1797

Zu Ende des vorigen Jahrs machte ich eine Reise, meinen gnädigsten Herrn nach Leipzig zu begleiten, besuchte einen großen Ball, wo uns die Herren Dyk und Comp., und wer sich sonst durch die »Xenien« verletzt oder erschreckt hielt, mit Apprehension wie das böse Prinzip betrachteten. In Dessau ergötzte uns die Erinnerung früherer Zeiten; die Familie von Loen zeigte sich als eine angenehme, zutrauliche Verwandtschaft, und man konnte sich der frühsten Frankfurter Tage und Stunden zusammen erinnern.

Schon in den ersten Monaten des Jahrs erfreute sich das Theater an dem Beitritt von Karoline Jagermann als einer neuen Zierde. »Oberon« ward gegeben, bald darauf »Telemach«, und manche Rollen konnten mit mehr Auswahl besetzt werden. Äußerlich führte man das Bühnenwesen zunächst in seinem gewohnten Gange fort, innerhalb aber ward manches Bedeutende vorbereitet. Schiller, der nunmehr ein wirkliches Theater in der Nähe und vor Augen hatte, dachte ernstlich darauf, seine Stücke spielbarer zu machen, und als ihm hierin die große Breite, wie er »Wallenstein« schon gedacht, abermals hinderlich war, entschloß er sich, den Gegenstand in mehreren Abteilungen zu behandeln. Dies gab in Abwesenheit der Gesellschaft den ganzen Sommer über reichliche Belehrung und Unterhaltung. Schon war der Prolog geschrieben, »Wallensteins Lager« wuchs heran.

Auch ich blieb meinerseits in vollkommener Tätigkeit: »Hermann und Dorothea« erschien als Taschenbuch, und ein neues episch-romantisches Gedicht wurde gleich darauf entworfen. Der Plan war in allen seinen Teilen durchgedacht, den ich unglücklicherweise meinen Freunden nicht verhehlte. Sie rieten mir ab, und es betrübt mich noch, daß ich ihnen Folge leistete: denn der Dichter allein kann wissen, was in einem Gegenstande liegt und was er für Reiz und Anmut bei der Ausführung daraus entwickeln könne. Ich schrieb den »Neuen Pausias« und die »Metamorphose der Pflanzen« in elegischer Form; Schiller wetteiferte, indem er seinen »Taucher« gab. Im eigentlichen Sinne hielten wir Tag und Nacht keine Ruhe; Schillern besuchte der Schlat erst gegen Morgen; Leidenschaften aller Art waren in Bewegung; durch die »Xenien« hatten wir ganz Deutschland aufgeregt, jedermann schalt und lachte zugleich. Die Verletzten suchten uns auch etwas Unangenehmes zu erweisen, alle unsere Gegenwirkung bestand in unermüdet fortgesetzter Tätigkeit.

Die Universität Jena stand auf dem Gipfel ihres Flors; das Zusammenwirken von talentvollen Menschen und glücklichen Umständen wäre der treusten, lebhaftesten Schilderung wert. Fichte gab eine neue Darstellung der »Wissenschaftslehre« im »Philosophischen Journal«. Woltmann hatte sich interessant gemacht und berechtigte zu den schönsten Hoffnungen. Die Gebrüder von Humboldt waren gegenwärtig, und alles der Natur Angehörige kam philosophisch und wissenschaftlich zur Sprache. Mein osteologischer Typus von 1795 gab nun Veranlassung, die öffentliche Sammlung sowie meine eigene rationeller zu betrachten und zu benutzen. Ich schematisierte die Metamorphose der Insekten, die ich seit mehreren Jahren nicht aus den Augen ließ. Die Krausischen Zeichnungen der Harzfelsen gaben Anlaß zu geologischen Betrachtungen, galvanische Versuche wurden durch Humboldt angestellt. Scherer zeigte sich als hoffnungsvoller Chemikus. Ich fing an, die Farbentafeln in Ordnung zu bringen. Für Schillern fuhr ich fort, am »Cellini« zu übersetzen, und da ich biblische Stoffe in Absicht, poetische Gegenstände zu finden, wieder aufnahm, so ließ ich mich verführen, die Reise der Kinder Israel durch die Wüste kritisch zu behandeln. Der Aufsatz, mit beigefügter Karte, sollte jenen wunderlichen vierzigjährigen Irrgang zu einem wo nicht vernünftigen, doch faßlichen Unternehmen umbilden.

Eine unwiderstehliche Lust nach dem Land- und Gartenleben hatte damals die Menschen ergriffen. Schiller kaufte einen Garten bei Jena und zog hinaus; Wieland hatte sich in Oßmannstedt angesiedelt. Eine Stunde davon, am rechten Ufer der Ilm, ward in Oberroßla ein kleines Gut verkäuflich, ich hatte Absichten darauf.

Als Besuch erfreuten uns Lerse und Hirt. Der seltsame Reisende Lord Bristol gab mir zu einer abenteuerlichen Erfahrung Anlaß. Ich bereite mich zu einer Reise nach der Schweiz, meinem aus Italien zurückkehrenden Freunde Heinrich Meyer entgegen. Der weimarische Schloßbau nötigt zur Umsicht nach einem geistreichen Architekten und geschickten Handwerkern. Auch die Zeichenschule erhält neue Anregung.

Vor meiner Abreise verbrenn ich alle an mich gesendeten Briefe seit 1772 aus entschiedener Abneigung gegen Publikation des stillen Gangs freundschaftlicher Mitteilung. Schiller besucht mich noch in Weimar, und ich reise den 30. Juli ab. Da ein geschickter Schreiber mich begleitete, so ist alles, in Akten geheftet, wohl erhalten, was damals auffallend und bedeutend sein konnte.

Da hieraus mit schicklicher Redaktion ein ganz unterhaltendes Bändchen sich bilden ließe, so sei von dem ganzen Reiseverlauf nur das Allgemeinste hier angedeutet.

Unterwegs beschäftigt mich die genaue Betrachtung der Gegenden hinsichtlich auf Geognosie und der darauf gegründeten Kultur. In Frankfurt belehrt mich Sömmerring durch Unterhaltung, Präparate und Zeichnungen. Ich werde mit manchen Persönlichkeiten bekannt, mit Öffentlichem und Besonderem; ich beachte das Theater und führe lebhafte Korrespondenz mit Schiller und andern Freunden. Österreichische Garnison, gefangene Franzosen als Gegensatz; jene von imperturbablem Ernst, diese immer von possenhafter Heiterkeit. Französische satirische Kupferstiche.

Den 25. ab von Frankfurt; über Heidelberg, Heilbronn, Ludwigsburg kam ich den 30. in Stuttgart an. Kaufmann Rapp, Dannecker, Scheffauer werden besucht; Bekanntschaft mit Professor Thouret, mit geschickten Arbeitern von Zieraten, Stukkatoren, Quadratoren, die sich aus der bewegten Regierungszeit Herzog Karls herschrieben; Unterhandlungen mit denselben, sie bei dem weimarischen Schloßbau anzustellen.

Anfang Septembers fällt »Der Junggesell und der Mühlbach«, den Zumsteeg sogleich komponiert, sodann »Der Jüngling und die Zigeunerin«. Den 9. September in Tübingen, bei Cotta gewohnt, die vorzüglichen dortigen Männer besprochen. Naturalienkabinett des Professor Storr besichtigt, das, vormals Pasquay in Frankfurt am Main gehörig, mit der liebevollsten Sorgfalt nach Tübingen transportiert worden. Den 16. September von dort weg. Schaffhausen, Rheinfall, Zürich. Den 21. in Stäfa; Zusammenkunft mit Meyer, mit ihm die Reise angetreten; den 28. über Marie Einsiedeln bis auf den Gotthard. Den 8. Oktober waren wir wieder zurück. Zum dritten Male besucht ich die kleinen Kantone, und weil die epische Form bei mir gerade das Übergewicht hatte, ersann ich einen »Tell« unmittelbar in der Gegenwart der klassischen Örtlichkeit. Eine solche Ableitung und Zerstreuung war nötig, da mich die traurigste Nachricht mitten in den Gebirgen erreichte. Christiane Neumann, verehlichte Becker, war von uns geschieden; ich widmete ihr die Elegie »Euphrosyne«. Liebreiches, ehrenvolles Andenken ist alles, was wir den Toten zu geben vermögen.

Auf dem Sankt Gotthard hatte ich schöne Mineralien gewonnen; der Hauptgewinn aber war die Unterhaltung mit meinem Freunde Meyer; er brachte mir das lebendigste Italien zurück, das uns die Kriegsläufte leider nunmehr verschlossen. Wir bereiteten uns zum Trost auf die »Propyläen« vor. Die Lehre von den Gegenständen, und was denn eigentlich dargestellt werden soll, beschäftigte uns vor allen Dingen. Die genaue Beschreibung und kennerhafte Bemerkung der Kunstgegenstände alter und neuer Zeit verwahrten wir als Schätze für die Zukunft. Nachdem ich eine Beschreibung von Stäfa versucht, die Tagebücher revidiert und mundiert waren, gingen wir den 21. Oktober von dort ab. Den 26. Oktober von: Zürich abreisend, langten wir den 6. November in Nürnberg an. In dem freundlichen Zirkel der Kreisgesandten durchlebten wir einige frohe Tage. Den 15. November von dort ab.

In Weimar hatte die Ankunft mehrerer bedeutenden Emigrierten die Gesellschaft erweitert, angenehm und unterhaltend gemacht. Nachzutragen ist noch, daß Oberappellationsrat Körner und seine liebe und hoffnungsvolle Familie uns im abgelaufenen Sommer mit ihrer Gegenwart erfreute; und doch bleibt noch manches Besondere dieses merkwürdigen Jahres zurück.

Millins antiquarische Tätigkeit begann zu wirken, den größten Einfluß aber übten Wolfs »Prolegomena«.

Auf dem Theater fand ich die große Lücke; Christiane Neumann fehlte, und doch war’s der Platz noch, wo sie mir soviel Interesse eingeflößt hatte. Ich war durch sie an die Bretter gewöhnt, und so wendete ich nun dem Ganzen zu, was ich ihr sonst fast ausschließlich gewidmet hatte.

Ihre Stelle war besetzt, wenigstens mit einer wohlgefälligen Schauspielerin. Auch Karoline Jagemann indessen bildete sich immer mehr aus und erwarb sich zugleich im Schauspiel allen Beifall. Das Theater war schon so gut bestellt, daß die kurrenten Stücke ohne Anstoß und Rivalität sich besetzen ließen.

Einen großen und einzigen Vorteil brachte aber dieser Unternehmung, daß die vorzüglichsten Werke Ifflands und Kotzebues schon vom Theater gewirkt und sich auf neuen, in Deutschland noch nicht betretenen Wegen großen Beifall erworben hatten. Beide Autoren waren noch in ihrem Vigor; ersterer als Schauspieler stand in der Epoche höchster Kunstausbildung.

Auch gereichte zu unserm größten Vorteil, daß wir nur vor einem kleinen, genugsam gebildeten Publikum zu spielen hatten, dessen Geschmack wir befriedigen und uns doch dabei unabhängig erhalten konnten; ja wir durften manches versuchen; uns selbst und unsere Zuschauer in einem höheren Sinne auszubilden.

Hier kam uns nun Schiller vorzüglich zu Hülfe; er stand im Begriff, sich zu beschränken, dem Rohen, Übertriebenen, Gigantischen zu entsagen; schon gelang ihm das wahrhaft Große und dessen natürlicher Ausdruck. Wir verlebten keinen Tag in der Nähe, ohne uns mündlich, keine Woche in der Nachbarschaft, ohne uns schriftlich zu unterhalten.

 
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1798

So arbeiteten wir unermüdet dem Besuche Ifflands vor, welcher uns im April durch acht seiner Vorstellungen anfrischen sollte. Groß war der Einfluß seiner Gegenwart: denn jeder Mitspielende mußte sich an ihm prüfen, indem er mit ihm wetteiferte, und die nächste Folge davon war, daß auch diesmal unsere Gesellschaft gar löblich ausgestattet nach Lauchstädt zog.

Kaum war sie abgegangen, als der alte Wunsch sieh regte, in Weimar ein besseres Lokal für die Bühne einzurichten. Schauspieler und Publikum fühlten sich eines anständigern Raumes würdig; die Notwendigkeit einer solchen Veränderung ward von jedermann anerkannt, und es bedurfte nur eines geistreichen Anstoßes, um die Ausführung zu bestimmen und zu beschleunigen.

Baumeister Thouret war von Stuttgart berufen, um den neuen Schloßbau weiter zu fördern; als Nebenzweck gab er einen sogleich beifällig aufgenommenen erfreulichen Plan zu einer neuen Einrichtung des vorhandenen Theaterlokals, nach welchem sich zu richten er die größte Gewandtheit bewies. Und so ward auch an uns die alte Bemerkung wahr, daß Gegenwart eines Baumeisters Baulust errege. Mit Fleiß und Hast betrieb man die Arbeit, so daß mit dem 12. Oktober Hof und Publikum zur Eröffnung des neuen Hauses eingeladen werden konnten. Ein Prolog von Schiller und »Wallensteins Lager« gaben dieser Feierlichkeit Wert und Würde.

Den ganzen Sommer hatte es an Vorarbeiten hiezu nicht gefehlt, denn der große Wallensteinische Zyklus, zuerst nur angekündigt, beschäftigte uns durchaus, obgleich nicht ausschließlich.

Von meinen eigenen poetischen und schriftstellerischen Werken habe ich soviel zu sagen, daß die »Weissagungen des Bakis« mich nur einige Zeit unterhielten. Zur »Achilleis« hatte ich den Plan ganz im Sinne, den ich Schillern eines Abends ausführlich erzählte. Der Freund schalt mich aus, daß ich etwas so klar vor mir sehen könnte, ohne solches auszubilden durch Worte und Silbenmaß. So angetrieben und fleißig ermahnt, schrieb ich die zwei ersten Gesänge; auch den Plan schrieb ich auf, zu dessen Fördernis mir ein treuer Auszug aus der »Ilias« dienen sollte.

Doch hiervon leitete mich ab die Richtung zur bildenden Kunst, welche sich bei Meyers Zurückkunft aus Italien ganz entschieden abermals hervorgetan hatte. Vorzüglich waren wir beschäftigt, das erste Stück der »Propyläen«, welches teils vorbereitet, teils geschrieben wurde, lebhafter weiter zu fördern. »Cellinis Leben« setzt ich fort als einen Anhaltepunkt der Geschichte des sechzehnten Jahrhunderts. Diderot, »Von den Farben«, ward mit Anmerkungen begleitet, welche mehr humoristisch als künstlerisch zu nennen wären, und indem sich Meyer mit den Gegenständen in dem Hauptpunkt aller bildenden Kunst gründlich beschäftigte, schrieb ich den »Sammler«, um manches Nachdenken und Bedenken in die heitere, freiere Welt einzuführen.

In der Naturwissenschaft fand ich manches zu denken, zu beschauen und zu tun. Schellings »Weltseele« beschäftigte unser höchstes Geistesvermögen. Wir sahen sie nun in der ewigen Metamorphose der Außenwelt abermals verkörpert. Alles Naturgeschichtliche, das sich uns lebendig näherte, betrachtete ich mit großer Aufmerksamkeit; fremde merkwürdige Tiere, besonders ein junger Elefant, vermehrten unsere Erfahrungen.

Hier muß ich aber auch eines Aufsatzes gedenken, den ich über pathologisches Elfenbein schrieb. Ich hatte solche Stellen angeschossener und wieder verheilter Elefantenzähne, die besonders den Kammachern höchst verdrießlich sind, wenn ihre Säge oft unvermutet auf sie stößt, seit mehreren Jahren gesammelt, an Zahl mehr denn zwanzig Stücke, woran sich in gar schöner Folge zeigen ließ, wie eine eiserne Kugel ins Innere der Zahnmasse eindringen, wohl die organische Lebendigkeit stören, aber nicht zerstören kann, indem diese sich hier auf eine eigene Weise wehrt und wiederherstellt. Ich freute mich, diese Sammlung, beschrieben und ausgelegt, dem Kabinette meines Freundes Loder, dem ich soviel Belehrung schuldig geworden, dankbar einzuverleiben.

In welcher Ordnung und Abteilung die »Geschichte der Farbenlehre« vorgetragen werden sollte, ward epochenweise durchgedacht und die einzelnen Schriftsteller studiert, auch die Lehre selbst genau erwogen und mit Schillern durchgesprochen. Er war es, der den Zweifel löste, der mich lange Zeit aufhielt: worauf denn eigentlich das wunderliche Schwanken beruhe, daß gewisse Menschen die Farben verwechseln, wobei man auf die Vermutung kam, daß sie einige Farben sehen, andere nicht sehen, da er denn zuletzt entschied, daß ihnen die Erkenntnis des Blauen fehle. Ein junger Gildemeister, der eben in Jena studierte, war in solchem Falle und bot sich freundlich zu allem Hin- und Widerversuchen, woraus sich denn zuletzt für uns jenes Resultat ergab.

Ferner, um das Mentale sichtlich darzustellen, verfertigten wir zusammen mancherlei symbolische Schemata. So zeichneten wir eine Temperamentenrose, wie man eine Windrose hat, und entwarfen eine tabellarische Darstellung, was der Dilettantismus jeder Kunst Nützliches und Schädliches bringe.

Gar manche Vorteile, die wir im Naturwissenschaftlichen gewannen, sind wir einem Besuch schuldig geworden, den uns Herr van Marum gönnen wollte.

Damit aber auch von der andern Seite der Geist zur unmittelbaren gemeinen Natur zurückgezogen werde, folgte ich der damaligen landschaftlichen Grille. Der Besitz des Freiguts zu Roßla nötigte mich, dem Grund und Boden, der Landesart, den dörflichen Verhältnissen näherzutreten, und verlieh gar manche Ansichten und Mitgefühle, die mir sonst völlig fremd geblieben wären. Hieraus entstand mir auch eine nachbarliche Gemeinschaft mit Wielanden, welcher freilich tiefer in die Sache gegangen war, indem er Weimar völlig verließ und seinen Wohnort in Oßmannstedt aufschlug. Er hatte nicht bedacht, was ihm am ersten hätte einfallen sollen: daß er unsrer Herzogin Amalia und sie ihm zum Lebensumgang völlig unentbehrlich geworden. Aus jener Entfernung entstand denn ein ganz wunderbares Hin- und Widersenden von reitenden und wandernden Boten, zugleich auch eine gewisse, kaum zu beschwichtigende Unruhe.

Eine wunderbare Erscheinung war in diesem Sommer Frau von Laroche, mit der Wieland eigentlich niemals übereingestimmt hatte, jetzt aber mit ihr im vollkommnen Widerspruch sich befand. Freilich war eine gutmütige Sentimentalität, die allenfalls vor dreißig Jahren, zur Zeit wechselseitiger Schonung, noch ertragen werden konnte, nunmehr ganz außer der Jahreszeit und einem Manne wie Wieland unerträglich. Ihre Enkelin Sophie Brentano hatte sie begleitet und spielte eine entgegengesetzte, nicht minder wunderliche Rolle.

 
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1799

Den 30. Januar Aufführung von den »Piccolomini«, den 20. April von »Wallenstein«. Indessen war Schiller immer tätig. »Maria Stuart« und »Die feindlichen Brüder« kommen zur Sprache. Wir berieten uns über den Gedanken, die deutschen Stücke, die sich erhalten ließen, teils unverändert im Druck zu sammeln, teils aber verändert und ins Enge gezogen der neueren Zeit und ihrem Geschmack näherzubringen. Ebendasselbe sollte mit ausländischen Stücken geschehen, eigene Arbeit jedoch durch eine solche Umbildung nicht verdrängt werden. Hier ist die Absicht unverkennbar, den deutschen Theatern den Grund zu einem soliden Repertorium zu legen, und der Eifer, dies zu leisten, spricht für die Überzeugung, wie notwendig und wichtig, wie folgereich ein solches Unternehmen sei.

Wir waren schon gewohnt, gemeinschaftlich zu handeln, und wie wir dabei verfuhren, ist bereits im »Morgenblatt« ausführlich vorgetragen. In das gegenwärtige Jahr fällt die Redaktion von »Macbeth« und die Übersetzung von »Mahomet«.

Die Memoiren der Stephanie von Bourbon-Conti erregen in mir die Konzeption der »Natürlichen Tochter«. In dem Plane bereitete ich mir ein Gefäß, worin ich alles, was ich so manches Jahr über die Französische Revolution und deren Folgen geschrieben und gedacht, mit geziemendem Ernste niederzulegen hoffte. Kleinere Stücke schematisierte ich mit Schillern gemeinschaftlich, wovon noch einiges, von Schillern eigenhändig geschrieben, übrig ist.

Die »Propyläen« wurden fortgesetzt. Im September hielten wir die erste Ausstellung der Preisbilder; die Aufgabe war Paris und Helena. Hartmann in Stuttgart erreichte den Preis.

Erwarben nun auf diese Weise die Weimarischen Kunstfreunde sich einiges Zutrauen der Außenwelt, so war auch Schiller aufgeregt, unablässig die Betrachtung über Natur, Kunst und Sitten gemeinschaftlich anzustellen. Hier fühlten wir immer mehr die Notwendigkeit von tabellarischer und symbolischer Behandlung. Wir zeichneten zusammen jene Temperamentenrose wiederholt; auch der nützliche und schädliche Einfluß des Dilettantismus auf alle Künste ward tabellarisch weiter ausgearbeitet, wovon die Blätter beidhändig noch vorliegen. Überhaupt wurden solche methodische Entwürfe durch Schillers philosophischen Ordnungsgeist, zu welchem ich mich symbolisierend hinneigte, zur angenehmsten Unterhaltung. Man nahm sie von Zeit zu Zeit wieder auf, prüfte sie, stellte sie um, und so ist denn auch das Schema der »Farbenlehre« öfters bearbeitet worden.

Und so konnte das Leben nirgends stocken in den jenigen Zweigen der Wissenschaft und Kunst, die wir als die unsrigen ansahen. Schelling teilte die Einleitung zu seinem »Entwurf der Naturphilosophie« freundlich mit; er besprach gern mancherlei Physikalisches, ich verfaßte einen allgemeinen Schematismus über Natur und Kunst.

Im August und September bezog ich meinen Garten am Stern, um einen ganzen Mondswechsel durch ein gutes Spiegelteleskop zu beobachten, und so ward ich denn mit diesem so lange geliebten und bewunderten Nachbar endlich näher bekannt. Bei aliem diesem lag ein großes Naturgedicht, das mir vor der Seele schwebte, durchaus im Hintergrund.

Während meines Gartenaufenthalts las ich Herders »Fragmente«, ingleichen Winckelmanns »Briefe« und erste Schriften, ferner Miltons »Verlornes Paradies«, um die mannigfaltigsten Zustände, Denk- und Dichtweisen mir zu vergegenwärtigen. In die Stadt zurückgekehrt, studierte ich zu obengemeldeten Theaterzwecken ältere englische Stücke, vorzüglich des Ben Jonson, nicht weniger andere, welche man Shakespearen zuschreibt. Durch guten Rat nahm ich Anteil an den »Schwestern von Lesbos«, deren Verfasserin mich früher als ein höchst schönes Kind, später als ein vorzüglichstes Talent angezogen hatte. Tieck las mir seine »Cenoveva« vor, deren wahrhaft poetische Behandlung mir sehr viel Freude machte und den freundlichsten Beifall abgewann. Auch die Gegenwart Wilhelm August Schlegels war für mich gewinnreich. Kein Augenblick ward müßig zugebracht, und man konnte schon auf viele Jahre hinaus ein geistiges gemeinsames Interesse vorhersehen.

 
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1800

Dieses Jahr brachte ich halb in Weimar, halb in Jena zu. Den 30. Januar ward »Mahomet« aufgeführt zu großem Vorteil für die Bildung unserer Schauspieler. Sie mußten sich aus ihrem Naturalisieren in eine gewisse Beschränktheit zurückziehen, deren Manieriertes aber sich gar leicht in ein Natürliches verwandeln ließ. Wir gewannen eine Vorübung in jedem Sinne zu den schwierigeren, reicheren Stücken, welche bald darauf erschienen. Von Opern will ich nur »Tarare« nennen.

Späterhin, am 24. Oktober, als am Geburtstag der Herzogin Amalia, ward im engeren Kreise »Paläophron und Neoterpe« gegeben. Die Aufführung des kleinen Stücks durch junge Kunstfreunde war musterhaft zu nennen. Fünf Figuren spielten in Masken, der Dame allein war vergönnt, uns in der eigensten Anmut ihrer Gesichtszüge zu ergötzen.

Diese Darstellung bereitete jene Maskenkomödien vor, die in der Folge eine ganz neue Unterhaltung jahrelang gewährten.

Die Bearbeitung verschiedener Stücke, gemeinschaftlich mit Schiller, ward fortgesetzt und zu diesem Zweck »Das Geheimnis der Mutter« von Horace Walpole studiert und behandelt, bei näherer Betrachtung jedoch unterlassen. Die neueren kleinen Gedichte wurden an Unger abgeliefert, »Die guten Frauen«, ein geselliger Scherz, geschrieben.

Nun sollte zum nächsten, immer gefeierten 30. Januar ganz am Ende des Jahrs »Tancred« übersetzt werden, und so geschah es auch, ungeachtet einer sich anmeldenden krankhaften Unbehaglichkeit.

Als wir im August dieses Jahrs die zweite Ausstellung vorbereiteten, fanden wir uns schon von vielseitiger Teilnahme begünstigt. Die Aufgabe: Der Tod des Rhesus und Hektors Abschied von Andromache, hatten viele wackere Künstler gelockt. Den ersten Preis erhielt Hoffmann zu Köln, den zweiten Nahl zu Kassel. Der »Propyläen« drittes und letztes Stück ward, bei erschwerter Fortsetzung, aufgegeben. Wie sich bösartige Menschen diesem Unternehmen entgegengestellt, sollte wohl zum Trost unserer Enkel, denen es auch nicht besser gehen wird, gelegentlich näher bezeichnet werden.

Die Naturforschung verfolgte still ihren Gang. Ein sechsfüßiger Herschel war für unsere wissenschaftlichen Anstalten angeschafft. Ich beobachtete nun einzeln mehrere Mondwechsel und machte mich mit den bedeutendsten Lichtgrenzen bekannt, wodurch ich denn einen guten Begriff von dem Relief der Mondoberfläche erhielt. Auch war mir die Haupteinteilung der »Farbenlehre« in die drei Hauptmassen, die didaktische, polemische und historische, zuerst ganz klar geworden und hatte sich entschieden.

Um mir im Botanischen das Jussieusche System recht anschaulich zu machen, brachte ich die sämtlichen Kupfer mehrerer botanischen Oktavwerke in jene Ordnung; ich erhielt dadurch eine Anschauung der einzelnen Gestalt und eine Übersicht des Ganzen, welches sonst nicht zu erlangen gewesen wäre.

 
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1801

Zu Anfang des Jahrs überfiel mich eine grimmige Krankheit; die Veranlassung dazu war folgende: Seit der Aufführung »Mahomets« hatte ich eine Übersetzung des »Tancred« von Voltaire begonnen und mich damit beschäftigt; nun aber ging das Jahr zu Ende, und ich mußte das Werk ernstlich angreifen; daher begab ich mich Hälfte Dezembers nach Jena, wo ich in den großen Zimmern des herzoglichen Schlosses einer altherkömmlichen Stimmung sogleich gebieten konnte. Auch diesmal waren die dortigen Zustände meiner Arbeit günstig; allein die Emsigkeit, womit ich mich daran hielt, ließ mich den schlimmen Einfluß der Lokalität diesmal wie schon öfter übersehen. Das Gebäude liegt an dem tiefsten Punkte der Stadt, unmittelbar an der Mühllache; Treppe sowie Treppengebäude von Gips, als einer sehr kalten und verkältenden Steinart, an die sich bei eintretendem Tauwetter die Feuchtigkeit häufig anwirft, machen den Aufenthalt besonders im Winter sehr zweideutig. Allein, wer etwas unternimmt und leistet, denkt er wohl an den Ort, wo es geschieht? Genug, ein heftiger Katarrh überfiel mich, ohne daß ich deshalb in meinem Vorsatz irre geworden wäre.

Damals hatte das Brownische Dogma ältere und jüngere Mediziner ergriffen; ein junger Freund, demselben ergeben, wußte von der Erfahrung, daß peruvianischer Balsam, verbunden mit Opium und Myrrhen, in den höchsten Brustübeln einen augenblicklichen Stillstand verursache und dem gefährlichen Verlauf sich entgegensetze. Er riet mir zu diesem Mittel, und in dem Augenblick war Husten, Auswurf und alles verschwunden. Wohlgemut begab ich mich in Professor Schellings Begleitung nach Weimar, als gleich zu Anfange des Jahrs der Katarrh mit verstärkter Gewalt zurückkehrte und ich in einen Zustand geriet, der mir die Besinnung raubte. Die Meinigen waren außer Fassung, die Ärzte tasteten nur, der Herzog, mein gnädigster Herr, die Gefahr überschauend, griff sogleich persönlich ein und ließ durch einen Eilboten den Hofrat Stark von Jena herüberkommen. Es vergingen einige Tage, ohne daß ich zu einem völligen Bewußtsein zurückkehrte, und als ich nun durch die Kraft der Natur und ärztliche Hülfe mich selbst wieder gewahr wurde, fand ich die Umgebung des rechten Auges geschwollen, das Sehen gehindert und mich übrigens in erbärmlichem Zustande. Der Fürst ließ in seiner sorgfältigen Leitung nicht nach, der hocherfahrne Leibarzt, im Praktischen von sicherm Griff, bot alles auf, und so stellte Schlaf und Transpiration mich nach und nach wieder her.

Innerlich hatte ich mich indessen schon wieder so gestaltet, daß am 19. Januar die Langeweile des Zustandes mir eine mäßige Tätigkeit abforderte, und so wendete ich mich zur Übersetzung des Theophrastischen Büchleins »Von den Farben«, die ich schon längst im Sinne gehabt. Die nächsten Freunde, Schiller, Herder, Voigt, Einsiedel und Loder, waren tätig, mich über fernere böse Stunden hinauszuheben. Am 22. war schon bei mir ein Konzert veranstaltet, und Durchlaucht dem Herzog konnt ich am 24., als am Tage, wo er nach Berlin reiste, für die bis zuletzt ununterbrochene Sorgfalt mit erheitertem Geiste danken: denn an diesem Tage hatte sich das Auge wieder geöffnet, und man durfte hoffen, frei und vollständig abermals in die Welt zu schauen. Auch konnte ich zunächst mit genesendem Blick die Gegenwart der durchlauchtigsten Herzogin Amalia und ihrer freundlich-geistreichen Umgebung bei mir verehren.

Am 29. durchging ich die Rolle der Amenaide mit Demoiselle Caspers, einer sich heranbildenden Schauspielerin. Freund Schiller leitete die Proben, und so gab er mir denn auch den 30. abends nach der Aufführung Nachricht von dem Gelingen. So ging ich ferner dieselbe Rolle mit Demoiselle Jagemann durch, deren Naturell und Verdienst als Schauspielerin und Sängerin damals ein Verehrer nach unmittelbaren Eindrücken hätte schildern sollen.

Brauchbar und angenehm in manchen Rollen war Ehlers als Schauspieler und Sänger, besonders in dieser letzten Eigenschaft geselliger Unterhaltung höchst willkommen, indem er Balladen und andere Lieder der Art zur Gitarre mit genauester Präzision der Textworte ganz unvergleichlich vortrug. Er war unermüdet im Studieren des eigentlichsten Ausdrucks, der darin besteht, daß der Sänger nach einer Melodie die verschiedenste Bedeutung der einzelnen Strophen hervorzuheben und so die Pflicht des Lyrikers und Epikers zugleich zu erfüllen weiß. Hievon durchdrungen, ließ er sich’s gern gefallen, wenn ich ihm zumutete, mehrere Abendstunden, ja bis tief in die Nacht hinein dasselbe Lied mit allen Schattierungen aufs pünktlichste zu wiederholen: denn bei der gelungenen Praxis überzeugte er sich, wie verwerflich alles sogenannte Durchkomponieren der Lieder sei, wodurch der allgemein lyrische Charakter ganz aufgehoben und eine falsche Teilnahme am einzelnen gefordert und erregt wird.

Schon am 7. Februar regte sich in mir die produktive Ungeduld, ich nahm den »Faust« wieder vor und führte stellenweise dasjenige aus, was in Zeichnung und Umriß schon längst vor mir lag.

Als ich zu Ende vorigen Jahrs in Jena den »Tancred« bearbeitete, ließen meine dortigen geistreichen Freunde den Vorwurf laut werden, daß ich mich mit französischen Stücken, welche bei der jetzigen Gesinnung von Deutschland nicht wohl Gunst erlangen könnten, so emsig beschäftige und nichts Eigenes vornähme, wovon ich doch so manches hatte merken lassen. Ich rief mir daher »Die natürliche Tochter« vor die Seele, deren ganz ausgeführtes Schema schon seit einigen Jahren unter meinen Papieren lag.

Gelegentlich dacht ich an das Weitere; allein durch einen auf Erfahrung gestützten Aberglauben, daß ich ein Unternehmen nicht aussprechen dürfe, wenn es gelingen solle, verschwieg ich selbst Schillern diese Arbeit und erschien ihm daher als unteilnehmend, glauben- und tatlos. Ende Dezember find ich bemerkt, daß der erste Akt der »Natürlichen Tochter« vollendet worden.

Doch fehlte es nicht an Ableitungen, besonders naturwissenschaftlichen, sowie ins Philosophische und Literarische. Ritter besuchte mich öfters, und ob ich gleich in seine Behandlungsweise mich nicht ganz finden konnte, so nahm ich doch gern von ihm auf, was er von Erfahrungen überlieferte und was er nach seinen Bestrebungen, sich ins Ganze auszubilden, getrieben war. Zu Schelling und Schlegel blieb ein tätiges, mitteilendes Verhältnis. Tieck hielt sich länger in Weimar auf, seine Gegenwart war immer anmutig fördernd. Mit Paulus blieb ebenfalls ein immer gleiches Verbündnis; wie denn alle diese Verhältnisse durch die Nähe von Weimar und Jena sich immerfort lebendig erhielten und durch meinen Aufenthalt am letztern Orte immer mehr bestätigt wurden.

Von Naturhistorischem berührte mich weniges; ein krummer Elefantenzahn ward nach einem großen Regenguß in der Gelmeröder Schlucht entdeckt. Er lag höher als alle die bisherigen Reste dieser frühern Geschöpfe, welche in den Tuffsteinbrüchen, eingehüllt in dieses Gestein, wenig Fuß über der Ilm gefunden werden; dieser aber ward unmittelbar auf dem Kalkflöz unter der aufgeschwemmten Erde im Gerölle entdeckt, über der Ilm etwa zweihundert. Er ward zu einer Zeit gefunden, wo ich, dergleichen Gegenständen entfremdet, daran wenig Anteil nahm. Die Finder hielten die Materie für Meerschaum und schickten solche Stücke nach Eisenach; nur kleine Trümmer waren mir zugekommen, die ich auf sich beruhen ließ. Bergrat Werner jedoch, bei einem abermaligen belehrenden Besuche, wußte sogleich die Sache zu entscheiden, und wir erfreuten uns der von einem Meister des Fachs ausgesprochenen Beruhigung.

Auch die Verhältnisse, in die ich durch den Besitz des Freiguts zu Roßla gekommen war, forderten aufmerksame Teilnahme für einige Zeit, wobei ich jedoch die Tage, die mir geraubt zu werden schienen, vielseitig zu benutzen wußte. Der erste Pachter war auszuklagen, ein neuer einzusetzen, und man mußte die Erfahrungen für etwas rechnen, die man im Verfolg so fremdartiger Dinge nach und nach gewonnen hatte.

Zu Ende März war ein ländlicher Aufenthalt schon erquicklich genug. Ökonomen und Juristen überließ man das Geschäft und ergötzte sich einstweilen in freier Luft, und weil die Konklusion »ergo bibamus« zu allen Prämissen paßt, so ward auch bei dieser Gelegenheit manches herkömmliche und willkürliche Fest gefeiert; es fehlte nicht an Besuchen, und die Kosten einer wohlbesetzten Tafel vermehrten das Defizit, das der alte Pachter zurückgelassen hatte.

Der neue war ein leidenschaftlicher Freund von Baumzucht; seiner Neigung gab ein angenehmer Talgrund von dem fruchtbarsten Boden Gelegenheit zu solchen Anlagen. Die eine buschige Seite des Abhangs, durch eine lebendige Quelle geschmückt, rief dagegen meine alte Parkspielerei zu geschlängelten Wegen und geselligen Räumen hervor; genug, es fehlte nichts als das Nützliche, und so wäre dieser kleine Besitz höchst wünschenswert geblieben. Auch die Nachbarschaft eines bedeutenden Städtchens, kleinerer Ortschaften, durch verständige Beamte und tüchtige Pächter gesellig, gaben dem Aufenthalt besondern Reiz; die schon entschiedene Straßenführung nach Eckartsberga, welche unmittelbar hinter dem Hausgarten abgesteckt wurde, veranlaßte bereits Gedanken und Plane, wie man ein Lusthäuschen anlegen und von dort an den belebenden Meßfuhren sich ergötzen wollte, so daß man sich auf dem Grund und Boden, der einträglich hätte werden sollen, nur neue Gelegenheiten zu vermehrten Ausgaben und verderblichen Zerstreuungen mit Behagen vorbereitete.

Eine fromme, fürs Leben bedeutende Feierlichkeit fiel jedoch im Innern des Hauses in diesen Tagen vor. Die Konfirmation meines Sohnes, welche Herder nach seiner edlen Weise verrichtete, ließ uns nicht ohne rührende Erinnerung vergangner Verhältnisse, nicht ohne Hoffnung künftiger freundlicher Bezüge.

Unter diesen und andern Ereignissen war der Tag hingegangen; Ärzte sowohl als Freunde verlangten, ich solle mich in ein Bad begeben, und ich ließ mich, nach dem damaligen Stärkungssystem, um so mehr für Pyrmont bestimmen, als ich mich nach einem Aufenthalt in Göttingen schon längst gesehnt hatte.

Den 5. Juni reiste ich ab von Weimar, und gleich die ersten Meilen waren mir höchst erfrischend; ich konnte wieder einen teilnehmenden Blick auf die Welt werfen, und obgleich von keinem ästhetischen Gefühl begleitet, wirkte er doch höchst wohltätig auf mein Inneres. Ich mochte gern die Folge der Gegend, die Abwechselung der Landesart bemerken, nicht weniger den Charakter der Städte, ihre ältere Herkunft, Erneuerung, Polizei, Arten und Unarten. Auch die menschliche Gestalt zog mich an und ihre höchst merkbaren Verschiedenheiten; ich fühlte, daß ich der Welt wieder angehörte.

In Göttingen bei der »Krone« eingekehrt, bemerkt ich, als eben die Dämmerung einbrach, einige Bewegung auf der Straße; Studierende kamen und gingen, verloren sich in Seitengäßchen und traten in bewegten Massen wieder vor. Endlich erscholl auf einmal ein freudiges »Lebehoch!«, aber auch im Augenblick war alles verschwunden. Ich vernahm, daß dergleichen Beifallsbezeugungen verpönt seien, und es freute mich um so mehr, daß man es gewagt hatte, mich nur im Vorbeigehen aus dem Stegreife zu begrüßen. Gleich darauf erhielt ich ein Billett, unterzeichnet Schumacher aus Holstein, der mir auf eine anständig vertrauliche Art den Vorsatz meldet, den er und eine Gesellschaft junger Freunde gehegt, mich zu Michaeli in Weimar zu besuchen, und wie sie nunmehr hofften, hier am Ort ihren Wunsch befriedigt zu sehen. Ich sprach sie mit Anteil und Vergnügen. Ein so freundlicher Empfang wäre dem Gesunden schon wohltätig gewesen, dem Genesenden ward er es doppelt.

Hofrat Blumenbach empfing mich nach gewohnter Weise. Immer von dem Neusten und Merkwürdigsten umgeben, ist sein Willkommen jederzeit belehrend. Ich sah bei ihm den ersten Aerolithen, an welches Naturerzeugnis der Glaube uns erst vor kurzem in die Hand gegeben ward. Ein junger Kestner und von Arnim, früher bekannt und verwandten Sinnes, suchten mich auf und begleiteten mich zur Reitbahn, wo ich den berühmten Stallmeister Ayrer in seinem Wirkungskreise begrüßte. Eine wohlbestellte Reitbahn hat immer etwas Imposantes; das Pferd steht als Tier sehr hoch, doch seine bedeutende, weitreichende Intelligenz wird auf eine wundersame Weise durch gebundene Extremitäten beschränkt. Ein Geschöpf, das bei so bedeutenden, ja großen Eigenschaften sich nur im Treten, Laufen, Rennen zu äußern vermag, ist ein seltsamer Gegenstand für die Betrachtung, ja man überzeugt sich beinahe, daß es nur zum Organ des Menschen geschaffen sei, um, gesellt zu höherem Sinne und Zwecke, das Kräftigste wie das Anmutigste bis zum Unmöglichen auszurichten.

Warum denn auch eine Reitbahn so wohltätig auf den Verständigen wirkt, ist, daß man hier, vielleicht einzig in der Welt, die zweckmäßige Beschränkung der Tat, die Verbannung aller Willkür, ja des Zufalls mit Augen schaut und mit dem Geiste begreift. Mensch und Tier verschmelzen hier dergestalt in eins, daß man nicht zu sagen wüßte, wer denn eigentlich den andern erzieht. Dergleichen Betrachtungen wurden bis aufs höchste gesteigert, als man die zwei Paare sogenannter weißgeborner Pferde zu sehen bekam, welche Fürst Sanguszko in Hannover für eine bedeutende Summe gekauft hatte.

Von da zu der allerruhigsten und unsichtbarsten Tätigkeit überzugehen war in oberflächlicher Beschauung der Bibliothek gegönnt; man fühlt sich wie in der Gegenwart eines großen Kapitals, das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet.

Hofrat Heyne zeigte mir Köpfe Homerischer Helden, von Tischbein in großem Maßstabe ausgeführt; ich kannte die Hand des alten Freundes wieder und freute mich seiner fortgesetzten Bemühungen, durch Studium der Antike sich der Einsicht zu nähern, wie der bildende Künstler mit dem Dichter zu wetteifern habe. Wieviel weiter war man nicht schon gekommen als vor zwanzig Jahren, da der treffliche, das Echte vorahnende Lessing vor den Irrwegen des Grafen Caylus warnen und gegen Klotz und Riedel seine Überzeugung verteidigen mußte, daß man nämlich nicht nach dem Homer, sondern wie Homer mythologisch-epische Gegenstände bildkünstlerisch zu behandeln habe.

Neue und erneuerte Bekanntschaften fanden sich wohlwollend ein. Unter Leitung Blumenbachs besah ich abermals die Museen und fand im Steinreiche mir noch unbekannte außereuropäische Musterstücke.

Und wie denn jeder Ort den fremden Ankömmling zerstreuend hin und her zieht und unsere Fähigkeit, das Interesse mit den Gegenständen schnell zu wechseln, von Augenblick zu Augenblick in Anspruch nimmt, so wußte ich die Bemühung des Professors Osiander zu schätzen, der mir die wichtige Anstalt des neu und sonderbar erbauten Akkouchierhauses sowie die Behandlung des Geschäftes erklärend zeigte.

Den Lockungen, mit denen Blumenbach die Jugend anzuziehen und sie unterhaltend zu belehren weiß, entging auch nicht mein zehnjähriger Sohn. Als der Knabe vernahm, daß von den vielgestaltigen Versteinerungen der Hainberg wie zusammengesetzt sei, drängte er mich zum Besuch dieser Höhe, wo denn die gewöhnlichen Gebilde häufig aufgepackt, die seltnern aber einer spätern emsigen Forschung vorbehalten wurden.

Und so entfernte ich mich den 12. Juni von diesem einzig bedeutenden Orte in der angenehm beruhigenden Hoffnung, mich zur Nachkur länger daselbst aufzuhalten.

Der Weg nach Pyrmont bot mir neue Betrachtungen dar: das Leinetal mit seinem milden Charakter erschien freundlich und wöhnlich; die Stadt Einbeck, deren hoch aufstrebende Dächer mit Sandsteinplatten gedeckt sind, machte einen wundersamen Eindruck. Sie selbst und die nächste Umgegend mit dem Sinne Zadigs durchwandelnd, glaubt ich zu bemerken, daß sie vor zwanzig, dreißig Jahren einen trefflichen Burgemeister müsse gehabt haben. Ich schloß dies aus bedeutenden Baumpflanzungen von ungefähr diesem Alter.

In Pyrmont bezog ich eine schöne, ruhig gegen das Ende des Orts liegende Wohnung bei dem Brunnenkassierer, und es konnte mir nichts glücklicher begegnen, als daß Griesbachs ebendaselbst eingemietet hatten und bald nach mir ankamen. Stille Nachbarn, geprüfte Freunde, so unterrichtete als wohlwollende Personen trugen zur ergötzlichen Unterhaltung das Vorzüglichste bei. Prediger Schütz aus Bückeburg, jenen als Bruder und Schwager und mir als Gleichnis seiner längst bekannten Geschwister höchst willkommen, mochte sich gern von allem, was man wert und würdig halten mag, gleichfalls unterhalten.

Hofrat Richter von Göttingen, in Begleitung des augenkranken Fürsten Sanguszko, zeigte sich immer in den liebenswürdigsten Eigenheiten, heiter auf trockne Weise, neckisch und neckend, bald ironisch und paradox, bald gründlich und offen.

Mit solchen Personen fand ich mich gleich anfangs zusammen; ich wüßte nicht, daß ich eine Badezeit in besserer Gesellschaft gelebt hätte, besonders da eine mehrjährige Bekanntschaft ein wechselseitig duldendes Vertrauen eingeleitet hatte.

Auch lernte ich kennen Frau von Weinheim, ehemalige Generalin von Bauer, Madame Scholin und Raleff, Verwandte von Madame Sander in Berlin. Amnutige und liebenswürdige Freundinnen machten diesen Zirkel höchst wünschenswert.

Leider war ein stürmisch-regnerisches Wetter einer öftern Zusammenkunft im Freien hinderlich; ich widmete mich zu Hause der Übersetzung des Theophrast und einer weitern Ausbildung der sich immer mehr bereichernden »Farbenlehre«.

Die merkwürdige Dunsthöhle in der Nähe des Ortes, wo das Stickgas, welches mit Wasser verbunden so kräftig heilsam auf den menschlichen Körper wirkt, für sich unsichtbar eine tödliche Atmosphäre bildet, veranlaßte manche Versuche, die zur Unterhaltung dienten. Nach ernstlicher Prüfung des Lokals und des Niveaus jener Luftschicht konnte ich die auffallenden und erfreulichen Experimente mit sicherer Kühnheit anstellen. Die auf dem unsichtbaren Elemente lustig tanzenden Seifenblasen, das plötzliche Verlöschen eines flackernden Strohwisches, das augenblickliche Wiederentzünden, und was dergleichen sonst noch war, bereitete staunendes Ergötzen solchen Personen, die das Phänomen noch gar nicht kannten, und Bewunderung, wenn sie es noch nicht im Großen und Freien ausgeführt gesehen hatten. Und als ich nun gar dieses geheimnisvolle Agens, in Pyrmonter Flaschen gefüllt, mit nach Hause trug und in jedem anscheinend leeren Trinkglas das Wunder des auslöschenden Wachsstocks wiederholte, war die Gesellschaft völlig zufrieden und der unglaubige Brunnenmeister so zur Überzeugung gelangt, daß er sich bereit zeigte, mir einige dergleichen wasserleere Flaschen den übrigen gefüllten mit beizupacken, deren Inhalt sich auch in Weimar noch völlig wirksam offenbarte.

Der Fußpfad nach Lügde, zwischen abgeschränkten Weideplätzen her, ward öfters zurückgelegt. In dem Örtchen, das einigemal abgebrannt war, erregte eine desperate Hausinschrift unsere Aufmerksamkeit; sie lautet:

Gott segne das Haus!

Zweimal rannt ich heraus,

Denn zweimal ist’s abgebrannt,

Komm ich zum drittenmal gerannt,

Da segne Gott meinen Lauf,

Ich bau’s wahrlich nicht wieder auf.

Das Franziskanerkloster ward besucht und einige dargebotene Milch genossen. Eine uralte Kirche außerhalb des Ortes gab den ersten unschuldigen Begriff eines solchen früheren Gotteshauses mit Schiff und Kreuzgängen unter einem Dach bei völlig glattem, unverziertem Vordergiebel. Man schrieb sie den Zeiten Karls des Großen zu; auf alle Fälle ist sie für uralt zu achten, es sei nun der Zeit nach oder daß sie die uranfänglichen Bedürfnisse jener Gegend ausspricht.

Mich und besonders meinen Sohn überraschte höchst angenehm das Anerbieten des Rektors Werner, uns auf den sogenannten Kristallberg hinter Lügde zu führen, wo man bei hellem Sonnenschein die Äcker von tausend und aber tausend kleinen Bergkristallen widerschimmern sieht. Sie haben ihren Ursprung in kleinen Höhlen eines Mergelsteins und sind auf alle Weise merkwürdig als ein neueres Erzeugnis, wo ein Minimum der im Kalkgestein enthaltenen Kieselerde, wahrscheinlich dunstartig befreit, rein und wasserhell in Kristalle zusammentritt.

Ferner besuchten wir die hinter dem Königsberge von Quäkern angelegte wie auch betriebene Messerfabrik und fanden uns veranlaßt, ihrem ganz nah bei Pyrmont gehaltenen Gottesdienst mehrmals beizuwohnen, dessen, nach langer Erwartung für improvisiert gelten sollende Rhetorik kaum jemand das erstemal, geschweige denn bei wiederholtem Besuch, für inspiriert anerkennen möchte. Es ist eine traurige Sache, daß ein reiner Kultus jeder Art, sobald er an Orte beschränkt und durch die Zeit bedingt ist, eine gewisse Heuchelei niemals ganz ablehnen kann.

Die Königin von Frankreich, Gemahlin Ludwig des XVIII., unter dem Namen einer Gräfin Lille, erschien auch am Brunnen in weniger, aber abgeschlossener Umgebung.

Bedeutende Männer habe ich noch zu nennen: Konsistorialrat Horstig und Hofrat Marcard, den letztern als einen Freund und Nachfolger Zimmermanns.

Das fortdauernde üble Wetter drängte die Gesellschaft öfters ins Theater. Mehr dem Personal als den Stücken wendete ich meine Aufmerksamkeit zu. Unter meinen Papieren find ich noch ein Verzeichnis der sämtlichen Namen und der geleisteten Rollen; der zur Beurteilung gelassene Platz hingegen ward nicht ausgefüllt. Iffland und Kotzebue taten auch hier das Beste, und Eulalia, wenn man schon wenig von der Rolle verstand, bewirkte doch durch einen sentimental-tönend weichlichen Vortrag den größten Effekt; meine Nachbarinnen zerflossen in Tränen.

Was aber in Pyrmont apprehensiv wie eine böse Schlange sich durch die Gesellschaft windet und bewegt, ist die Leidenschaft des Spiels und das daran bei einem jeden, selbst wider Willen, erregte Interesse. Man mag, um Wind und Wetter zu entgehen, in die Säle selbst treten oder in bessern Stunden die Allee auf und ab wandeln, überall zischt das Ungeheuer durch die Reihen; bald hört man, wie ängstlich eine Gattin den Gemahl nicht weiterzuspielen anfleht, bald begegnet uns ein junger Mann, der in Verzweiflung über seinen Verlust die Geliebte vernachlässigt, die Braut vergißt; dann erschallt auf einmal ein Ruf grenzenloser Bewunderung: die Bank sei gesprengt! Es geschah diesmal wirklich in Rot und Schwarz. Der vorsichtige Gewinner setzte sich alsbald in eine Postchaise, seinen unerwartet erworbenen Schatz bei nahen Freunden und Verwandten in Sicherheit zu bringen. Er kam zurück, wie es schien mit mäßiger Börse, denn er lebte stille fort, als wäre nichts geschehen.

Nun aber kann man in dieser Gegend nicht verweilen, ohne auf jene Urgeschichten hingewiesen zu werden, von denen uns römische Schriftsteller so ehrenvolle Nachrichten überliefern. Hier ist noch die Umwallung eines Berges sichtbar, dort eine Reihe von Hügeln und Tälern, wo gewisse Heereszüge und Schlachten sich hatten ereignen können. Da ist ein Gebirgs-, ein Ortsname, der dorthin Winke zu geben scheint; herkömmliche Gebräuche deuten sogar auf die frühesten, roh feiernden Zeiten, und man mag sich wehren und wenden, wie man will, man mag noch soviel Abneigung beweisen vor solchen aus dem Ungewissen ins Ungewissere verleitenden Bemühungen, man findet sich wie in einem magischen Kreise befangen, man identifiziert das Vergangene mit der Gegenwart, man beschränkt die allgemeinste Räumlichkeit auf die jedesmal nächste und fühlt sich zuletzt in dem behaglichsten Zustande, weil man für einen Augenblick wähnt, man habe sich das Unfaßlichste zur unmittelbaren Anschauung gebracht.

Durch Unterhaltungen solcher Art, gesellt zum Lesen von so mancherlei Heften, Büchern und Büchelchen, alle mehr oder weniger auf die Geschichte von Pyrmont und die Nachbarschaft bezüglich, ward zuletzt der Gedanke einer gewissen Darstellung in mir rege, wozu ich nach meiner Weise sogleich ein Schema verfertigte.

Das Jahr 1582, wo auf einmal ein wundersamer Zug aus allen Weltgegenden nach Pyrmont hinströmte und die zwar bekannte, aber noch nicht hochberühmte Quelle mit unzähligen Gästen heimsuchte, welche bei völlig mangelnden Einrichtungen sich auf die kümmerlichste und wunderlichste Art behelfen mußten, ward als prägnanter Moment ergriffen und auf einen solchen Zeitpunkt, einen solchen unvorbereiteten Zustand vorwärts und rückwärts ein Märchen erbaut, das zur Absicht hatte, wie die »Amusements des eaux de Spaa«, sowohl in der Ferne als der Gegenwart eine unterhaltende Belehrung zu gewähren. Wie aber ein so löbliches Unternehmen unterbrochen und zuletzt ganz aufgegeben worden, wird aus dem Nachfolgenden deutlich werden. Jedoch kann ein allgemeiner Entwurf unter andern kleinen Aufsätzen dem Leser zunächst mitgeteilt werden.

Ich hatte die letzten Tage bei sehr unbeständigem Wetter nicht auf das angenehmste zugebracht und fing an zu fürchten, mein Aufenthalt in Pyrmont würde mir nicht zum Heil gedeihen. Nach einer so hochentzündlichen Krankheit mich abermals im Brownischen Sinne einem so entschieden anregenden Bade zuzuschicken war vielleicht nicht ein Zeugnis richtig beurteilender Ärzte. Ich war auf einen Grad reizbar geworden, daß mich nachts die heftigste Blutsbewegung nicht schlafen ließ, bei Tage das Gleichgültigste in einen exzentrischen Zustand versetzte.

Der Herzog, mein gnädigster Herr, kam den 9. Juli in Pyrmont an, ich erfuhr, was sich zunächst in Weimar zugetragen und was daselbst begonnen worden; aber eben jener aufgeregte Zustand ließ mich einer so erwünschten Nähe nicht genießen. Das fortdauernde Regenwetter verhinderte jede Geselligkeit im Freien; ich entfernte mich am 17. Juli, wenig erbaut von den Resultaten meines Aufenthalts.

Durch Bewegung und Zerstreuung auf der Reise, auch wohl wegen unterlassenen Gebrauchs des aufregenden Mineralwassers, gelangt ich in glücklicher Stimmung nach Göttingen. Ich bezog eine angenehme Wohnung bei dem Instrumentenmacher Krämer an der Allee im ersten Stocke. Mein eigentlicher Zweck bei einem längern Aufenthalt daselbst war, die Lücken des historischen Teils der »Farbenlehre«, deren sich noch manche fühlbar machten, abschließlich auszufüllen. Ich hatte ein Verzeichnis aller Bücher und Schriften mitgebracht, deren ich bisher nicht habhaft werden können; ich übergab solches dem Herrn Professor Reuß und erfuhr von ihm sowie von allen übrigen Angestellten die entschiedenste Beihülfe. Nicht allein ward mir, was ich aufgezeichnet hatte, vorgelegt, sondern auch gar manches, das mir unbekannt geblieben war, nachgewiesen. Einen großen Teil des Tags vergönnte man mir auf der Bibliothek zuzubringen, viele Werke wurden mir nach Hause gegeben, und so verbracht ich meine Zeit mit dem größten Nutzen. Die Gelehrtengeschichte von Göttingen, nach Pütter, studierte ich nun am Orte selbst mit größter Aufmerksamkeit und eigentlichster Teilnahme, ja ich ging die Lektionskatalogen vom Ursprung der Akademie sorgfältig durch, woraus man denn die Geschichte der Wissenschaften neuerer Zeit gar wohl abnehmen konnte. Sodann beachtete ich vorzüglich die sämtlichen physikalischen Kompendien, nach welchen gelesen worden, in den nach und nach aufeinander folgenden Ausgaben, und in solchen besonders das Kapitel von Licht und Farben.

Die übrigen Stunden verbracht ich sodann in großer Erheiterung. Ich müßte das ganze damals lebende Göttingen nennen, wenn ich alles, was mir an freundlichen Gesellschaften, Mittags- und Abendtafeln, Spaziergängen und Landfahrten zuteil ward, einzeln aufführen wollte. Ich gedenke nur einer angenehmen nach Weende mit Professor Bouterwek zu Oberamtmann Westfeld und einer andern, von Hofrat Meiners veranstalteten, wo ein ganz heiterer Tag zuerst auf der Papiermühle, dann in Dappoldshausen, ferner auf der Plesse, wo eine stattliche Restauration bereitet war, in Gesellschaft des Professor Fiorillo zugebracht und am Abend auf Mariaspring traulich beschlossen wurde.

Die unermüdliche, durchgreifende Belehrung Hofrat Blumenbachs, die mir soviel neue Kenntnis und Aufschluß verlieh, erregte die Leidenschaft meines Sohnes für die Fossilien des Hainberges. Gar manche Spazierwege wurden dorthin vorgenommen, die häufig vorkommenden Exemplare gierig zusammengesucht, den seltnern emsig nachgespürt. Hierbei ergab sich der merkwürdige Unterschied zweier Charaktere und Tendenzen: Indes mein Sohn mit der Leidenschaft eines Sammlers die Vorkommnisse aller Art zusammentrug, hielt Eduard, ein Sohn Blumenbachs, als geborner Militär, sich bloß an die Belemniten und verwendete solche, um einen Sandhaufen, als Festung betrachtet, mit Palisaden zu umgeben.

Sehr oft besucht ich Professor Hoffmann und ward den Kryptogamen, die für mich immer eine unzugängliche Provinz gewesen, näher bekannt. Ich sah bei ihm mit Bewunderung die Erzeugnisse kolossaler Farrenkräuter, die das sonst nur durch Mikroskope Sichtbare dem gewöhnlichen Tagesblick entgegenführten. Ein gewaltsamer Regenguß überschwemmte den untern Garten, und einige Straßen von Göttingen standen unter Wasser. Hieraus erwuchs uns eine sonderbare Verlegenheit. Zu einem herrlichen, bei Hofrat Martens angestellten Gastmahl sollten wir uns in Portechaisen hinbringen lassen. Ich kam glücklich durch, allein der Freund, mit meinem Sohne zugleich eingeschachtelt, ward den Trägern zu schwer, sie setzten wie bei trocknem Pflaster den Kasten nieder, und die geputzten Insitzenden waren nicht wenig verwundert, den Strom zu ihnen hereindringen zu fühlen.

Auch Professor Seyffer zeigte mir die Instrumente der Sternwarte mit Gefälligkeit umständlich vor. Mehrere bedeutende Fremde, deren man auf frequentierten Universitäten immer als Gäste zu finden pflegt, lernt ich daselbst kennen, und mit jedem Tag vermehrte sich der Reichtum meines Gewinnes über alles Erwarten. Und so hab ich denn auch der freundlichen Teilnahme des Professor Sartorius zu gedenken, der in allem und jedem Bedürfen, dergleichen man an fremden Orten mehr oder weniger ausgesetzt ist, mit Rat und Tat fortwährend zur Hand ging, um durch ununterbrochene Geselligkeit die sämtlichen Ereignisse meines dortigen Aufenthaltes zu einem nützlichen und erfreulichen Ganzen zu verflechten.

Auch hatte derselbe in Gesellschaft mit Professor Hugo die Geneigtheit, einen Vortrag von mir zu verlangen und, was ich denn eigentlich bei meiner »Farbenlehre« beabsichtige, näher zu vernehmen. Einem solchen Antrage durft ich wohl, halb Scherz, halb Ernst, zu eigner Fassung und Übung nachgeben; doch konnte bei meiner noch nicht vollständigen Beherrschung des Gegenstandes dieser Versuch weder mir noch ihnen zur Befriedigung ausschlagen.

So verbracht ich denn die Zeit so angenehm als nützlich und mußte noch zuletzt gewahr werden, wie gefährlich es sei, sich einer so großen Masse von Gelehrsamkeit zu nähern: denn indem ich, um einzelner in mein Geschäft einschlagender Dissertationen willen, ganze Bände dergleichen akademischer Schriften vor mich legte, so fand ich nebenher allseitig so viel Anlockendes, daß ich bei meiner ohnehin leicht zu erregenden Bestimmbarkeit und Vorkenntnis in vielen Fächern hier- und dahin gezogen ward und meine Kollektaneen eine bunte Gestalt anzunehmen drohten. Ich faßte mich jedoch bald wieder ins Enge und wußte zur rechten Zeit einen Abschluß zu finden.

Indes ich nun eine Reihe von Tagen nützlich und angenehm, wie es wohl selten geschieht, zubrachte, so erlitt ich dagegen zur Nachtzeit gar manche Unbilden, die im Augenblick höchst verdrießlich und in der Folge lächerlich erscheinen.

Meine schöne und talentvolle Freundin Demoiselle Jagemann hatte kurz vor meiner Ankunft das Publikum auf einen hohen Grad entzückt; Ehemänner gedachten ihrer Vorzüge mit mehr Enthusiasmus, als den Frauen lieb war, und gleicherweise sah man eine erregbare Jugend hingerissen; aber mir hatte die Superiorität ihrer Natur- und Kunstgaben ein großes Unheil bereitet. Die Tochter meines Wirtes, Demoiselle Krämer, hatte von Natur eine recht schöne Stimme, durch Übung eine glückliche Ausbildung derselben erlangt, ihr aber fehlte die Anlage zum Triller, dessen Anmut sie nun von einer fremden Virtuosin in höchster Vollkommenheit gewahr worden; nun schien sie alles übrige zu vernachlässigen und nahm sich vor, diese Zierde des Gesanges zu erringen. Wie sie es damit die Tage über gehalten, weiß ich nicht zu sagen, aber nachts, eben wenn man sich zu Bette legen wollte, erstieg ihr Eifer den Gipfel: bis Mitternacht wiederholte sie gewisse kadenzartige Gänge, deren Schluß mit einem Triller gekrönt werden sollte, meistens aber häßlich entstellt, wenigstens ohne Bedeutung abgeschlossen wurde.

Andern Anlaß zur Verzweiflung gaben ganz entgegengesetzte Töne; eine Hundeschar versammelte sich um das Eckhaus, deren Gebell anhaltend unerträglich war. Sie zu verscheuchen, griff man nach dem ersten besten Werfbaren, und da flog denn manches Ammonshorn des Hainberges, von meinem Sohne mühsam herbeigetragen, gegen die unwillkommenen Ruhestörer, und gewöhnlich umsonst. Denn wenn wir alle verscheucht glaubten, bellt’ es immerfort, bis wir endlich entdeckten, daß über unsern Häuptern sich ein großer Hund des Hauses, am Fenster aufrecht gestellt, seine Kameraden durch Erwiderung hervorrief.

Aber dies war noch nicht genug; aus tiefem Schlafe weckte mich der ungeheure Ton eines Hornes, als wenn es mir zwischen die Bettvorhänge hineinbliese. Ein Nachtwächter unter meinem Fenster verrichtete sein Amt auf seinem Posten, und ich war doppelt und dreifach unglücklich, als seine Pflichtgenossen an allen Ecken der auf die Allee führenden Straßen antworteten, um durch erschreckende Töne uns zu beweisen, daß sie für die Sicherheit unserer Ruhe besorgt seien. Nun er wachte die krankhafte Reizbarkeit, und es blieb mir nichts übrig, als mit der Polizei in Unterhandlung zu treten, welche die besondere Gefälligkeit hatte, erst eins, dann mehrere dieser Hörner um des wunderlichen Fremden willen zum Schweigen zu bringen, der im Begriff war, die Rolle des Oheims in »Humphrey Clinker« zu spielen, dessen ungeduldige Reizbarkeit durch ein paar Waldhörner zum tätigen Wahnsinn gesteigert wurde.

Belehrt, froh und dankbar reiste ich den 14. August von Göttingen ab, besuchte die Basaltbrüche von Dransfeld, deren problematische Erscheinung schon damals die Naturforscher beunruhigte. Ich bestieg den Hohen Hahn, auf welchem das schönste Wetter die weite Umsicht begünstigte und den Begriff der Landschaft vom Harz her deutlicher fassen ließ. Ich begab mich nach Hannövrisch-Münden, dessen merkwürdige Lage auf einer Erdzunge, durch die Vereinigung der Werra und Fulda gebildet, einen sehr erfreulichen Anblick darbot. Von da begab ich mich nach Kassel, wo ich die Meinigen mit Professor Meyer antraf. Wir besahen unter Anleitung des wackern Nahl, dessen Gegenwart uns an den frühern römischen Aufenthalt gedenken ließ, Wilhelmshöhe an dem Tage, wo die Springwasser das mannigfaltige Park- und Gartenlokal verherrlichten. Wir beachteten sorgfältig die köstlichen Gemälde der Bildergalerie und des Schlosses, durchwandelten das Museum und besuchten das Theater. Erfreulich war uns das Begegnen eines alten teilnehmenden Freundes, Major von Truchseß, der in frühern Jahren durch redliche Tüchtigkeit sich in die Reihe der Götze von Berlichingen zu stellen verdient hatte.

Den 21. August gingen wir über Hoheneichen nach Kreuzburg; am folgenden Tage, nachdem wir die Salinen besehen, gelangten wir nach Eisenach, begrüßten die Wartburg und den Mädelstein, wo sich manche Erinnerung von zwanzig Jahren her belebte. Die Anlagen des Handelsmanns Röse waren zu einem neuen, unerwarteten Gegenstand indessen herangewachsen.

Darauf gelangte ich nach Gotha, wo Prinz August mich nach altem freundschaftlichen Verhältnis in seinem angenehmen Sommerhause wirtlich aufnahm und die ganze Zeit meines Aufenthalts eine im Engen geschlossene Tafel hielt, wobei der Herzog und die teuren von Frankenbergischen Gatten niemals fehlten.

Herr von Grimm, der, vor den großen revolutionären Unbilden flüchtend, kurz vor Ludwig dem Sechzehnten, glücklicher als dieser, von Paris entwichen war, hatte bei dem altbefreundeten Hofe eine sichre Freistatt gefunden. Als geübter Weltmann und angenehmer Mitgast konnte er doch eine innere Bitterkeit über den großen erduldeten Verlust nicht immer verbergen. Ein Beispiel, wie damals aller Besitz in nichts zerfloß, sei folgende Geschichte: Grimm hatte bei seiner Flucht dem Geschäftsträger einige hunderttausend Franken in Assignaten zurückgelassen; diese wurden durch Mandate noch auf geringeren Wert reduziert, und als nun jeder Einsichtige, die Vernichtung auch dieser Papiere voraus fürchtend, sie in irgendeine unzerstörliche Ware umzusetzen trachtete – wie man denn z.B. Reis, Wachslichter, und was dergleichen nur noch zum Verkaufe angeboten wurde, begierlich aufspeicherte –, so zauderte Grimms Geschäftsträger wegen großer Verantwortlichkeit, bis er zuletzt in Verzweiflung noch etwas zu retten glaubte, wenn er die ganze Summe für eine Garnitur Brüsseler Manschetten und Busenkrause hingab. Grimm zeigte sie gern der Gesellschaft, indem er launig den Vorzug pries, daß wohl niemand so kostbare Staatszierden aufzuweisen habe.

Die Erinnerung früherer Zeiten, wo man in den achtziger Jahren in Gotha gleichfalls zusammen gewesen, sich mit poetischen Vorträgen, mit ästhetisch-literarischen Mitteilungen unterhalten, stach freilich sehr ab gegen den Augenblick, wo eine Hoffnung nach der andern verschwand und man sich, wie bei einer Sündflut kaum auf den höchsten Gipfeln, so hier kaum in der Nähe erhabener Gönner und Freunde gesichert glaubte. Indessen fehlte es nicht an unterhaltender Heiterkeit. Meinen eintretenden Geburtstag wollte man mit gnädiger Aufmerksamkeit bei einem solchen geschlossenen Mahle feiern; schon an den gewöhnlichen Gängen sah man einigen Unterschied; beim Nachtisch aber trat nun die sämtliche Livree des Prinzen in stattlich gekleidetem Zug herein, voran der Haushofmeister; dieser trug eine große, von bunten Wachsstöcken flammende Torte, deren ins Halbhundert sich belaufende Anzahl einander zu schmelzen und zu verzehren drohte, anstatt daß bei Kinderfeierlichkeiten der Art noch Raum genug für nächstfolgende Lebenskerzen übrigbleibt.

Auch mag dies ein Beispiel sein, mit welcher anständigen Naivetät man schon seit soviel Jahren einer wechselseitigen Neigung sich zu erfreuen gewußt, wo Scherz und Aufmerksamkeit, guter Humor und Gefälligkeit geistreich und wohlwollend das Leben durchaus zierlich durchzuführen sich gemeinsam beeiferten.

In der besten Stimmung kehrte ich am 30. August nach Weimar zurück und vergaß über den neu andringenden Beschäftigungen, daß mir noch irgendeine Schwachheit als Folge des erduldeten Übels und einer gewagten Kur möchte zurückgeblieben sein. Denn mich empfingen schon zu der nunmehrigen dritten Ausstellung eingesendete Konkurrenzstücke. Sie ward abermals mit Sorgfalt eingerichtet, von Freunden, Nachbarn und Fremden besucht und gab zu mannigfaltigen Unterhaltungen, zu näherer Kenntnis mitlebender Künstler und der daraus herzuleitenden Beschäftigung derselben Anlaß. Nach geendigter Ausstellung erhielt der in der römisch-antiken Schule zu schöner Form und reinlichster Ausführung gebildete Nahl die Hälfte des Preises wegen Achill auf Skyros, Hoffmann aus Köln hingegen, der farben- und lebenslustigen niederländischen Schule entsprossen, wegen Achills Kampf mit den Flüssen die andere Hälfte; außerdem wurden beide Zeichnungen honoriert und zur Verzierung der Schloßzimmer aufbewahrt.

Und hier ist wohl der rechte Ort, eines Hauptgedankens zu erwähnen, den der umsichtige Fürst den Weimarischen Kunstfreunden zur Überlegung und Ausführung gab.

Die Zimmer des neu einzurichtenden Schlosses sollten nicht allein mit anständiger fürstlicher Pracht ausgestattet werden, sie sollten auch den Talenten gleichzeitiger Künstler zum Denkmal gewidmet sein. Am reinsten und vollständigsten ward dieser Gedanke in dem von durchlauchtigster Herzogin bewohnten Eckzimmer ausgeführt, wo mehrere Konkurrenz- und sonstige Stücke gleichzeitiger deutscher Künstler, meist in Sepia, unter Glas und Rahmen auf einfachen Grund angebracht wurden. Und so wechselten auch in den übrigen Zimmern Bilder von Hoffmann aus Köln und Nahl aus Kassel, von Heinrich Meyer aus Stäfa und Hummel aus Neapel, Statuen und Basreliefe von Tieck, eingelegte Arbeit und Flacherhobenes von Catel in geschmackvoller, harmonischer Folge. Daß jedoch dieser erste Vorsatz nicht durchgreifender ausgeführt worden, davon mag der gewöhnliche Weltgang die Schuld tragen, wo eine löbliche Absicht oft mehr durch den Zwiespalt der Teilnehmenden als durch äußere Hindernisse gefährdet wird.

Meiner Büste, durch Tieck mit großer Sorgfalt gefertigt, darf ich einschaltend an dieser Stelle wohl gedenken.

Was den Gang des Schloßbaues in der Hauptsache betrifft, so konnte man demselben mit desto mehr Beruhigung folgen, als ein paar Männer wie Gentz und Rabe darin völlig aufgeklärt zu wirken angefangen. Ihr zuverlässiges Verdienst überhob aller Zweifel in einigen Fällen, die man sonst mit einer gewissen Bangigkeit sollte betrachtet haben: denn im Grunde war es ein wunderbarer Zustand. Die Mauern eines alten Gebäudes standen gegeben, einige neuere, ohne genugsame Umsicht darin vorgenommene Anordnungen schienen überdachteren Planen hinderlich und das Alte so gut als das Neue höheren und freieren Unternehmungen im Wege; weshalb denn wirklich das Schloßgebäude manchmal aussah wie ein Gebirg, aus dem man, nach indischer Weise, die Architektur heraushauen wollte. Und so leiteten diesmal das Geschäft gerade ein paar Männer, die freilich als geistreiche Künstler mit frischem Sinn herankamen und von denen man nicht abermals abzuändernde Abänderungen, sondern eine schließliche Feststellung des Bleibenden zu erwarten hatte.

Ich wende nunmehr meine Betrachtungen zum Theater zurück. Am 24. Oktober, als am Jahrstag des ersten Maskenspieles »Paläophron und Neoterpe«, wurden »Die Brüder«, nach Terenz von Einsiedel bearbeitet, aufgeführt und so eine neue Folge theatralischer Eigenheiten eingeleitet, die eine Zeitlang gelten, Mannigfaltigkeit in die Vorstellungen bringen und zu Ausbildung gewisser Fertigkeiten Anlaß geben sollten.

Schiller bearbeitete Lessings »Nathan«, ich blieb dabei nicht untätig. Den 28. November ward er zum erstenmal aufgeführt, nicht ohne bemerklichen Einfluß auf die deutsche Bühne.

Schiller hatte »Die Jungfrau von Orleans« in diesem Jahr begonnen und geendigt; wegen der Aufführung ergaben sich manche Zweifel, die uns der Freude beraubten, ein so wichtiges Werk zuerst auf das Theater zu bringen. Es war der Tätigkeit Ifflands vorbehalten, bei den reichen Mitteln, die ihm zu Gebote standen, durch eine glänzende Darstellung dieses Meisterstücks sich für alle Zeiten in den Theaterannalen einen bleibenden Ruhm zu erwerben.

Nicht geringen Einfluß auf unsre diesjährigen Leistungen erwies Madame Unzelmann, welche zu Ende Septembers in Hauptrollen bei uns auftreten sollte. Gar manches Unbequeme, ja Schädliche hat die Erscheinung von Gästen auf dem Theater; wir lehnten sie sonst möglich ab, wenn sie uns nicht Gelegenheit gaben, sie als neue Anregung und Steigerung unserer bleibenden Gesellschaft zu benutzen; dies konnte nur durch vorzügliche Künstler geschehen. Madame Unzelmann gab acht wichtige Vorstellungen hintereinander, bei welchen das ganze Personal in bedeutenden Rollen auftrat und schon an und für sich, zugleich aber im Verhältnis zu dem neuen Gaste, das möglichste zu leisten hatte. Dies war von unschätzbarer Anregung. Nichts ist trauriger als der Schlendrian, mit dem sich der einzelne, ja eine Gesamtheit hingehen läßt; aber auf dem Theater ist es das Allerschlimmste, weil hier augenblickliche Wirkung verlangt wird und nicht etwa ein durch die Zeit selbst sich einleitender Erfolg abzuwarten ist. Ein Schauspieler, der sich vernachlässigt, ist mir die widerwärtigste Kreatur von der Welt, meist ist er inkorrigibel, deshalb sind neues Publikum und neue Rivale unentbehrliche Reizmittel: jenes läßt ihm seine Fehler nicht hingehen, dieser fordert ihn zu schuldiger Anstrengung auf. Und so möge denn nun auch das auf dem deutschen Theater unaufhaltsame Gastrollenspielen sich zum allgemeinen Besten wirksam erweisen.

Stolbergs öffentlicher Übertritt zum katholischen Kultus zerriß die schönsten früher geknüpften Bande. Ich verlor dabei nichts, denn mein näheres Verhältnis zu ihm hatte sich schon längst in allgemeines Wohlwollen aufgelöst. Ich fühlte früh für ihn als einen wackern, liebenswürdigen, liebenden Mann wahrhafte Neigung; aber bald hatte ich zu bemerken, daß er sich nie auf sich selbst stützen werde, und sodann erschien er mir als einer, der außer dem Bereich meines Bestrebens Heil und Beruhigung suche.

Auch überraschte mich dieses Ereignis keineswegs, ich hielt ihn längst für katholisch, und er war es ja der Gesinnung, dem Gange, der Umgebung nach, und so konnt ich mit Ruhe dem Tumulte zusehen, der aus einer späten Manifestation geheimer Mißverhältnisse zuletzt entspringen mußte.

 
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1802

Auf einen hohen Grad von Bildung waren schon Bühne und Zuschauer gelangt. Über alles Erwarten glückten die Vorstellungen von »Jon« (Januar 4.), »Turandot« (Januar 30.), »Iphigenia« (Mai 15.), »Alarkos« (Mai 29.); sie wurden mit größter Sorgfalt trefflich gegeben; letzterer konnte sich jedoch keine Gunst erwerben. Durch diese Vorstellungen bewiesen wir, daß es Ernst sei, alles, was der Aufmerksamkeit würdig wäre, einem freien, reinen Urteil aufzustellen; wir hatten aber diesmal mit verdrängendem, ausschließendem Parteigeist zu kämpfen.

Der große Zwiespalt, der sich in der deutschen Literatur hervortat, wirkte, besonders wegen der Nähe von Jena, auf unsern Theaterkreis. Ich hielt mich mit Schillern auf der einen Seite, wir bekannten uns zu der neuern strebenden Philosophie und einer daraus herzuleitenden Ästhetik, ohne viel auf Persönlichkeiten zu achten, die nebenher besondern ein mutwilliges und freches Spiel trieben.

Nun hatten die Gebrüder Schlegel die Gegenpartei am tiefsten beleidigt, deshalb trat schon am Vorstellungsabend »Jons«, dessen Verfasser kein Geheimnis geblieben war, ein Oppositionsversuch unbescheiden hervor; in den Zwischenakten flüsterte man von allerlei Tadelnswürdigem, wozu denn die freilich etwas bedenkliche Stellung der Mutter erwünschten Anlaß gab. Ein sowohl den Autor als die Intendanz angreifender Aufsatz war in das »Modejournal« projektiert, aber ernst und kräftig zurückgewiesen; denn es war noch nicht Grundsatz, daß in demselbigen Staat, in derselbigen Stadt es irgendeinem Glied erlaubt sei, das zu zerstören, was andere kurz vorher aufgebaut hatten.

Wir wollten ein für allemal den Klatsch des Tages auf unserer Bühne nicht dulden, indes der andern Partei gerade daran gelegen war, sie zum Tummelplatz ihres Mißwollens zu entwürdigen. Deshalb gab es einen großen Kampf, als ich aus den »Kleinstädtern« alles ausstrich, was gegen die Personen gerichtet war, die mit mir in der Hauptsache übereinstimmten, wenn ich auch nicht jedes Verfahren billigen noch ihre sämtlichen Produktionen lobenswert finden konnte. Man regte sich von der Gegenseite gewaltig und behauptete, daß, wenn der Autor gegenwärtig sei, man mit ihm Rat zu pflegen habe Es sei mit Schillern geschehen, und ein anderer könne das gleiche fordern. Diese wunderliche Schlußfolge konnte bei mir aber nicht gelten; Schiller brachte nur edel Aufregendes, zum Höheren Strebendes auf die Bühne, jene aber Niederziehendes, das problematisch Gute Entstellendes und Vernichtendes herbei; und das ist das Kunststück solcher Gesellen, daß sie, jedes wahre, reine Verhältnis mißachtend, ihre Schlechtigkeiten in die lässige Nachsicht einer geselligen Konvenienz einzuschwärzen wissen. Genug, die bezeichneten Stellen blieben verbannt, und ich gab mir die Mühe, alle entstandenen Lücken durch allgemeinen Scherz wieder auszufüllen, wodurch mir eben auch gelang, das Lachen der Menge zu erregen.

Dieses alles aber waren nur Kleinigkeiten gegen den entschiedenen Riß, der wegen eines am 5. März zu feiernden Festes in der weimarischen Sozietät sich ereignete. Die Sachen standen so, daß es früher oder später dazu kommen mußte; warum gerade gedachter Tag erwählt war, ist mir nicht erinnerlich; genug, an demselben sollte zu Ehren Schillers eine große Exhibition von mancherlei auf ihn und seine Werke bezüglichen Darstellungen in dem großen, von der Gemeine ganz neu dekorierten Stadthaussaale Platz finden. Die Absicht war offenbar, Aufsehen zu erregen, die Gesellschaft zu unterhalten, den Teilnehmenden zu schmeicheln, sich dem Theater entgegenzustellen, der öffentlichen Bühne eine geschlossene entgegenzusetzen, Schillers Wohlwollen zu erschleichen, mich durch ihn zu gewinnen oder, wenn das nicht gelingen sollte, ihn von mir abzuziehen.

Schillern war nicht wohl zumute bei der Sache; die Rolle, die man ihn spielen ließ, war immer verfänglich, unerträglich für einen Mann von seiner Art wie für jeden Wohldenkenden, so als eine Zielscheibe fratzenhafter Verehrungen in Person vor großer Gesellschaft dazustehn. Er hatte Lust, sich krank zu melden, doch war er, geselliger als ich, durch Frauen – und Familienverhältnisse mehr in die Sozietät verflochten, fast genötigt, diesen bittern Kelch auszuschlürfen. Wir setzten voraus, daß es vor sich gehen würde, und scherzten manchen Abend darüber; er hätte krank werden mögen, wenn er an solche Zudringlichkeiten gedachte.

Soviel man vernehmen konnte, sollten manche Gestalten der Schillerschen Stücke vortreten; von einer »Jungfrau von Orleans« war man’s gewiß. Helm und Fahne, durch Bildschnitzer und Vergulder behaglich über die Straßen in ein gewisses Haus getragen, hatte großes Aufsehen erregt und das Geheimnis voreilig ausgesprengt. Die schönste Rolle aber hatte sich der Chorführer selbst vorbehalten; eine gemauerte Form sollte vorgebildet werden, der edle Meister im Schurzfell daneben stehen, nach gesprochnem geheimnisvollen Gruße, nach geflossener glühender Masse sollte endlich aus der zerschlagenen Form Schillers Büste hervortreten. Wir belustigten uns an diesem nach und nach sich verbreiteten Geheimnis und sahen den Handel gelassen vorwärtsgehen.

Nur hielt man uns für allzu gutmütig, als man uns selbst zur Mitwirkung aufforderte. Schillers einzige Originalbüste, auf der weimarischen Bibliothek befindlich, eine frühere herzliche Gabe Danneckers, wurde zu jenem Zwecke verlangt und aus dem ganz natürlichen Grunde abgeschlagen, weil man noch nie eine Gipsbüste unbeschädigt von einem Feste zurückerhalten habe. Noch einige andere, von andern Seiten her zufällig eintretende Verweigerungen erregten jene Verbündeten aufs höchste. Sie bemerkten nicht, daß mit einigen diplomatisch-klugen Schritten alles zu beseitigen sei, und so glich nichts dem Erstaunen, dem Befremden, dem Ingrimm, als die Zimmerleute, die mit Stollen, Latten und Brettern angezogen kamen, um das dramatische Gerüst aufzuschlagen, den Saal verschlossen fanden und die Erklärung vernehmen mußten: er sei erst ganz neu eingerichtet und dekoriert, man könne daher ihn zu solchem tumultuarischen Beginnen nicht einräumen, da sich niemand des zu befürchtenden Schadens verbürgen könne.

Das erste Finale des »Unterbrochenen Opferfestes« macht nicht einen so entsetzlichen Spektakel, als diese Störung, ja Vernichtung des löblichsten Vorsatzes zuerst in der oberen Sozietät und sodann stufenweise durch alle Grade der sämtlichen Population anrichtete. Da nun der Zufall unterschiedliche, jenem Vorhaben in den Weg tretende Hindernisse dergestalt geschickt kombiniert hatte, daß man darin die Leitung eines einzigen feindlichen Prinzips zu erkennen glaubte, so war ich es, auf den der heftigste Grimm sich richtete, ohne daß ich es jemand verargen mochte. Man hätte aber bedenken sollen, daß ein Mann wie Kotzebue, der durch vielfache Anlässe nach manchen Seiten hin Mißwollen erregt, sich gelegentlich feindselige Wirkungen schneller da- und dorther zuzieht, als einer verabredeten Verschwörung zu veranlassen jemals gelingen würde.

War nun eine bedeutende höhere Gesellschaft auf der Seite des Widersachers, so zeigte die mittlere Klasse sich ihm abgenigt und brachte alles zur Sprache, was gegen dessen erste jugendliche Unfertigkeiten zu sagen war, und so wogten die Gesinnungen gewaltsam widereinander.

Unsere höchsten Herrschaften hatten von ihrem erhabenen Standort, bei großartigem, freiem Umblick, diesen Privathändeln keine Aufmerksamkeit zugewendet; der Zufall aber, der, wie Schiller sagt, oft naiv ist, sollte dem ganzen Ereignis die Krone aufsetzen, indem gerade in dem Moment der verschließende Burgemeister als verdienter Geschäftsmann durch ein Dekret die Auszeichnung als Rat erhielt. Die Weimaraner, denen es an geistreichen, das Theater mit dem Leben verknüpfenden Einfällen nie gefehlt hat, gaben ihm daher den Namen des Fürsten Piccolomini, ein Prädikat, das ihm auch ziemlich lange in heiterer Gesellschaft verblieben ist.

Daß eine solche Erschütterung auch in der Folge auf unsern geselligen Kreis schädlich eingewirkt habe, läßt sich denken; was mich davon zunächst betroffen, möge hier gleichfalls Platz finden.

Schon im Lauf des vergangenen Winters hielt sich, ganz ohne spekulative Zwecke, eine edle Gesellschaft zu uns, an unserm Umgang und sonstigen Leistungen sich erfreuend. Bei Gelegenheit der Picknicks dieser geschlossenen Vereinigung, die in meinem Hause, unter meiner Besorgung, von Zeit zu Zeit gefeiert wurden, entstanden mehrere nachher ins Allgemeine verbreitete Gesänge. So war das bekannte »Mich ergreift, ich weiß nicht wie« zu dem 22. Februar gedichtet, wo der durchlauchtigste Erbprinz, nach Paris reisend, zum letztenmal bei uns einkehrte, worauf denn die dritte Strophe des Liedes zu deuten ist. Ebenso hatten wir schon das neue Jahr begrüßt, und im Stiftungsliede »Was gehst du, schöne Nachbarin« konnten sich die Glieder der Gesellschaft, als unter leichte Masken verhüllt, gar wohl erkennen. Ferner ward ich noch andere durch Naivetät vorzüglich ansprechende Gesänge dieser Vereinigung schuldig, wo Neigung ohne Leidenschaft, Wetteifer ohne Neid, Geschmack ohne Anmaßung, Gefälligkeit ohne Ziererei und, zu all dem, Natürlichkeit ohne Roheit wechselseitig ineinanderwirkten.

Nun hatten wir freilich den Widersacher, ungeachtet mancher seiner anklopfenden klüglichen Versuche, nicht hereingelassen, wie er denn niemals mein Haus betrat; weshalb er genötigt war, sich eine eigene Umgebung zu bilden, und dies ward ihm nicht schwer. Durch gefälliges, bescheiden zudringliches Weltwesen wußte er wohl einen Kreis um sich zu versammeln; auch Personen des unsrigen traten hinüber. Wo die Geselligkeit Unterhaltung findet, ist sie zu Hause. Alle freuten sich, an dem Feste des 5. März aktiven Teil zu nehmen, deshalb ich denn als vermeintlicher Zerstörer solches Freuden- und Ehrentages eine Zeitlang verwünscht wurde. Unsere kleine Versammlung trennte sich, und Gesänge jener Art gelangen mir nie wieder.

Alles jedoch, was ich mir mit Schillern und andern verbündeten tätigen Freunden vorgesetzt, ging unaufhaltsam seinen Gang; denn wir waren im Leben schon gewohnt, den Verlust hinter uns zu lassen und den Gewinn im Auge zu behalten. Und hier konnte es um desto eher geschehen, als wir von den erhabenen Gesinnungen der allerobersten Behörden gewiß waren, welche nach einer höhern Ansicht die Hof- und Stadtabenteuer als gleichgültig vorübergehend, sogar manchmal als unterhaltend betrachteten.

Ein Theater, das sich mit frischen, jugendlichen Subjekten von Zeit zu Zeit erneuert, muß lebendige Fortschritte machen; hierauf nun war beständig unser Absehn gerichtet.

Am 17. Februar betrat Demoiselle Maaß zum erstenmal unsere Bühne. Ihre niedliche Gestalt, ihr anmutig natürliches Wesen, ein wohlklingendes Organ, kurz das Ganze ihrer glücklichen Individualität gewann sogleich das Publikum. Nach drei Proberollen: als Mädchen von Marienburg, als Rosine in »Jurist und Bauer«, als Lottchen im »Deutschen Hausvater«, ward sie engagiert, und man konnte sehr bald bei Besetzung wichtiger Stücke auf sie rechnen. Am 29. November machten wir abermals eine hoffnungsvolle Akquisition. Aus Achtung für Madame Unzelmann, aus Neigung zu derselben als einer allerliebsten Künstlerin, nahm ich ihren zwölfjährigen Sohn auf gut Glück nach Weimar. Zufällig prüft ich ihn auf eine ganz eigene Weise. Er mochte sich eingerichtet haben, mir mancherlei vorzutragen; allein ich gab ihm ein zur Hand liegendes orientalisches Märchenbuch, woraus er auf der Stelle ein heiteres Geschichtchen las mit so viel natürlichem Humor, Charakteristik im Ausdruck beim Personen- und Situationswechsel, daß ich nun weiter keinen Zweifel an ihm hegte. Er trat in der Rolle als Görge in den »Beiden Billetts« mit Beifall auf und zeigte sich besonders in natürlich-humoristischen Rollen aufs wünschenswerteste.

Indes nun auf unserer Bühne die Kunst in jugend lich-lebendiger Tätigkeit fortblühte, ereignete sich ein Todesfall, dessen zu erwähnen ich für Pflicht halte.

Corona Schröter starb, und da ich mich gerade nicht in der Verfassung fühlte, ihr ein wohlverdientes Denkmal zu widmen, so schien es mir angenehm wunderbar, daß ich ihr vor soviel Jahren ein Andenken stiftete, das ich jetzt charakteristischer nicht zu errichten gewußt hätte. Es war ebenmäßig bei einem Todesfalle, bei dem Abscheiden Miedings, des Theaterdekorateurs, daß in ernster Heiterkeit der schönen Freundin gedacht wurde. Gar wohl erinnere ich mich des Trauergedichts, auf schwarz gerändertem Papier für das »Tiefurter Journal« reinlichst abgeschrieben. Doch für Coronen war es keine Vorbedeutung, ihre schöne Gestalt, ihr munterer Geist erhielten sich noch lange Jahre; sie hätte wohl noch länger in der Nähe einer Welt bleiben sollen, aus der sie sich zurückgezogen hatte.

Nachträglich zu den Theaterangelegenheiten ist noch zu bemerken, daß wir in diesem Jahr uns gutmütig beigehen ließen, auf ein Intrigenstück einen Preis zu setzen. Wir erhielten nach und nach ein Dutzend, aber meist von so desperater und vertrackter Art, daß wir nicht genugsam uns wundern konnten, was für seltsame falsche Bestrebungen im lieben Vaterlande heimlich obwalteten, die denn bei solchem Aufruf sich an das Tageslicht drängten. Wir hielten unser Urteil zurück, da eigentlich keins zu fällen war, und lieferten auf Verlangen den Autoren ihre Produktionen wieder aus.

Auch ist zu bemerken, daß in diesem Jahre Calderon, den wir dem Namen nach zeit unseres Lebens kannten, sich zu nähern anfing und uns gleich bei den ersten Musterstücken in Erstaunen setzte.

Zwischen alle diese vorerzählten Arbeiten und Sorgen schlangen sich gar manche unangenehme Bemühungen im Gefolg der Pflichten, die ich gegen die Museen zu Jena seit mehreren Jahren übernommen und durchgeführt hatte.

Der Tod des Hofrats Büttner, der sich in der Mitte des Winters ereignete, legte mir ein mühevolles und dem Geiste wenig fruchtendes Geschäft auf. Die Eigenheiten dieses wunderlichen Mannes lassen sich in wenige Worte fassen: unbegrenzte Neigung zum wissenschaftlichen Besitz, beschränkte Genauigkeitsliebe und völliger Mangel an allgemein überschauendem Ordnungsgeiste. Seine ansehnliche Bibliothek zu vermehren, wendete er die Pension an, die man ihm jährlich für die schuldige Summe der Stammbibliothek darreichte. Mehrere Zimmer im Seitengebäude des Schlosses waren ihm zur Wohnung eingegeben und diese sämtlich besetzt und belegt. In allen Auktionen bestellte er sich Bücher, und als der alte Schloßvoigt, sein Kommissionär, ihm einstmals eröffnete, daß ein bedeutendes Buch schon zweimal vorhanden sei, hieß es dagegen: ein gutes Buch könne man nicht oft genug haben.

Nach seinem Tode fand sich ein großes Zimmer, auf dessen Boden die sämtlichen Auktionserwerbnisse partienweis, wie sie angekommen, nebeneinander hingelegt waren. Die Wandschränke standen gefüllt, in dem Zimmer selbst konnte man keinen Fuß vor den andern setzen. Auf alte gebrechliche Stühle waren Stöße roher Bücher, wie sie von der Messe kamen, gehäuft; die gebrechlichen Füße knickten zusammen, und das Neue schob sich flözweise über das Alte hin.

In einem andern Zimmer lehnten, an den Wänden umher getürmt, planierte, gefalzte Bücher, wozu der Probeband erst noch hinzugelegt werden sollte. Und so schien dieser wackre Mann, im höchsten Alter die Tätigkeit seiner Jugend fortzusetzen begierig, endlich nur in Velleitäten verloren. Denke man sich andere Kammern mit brauchbarem und unbrauchbarem physikalisch-chemischem Apparat überstellt, und man wird die Verlegenheit mitfühlen, in der ich mich befand, als dieser Teil des Nachlasses, von dem seiner Erben gesondert, übernommen und aus dem Quartiere, das schon längst zu andern Zwecken bestimmt gewesen, tumultuarisch, ausgeräumt werden mußte. Darüber verlor ich meine Zeit, vieles kam zu Schaden, und mehrere Jahre reichten nicht hin, die Verworrenheit zu lösen.

Wie nötig in solchem Falle eine persönlich entscheidende Gegenwart sei, überzeugt man sich leicht Denn da, wo nicht die Rede ist, das Beste zu leisten, sondern das Schlimmere zu vermeiden, entstehen unauflösliche Zweifel, welche nur durch Entschluß und Tat zu beseitigen sind.

Leider ward ich zu einem andern, gleichfalls dringenden Geschäft abgerufen und hatte mich glücklich zu schätzen, solche Mitarbeiter zu hinterlassen, die in besprochenem Sinne die Arbeit einige Zeit fortzuführen so fähig als geneigt waren.

Schon mehrmals war im Lauf unsrer Theatergeschichten von dem Vorteil die Rede gewesen, welchen der Lauchstädter Sommeraufenthalt der weimarischen Gesellschaft bringe; hier ist aber dessen ganz besonders zu erwähnen. Die dortige Bühne war von Bellomo so ökonomisch als möglich eingerichtet; ein paar auf einem freien Platz stehende hohe Brettergiebel, von welchen zu beiden Seiten das Pultdach bis nahe zur Erde reichte, stellten diesen Musentempel dar; der innere Raum war der Länge nach durch zwei Wände geteilt, wovon der mittlere dem Theater und den Zuschauern gewidmet war, die beiden niedrigen schmalen Seiten aber den Garderoben. Nun aber, bei neuerer Belebung und Steigerung unserer Anstalt, forderten sowohl die Stücke als die Schauspieler, besonders aber auch das hallische und Leipziger teilnehmende Publikum ein würdiges Lokal.

Der mehrere Jahre lang erst sachte, dann lebhafter betriebene Schloßbau zu Weimar rief talentvolle Baumeister heran, und wie es immer war und sein wird: wo man bauen sieht, regt sich die Lust zum Bauen. Wie sich’s nun vor einigen Jahren auswies, da wir, durch die Gegenwart des Herrn Thouret begünstigt, das Weimarische Theater würdig einrichteten, so fand sich auch diesmal, daß die Herren Gentz und Rabe aufgefordert wurden, einem Lauchstädter Hausbau die Gestalt zu verleihen.

Die Zweifel gegen ein solches Unternehmen waren vielfach zur Sprache gekommen. In bedeutender Entfernung, auf fremdem Grund und Boden, bei ganz besondern Rücksichten der dort Angestellten schienen die Hindernisse kaum zu beseitigen. Der Platz des alten Theaters war zu einem größern Gebäude nicht geeignet, der schöne, einzig schickliche Raum strittig zwischen verschiedenen Gerichtsbarkeiten, und so trug man Bedenken, das Haus dem strengen Sinne nach ohne rechtlichen Grund aufzuerbauen. Doch von dem Drang der Umstände, von unruhiger Tätigkeit, von leidenschaftlicher Kunstliebe, von unversiegbarer Produktivität getrieben, beseitigten wir endlich alles Entgegenstehende; ein Plan ward entworfen, ein Modell der eigentlichen Bühne gefertigt, und im Februar hatte man sich schon über das, was geschehen sollte, vereinigt. Abgewiesen ward vor allen Dingen die Hüttenform, die das Ganze unter ein Dach begreift. Eine mäßige Vorhalle für Kasse und Treppen sollte angelegt werden, dahinter der höhere Raum für die Zuschauer emporsteigen und ganz dahinter der höchste fürs Theater.

Viel, ja alles kommt darauf an, wo ein Gebäude stehe. Dies ward an Ort und Stelle mit größter Sorgfalt bedacht, und auch nach der Ausführung konnte man es nicht besser verlangen. Der Bau ging nun kräftig vor sich; im März lag das akkordierte Holz freilich noch bei Saalfeld eingefroren, dessenungeachtet aber spielten wir den 26. Juni zum erstenmal. Das ganze Unternehmen in seinem Detail, das Günstige und Ungünstige in seiner Eigentümlichkeit, wie es unsere Tatlust drei Monate lang unterhielt, Mühe, Sorge, Verdruß brachte und durch alles hindurch persönliche Aufopferung forderte, dies zusammen würde einen kleinen Roman geben, der als Symbol größerer Unternehmungen sich ganz gut zeigen könnte.

Nun ist das Eröffnen, Einleiten, Einweihen solcher Anstalten immer bedeutend. In solchem Falle ist die Aufmerksamkeit gereizt, die Neugierde gespannt und die Gelegenheit recht geeignet, das Verhältnis der Bühne und des Publikums zur Sprache zu bringen. Man versäumte daher diese Epoche nicht und stellte in einem Vorspiel auf symbolische und allegorische Weise dasjenige vor, was in der letzten Zeit auf dem deutschen Theater überhaupt, besonders auf dem weimarischen, geschehen war. Das Possenspiel, das Familiendrama, die Oper, die Tragödie, das naive sowie das Maskenspiel produzierten sich nach und nach in ihren Eigenheiten, spielten und erklärten sich selbst oder wurden erklärt, indem die Gestalt eines Merkur das Ganze zusammenknüpfte, auslegte, deutete.

Die Verwandlung eines schlechten Bauernwirtshauses in einen theatralischen Palast, wobei zugleich die meisten Personen in eine höhere Sphäre versetzt worden, beförderte heiteres Nachdenken.

Den 6. Juni begab ich mich nach Jena und schrieb das Vorspiel ungefähr in acht Tagen; die letzte Hand ward in Lauchstädt selbst angelegt und bis zur letzten Stunde memoriert und geübt. Es tat eine liebliche Wirkung, und lange Jahre erinnerte sich mancher Freund, der uns dort besuchte, jener hochgesteigerten Kunstgenüsse.

Mein Lauchstädter Aufenthalt machte mir zur Pflicht, auch Halle zu besuchen, da man uns von dorther nachbarlich um des Theaters, auch um persönlicher Verhältnisse willen mit öfterem Zuspruch beehrte. Ich nenne Geheimerat Wolf, mit welchem einen Tag zuzubringen ein ganzes Jahr gründlicher Belehrung einträgt; Kanzler Niemeyer, der so tätigen Teil unsern Bestrebungen schenkte, daß er die »Andria« zu bearbeiten unternahm, wodurch wir denn die Summe unsrer Maskenspiele zu erweitern und zu vermannigfaltigen glücklichen Anlaß fanden.

Und so war die sämtliche gebildete Umgebung mit gleicher Freundlichkeit mich und die Anstalt, die mir so sehr am Herzen lag, geneigt zu befördern. Die Nähe von Giebichenstein lockte zu Besuchen bei dem gastfreien Reichardt; eine würdige Frau, anmutige, schöne Töchter, sämtlich vereint, bildeten in einem romantisch-ländlichen Aufenthalte einen höchst gefälligen Familienkreis, in welchem sich bedeutende Männer aus der Nähe und Ferne kürzere oder längere Zeit gar wohl gefielen und glückliche Verbindungen für das Leben anknüpften.

Auch darf nicht übergangen werden, daß ich die Melodien, welche Reichardt meinen Liedern am frühsten vergönnt, von der wohlklingenden Stimme seiner ältesten Tochter gefühlvoll vortragen hörte.

Übrigens bliebe noch gar manches bei meinem Aufenthalt in Halle zu bemerken. Den Botanischen Garten unter Sprengels Leitung zu betrachten, das Meckelische Kabinett, dessen Besitzer ich leider nicht mehr am Leben fand, zu meinen besondern Zwecken aufmerksam zu beschauen war nicht geringer Gewinn; denn überall, sowohl an den Gegenständen als aus den Gesprächen, konnte ich etwas entnehmen, was mir zu mehrerer Vollständigkeit und Fördernis meiner Studien diente.

Einen gleichen Vorteil, der sich immer bei akademischem Aufenthalt hervortut, fand ich in Jena während des Augustmonats. Mit Lodern wurden früher angemerkte anatomische Probleme durchgesprochen, mit Himly gar vieles über das subjektive Sehen und die Farbenerscheinung verhandelt. Oft verloren wir uns so tief in den Text, daß wir über Berg und Tal bis in die tiefe Nacht herumwanderten. Voß war nach Jena gezogen und zeigte Lust, sich anzukaufen; seine große, umsichtige Gelehrsamkeit wie seine herrlichen poetischen Darstellungen, die Freundlichkeit seiner häuslichen Existenz zog mich an, und mir war nichts angelegener, als mich von seinen rhythmischen Grundsätzen zu überzeugen. Dadurch ergab sich denn ein höchst angenehmes und fruchtbares Verhältnis.

Umgeben von den Museen und von allem, was mich früh zu den Naturwissenschaften angeregt und gefördert hatte, ergriff ich jede Gelegenheit, auch hier mich zu vervollständigen. Die Wolfmilchsraupe war dieses Jahr häufig und kräftig ausgebildet; an vielen Exemplaren studierte ich das Wachstum bis zu dessen Gipfel sowie den Übergang zur Puppe. Auch hier ward ich mancher trivialen Vorstellungen und Begriffe los.

Auch die vergleichende Knochenlehre, die ich besonders mit mir immer im Gedanken herumführte, hatte großen Teil an meinen beschäftigten Stunden.

Das Abscheiden des verdienstreichen Batsch ward als Verlust für die Wissenschaft, für die Akademie, für die Naturforschende Gesellschaft tief empfunden. Leider wurde das von ihm gesammelte Museum durch ein wunderliches Verhältnis zerstückt und zerstreut. Ein Teil gehörte der Naturforschenden Gesellschaft; dieser folgte den Direktoren, oder vielmehr einer höhern Leitung, die mit bedeutendem Aufwande die Schulden der Sozietät bezahlte und ein neues unentgeltliches Lokale für die vorhandenen Körper anwies. Der andere Teil konnte als Eigentum des Verstorbenen dessen Erben nicht bestritten werden. Eigentlich hätte man das kaum zu trennende Ganze mit etwas mehrerem Aufwand herübernehmen und zusammenhalten sollen, allein die Gründe, warum es nicht geschah, waren auch von Gewicht.

Ging nun hier etwas verloren, so war in der späteren Jahrszeit ein neuer, vorausgesehener Gewinn beschieden. Das bedeutende Mineralienkabinett des Fürsten Gallitzin, das er als Präsident derselben ihr zugedacht hatte, sollte nach Jena geschafft und nach der von ihm beliebten Ordnung aufgestellt werden. Dieser Zuwachs gab dem ohnehin schon wohlversehenen Museum einen neuen Glanz. Die übrigen wissenschaftlichen Anstalten, meiner Leitung untergeben, erhielten sich in einem mäßigen, von der Kasse gebotenen Zustand.

Belebt sodann war die Akademie durch bedeutende Studierende, die durch ihr Streben und Hoffen auch den Lehrern gleichen jugendlichen Mut gaben. Von bedeutenden, einige Zeit sich aufhaltenden Fremden nenne von Podmanitzky, der, vielseitig unterrichtet, an unserm Wollen und Wirken teilnehmen und tätig mit eingreifen mochte.

Neben allem diesem wissenschaftlichen Bestreben hatte die jenaische Geselligkeit nichts von ihrem heitern Charakter verloren. Neue heranwachsende, hinzutretende Glieder vermehrten die Anmut und ersetzten reichlich, was mir in Weimar auf einige Zeit entgangen war.

Wie gern hätte ich diese in jedem Sinne angenehmen und belehrenden Tage noch die übrige schöne Herbstzeit genossen, allein die vorzubereitende Ausstellung trieb mich nach Weimar zurück, womit ich denn auch den September zubrachte. Denn bis die angekommenen Stücke sämtlich ein- und aufgerahmt wurden, bis man sie in schicklicher Ordnung in günstigem Lichte aufgestellt und den Beschauern einen würdigen Anblick vorbereitet hatte, war Zeit und Mühe nötig, besonders da ich alles mit meinem Freunde Meyer selbst verrichtete und auf ein sorgfältiges Zurücksenden Bedacht zu nehmen hatte.

Perseus und Andromeda war der für die diesjährige vierte Ausstellung bearbeitete Gegenstand. Auch dabei hatten wir die Absicht, auf die Herrlichkeit der äußern menschlichen Natur in jugendlichen Körpern beiderlei Geschlechts aufmerksam zu machen; denn wo sollte man den Gipfel der Kunst finden als auf der Blütenhöhe des Geschöpfs nach Gottes Ebenbilde.

Ludwig Hummeln, geboren in Neapel, wohnhaft in Kassel, war der Preis zu erkennen; er hatte mit zartem Kunstsinn und Gefühl den Gegenstand behandelt. Andromeda stand aufrecht in der Mitte des Bildes am Felsen, ihre schon befreite linke Hand konnte durch Heranziehen einiger Falten des Mantels Bescheidenheit und Schamhaftigkeit bezeichnen; ausruhend saß Perseus auf dem Haupte des Ungeheuers zu ihrer Seite, und gegenüber löste ein heraneilender Genius soeben die Fesseln der rechten Hand. Seine bewegte Jünglingsgestalt erhöhte die Schönheit und Kraft des würdigen Paares.

Einer Landschaft von Rohden aus Kassel ward in diesem Fach der Preis zuerkannt. Die »Jenaische Allgemeine Literaturzeitung« vom Jahr 1803 erhält durch einen Umriß des historischen Gemäldes das Andenken des Bildes und durch umständliche Beschreibung und Beurteilung der eingesendeten Stücke die Erinnerung jener Tätigkeit.

Indem wir nun aber uns auf jede Weise bemühten, dasjenige in Ausübung zu bringen und zu erhalten, was der bildenden Kunst als allein gemäß und vorteilhaft schon längst anerkannt worden, vernahmen wir in unsern Sälen, daß ein neues Büchlein vorhanden sei, welches vielen Eindruck mache; es bezog sich auf Kunst und wollte die Frömmigkeit als alleiniges Fundament derselben festsetzen. Von dieser Nachricht waren wir wenig gerührt; denn wie sollte auch eine Schlußfolge gelten, eine Schlußfolge wie diese: einige Mönche waren Künstler, deshalb sollen alle Künstler Mönche sein.

Doch hätte bedenklich scheinen dürfen, daß werte Freunde, die unsere Ausstellung teilnehmend besuchten, auch unser Verfahren billigten, sich doch an diesen, wie man wohl merkte, schmeichelhaften, die Schwäche begünstigenden Einflüsterungen zu ergötzen schienen und sich davon eine glückliche Wirkung versprachen.

Die im Oktober fleißig besuchte Ausstellung gab Gelegenheit, sich mit einheimischen und auswärtigen Kunstfreunden zu unterhalten, auch fehlte es, der Jahrszeit gemäß, nicht an willkommenen Besuchen aus der Ferne. Hofrat Blumenbach gönnte seinen weimarisch und jenaischen Freunden einige Tage, und auch diesmal wie immer verlieh seine Gegenwart den heitersten Unterricht.

Und wie ein Gutes immer ein anderes zur Folge hat, so stellte sich das reine Vernehmen in der innersten Gesellschaft nach und nach wieder her.

Eine bedeutende Korrespondenz ließ mich unmittelbare Blicke selbst in die Ferne richten. Friedrich Schlegel, der bei seiner Durchreise mit unsern Bemühungen um seinen »Alarkos« wohl zufrieden gewesen, gab mir von Pariser Zuständen hinreichende Nachricht. Hofrat Sartorius, der gleichfalls zu einem Besuch das lange bestandene gute Verhältnis abermals aufgefrischt und eben jetzt mit den Studien der Hansestädte beschäftigt war, ließ mich an diesem wichtigen Unternehmen auch aus der Ferne teilnehmen.

Hofrat Rochlitz, der unser Theater mit zunehmendem Interesse betrachtete, gab solches durch mehrere Briefe, die sich noch vorfinden, zu erkennen.

Gar manches andere von erfreulichen Verhältnissen find ich noch angemerkt; drei junge Männer: Klaproth, Bode, Hain, hielten sich in Weimar auf und benutzten mit Vergünstigung den Büttnerischen polyglottischen Nachlaß.

Wenn ich nun dieses Jahr in immerwährender Bewegung gehalten wurde und bald in Weimar, bald in Jena und Lauchstädt meine Geschäfte, wie sie vorkamen, versah, so gab auch der Besitz des kleinen Freiguts Roßla Veranlassung zu manchen Hin- und Herfahrten. Zwar hatte sich schon deutlich genug hervorgetan, daß, wer von einem so kleinen Eigentum wirklich Vorteil ziehen will, es selbst bebauen, besorgen und als sein eigner Pachter und Verwalter den unmittelbaren Lebensunterhalt daraus ziehen müsse, da sich denn eine ganz artige Existenz darauf gründen lasse, nur nicht für einen verwöhnten Weltbürger. Indessen hat das sogenannte Ländliche, in einem angenehmen Tale, an einem kleinen, baum- und buschbegrenzten Flusse, in der Nähe von fruchtreichen Höhen, unfern eines volkreichen und nahrhaften Städtchens, doch immer etwas, das mich tagelang unterhielt und sogar zu kleinen poetischen Produktionen eine heitere Stimmung verlieh. Frauen und Kinder sind hier in ihrem Elemente, und die in Städten unerträgliche Gevatterei ist hier wenigstens an ihrem einfachsten Ursprung; selbst Abneigung und Mißwollen scheinen reiner, weil sie aus den unmittelbaren Bedürfnissen der Menschheit hervorspringen.

Höchst angenehm war die Nachbarschaft von Oßmannstedt in demselbigen Tale aufwärts, nur auf der linken Seite des Wassers. Auch Wielanden fing dieser Naturzustand an bedenklich zu werden; einmal setzte er sehr humoristisch auseinander, welches Umschweifes es bedürfe, um der Natur nur etwas Genießbares abzugewinnen. Er wußte die Umständlichkeiten des Erzeugnisses der Futterkräuter gründlich und heiter darzustellen: erst brachte er den sorgsam gebauten Klee mühsam durch eine teuer zu ernährende Magd zusammen und ließ ihn von der Kuh verzehren, um nur zuletzt etwas Weißes zum Kaffee zu haben.

Wieland hatte sich in jenen Theater- und Festhändeln sehr wacker benommen, wie er denn, immer redlich, nur manchmal, wie es einem jeden geschieht, in augenblicklicher Leidenschaft, bei eingeflößtem Vorurteil in Abneigungen, die nicht ganz zu schelten waren, eine launige Unbilligkeit zu äußern verführt ward. Wir besuchten ihn oft nach Tische und waren zeitig genug über die Wiesen wieder zu Hause.

In meinen weimarischen häuslichen Verhältnissen ereignete sich eine bedeutende Veränderung. Freund Meyer, der seit 1792, einige Jahre Abwesenheit ausgenommen, als Haus- und Tischgenosse mich durch belehrende, unterrichtende, beratende Gegenwart erfreute, verließ mein Haus in Gefolg einer eingegangenen ehlichen Verbindung. Jedoch die Notwendigkeit, sich ununterbrochen mitzuteilen, überwand bald die geringe Entfernung, ein wechselseitiges Einwirken blieb lebendig, so daß weder Hindernis noch Pause jemals empfunden ward.

Unter allen Tumulten dieses Jahres ließ ich doch nicht ab, meinen Liebling Eugenien im stillen zu hegen. Da mir das Ganze vollkommen gegenwärtig war, so arbeitete ich am Einzelnen, wie ich ging und stand; daher denn auch die große Ausführlichkeit zu erklären ist, indem ich mich auf den jedesmaligen einzelnen Punkt konzentrierte, der unmittelbar in die Anschauung treten sollte.

»Cellini« gehörte schon mehr einer wilden, zerstreuten Welt an; auch diesen wußt ich, jedoch nicht ohne Anstrengung, zu fördern: denn im Grunde war die unternommene Arbeit mehr von Belang, als ich anfangs denken mochte.

»Reineke Fuchs« durfte nun auch in jedem leidenschaftlichleichtfertigen Momente hervortreten, so war er wohl empfangen und für gewisse Zeit ebenfalls gepflegt.

 
 * 

1803

Zum neuen Jahre gaben wir »Paläophron und Neoterpe« auf dem öffentlichen Theater. Schon war durch die Vorstellung der Terenzischen »Brüder« das Publikum an Masken gewöhnt, und nun konnte das eigentliche erste Musterstück seine gute Wirkung nicht verfehlen. Der frühere, an die Herzogin Amalie gerichtete Schluß ward ins Allgemeinere gewendet, und die gute Aufnahme dieser Darstellung bereitete den besten Humor zu ernsteren Unternehmungen.

Die Aufführung der »Braut von Messina« (19. März) machte viel Vorarbeit, durchgreifende Lese-und Theaterproben nötig. Der bald darauf folgenden »Naturlichen Tochter« erster Teil (2. April), sodann »Die Jungfrau von Orleans« verlangten die volle Zeit; wir hatten uns vielleicht nie so lebhaft, so zweckmäßig und zu allgemeiner Zufriedenheit bemüht.

Daß wir aber alles Mißwollende, Verneinende, Herabziehende durchaus ablehnten und entfernten, davon sei Nachstehendes ein Zeugnis. Zu Anfang des Jahrs war mir durch einen werten Freund ein kleines Lustspiel zugekommen mit dem Titel »Der Schädelkenner«, die respektablen Bemühungen eines Mannes wie Gall lächerlich und verächtlich machend. Ich schickte solches zurück mit einer aufrichtigen allgemeinen Erklärung, welche, als ins Ganze greifend, hier gar wohl einen Platz verdient.

»Indem ich das kleine artige Stück als bei uns nicht aufführbar zurücksende, halte ich es nach unserm alten freundschaftlichen Verhältnisse für Pflicht, die näheren Ursachen anzugeben.

Wir vermeiden auf unserm Theater, soviel möglich, alles, was wissenschaftliche Untersuchungen vor der Menge herabsetzen könnte, teils aus eigenen Grundsätzen, teils weil unsere Akademie in der Nähe ist und es unfreundlich scheinen würde, wenn wir das, womit sich dort mancher sehr ernstlich beschäftigt, hier leicht und lächerlich nehmen wollten.

Gar mancher wissenschaftliche Versuch, der Natur irgendein Geheimnis abgewinnen zu wollen, kann für sich, teils auch durch Scharlatanerie der Unternehmer, eine lächerliche Seite bieten, und man darf dem Komiker nicht verargen, wenn er im Vorbeigehen sich einen kleinen Seitenhieb erlaubt. Darin sind wir auch keineswegs pedantisch; aber wir haben sorgfältig alles, was sich in einiger Breite auf philosophische oder literarische Händel, auf die neue Theorie der Heilkunde usw. bezog, vermieden. Aus ebender Ursache möchten wir nicht gern die Gallische wunderliche Lehre, der es denn doch, so wenig als der Lavaterischen, an einem Fundament fehlen möchte, dem Gelächter preisgeben, besonders da wir fürchten müßten, manchen unserer achtungswerten Zuhörer dadurch verdrießlich zu machen.

Weimar, am 24. Januar 1803.«

Mit einem schon früher auslangenden und nun frisch bereicherten Repertorium kamen wir wohlausgestattet nach Lauchstädt. Das neue Haus, die wichtigen Stücke, die sorgfältigste Behandlung erregten allgemeine Teilnahme. Die »Andria« des Terenz, von Herrn Niemeyer bearbeitet, ward ebenmäßig wie »Die Brüder« mit Annäherung ans Antike aufgeführt. Auch von Leipzig fanden sich Zuschauer, sie sowohl als die von Halle wurden mit unsern ernsten Bemühungen immer mehr bekannt, welches uns zu großem Vorteil gedieh. Ich verweilte diesmal nicht länger daselbst als nötig, um mit Hofrat Kirms, meinem Mitkommissarius, die Bedürfnisse der Baulichkeiten und einiges Wünschenswerte der Umgebung anzuordnen.

In Halle, Giebichenstein, Merseburg, Naumburg erneuerte ich gar manche werte Verbindung. Professor Wolf, Geheimerat Schmalz, Jakob, Reil, Lafontaine, Niemeyer entgegneten mir mit gewohnter Freundlichkeit. Ich besah von Leysers Mineralienkabinett, bestieg den Petersberg, um frische Porphyrstücke zu holen. Ehe ich abreiste, sah ich noch mit Freuden, daß unser theatralisches Ganzes sich schon von selbst bewegte und im einzelnen nichts nachzuhelfen war, wobei freilich die große Tätigkeit des Regisseurs Genast gerühmt werden mußte. Ich nahm meinen Rückweg über Merseburg, das gute Verhältnis mit den dortigen oberen Behörden zu befestigen, sodann meinen Geschäften in Weimar und Jena weiter obzuliegen.

Als ich mir nun für diese Zeit das Theaterwesen ziemlich aus dem Sinne geschlagen hatte, ward ich im Geiste mehr als jemals dahin zurückgeführt. Es meldeten sich mit entschiedener Neigung für die Bühne zwei junge Männer, die sich Wolff und Grüner nannten, von Augsburg kommend, jener bisher zum Handelsstande, dieser zum Militär zu rechnen. Nach einiger Prüfung fand ich bald, daß beide dem Theater zur besondern Zierde gereichen würden und daß bei unserer schon wohlbestellten Bühne ein paar frische Subjekte von diesem Wert sich schnell heranbilden würden. Ich beschloß, sie festzuhalten, und weil ich eben Zeit hatte, auch einer heitern Ruhe genoß, begann ich mit ihnen gründliche Didaskalien, indem ich auch mir die Kunst aus ihren einfachsten Elementen entwickelte und an den Fortschritten beider Lehrlinge mich nach und nach emporstudierte, so daß ich selbst klärer über ein Geschäft ward, dem ich mich bisher instinktmäßig hingegeben hatte. Die Grammatik, die ich mir ausbildete, verfolgte ich nachher mit mehreren jungen Schauspielern; einiges davon ist schriftlich übriggeblieben.

Nach jenen genannten beiden fügte sich’s, daß noch ein hübscher junger Mann namens Grimmer mit gleichmäßigem Antrag bei uns vortrat. Auch von ihm ließ sich nach Gestalt und Wesen das Beste hoffen, besonders war er Schillern willkommen, der seinen personenreichen »Tell« im Sinne hatte und auf schickliche Besetzung der sämtlichen Rollen sein Augenmerk richtete. Wir hielten daher auch ihn fest und fanden ihn bald an seinem Platze brauchbar.

Der erste Teil von »Eugenie« war geschrieben, gespielt und gedruckt, das Schema des Ganzen lag Szene nach Szene vor mir, und ich kann wohl sagen, meine mehrjährige Neigung zu diesem Erzeugnis hatte keineswegs abgenommen.

Der zweite Teil sollte auf dem Landgut, dem Aufenthalt Eugeniens, vorgehen, der dritte in der Hauptstadt, wo mitten in der größten Verwirrung das wiedergefundene Sonett freilich kein Heil, aber doch einen schönen Augenblick würde hervorgebracht haben. Doch ich darf nicht weitergehen, weil ich sonst das Ganze umständlich vortragen müßte.

Ich hatte mich der freundlichsten Aufnahme von vielen Seiten her zu erfreuen, wovon ich die wohltätigsten Zeugnisse gesammelt habe, die ich dem Öffentlichen mitzuteilen vielleicht Gelegenheit finde. Man empfand, man dachte, man folgerte, was ich nur wünschen konnte; allein ich hatte den großen, unverzeihlichen Fehler begangen, mit dem ersten Teil hervorzutreten, eh das Ganze vollendet war. Ich nenne den Fehler unverzeihlich, weil er gegen meinen alten, geprüften Aberglauben begangen wurde, einen Aberglauben, der sich indes wohl ganz vernünftig erklären läßt.

Einen sehr tiefen Sinn hat jener Wahn, daß man, um einen Schatz wirklich zu heben und zu ergreifen, stillschweigend verfahren müsse, kein Wort sprechen dürfe, wieviel Schreckliches und Ergötzendes auch von allen Seiten erscheinen möge. Ebenso bedeutsam ist das Märchen, man müsse bei wunderhafter Wagefahrt nach einem kostbaren Talisman, in entlegensten Bergwildnissen, unaufhaltsam vorschreiten, sich ja nicht umsehen, wenn auf schroffem Pfade fürchterlich drohende oder lieblich lockende Stimmen ganz nahe hinter uns vernommen werden.

Indessen war’s geschehen, und die geliebten Szenen der Folge besuchten mich nur manchmal wie unstete Geister, die wiederkehrend flehentlich nach Erlösung seufzen.

So wie schon einige Jahre machte der Zustand von Jena uns auch diesmal gar manche Sorge. Seit der Französischen Revolution war eine Unruhe in die Menschen gekommen, dergestalt daß sie entweder an ihrem Zustand zu ändern oder ihren Zustand wenigstens dem Ort nach zu verändern gedachten. Hierzu konnten besonders die Lehrer an Hochschulen ihrer Stellung nach am meisten verlockt werden; und da eben zu dieser Zeit dergleichen Anstalten neu errichtet und vorzüglich begünstigt wurden, so fehlte es nicht an Reiz und Einladung dorthin, wo man ein besseres Einkommen, höheren Rang, mehr Einfluß in einem weitern Kreise sich versprechen konnte.

Diese großweltischen Ereignisse muß man im Auge behalten, wenn man sich im allgemeinen einen Begriff machen will von dem, was um diese Zeit in dem kleinen Kreise der jenaischen Akademie sich ereignete.

Der im ärztlichen Fache so umsichtige und mit mannigfachem Talent der Behandlung und Darstellung begabte Christian Wilhelm Hufeland war nach Berlin berufen, führte dort den Titel eines Geheimen Rats, welcher in einem großen Reiche schon zum bloßen Ehrentitel geworden war, indessen er in kleineren Staaten noch immer die ursprüngliche aktive Würde bezeichnete und ohne dieselbe nicht leicht verliehen werden konnte. Eine solche Rangerhöhung aber blieb auf die Zurückgelassenen nicht ohne Einfluß.

Fichte hatte in seinem »Philosophischen Journal« über Gott und göttliche Dinge auf eine Weise sich zu äußern gewagt, welche den hergebrachten Ausdrücken über solche Geheimnisse zu widersprechen schien; er ward in Anspruch genommen; seine Verteidigung besserte die Sache nicht, weil er leidenschaftlich zu Werke ging, ohne Ahnung, wie gut man diesseits für ihn gesinnt sei, wie wohl man seine Gedanken, seine Worte auszulegen wisse, welches man freilich ihm nicht gerade mit dürren Worten zu erkennen geben konnte und ebensowenig die Art und Weise, wie man ihm auf das gelindeste herauszuhelfen gedachte. Das Hin- und Widerreden, das Vermuten und Behaupten, das Bestärken und Entschließen wogte in vielfachen unsichern Reden auf der Akademie durcheinander, man sprach von einem ministeriellen Vorhalt, von nichts Geringerem als einer Art Verweis, dessen Fichte sich zu gewärtigen hätte. Hierüber ganz außer Fassung, hielt er sich für berechtigt, ein heftiges Schreiben beim Ministerium einzureichen, worin er, jene Maßregel als gewiß voraussetzend, mit Ungestüm und Trotz erklärte, er werde dergleichen niemals dulden, er werde lieber ohne weiteres von der Akademie abziehen, und in solchem Falle nicht allein, indem mehrere bedeutende Lehrer mit ihm einstimmig den Ort gleichzeitig zu verlassen gedächten.

Hiedurch war nun auf einmal aller gegen ihn gehegte gute Wille gehemmt, ja paralysiert: hier blieb kein Ausweg, keine Vermittelung übrig, und das Gelindeste war, ihm ohne weiteres seine Entlassung zu erteilen. Nun erst, nachdem die Sache sich nicht mehr ändern ließ, vernahm er die Wendung, die man ihr zu geben im Sinne gehabt, und er mußte seinen übereilten Schritt bereuen, wie wir ihn bedauerten.

Zu einer Verabredung jedoch, mit ihm die Akademie zu verlassen, wollte sich niemand bekennen, alles blieb für den Augenblick an seiner Stelle; doch hatte sich ein heimlicher Unmut aller Geister so bemächtigt, daß man in der Stille sich nach außen umtat und zuletzt Hufeland, der Jurist, nach Ingolstadt, Paulus und Schelling aber nach Würzburg wanderten.

Nach allem diesem vernahmen wir im August, die so hochgeschätzte »Literaturzeitung« solle auch von Jena weg und nach Halle gebracht werden. Der Plan war klug genug angelegt; man wollte ganz im gewohnten Gange das laufende Jahr durchführen und schließen, sodann, als geschähe weiter nichts, ein neues anfangen, zu Ostern aber gleichsam nur den Druckort verändern und durch solches Manœuvre mit Anstand und Bequemlichkeit diese wichtige Anstalt für ewig von Jena wegspielen.

Die Sache war von der größten Bedeutsamkeit, und es ist nicht zuviel gesagt: diese stille Einleitung bedrohte die Akademie für den Augenblick mit völliger Auflösung. Man war diesseits wirklich in Verlegenheit: denn ob man gleich das Recht hatte, die Unternehmer zu fragen, ob dieses allgemeine Gerücht einen Grund habe, so wollte man doch in einer solchen gehässigen Sache nicht übereilt noch hart erscheinen; daher anfänglich ein Zaudern, das aber von Tag zu Tag gefährlicher ward. Die erste Hälfte des Augusts war verstrichen, und alles kam darauf an, was in den sechs Wochen bis Michael zu einer Gegenwirkung vorgenommen werden könnte.

Auf einmal kommt Hülfe, woher sie nicht zu erwarten war. Kotzebue, der sich seit den Szenen des vorigen Jahrs als Todfeind aller weimarischen Tätigkeit erwiesen hatte, kann seinen Triumph nicht im stillen feiern, er gibt in dem »Freimütigen« übermütig an den Tag: mit der Akademie Jena, welche bisher schon großen Verlust an tüchtigen Professoren erlitten, sei es nun völlig zu Ende, indem die »Allgemeine Literaturzeitung« in Gefolg großer, dem Redakteur verwilligter Begünstigungen von da hinweg und nach Halle verlegt werde.

Von unserer Seite hörte nun alles Bedenken auf; wir hatten volle Ursache, die Unternehmer zu fragen, ob dies ihre Absicht sei. Und da solche nun nicht geleugnet werden konnte, so erklärte man ihren Vorsatz, die Anstalt bis Ostern in Jena hinzuhalten, für nichtig und versicherte zugleich, man werde mit dem neuen Jahre in Jena die »Allgemeine Literaturzeitung« selbst fortsetzen.

Diese Erklärung war kühn genug, denn wir hatten kaum die Möglichkeit in der Ferne zu sehen geglaubt; doch rechtfertigte der Erfolg den wackern Entschluß. Die Aktenstücke jener Tage sind in der größten Ordnung verwahrt, vielleicht ergötzen sich unsere Nachkommen an dem Hergang dieser für uns wenigstens höchst bedeutenden Begebenheit.

Nachdem also die Anstalt der »Literaturzeitung« in ihrem ganzen Gewichte gesichert war, hatte man sich nach Männern umzusehen, die erledigten Lehrfächer wieder zu besetzen. Von mehreren in Vorschlag gebrachten Anatomen wurde Ackermann berufen, welcher den Grund zu einem längst beabsichtigten stehenden anatomischen Museum legte, das der Akademie verbleiben sollte. Auch Schelver ward herangezogen und der botanischen Anstalt vorgesetzt. Man hatte von seiner Persönlichkeit als eines zugleich höchst zarten und tiefsinnigen Wesens die besten Hoffnungen für die Naturwissenschaft.

Die von Lenz gegründete Mineralogische Sozietät erweckte das größte Vertrauen; alle Freunde dieses Wissens wünschten als Mitglieder aufgenommen zu werden, und sehr viele beeiferten sich, mit bedeutenden Geschenken das angelegte Kabinett zu vermehren.

Unter solchen zeichnete sich Fürst Gallitzin aus, welcher die Ehre der ihm übertragenen Präsidentenstelle durch das Geschenk seines ansehnlichen Kabinetts anzuerkennen suchte, und da durch diesen wie durch andern Zuwachs die Anstalt höchst bedeutend geworden, so bestätigte der Herzog gegen Ende des Jahrs die Statuten der Gesellschaft und gab ihr dadurch unter den öffentlichen Anstalten einen entschiedenen Rang.

Nach dem Verlust so mancher bedeutenden Personen hatten wir uns jedoch neu mitwirkender Männer zu erfreuen. Fernow kam von Rom, um künftig in Deutschland zu verbleiben; wir hielten ihn fest. Herzogin Amalie gab ihm die seit Jagemanns Tode unbesetzte Bibliothekarstelle ihrer besondern Büchersammlung; seine gründliche Kenntnis der italienischen Literatur, eine ausgesuchte Bibliothek dieses Faches und seine angenehmen geselligen Eigenschaften machten diesen Erwerb höchst schätzbar. Daneben führte er einen bedeutenden Schatz mit sich, die hinterlassenen Zeichnungen seines Freundes Carstens, dem er in seiner künstlerischen Laufbahn bis an sein frühzeitiges Ende mit Rat und Tat, mit Urteil und Nachhülfe treulichst beigestanden hatte.

Dr. Riemer, der mit Herrn von Humboldt nach Italien gegangen war und dort einige Zeit in dessen Familienkreis mitgewirkt hatte, war in Fernows Gesellschaft herausgereist und als gewandter Kenner der alten Sprachen uns gleichfalls höchlich willkommen. Er gesellte sich zu meiner Familie, nahm Wohnung bei mir und wendete seine Sorgfalt meinem Sohne zu.

Auch mit Zelter ergab sich ein näheres Verhältnis; bei seinem vierzehntägigen Aufenthalt war man wechselseitig in künstlerischem und sittlichem Sinne um vieles nähergekommen. Er befand sich in dem seltsamsten Drange zwischen einem ererbten, von Jugend auf geübten, bis zur Meisterschaft durchgeführten Handwerk, das ihm eine bürgerliche Existenz ökonomisch versicherte, und zwischen einem eingebornen, kräftigen, unwiderstehlichen Kunsttriebe, der aus seinem Individuum den ganzen Reichtum der Tonwelt entwickelte. Jenes treibend, von diesem getrieben, von jenem eine erworbene Fertigkeit besitzend, in diesem nach einer zu erwerbenden Gewandtheit bestrebt, stand er nicht etwa wie Herkules am Scheidewege zwischen dem, was zu ergreifen oder zu meiden sein möchte, sondern er ward von zwei gleich werten Musen hin- und hergezogen, deren eine sich seiner bemächtigt, deren andere dagegen er sich anzueignen wünschte. Bei seinem redlichen, tüchtig bürgerlichen Ernst war es ihm ebensosehr um sittliche Bildung zu tun, als diese mit der ästhetischen so nah verwandt, ja ihr verkörpert ist und eine ohne die andere zu wechselseitiger Vollkommenheit nicht gedacht werden kann.

Und so konnte ein doppelt wechselseitiges Bestreben nicht außen bleiben, da die Weimarischen Kunstfreunde sich fast in demselben Falle befanden; wozu sie nicht geschaffen waren, hatten sie zu leisten, und was sie Angebornes zu leisten wünschten, schien immerfort unversucht zu bleiben.

Die Angebäude der Bibliothek, nach dem Schlosse zu, wurden der freieren Aussicht wegen abgebrochen; nun machte sich statt ihrer ein neuer Gelaß nötig, wozu die Herren Gentz und Rabe gleichfalls die Risse zu liefern gefällig übernahmen. Was sonst in jenen Piatz gefunden hatte, stattliche Treppe, geräumige Expeditions- und Gesellschaftszimmer, wurden gewonnen, ferner im zweiten Stock nicht allein Stand für mehrere Bücherrepositorien, sondern auch einige Räume für Altertümer, Kunstsachen und was dem anhängt; nicht weniger wurde das Münzkabinett, vollständig an sächsischen Medaillen, Talern und kleineren Geldsorten, nebenher auch mit Denkmünzen, ingleichen römischen und griechischen versehen, besonders aufbewahrt.

Da ich mich in meinem Leben vor nichts so sehr als vor leeren Worten gehütet und mir eine Phrase, wobei nichts gedacht oder empfunden war, an andern unerträglich, an mir unmöglich schien, so litt ich bei der Übersetzung des »Cellini«, wozu durchaus unmittelbare Ansicht gefordert wird, wirkliche Pein. Ich bedauerte herzlich, daß ich meine erste Durchreise, meinen zweiten Aufenthalt zu Florenz nicht besser genutzt, mir von der Kunst neuerer Zeit nicht ein eindringlicheres Anschauen verschafft hatte. Freund Meyer, der in den Jahren 1796 und 1797 sich daselbst die gründlichsten Kenntnisse erworben hatte, half mir möglichst aus, doch sehnte ich mich immer nach dem eigenen, nicht mehr gegönnten Anblick.

Ich kam daher auf den Gedanken, ob nicht wenigstens Cellinische Münzen, auf die er sich soviel zugute tut, noch zu finden sein möchten, ob nicht anderes, was mich in jene Zeiten versetzen könnte, noch zu haben wäre.

Glücklicherweise vernahm ich von einer nürnbergischen Auktion, in welcher Kupfermünzen des fünfzehnten und sechzehnten, ja des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts feilgeboten wurden, und es gelang, die ganze Masse zu erhalten. Die Originalfolge von Päpsten seit Martin V. bis auf Clemens XI., also bis zum ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts, wurde mir nicht allein zu eigen, sondern auch dazwischen Kardinäle und Priester, Philosophen, Gelehrte, Künstler, merkwürdige Frauen, in scharfen, unbeschädigten Exemplaren, teils gegossen, teils geprägt; aber verwundersam und bedauerlich: unter so manchen Hunderten kein Cellini. Aufgeregt war man nun, auch hier das Geschichtliche zu studieren; man forschte nach Bonanni, Mazzucchelli und andern und legte so den Grund zu ganz neuer Belehrung.

Das ältere Schießhaus vor dem Frauentor war schon längst von den Parkanlagen überflügelt, der Raum, den es einnahm, bereits zwischen Gärten und Spaziergängen eingeschlossen, die Übungen nach der Scheibe, besonders aber das eigentliche Vogelschießen, nach und nach unbequem und gefährlich.

Zum Tausch nahm der Stadtrat mit mehrfachem Gewinn einen großen, schön gelegenen Bezirk vor dem Kegeltor; die weit verbreiteten Äcker sollten in Gärten, Gartenländer verwendet und an dem schicklichsten Platz ein neues Schießhaus gebaut werden.

Die eigentliche Lage eines Gebäudes, sobald dem Architekten Freiheit gegeben ist, bleibt immer desselben Hauptaugenmerk: ein ländliches Gebäude soll die Gegend zieren und wird von ihr geziert; und so war die sorgfältigste Beratung zwischen den Berliner Architekten und den Weimarischen Kunstfreunden, nicht weniger dem Stadtrat und der Schützengesellschaft eine geraume Zeit im Schwange.

Bei einem neuen Lustgebäude mit seinen Umgebungen, zur Aufnahme einer großen Menge bestimmt, ist das Haupterfordernis Schatten, welcher nicht sogleich herbeigebannt werden kann. Hier war also ein angenehmes Hölzchen der notwendige Punkt, einen Flügel daran zu lehnen; für die Hauptrichtung entschied sodann eine oberhalb jenes Buschwerks hergehende uralte vierfache Lindenallee; man mußte den Flügel und also das ganze Gebäude rechtwinkelig darauf richten.

Ein mäßiger Plan, den Bedürfnissen allenfalls hinreichend, erweiterte sich nach und nach; die Schützengesellschaft, das Publikum als die Tanzenden, die Genießenden, alle wollten bedacht sein, alle verlangten ein schickliches und bequemes Lokal. Nun aber forderte die nahebei, doch gesondert anzulegende Wirtschaft ebenfalls ihre mannigfaltigen Bedürfnisse, und so dehnte sich der Plan immer mehr aus. Zwar gab die Ungleichheit des Terrains, die man zu überwinden hatte, die schönste Gelegenheit, aus der notwendigen Bedingtheit des Lokals die Forderungen des Zweckes zu entwickeln, am Ende aber konnte man sich nicht leugnen, bei ökonomischer Ausdehnung und nach ästhetischen Rücksichten über die Grenze des Bedürfnisses hinausgegangen zu sein.

Doch ein Gebäude gehört unter die Dinge, welche nach erfüllten inneren Zwecken auch zu Befriedigung der Augen aufgestellt werden, so daß man, wenn es fertig ist, niemals fragt, wieviel Erfindungskraft, Anstrengung, Zeit und Geld dazu erforderlich gewesen: Die Totalwirkung bleibt immer das Dämonische, dem wir huldigen.

Gegen Ende des Jahrs erlebte ich das Glück, mein Verhältnis zu den Erdschollen von Roßla völlig aufgehoben zu sehen. War der vorige Pachter ein Lebemann und in seinem Geschäft leichtsinnig und nachlässig, so hatte der neue als bisheriger Bürger einer Landstadt eine gewisse eigene kleinliche Rechtlichkeit, wovon die Behandlung jener bekannten Quelle ein Symbol sein mag. Der gute Mann, in seinen Gartenbegriffen einen Springbrunnen als das Höchste befindend, leitete das dort mäßig abfließende Wasser in engen Blechröhren an die niedrigste Stelle, wo es denn wieder einige Fuß in die Höhe sprang, aber statt des Wasserspiegels einen Sumpf bildete. Das idyllische Naturwesen jenes Spaziergangs war um seine Einfalt verkümmert, so wie denn auch andere ähnliche Anstalten ein gewisses erstes Gefallen nicht mehr zuließen.

Zwischen allem diesem war der häusliche Mann doch auch klar geworden, daß die Besitzung für den, der sie persönlich benutze, ganz einträglich sei, und in dem Maße, wie mir der Besitz verleidete, mußte er ihm wünschenswürdig erscheinen; und so ereignete sich’s, daß ich nach sechs Jahren das Gut ihm abtrat ohne irgendeinen Verlust als der Zeit und allenfalls des Aufwandes auf ländliche Feste, deren Vergnügen man aber doch auch für etwas rechnen mußte. Konnte man ferner die klare Anschauung dieser Zustände auch nicht zu Geld anschlagen, so war doch viel gewonnen und nebenbei mancher heitere Tag im Freien gesellig zugebracht.

Frau von Staël kam anfangs Dezember in Weimar an, als ich noch in Jena mit dem Programm beschäftigt war. Was mit Schiller über sie am 21. Dezember schrieb, diente, auf einmal über das wechselseitige, aus ihrer Gegenwart sich entwickelnde Verhältnis aufzuklären:

»Frau von Staël wird Ihnen völlig so erscheinen, wie Sie sie sich a priori schon konstruiert haben werden; es ist alles aus einem Stück und kein fremder, falscher und pathologischer Zug in ihr. Dies macht, daß man sich trotz des immensen Abstands der Naturen und Denkweisen vollkommen wohl bei ihr befindet, daß man alles von ihr hören, ihr alles sagen mag. Die französische Geistesbildung stellt sie rein und in einem höchst interessanten Lichte dar. In allem, was wir Philosophie nennen, folglich in allen letzten und höchsten Instanzen, ist man mit ihr im Streit und bleibt es trotz alles Redens. Aber ihr Naturell und Gefühl ist besser als ihre Metaphysik, und ihr schöner Verstand erhebt sich zu einem genialischen Vermögen. Sie will alles erklären, einsehen, ausmessen, sie statuiert nichts Dunkles, Unzugängliches, und wohin sie nicht mit ihrer Fackel leuchten kann, da ist nichts für sie vorhanden. Darum hat sie eine horrible Scheu vor der Idealphilosophie, welche nach ihrer Meinung zur Mystik und zum Aberglauben führt, und das ist die Stickluft, wo sie umkommt. Für das, was wir Poesie nennen, ist kein Sinn in ihr, sie kann sich von solchen Werken nur das Leidenschaftliche, Rednerische und Allgemeine zueignen, aber sie wird nichts Falsches schätzen, nur das Rechte nicht immer erkennen. Sie ersehen aus diesen paar Worten, daß die Klarheit, Entschiedenheit und geistreiche Lebhaftigkeit ihrer Natur nicht anders als wohltätig wirken können. Das einzige Lästige ist die ganz ungewöhnliche Fertigkeit ihrer Zunge, man muß sich ganz in ein Gehörorgan verwandeln, um ihr folgen zu können. Da sogar ich, bei meiner wenigen Fertigkeit im Französischreden, ganz leidlich mit ihr fortkomme, so werden Sie, bei Ihrer größern Übung, eine sehr leichte Kommunikation mit ihr haben.«

Da ich mich von Jena, ohne mein Geschäft abgeschlossen zu haben, nicht entfernen konnte, so gelangten noch gar mancherlei Schilderungen und Nachrichten zu mir, wie Frau von Staël sich benehme und genommen werde, und ich konnte mir ziemlich die Rolle vorschreiben, welche ich zu spielen hätte. Doch sollte das alles ganz anders werden, wie in dem nächsten Jahr, wohin wir hinübergehen, zu melden ist.

Wie unbequem aber ein so bedeutender Besuch mir gerade zu der Zeit sein mußte, wird derjenige mitempfinden, der die Wichtigkeit des Geschäfts bedenkt, das mich damals in Jena festhielt. Der weltberühmten »Allgemeinen Literaturzeitung« mit Aufkündigung des Dienstes zuvorzukommen und, indem sie sich an einen andern Ort bewegte, sie an derselben Stelle fortsetzen zu wollen war ein kühnes Unternehmen. Man bedenkt nicht immer, daß ein kühn Unternommenes in der Ausführung gleichfalls Kühnheit erfordert, weil bei dem Ungemeinen durch gemeine Mittel nicht wohl auszulangen sein möchte. Mehr als ein Verständiger, Einsichtiger gab mir das Erstaunen zu erkennen, wie man sich in ein solch unmögliches Unternehmen habe einlassen dürfen. Freilich aber war die Sache dadurch möglich geworden, daß ein Mann von dem Verdienste des Herrn Hofrat Eichstädt sich zu Fortsetzung des Geschäfts entschloß, an dem er bisher so bedeutenden Teil genommen hatte.

Die Weimarischen Kunstfreunde hielten es nunmehr für Pflicht, das, was an ihrem Einfluß gewichtig sein konnte, auch auf die Schale zu legen. Preisaufgaben für bildende Künstler, Rezensionen der eingesendeten Blätter, Preiserteilung, sonstig verwandte Ausführungen, Ausschreiben einer neuen Preisaufgabe: dieser Komplex von ineinandergreifenden Operationen, welcher bisher den »Propyläen« angehört hatte, sollte nunmehr der »Allgemeinen Literaturzeitung« zuteil werden. Das Programm hiezu beschäftigte mich in meiner diesmaligen Absonderung, indem ich mit dem Freund und eifrigen Mitarbeiter Heinrich Meyer in fortwährender Kommunikation blieb.

Wer Gelegenheit hat, den ersten Jahrgang der neuen oder »Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung« anzusehen, der wird gern bekennen, daß es keine geringe Arbeit gewesen. Die Preisaufgabe von 1803 war auf verschiedene Weise gelöst, auch Professor Hoffmann aus Stuttgart der Preis zuerkannt, nachdem vorher die verschiedenen Verdienste der Mitwerber gewürdigt sowohl als von freiwillig Eingesendetem Rechenschaft gegeben worden. Alsdann hatte man einen Versuch gemacht, Polygnots Gemälde in der Lesche zu Delphi zu restaurieren und sich in Gedanken der Kunst dieses Urvaters, wie es sich tun ließe, zu nähern.

Die Weimarischen Kunstfreunde hatten diese fünf Jahre her, während welcher sie diese Anstalt durchgeführt, gar wohl bemerken können, daß eine allzu eng bestimmte Aufgabe dem Künstler nicht durchaus zusage und daß man dem freien Geist einigen Spielraum lassen müsse, um nach eignem Sinn und Vermögen eine Wahl anstellen zu können. Die diesjährige Aufgabe war daher: Das Menschengeschlecht, vom Elemente des Wassers bedrängt, wovon wir eine ganz besondere Mannigfaltigkeit hoffen konnten.

Aus jenem Programm füge zum Schluß noch eine Stelle hier ein, die Gelegenheit gibt, ein anmutiges Ereignis zu besprechen. »Unter den Schätzen der Galerie zu Kassel verdient die Charitas von Leonardo da Vinci die Aufmerksamkeit der Künstler und Liebhaber im höchsten Grad. Herr Riepenhausen hatte den schönen Kopf dieser Figur, in Aquarellfarben trefflich kopiert, zur Ausstellung eingesandt. Die süße Traurigkeit des Mundes, das Schmachtende der Augen, die sanfte, gleichsam bittende Neigung des Hauptes, selbst der gedämpfte Farbenton des Originalbildes waren durchaus rein und gut nachgeahmt. Die größte Zahl derer, welche die Ausstellung besuchten, haben diesen Kopf mit vielem Vergnügen gesehen; ja derselbe muß einen Kunstliebhaber im höchsten Grade angezogen haben, indem wir die unverkennbaren Spuren eines herzlichen Kusses von angenehmen Lippen auf dem Glase, da, wo es den Mund bedeckt, aufgedrückt fanden.«

Wie liebenswürdig aber das Faksimile eines solchen Kusses gewesen, wird man nur erst ganz empfinden, erfährt man die Umstände, unter welchen solches möglich geworden. Unsere Ausstellung kam dieses Jahr später zustande; bei dem Anteil, welchen das Publikum zeigte, ließen wir es länger als gewöhnlich stehen, die Zimmer wurden kälter und nur gegen die Stunden des eröffneten Einlasses geheizt. Eine geringe Abgabe für die einmalige Entree zum Besten der Anstalt war genehmigt, besonders von Fremden; für Einheimische war ein Abonnement eingerichtet, welches nach Belieben auch außer der bestimmten Zeit den Eintritt gewährte. Indem wir also nach Gewahrwerden dieser liebevollen Teilnahme an einem vorzüglichen Kunstwerk uns in stiller Heiterkeit den Urheber zu entdecken, bemühten, wurde folgendes erst festgesetzt: Jung war der Küssende, das hätte man voraussetzen können, aber die auf dem Glas fixierten Züge sprechen es aus; er muß allein gewesen sein, vor vielen hätte man dergleichen nicht wagen dürfen. Dies Ereignis geschah früh bei ungeheizten Zimmern: der Sehnsüchtige hauchte das kalte Glas an, drückte den Kuß in seinen eignen Hauch, der alsdann erstarrend sich konsolidierte. Nur wenige wurden mit dieser Angelegenheit bekannt, aber es war leicht auszumachen, wer beizeiten in den ungeheizten Zimmern allein sich eingefunden, und da traf sich’s denn auch recht gut: Die bis zur Gewißheit gesteigerte Vermutung blieb auf einem jungen Menschen ruhen, dessen wirklich küßliche Lippen wir Eingeweihten nachher mehr als einmal freundlich zu begrüßen Gelegenheit hatten.

Soviel wir wissen, ist das Bild nach Dorpat gekommen.

 
 * 

1804

Der Winter hatte sich mit aller Gewalt eingefunden, die Wege waren verschneit, auf der Schnecke kein Fortkommen. Frau von Staël kündigte sich immer dringender an, mein Geschäft war vollendet, und ich entschloß mich in mancherlei Betracht, nach Weimar zu gehen. Aber auch diesmal fühlt ich die Schädlichkeit des Winteraufenthaltes im Schlosse. Die so teure Erfahrung von 1801 hatte mich nicht aufmerksam, nicht klüger gemacht; ich kehrte mit einem starken Katarrh zurück, der, ohne gefährlich zu sein, mich einige Tage im Bette und sodann wochenlang in der Stube hielt. Dadurch ward mir nun ein Teil des Aufenthalts dieser seltenen Frau historisch, indem ich, was in der Gesellschaft vorging, von Freunden berichtlich vernahm, und so mußte denn auch die Unterhaltung erst durch Billette, dann durch Zwiegespräche, später in dem kleinsten Zirkel stattfinden: vielleicht die günstigste Weise, wie ich sie kennenlernen und mich ihr, insofern dies möglich war, auch mitteilen konnte.

Mit entschiedenem Andrang verfolgte sie ihre Absicht, unsere Zustände kennenzulernen, sie ihren Begriffen ein- und unterzuordnen, sich nach dem einzelnen soviel als möglich zu erkundigen, als Weltfrau sich die geselligen Verhältnisse klarzumachen, in ihrer geistreichen Weiblichkeit die allgemeineren Vorstellungsarten, und was man Philosophie nennt, zu durchdringen und zu durchschauen. Ob ich nun gleich gar keine Ursache hatte, mich gegen sie zu verstellen, wiewohl ich, auch wenn ich mich gehenlasse, doch immer von den Leuten nicht recht gefaßt werde, so trat doch hier ein äußerer Umstand ein, der mich für den Augenblick scheu machte. Ich erhielt soeben ein erst herausgekommenes französisches Buch, die Korrespondenz von ein paar Frauenzimmern mit Rousseau enthaltend. Sie hatten den unzugänglichen, scheuen Mann ganz eigentlich mystifiziert, indem sie ihn erst durch kleine Angelegenheiten zu interessieren, zu einem Briefwechsel mit ihnen anzulocken gewußt, den sie, nachdem sie den Scherz genug hatten, zusammenstellen und drucken ließen.

Hierüber gab ich mein Mißfallen an Frau von Staël zu erkennen, welche die Sache leicht nahm, sogar zu billigen schien und nicht undeutlich zu verstehen gab: sie denke ungefähr gleicherweise mit uns zu verfahren. Weiter bedurft es nichts, um mich aufmerksam und vorsichtig zu machen, mich einigermaßen zu verschließen.

Die großen Vorzüge dieser hoch denkenden und empfindenden Schriftstellerin liegen jedermann vor Augen, und die Resultate ihrer Reise durch Deutsch land zeigen genugsam, wie wohl sie ihre Zeit angewendet.

Ihre Zwecke waren vielfach: Sie wollte das sittliche, gesellige, literarische Weimar kennenlernen und sich über alles genau unterrichten; dann aber wollte auch sie gekannt sein und suchte daher ihre Ansichten ebenso geltend zu machen, als es ihr darum zu tun schien, unsre Denkweise zu erforschen. Allein dabei konnte sie es nicht lassen; auch wirken wollte sie auf die Sinne, aufs Gefühl, auf den Geist, sie wollte zu einer gewissen Tätigkeit aufregen, deren Mangel sie uns vorwarf.

Da sie keinen Begriff hatte von dem, was Pflicht heißt, und zu welcher stillen, gefaßten Lage sich derjenige, der sie übernimmt, entschließen muß, so sollte immerfort eingegriffen, augenblicklich gewirkt sowie in der Gesellschaft immer gesprochen und verhandelt werden.

Die Weimaraner sind gewiß eines Enthusiasmus fähig, vielleicht gelegentlich auch eines falschen, aber das französische Auflodern ließ sich nicht von ihnen erwarten, am wenigsten zu einer Zeit, wo die französische Übergewalt so allseitig drohte und stillkluge Menschen das unausweichliche Unheil voraussahen, das uns im nächsten Jahre an den Rand der Vernichtung führen sollte.

Auch vorlesend und deklamierend wollte Frau von Staël sich Kränze erwerben. Ich entschuldigte mich von einem Abend, wo sie »Phädra« vortrug und wo ihr der mäßige deutsche Beifall keineswegs genugtat.

Philosophieren in der Gesellschaft heißt, sich über unauflösliche Probleme lebhaft unterhalten. Dies war ihre eigentliche Lust und Leidenschaft. Natürlicherweise trieb sie es in Reden und Wechselreden gewöhnlich bis zu denen Angelegenheiten des Denkens und Empfindens, die eigentlich nur zwischen Gott und dem Einzelnen zur Sprache kommen sollten. Dabei hatte sie, als Frau und Französin, immer die Art, auf Hauptstellen positiv zu verharren und eigentlich nicht genau zu hören, was der andere sagte.

Durch alles dieses war der böse Genius in mir aufgeregt, daß ich nicht anders als widersprechend dialektisch und problematisch alles Vorkommende behandelte und sie durch hartnäckige Gegensätze oft zur Verzweiflung brachte, wo sie aber erst recht liebenswürdig war und ihre Gewandtheit im Denken und Erwidern auf die glänzendste Weise dartat.

Noch hatte ich mehrmals unter vier Augen folgerechte Gespräche mit ihr, wobei sie jedoch auch nach ihrer Weise lästig war, indem sie über die bedeutendsten Vorkommenheiten nicht einen Augenblick stilles Nachdenken erlaubte, sondern leidenschaftlich verlangte, man solle bei dringenden Angelegenheiten, bei den wichtigsten Gegenständen ebenso schnell bei der Hand sein, als wenn man einen Federball aufzufangen hätte.

Ein Geschichtchen statt vieler möge hier Platz nehmen: Frau von Staël trat einen Abend vor der Hofzeit bei mir ein und sagte gleich zum Willkommen mit heftiger Lebhaftigkeit: »Ich habe Euch eine wichtige Nachricht anzukündigen: Moreau ist arretiert mit einigen andern und des Verrats gegen den Tyrannen angeklagt.« – Ich hatte seit langer Zeit, wie jedermann, an der Persönlichkeit des Edlen teilgenommen und war seinem Tun und Handeln gefolgt; ich rief im stillen mir das Vergangene zurück, um, nach meiner Art, daran das Gegenwärtige zu prüfen und das Künftige daraus zu schließen oder doch wenigstens zu ahnen. Die Dame veränderte das Gespräch, dasselbe wie gewöhnlich auf mannigfach gleichgültige Dinge führend, und als ich, in meinem Grübeln verharrend, ihr nicht sogleich gesprächig zu erwidern wußte, erneuerte sie die schon oft vernommenen Vorwürfe: ich sei diesen Abend wieder einmal, gewohnterweise, maussade und keine heitere Unterhaltung bei mir zu finden. – Ich ward wirklich im Ernst böse, versicherte, sie sei keines wahren Anteils fähig; sie falle mit der Tür ins Haus, betäube mich mit einem derben Schlag und verlange sodann, man solle alsobald sein Liedchen pfeifen und von einem Gegenstand zum andern hüpfen.

Dergleichen Äußerungen waren recht in ihrem Sinn, sie wollte Leidenschaft erregen, gleichviel welche. Um mich zu versöhnen, sprach sie die Momente des gedachten wichtigen Unfalls gründlich durch und bewies dabei große Einsicht in die Lage der Dinge wie in die Charaktere.

Ein anderes Geschichtchen bezeugt gleichfalls, wie heiter und leicht mit ihr zu leben war, wenn man es auf ihre Weise nahm. An einem personenreichen Abendessen bei Herzogin Amalie saß ich weit von ihr und war eben auch für diesmal still und mehr nachdenklich. Meine Nachbarschaft verwies es mir, und es gab eine kleine Bewegung, deren Ursache endlich bis zu den höhern Personen hinaufreichte. Frau von Staël vernahm die Anklage meines Schweigens, äußerte sich darüber wie gewöhnlich und fügte hinzu: »Überhaupt mag ich Goethe nicht, wenn er nicht eine Bouteille Champagner getrunken hat.« Ich sagte darauf halblaut, so daß es nur meine Nächsten vernehmen konnten: »Da müssen wir uns denn doch schon manchmal zusammen bespitzt haben.« Ein mäßiges Gelächter entstand darauf; sie wollte den Anlaß erfahren, niemand konnte und mochte meine Worte im eigentlichsten Sinne französisch wiedergeben, bis endlich Benjamin Constant, auch ein Nahsitzender, auf ihr anhaltendes Fordern und Drängen, um die Sache abzuschließen, es unternahm, ihr mit einer euphemistischen Phrase genugzutun.

Was man jedoch von solchen Verhältnissen hinterher denken und sagen mag, so ist immer zu bekennen, daß sie von großer Bedeutung und Einfluß auf die Folge gewesen. Jenes Werk über Deutschland, welches seinen Ursprung dergleichen geselligen Unterhaltungen verdankte, ist als ein mächtiges Rüstzeug anzusehen, das in die Chinesische Mauer antiquierter Vorurteile, die uns von Frankreich trennte, sogleich eine breite Lücke durchbrach, so daß man über dem Rhein und, in Gefolg dessen, über dem Kanal endlich von uns nähere Kenntnis nahm, wodurch wir nicht anders als lebendigen Einfluß auf den fernern Westen zu gewinnen hatten. Segnen wollen wir also jenes Unbequeme und den Konflikt nationeller Eigentümlichkeiten, die uns damals ungelegen kamen und keineswegs förderlich erscheinen wollten.

Ebenso hätten wir dankbar der Gegenwart Herrn Benjamin Constant zu gedenken.

Gegen Ende Juni begab ich mich nach Jena und ward gleich an demselbigen Abend durch lebhafte Johannisfeuer munter genug empfangen. Es ist keine Frage, daß sich diese Lustflammen auf den Bergen sowohl in der Nähe der Stadt, als wenn man das Tal auf- und abwärts fährt, überraschend freundlich ausnehmen.

Nach Verschiedenheit der vorhandenen Materialien, ihrer Menge, mehr oder weniger Schnelligkeit der Verwendung züngeln sie bald obelisken-, bald pyramidenartig in die Höhe, scheinen glühend zu verlöschen und leben auf einmal ermuntert wieder auf. Und so sieht man ein solches feuriges Wechselspiel talauf, talab auf die mannigfaltigste Weise belebend fortsetzen.

Unter allen diesen Erscheinungen tat sich eine zwar nur auf kürzere Zeit, aber bedeutend und auffallend hervor. Auf der Spitze des Hausberges, welcher, von seiner Vorderseite angesehen, kegelartig in die Höhe steigt, flammte gleichmäßig ein bedeutendes Feuer empor, doch hatte es einen beweglichern und unruhigern Charakter; auch verlief nur kurze Zeit, als es sich in zwei Bächen an den Seiten des Kegels herunterfließend sehen ließ; diese, in der Mitte durch eine feurige Querlinie verbunden, zeigten ein kolossales leuchtendes A, auf dessen Gipfel eine starke Flamme gleichsam als Krone sich hervortat und auf den Namen unserer verehrten Herzoginmutter hindeutete. Diese Erscheinung ward mit allgemeinem Beifall aufgenommen; fremde Gäste fragten verwundert über die Mittel, wodurch ein so bedeutendes und Festlichkeit krönendes Feuergebilde habe veranstaltet werden können.

Sie erfuhren jedoch gar bald, daß dieses das Werk einer vereinigten Menge war und einer solchen, von der man es am wenigsten erwartet hätte.

Die Universitätsstadt Jena, deren unterste, ärmste Klasse sich so fruchtbar erweist, wie es in den größten Städten sich zu ereignen pflegt, wimmelt von Knaben verschiedenen Alters, welche man gar füglich den Lazzaronis vergleichen kann. Ohne eigentlich zu betteln, nehmen sie durch Vieltätigkeit das Wohltun der Einwohner, besonders aber der Studierenden in Anspruch. Bei vorzüglicher Frequenz der Akademie hatte sich diese Erwerbsklasse besonders vermehrt; sie standen am Markte und an den Straßenecken überall bereit, trugen Botschaften hin und wider, bestellten Pferde und Wagen, trugen die Stammbücher hin und her und sollizitierten das Einschreiben, alles gegen geringe Retributionen, welche denn doch ihnen und ihren Familien bedeutend zugute kamen. Man nannte sie »Mohren«, wahrscheinlich weil sie, von der Sonne verbrannt, sich durch eine dunklere Gesichtsfarbe auszeichneten.

Diese hatten sich schon lange her das Recht angemaßt, das Feuer auf der Spitze des Hausbergs anzuzünden und zu unterhalten, welches anzufachen und zu ernähren sie sich folgender Mittel bedienten: Ebenso den weiblichen Dienstboten der bürgerlichen Häuser als den Studierenden willfährig, wußten sie jene durch manche Gefälligkeit zu verpflichten, dergestalt daß ihnen die Besenstumpfen das Jahr über aufbewahrt und zu dieser Festlichkeit abgeliefert wurden. Um diese regelmäßig in Empfang zu nehmen, teilten sie sich in die Quartiere der Stadt und gelangten am Abend des Johannistags scharenweis zusammen auf der Spitze des Hausberges an, wo sie dann ihre Reisfackeln so schnell als möglich entzündeten und sodann mit ihnen mancherlei Bewegungen machten, welche sich diesmal zu einem großen A gestalteten, da sie denn stillhielten und jeder an seinem Platze die Flamme so lange als möglich zu erhalten suchten.

Diese lebhafte Erscheinung, bei einem heitern Abendgelag’ von versammelten Freunden gewahrt und bewundert, eignete sich auf alle Fälle, einigen Enthusiasmus zu erregen. Man stieß auf das Wohl der verehrten Fürstin an, und, da schon seit einiger Zeit eine immer ernstere Polizei dergleichen feurige Lustbarkeiten zu verbieten Anstalten machte, so bedauerte man, daß eine solche Seelenfreude künftig nicht mehr genossen werden sollte, und äußerte den Wunsch für die Dauer einer solchen Gewohnheit in dem heitern Toast:

Johannisfeuer sei unverwehrt,

Die Freude nie verloren!

Besen werden immer stumpf gekehrt

Und Jungens immer geboren.

Einer gründlichern Heiterkeit genoß man bei Untersuchung der dortigen wissenschaftlichen Anstalten; besonders hatte die Sammlung der Mineralogischen Gesellschaft an Reichtum und Ordnung merklich zugenommen. Die Blitzsinter, welche zu der Zeit erst lebhaft zur Sprache gekommen, gaben, wie es mit allem bedeutenden Neuen geschieht, dem Studium ein frisches Interesse. Geognostische Erfahrungen, geologische Gedanken in ein folgerechtes Anschauen einzuleiten, gedachte man an ein Modell, das beim ersten Anblick eine anmutige Landschaft vorstellen, deren Unebenheiten bei dem Auseinanderziehen des Ganzen durch die innerlich angedeuteten verschiedenen Gebirgsarten rationell werden sollten. Eine Anlage im kleinen ward gemacht, anfänglich nicht ohne Erfolg, nachher aber durch andere Interessen beseitigt und durch streitige Vorstellungsarten über dergleichen problematische Dinge der Vergessenheit übergeben.

Die von Hofrat Büttner hinterlassene Bibliothek gab noch immer manches zu tun und das Binden der Bücher, das nachherige Einordnen manche Beschäftigung.

Höchst erfreulich aber bei allem diesem war der Besuch meines gnädigsten Herrn, welcher mit Geheimerat von Voigt, einem in diesen Geschäften eifrig mitwirkenden Staatsmanne, herüberkam. Wie belohnend war es, für einen solchen Fürsten zu wirken, welcher immer neue Aussichten dem Handeln und Tun eröffnete, sodann die Ausführung mit Vertrauen seinen Dienern überließ, immer von Zeit zu Zeit wieder einmal hereinsah und ganz richtig beurteilte, inwiefern man den Absichten gemäß gehandelt hatte, da man ihn denn wohl ein und das andere Mal durch die Resultate schnellerer Fortschritte zu überraschen wußte.

Bei seiner diesmaligen Anwesenheit wurde der Beschluß reif, ein anatomisches Museum einzurichten, welches bei Abgang eines Professors der Anatomie der wissenschaftlichen Anstalt verbleiben müsse. Es ward dieses um so nötiger, als bei Entfernung des bedeutenden Loderischen Kabinetts eine große Lücke in diesem Fach empfunden wurde. Professor Ackermann, von Heidelberg berufen, machte sich’s zur Pflicht, sogleich in diesem Sinne zu arbeiten und zu sammeln, und unter seiner Anleitung gedieh gar bald das Unternehmen, zuerst im didaktischen Sinne, welcher durchaus ein anderer ist als der wissenschaftliche, der zugleich auf Neues, Seltenes, ja Kurioses Aufmerksamkeit und Bemühung richtet und nur in Gefolg des ersten allerdings Platz finden kann und muß.

Je weiter ich in meinen chromatischen Studien vorrückte, desto wichtiger und liebwerter wollte mir die Geschichte der Naturwissenschaften überhaupt er scheinen. Wer dem Gange einer höhern Erkenntnis und Einsicht getreulich folgt, wird zu bemerken haben, daß Erfahrung und Wissen fortschreiten und sich bereichern können, daß jedoch das Denken und die eigentlichste Einsicht keineswegs in gleicher Maße vollkommener wird, und zwar aus der ganz natürlichen Ursache, weil das Wissen unendlich und jedem neugierig Umherstehenden zugänglich, das Überlegen, Denken und Verknüpfen aber innerhalb eines gewissen Kreises der menschlichen Fähigkeiten eingeschlossen ist; dergestalt daß das Erkennen der vorliegenden Weltgegenstände, vom Fixstern bis zum kleinsten lebendigen Lebepunkt, immer deutlicher und ausführlicher werden kann, die wahre Einsicht in die Natur dieser Dinge jedoch in sich selbst gehindert ist, und dieses in dem Grade, daß nicht allein die Individuen, sondern ganze Jahrhunderte vom Irrtum zur Wahrheit, von der Wahrheit zum Irrtum sich in einem stetigen Kreise bewegen.

In diesem Jahre war ich bis zu der wichtigen Zeit gelangt, wo die nachher Königlich genannte Englische Gesellschaft sich erst in Oxford, dann in London zusammentat, durch mannigfaltige wichtige Hindernisse aufgehalten, sodann durch den großen Brand in London in ihrer Tätigkeit unterbrochen, zuletzt aber immer mehr eingerichtet, geordnet und gegründet war.

Die Geschichte dieser Sozietät von Thomas Sprat las ich mit großem Beifall und bedeutender Belehrung, was auch strengere Forderer gegen diesen freilich etwas flüchtigen Mann mögen einzuwenden haben. Geistreich ist er immer und läßt uns in die Zustände recht eigentlich hineinblicken.

Die Protokolle dieser Gesellschaft, herausgegeben von Birch, sind dagegen unbestritten ganz unschätzbar. Die Anfänge einer so großen Anstalt geben uns genug zu denken. Ich widmete diesem Werke jede ruhige Stunde und habe von dem, was ich mir davon zugeeignet, in meiner »Geschichte der Farbenlehre« kurze Rechenschaft gegeben.

Hier darf ich aber nicht verschweigen, daß diese Werke von der Göttinger Bibliothek durch die Gunst des edlen Heyne mir zugekommen, dessen nachsichtige Geneigtheit durch viele Jahre mir ununterbrochen zuteil ward, wenn er gleich öfters wegen verspäteter Zurücksendung mancher bedeutenden Werke einen kleinen Unwillen nicht ganz verbarg. Freilich war meine desultorische Lebens- und Studienweise meistens schuld, daß ich an tüchtige Werke nur einen Anlauf nehmen und sie wegen äußerer Zudringlichkeiten beiseite legen mußte in Hoffnung eines günstigern Augenblicks, der sich denn wohl auf eine lange Zeitstrecke verzögerte.

Winckelmanns frühere Briefe an Hofrat Berendis waren schon längst in meinen Händen, und ich hatte mich zu ihrer Ausgabe vorbereitet. Um das, was zu Schilderung des außerordentlichen Mannes auf mannigfaltige Weise dienen könnte, zusammenzustellen, zog ich die werten Freunde Wolf in Halle, Meyer in Weimar, Fernow in Jena mit ins Interesse, und so bildete sich nach und nach der Oktavband, wie er sodann in die Hände des Publikums gelangte.

Ein französisches Manuskript, Diderots »Neffe«, ward mir von Schillern eingehändigt mit dem Wunsche, ich möchte solches übersetzen. Ich war von jeher zwar nicht für Diderots Gesinnungen und Denkweise, aber für seine Art der Darstellung als Autor ganz besonders eingenommen, und ich fand das mir vorliegende kleine Heft von der größten, aufregenden Trefflichkeit. Frecher und gehaltener, geistreicher und verwegener, unsittlich-sittlicher war mir kaum etwas vorgekommen; ich entschloß mich daher sehr gern zur Übersetzung, rief zu eignem und fremdem Verständnis das früher Eingesehene aus den Schätzen der Literatur hervor, und so entstand, was ich unter der Form von Noten in alphabetischer Ordnung dem Werk hinzufügte und es endlich bei Göschen herausgab. Die deutsche Übersetzung sollte vorausgehen und das Original bald nachher abgedruckt werden. Hievon überzeugt, versäumte ich, eine Abschrift des Originals zu nehmen, woraus, wie später zu erzählen sein wird, gar wunderliche Verhältnisse sich hervortaten.

Die neue »Allgemeine Literaturzeitung« bewegte sich mit jedem Monat lebendiger vorwärts, nicht ohne mancherlei Anfechtungen, doch ohne eigentliches Hindernis. Alles Für und Wider, was hier durchgefochten werden mußte, im Zusammenhang zu erzählen würde keine unangenehme Aufgabe sein, und der Gang eines wichtigen literarischen Unternehmens wäre jedenfalls belehrend. Hier können wir uns jedoch nur durch ein Gleichnis ausdrücken. Der Irrtum jenseits bestand darin: Man hatte nicht bedacht, daß man von einem militärisch günstigen Posten wohl eine Batterie wegführen und an einen andern bedeutenden versetzen kann, daß aber dadurch der Widersacher nicht verhindert wird, an der verlassenen Stelle sein Geschütz aufzufahren, um für sich gleiche Vorteile daraus zu gewinnen. An der Leitung des Geschäftes nahm ich fortwährenden lebhaften Anteil; von Rezensionen, die ich lieferte, will ich nur die der Vossischen Gedichte nennen und bezeichnen.

Im Jahre 1797 hatte ich mit dem aus Italien zurückkehrenden Freunde Meyer eine Wanderung nach den kleinen Kantonen, wohin mich nun schon zum dritten Male eine unglaubliche Sehnsucht anregte, heiter vollbracht. Der Vierwaldstätter See, die Schwyzer Haggen, Flüelen und Altdorf, auf dem Hin- und Herwege nur wieder mit freiem, offenem Auge beschaut, nötigten meine Einbildungskraft, diese Lokalitäten als eine ungeheure Landschaft mit Personen zu bevölkern, und welche stellten sich schneller dar als Tell und seine wackern Zeitgenossen? Ich ersann hier an Ort und Stelle ein episches Gedicht, dem ich um so lieber nachhing, als ich wünschte, wieder eine größere Arbeit in Hexametern zu unternehmen, in dieser schönen Dichtart, in die sich nach und nach unsre Sprache zu finden wußte, wobei die Absicht war, mich immer mehr durch Übung und Beachtung mit Freunden darin zu vervollkommnen.

Von meinen Absichten melde nur mit wenigem, daß ich in dem Tell eine Art von Demos darzustellen vorhatte und ihn deshalb als einen kolossal kräftigen Lastträger bildete, die rohen Tierfelle und sonstige Waren durchs Gebirg herüber und hinüber zu tragen sein Leben lang beschäftigt und, ohne sich weiter um Herrschaft noch Knechtschaft zu bekümmern, sein Gewerbe treibend und die unmittelbarsten persönlichen Übel abzuwehren fähig und entschlossen. In diesem Sinne war er den reichern und höhern Landsleuten bekannt und harmlos übrigens auch unter den fremden Bedrängern. Diese seine Stellung erleichterte mir eine allgemeine, in Handlung gesetzte Exposition, wodurch der eigentliche Zustand des Augenblicks anschaulich ward.

Mein Landvogt war einer von den behaglichen Tyrannen, welche herz- und rücksichtlos auf ihre Zwecke hindringen, übrigens aber sich gern bequem finden, deshalb auch leben und leben lassen, dabei auch humoristisch gelegentlich dies oder jenes verüben, was entweder gleichgültig wirken oder auch wohl Nutzen und Schaden zur Folge haben kann. Man sieht aus beiden Schilderungen, daß die Anlage meines Gedichtes von beiden Seiten etwas Läßliches hatte und einen gemessenen Gang erlaubte, welcher dem epischen Gedichte so wohl ansteht. Die älteren Schweizer und deren treue Repräsentanten, an Besitzung, Ehre, Leib und Ansehn verletzt, sollten das sittlich Leidenschaftliche zur inneren Gärung, Bewegung und endlichem Ausbruch treiben, indes jene beiden Figuren persönlich gegeneinander zu stehen und unmittelbar aufeinander zu wirken hatten.

Diese Gedanken und Einbildungen, sosehr sie mich auch beschäftigt und sich zu einem reifen Ganzen gebildet hatten, gefielen mir, ohne daß ich zur Ausführung mich hätte bewegt gefunden. Die deutsche Prosodie, insofern sie die alten Silbenmaße nachbildete, ward, anstatt sich zu regeln, immer problematischer; die anerkannten Meister solcher Künste und Künstlichkeiten lagen bis zur Feindschaft in Widerstreit. Hierdurch ward das Zweifelhafte noch ungewisser; mir aber, wenn ich etwas vorhatte, war es unmöglich, über die Mittel erst zu denken, wodurch der Zweck zu erreichen wäre; jene mußten mir schon bei der Hand sein, wenn ich diesen nicht alsobald aufgeben sollte.

Über dieses innere Bilden und äußere Unterlassen waren wir in das neue Jahrhundert eingetreten. Ich hatte mit Schiller diese Angelegenheit oft besprochen und ihn mit meiner lebhaften Schilderung jener Felswände und gedrängten Zustände oft genug unterhalten, dergestalt daß sich bei ihm dieses Thema nach seiner Weise zurechtstellen und formen mußte. Auch er machte mich mit seinen Ansichten bekannt, und ich entbehrte nichts an einem Stoff, der bei mir den Reiz der Neuheit und des unmittelbaren Anschauens verloren hatte, und überließ ihm daher denselben gerne und förmlich, wie ich schon früher mit den »Kranichen des Ibykus« und manchem andern Thema getan hatte; da sich denn aus jener obigen Darstellung, verglichen mit dem Schillerischen Drama, deutlich ergibt, daß ihm alles vollkommen angehört und daß er mir nichts als die Anregung und eine lebendigere Anschauung schuldig sein mag, als ihm die einfache Legende hätte gewähren können.

Eine Bearbeitung dieses Gegenstandes ward immerfort, wie gewöhnlich, unter uns besprochen, die Rollen zuletzt nach seiner Überzeugung ausgeteilt, die Proben gemeinschaftlich vielfach und mit Sorgfalt behandelt; auch suchten wir in Kostüm und Dekoration nur mäßig, wiewohl schicklich und charakteristisch, zu verfahren, wobei, wie immer, mit unsern ökonomischen Kräften die Überzeugung zusammentraf, daß man mit allem Äußern mäßig verfahren, hingegen das Innere, Geistige so hoch als möglich steigern müsse. Überwiegt jenes, so erdrückt der einer jeden Sinnlichkeit am Ende doch nicht genugtuende Stoff alles das eigentlich höher Geformte, dessentwegen das Schauspiel eigentlich nur zulässig ist. Den 17. März war die Aufführung und durch diese erste wie durch die folgenden Vorstellungen, nicht weniger durch das Glück, welches dieses Werk durchaus machte, die darauf gewendete Sorgfalt und Mühe vollkommen gerechtfertigt und belohnt.

Der Verabredung mit Schiller gemäß, ein Repertorium unsers deutschen Theaters nach und nach zu bilden, versuchte ich mich an »Götz von Berlichingen«, ohne dem Zweck genugtun zu können. Das Stück blieb immer zu lang; in zwei Teile geteilt, war es unbequem, und der fließende historische Gang hinderte durchaus ein stationäres Interesse der Szenen, wie es auf dem Theater gefordert wird. Indessen war die Arbeit angefangen und vollendet, nicht ohne Zeitverlust und sonstige Unbilden.

In diesen Zeiten meldete sich auch bei mir Graf Zenobio, um die fünfzig Karolin wieder zu empfangen, die er vor einigen Jahren bei mir niedergelegt hatte. Sie waren als Preis ausgesetzt für die beste Auflösung einer von ihm gestellten Frage, die ich gegenwärtig nicht mehr zu artikulieren wüßte, die aber auf eine wunderliche Weise da hinausging: wie es eigentlich von jeher mit der Bildung der Menschen und menschlicher Gesellschaft zugegangen sei. Man hätte sagen mögen, die Antwort sei in Herders »Ideen« und sonstigen Schriften der Art schon enthalten gewesen; auch hätte Herder in seinem früheren Vigor, um diesen Preis zu gewinnen, wohl noch einmal zu einem faßlichen Resümee seine Feder walten lassen.

Der gute, wohldenkende Fremde, der sich’s um die Aufklärung der Menschen etwas wollte kosten lassen, hatte sich von der Universität Jena eine Vorstellung gemacht, als wenn es eine Akademie der Wissenschaften wäre. Von ihr sollten die eingekommenen Arbeiten durchgesehen und beurteilt werden. Wie sonderbar eine solche Forderung zu unsern Zuständen paßte, ist bald übersehen. Indessen besprach ich die Sache mit Schillern weitläufig, sodann auch mit Griesbach. Beide fanden die Aufgabe allzuweit umgreifend und doch gewissermaßen unbestimmt. In wessen Namen sollte sie ausgeschrieben, von wem sollte sie beurteilt werden, und welcher Behörde durfte man zumuten, die eingehenden Schriften, welche nicht anders als umfänglich sein konnten, selbst von dem besten Kopfe ausgearbeitet, durchzuprüfen? Der Konflikt zwischen den Anatoliern und Ökumeniern war damals lebhafter als jetzt; man fing an, sich zu überzeugen, daß das Menschengeschlecht überall unter gewissen Naturbedingungen habe entstehen können und daß jede so entstehende Menschenrasse sich ihre Sprache nach organischen Gesetzen habe erfinden müssen. Jene Frage nötigte nun, auf diese Anfänge hinzudringen. Entschied man sich fur eine Seite, so konnte der Aufsatz keinen allgemeinen Beifall erwarten; schwanken zwischen beiden war nicht ein leichtes. Genug, nach vielen Hin- und Widerreden ließ ich Preis und Frage ruhen, und vielleicht hatte unser Mäzen in der Zwischenzeit andere Gedanken gefaßt und glaubte sein Geld besser anwenden zu können, welches aus meiner Verwahrung und Verantwortung loszuwerden für mich ein angenehmes Ereignis war.

 
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Sämtliche Werke
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