

Und so trabt’ er die Höhle hinein: Da hat er’s getroffen.

Hinten saß das abscheuliche Weib, er glaubte, den Teufel

Vor sich zu sehn! Die Kinder dazu! Da rief er betroffen:

‚Hilfe! Was für abscheuliche Tiere! Sind diese Geschöpfe

Eure Kinder? Sie scheinen, führwahr, ein Höllengesindel.

Geht, ertränkt sie, das wäre das Beste, damit sich die Brut nicht

Über die Erde verbreite! Wenn es die meinigen wären,

Ich erdrosselte sie. Man finge wahrlich mit ihnen

Junge Teufel, man brauchte sie nur in einem Morast

Auf das Schilf zu binden, die garstigen, schmutzigen Rangen!

Ja, Mooraffen sollten sie heißen, da passte der Name!’

Eilig versetzte die Mutter und sprach mit zornigen Worten:

‚Welcher Teufel schickt uns den Boten? Wer hat Euch gerufen,

Hier uns grob zu begegnen? Und meine Kinder! Was habt Ihr,

Schön oder hässlich, mit ihnen zu tun? Soeben verlässt uns

Reineke Fuchs, der erfahrene Mann, der muss es verstehen.

Meine Kinder, beteuert’ er hoch, er finde sie sämtlich

Schön und sittig, von guter Manier; er mochte mit Freuden

Sie für seine Verwandten erkennen. Das hat er uns alles

Hier an diesem Platz vor einer Stunde versichert.

Wenn Sie euch nicht wie ihm gefallen, so hat Euch wahrhaftig

Niemand zu kommen gebeten. Das mögt Ihr, Isegrim, wissen.’

Und er forderte gleich von ihr zu essen und sagte:

‚Holt herbei, sonst helf’ ich Euch suchen! Was wollen die Reden

Weiter helfen?’ Er machte sich dran und wollte gewaltsam

Ihren Vorrat betasten; das war ihm übel geraten!

Denn sie warf sich über ihn her, zerbiss und zerkratzt’ ihm

Mit den Nägeln das Fell und klaut’ und zerrt’ ihn gewaltig;

Ihre Kinder taten das gleiche, sie bissen und krammten

Gräulich auf ihn. Da heult’ er und schrie mit blutigen Wangen,

Wehrte sich nicht und lief mit hastigen Schritten zur Öffnung.

Über zerbissen sah ich ihn kommen, zerkratzt, und die Fetzen

Hingen herum, ein Ohr war gespalten und blutig die Nase;

Manche Wunde kneipten sie ihm und hatten das Fell ihm

Garstig zusammengeruckt. Ich fragt’ ihn, wie er heraustrat:

‚Habt Ihr die Wahrheit gesagt?’ Er aber sagte dagegen:

‚Wie ich’s gefunden, so hab’ ich gesprochen. Die leidige Hexe

Hat mich übel geschändet: Ich wollte, sie wäre hier außen,

Teuer bezahlte sie mir’s! Was dünkt Euch, Reineke? Habt Ihr

Jemals solche Kinder gesehn? So artig? So böse?

Da ich’s ihr sagte, da war es geschehn, da fand ich nicht weiter

Gnade vor ihr und habe mich übel im Loch befunden.’

‚Seid Ihr verrückt?’, versetzt’ ich ihm drauf. ‚Ich hab’ es Euch anders

Weislich geheißen. Ich grüß’ Euch zum schönsten (so solltet Ihr sagen),

Liebe Muhme, wie geht es mit Euch? Wie geht es den lieben

Artigen Kindern? Ich freue mich sehr, die großen und kleinen

Neffen wieder zu sehn.’ Doch Isegrim sagte dagegen:

‚Muhme das Weib zu begrüßen? Und Neffen die hässlichen Kinder?

Nehm’ sie der Teufel zu sich! Mir graut vor solcher Verwandtschaft.

Pfui! Ein ganz abscheuliches Pack! Ich seh’ sie nicht wieder.’

Darum ward er so übel bezahlt. Nun richtet, Herr König!

Sagt er mit Recht, ich hab’ ihn verraten? Er mag es gestehn,

Hat die Sache sich nicht, wie ich erzähle, begeben?“

Isegrim sprach entschlossen dagegen: „Wir machen wahrhaftig

Diesen Streit mit Worten nicht aus. Was sollen wir keifen?

Recht bleibt Recht, und wer es auch hat, es zeigt sich am Ende.

Trotzig, Reineke, tretet Ihr auf, so mögt Ihr es haben!

Kämpfen wollen wir gegeneinander, da wird es sich finden.

Vieles wisst Ihr zu sagen, wie vor der Affen Behausung

Ich so großen Hunger gelitten, und wie Ihr mich damals

Treulich genährt. Ich wüsste nicht, wie! Es war nur ein Knochen,

Den Ihr brachtet; das Fleisch vermutlich speistet Ihr selber.

Wo Ihr steht, spottet Ihr mein und redet verwegen,

Meiner Ehre zu nah. Ihr habt mit schändlichen Lügen

Mich verdächtig gemacht, als hätt’ ich böse Verschwörung

Gegen den König im Sinn gehabt und hätte sein Leben

Ihm zu rauben gewünscht; Ihr aber prahltet dagegen

Ihm von Schätzen was vor – er möchte schwerlich sie finden!

Schmählich behandeltet Ihr mein Weib und sollt es mir büßen.

Dieser Sachen klag’ ich Euch an! Ich denke zu kämpfen

Über Altes und Neues und wiederhol’ es: Ein Mörder,

Ein Verräter seid Ihr, ein Dieb! Und Leben um Leben

Wollen wir kämpfen, es endige nun das Keifen und Schelten.

Einen Handschuh biet’ ich Euch an, so wie ihn zu Rechte

Jeder Fordernde reicht, Ihr mögt ihn zum Pfand behalten,

Und wir finden uns bald. Der König hat es vernommen,

Alle die Herren haben’s gehört! Ich hoffe, sie werden

Zeugen sein des rechtlichen Kampfs. Ihr sollt nicht entweichen,

Bis die Sache sich endlich entscheidet; dann wollen wir sehen.“

Reineke dachte bei sich: „Das geht um Vermögen und Leben!

Groß ist er, ich aber bin klein, und könnt’ es mir diesmal

Etwa misslingen, so hätten wir alle die listigen Streiche

Wenig geholfen. Doch warten wir’s ab. Denn, wenn ich’s bedenke,

Bin ich im Vorteil: Verlor er ja schon die vordersten Klauen!

Ist der Tor nicht kühler geworden, so soll er am Ende

Seinen Willen nicht haben, es koste, was es auch wolle.“

Reineke sagte zum Wolf darauf: „Ihr mögt mir wohl selber

Ein Verräter, Isegrim, sein, und alle Beschwerden,

Die Ihr auf mich zu bringen gedenkt, sind alle gelogen.

Wollt Ihr kämpfen? Ich wag’ es mit Euch und werde nicht wanken.

Lange wünscht’ ich mir das! Hier ist mein Handschuh dagegen.“

So empfing der König die Pfänder, es reichten sie beide

Kühnlich. Er sagte darauf: „Ihr sollt mir Bürgen bestellen,

Dass Ihr morgen zum Kampf nicht fehlt; denn beide Parteien

Find’ ich verworren, wer mag die Reden alle verstehen?“

Isegrims Bürgen wurden sogleich der Bär und der Kater,

Braun und Hinze; für Reineke aber verbürgten sich gleichfalls

Vetter Moneke, Sohn von Märtenaffe, mit Grimbart.

„Reineke,“ sagte Frau Rückenau drauf, „nun bleibt gelassen,

Klug von Sinnen! Es lehrte mein Mann, der jetzo nach Rom ist,

Euer Oheim, mich einst ein Gebet; es hatte dasselbe

Abt von Schluckauf gesetzt und gab es meinem Gemahl,

Dem er sich günstig erwies, auf einem Zettel geschrieben.

‚Dieses Gebet’, so sagte der Abt, ‚ist heilsam den Männern,

Die ins Gefecht sich begeben; man muss es nüchtern des Morgens

Überlesen, so bleibt man des Tags von Not und Gefahren

Völlig befreit, vorm Tod geschützt, vor Schmerzen und Wunden.’

Tröstet Euch, Neffe, damit, ich will es morgen beizeiten

Über Euch lesen, so geht Ihr getrost und ohne Besorgnis.“

„Liebe Muhme,“ versetzte der Fuchs: „Ich danke von Herzen,

Ich gedenk’ es Euch wieder. Doch muss mir immer am meisten

Meiner Sache Gerechtigkeit helfen und meine Gewandtheit.“

Reineke Freunde bleiben beisammen die Nacht durch und scheuchten

Seine Grillen durch muntre Gespräche. Frau Rückenau aber

War vor allen besorgt und geschäftig, sie ließ ihn behände

Zwischen Kopf und Schwanz und Brust und Bauch bescheren

Und mit Fett und Öl bestreichen; es zeigte sich aber

Reineke fett und rund und wohl zu Fuß. Danben

Sprach sie: „Hört mich an, bedenkt, was Ihr zu tun habt!

Hört den Rat verständiger Freunde, das hilft Euch am besten.

Trinkt nur brav und haltet das Wasser, und kommt Ihr des Morgens

In den Kreis, so macht es gescheit, benetzt den rauen

Wedel über und über und sucht den Gegner zu treffen:

Könnt Ihr die Augen ihm salben, so ist’s am besten geraten,

Sein Gesicht verdunkelt sich gleich; es kömmt Euch zustatten,

Und ihn hindert es sehr. Auch müsst Ihr anfangs Euch furchtsam

Stellen und gegen den Wind mit flüchtigen Füßen entweichen.

Wenn er Euch folgt, erregt nur den Staub, auf dass Ihr die Augen

Ihm mit Unrat und Sande verschließt. Dann springt zur Seite,

Passt auf jede Bewegung, und wenn er die Augen sich auswischt,

Nehmt des Vorteils gewahr und salbt ihm aufs neue die Augen

Mit dem ätzenden Wasser, damit er völlig verblinde,

Nicht mehr wisse, wo aus noch ein, und der Sieg Euch verbleibe.

Lieber Neffe, schlaft nur ein wenig, wir wollen Euch wecken,

Wenn es Zeit ist. Doch will ich sogleich die heiligen Worte

Über Euch lesen, von welchen ich sprach, auf dass ich Euch stärke.“

Und sie legt’ ihm die Hand aufs Haupt und sagte die Worte:

„Nekräst negibaul geid sum anmteflih dnudna mein tedachs!

Nun Glück auf! Nun sied Ihr verwahrt!“ Das nämlich sagte

Oheim Grimbart; dann führten sie ihn und legten ihn schlafen.

Ruhig schlief er. Die Sonne ging auf; da kamen die Otter

Und der Dachs, den Vetter zu wecken. Sie grüßten ihn freundlich,

Und sie sagten: „Bereitet Euch wohl!“ Da brachte die Otter

Eine junge Ente hervor und reicht’ sie ihm, sagend:

„Esst, ich habe sie Euch mit manchem Sprung gewonnen

An dem Damm bei Hünerbrot; lasst’s Euch belieben, mein Vetter!“

„Gutes Handgeld ist das,“ versetzte Reineke munter,

„So was verschmäh’ ich nicht leicht. Das möge Gott Euch vergelten,

Dass Ihr meiner gedenkt!“ Er ließ das Essen sich schmecken

Und das Trinken dazu und ging mit seinen Verwandten

In den Kreis, auf den ebenen Sand, da sollte man kämpfen.

 
 * 

Zwölfter Gesang

Als der König Reineke sah, wie dieser am Kreis

Glatt geschoren sich zeigte, mit Öl und schlüfrigem Fett

Über und über gesalbt, da lacht’ er über die Maßen.

„Fuchs! Wer lehrte dich das?“, so rief er. „Mag man doch billig

Reineke Fuchs dich heißen, du bist beständig der Lose!

Allerorten kennst du ein Loch und weißt dir zu helfen.“

Reineke neigte sich tief vor dem König, neigte besonders

Vor der Königin sich und kam mit mutigen Sprüngen

In den Kreis. Da hatte der Wolf mit seinen Verwandten

Schon sich gefunden; sie wünschten dem Fuchs ein schmähliches Ende:

Manches zornige Wort und manche Drohung vernahm er.

Aber Lynx und Lupardus, die Wärter des Kreises, die brachten

Nun die Heil’gen hervor, und beide Kämpfer beschwuren,

Wolf und Fuchs, mit Bedacht die zu behauptende Sache.

Isegrim schwur mit heftigen Worten und drohenden Blicken:

Reineke sei ein Verräter, ein Dieb, ein Mörder und aller

Missetat schuldig, er sie auf Gewalt und Ehbruch betreten,

Falsch in jeglicher Sache; das gelte Leben um Leben!

Reineke schwur zur Stelle dagegen: Er sei sich keiner

Dieser Verbrechen bewusst, und Isegrim lüge wie immer,

Schwöre falsch wie gewöhnlich, doch soll’ es ihm nimmer gelingen,

Seine Lüge zur Wahrheit zu machen, am wenigsten diesmal.

Und es sagten die Wärter des Kreises: „Ein jeglicher tue,

Was er schuldig zu tun ist; das Recht wird bald sich ergeben.“

Groß und klein verließen den Kreis, die beiden alleine

Drin zu verschließen. Geschwind begann die Äffin zu flüstern:

„Merkt, was ich Euch sagte, vergesst nicht, dem Rat zu folgen!“

Reineke sagte heiter darauf: „Die gute Vermahnung

Macht mich mutiger gehen. Getrost! Ich werde der Kühnheit

Und der List auch jetzt nicht vergessen, durch die ich aus manchen

Größern Gefahren entronnen, worein ich öfters geraten,

Wenn ich mir dieses und jenes geholt, was bis jetzt nicht bezahlt ist,

Und mein Leben kühnlich gewagt. Wie sollt’ ich nicht jetzo

Gegen den Bösewicht stehen? Ich hoff’, ihn gewisslich zu schänden,

Ihn und sein ganzes Geschlecht, und Ehre den Meinen zu bringen.

Was er auch lügt, ich tränk’ es ihm ein.“ Nun ließ man die beiden

In dem Kreis zusammen, und alle schauten begierig.

Isegrim zeigte sich wild und grimmig, reckte die Tatzen,

Kam daher mit offenem Maul und gewaltigen Sprüngen.

Reineke, leichter als er, entsprang dem stürmenden Gegner

Und benetzte behände den rauen Wedel mit seinem

Ätzenden Wasser und schleift’ ihn im Staub, mit Sand in zu füllen.

Isegrim dachte, nun hab’ er ihn schon: Da schlug ihm der Lose

Über die Augen den Schwanz, und Hören und Sehen verging ihm.

Nicht das erste Mal übt’ er die List, schon viele Geschöpfe

Hatten die schädliche Kraft des ätzenden Wassers erfahren.

Isegrims Kinder blendet’ er so, wie anfangs gesagt ist,

Und nun dacht’ er den Vater zu zeichnen. Nachdem er dem Gegner

Sod ie Augen gesalbt, entsprang er seitwärts und stellte

Gegen den Wind sich, rührte den Sand und jagte des Staubes

Viel in die Augen des Wolfs, der sich mit Reiben und Wischen

Hastig und übel benahm und seine schmerzen vermehrte.

Reineke wusste dagegen geschickt den Wedel zu führen,

Seinen Gegner aufs neue zu treffen und gänzlich zu blenden.

Übel bekam es dem Wolf! Denn seinen Vorteil benutzte

Nun der Fuchs. Sobald er die schmerzlich tränenden Augen

Seines Feindes erblickte, begann er mit heftigen Sprüngen,

Mit gewaltigen Schlägen auf ihn zu stürmen, zu kratzen

Und zu beißen und immer die Augen ihm wieder zu salben.

Halb von Sinnen tappte der Wolf, da spottete seiner

Reineke dreister und sprach: „Herr Wolf, Ihr habt wohl vorzeiten

Manch unschuldiges Lamm verschlungen, in Euerem Leben

Manch unsträfliches Tier verzehrt: Ich hoffe, sie sollen

Künftig Ruhe genießen! Auf alle Fälle bequemt Ihr

Euch, sie in Frieden zu lassen, und nehmt Segen zum Lohn.

Eure Seele gewinnt bei dieser Buße, besonders

Wenn Ihr das Ende geduldig erwartet. Ihr werdet für diesmal

Nicht aus meinen Händen entrinnen, Ihr müsstet mit Bitten

Mich versöhnen: Da schont’ ich Euch wohl und ließ’ Euch das Leben.“

Hastig sagte Reineke das und hatte den Gegner

Fest an der Kehle gepackt und hofft’ ihn also zu zwingen.

Isegrim aber, stärker als er, bewegte sich grimmig,

Mit zwei Zügen riss er sich los. Doch Reineke griff ihm

Ins Gesicht, verwundet’ ihn hart und riss ihm ein Auge

Aus dem Kopf, es rann ihm das Blut die Nase herunter.

Reineke rief: „So wollt’ ich es haben! So ist es gelungen!“

Blutend verzagte der Wolf, und sein verlorenes Auge

Macht’ ihn rasend, er sprang, vergessend Wunden und Schmerzen,

Gegen Reineke los und drückt’ ihn nieder zu Boden.

Übel befand sich der Fuchs, und wenig half ihm die Klugheit.

Einen der vorderen Füße, die er als Hände gebrauchte,

Fasst’ ihm Isegrim schnell und heilt ihn zwischen den Zähnen.

Reineke lag bekümmert am Boden, er sorgte zur Stunde

Seine Hand zu verlieren und dachte tausend Gedanken.

Isegrim brummte dagegen mit hohler Stimme die Worte:

„Deine Stunde, Dieb, ist gekommen! Ergib dich zur Stelle,

Oder ich schlage dich tot für deine betrüglichen Taten!

Ich bezahle dich nun, es hat dir wenig geholfen,

Staub zu kratzen, Wasser zu lassen, das Fell zu bescheren,

Dich zu schmieren. Wehe dir nun! Du hast mir so vieles

Übel getan, gelogen auf mich, mir das Auge geblendet,

Aber du sollst nicht entgehn: Ergib dich, oder ich beiße!“

Reineke dachte: „Nun geht es mir schlimm, was soll ich beginnen?

Geb’ ich mich nicht, so bringt er mich um, und wenn ich mich gebe,

Bin ich auf ewig beschimpft. Ja, ich verdiene die Strafe;

Denn ich hab’ ihn zu übel behandelt, zu gröblich beleidigt.“

Süße Worte versucht’ er darauf, den Gegner zu mildern.

„Lieber Oheim!“, sagt’ er zu ihm: „Ich werde mit Freuden

Euer Lehnsmann sogleich mit allem, was ich besitze,

Gerne geh’ ich als Pilger für Euch zum Heiligen Grab,

In das Heilige Land, in alle Kirchen und bringe

Ablass genug von dannen zurück. Es gereicht derselbe

Eurer Seele zu Nutz und soll für Vater und Mutter

Übrig bleiben, damit sich auch die im ewigen Leben

Dieser Wohltat erfreun: Wer ist nicht ihrer bedürftig?

Ich verehr’ Euch, als wärt Ihr der Papst, und schwöre den teuren

Heiligen Eid, von jetzt auf alle künftigen Zeiten

Ganz der Eure zu sein mit allen meinen Verwandten.

Alle sollen Euch dienen zu jeder Stunde. So schwör’ ich!

Was ich dem König selbst nicht verspräche, das sei Euch geboten.

Nehmt Ihr es an, so wird Euch dereinst die Herrschaft des Landes.

Alles, was ich zu fangen verstehe, das will ich Euch bringen:

Gänse, Hühner, Enten und Fische, bevor ich das mindeste

Solcher Speise verzehre, ich lass’ Euch immer die Auswahl,

Eurem Weib und Kindern. Ich will mit Fleiß daneben

Euer Leben beraten, es soll Euch kein Übel berühren.

Lose heiß’ ich, und Ihr seid stark, so können wir beide

Große Dinge verrichten. Zusammen müssen wir halten,

Einer mit Macht, der andre mit Rat, wer wollt’ uns bezwingen?

Kämpfen wir gegeneinander, so ist es übel gehandelt.

Ja, ich hätt’ es niemals getan, wofern ich nur schicklich

Hätte den Kampf zu vermeiden gewusst; Ihr fordertet aber,

Und ich musste denn wohl mich ehrenhalber bequemen.

Aber ich habe mich höflich gehalten und während des Streites

Meine ganze Macht nicht bewiesen: Es muss dir, so dacht’ ich,

Deinen Oheim zu schonen, zur größten Ehre gereichen.

Hätt’ ich Euch aber gehasst, es wär’ Euch anders gegangen.

Wenig Schaden habt Ihr gelitten, und wenn aus Versehen

Euer Auge verletzt ist, so bin ich herzlich bekümmert.

Doch das Beste bleibt mir dabei: Ich kenne das Mittel,

Euch zu heilen, und teil’ ich’s Euch mit, Ihr werdet mir’s danken.

Bleibe das Auge gleich weg, und seid Ihr sonst nur genesen,

Ist es Euch immer bequem: Ihr habt, legt Ihr Euch schlafen,

Nur ein Fenster zu schließen, wir andern bemühen uns doppelt.

Euch zu versöhnen, sollen sogleich sich meine Verwandten

Vor Euch neigen, mein Weib und meine Kinder, sie sollen

Vor des Königes Augen im Angesicht dieser Versammlung

Euch ersuchen und bitten, dass Ihr mir gnädig vergebt

Und mein Leben mir schenkt. Dann will ich offen bekennen,

Dass ich unwahr gesprochen und euch mit Lügen geschändet,

Euch betrogen, wo ich gekonnt. Ich verspreche zu schwören,

Dass mir von Euch nichts Böses bekannt ist, und dass ich von nun an

Nimmer Euch zu beleidigen denke. Wie könntet Ihr jemals

Größere Sühne verlangen als die, wozu ich bereit bin?

Schlagt Ihr mich tot, was habt Ihr davon? Es bleiben Euch immer

Meine Verwandten zu fürchten und meine Freunde; dagegen,

Wenn Ihr mich schont, verlasst Ihr mit Ruhm und Ehren den Kampfplatz,

Scheint jeglichem edel und weise: Denn höher vermag sich

Niemand zu heben, als wenn er vergibt. Es kommt Euch so bald nicht

Diese Gelegenheit wieder, benutzt sie! Übrigens kann mir

Jetzt ganz einerlei sein, zu sterben oder zu leben.“

„Falscher Fuchs!“, versetzte der Wolf: „Wie wärst du so gerne

Wieder los! Doch wäre die Welt von Gold geschaffen,

Und du bötest sie mir in deinen Nöten, ich würde

Dich nicht lassen. Du hast mir so oft vergeblich geschworen,

Falscher Geselle! Gewiss, nicht Eierschalen erhielt’ ich,

Ließ ich dich los. Ich achte nicht viel auf deine Verwandten;

Ich erwarte, was sie vermögen, und denke so ziemlich

Ihre Feindschaft zu tragen. Du Schadenfroher! Wie würdest

Du nicht spotten, gäb’ ich dich frei auf deine Beteurung.

Wer dich nicht kennte, wäre betrogen. Du hast mich, so sagst du,

Heute geschont, du leidiger Dieb! Und hängt mir das Auge

Nicht zum Kopf heraus? Du Bösewicht! Hast du die Haut mir

Nicht an zwanzig Orten verletzt? Und konnt’ ich nur einmal

Wieder zu Atem gelangen, da du den Vorteil gewonnen?

Töricht wär’ es gehandelt, wenn ich für Schaden und Schande

Dir nun Gnad’ und Mitleid erzeigte. Du brachtest, Verräter,

Mich und mein Weib in Schaden und Schmach: Das kostet dein Leben.“

Also sagte der Wolf. Indessen hatte der Lose

Zwischen die Schenkel des Gegners die andre Tatze geschoben;

Bei den empfindlichsten Teilen ergriff er denselben und ruckte,

Zerrt’ ihn grausam, ich sage nicht mehr – Erbärmlich zu schreien

Und zu heulen begann der Wolf mit offenem Mund.

Reineke zog die Tatze behend aus den klemmenden Zähnen,

Hielt mit beiden den Wolf nun immer fester und fester,

Kneipt’ und zog. Da heulte der Wolf und schrie so gewaltig,

Dass er Blut zu speien begann, es brach ihm vor Schmerzen

Über und über der Schweiß durch seine Zotten, er löste

Sich vor Angst. Das freute den Fuchs: Nun hofft’ er zu fliegen,

Hielt ihn immer mit Händen und Zähnen, und große Bedrängnis,

Große Pein kam über den Wolf, er gab sich verloren.

Blut rann über sein Haupt, aus seinen Augen, er stürzte

Nieder, betäubt. Es hätte der Fuchs des Goldes die Fülle

Nicht für diesen Anblick genommen: So heilt er ihn immer

Fest und schleppte den Wolf und zog, dass alle das Elend

Sahen, und kneipt’ und druckt’ und biss und klaute den Armen,

Der mit dumpfem Geheul im Staub und eigenen Unrat

Sich mit Zuckungen wälzte, mit ungebärdigem Wesen.

Seine Freunde jammerten laut, sie baten den König,

Aufzunehmen den Kampf, wenn es ihm also beliebte.

Und der König versetzte: „Sobald euch allen bedünkt,

Allen lieb ist, dass es geschehe, so bin ich’s zufrieden.“

Und der König gebot, die beiden Wärter des Kreises,

Lynx und Lupardus, sollten zu beiden Kämpfern hineingehn.

Und sie traten darauf in die Schranken und sprachen dem Sieger

Reineke zu: Es sei nun genug, es wünsche der König,

Aufzunehmen den Kampf, den Zwist geendigt zu sehen.

„Er verlangt,“ so fuhren sie fort, „Ihr mögt ihm den Gegner

Überlassen, das Leben dem Überwundenen schenken;

Denn, wenn einer getötet in diesem Zweikampf erläge,

Wäre es schade auf jeglicher Seite. Ihr habt ja den Vorteil!

Alle sahen es, Klein’ und Große. Auch fallen die besten

Männer Euch bei, Ihr habt sie für Euch auf immer gewonnen.“

Reineke sprach: „Ich werde dafür mich dankbar bewiesen!

Gerne folg’ ich dem Willen des Königs, und was sich gebührt,

Tu’ ich gern: Ich habe gesiegt, und Schöners verlang’ ich

Nichts zu erleben! Es gönne mir nur der König das eine,

Dass ich meine Freunde befrage.“ Da riefen die Freunde

Reinekes alle: „Es dünkt uns gut, den Willen des Königs

Gleich zu erfüllen.“ Sie kamen zu Scharen zum Sieger gelaufen,

Alle Verwandte, der Dachs und der Affe und Otter und Biber.

Seien Freunde waren nun auch der Marder, die Wiesel,

Hermelin und Eichhorn und viele, die ihn befeindet,

Seinen Namen zuvor nicht nennen mochten, sie liefen

Alle zu ihm. Da fanden sich auch, die sonst ihn verklagten,

Seine Verwandten anjetzt, und brachten Weiber und Kinder,

Große, mittlere, kleine, dazu die kleinsten; es tat ihm

Jeglicher schön, sie schmeichelten ihm und konnten nicht enden.

In der Welt geht’s immer so zu. Dem Glücklichen sagt man:

„Bleibt lange gesund!“, er findet Freunde in Menge.

Aber wem es übel gerät, der mag sich gedulden!

Ebenso fand es sich hier. Ein jeglicher wollte der nächste

Neben dem Sieger sich blähn. Die einen flöteten, andre

Sangen, bliesen Posaunen und schlugen Pauken dazwischen.

Reinekes Freunde sprachen zu ihm: „Erfreut Euch, Ihr habt

Euch und Euer Geschlecht in dieser Stunde gehoben!

Sehr betrübten wir uns, Euch unterliegen zu sehen,

Doch es wandte sich bald, es war ein treffliches Stückchen.“

Reineke sprach: „Es ist mir geglückt!“ und dankte den Freunden.

Also gingen sie hin mit großem Getümmel, vor allen

Reineke mit den Wärtern des Kreises, und so gelangten

Sie zum Thron des Königs, da kniete Reineke nieder.

Aufstehn hieß ihn der König und sagte vor allen den Herren:

„Euren Tag bewahrtet Ihr wohl, Ihr habt mit Ehren

Eure Sache vollführt, deswegen sprech’ ich Euch ledig:

Alle Strafe hebt sich auf, ich werde darüber

Nächstens sprechen im Rat mit meinen Edlen, sobald nur

Isegrim wieder geheilt ist; für heute schließ’ ich die Sache.“

„Eurem Rat, gnädiger Herr,“ versetzte bescheiden

Reineke drauf, „ist heilsam zu folgen: Ihr wisst es am besten.

Als ich hierher kam, klagten so viele, sie logen dem Wolf,

Meinem mächtigen Feind, zulieb, der wollte mich stürzen,

Hatte mich fast in seiner Gewalt, da riefen die andern:

‚Kreuzige!’, klagten mit ihm, nur mich aufs letzte zu bringen,

Ihm gefällig zu sein; denn alle konnten bemerken:

Besser stand er bei Euch als ich, und keiner gedachte

Weder ans Ende, noch wie sich vielleicht die Wahrheit verhalte.

Jenen Hunden vergleich’ ich sie wohl, die pflegten in Menge

Vor der Küche zu stehn und hofften, es werde wohl ihrer

Auch der günstige Koch mit einigen Knochen gedenken.

Einen ihrer Gesellen erblickten die wartenden Hunde,

Der ein Stück gesottenes Fleisch dem Koch genommen

Und nicht eilig genug zu seinem Unglück davon sprang.

Denn es begoss ihn der Koch mit heißem Wasser von hinten

Und verbrüht’ ihm den Schwanz; doch ließ er die Beute nicht fallen,

Mengte sich unter die andern, sie aber sprachen zusammen:

‚Seht, wie diesen der koch vor allen andern begünstigt!

Seht, welch köstliches Stück er ihm gab!’ Und jener versetzte:

‚Wenig begreift Ihr davon, Ihr lobt und preist mich von vorne,

Wo es Euch freilich gefällt, das köstliche Fleisch zu erblicken;

Aber beseht mich von hinten und preist mich glücklich, wofern Ihr

Eure Meinung nicht ändert.’ Da sie ihn aber besahen,

War er schrecklich verbrannt, es fielen die Haare herunter,

Und die Haut verschrumpft ihm am Leib. Ein Grauen befiel sie,

Niemand wollte zur Küche, sie liefen und ließen ihn stehen. –

Herr, die Gierigen mein’ ich hiermit. Solange sie mächtig

Sind, verlangt sie ein jeder zu seinem Freund zu haben.

Stündlich sieht man sie an, sie tragen das Fleisch in dem Mund.

Wer sich nicht nach ihnen bequemt, der muss es entgelten,

Loben muss man sie immer, so übel sie handeln, und also

Stärkt man sie nur in sträflicher Tat. So tut es ein jeder,

Der nicht das Ende bedenkt. Doch werden solche Gesellen

Öfters gestraft, und ihre Gewalt nimmt ein trauriges Ende.

Niemand leidet sie mehr: So fallen zur Rechten und Linken

Ihnen die Haare vom Leib. Das sind die vorigen Freunde,

Groß und klein, sie fallen nun ab und lassen sie nackend,

So wie sämtliche Hunde sogleich den Gesellen verließen,

Als sie den schaden bemerkt und seine geschändete Hälfte.

Gnädiger Herr, Ihr werdet verstehn, von Reineke soll man

Nie so reden, es sollen die Freunde sich meiner nicht schämen.

Euer Gnaden dank’ ich aufs beste, und könnt’ ich nur immer

Euren Willen erfahren, ich würd’ ihn gerne vollbringen.“

„Viele Worte helfen uns nichts,“ versetzte der König:

„Alles hab’ ich gehört und, was Ihr meint, verstanden.

Euch, als edlen Baron, Euch will ich im Rat wie vormals

Wieder sehen, ich mach’ Euch zur Pflicht, zu jeglicher Stunde

Meine geheimen Rat zu besuchen. So bring’ ich Euch wieder

Völlig zu Ehren und Macht, und Ihr verdient es, ich hoffe.

Helft alles zum Besten wenden! Ich kann Euch am Hof

Nicht entbehren, und wenn Ihr die Weisheit mit Tugend verbindet,

So wird niemand über Euch gehen und schärfer und klüger

Rat und Wege bezeichnen. Ich werde künftig die Klagen

Über Euch weiter nicht hören. Und Ihr sollt immer an meiner

Stelle reden und handeln als Kanzler des Reiches. Es sei Euch

Also mein Siegel befohlen, und was Ihr tut und schreibt,

Bleibe getan und geschrieben.“ – So hat nun Reineke billig

Sich zu großen Gunsten geschwungen, und alles befolgt man,

Was er rät und beschließt, zu Frommen oder zu Schaden.

Reinecke dankte dem König und sprach: „Mein edler Gebieter,

Zu viel Ehre tut Ihr mir an, ich will es gedenken,

Wie ich hoffe, Verstand zu behalten. Ihr sollt es erfahren.“

Wie es dem Wolf indessen erging, vernehmen wir kürzlich.

Überwunden lag er im Kreis und übel behandelt,

Weib und Freunde gingen zu ihm und Hinze, der Kater,

Braun, der Bär, und Kind und Gesind’ und seine Verwandten.

Klagend legten sie ihn auf eine Bahre (man hatte

Wohl mit Heu sie gepolstert, ihn warm zu halten) und trugen

Aus dem Kreis ihn heraus. Man untersuchte die Wunden,

Zählte sechsundzwanzig; es kamen viele Chirurgen,

Die sogleich ihn verbanden und heilende Tropfen ihm reichten:

Alle Glieder waren ihm lahm. Sie rieben ihm gleichfalls

Kraut ins Ohr, er nieste gewaltig von vornen und hinten.

Und sie sprachen zusammen: „Wir wollen ihn salben und baden!“

Trösteten solchergestalt des Wolfes traurige Sippschaft,

Legten ihn sorglich zu Bett, da schlief er, aber nicht lange,

Wachte verworren und kümmerte sich, die Schande, die Schmerzen

Setzten ihm zu, er jammerte laut und schien zu verzweifeln.

Sorglich wartete Gieremund sein mit traurigem Mut,

Dachte den großen Verlust. Mit mannigfaltigen Schmerzen

Stand sie, bedauerte sich und ihre Kinder und Freunde,

Sah den leidenden Mann: Er konnt’ es niemals verwinden,

Raste vor Schmerz, der Schmerz war groß und traurig die Folgen.

Reineke aber behagte das wohl, er schwatzte vergnüglich

Seinen Freunden was vor und hörte sich preisen und loben.

Hohen Mutes schied er von dannen. Der gnädige König

Sandte Geleite mit ihm und sagte freundlich zum Abschied:

„Kommt bald wieder!“ Da kniete der Fuchs am Thron zur Erde,

Sprach: „Ich dank’ Euch von Herzen und meiner gnädigen Frauen,

Eurem Rat, den Herren zusamt. Es spare, mein König,

Gott zu vielen Ehren Euch auf, und was Ihr begehrt,

Tu’ ich gern: Ich lieb’ Euch gewiss und bin es Euch schuldig.

Jetzo, wenn Ihr’s vergönnt, gedenk’ ich nach Hause zu reisen,

Meine Frau und Kinder zu sehn: Sie warten und trauren.“

„Reist nur hin,“ versetzte der König, „und fürchtet nichts weiter.“

Also machte sich Reineke fort, vor allen begünstigt.

Manche seines Gelichters verstehen dieselbigen Künste:

Rote Bärte tragen nicht alle, doch sind sie geborgen.

Reineke zog mit seinem Geschlecht, mit vierzig Verwandten,

Stolz von Hof, sie waren geehrt und freuten sich dessen.

Als ein Herr trat Reineke vor, es folgten die andern.

Frohen Mutes erzeigt’ er sich da, es war ihm der Wedel

Breit geworden, er hatte die Gunst des Königs gefunden,

War nun wieder im Rat und dachte, wie er es nutzte.

„Wen ich liebe, dem frommt’s, und meine Freunde genießen’s,“

Also dacht’ er, „die Weisheit ist mehr als Gold zu verehren.“

So begab sich Reineke fort, begleitet von allen

Seinen Freunden, den Weg nach Malepartus, der Feste.

Allen zeigt’ er sich dankbar, die sich ihm günstig erwiesen,

Die in bedenklicher Zeit an seiner Seite gestanden.

Seine Dienste bot er dagegen; sie schieden und gingen

Zu den Seinigen jeder, und er in seiner Behausung

Fand sein Weib, Frau Ermelyn, wohl: Sie grüßt’ ihn mit Freuden,

Fragte nach seinem Verdruss, und wie er wieder entkommen.

Reineke sagte: „Gelang es mir doch! Ich habe mich wieder

In die Gunst des Königs gehoben, ich werde wie vormals

Wieder im Rat mich finden, und unserm ganzen Geschlecht

Wird es zur Ehre gedeihn. Er hat mich zum Kanzler des Reiches

Laut vor allen ernannt und mir das Siegel befohlen:

‚Alles, was Reineke tut und schreibt, es bleibt für immer

Wohlgetan und geschrieben: Das mag sich jeglicher merken!’

Unterwiesen hab’ ich den Wolf in wenig Minuten,

Und er klagt mir nicht mehr. Geblendet ist er, verwundet

Und beschimpft sein ganzes Geschlecht: Ich hab’ ihn gezeichnet!

Wenig nützt er künftig der Welt. Wir kämpften zusammen,

Und ich hab’ ihn untergebracht. Er wird mir auch schwerlich

Wieder gesund. Was liegt mir daran? Ich bleibe sein Vormann,

Aller seiner Gesellen, die mit ihm halten und stehen.“

Reinekes Frau vergnügte sich sehr; so wuchs auch den beiden

Kleinen Knaben der Mut bei ihres Vaters Erhöhung.

Untereinander sprachen sie froh: „Vergnügliche Tage

Leben wir nun, von allen verehrt, und denken indessen

Unsre Burg zu befest’gen und heiter und sorglos zu leben.“

Hoch geehrt ist Reineke nun! Zur Weisheit bekehre

Bald sich jeder und meide das Böse, verehre die Tugend!

Dieses ist der Sinn des Gesangs, in welchem der Dichter

Fabel und Wahrheit gemischt, damit Ihr das Böse vom Guten

Sondern mögt und schätzen die Weisheit, damit auch die Käufer

Dieses Buchs vom Lauf der Welt sich täglich belehren.

Denn so ist es beschaffen, so wird es bleiben, und also

Endigt sich unser Gedicht von Reinekes Wesen und Taten.

Uns verhelfe der Herr zur ewigen Herrlichkeit! Amen.

 
 * 

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