Johann Wolfgang Goethe
Die
Mitschuldigen
entstanden 1768/69, veröffentlicht 1909,
uraufgeführt am 30.11.1776 in Weimar
Personen
Der Wirt.
Sophie, seine Tochter.
Söller, ihr Mann.
Alcest.
Ein Kellner.
Der Schauplatz ist im Wirtshause.
Erster Aufzug
(Die Wirtsstube.)
Erster Auftritt
Söller im Domino an einem Tischchen, eine Bouteille Wein vor sich. Sophie gegenüber, eine weiße Feder auf einen Hut nähend. Der Wirt kommt herein. Im Grunde steht ein Tisch mit Feder, Tinte und Papier, daneben ein Großvaterstuhl.
Wirt.
Schon wieder auf den Ball! Im Ernst, Herr Schwiegersohn,
Ich hab’ Sein Rasen satt und dächt’, Er blieb’ davon.
Mein Mädchen hab’ ich Ihm wahrhaftig nicht gegeben,
Um so in Tag hinein von meinem Geld zu leben.
Ich bin ein alter Mann, ich sehnte mich nach Ruh’,
Ein Helfer fehlte mir: Nahm ich Ihn nicht dazu?
Ein schöner Helfer wohl, mein Bisschen durchzubringen!
Söller (summt ein Liedchen in den Bart).
Wirt.
Ja, sing’ Er, sing’ Er nur, ich will Ihm auch was singen!
Er ist ein Taugenichts, der voller Torheit steckt,
Spielt, säuft und Tabak raucht und tolle Streiche heckt,
Die ganze Nacht verschwärmt, den halben Tag im Bette;
Es ist kein Fürst im Reich, der besser leben hätte.
Da sitzt das Abenteuer mit weiten Ärmeln da,
Der König Hasenfuß!
Söller (trinkt).
Ihr Wohlergehn, Papa!
Wirt.
Ein saubres Wohlergehn! Das Fieber möchte’ ich kriegen.
Sophie.
Mein Vater, sei’n Sie gut!
Söller (trinkt).
Mein Fiekchen, dein Vergnügen!
Sophie.
Vergnügen! Könnt’ ich euch nur einmal einig sehn!
Wirt.
Wenn er nicht anders wird, so kann das nie geschehn.
Ich bin wahrhaftig längst des ew’gen Zankens müde,
Doch wie er’s täglich treibt, da halt’ der Henker Friede!
Er ist ein schlechter Mann, so kalt, so undankbar;
Er sieht nicht, was er ist, er denkt nicht, was er war,
Nicht an die Dürftigkeit, aus der ich ihn gerissen,
An seine Schulden nicht, die ich doch zahlen müssen.
Man sieht, es bessert doch nicht Elend, Reu’ noch Zeit;
Einmal ein Lumpenhund, der bleibt’s in Ewigkeit.
Sophie.
Er ändert sich gewiss.
Wirt.
Muss er’s so lang verschieben?
Sophie.
Das ist nun Jugendart.
Söller (trinkt).
Ja, Fiekchen, was wir lieben!
Wirt.
Zu einem Ohr hinein, zum andern flugs heraus!
Er hört mich nicht einmal. Was bin ich denn im Haus?
Ich hab’ schon zwanzig Jahr mit Ehren mich gehalten.
Meint Er, was ich erwarb, damit woll’ Er nun schalten
Und wollt’ es nach und nach verteilen? Nein, mein Freund,
Das lass’ Er sich vergehn! So bös ist’s nicht gemeint!
Mein Ruf hat lang gewährt und soll noch länger währen,
Es kennt die ganze Welt den Wirt zum schwarzen Bären.
Es ist kein dummer Bär, und konserviert sein Fell:
Jetzt wird mein Haus gemalt, und dann heiß’ ich’s Hotel.
Da regnet’s Kavaliers, da kommt das Geld mit Haufen;
Doch da gilt’s, fleißig sein, und nicht, sich dumm zu saufen!
Nach Mitternacht zu Bett und morgens auf bei Zeit,
So heißt’s da!
Söller.
Bis dahin ist es noch ziemlich weit.
Ging’s nur so seinen Gang, und wär’s nicht täglich schlimmer!
Wer kommt denn viel zu uns? Da droben stehn die Zimmer.
Wirt.
Wer reist denn jetzt auch viel? Das ist nun so einmal,
Und hat nicht Herr Alcest zwei Stuben und den Saal?
Söller.
Ja, ja, das ist schon was, das ist ein guter Kunde;
Allein, Minuten sind erst sechzig eine Stunde.
Und dann weiß Herr Alcest, warum er hier ist.
Wirt.
Wie?
Söller.
Ach, apropos, Papa. Man sagt mir heute früh,
In Deutschland gäb’s ein Korps von braven jungen Leuten,
Die für Amerika Sukkurs und Geld bereiten.
Man sagt, es wären viel und hätten Mut genug,
Und wie das Frühjahr käm’, so geh’ der ganze Zug.
Wirt.
Ja, ja, beim Glase Wein hört’ ich wohl manchen prahlen,
Er ließe Haut und Haar für meine Provinzialen:
Da lebt’ die Freiheit hoch, war jeder brav und kühn,
Und wenn der Morgen kam, ging eben keiner hin.
Söller.
Ach, es gibt Kerls genug, bei denen’s immer sprudelt;
Und wenn so einen denn die Liebe weidlich hudelt,
So müsst’s romanenhaft, sogar erhaben stehn,
So, mit dem Kopf voran, in alle Welt zu gehen.
Wirt.
Wenn einen nur die Lust von unsern Kunden triebe,
Der auch hübsch artig wär’ und dann uns manchmal schriebe,
Das wär’ doch noch ein Spaß!
Söller.
Es ist verteufelt weit.
Wirt.
Eh nun, was liegt daran? Der Brief läuft eine Zeit.
Ich will doch gleich hinauf in kleinen Vorsaal gehen,
Wie weit’s ist ohngefähr, auf meiner Karte sehen. (Ab.)
Zweiter Auftritt
Söller. Sophie.
Söller.
Im Haus ist nichts so schlimm, die Zeitung macht es gut.
Sophie.
Ja, gib ihm immer nach!
Söller.
Ich hab’ kein schnelles Blut,
Das ist sein Glück! Denn sonst – mich so zu kujonieren!
Sophie.
Ich bitt’ dich!
Söller.
Nein, man muss da die Geduld verlieren!
Ich weiß das alles wohl, dass ich vor einem Jahr
Ein lockrer Passagier und voller Schulden war –
Sophie.
Mein Guter, sei nicht bös!
Söller.
Er schildert mich so gräulich,
Und doch fand mich Sophie nicht ganz und gar abscheulich.
Sophie.
Dein ew’ger Vorwurf lässt mir keine Stunde froh.
Söller.
Ich werfe dir nichts vor, ich meine ja nur so.
Ach, eine schöne Frau ergötzet uns unendlich,
Es sei nun, wie ihm will! Siehst du, man ist erkenntlich.
Sophie, wie schön bist du, und ich bin nicht von Stein,
Ich kenne gar zu wohl das Glück, dein Mann zu sein;
Ich liebe dich –
Sophie.
Und doch kannst du mich immer plagen?
Söller.
O, geh, was liegt denn dran? Das darf ich ja wohl sagen,
Dass dich Alcest geliebt, dass er für dich gebrannt,
Dass du ihn auch geliebt, dass du ihn lang gekannt.
Sophie.
Ach!
Söller.
Nein, ich wüsste nicht, was ich da Böses sähe!
Ein Bäumchen, das man pflanzt, das schießt zu seiner Höhe,
Und wenn es Früchte bringt, eh! Da genießet sie,
Wer da ist; übers Jahr gibt’s wieder. Ja, Sophie,
Ich kenne dich zu gut, um was daraus zu machen;
Ich find’s nur lächerlich.
Sophie.
Ich finde nichts zu lachen.
Dass mich Alcest geliebt, dass er für mich gebrannt,
Und ich ihn auch geliebt, und ich ihn lang gekannt,
Was ist’s nun weiter?
Söller.
Nichts! Das will ich auch nicht sagen,
Dass es was weiter ist. Denn in den ersten Tagen,
Wenn dir das Mädchen keimt, da liebt sie eins zum Spaß,
Es krabbelt ihr ums Herz, und sie versteht nicht, was.
Man küsst beim Pfänderspiel und wird allmählich größer,
Der Kuss wird ernstlicher und schmeckt nun immer besser,
Und da begreift sie nicht, warum die Mutter schmält;
Voll Tugend, wenn sie liebt, ist’s Unschuld, wenn sie fehlt.
Und kommt Erfahrenheit zu ihren andern Gaben,
So sei ihr Mann vergnügt, ein kluges Weib zu haben!
Sophie.
Du kennst mich nicht genug.
Söller.
O, lass das immer sein!
Dem Mädchen ist ein Kuss, was uns ein Glas voll Wein,
Eins, und dann wieder eins, und noch eins, bis wir sinken.
Wenn man nicht taumeln will, so muss man gar nicht trinken!
Genug, du bist nun mein! – Ist es nicht vierthalb Jahr,
Dass Herr Alcest dein Freund und hier im Hause war?
Wie lange war er weg?
Sophie.
Drei Jahre, denk’ ich.
Söller.
Drüber.
Nun ist er wieder da, schon vierzehn Tage –
Sophie.
Lieber,
Zu was dient der Diskurs?
Söller.
Eh nun, dass man was spricht.
Denn zwischen Mann und Frau redt sich so gar viel nicht.
Warum ist er wohl hier?
Sophie.
Eh nun, sich zu vergnügen.
Söller.
Ich glaube wohl, du magst ihm sehr am Herzen liegen.
Wenn er dich liebte, he, gäbst du ihm wohl Gehör?
Sophie.
Die Liebe kann wohl viel, allein die Pflicht noch mehr.
Du glaubst –?
Söller.
Ich glaube nichts, und kann das wohl begreifen;
Ein Mann ist immer mehr als Herrchen, die nur pfeifen.
Der allersüßte Ton, den auch der Schäfer hat,
Es ist doch nur ein Ton, und Ton, den wird man satt.
Sophie.
Ja, Ton! Nun gut, ihr Ton! Doch ist der deine besser?
Die Unzufriedenheit in dir wird täglich größer,
Nicht einen Augenblick bist du mit Necken still.
Man sei erst liebenswert, wenn man geliebt sein will.
Warst du denn wohl der Mann, ein Mädchen zu beglücken?
Erwarbst du dir ein Recht, mir ewig vorzurücken,
Was doch im Grund nichts ist? Es wankt das ganze Haus,
Du tust nicht einen Streich und gibst am meisten aus.
Du lebst in Tag hinein; fehlt dir’s, so machst du Schulden,
Und wenn die Frau was braucht, so hat sie keinen Gulden,
Und du fragst nicht darnach, wo sie ihn kriegen kann.
Willst du ein braves Weib, so sei ein rechter Mann!
Verschaff’ ihr, was sie braucht, hilf ihr die Zeit vertreiben,
Und um das übrige kannst du dann ruhig bleiben.
Söller.
Eh, sprich den Vater an!
Sophie.
Dem käm’ ich eben recht.
Wir brauchen so genug, und alles geht so schlecht.
Erst gestern musst’ ich ihn notwendig etwas bitten.
„Ha,“ sagt er, „du kein Geld, und Söller fährt im Schlitten?“
Er gab mir nichts und lärmt’ mir noch die Ohren voll.
Nun sage mir denn einmal, woher ich’s nehmen soll?
Denn du bist nicht der Mann, für eine Frau zu sorgen.
Söller.
O warte, liebes Kind, vielleicht empfang’ ich morgen
Von einem guten Freund –
Sophie.
Wenn er ein Narr ist, ja!
Zum Holen sind zwar oft die guten Freunde da;
Doch einen, der was bringt, den hab’ ich noch zu sehen!
Nein, Söller, siehst du wohl, kann’s nicht weiter gehen!
Söller.
Du hast ja, was man braucht.
Sophie.
Schon gut, das ist wohl was:
Doch wer nie dürftig war, der will noch mehr als das.
Das Glück verwöhnet uns gar leicht durch seine Gaben,
Man hat, soviel man braucht, und glaubt noch nichts zu haben.
Die Lust, die jede Frau, die jedes Mädchen hat,
Ich bin nicht hungrig drauf, doch bin ich auch nicht satt.
Der Putz, der Ball! – Genug, ich bin ein Frauenzimmer.
Söller.
Eh nun, so geh doch mit; sag’ ich dir’s denn nicht immer?
Sophie.
Dass wie die Fastnachtslust auch unsre Wirtschaft sei:
Die kurze Zeit geschwärmt, dann auf einmal vorbei?
Viel lieber sitz’ ich hier allein zu ganzen Jahren!
Wenn du nicht sparen willst, so muss die Frau wohl sparen.
Mein Vater ist genug schon über mir erbost:
Ich stille seinen Zorn und bin sein ganzer Trost.
Nein, Herr! Ich helf’ Ihm nie mein eigen Geld verschwenden:
Spar’ Er es erst an sich, um es an mich zu wenden!
Söller.
Mein Kind, für diesmal nur lass mich noch lustig sein,
Und wenn die Messe kommt, so richten wir uns ein.
Ein Kellner (tritt auf).
Herr Söller!
Söller.
He, was gibt’s?
Kellner.
Der Herr von Tirinette!
Sophie.
Der Spieler?
Söller.
Schick’ ihn fort! Dass ihn der Teufel hätte!
Kellner.
Er sagt, er muss Sie sehn.
Sophie.
Was will er denn bei dir?
Sophie.
Was will er denn bei dir?
Söller.
Ah, er verreist – (zum Kellner) Ich komm’! –
(zu Sophie) und er empfiehlt sich mir.
(Ab.)
Dritter Auftritt
Sophie (allein).
Der mahnt ihn ganz gewiss! Er macht beim Spiele Schulden,
Er bringt noch alles durch, und ich, ich muss es dulden.
Dies ist nun alle Lust und mein geträumtes Glück!
Solch eines Menschen Frau! Wie weit kamst du zurück!
Wo ist sie hin, die Zeit, da sie zu ganzen Scharen
Die süßten jungen Herrn zu deinen Füßen waren?
Da jeder sein Geschick in deinen Blicken sah?
Ich stand im Überfluss wie eine Göttin da;
Aufmerksam rings umher die Diener meiner Grillen;
Es war genug, mein Herz mit Eitelkeit zu füllen.
Und ach! Ein Mädchen ist wahrhaftig übel dran!
Ist man ein bisschen hübsch, gleich steht man jedem an,
Da summt uns unser Kopf den ganzen Tag von Lobe!
Und welches Mädchen hält wohl diese Feuerprobe?
Ihr könnt so ehrlich tun, man glaubt euch gern aufs Wort,
Ihr Männer! – Auf einmal führt euch der Henker fort.
Wenn’s was zu naschen gibt, sind alle flugs beim Schmause;
Doch macht ein Mädchen Ernst, so ist kein Mensch zu Hause.
So geht’s mit unsern Herrn in dieser schlimmen Zeit;
Es gehen zwanzig drauf, bis dass ein halber freit.
Zwar fand ich mich zuletzt nicht eben ganz verlassen;
Mit vierundzwanzigen ist nicht viel zu verpassen.
Der Söller kam mir vor – Eh, und ich nahm ihn an;
Es ist ein schlechter Mensch, allein es ist ein Mann.
Da sitz’ ich nun und bin nicht besser als begraben.
Anbeter könnt’ ich wohl noch in der Menge haben;
Allein, was sollen sie? Man quälet, sind sie dumm,
Zur Langeweile nur mit ihnen sich herum;
Und einen klugen Freund ist es gefährlich lieben:
Er wird die Klugheit bald zu euerm Schaden üben.
Auch ohne Liebe war mir jeder Dienst verhasst –
Und jetzt – mein armes Herz, warst du darauf gefasst?
Alcest ist wieder hier. Ach, welche neue Plage!
Ja vormals, war er da, da waren’s andre Tage!
Wie liebt’ ich ihn! – Und noch! – Ich weiß nicht, was ich will!
Ich weich’ ihm ängstlich aus, er ist nachdenkend, still,
Ich fürchte mich vor ihm; die Furcht ist wohl gegründet.
Ach, wüsst er, was mein Herz noch jetzt für ihn empfindet!
Er kommt. Ich zittre schon. Die Brust ist mir so voll;
Ich weiß nicht, was ich will, noch wen’ger, was ich soll.
Vierter Auftritt
Sophie. Alcest.
Alcest (angekleidet, ohne Hut und Degen).
Verzeihen Sie, Madam, wenn ich beschwerlich falle.
Sophie.
Sie scherzen, Herr Alcest! Dies Zimmer ist für alle.
Alcest.
Ich fühle; jetzt bin ich für Sie wie jedermann.
Sophie.
Ich seh’ nicht, wie Alcest darüber klagen kann.
Alcest.
Du siehst nicht, Grausame? Ich sollte das erleben?
Sophie.
Erlauben Sie, mein Herr! Ich muss mich weg begeben.
Alcest.
Wohin? Sophie? Wohin? – Du wendest dein Gesicht?
Versagst mir deine Hand? Sophie, kennst du mich nicht?
Sieh her! Es ist Alcest, der um Gehör dich bittet.
Sophie.
Weh mir! Wie ist mein Herz, mein armes Herz zerrüttet!
Alcest.
Bist du Sophie, so bleib!
Sophie.
Ich bitte, schonen Sie!
Ich muss, ich muss hinweg!
Alcest.
Unzärtliche Sophie!
Verlassen Sie mich, nur! – In diesem Augenblicke,
Dacht’ ich, ist sie allein; du nahst dich deinem Glücke.
Jetzt, hofft’ ich, redet sie ein zärtlich Wort mit dir.
O, gehn Sie, gehn Sie nur! – In diesem Zimmer hier
Entdeckte mir Sophie zuerst die schönsten Flammen,
Die Liebe schlang uns hier das erste Mal zusammen.
An ebendiesem Platz – erinnerst du dich noch? –
Schwurst du mir ew’ge Treu!
Sophie.
O, schonen Sie mich doch!
Alcest.
Ein schöner Abend war’s – ich werd’ es nie vergessen!
Dein Auge redete, und ich, ich ward vermessen.
Mit Zittern botst du mir die süße Lippen dar:
Noch fühlt mein Herz zu sehr, wie ganz ich glücklich war.
Da war dein Glück, mich sehn, dein Glück, an mich zu denken;
Und jetzo willst du mir nicht eine Stunde schenken?
Du siehst, ich suche dich, du siehst, ich bin betrübt –
Geh nur, du falsches Herz, du hast mich nie geliebt!
Sophie.
Ich bin geplagt genug, willst du mich auch noch plagen?
Sophie dich nie geliebt! Alcest, das darfst du sagen?
Du warst mein einz’ger Wunsch, du warst mein höchstes Gut;
Für dich schlug dieses Herz, dir wallte dieses Blut!
Und dieses gute Herz, das du einst ganz besessen,
Kann nicht unzärtlich sein, es kann dich nicht vergessen.
Ach, die Erinnerung hat mich so oft betrübt!
Alcest! – Ich liebe dich – noch, wie ich dich geliebt.
Alcest.
Du Engel! Bestes Herz! (Will sie umarmen.)
Sophie.
Ich höre jemand gehen.
Alcest.
Auch nicht ein einzig Wort! Das ist nicht auszustehen.
So geht’s den ganzen Tag! Wie ist man nicht geplagt!
Schon vierzehn Tage hier und dir kein Wort gesagt!
Ich weiß, du liebst mich noch; allein das muss mich schmerzen.
Niemals sind wir allein und reden nie von Herzen;
Nicht einen Augenblick ist hier im Zimmer Ruh,
Bald ist der Vater da, bald kommt der Mann dazu.
Lang bleib’ ich dir nicht hier, das ist mir unerträglich.
Allein, Sophie, wer will, ist dem nicht alles möglich?
Sonst war dir nichts zu schwer, du halfest uns geschwind;
Es war die Eifersucht mit hundert Augen blind.
Und wenn du wolltest –
Sophie.
Was?
Alcest.
Wenn du nur denken wolltest,
Dass du Alcesten nicht verzweifeln lassen solltest!
Geliebte, suche doch uns nur Gelegenheit
Zur Unterredung auf, die dieser Ort verbeut.
O, höre, heute Nacht: Dein Mann geht aus dem Hause,
Man meint, ich gehe selbst zu einem Fastnachtsschmause;
Allein, das Hintertor ist meiner Treppe nah –
Es merkt’s kein Mensch im Haus, und ich bin wieder da.
Die Schlüssel hab’ ich hier, und willst du mir erlauben –
Sophie.
Alcest, ich wundre mich –
Alcest.
Und ich, ich soll dir glauben,
Dass du kein hartes Herz, kein falsches Mädchen bist?
Du schlägst das Mittel aus, das uns noch übrig ist?
Kennst du Alcesten nicht, Sophie? Und darfst du zaudern,
In stiller Nacht mit ihm ein Stündchen zu verplaudern?
Genug, nicht wahr, Sophie, heut Nacht besuch’ ich dich?
Doch kommt dir’s sichrer vor, so komm, besuche mich!
Sophie.
Das ist zu viel!
Alcest.
Zu viel! Zu viel! O, schön gesprochen!
Verflucht! Zu viel! Zu viel! Verderb’ ich meine Wochen
Hier so umsonst? – Verdammt! Was hält mich dieser Ort,
Wenn mich Sophie nicht hält? Ich gehe morgen fort.
Sophie.
Geliebter! Bester!
Alcest.
Nein, du siehst, du kennst mein Leiden,
Und du bleibst ungerührt! Ich will dich ewig meiden!
Fünfter Auftritt
Vorige. Der Wirt.
Wirt.
Da ist ein Brief; er muss von jemand Hohes sein:
Das Siegel ist sehr groß, und das Papier ist fein.
Alcest (reißt den Brief auf).
Wirt (für sich).
Den Inhalt möchte’ ich wohl von diesem Briefe wissen!
Alcest (der den Brief flüchtig durchgelesen hat).
Ich werde morgen früh
von hier verreisen müssen!
Die Rechnung!
Wirt.
Ei! So schnell in dieser schlimmen Zeit
Verreisen? – Dieser Brief ist wohl von Wichtigkeit?
Darf man sich unterstehn und Ihro Gnaden fragen?
Alcest.
Nein!
Wirt (zu Sophien).
Frag’ ihn doch einmal, gewiss, dir wird er’s sagen.
(Er geht an den Tisch im Grunde, wo er aus der Schublade seine Bücher zieht, sich niedersetzt und die Rechnung schreibt.)
Sophie.
Alcest, ist es gewiss?
Alcest.
Das schmeichelnde Gesicht!
Sophie.
Alcest, ich bitte dich, verlass Sophien nicht!
Alcest.
Nun gut, entschließe dich, mich heute Nacht zu sehen.
Sophie (für sich).
Was soll, was kann ich tun? Er darf, er darf nicht gehen,
Er ist mein einz’ger Trost. –
Du siehst, dass ich nicht kann! –
Denk’ ich bin eine Frau.
Alcest.
Der Teufel hol’ den Mann,
So bist du Witwe! Nein, benutze diese Stunden,
Zum ersten und letzten Mal sind sie vielleicht gefunden!
Ein Wort! Um Mitternacht, Geliebte, bin ich da!
Sophie.
An meinem Zimmer ist mein Vater allzu nah.
Alcest.
Eh nun, so komm zu mir! Was soll da viel Besinnen?
In diesen Zweifeln flieht der Augenblick von hinnen.
Hier, nimm die Schlüssel nur.
Sophie.
Der meine öffnet schon.
Alcest.
So komm denn, liebes Kind! Was hält dich ab davon?
Nun, willst du?
Sophie.
Ob ich will?
Alcest.
Nun?
Sophie.
Ich will zu dir kommen.
Alcest (zum Wirt).
Herr Wirt, ich reise nicht!
Wirt (hervortretend).
So? (Zu Sophien.) Hast du was vernommen?
Sophie.
Er will nichts sagen.
Wirt.
Nichts?
Sechster Auftritt
Vorige. Söller.
Söller.
Mein Hut!
Sophie.
Da liegt er. Hier!
Alcest.
Adieu, ich muss nun fort.
Söller.
Ich wünsche viel Pläsier!
Alcest.
Adieu, scharmante Frau!
Sophie.
Adieu, Alcest!
Söller.
Ihr Diener!
Alcest.
Ich muss noch erst hinauf.
Söller (für sich).
Der Kerl wird täglich kühner.
Wirt (ein Licht nehmend).
Erlauben Sie, mein Herr!
Alcest (es ihm aus der Hand komplimentierend).
Herr Wirt, nicht
Einen Schritt! (Ab.)
Sophie.
Nun, Söller, gehst du denn? Wie wär’s, du nähmst
Mich mit?
Söller.
Aha! Es kommt dir jetzt –
Sophie.
Nein, geh! Ich sprach’s im Scherze.
Söller.
Nein, nein, ich weiß es schon, es wird dir warm ums Herze;
Wenn man so jemand sieht, der sich zum Balle schickt,
Und man soll schlafen gehn, da ist hier was, das drückt.
Es ist ein andermal.
Sophie.
O ja, ich kann wohl warten.
Nur, Söller, sei gescheit und hüt’ dich vor den Karten.
(Zum Wirt, der die Zeit über in tiefen Gedanken gestanden.)
Nun, gute Nacht, Papa, ich will zu Bette gehn.
Wirt.
Gut’ Nacht, Sophie!
Söller.
Schlaf wohl!
(Ihr nachsehend.) Nein, sie ist wahrlich schön!
(Er läuft ihr nach und küsst sie noch einmal an der Tür.)
Schlaf wohl, mein Schäfchen!
(Zum Wirt.) Nun, geht Er nicht auch zu Bette?
Wirt.
Das ist ein Teufelsbrief; wenn ich den Brief nur hätte!
(Zu Söller.)
Nun, Fastnacht! Gute Nacht!
Söller.
Dank’s! Angenehme Ruh’!
Wirt.
Herr Söller, wenn Er geht, mach’ Er das Tor recht zu! (Ab.)
Söller.
Ja, sorgen Sie für nichts!
Siebenter Auftritt
Söller (allein).
Was ist nun anzufangen?
O, das verfluchte Spiel! O, wär’ der Kerl gehangen!
Beim Abzug war’s nicht just; doch muss ich stille sein:
Er haut und schießt sich gleich! Ich weiß nicht aus noch ein.
Wie wär’s? – Alcest hat Geld – und diese Dietrich’ schließen.
Er hat auch große Lust, bei mir was zu genießen!
Er schleicht um meine Frau, das ist mir lang verhasst:
Eh nun! Da lad’ ich mich einmal bei ihm zu Gast.
Allein, käm’ es heraus, da gäb’s dir schlimme Sachen –
Ich bin nun in der Not, was kann ich anders machen?
Der Spieler will sein Geld, sonst prügelt er mich aus.
Courage! Söller! Fort! Es schläft das ganze Haus.
Und wird es ja entdeckt, bin ich doch wohl gebettet:
Denn eine schöne Frau hat manchen Dieb gerettet. (Ab.)
Zweiter Aufzug
(Das Zimmer Alcestens.)
(Das Theater ist von vorn nach dem Fond zu geteilt in Stube und Alkoven. An der einen Seite der Stube steht ein Tisch, darauf Papiere und eine Schatulle. Im Grunde eine große Tür, und an der Seite eine kleine, dem Alkoven gegenüber.)
Erster Auftritt
Söller (im Domino, die Maske vorm Gesicht, in Strümpfen, eine Blendlaterne in der Hand, kommt zur kleinen Türe herein, leuchtet furchtsam im Zimmer herum; dann tritt er gefasster hervor, nimmt die Maske ab und spricht).
Es braucht’s nicht just, dass einer tapfer ist,
Man kommt auch durch die Welt mit Schleichen und mit List.
Der eine geht euch hin, bewaffnet mit Pistolen,
Sich einen Sack mit Geld, vielleicht den Tod zu holen,
Und spricht: „Den Beutel her, her, ohne viel zu sperrn!“
Mit so gelassnem Blut, als spräch’ er: „Prost, ihr Herrn!“
Ein andrer zieht herum, mit zauberischen Händen
Und Volten, wie der Blitz, die Uhren zu entwenden;
Und wenn ihr’s haben wollt, er sagt euch ins Gesicht:
„Ich stehle! Gebt wohl acht!“ Er stiehlt, ihr seht es nicht.
Mich machte die Natur nun freilich viel geringer;
Mein Herz ist allzu leicht, zu plump sind meine Finger:
Und doch, kein Schelm zu sein, ist heutzutage schwer!
Das Geld nimmt täglich ab, und täglich braucht man mehr.
Du bist nun einmal drin, nun hilf dir aus der Falle!
Ach, alles meint zu Haus, ich sei die Nacht beim Balle.
Du bist nun einmal drin, nun hilf dir aus der Falle!
Und pfuscht nur einer drein, so fühlt er wie der Blitz
Mein Herr Alcest – der schwärmt – mein Weibchen schläft allein –
Die Konstellation, wie kann sie schöner sein?
(Sich dem Tisch nahend.)
O komm, du Heiligtum! Du Gott in der Schatulle!
Ein König ohne dich ist eine große Nulle.
Habt Dank, ihr Dietriche! Ihr seid der Trost der Welt:
Durch euch erlang’ ich ihn, den großen Dietrich – Geld.
(Indem er die Schatulle zu eröffnen sucht.)
Ich hatt’ als Akzessist einmal beim Amt gelauert,
Doch hat auch da mein Fleiß nicht eben lang gedauert.
Das Schreiben wollte nicht, mir war’s zu einerlei:
Erst in der Ferne Brot und täglich Plackerei,
Das stand mir gar nicht an – Ein Dieb war eingefangen,
Die Schlüssel fanden sich, und er, er ward gehangen.
Nun weiß man, die Justiz bedenkt zuvörderst sich;
Ich war nur subaltern, das Eisen kam an mich.
Ich hob es auf. Ein Ding scheint euch nicht viel zu nützen,
Es kommt ein Augenblick, man freut sich’s zu besitzen!
Und jetzt –
(Das Schloss geht auf.)
O schön gemünzt, ha! Das ist wahre Lust!
(Er steckt ein.)
Die Tasche schwillt von Geld, von Freuden meine Brust –
Wenn es nicht Angst ist. Horch! Verflucht! Ihr feigen Glieder!
Was zittert ihr? – Genug!
(Er sieht noch einmal in die Schatulle und nimmt noch.)
Noch eins! Nun gut!
(Er macht sie zu und fährt zusammen.)
Es geht was auf dem Gang! Es geht doch sonst nicht um –
Der Teufel hat vielleicht sein Spiel – das Spiel wär’ dumm!
Ist’s eine Katze? Nein! Das wär’ ein schwerer Kater.
Geschwind! Es dreht am Schloss –
(Springt in den Alkoven.)
Zweiter Auftritt
Der Wirt mit einem Wachsstocke, zur Seitentür herein. Söller.
Söller.
Behüt’! Mein Schwiegervater?
Wirt.
Es ist ein närrisch Ding um ein empfindlich Blut,
Es pocht, wenn man auch nur halbweg was Böses tut.
Dächt’ ich nicht in dem Brief was Wichtiges zu lesen.
Und mit der Zeitung ist’s ein ew’ger Aufenthalt:
Das Neuste, was man hört, ist immer monatsalt.
Und dann ist das auch schon ein unerträglich Wesen.
Wenn jeder spricht: „O ja, ich hab’ es auch gelesen.“
Wär’ ich nur Kavalier, Minister müsst’ ich sein,
Und jeglicher Kurier ging’ bei mir aus und ein.
Ich find’ ihn nicht, den Brief! Hat er ihn mitgenommen?
Es ist doch ganz verflucht! Man soll zu gar nichts kommen!
Söller (für sich).
Du guter alter Narr! ich seh’ wohl, es hat dich
Der Diebs- und Zeitungsgott nicht halb so lieb als mich.
Wirt.
Ich find’ ihn nicht! – O weh! – Hör’ ich auch recht? – Daneben
Im Saale –
Söller.
Riecht er mich vielleicht?
Wirt.
Es knistert eben,
Als wär’s ein Weiberschuh.
Söller.
Schuh! Nein, das bin ich nicht.
Wirt (bläst den Wachsstock aus, und da er in Verlegenheit das Schloss der kleinen Tür nicht aufmachen kann, lässt er ihn fallen).
Jetzt hindert mich das Schloss noch gar!
(Stößt die Tür auf und fort.)
Dritter Auftritt
Sophie zur Hintertüre mit einem Licht herein. Söller.
Söller (im Alkoven für sich).
Ein Weibsgesicht!
Höll’! Teufel! Meine Frau! Was soll mir das?
Sophie.
Ich bebe
Bei dem verwegnen Schritt.
Söller.
Sie ist’s, so wahr ich lebe!
Gibt das ein Rendezvous? – Allein, gesetzten falls,
Ich zeigte mich! – Ja dann – es krabbelt mir am Hals!
Sophie.
Ja, folgt der Liebe nur! Mit freundlichen Gebärden
Lockt sie euch anfangs nach –
Söller.
Ich möchte rasend werden!
Und darf nicht! –
Sophie.
– Doch wenn ihr einmal den Weg verliert,
Dann führt kein Irrlicht euch so schlimm, als sie euch führt.
Söller.
Jawohl, dir wär’ ein Sumpf gesünder als das Zimmer!
Sophie.
Bisher ging’s freilich schlimm, doch täglich wird es schlimmer.
Mein Mann macht’s bald zu toll. Bisher gab’s wohl Verdruss;
Jetzt treibt er es so arg, dass ich ihn hassen muss.
Söller.
Du Hexe!
Sophie.
Meine Hand hat er – Alcest inzwischen
Besitzt wie sonst mein Herz.
Söller.
Zu zaubern, Gift zu mischen,
Ist nicht so schlimm!
Sophie.
Dies Herz, das ganz für ihn entflammt,
Das erst durch ihn gelernt, was Liebe sei –
Söller.
Verdammt!
Sophie.
Gleichgültig war’s und kalt, eh’ es Alcest erweichte.
Söller.
Ihr Männer, stündet ihr all nur einmal so Beichte!
Sophie.
Wie herzlich liebt’ ich ihn!
Söller.
Pah! Das war Kinderei!
Sophie.
Du, Schicksal, trenntest uns, und ach! Für meine Sünden
Musst’ ich mich – welch ein Muss! – Mit einem Vieh verbinden.
Söller.
Ich – Vieh? – Jawohl, ein Vieh, von dem gehörnten Vieh!
Sophie.
Was seh’ ich?
Söller.
Was, Madam?
Sophie.
Des Vaters Wachsstock! Wie
Kam er hieher? – Doch nicht? – Da werd’ ich fliehen müssen;
Vielleicht belauscht er uns! –
Söller.
O, setz’ ihr zu, Gewissen!
Sophie.
Doch das begreif’ ich nicht, wie er ihn hier verlor.
Söller.
Sie scheut den Vater nicht, mal’ ihr den Teufel vor!
Sophie.
Ach nein, das ganze Haus liegt schon in tiefem Schlafe.
Söller.
Die Lust ist mächtiger als alle Furcht der Strafe.
Sophie.
Mein Vater ist zu Bett – Wer weiß, wie es geschah?
Es mag drum sein!
Söller.
O weh!
Sophie.
Alcest ist noch nicht da?
Söller.
O, dürft’ ich sie!
Sophie.
Mein Herz schwimmt noch in seltnem Zweifel:
Ich lieb’ und fürcht’ ihn doch.
Söller.
Ich fürcht’ ihn wie den Teufel
Und mehr noch. Käm’ er nur, der Fürst der Unterwelt,
Ich bät’ ihn: „Hol’ mir sie! Da hast du all das Geld!“
Sophie.
Du bist zu redlich, Herz! Was ist denn dein Verbrechen?
Versprachst du, treu zu sein? Und konntest du versprechen,
Dem Menschen treu zu sein, an dem kein gutes Haar,
Der unverständig, grob, falsch –
Söller.
Das bin ich?
Sophie.
Fürwahr,
Wenn so ein Scheusal nicht den Abscheu gnug entschuldigt,
So lob’ ich mir das Land, wo man dem Teufel huldigt.
Er ist ein Teufel!
Söller.
Was? Ein Teufel? Scheusal? – Ich?
Ich halt’s nicht länger aus!
(Er macht Gebärde hervorzuspringen.)
Vierter Auftritt
Alcest angekleidet, mit Hut und Degen, den Mantel drüber, den er gleich ablegt. Vorige.
Alcest.
Du wartest schon auf mich?
Sophie.
Sophie kam dir zuvor.
Alcest.
Du zitterst?
Sophie.
Die Gefahren!
Alcest.
Nein! Weibchen! Nicht!
Söller.
Du! Dir! Das sind Präliminaren!
Sophie.
Du fühltest, was dies Herz um deinetwillen litt;
Du kennst dies ganze Herz, verzeih ihm diesen Schritt!
Alcest.
Sophie!
Sophie.
Verzeihst du ihm, so fühl’ ich keine Reue.
Söller.
Ja, frage mich einmal, ob ich dir ihn verzeihe?
Sophie.
Was führte mich hierher? Gewiss, ich weiß es kaum.
Söller.
Ich weiß es nur zu wohl!
Sophie.
Es ist mir wie ein Traum.
Söller.
Ich wollt’, ich träumte!
Sophie.
Sieh, ein ganzes Herz voll Plagen
Bring’ ich zu dir.
Alcest.
Der Schmerz vermindert sich im Klagen.
Sophie.
Ein sympathetisch Herz, wie deines, fand ich nie.
Söller.
Wenn ihr zusammen gähnt, das nennt ihr Sympathie!
Vortrefflich!
Sophie.
Musst’ ich nur dich so vollkommen finden,
Um mit dem Widerspiel von dir mich zu verbinden?
Ich hab’ ein Herz, das nicht tot für die Tugend ist.
Alcest.
Ich kenn’s!
Söller.
Ja, ja, ich auch!
Sophie.
So liebenswert du bist,
Du hättest nie von mir ein einzig Wort vernommen,
Wär’ dieses arme Herz nicht hoffnungslos beklommen.
Ich sehe Tag vor Tag die Wirtschaft untergehn,
Das Leben meines Manns! Wie können wir bestehn?
Ich weiß, er liebt mich nicht, er fühlt nicht meine Tränen;
Und wenn mein Vater stürmt, muss ich auch den versöhnen.
Mit jedem Morgen geht ein neues Leiden an.
Söller (gerührt auf seine Art).
Nein doch, die arme Frau ist wahrlich übel dran!
Sophie.
Mein Mann hat keinen Sinn für halb ein menschlich Leben;
Was hab’ ich nicht geredt, was hab’ ich nachgegeben!
Er säuft den vollen Tag, macht Schulden hier und dort,
Spielt, stänkert, pocht und kriecht, das geht an einem fort!
Sein ganzer Witz erzeugt nur Albernheit und Schwänke;
Was er für Klugheit hält, sind ungeschliffne Ränke;
Er lügt, verleumdet, trügt –
Söller.
Ich seh’, sie sammelt schon
Die Personalien zu meinem Leichsermon.
Sophie.
O, glaub’, ich hätte mich schon lange tot betrübet,
Wüsst’ ich nicht –
Söller.
Nur heraus!
Sophie.
Dass mich Alcest noch liebet.
Alcest.
Er liebt, er klagt wie du.
Sophie.
Das lindert meine Pein,
Von einem wenigstens, von dir beklagt zu sein.
Alcest, bei dieser Hand, der teuern Hand, beschwöre
Ich dich, behalte mir dein Herz beständig!
Söller.
Höre,
Wie schön sie tut!
Sophie.
Dies Herz, das nur für dich gebrannt,
Kennt keinen andern Trost als nur von deiner Hand.
Alcest.
Ich kenne für dein Herz kein Mittel.
(Er fasst Sophien in den Arm und küsst sie.)
Söller.
Weh mir Armen!
Will denn kein Zufall nicht sich über mich erbarmen!
Das Herz, das macht mir bang!
Sophie.
Mein Freund!
Söller.
Nein, nun wird’s matt;
Ich bin der Freundschaft nun in allen Gliedern satt
Und wollte, weil sie sich doch nichts zu sagen wissen,
Sie ging’ nun ihrer Weg’ und ließe mir das Küssen!
Alcest.
Geliebteste!
Sophie.
Mein Freund, noch diesen letzten Kuss,
Und dann leb’ wohl!
Acest.
Du gehst?
Sophie.
Ich gehe – denn ich muss.
Alcest.
Du liebst mich, und du gehst?
Sophie.
Ich geh’ – weil ich dich liebe.
Ich würde einen Freund verlieren, wenn ich bliebe.
Es strömt der Klagen Lauf am liebsten in der Nacht,
An einem sichern Ort, wo nichts uns zittern macht.
Man wird vertraulicher, je ruhiger man klaget;
Allein für mein Geschlecht ist es zu viel gewaget.
Zu viel Gefahren sind in der Vertraulichkeit.
Ein schmerzerweichtes Herz in dieser sichern Zeit
Versagt dem Freunde nicht den Mund zu Freundschaftsküssen.
Ein Freund ist auch ein Mensch –
Söller.
Sie scheint es gut zu wissen.
Sophie.
Leb’ wohl und glaube mir, dass ich die Deine sei.
Söller.
Das Ungewitter zieht mir nah am Kopf vorbei.
(Sophie ab. Alcest begleitet sie durch die Mitteltür, die offen bleibt. Man sieht sie beide in der Ferne zusammen stehn.)
Söller.
Für diesmal nimm fürlieb! Hier ist nicht viel zu sinnen!
Der Augenblick macht Luft, nur frisch mit dir von hinnen!
(Aus dem Alkoven und schnell durch die Seitentür ab.)
Fünfter Auftritt
Söller im Alkoven.
Alcest (zurückkommend).
Was willst du nun, mein Herz! – Es ist doch wunderbar!
Dir bleibt das liebe Weib noch immer, was sie war.
Hier ist die Dankbarkeit für jene goldnen Stunden
Des ersten Liebesglücks nicht ganz hinweg geschwunden.
Was hab’ ich nicht gedacht! Was hab’ ich nicht gefühlt!
Und jenes Bild ist hier noch nicht herausgespült,
Wie mir die Liebe sie vollkommen herrlich zeigte,
Das Bild, dem sich mein Herz in tiefer Ehrfurcht neigte.
Wie anders ist mir’s nicht, wie heller seit der Zeit?
Und doch bleibt ihr ein Rest von jener Helligkeit.
Bekenn’ es ehrlich nur, was dich hieher getrieben;
Nun wendet sich das Blatt, fängst wieder an zu lieben,
Und die Freigeisterei, und was du fern gedacht,
Der Hohn, den du ihr sprachst, der Plan, den du gemacht –
Wie anders sieht das aus! Wird dir nicht heimlich bange?
Gewiss, eh’ du sie fängst, so hat sie dich schon lange!
Nun das ist Menschenlos! Man rennt wohl öfters an,
Und wer viel drüber sinnt, ist noch weit übler dran.
Nur jetzt das Nötigste! Ich muss die Art erdenken,
Um ihr gleich morgen früh was bares Geld zu schenken.
Im Grund ist’s doch verflucht – Ihr Schicksal drückt mich sehr:
Ihr Mann, der Lumpenhund, macht ihr das Leben schwer.
Ich hab’ just noch so viel. Lass sehn! Ja, es wird reichen.
Wär’ ich auch völlig fremd, sie müsste mich erweichen;
Allein es liegt mir nur zu tief in Herz und Sinn,
Dass ich gar vieles schuld an ihrem Elend bin. –
Das Schicksal wollt’ es so! Ich konnt’s einmal nicht hindern;
Was ich nicht ändern kann, das will ich immer lindern.
(Er macht die Schatulle auf.)
Was Teufel? Was ist das? Fast die Schatulle leer!
Von allem Silbergeld ist nicht das Viertel mehr.
Das Gold hab’ ich bei mir. Ich hab’ die Schlüssel immer!
Erst seit dem Nachmittag! Wer war denn wohl im Zimmer?
Sophie? – Pfui! – Ja, Sophie! – Unwürd’ge Grille, fort!
Mein Diener? – O! Der liegt an einem sichern Ort;
Er schläft. – Der gute Kerl, er ist gewiss nicht schuldig!
Allein wer sonst? – Bei Gott! Es macht mich ungeduldig.
Dritter Aufzug
(Die Wirtsstube.)
Erster Auftritt
Der Wirt (im Schlafrock, im Sessel neben dem Tisch, worauf ein bald abgebranntes Licht, Kaffeezeug, Pfeifen und die Zeitungen. Nach den ersten Versen steht er auf und zieht sich in diesem Auftritt und dem Anfange des folgenden an).
Ach, der verfluchte Brief bringt mich um Schlaf und Ruh!
Es ging wahrhaftig nicht mit rechten Dingen zu!
Unmöglich scheint es mir, das Rätsel aufzulösen:
Wenn man was Böses tut, erschrickt man vor dem Bösen.
Es war nicht mein Beruf, drum kam die Furcht mich an;
Und doch für einen Wirt ist es nicht wohlgetan
Zu zittern, wenn’s im Haus rumort und geht und knistert;
Denn mit Gespenstern sind die Diebe nah verschwistert.
Es war kein Mensch zu Haus, nicht Söller, nicht Alcest;
Der Kellner konnt’s nicht sein, die Mägde schliefen fest.
Doch halt! – In aller Früh, so zwischen drei und viere,
Hört’ ich ein leis Geräusch, es ging Sophiens Türe.
Sie war vielleicht wohl selbst der Geist, vor dem ich floh.
Es war ein Weibertritt, Sophie geht ebenso.
Allein, was tat sie da? – Man weiß, wie’s Weiber machen:
Sie visitieren gern und sehn der Fremden Sachen
Und Wäsch’ und Kleidergern. Hätt’ ich nur dran gedacht,
Ich hätte sie erschreckt und dann sie ausgelacht.
Sie hätte mit gesucht, der Brief wär’ nun gefunden;
Jetzt ist die schöne Zeit so ungebraucht verschwunden!
Verflucht! Zur rechten Zeit fällt einem nie was ein,
Und was man Gutes denkt, kommt meist erst hinterdrein.
Zweiter Auftritt
Der Wirt. Sophie.
Sophie.
Mein Vater! Denken Sie! –
Wirt.
Nicht einmal guten Morgen?
Sophie.
Verzeihen Sie, Papa! Mein Kopf ist voller Sorgen.
Wirt.
Warum?
Sophie.
Alcestens Geld, das er nicht lang erhielt,
Ist miteinander fort.
Wirt.
Warum hat er gespielt?
Sie bleiben nicht davon.
Sophie.
Nicht doch! Es ist gestohlen!
Wirt.
Wie?
Sophie.
Ei, vom Zimmer weg!
Wirt.
Den soll der Teufel holen,
Den Dieb! Wer ist’s? Geschwind!
Sophie.
Wer’s wüsste!
Wirt.
Hier, im Haus?
Sophie.
Ja, von Alcestens Tisch, aus der Schatull’ heraus.
Wirt.
Und wann?
Sophie.
Heut Nacht!
Wirt (für sich).
Das ist für meiner Neugiersünden!
Die Schuld kommt noch auf mich, man wird den Wachsstock finden.
Sophie (für sich).
Er ist bestürzt und murrt. Hätt’ er so was getan?
Im Zimmer war er doch, der Wachsstock klagt ihn an.
Wirt (für sich).
Hat es Sophie wohl selbst? Verflucht! Das wär’ noch schlimmer!
Sie wollte gestern Geld und war heut Nacht im Zimmer.
(Laut.)
Das ist ein dummer Streich! Gib acht! Der tut uns weh;
Wohlfeil und sicher sein, ist unsre Renommee.
Sophie.
Ja! Er verschmerzt es wohl, uns wird es sicher schaden:
Es wird am Ende doch dem Gastwirt aufgeladen.
Wirt.
Das weiß ich nur zu sehr. Es bleibt ein dummer Streich.
Wenn’s auch ein Hausdieb ist, ja, wer entdeckt ihn gleich?
Das macht uns viel Verdruss!
Sophie.
Es schlägt mich gänzlich nieder.
Wirt (für sich).
Aha, es wird ihr bang.
(Laut, etwas verdrießlicher.)
Ich wollt’, er hätt’ es wieder!
Ich wär’ recht froh.
Sophie (für sich).
Es scheint, die Reue kommt ihm ein.
(Laut.)
Und wenn er’s wieder hat, so mag der Täter sein,
Wer will; man sagt’s ihm nicht, und ihn bekümmert’s weiter
Auch nicht.
Wirt (für sich).
Wenn sie’s nicht hat, bin ich ein Bärenhäuter!
(Laut.)
Du bist ein gutes Kind, und mein Vertraun zu dir –
Wart’ nur! (Er geht, nach der Türe zu sehn.)
Sophie (für sich).
Bei Gott! Er kommt und offenbart sich mir!
Wirt.
Ich kenne dich, Sophie, du pflegtest nie zu lügen –
Sophie.
Eh’ hab’ ich aller Welt als Ihnen was verschwiegen.
Drum hoff’ ich dieses Mal auch zu verdienen –
Wirt.
Schön!
Du bist mein Kind, und was geschehn ist, ist geschehn.
Sophie.
Es kann das beste Herz in dunkeln Stunden fehlen.
Wirt.
Wir wollen uns nicht mehr mit dem Vergangnen quälen.
Dass du im Zimmer warst, das weiß kein Mensch als ich.
Sophie (erschrocken).
Sie wissen –?
Wirt.
Ich war drin, du kamst, ich hörte dich;
Ich wusst’ nicht, wer es war, und lief, als käm’ der Teufel.
Sophie (vor sich).
Ja, ja, er hat das Geld! Nun ist es außer Zweifel.
Wirt.
Erst jetzo fiel mir ein, ich hört’ dich heute früh.
Sophie.
Und was vortrefflich ist, es denkt kein Mensch an Sie.
Ich fand den Wachsstock –
Wirt.
Du?
Sophie.
Ich!
Wirt.
Schön, bei meinem Leben!
Nun sag’, wie machen wir’s, dass wir’s ihm wiedergeben?
Sophie.
Sie sagen: „Herr Alcest! Verschonen Sie mein Haus,
Das Geld ist wieder da, ich hab’ den Dieb heraus.
Sie wissen selbst, wie leicht Gelegenheit verführet;
Doch kaum war es entwandt, so war er schon gerühret,
Bekannt’ und gab es mir. Da haben Sie’s! Verzeihn
Sie ihm!“ – Gewiss, Alcest wird gern zufrieden sein.
Wirt.
So was zu fädeln, hast du eine seltne Gabe.
Sophie.
Ja, bringen Sie’s ihm so!
Wirt.
Gleich! Wenn ich’s nur erst habe.
Sophie.
Sie haben’s nicht?
Wirt.
Ei nein! Wo hätt’ ich es denn her?
Sophie.
Woher?
Wirt.
Nun ja! Woher? Gabst du mir’s denn?
Sophie.
Und wer
Hat’s denn?
Wirt.
Wer’s hat?
Sophie.
Jawohl! Wenn Sie’s nicht haben?
Wirt.
Possen!
Sophie.
Wo taten Sie’s denn hin?
Wirt.
Ich glaub’, du bist geschossen!
Hast du’s denn nicht?
Sophie.
Ich?
Wirt.
Ja!
Sophie.
Wie käm’ ich denn dazu?
Wirt.
Eh! (Macht ihr pantomimisch das Stehlen vor.)
Sophie.
Ich versteh’ Sie nicht!
Wirt.
Wie unverschämt bist du!
Jetzt, da du’s geben sollst, gedenkst du auszuweichen.
Du hast’s ja erst bekannt. Pfui dir mit solchen Streichen!
Sophie.
Nein, das ist mir zu hoch! Jetzt klagen Sie mich an
Und sagten nur vorhin, Sie hätten’s selbst getan!
Wirt.
Du Kröte! Ich’s getan! Ist das die schuld’ge Liebe,
Die Ehrfurcht gegen mich? Du machst mich gar zum Diebe,
Da du die Diebin bist!
Sophie.
Mein Vater!
Wirt.
Warst du nicht
Heut früh im Zimmer?
Sophie.
Ja!
Wirt.
Und sagst mir ins Gesicht,
Du hättest nicht das Geld?
Sophie.
Beweist das gleich?
Wirt.
Ja!
Sophie.
Waren
Sie denn nicht auch heut früh –
Wirt.
Ich fass’ dich bei den Haaren,
Wenn du nicht schweigst und gehst! (Sie geht weinend ab.)
Du treibst den Spaß zu weit,
Nichtswürd’ge! – Sie ist fort! Es war ihr hohe Zeit!
Vielleicht bildt sie sich ein, mit Leugnen durchzukommen;
Das Geld ist einmal fort, und gnug: Sie hat’s genommen!
Dritter Auftritt
Alcest in Gedanken, im Morgenfrack. Der Wirt.
Wirt (verlegen und bittend).
Ich bin recht sehr bestürzt, dass ich erfahren muss! –
Ich sehe, gnäd’ger Herr! Sie sind noch voll Verdruss.
Doch bitt’ ich, vor der Hand es gütigst zu verschweigen;
Ich will das Meine tun. Ich hoff’, es wird sich zeigen.
Erfährt man’s in der Stadt, so freun die Neider sich,
Und ihre Bosheit schiebt wohl alle Schuld auf mich.
Es kann kein Fremder sein! Ein Hausdieb hat’s genommen!
Sei’n Sie nur nicht erzürnt, es wird schon wiederkommen.
Wie hoch beläuft sich’s denn?
Alcest.
Ein hundert Taler!
Wirt.
Ei!
Alcest.
Doch hundert Taler –
Wirt.
Pest! Sind keine Kinderei!
Alcest.
Und dennoch wollt’ ich sie vergessen und entbehren,
Wüsst’ ich, durch wen und wie sie weggekommen wären.
Wirt.
Ei, wär’ das Geld nur da, ich fragte gern nicht mehr,
Ob’s Michel oder Hans, und wann und wie es wär’.
Alcest (für sich).
Mein alter Diener! Nein! Der kann mich nicht berauben,
Und in dem Zimmer war – Nein, nein, ich mag’s nicht glauben.
Wirt.
Sie brechen sich den Kopf? Es ist vergebne Müh’!
Genug: Ich schaff’ das Geld.
Alcest.
Mein Geld?
Wirt.
Ja bitte Sie,
Dass niemand nichts erfährt! Wir kennen uns so lange,
Und gnug: Ich schaff’ Ihr Geld. Da sei’n Sie gar nicht bange!
Alcest.
Sie wissen also? –
Wirt.
Hm! Ich bring’s heraus, das Geld.
Alcest.
Ei, sagen Sie mir’s doch –
Wirt.
Nicht um die ganze Welt!
Alcest.
Wer nahm’s, ich bitte Sie!
Wirt.
Ich sag’, ich darf’s nicht sagen.
Alcest.
Doch jemand aus dem Haus?
Wirt.
Sie werden’s nicht erfragen.
Alcest.
Vielleicht die junge Magd?
Wirt.
Die gute Hanne! Nein!
Alcest.
Der Kellner hat’s doch nicht?
Wirt.
Der Kellner kann’s nicht sein.
Alcest.
Die Köchin ist gewandt –
Wirt.
Im Sieden und im Braten.
Alcest.
Der Küchenjunge Hans?
Wirt.
Es ist nun nicht zu raten!
Alcest.
Der Gärtner könnte wohl –
Wirt.
Nein, noch sind Sie nicht da!
Alcest.
Der Sohn des Gärtners?
Wirt.
Nein!
Alcest.
Vielleicht –
Wirt (halb für sich).
Der Haushund? – Ja.
Alcest (für sich).
Wart’ nur, du dummer Kerl, ich weiß dich schon zu kriegen!
(Laut.)
So hab’s denn, wer es will! Daran kann wenig liegen,
Wenn’s wiederkommt! (Tut, als ging’ er weg.)
Wirt.
Jawohl!
Alcest (als wenn ihm etwas einfiele).
Herr Wirt! Mein Tintenfass
Ist leer, und dieser Brief verlangt express –
Wirt.
Ei was!
Erst gestern kam er an, und heute schon zu schreiben –
Es muss was Wichtigs sein.
Alcest.
Er darf nicht liegen bleiben.
Wirt.
Es ist ein großes Glück, wenn man korrespondiert.
Alcest.
Nicht eben allemal! Die Zeit, die man verliert,
Ist mehr wert als der Spaß.
Wirt.
O das geht wie im Spiele:
Da kommt ein einz’ger Brief und tröstet uns für viele.
Verzeihn Sie, gnäd’ger Herr! Der gestrige enthält
Viel Wichtigs? Dürft’ ich wohl –?
Alcest.
Nicht um die ganze Welt!
Wirt.
Nichts aus Amerika?
Alcest.
Ich sag’, ich darf’s nicht sagen.
Wirt.
Ist Friedrich wieder krank?
Alcest.
Sie werden’s nicht erfragen.
Wirt.
Aus Hessen, bleibt’s dabei? Gehn wieder Leute –
Alcest.
Nein!
Wirt.
Der Kaiser hat was vor?
Alcest.
Ja, das kann möglich sein.
Wirt.
In Norden ist’s nicht just!
Alcest.
Ich wollte nicht drauf schwören.
Wirt.
Es gärt so heimlich nach.
Alcest.
Wir werden manches hören.
Wirt.
Kein Unglück irgendwo?
Alcest.
Nur zu! Bald sind Sie da!
Wirt.
Gab’s wohl beim letzten Frost –
Alcest.
Erfrorne Hasen? – Ja!
Wirt.
Sie scheinen gar nicht viel auf Ihren Knecht zu bauen.
Alcest.
Mein Herr, Misstrauischen pflegt man nicht zu vertrauen.
Wirt.
Und was verlangen Sie für ein Vertraun von mir?
Alcest.
Wer ist der Dieb? Mein Brief steht gleich zu Diensten hier;
Sehr billig ist der Tausch, wozu ich mich erbiete.
Nun wollen Sie den Brief?
Wirt (konfundiert und begierig).
Ach, allzu viele Güte!
(Für sich.)
Wär’s nur nicht eben das, was er von mir begehrt.
Alcest.
Sie sehen doch, ein Dienst ist wohl des andern wert,
Und ich verrate nichts, ich schwör’s bei meiner Ehre.
Wirt (für sich).
Wenn nur der Brief nicht gar zu appetitlich wäre!
Allein wie? Wenn Sophie – Eh nun! Das mag sie sehn!
Die Reizung ist zu groß, kein Mensch kann widerstehn!
Er wässert mir das Maul wie ein gebeizter Hase.
Alcest (für sich).
So stach kein Schinken je dem Windhund in die Nase.
Wirt (beschämt, nachgebend und noch zaudernd).
Sie wollen’s, gnäd’ger Herr, und Ihre Gütigkeit –
Alcest (für sich).
Jetzt beißt er an.
Wirt.
Zwingt mich auch zur Vertraulichkeit.
(Zweifelnd und halb bittend.)
Versprechen Sie, soll ich auch gleich den Brief bekommen?
Alcest (reicht den Brief hin).
Den Augenblick.
Wirt (der sich langsam dem Alcest, mit unverwandten Augen auf den Brief, nähert).
Der Dieb –
Alcest.
Der Dieb!
Wirt.
Der’s weggenommen,
Ist –
Alcest.
Nur heraus!
Wirt.
Ist mei –
Alcest.
Nun?
Wirt (mit einem herzhaften Tone, und fährt zugleich zu und reißt Alcesten den Brief aus der Hand).
Meine Tochter!
Alcest (erstaunt).
Wie?
Wirt (fährt hervor, reißt vor geschwindem Aufmachen das Kuvert in Stücken und fängt an zu lesen).
„Hochwohlgeborner Herr!“
Alcest (kriegt ihn bei der Schulter).
Sie wär’s? Nein, sagen Sie
Die Wahrheit!
Wirt (ungeduldig).
Ja, sie ist’s! O, er ist unerträglich!
(Er liest.)
„Insonders“
Alcest (wie oben).
Nein, Herr Wirt! Sophie! Das ist unmöglich!
Wirt (reißt sich los und fährt, ohne ihm zu antworten, fort).
„Hochzuverehrender“
Alcest (wie oben).
Sie hätte das getan!
Ich muss verstummen.
Wirt.
„Herr“ –
Alcest (wie oben).
So hören Sie mich an!
Wie ging die Sache zu?
Wirt.
Hernach will ich’s erzählen.
Alcest.
Ist’s denn gewiss?
Wirt.
Gewiss.
Alcest (im Abgehen zu sich).
Nun, denk’ ich, soll’s nicht fehlen.
Vierter Auftritt
Der Wirt (liest und spricht dazwischen).
„Und Gönner“ – Ist er fort? – „Die viele Gütigkeit,
Die mir so manchen Fehl verziehen hat, verzeiht
Mir, hoff’ ich, diesmal auch.“ – Was gibt’s denn zu verzeihen?
„Ich weiß es, gnäd’ger Herr, dass Sie sich mit mir freuen.“
Schon gut! – „Der Himmel hat mir heut ein Glück geschenkt,
Wobei mein dankbar Herz an Sie zum ersten denkt.
Er hat vom sechsten Sohn mein liebes Weib entbunden.“
Ich bin des Todes! – „Früh hat er sich eingefunden,
Der Knab" – Der Balg! Der! – O, ersäuft, erdrosselt ihn! –
„Und Ihre Nachsicht macht mich armen Mann so kühn“ –
Ach, ich ersticke fast! In meinen alten Tagen
Wart’ nur, das geht dir nicht so ungenossen aus,
Alcest! Ich will dich schon! Du sollst mir aus dem Haus!
Mich, einen guten Freund, so schändlich anzuführen!
Dürft’ ich ihn wieder nur, wie er’s verdient, traktieren!
Doch meine Tochter! O! Das Henkersding geht schief!
Und ich verrate sie um den Gevatternbrief!
(Er fasst sich in die Perücke.)
Verfluchter Ochsenkopf! Bist du so alt geworden!
Der Brief! Das Geld! Der Streich! Ich möchte mich ermorden!
Was fang’ ich an? Wohin? Wie räch’ ich diesen Streich?
(Er erwischt einen Stock und läuft auf dem Theater herum.)
Tret’ einer mir zu nah, ich schlag’ ihn lederweich!
Hätt’ ich sie jetzt nur hier, die mich sonst schikanieren,
Ich würd’ sie alle Herr! Wie wollt’ ich sie kurieren!
Ich sterbe, wenn ich nicht – Ich gäb’, ich weiß nicht, was,
Ich zehr’ mich selber auf – Und Rache muss ich haben!
(Er stößt auf einen Sessel und prügelt ihn aus.)
Ha! Bist du staubig! Komm! An dir will ich mich laben!
Fünfter Auftritt
Der Wirt schlägt immer fort. Söller kommt herein und erschrickt; er ist im Domino, die Maske auf den Arm gebunden, und hat ein halbes Räuschchen.
Söller.
Was gibt’s? Was? Ist er toll? Nun sei auf deiner Hut,
Das wär’ ein schön Emploi, des Sessels Substitut!
Was für ein böser Geist mag doch den Alten treiben?
Das beste wär’, ich ging’! Da ist nicht sicher bleiben,
Wirt (ohne Söllern zu sehn).
Ich kann nicht mehr! O weh! Es schmerzt mich Rück’ und Arm!
(Er wirft sich in den Sessel.)
Ich schwitz’ am ganzen Leib.
Söller (für sich).
Ja, ja, Motion macht warm.
(Er zeigt sich dem Wirt.)
Herr Vater!
Wirt.
Ah, Mosje! Er lebt die Nacht beim Sause,
Ich quäle mich zu Tod, und Er läuft aus dem Hause?
Da trägt der Fastnachtsnarr zum Tanz und Spiel sein Geld,
Und lacht, wenn hier im Haus der Teufel Fastnacht hält!
Söller.
So aufgebracht?
Wirt.
O wart’, ich will mich nicht mehr quälen.
Söller.
Was gab’s?
Wirt.
Alcest, Sophie! Soll ich’s Ihm noch erzählen?
Söller.
Nein, nein.
Wirt.
Wärt Ihr geholt, so hätt’ ich endlich Ruh’,
Und der verdammte Kerl mit seinem Brief dazu! (Ab.)
Sechster Auftritt
Söller (mit Karikatur von Angst).
Was gab’s? Weh dir! Vielleicht in wenig Augenblicken –
Gib deinen Schädel preis! Pariere nur deinen Rücken!
Vielleicht ist’s ’raus! O weh! O, wie mir Armen graust,
Es wird mir siedend heiß. So war’s dem Doktor Faust
Nicht halb zu Mut! Nicht halb war’s so Richard dem Dritten!
Höll’ da! Der Galgen da! Der Hahnrei in der Mitten!
(Er läuft wie unsinnig herum, endlich besinnt er sich.)
Ach, des gestohlnen Guts wird keiner jemals froh!
Geh, Memme, Bösewicht! Warum erschrickst du so?
Vielleicht ist’s nicht so schlimm. Ich will es schon erfahren.
(Er erblickt Alcesten und läuft fort.)
O weh! Er ist’s! Er ist’s! Er fasst mich bei den Haaren.
Siebenter Auftritt
Alcest (angekleidet, mit Hut und Degen).
Solch einen schweren Streit empfand dies Herz noch nie.
Das seltene Geschöpf, in dem die Phantasie
Des zärtlichen Alcests das Bild der Tugend ehrte,
Die ihn den höchsten Grad der süßten Liebe lehrte,
Ihm Gottheit, Mädchen, Freund, in allem alles war –
Jetzt so herabgesetzt! Es überläuft mich! Zwar
Ist sie so ziemlich weg, die Hoheit der Ideen,
Ich lass sie als ein Weib bei andern Weibern stehen;
Allein so tief! So tief! Das treibt zur Raserei.
Mein widerspenstig Herz steht ihr noch immer bei.
Wie klein! Kannst du denn das nicht über dich vermögen?
Ergreif das schöne Glück! Es kommt dir ja entgegen:
Ein unvergleichlich Weib, das du begierig liebst,
Braucht Geld. Geschwind, Alcest! Der Pfennig, den du gibst,
Trägt seinen Taler. Nun hat sie sich’s selbst genommen –
Schon gut! Sie mag mir noch einmal mit Tugend kommen!
Geh, fass dir nur ein Herz, sag’ ihr mit kaltem Blut:
„Bedürfen Sie vielleicht geringer Barschaft? Gut!
Verschweigen Sie mir’s nicht! Nur ohne Furcht bedienen
Sie sich des Meinigen. Was mein ist, ist auch Ihnen“ –
Sie kommt! Auf einmal weg ist die erlogne Ruh’!
Du glaubst, sie nahm das Geld, und traust ihr’s doch nicht zu.
Achter Auftritt
Alcest. Sophie.
Sophie.
Was machen Sie, Alcest! Sie scheinen mich zu fliehen –
Hat denn die Einsamkeit so viel, Sie anzuziehen?
Alcest.
Für diesmal weiß ich nicht, was mich besonders zog,
Und ohne viel Räson gibt’s manchen Monolog.
Sophie.
Zwar der Verlust ist groß und kann Sie billig schmerzen.
Alcest.
Ach! Es bedeutet nichts und liegt mir nicht am Herzen.
Wir haben’s ja; was ist denn nun das bisschen Geld!
Wer weiß, ob es nicht gar in gute Hände fällt.
Sophie.
Ja, Ihre Gütigkeit lässt uns nicht drunter leiden.
Alcest.
Mit etwas Offenheit war alles zu vermeiden.
Sophie.
Wie soll ich das verstehn?
Alcest (lächelnd).
Das?
Sophie.
Ja, wie passt das hier?
Alcest.
Sie kennen mich, Sophie, sei’n Sie vertraut mit mir!
Das Geld ist einmal fort! Wo’s liegt, da mag es liegen!
Hätt’ ich es eh’ gewusst, ich hätte stillgeschwiegen;
Da sich die Sache so verhält –
Sophie (erstaunt).
So wissen Sie?
Alcest (mit Zärtlichkeit; er ergreift ihre Hand und küsst sie).
Ihr Vater! – Ja, ich weiß’s, geliebteste Sophie!
Sophie (verwundert und beschämt).
Und Sie verzeihn?
Alcest.
Den Scherz, wer macht den zum Verbrechen?
Sophie.
Mich dünkt –
Alcest.
Erlaube mir, dass wir von Herzen sprechen.
Du weißt es, dass Alcest noch immer für dich brennt.
Das Glück entriss dich mir, und hat uns nicht getrennt:
Dein Herz ist immer mein, meins immer dein geblieben.
Mein Geld ist dein, so gut, als wär’ es dir verschrieben;
Du hast ein gleiches Recht auf all mein Gut wie ich.
Nimm, was du gerne magst, Sophie, nur liebe mich.
(Er umarmt sie; sie schweigt.)
Befiehl! Du findest mich zu allem gleich erbötig.
Sophie (stolz, indem sie sich von ihm losreißt).
Respekt vor Ihrem Geld! Allein ich hab’s nicht nötig.
Was ist das für ein Ton? Ich weiß nicht, fass’ ich’s recht?
Ha! Sie verkennen mich!
Alcest (pikiert).
O, Ihr ergebner Knecht
Kennt Sie nur gar zu wohl, und weiß auch, was er fodert,
Und sieht nicht ein, warum Ihr Zorn so heftig lodert.
Wer sich so weit vergeht –
Sophie (erstaunt).
Vergeht? Wie das?
Alcest.
Madam!
Sophie (aufgebracht).
Was soll das heißen, Herr?
Alcest.
Verzeihn Sie meiner Scham:
Ich liebe Sie zu sehr, um so was laut zu sagen.
Sophie (mit Zorn).
Alcest!
Alcest.
Belieben Sie nur, den Papa zu fragen.
Der sagte mir es –
Sophie (mit einem Ausbruche von Heftigkeit).
Was? Ich will es wissen, was?
Mein Herr, ich scherze nicht!
Alcest.
Er sagte, dass Sie das –
Sophie (wie oben).
Nun! Das!
Alcest.
Eh nun! Dass Sie – Dass Sie das Geld genommen.
Sophie (mit Wut und Tränen, indem sie sich wegwendet).
Er darf! O Gott! Ist es so weit mit ihm gekommen?
Alcest (bittend).
Sophie!
Sophie (weggewendet).
Sie sind nicht wert –
Alcest (wie oben).
Sophie!
Sophie.
Mir vom Gesicht!
Alcest.
Verzeihn Sie!
Sophie.
Weg von mir! Nein, ich verzeih’ es nicht!
Mein Vater scheut sich nicht, die Ehre mir zu rauben.
Und von Sophien? Wie? Alcest, Sie konnten’s glauben?
Ich hätt’ es nicht gesagt um alles Gut der Welt –
Allein es muss heraus! – Mein Vater hat das Geld. (Eilig ab.)
Neunter Auftritt
Alcest. Hernach Söller.
Alcest.
Nun wären wir gescheit! Das ist ein tolles Wesen!
Der Teufel mag das Ding nun auseinander lesen!
Zwei Menschen, beide gut und treu ihr Leben lang,
Verklagen sich – mir wird um meine Sinne bang.
Das ist das erste Mal, dass ich so was erfahre,
Und kenne sie nun doch die schönen langen Jahre.
Hier ist ein Fall, wo man beim Denken nichts gewinnt;
Man wird nur tiefer dumm, je tiefer dass man sinnt.
Sophie! Der alte Mann! Die sollten mich berauben?
Wär’ Söller angeklagt, das ließ’ sich eher glauben!
Fiel auf den Kauzen nur ein Fünkchen von Verdacht!
Doch er war auf dem Ball die liebe lange Nacht.
Söller (in gewöhnlicher Kleidung, mit einer Weinlaune).
Da sitzt der Teufelskerl und ruhet aus vom Schmausen;
Könnt’ ich ihm nur an Hals, wie wollt’ ich ihn zerzausen!
Alcest (für sich).
Da kommt er, wie bestellt!
(Laut.)
Wie steht’s, Herr Söller?
Söller.
Dumm!
Es geht mir die Musik noch so im Kopf herum.
(Er reibt die Stirn.)
Er tut mir gräulich weh.
Alcest.
Sie waren auf dem Balle;
Viel Damen da?
Söller.
Wie sonst! Die Maus läuft zu der Falle,
Weil Speck dran ist.
Alcest.
Ging’s brav?
Söller.
Gar sehr!
Alcest.
Was tanzten Sie?
Söller.
Ich hab’ nur zugesehn.
(Für sich.)
Dem Tanz von heute früh.
Alcest.
Herr Söller nicht getanzt? Woher ist das gekommen?
Söller.
Ich hatte mir es doch recht ernstlich vorgenommen.
Alcest.
Und ging es nicht?
Söller.
Eh! Nein! Im Kopfe drückt’ es mich
Gewaltig, und da war’s mir gar nicht tanzerlich.
Alcest.
Ei!
Söller.
Und das schlimmste war, ich konnte gar nicht wehren:
Je mehr ich hört’ und sah, verging mir Sehn und Hören.
Alcest.
So arg? Das ist mir leid! Das Übel kommt geschwind.
Söller.
O nein, ich spür’ es schon, seitdem Sie bei uns sind,
Und länger.
Alcest.
Sonderbar!
Söller.
Und ist nicht zu vertreiben.
Alcest.
Ei, lass’ Er sich den Kopf mit warmen Tüchern reiben.
Vielleicht verzieht es sich.
Söller (für sich).
Ich glaub’, er spottet noch!
(Laut.)
Ja, das geht nicht so leicht.
Alcest.
Am Ende gibt sich’s doch.
Und es geschieht Ihm recht. Es wird noch besser kommen!
Er hat die arme Frau nicht einmal mitgenommen,
Wenn Er zum Balle ging. Herr, das ist gar nicht fein,
Er lässt die junge Frau zur Winterzeit allein.
Söller.
Ach! Sie bleibt gern zu Haus und lässt ich immer schwärmen;
Denn sie versteht die Kunst, sich ohne mich zu wärmen.
Alcest.
Das wäre doch kurios!
Söller.
O ja, wer’s Naschen liebt,
Der merkt sich ohne Wink, wo’s was zum besten gibt.
Alcest (pikiert).
Wie so verblümt?
Söller.
Es ist ganz deutlich, was ich meine.
Exempli gratia: Des alten Vaters Weine
Trink’ ich recht gern; allein er rückt nicht gern heraus,
Er schont das Seinige; da trink’ ich außerm Haus.
Alcest (mit Ahndung).
Mein Herr, bedenken Sie!
Söller (mit Hohn).
Herr! Freund von Frauenzimmern,
Sie ist nun meine Frau; was kann Sie das bekümmern?
Und wenn sie auch ihr Mann für sonst was anders hält.
Alcest (mit zurückgehaltenem Zorne).
Was Mann! Mann oder nicht! Ich trotz’ der ganzen Welt;
Und unterstehn Sie sich noch einmal, was zu sagen –
Söller (erschrickt; für sich).
O, schön! Ich soll ihn noch wohl gar am Ende fragen,
Wie tugendhaft sie ist?
(Laut.)
Mein Herd ist doch mein Herd!
Trotz jedem fremden Koch!
Alcest.
Er ist die Frau nicht wert!
So schön, so tugendhaft! So vielen Reiz der Seele!
So viel Ihm zugebracht! Nichts, was dem Engel fehle!
Söller.
Sie hat, ich hab’s bemerkt, besondern Reiz im Blut,
Und auch der Kopfschmuck war ein zugebrachtes Gut.
Ich war prädestiniert zu einem solchen Weibe
Und ohne Frage schon gekrönt in Mutterleibe.
Alcest (herausbrechend).
Herr Söller!
Söller (keck).
Soll er was?
Alcest (zurückhaltend).
Ich sag’ Ihm, sei Er still!
Söller.
Ich will doch sehn, wer mir das Maul verbieten will!
Alcest.
Hätt’ ich Ihn anderswo, ich wies’ Ihm, wer es wäre!
Söller (halblaut).
Er schlüge sich wohl gar um meiner Frauen Ehre.
Alcest.
Gewiss!
Söller (wie erst).
Es weiß kein Mensch so gut, wie weit sie geht.
Alcest.
Verflucht!
Söller.
O, Herr Alcest! Wir wissen ja, wie’s steht.
Nur still! Ein bisschen still! Wir wollen uns vergleichen.
Und da versteht sich schon, die Herren Ihresgleichen,
Die schneiden meist für sich das ganze Kornfeld um
Und lassen dann dem Mann das Spizilegium.
Alcest.
Mein Herr, ich wundre mich, dass Sie sich unterfangen –
Söller.
O, mir sind auch gar oft die Augen übergangen,
Und täglich ist mir’s noch, als röch’ ich Zwiebeln.
Alcest (zornig und entschlossen).
Wie?
Mein Herr, nun geht’s zu weit! Heraus! Was wollen Sie?
Man wird Ihm, seh’ ich wohl, die Zunge lösen müssen.
Söller (herzhaft).
Eh, Herre, was man sieht, das, dächt’ ich, kann man wissen.
Alcest.
Wie! ‚Sieht’? Wie nehmen Sie das Sehen?
Söller.
Wie man’s nimmt,
Vom Hören und vom Sehn.
Alcest.
Ha!
Söller.
Nur nicht so ergrimmt!
Alcest (mit dem entschlossensten Zorne).
Was haben Sie gehört? Was haben Sie gesehen?
Söller (erschrocken, will sich wegbegeben).
Erlauben Sie, mein Herr!
Alcest.
Wohin?
Söller.
Beiseit’ zu gehen.
Alcest.
Sie kommen hier nicht los!
Söller (für sich).
Ob ihn ein Teufel plagt!
Alcest.
Was hörten Sie?
Söller.
Ich? Nichts! Man hat mir’s nur gesagt!
Alcest (dringend zornig).
Wer war der Mann?
Söller.
Der Mann! Das war ein Mann –
Alcest (heftiger und auf ihn losgehend).
Geschwinde!
Söller (in Angst).
Der’s selbst mit Augen sah.
(Herzhafter.)
Ich rufe das Gesinde!
Alcest (kriegt ihn beim Kragen).
Wer war’s?
Söller (will sich losreißen).
Was? Hölle!
Alcest (hält ihn fester).
Wer? Sie übertreiben mich!
(Er zieht den Degen.)
Wer ist der Bösewicht? Der Schelm? Der Lügner?
Söller (fällt vor Angst auf die Knie).
Ich!
Alcest (drohend).
Was haben Sie gesehn?
Söller (furchtsam).
Ei nun, das sieht man immer:
Der Herr, das ist ein Herr, Sophie ein Frauenzimmer.
Alcest (wie oben).
Und weiter?
Söller.
Nun, da geht’s denn so den Lauf der Welt,
Wie’s geht, wenn sie dem Herrn und ihr der Herr gefällt.
Alcest.
Das heißt? –
Söller.
Ich dächte doch, Sie wüssten’s ohne Fragen.
Alcest.
Nun?
Söller.
Man hat nicht das Herz, so etwas zu versagen.
Alcest.
So etwas? Deutlicher!
Söller.
O, lassen Sie mir Ruh’!
Alcest (immer wie oben).
Es heißt? Beim Teufel!
Söller.
Nun, es heißt ein Rendezvous.
Alcest (erschrocken).
Er lügt!
Söller (für sich).
Er ist erschreckt.
Alcest (für sich).
Wie hat er das erfahren?
(Er steckt den Degen ein.)
Söller (für sich).
Courage!
Alcest (für sich).
Wer verriet, dass wir beisammen waren?
(Erholt.)
Was meinen Sie damit?
Söller (trotzig).
O, wir verstehn uns schon.
Das Lustspiel heute Nacht! Ich stand nicht weit davon.
Alcest (erstaunt).
Und wo?
Söller.
Im Kabinett!
Alcest.
So war Er auf dem Balle!
Söller.
Wer war denn auf dem Schmaus? Nur still und ohne Galle
Zwei Wörtchen: Was man noch so heimlich treiben mag,
Ihr Herren, merkt’s euch wohl, es kommt zuletzt an Tag.
Alcest.
Es kommt wohl noch heraus, dass Er der Dieb ist. Raben
Und Dohlen wollt’ ich eh’ in meinem Hause haben
Als Ihn. Pfui! Schlechter Mensch!
Söller.
Ja, ja, ich bin wohl schlecht;
Allein, ihr großen Herrn, ihr habt wohl immer recht!
Ihr wollt mit unserm Gut nur nach Belieben schalten,
Ihr haltet kein Gesetz – und andre sollen’s halten?
Das ist sehr einerlei: Gelust nach Fleisch, nach Gold.
Seid erst nicht hängenswert, wenn ihr uns hängen wollt.
Alcest.
Er untersteht sich noch –
Söller.
Ich darf mich unterstehen:
Gewiss, es ist kein Spaß, gehörnt herumzugehen.
In summa, nehmen Sie’s nur nicht so gar genau:
Ich stahl dem Herrn Sein Geld und Er mir meine Frau.
Alcest (drohend).
Was stahl ich?
Söller.
Nichts, mein Herr! Es war schon längst Ihr eigen,
Noch eh’ ich’s mein geglaubt.
Alcest.
Soll –
Söller.
Da muss ich wohl schweigen.
Alcest.
An Galgen mit dem Dieb!
Söller.
Erinnern Sie sich nicht,
Dass auch ein scharf Gesetz von andern Leuten spricht?
Alcest.
Herr Söller!
Söller (macht das Zeichen des Köpfens).
Ja, man hilft euch Näschern auch vom Brode.
Alcest.
Ist Er ein Praktikus, und hält das Zeug für Mode?
Gehangen wird Er noch, zum wenigsten gestäupt.
Söller (zeigt auf die Stirn).
Gebrandmarkt bin ich schon.
Letzter Auftritt
Vorige. Der Wirt. Sophie.
Sophie (im Fond).
Mein harter Vater bleibt
Auf dem verhassten Ton.
Wirt (im Fond).
Das Mädchen will nicht weichen.
Sophie.
Da ist Alcest.
Wirt (erblickt Alcesten).
Mein Herr, sie ist der Dieb!
Sophie (auf der andern Seite).
Er ist der Dieb, mein Herr!
Alcest (sieht sie beide lachend an, dann sagt er in einem Tone wie sie, auf Söllern deutend).
Er ist der Dieb!
Söller (für sich).
Nun, Haut, nun halte fest!
Sophie.
Er?
Wirt.
Er?
Alcest.
Sie haben’s beide nicht; er hat’s!
Wirt.
Schlagt einen Nagel
Ihm durch den Kopf, aufs Rad!
Sophie.
Du?
Söller (für sich).
Wolkenbruch und Hagel!
Wirt.
Ich möchte dich –
Alcest.
Mein Herr! Ich bitte nur Geduld!
Sophie war im Verdacht, doch nicht mit ihrer Schuld.
Sie kam, besuchte mich. Der Schritt war wohl verwegen;
Doch ihre Tugend darf’s –
(Zu Söller.)
Sie waren ja zugegen!
(Sophie erstaunt.)
Wir wussten nichts davon, vertraulich schwieg die Nacht,
Die Tugend –
Söller.
Ja, sie hat mir ziemlich warm gemacht.
Alcest (zum Wirt).
Doch Sie?
Wirt.
Aus Neugier war ich auch hinaufgekommen.
Von dem verwünschten Brief war ich so eingenommen,
Doch Ihnen, Herr Alcest, hätt’ ich’s nicht zugetraut!
Den Herrn Gevatter hab’ ich noch nicht recht verdaut.
Alcest.
Verzeihn Sie diesen Scherz! Und Sie, Sophie, vergeben
Mir auch gewiss?
Sophie.
Alcest!
Alcest.
Ich zweifl’ in meinem Leben
An Ihrer Tugend nie. Verzeihn Sie jenen Schritt!
So groß wie tugendhaft –
Söller.
Fast glaub ich’s selbster mit.
Alcest (zu Sophien).
Und Sie verzeihen doch auch unserm Söller?
Sophie (sie gibt ihm die Hand).
Gerne!
Alcest (zum Wirt).
Allons denn!
Wirt (gibt Söllern die Hand).
Stiehl nicht mehr!
Söller.
Die Länge bringt die Ferne!
Alcest.
Allein, was macht mein Geld?
Söller.
O, Herr, es war aus Not!
Der Spieler peinigte mich Armen fast zu Tod.
Ich wusste keinen Rat, ich stahl und zahlte Schulden –
Hier ist das übrige, ich weiß nicht, wie viel Gulden.
Alcest.
Was fort ist, schenk’ ich Ihm.
Söller.
Für diesmal wär’s vorbei!
Alcest.
Allein ich hoff’, Er wird fein höflich, still und treu!
Und untersteht Er sich, noch einmal anzufangen,
So –
(Er macht ihm das Zeichen des Hängens.)
Söller.
Diesmal blieben wir wohl alle ungehangen.