Johann Wolfgang Goethe
Zur
Farben-
lehre
entstanden ab 1791, veröffentlicht 1808/10
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f a r b e n l e h r e
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Anzeige und Übersicht des Goethischen Werkes zur Farbenlehre
Entwurf einer Farbenlehre. Didaktischer Teil
Erste Abteilung – Physiologische Farben
I. Licht und Finsternis zum Auge
II. Schwarze und weiße Bilder zum Auge
Zweite Abteilung – Physische Farben
X. Dioptrische Farben der ersten Klasse
XI. Dioptrische Farben der zweiten Klasse, Refraktion
XII. Refraktion ohne Farbenerscheinung
XIII. Bedingungen der Farbenerscheinung
XIV. Bedingungen unter welchen die Farbenerscheinung zunimmt
XV. Ableitung der angezeigten Phänomene
XVI. Abnahme der farbigen Erscheinung
XVII. Graue Bilder durch Brechung verrückt
XVIII. Farbige Bilder durch Brechung verrückt
XIX. Achromasie und Hyperchromasie
XX. Vorzüge der subjektiven Versuche
XXI. Refraktion ohne Farbenerscheinung
XXII. Bedingungen der Farbenerscheinung
XXIII. Bedingungen des Zunehmens der Erscheinung
XXIV. Ableitung der angezeigten Phänomene
XXV. Abnahme der farbigen Erscheinung
XXVIII. Achromasie und Hyperchromasie
XXIX. Verbindung objektiver und subjektiver Versuche
Dritte Abteilung – Chemische Farben
XXXVI. Ableitung des Schwarzen
LV. Physische und chemische Wirkungen farbiger Beleuchtung
LVI. Chemische Wirkung bei der dioptrischen Achromasie
Vierte Abteilung – Allgemeine Ansichten nach Innen
Vollständigkeit der mannigfaltigen Erscheinung
Übereinstimmung der vollständigen Erscheinung
Wie leicht die Farbe von einer Seite auf die andre zu wenden
Fünfte Abteilung – Nachbarliche Verhältnisse
Verhältnis zur Technik des Färbers
Verhältnis zur Physiologie und Pathologie
Verhältnis zur Naturgeschichte
Verhältnis zur allgemeinen Physik
Schlußbetrachtung über Sprache und Terminologie
Sechste Abteilung – Sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe
Charakteristische Zusammenstellungen
Charakterlose Zusammenstellungen
Bezug der Zusammenstellungen zu Hell und Dunkel
Allegorischer, symbolischer, mystischer Gebrauch der Farbe
Materialien zur Geschichte der Farbenlehre
Theophrast oder vielmehr Aristoteles von den Farben
I. Von den einfachen Farben, weiß, gelb und schwarz
II. Von den mittlern oder gemischten Farben
III. Von der Unbestimmbarkeit der Farben
V. Von Veränderungen der Farben, an den Pflanzen, durch organische Kochung
VI. Von den Farben der Haare, Federn und Häute
Farbenbenennungen der Griechen und Römer
Hypothetische Geschichte des Kolorits besonders griechischer Maler
Betrachtungen über Farbenlehre und Farbenbehandlung der Alten
Dritte Abteilung: Zwischenzeit
Vierte Abteilung: Sechzehntes Jahrhundert
Antonii Thylesii de Coloribus Libellus
Fünfte Abteilung: Siebzehntes Jahrhundert
Warum der Himmel blau erscheint
Im 23. Kapitel: Alle einfachen Körper seien durchsichtig.
24. Kapitel: Die Farben seien kein Licht, und woher sie entspringen
25. Kapitel: Die Materie der Farben rühre von der Eigenschaft des Schwefels her
26. Kapitel: Die Ordnung der Farben
27. Kapitel: Wie die apparenten Farben erzeugt werden
Des ersten Teils fünftes Kapitel
Betrachtungen über vorstehende Abhandlung
Übergang zur Geschichte des Kolorits
Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst
Sechste Abteilung (I): Achtzehntes Jahrhundert
Ungewisse Anfänge der Sozietät
Naturwissenschaften in England
Mängel, die in der Umgebung und in der Zeit liegen
Brief an den Sekretär der Londner Sozietät
Newtons Verhältnis zur Sozietät
Erste Gegner Newtons, denen er selbst antwortete
Erste Schüler und Bekenner Newtons
Bernard le Bovier de Fontenelle
Fontenelles Lobrede auf Newton
Jean-Jacques d’Ortous de Mairan
Beispiele von Voltaires Vorurteilen für Newton
Deutsche große und tätige Welt
Sechste Abteilung (II): Achtzehntes Jahrhundert
Erfahrungen, die den Verfasser auf seine Theorie geleitet
Versuche des Dr. Blair über die chromatische Kraft verschiedener Flüssigkeiten und Auflösungen
Anzeige und Übersicht des Goethischen Werkes zur Farbenlehre
Ein Heft mit XVI illuminierten Kupfertafeln und deren Erklärung
Einem jeden Autor ist vergönnt, entweder in einer Vorrede oder in einer Rekapitulation, von seiner Arbeit, besonders wenn sie einigermaßen weitläuftig ist, Rechenschaft zu geben. Auch hat man es in der neuern Zeit nicht ungemäß gefunden, wenn der Verleger dasjenige, was der Aufnahme einer Schrift günstig sein könnte, gegen das Publikum in Gestalt einer Ankündigung äußerte. Nachstehendes dürfte wohl in diesem doppelten Sinne gelten.
Dieses, Ihro Durchlaucht der regierenden Herzogin von Weimar gewidmete Werk beginnt mit einer Einleitung, in der zuvörderst die Absicht im allgemeinen dargelegt wird. Sie geht kürzlich dahin, die chromatischen Erscheinungen in Verbindung mit allen übrigen physischen Phänomenen zu betrachten, sie besonders mit dem, was uns der Magnet, der Turmalin gelehrt, was Elektrizität, Galvanismus, chemischer Prozeß uns offenbart, in eine Reihe zu stellen, und so durch Terminologie und Methode eine vollkommnere Einheit des physischen Wissens vorzubereiten. Es soll gezeigt werden, daß bei den Farben, wie bei den übrigen genannten Naturerscheinungen, ein Hüben und Drüben, eine Verteilung, eine Vereinigung, ein Gegensatz, eine Indifferenz, kurz, eine Polarität statt habe, und zwar in einem hohen, mannigfaltigen, entschiedenen, belehrenden und fördernden Sinne. Um unmittelbar zur Sache zu gehen, so werden Licht und Auge als bekannt und anerkannt angenommen.
Das Werk teilt sich in drei Teile, den didaktischen, polemischen und historischen, deren Veranlassung und Zusammenhang mit wenigem angezeigt wird.
Didaktischer Teil
Seit Wiederherstellung der Wissenschaften ergeht an einzelne Forscher und ganze Sozietäten immer die Forderung: man solle sich treu an die Phänomene halten und eine Sammlung derselben naturgemäß aufstellen. Die theoretische und praktische Ungeduld des Menschen aber hindert gar oft die Erreichung eines so löblichen Zwecks. Andere Fächer der Naturwissenschaft sind glücklicher gewesen als die Farbenlehre. Der einigemal wiederholte Versuch, die Phänomene zusammenzustellen, hat aus mehreren Ursachen nicht recht glücken wollen. Was wir in unserm Entwurf zu leisten gesucht, ist folgendes.
Daß die Farben auf mancherlei Art und unter ganz verschiedenen Bedingungen erscheinen, ist jedermann auffallend und bekannt. Wir haben die Erfahrungsfälle zu sichten uns bemüht, sie, insofern es möglich war, zu Versuchen erhoben und unter drei Hauptrubriken geordnet. Wir betrachten demnach die Farben, unter mehreren Abteilungen, von der physiologischen, physischen und chemischen Seite.
Die erste Abteilung umfaßt die physiologischen, welche dem Organ des Auges vorzüglich angehören und durch dessen Wirkung und Gegenwirkung hervorgebracht werden. Man kann sie daher auch die subjektiven nennen. Sie sind unaufhaltsam flüchtig, schnell verschwindend. Unsere Vorfahren schrieben sie dem Zufall, der Phantasie, ja einer Krankheit des Auges zu und benannten sie darnach. Hier kommt zuerst das Verhältnis des großen Gegensatzes von Licht und Finsternis zum Auge in Betrachtung; sodann die Wirkung heller und dunkler Bilder aufs Auge. Dabei zeigt sich denn das erste, den Alten schon bekannte Grundgesetz, durch das Finstere werde das Auge gesammlet, zusammengezogen, durch das Helle hingegen entbunden, ausgedehnt. Das farbige Abklingen blendender farbloser Bilder wird sodann mit seinem Gegensatze vorgetragen; hierauf die Wirkung farbiger Bilder, welche gleichfalls ihren Gegensatz hervorrufen, gezeigt, und dabei die Harmonie und Totalität der Farbenerscheinung, als der Angel, auf dem die ganze Lehre sich bewegt, ein für allemal ausgesprochen. Die farbigen Schatten, als merkwürdige Fälle einer solchen wechselseitigen Forderung, schließen sich an; und durch schwachwirkende gemäßigte Lichter wird der Übergang zu den subjektiven Höfen gefunden. Ein Anhang sondert die nah verwandten pathologischen Farben von den physiologischen; wobei der merkwürdige Fall besonders zur Sprache kommt, daß einige Menschen gewisse Farben voneinander nicht unterscheiden können.
Die zweite Abteilung macht uns nunmehr mit den physischen Farben bekannt. Wir nannten diejenigen so, zu deren Hervorbringung gewisse materielle, aber farblose Mittel nötig sind, die sowohl durchsichtig und durchscheinend als undurchsichtig sein können. Diese Farben zeigen sich nun schon objektiv wie subjektiv, indem wir sie sowohl außer uns hervorbringen und für Gegenstände ansprechen, als auch dem Auge zugehörig und in demselben hervorgebracht annehmen. Sie müssen als vorübergehend, nicht festzuhaltend angesehen werden und heißen deswegen apparente, flüchtige, falsche, wechselnde Farben. Sie schließen sich unmittelbar an die physiologischen an und scheinen nur um einen geringen Grad mehr Realität zu haben.
Hier werden nun die dioptrischen Farben, in zwei Klassen geteilt, aufgeführt. Die erste enthält jene höchst wichtigen Phänomene, wenn das Licht durch trübe Mittel fällt oder wenn das Auge durch solche hindurchsieht. Diese weisen uns auf eine der großen Naturmaximen hin, auf ein Urphänomen, woraus eine Menge von Farbenerscheinungen, besonders die atmosphärischen, abzuleiten sind. In der zweiten Klasse werden die Refraktionsfälle erst subjektiv, dann objektiv durchgeführt und dabei unwidersprechlich gezeigt: daß kein farbloses Licht, von welcher Art es auch sei, durch Refraktion eine Farbenerscheinung hervorbringe, wenn dasselbe nicht begrenzt, nicht in ein Bild verwandelt worden. So bringt die Sonne das prismatische Farbenbild nur insofern hervor, als sie selbst ein begrenztes leuchtendes und wirksames Bild ist. Jede weiße Scheibe auf schwarzem Grund leistet subjektiv dieselbe Wirkung.
Hierauf wendet man sich zu den paroptischen Farben. So heißen diejenigen, welche entstehen, wenn das Licht an einem undurchsichtigen farblosen Körper herstrahlt; sie wurden bisher einer Beugung desselben zugeschrieben. Auch in diesem Falle finden wir, wie bei den vorhergehenden, eine Randerscheinung und sind nicht abgeneigt, hier gleichfalls farbige Schatten und Doppelbilder zu erblicken. Doch bleibt dieses Kapitel weiterer Untersuchung ausgesetzt.
Die epoptischen Farben dagegen sind ausführlicher und befriedigender behandelt. Es sind solche, die auf der Oberfläche eines farblosen Körpers durch verschiedenen Anlaß erregt, ohne Mitteilung von außen, für sich selbst entspringen. Sie werden von ihrer leisesten Erscheinung bis zu ihrer hartnäckigsten Dauer verfolgt, und so gelangen wir zu
Der dritten Abteilung, welche die chemischen Farben enthält. Der chemische Gegensatz wird unter der älteren Formel von Acidum und Alkali ausgesprochen, und der dadurch entspringende chromatische Gegensatz an Körpern eingeleitet. Auf die Entstehung des Weißen und Schwarzen wird hingedeutet; dann von Erregung der Farbe, Steigerung und Kulmination derselben, dann von ihrem Hin- und Widerschwanken, nicht weniger von dem Durchwandern des ganzen Farbenkreises gesprochen; ihre Umkehrung und endliche Fixation, ihre Mischung und Mitteilung, sowohl die wirkliche als scheinbare, betrachtet, und mit ihrer Entziehung geschlossen. Nach einem kurzen Bedenken über Farbennomenklatur wird angedeutet, wie aus diesen gegebenen Ansichten sowohl unorganische als organische Naturkörper zu betrachten und nach ihren Farbeäußerungen zu beurteilen sein möchten. Physische und chemische Wirkung farbiger Beleuchtung, ingleichen die chemische Wirkung bei der dioptrischen Achromasie, zwei höchst wichtige Kapitel, machen den Beschluß. Die chemischen Farben können wir uns nun objektiv als den Gegenständen angehörig denken. Sie heißen sonst Colores proprii, materiales, veri, permanentes, und verdienen wohl diesen Namen, denn sie sind bis zur spätesten Dauer festzuhalten.
Nachdem wir dergestalt zum Behuf unsers didaktischen Vortrages die Erscheinungen möglichst auseinander gehalten, gelang es uns doch durch eine solche naturgemäße Ordnung, sie zugleich in einer stetigen Reihe darzustellen, die flüchtigen mit den verweilenden, und diese wieder mit den dauernden zu verknüpfen und so die erst sorgfältig gezogenen Abteilungen für ein höheres Anschaun wieder aufzuheben.
In einer vierten Abteilung haben wir, was bis dahin von den Farben unter mannigfaltigen besondern Bedingungen bemerkt worden, im allgemeinen ausgesprochen und dadurch eigentlich den Abriß einer künftigen Farbenlehre entworfen.
In der fünften Abteilung werden die nachbarlichen Verhältnisse dargestellt, in welchen unsere Farbenlehre mit dem übrigen Wissen, Tun und Treiben zu stehen wünschte. Den Philosophen, den Arzt, den Physiker, den Chemiker, den Mathematiker, den Techniker laden wir ein, an unserer Arbeit teilzunehmen und unser Bemühen, die Farbenlehre dem Kreis der übrigen Naturerscheinungen einzuverleiben, von ihrer Seite zu begünstigen.
Die sechste Abteilung ist der sinnlich-sittlichen Wirkung der Farbe gewidmet, woraus zuletzt die ästhetische hervorgeht. Hier treffen wir auf den Maler, dem zuliebe eigentlich wir uns in dieses Feld gewagt, und so schließt sich das Farbenreich in sich selbst ab, indem wir wieder auf die physiologischen Farben und auf die naturgemäße Harmonie der sich einander fordernden, der sich gegenseitig entsprechenden Farben gewiesen werden.
Polemischer Teil
Die Naturforscher der ältern und mittlern Zeit hatten, ungeachtet ihrer beschränkten Erfahrung, doch einen freien Blick über die mannigfaltigen Farbenphänomene und waren auf dem Wege, eine vollständige und zulängliche Sammlung derselben aufzustellen. Die seit einem Jahrhundert herrschende Newtonische Theorie hingegen gründete sich auf einen beschränkten Fall und bevorteilte alle die übrigen Erscheinungen um ihre Rechte, in welche wir sie durch unsern Entwurf wiedereinzusetzen getrachtet. Dieses war nötig, wenn wir die hypothetische Verzerrung so vieler herrlichen und erfreulichen Naturphänomene wieder ins gleiche bringen wollten. Wir konnten nunmehr mit desto größerer Sicherheit an die Kontrovers gehn, welche wir, ob sie gleich auf verschiedene Weise hätte eingeleitet werden können, nach Maßgabe der Newtonischen Optik führen, indem wir diese Schritt vor Schritt polemisch verfolgen und das Irrtumsgespinst, das sie enthält, zu entwirren und aufzulösen suchen.
Wir halten es rätlich, mit wenigem anzugeben, wie sich unsere Ansicht, besonders des beschränkten Refraktions-Falles, von derjenigen unterscheide, welche Newton gefaßt und die sich durch ihn über die gelehrte und ungelehrte Welt verbreitet hat.
Newton behauptet, in dem weißen farblosen Lichte überall, besonders aber in dem Sonnenlicht, seien mehrere verschiedenfarbige Lichter wirklich enthalten, deren Zusammensetzung das weiße Licht hervorbringe. Damit nun diese bunten Lichter zum Vorschein kommen sollen, setzt er dem weißen Licht gar mancherlei Bedingungen entgegen: vorzüglich brechende Mittel, welche das Licht von seiner Bahn ablenken; aber diese nicht in einfacher Vorrichtung. Er gibt den brechenden Mitteln allerlei Formen, den Raum, in dem er operiert, richtet er auf mannigfaltige Weise ein; er beschränkt das Licht durch kleine Öffnungen, durch winzige Spalten, und nachdem er es auf hunderterlei Art in die Enge gebracht, behauptet er: alle diese Bedingungen hätten keinen andern Einfluß, als die Eigenschaften, die Fertigkeiten des Lichts rege zu machen, so daß sein Inneres aufgeschlossen und sein Inhalt offenbart werde.
Die Lehre dagegen, die wir mit Überzeugung aufstellen, beginnt zwar auch mit dem farblosen Lichte, sie bedient sich auch äußerer Bedingungen, um farbige Erscheinungen hervorzubringen; sie gesteht aber diesen Bedingungen Wert und Würde zu. Sie maßt sich nicht an, Farben aus dem Licht zu entwickeln, sie sucht vielmehr durch unzählige Fälle darzutun, daß die Farbe zugleich von dem Lichte und von dem, was sich ihm entgegenstellt, hervorgebracht werde.
Also, um bei dem Refraktionsfalle zu verweilen, auf welchem sich die Newtonische Theorie doch eigentlich gründet, so ist es keineswegs die Brechung allein, welche die Farbenerscheinung verursacht; vielmehr bleibt eine zweite Bedingung unerläßlich, daß nämlich die Brechung auf ein Bild wirke und ein solches von der Stelle wegrücke. Ein Bild entsteht nur durch Grenzen; und diese Grenzen übersieht Newton ganz, ja er leugnet ihren Einfluß. Wir aber schreiben dem Bilde sowohl als seiner Umgebung, der Fläche sowohl als der Grenze, der Tätigkeit sowohl als der Schranke, vollkommen gleichen Einfluß zu. Es ist nichts anders als eine Randerscheinung, und keines Bildes Mitte wird farbig, als insofern die farbigen Ränder sich berühren oder übergreifen. Alle Versuche stimmen uns bei. Je mehr wir sie vermannigfaltigen, desto mehr wird ausgesprochen, was wir behaupten, desto planer und klarer wird die Sache, desto leichter wird es uns, mit diesem Faden an der Hand, auch durch die polemischen Labyrinthe mit Heiterkeit und Bequemlichkeit hindurchzukommen. Ja wir wünschen nichts mehr, als daß der Menschenverstand, von den wahren Naturverhältnissen, auf die wir immer dringend zurückkehren, geschwind überzeugt, unsern polemischen Teil, an welchem freilich noch manches nachzuholen und schärfer zu bestimmen wäre, bald für überflüssig erklären möge.
Historischer Teil
War es uns in dem didaktischen Entwurfe schwer geworden, die Farbenlehre oder Chromatik, in der es übrigens wenig oder nichts zu messen gibt, von der Lehre des natürlichen und künstlichen Sehens, der eigentlichen Optik, worin die Meßkunst großen Beistand leistet, möglichst zu trennen und sie für sich zu betrachten, so begegnen wir dieser Schwierigkeit abermals in dem historischen Teile, da alles, was uns aus älterer und neuerer Zeit über die Farben berichtet worden, sich durch die ganze Naturlehre und besonders durch die Optik gleichsam nur gelegentlich durchschmiegt und für sich beinahe niemals Masse bildet. Was wir daher auch sammelten und zusammenstellten, blieb allzusehr Bruchwerk, als daß es leicht hätte zu einer Geschichte verarbeitet werden können, wozu uns überhaupt in der letzten Zeit die Ruhe nicht gegönnt war. Wir entschlossen uns daher, das Gesammelte als Materialien hinzulegen und sie nur durch Stellung und durch Zwischenbetrachtungen einigermaßen zu verknüpfen.
In diesem dritten Teile also macht uns, nach einem kurzen Überblick der Urzeit, die erste Abteilung mit dem bekannt, was die Griechen, von Pythagoras an bis Aristoteles, über Farben geäußert, welches auszugsweise übersetzt gegeben wird; sodann aber Theophrasts Büchlein von den Farben in vollständiger Übersetzung. Dieser ist eine kurze Abhandlung über die Versatilität der griechischen und lateinischen Farbenbenennungen beigefügt.
Die zweite Abteilung läßt uns einiges von den Römern erfahren. Die Hauptstelle des Lucretius ist nach Herrn von Knebels Übersetzung mitgeteilt, und anstatt uns bei dem Texte des Plinius aufzuhalten, liefern wir eine Geschichte des Kolorits der alten Maler, verfaßt von Herrn Hofrat Meyer. Sie wird hypothetisch genannt, weil sie nicht sowohl auf Denkmäler als auf die Natur des Menschen und den Kunstgang, den derselbe bei freier Entwicklung nehmen muß, gegründet ist. Betrachtungen über Farbenlehre und Farbenbehandlungen der Alten folgen hierauf, welche zeigen, daß diese mit dem Fundament und den bedeutendsten Erscheinungen der Farbenlehre bekannt und auf einem Wege gewesen, welcher, von den Nachfolgern betreten, früher zum Ziele geführt hätte. Ein kurzer Nachtrag enthält einiges über Seneca. An dieser Stelle ist es nun Pflicht des Verfassers, dankbar zu bekennen, wie sehr ihm bei Bearbeitung dieser Epochen sowohl als überhaupt des ganzen Werkes, die einsichtige Teilnahme eines mehrjährigen Hausfreundes und Studiengenossen, Herrn Dr. Riemers, förderlich und behülflich gewesen.
In der dritten Abteilung wird von jener traurigen Zwischenzeit gesprochen, in welcher die Welt der Barbarei unterlegen. Hier tritt vorzüglich die Betrachtung ein, daß nach Zerstörung einer großen Vorwelt die Trümmer, welche sich in die neue Zeit hinüberretten, nicht als ein Lebendiges, Eignes, sondern als ein Fremdes, Totes wirken und daß Buchstabe und Wort mehr als Sinn und Geist betrachtet werden. Die drei großen Hauptmassen der Überlieferung, die Werke des Aristoteles, des Plato und die Bibel treten heraus. Wie die Autorität sich festsetzt, wird dargetan. Doch wie das Genie immer wieder geboren wird, wieder hervordringt und bei einigermaßen günstigen Umständen lebendig wirkt, so erscheint auch sogleich am Rande einer solchen dunkeln Zeit Roger Bacon, eine der reinsten, liebenwürdigsten Gestalten, von denen uns in der Geschichte der Wissenschaften Kunde geworden. Nur weniges indessen, was sich auf Farbe bezieht, finden wir bei ihm sowie bei einigen Kirchenvätern und die Naturwissenschaft wird, wie manches andere, durch die Lust am Geheimnis obskuriert.
Dagegen gewährt uns die vierte Abteilung einen heitern Blick in das sechzehnte Jahrhundert. Durch alte Literatur und Sprachkunde sehen wir auch die Farbenlehre befördert. Das Büchlein des Thylesius von den Farben findet man in der Ursprache abgedruckt. Portius erscheint als Herausgeber und Übersetzer des Theophrastischen Aufsatzes. Scaliger bemüht sich auf eben diesem Wege um die Farbenbennungen. Paracelsus tritt ein und gibt den ersten Wink zur Einsicht in die chemischen Farben. Durch Alchimisten wird nichts gefördert. Nun bietet sich die Betrachtung dar, daß, je mehr die Menschen selbsttätig werden und neue Naturverhältnisse entdecken, das Überlieferte an seiner Gültigkeit verliere und seine Autorität nach und nach unscheinbar werde. Die theoretischen und praktischen Bemühungen des Telesius, Cardanus, Porta für die Naturlehre werden gerühmt. Der menschliche Geist wird immer freier, unduldsamer, selbst gegen notwendiges und nützliches Lernen, und ein solches Bestreben geht so weit, daß Baco von Verulam sich erkühnt, über alles, was bisher auf der Tafel des Wissens verzeichnet gestanden, mit dem Schwamme hinzufahren.
In der fünften Abteilung zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts trösten uns jedoch über ein solches schriftstürmendes Beginnen Galilei und Kepler, zwei wahrhaft auferbauende Männer. Von dieser Zeit an wird auch unser Feld mehr angebaut. Snellius entdeckt die Gesetze der Brechung, und Antonius de Dominis tut einen großen Schritt zur Erklärung des Regenbogens. Aguilonius ist der erste, der das Kapitel von den Farben ausführlich behandelt; da sie Cartesius neben den übrigen Naturerscheinungen aus Materialitäten und Rotationen entstehen läßt. Kircher liefert ein Werk, die große Kunst des Lichtes und Schattens, und deutet schon durch diesen ausgesprochnen Gegensatz auf die rechte Weise, die Farben abzuleiten. Marcus Marci dagegen behandelt diese Materie abstrus und ohne Vorteil für die Wissenschaft. Eine neue, schon früher vorbereitete Epoche tritt nunmehr ein. Die Vorstellungsart von der Materialität des Lichtes nimmt überhand. De la Chambre und Vossius haben schon dunkle Lichter in dem hellen. Grimaldi zerrt, quetscht, zerreißt, zersplittert das Licht, um ihm Farben abzugewinnen. Boyle läßt es von den verschiedenen Facetten und Rauhigkeiten der Oberfläche widerstrahlen, und auf diesem Wege die Farben erscheinen. Hooke ist geistreich, aber paradox. Bei Malebranche werden die Farben dem Schall verglichen, wie immer auf dem Wege der Schwingungslehre. Sturm kompiliert und eklektisiert; aber Funccius, durch Betrachtung der atmosphärischen Erscheinungen an der Natur festgehalten, kommt dem Rechten ganz nahe, ohne doch durchzudringen. Nuguet ist der erste, der die prismatischen Erscheinungen richtig ableitet. Sein System wird mitgeteilt und seine wahren Einsichten von den falschen und unzulänglichen gesondert. Zum Schluß dieser Abteilung wird die Geschichte des Kolorits seit Wiederherstellung der Kunst bis auf unsere Zeit, gleichfalls von Herrn Hof rat Meyer, vorgetragen.
Die sechste Abteilung ist dem achtzehnten Jahrhundert gewidmet, und wir treten sogleich in die merkwürdige Epoche von Newton bis auf Dollond. Die Londoner Sozietät, als eine bedeutende Versammlung von Naturfreunden des Augenblicks, zieht alle unsere Aufmerksamkeit an sich. Mit ihrer Geschichte machen uns bekannt Sprat, Birch und die Transaktionen. Diesen Hülfsmitteln zufolge wird von den ungewissen Anfängen der Sozietät, von den frühern und spätern Zuständen der Naturwissenschaft in England, von den äußern Vorteilen der Gesellschaft, von den Mängeln, die in ihr selbst, in der Umgebung und in der Zeit liegen, gehandelt. Hooke erscheint als geistreicher, unterrichteter, geschäftiger, aber zugleich eigenwilliger, unduldsamer, unordentlicher Sekretär und Experimentator. Newton tritt auf. Dokumente seiner Theorie der Farben sind die lectiones opticae, ein Brief an Oldenburg, den Sekretär der Londoner Sozietät; ferner die Optik. Newtons Verhältnis zur Sozietät wird gezeigt. Eigentlich meldet er sich zuerst durch sein katoptrisches Teleskop an. Von der Theorie ist nur beiläufig die Rede, um die Unmöglichkeit der Verbesserung dioptrischer Fernröhre zu zeigen und seiner Vorrichtung einen größern Wert beizulegen. Obgedachter Brief erregt die ersten Gegner Newtons, denen er selbst antwortet. Dieser Brief sowohl als die ersten Kontroversen sind in ihren Hauptpunkten ausgezogen und der Grundfehler Newtons aufgedeckt, daß er die äußern Bedingungen, welche nicht aus dem Licht, sondern an dem Licht die Farben hervorbringen, übereilt beseitigt, und dadurch sowohl sich als andere in einen beinah unauflöslichen Irrtum verwickelt. Mariotte faßt ein ganz richtiges Aperçu gegen Newton, worauf wenig geachtet wird. Desaguliers, Experimentator von Metier, experimentiert und argumentiert gegen den schon Verstorbenen. Sogleich tritt Rizzetti mit mehrerem Aufwand gegen Newton hervor; aber auch ihn treibt Desaguliers aus den Schranken, welchem Gauger als Schildknappe beiläuft. Newtons Persönlichkeit wird geschildert, und eine ethische Auflösung des Problems versucht: wie ein so außerordentlicher Mann sich in einem solchen Grade irren, seinen Irrtum bis an sein Ende mit Neigung, Fleiß, Hartnäckigkeit, trotz aller äußeren und inneren Warnungen, bearbeiten und befestigen und so viel vorzügliche Menschen mit sich fortreißen können. Die ersten Schüler und Bekenner Newtons werden genannt. Unter den Ausländern sind s’Gravesande und Musschenbroek bedeutend.
Nun wendet man den Blick zur französischen Akademie der Wissenschaften. In ihren Verhandlungen wird Mariottes mit Ehren gedacht. De la Hire erkennt die Entstehung des Blauen vollkommen, des Gelben und Roten weniger. Conradi, ein Deutscher, erkennt den Ursprung des Blauen ebenfalls. Die Schwingungen des Malebranche fördern die Farbenlehre nicht, so wenig als die fleißigen Arbeiten Mairans, der auf Newtons Wege das prismatische Bild mit den Tonintervallen parallelisieren will. Polignac, Gönner und Liebhaber, beschäftigt sich mit der Sache und tritt der Newtonischen Lehre bei. Literatoren, Lobredner, Schöngeister, Auszügler und Gemeinmacher, Fontenelle, Voltaire, Algarotti und andere, geben vor der Menge den Ausschlag für die Newtonische Lehre, wozu die Anglomanie der Franzosen und übrigen Völker nicht wenig beiträgt.
Indessen gehn die Chemiker und Farbkünstler immer ihren Weg. Sie verwerfen jene größere Anzahl von Grundfarben und wollen von dem Unterschiede der Grund- und Hauptfarben nichts wissen. Dufay und Castel beharren auf der einfacheren Ansicht; letzterer widersetzt sich mit Gewalt der Newtonischen Lehre, wird aber überschrieen und verschrieen. Der farbige Abdruck von Kupferplatten wird geübt. Le Blond und Gauthier machen sich hierdurch bekannt. Letzterer, ein heftiger Gegner Newtons, trifft den rechten Punkt der Kontrovers und führt sie gründlich durch. Gewisse Mängel seines Vortrags, die Ungunst der Akademie und die öffentliche Meinung widersetzen sich ihm, und seine Bemühungen bleiben fruchtlos. Nach einem Blicke auf die deutsche große und tätige Welt wird dasjenige, was in der deutschen gelehrten Welt vorgegangen, aus den physikalischen Kompendien kürzlich angemerkt, und die Newtonische Theorie erscheint zuletzt als allgemeine Konfession. Von Zeit zu Zeit regt sich wieder der Menschenverstand. Tobias Mayer erklärt sich für die drei Grund- und Hauptfarben, nimmt gewisse Pigmente als ihre Repräsentanten an und berechnet ihre möglichen unterscheidbaren Mischungen. Lambert geht auf demselben Wege weiter. Außer diesen begegnet uns noch eine freundliche Erscheinung. Scherffer beobachtet die sogenannten Scheinfarben, sammelt und rezensiert die Bemühungen seiner Vorgänger. Franklin wird gleichfalls aufmerksam auf diese Farben, die wir unter die physiologischen zählen.
Die zweite Epoche des achtzehnten Jahrhunderts von Dollond bis auf unsere Zeit hat einen eigenen Charakter. Sie trennt sich in zwei Hauptmassen. Die erste ist um die Entdeckung der Achromasie teils theoretisch, teils praktisch beschäftigt, jene Erfahrung nämlich, daß man die prismatische Farbenerscheinung aufheben und die Brechung beibehalten, die Brechung aufheben und die Farbenerscheinung behalten könne. Die dioptrischen Fernröhre werden gegen das bisherige Vorurteil verbessert, und die Newtonische Lehre periklitiert in ihrem Innersten. Erst leugnet man die Möglichkeit der Entdeckung, weil sie der hergebrachten Theorie unmittelbar widerspreche; dann schließt man sie durch das Wort Zerstreuung an die bisherige Lehre, die auch nur aus Worten bestand. Priestleys Geschichte der Optik, durch Wiederholung des Alten, durch Akkommodation des Neuen, trägt sehr viel zur Aufrechterhaltung der Lehre bei. Frisi, ein geschickter Lobredner, spricht von der Newtonischen Lehre, als wenn sie nicht erschüttert worden wäre. Klügel, der Übersetzer Priestleys, durch mancherlei Warnung und Hindeutung aufs Rechte, macht sich bei den Nachkommen Ehre; allein weil er die Sache läßlich nimmt und seiner Natur, auch wohl den Umständen nach nicht derb auftreten will, so bleiben seine Überzeugungen für die Gegenwart verloren.
Wenden wir uns zur andern Masse. Die Newtonische Lehre, wie früher die Dialektik, hatte die Geister unterdrückt. Zu einer Zeit, da man alle frühere Autorität weggeworfen, hatte sich diese neue Autorität abermals der Schulen bemächtigt. Jetzt aber ward sie durch Entdeckung der Achromasie erschüttert. Einzelne Menschen fingen an, den Naturweg einzuschlagen, und es bereitete sich, da jeder aus einseitigem Standpunkte das Ganze übersehen, sich von Newton losmachen oder wenigstens mit ihm einen Vergleich eingehen wollte, eine Art von Anarchie, in welcher sich jeder selbst konstituierte, und so eng oder so weit, als es gehen mochte, mit seinen Bemühungen zu wirken trachtete. Westfeld hoffte die Farben durch eine gradative Wärmewirkung auf die Netzhaut zu erklären. Guyot sprach, bei Gelegenheit eines physikalischen Spielwerks, die Unhaltbarkeit der Newtonischen Theorie aus. Mauclerc kam auf die Betrachtung, inwiefern Pigmente einander an Ergiebigkeit balancieren. Marat, der gewahr wurde, daß die prismatische Erscheinung nur eine Randerscheinung sei, verband die paroptischen Fälle mit dem Refraktionsfalle. Weil er aber bei dem Newtonischen Resultat blieb und zugab, daß die Farben aus dem Licht hervorgelockt würden, so hatten seine Bemühungen keine Wirkung. Ein französischer Ungenannter beschäftigte sich emsig und treulich mit den farbigen Schatten, gelangte aber nicht zum Wort des Rätsels. Carvalho, ein Malteserritter, wird gleichfalls zufällig farbige Schatten gewahr und baut auf wenige Erfahrungen eine wunderliche Theorie auf. Darwin beobachtet die Scheinfarben mit Aufmerksamkeit und Treue; da er aber alles durch mehr und mindern Reiz abtun und die Phänomene zuletzt, wie Scherffer, auf die Newtonische Theorie reduzieren will, so kann er nicht zum Ziel gelangen. Mengs spricht mit zartem Künstlersinn von den harmonischen Farben, welches eben die nach unserer Lehre physiologisch geforderten sind. Gülich, ein Färbekünstler, sieht ein, was in seiner Technik durch den chemischen Gegensatz von Acidum und Alkali zu leisten ist; allein bei dem Mangel an gelehrter und philosophischer Kultur kann er weder den Widerspruch, in dem er sich mit der Newtonischen Lehre befindet, lösen, noch mit seinen eigenen theoretischen Ansichten ins reine kommen. Delaval macht auf die dunkle schattenhafte Natur der Farbe aufmerksam, vermag aber weder durch Versuche noch Methode noch Vortrag, an denen freilich manches auszusetzen ist, keine Wirkung hervorzubringen. Hoffmann möchte die malerische Harmonie durch die musikalische deutlich machen und einer durch die andere aufhelfen. Natürlich gelingt es ihm nicht, und bei manchen schönen Verdiensten ist er wie sein Buch verschollen. Blair erneuert die Zweifel gegen Achromasie, welche wenigstens nicht durch Verbindung zweier Mittel soll hervorgebracht werden können; er verlangt mehrere dazu. Seine Versuche an verschiedenen, die Farbe sehr erhöhenden Flüssigkeiten sind aller Aufmerksamkeit wert; da er aber zu Erläuterungen derselben die detestable Newtonische Theorie kümmerlich modifiziert anwendet, so wird seine Darstellung höchst verworren, und seine Bemühungen scheinen keine praktischen Folgen gehabt zu haben.
Zuletzt nun glaubte der Verfasser des Werks, nachdem er so viel über andere gesprochen, auch eine Konfession über sich selbst schuldig zu sein; und er gesteht, auf welchem Wege er in dieses Feld gekommen, wie er erst zu einzelnen Wahrnehmungen und nach und nach zu einem vollständigern Wissen gelangt, wie er sich das Anschauen der Versuche selbst zuwege gebracht und gewisse theoretische Überzeugungen darauf gegründet; wie diese Beschäftigung sich zu seinem übrigen Lebensgange, besonders aber zu seinem Anteil an bildender Kunst verhalte, wird dadurch begreiflich. Eine Erklärung über das in den letzten Jahrzehnten für die Farbenlehre Geschehene lehnt er ab, liefert aber zum Ersatz eine Abhandlung über den von Herscheln wieder angeregten Punkt, die Wirkung farbiger Beleuchtung betreffend, in welcher Herr Doktor Seebeck zu Jena aus seinem unschätzbaren Vorrat chromatischer Erfahrungen das Zuverlässigste und Bewährteste zusammengestellt hat. Sie mag zugleich als ein Beispiel dienen, wie durch Verbindung von Übereindenkenden, in gleichem Sinne Fortarbeitenden das hie und da Skizzen- und Lückenhafte unseres Entwurfs ausgeführt und ergänzt werden könne, um die Farbenlehre einer gewünschten Vollständigkeit und endlichem Abschluß immer näher zu bringen.
Anstatt des letzten supplementaren Teils folgt voritzt eine Entschuldigung, sowie Zusage, denselben bald möglichst nachzuliefern: wie denn vorläufig das darin zu Erwartende angedeutet wird.
Übrigens findet man bei jedem Teile ein Inhaltsverzeichnis, und am Ende des letzten, zu bequemerem Gebrauch eines so komplizierten Ganzen, Namen-und Sachregister. Gegenwärtige Anzeige kann als Rekapitulation des ganzen Werks sowohl Freunden als Widersachern zum Leitfaden dienen.
Ein Heft mit sechzehn Kupfertafeln und deren Erklärung ist dem ganzen beigegeben.
Entwurf einer Farbenlehre. Didaktischer Teil
Si vera nostra sunt aut falsa, erunt
talia, licet nostra pervitam defendimus.
Post fata nostra pueri qui nunc ludunt
nostri judices erunt.
Der Durchlauchtigsten Herzogin und Frauen
LUISEN
Regierenden Herzogin
von Sachsen-Weimar und Eisenach
Durchlauchtigste Herzogin, gnädigste Frau
Wäre der Inhalt des gegenwärtigen Werkes auch nicht durchaus geeignet Euer Durchlaucht vorgelegt zu werden, könnte die Behandlung des Gegebenen bei schärferer Prüfung kaum genug tun, so gehören doch diese Bände Euer Durchlaucht ganz eigentlich an und sind seit ihrer früheren Entstehung Höchstdenenselben gewidmet geblieben.
Denn hätten Euer Durchlaucht nicht die Gnade gehabt, über die Farbenlehre sowie über verwandte Naturerscheinungen einem mündlichen Vortrag Ihre Aufmerksamkeit zu schenken, so hätte ich mich wohl schwerlich imstande gefunden, mir selbst manches klar zu machen, manches auseinander Liegende zusammenzufassen und meine Arbeit, wo nicht zu vollenden, doch wenigstens abzuschließen.
Wenn es bei einem mündlichen Vortrage möglich wird, die Phänomene sogleich vor Augen zu bringen, manches in verschiedenen Rücksichten wiederkehrend darzustellen, so ist dies freilich ein großer Vorteil welchen das geschriebene, das gedruckte Blatt vermißt. Möge jedoch dasjenige, was auf dem Papier mitgeteilt werden konnte, Höchstdieselben zu einigem Wohlgefallen an jene Stunden erinnern, die mir unvergeßlich bleiben, so wie mir ununterbrochen alles das mannigfaltige Gute vorschwebt, das ich seit längerer Zeit und in den bedeutendsten Augenblicken meines Lebens mit und vor vielen andern Euer Durchlaucht verdanke.
Mit innigster Verehrung mich unterzeichnend Euer Durchlaucht
untertänigster
J. W. v. Goethe
Weimar, den 30. Januar 1808
Vorwort
Ob man nicht, indem von den Farben gesprochen werden soll, vor allen Dingen des Lichtes zu erwähnen habe, ist eine ganz natürliche Frage, auf die wir jedoch nur kurz und aufrichtig erwidern: es scheine bedenklich, da bisher schon so viel und mancherlei von dem Lichte gesagt worden, das Gesagte zu wiederholen oder das oft Wiederholte zu vermehren.
Denn eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges. Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Taten zusammen, und ein Bild des Charakters wird uns entgegentreten.
Die Farben sind Taten des Lichts, Taten und Leiden. In diesem Sinne können wir von denselben Aufschlüsse über das Licht erwarten. Farben und Licht stehen zwar untereinander in dem genausten Verhältnis, aber wir müssen uns beide als der ganzen Natur angehörig denken: denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne des Auges besonders offenbaren will.
Ebenso entdeckt sich die ganze Natur einem anderen Sinne. Man schließe das Auge, man öffne, man schärfe das Ohr, und vom leisesten Hauch bis zum wildesten Geräusch, vom einfachsten Klang bis zur höchsten Zusammenstimmung, von dem heftigsten leidenschaftlichen Schrei bis zum sanftesten Worte der Vernunft ist es nur die Natur, die spricht, ihr Dasein, ihre Kraft, ihr Leben und ihre Verhältnisse offenbart, so daß ein Blinder, dem das unendlich Sichtbare versagt ist, im Hörbaren ein unendlich Lebendiges fassen kann.
So spricht die Natur hinabwärts zu andern Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen; so spricht sie mit sich selbst und zu uns durch tausend Erscheinungen. Dem Aufmerksamen ist sie nirgends tot noch stumm; ja dem starren Erdkörper hat sie einen Vertrauten zugegeben, ein Metall, an dessen kleinsten Teilen wir dasjenige, was in der ganzen Masse vorgeht, gewahr werden sollten.
So mannigfaltig, so verwickelt und unverständlich uns oft diese Sprache scheinen mag, so bleiben doch ihre Elemente immer dieselbigen. Mit leisem Gewicht und Gegengewicht wägt sich die Natur hin und her, und so entsteht ein Hüben und Drüben, ein Oben und Unten, ein Zuvor und Hernach, wodurch alle die Erscheinungen bedingt werden, die uns im Raum und in der Zeit entgegentreten.
Diese allgemeinen Bewegungen und Bestimmungen werden wir auf die verschiedenste Weise gewahr, bald als ein einfaches Abstoßen und Anziehen, bald als ein aufblickendes und verschwindendes Licht, als Bewegung der Luft, als Erschütterung des Körpers, als Säurung und Entsäurung, jedoch immer als verbindend oder trennend, das Dasein bewegend und irgendeine Art von Leben befördernd.
Indem man aber jenes Gewicht und Gegengewicht von ungleicher Wirkung zu finden glaubt, so hat man auch dieses Verhältnis zu bezeichnen versucht. Man hat ein Mehr und Weniger, ein Wirken ein Widerstreben, ein Tun ein Leiden, ein Vordringendes ein Zurückhaltendes, ein Heftiges ein Mäßigendes, ein Männliches ein Weibliches überall bemerkt und genannt; und so entsteht eine Sprache, eine Symbolik, die man auf ähnliche Fälle als Gleichnis, als nahverwandten Ausdruck, als unmittelbar passendes Wort anwenden und benutzen mag.
Diese universellen Bezeichnungen, diese Natursprache auch auf die Farbenlehre anzuwenden, diese Sprache durch die Farbenlehre, durch die Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen zu bereichern, zu erweitern und so die Mitteilung höherer Anschauungen unter den Freunden der Natur zu erleichtern, war die Hauptabsicht des gegenwärtigen Werkes.
Die Arbeit selbst zerlegt sich in drei Teile. Der erste gibt den Entwurf einer Farbenlehre. In demselben sind die unzähligen Fälle der Erscheinungen unter gewisse Hauptphänomene zusammengefaßt, welche nach einer Ordnung aufgeführt werden, die zu rechtfertigen der Einleitung überlassen bleibt. Hier aber ist zu bemerken, daß, ob man sich gleich überall an die Erfahrungen gehalten, sie überall zum Grunde gelegt, doch die theoretische Ansicht nicht verschwiegen werden konnte, welche den Anlaß zu jener Aufstellung und Anordnung gegeben.
Ist es doch eine höchst wunderliche Forderung, die wohl manchmal gemacht, aber auch selbst von denen, die sie machen, nicht erfüllt wird: Erfahrungen solle man ohne irgend ein theoretisches Band vortragen, und dem Leser, dem Schüler überlassen, sich selbst nach Belieben irgendeine Überzeugung zu bilden. Denn das bloße Anblicken einer Sache kann uns nicht fördern. Jedes Ansehen geht über in ein Betrachten, jedes Betrachten in ein Sinnen, jedes Sinnen in ein Verknüpfen, und so kann man sagen, daß wir schon bei jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren. Dieses aber mit Bewußtsein, mit Selbstkenntnis, mit Freiheit, und um uns eines gewagten Wortes zu bedienen, mit Ironie zu tun und vorzunehmen, eine solche Gewandtheit ist nötig, wenn die Abstraktion, vor der wir uns fürchten, unschädlich und das Erfahrungsresultat, das wir hoffen, recht lebendig und nützlich werden soll.
Im zweiten Teil beschäftigen wir uns mit Enthüllung der Newtonischen Theorie, welche einer freien Ansicht der Farbenerscheinungen bisher mit Gewalt und Ansehen entgegengestanden; wir bestreiten eine Hypothese, die, ob sie gleich nicht mehr brauchbar gefunden wird, doch noch immer eine herkömmliche Achtung unter den Menschen behält. Ihr eigentliches Verhältnis muß deutlich werden, die alten Irrtümer sind wegzuräumen, wenn die Farbenlehre nicht, wie bisher, hinter so manchem anderen besser bearbeiteten Teile der Naturlehre zurückbleiben soll.
Da aber der zweite Teil unsres Werkes seinem Inhalte nach trocken, der Ausführung nach vielleicht zu heftig und leidenschaftlich scheinen möchte, so erlaube man uns hier ein heiteres Gleichnis, um jenen ernsteren Stoff vorzubereiten und jene lebhafte Behandlung einigermaßen zu entschuldigen.
Wir vergleichen die Newtonische Farbentheorie mit einer alten Burg, welche von dem Erbauer anfangs mit jugendlicher Übereilung angelegt, nach dem Bedürfnis der Zeit und Umstände jedoch nach und nach von ihm erweitert und ausgestattet, nicht weniger bei Anlaß von Fehden und Feindseligkeiten immer mehr befestigt und gesichert worden.
So verfuhren auch seine Nachfolger und Erben. Man war genötigt, das Gebäude zu vergrößern, hier daneben, hier daran, dort hinaus zu bauen, genötigt durch die Vermehrung innerer Bedürfnisse, durch die Zudringlichkeit äußerer Widersacher und durch manche Zufälligkeiten.
Alle diese fremdartigen Teile und Zutaten mußten wieder in Verbindung gebracht werden durch die seltsamsten Galerien, Hallen und Gänge. Alle Beschädigungen, es sei von Feindeshand oder durch die Gewalt der Zeit, wurden gleich wieder hergestellt. Man zog, wie es nötig ward, tiefere Gräben, erhöhte die Mauern, und ließ es nicht an Türmen, Erkern und Schießscharten fehlen. Diese Sorgfalt, diese Bemühungen brachten ein Vorurteil von dem hohen Werte der Festung hervor und erhielten’s, obgleich Bau- und Befestigungskunst die Zeit über sehr gestiegen waren und man sich in andern Fällen viel bessere Wohnungen und Waffenplätze einzurichten gelernt hatte. Vorzüglich aber hielt man die alte Burg in Ehren, weil sie niemals eingenommen worden, weil sie so manchen Angriff abgeschlagen, manche Befehdung vereitelt und sich immer als Jungfrau gehalten hatte. Dieser Name, dieser Ruf dauert noch bis jetzt. Niemanden fällt es auf, daß der alte Bau unbewohnbar geworden. Immer wird von seiner vortrefflichen Dauer, von seiner köstlichen Einrichtung gesprochen. Pilger wallfahrten dahin, flüchtige Abrisse zeigt man in allen Schulen herum und empfiehlt sie der empfänglichen Jugend zur Verehrung, indessen das Gebäude bereits leersteht, nur von einigen Invaliden bewacht, die sich ganz ernsthaft für gerüstet halten.
Es ist also hier die Rede nicht von einer langwierigen Belagerung oder einer zweifelhaften Fehde. Wir finden vielmehr jenes achte Wunder der Welt schon als ein verlassenes, Einsturz drohendes Altertum und beginnen sogleich von Giebel und Dach herab es ohne weitere Umstände abzutragen, damit die Sonne doch endlich einmal in das alte Ratten- und Eulennest hineinscheine und dem Auge des verwunderten Wanderers offenbare jene labyrinthisch unzusammenhängende Bauart, das enge Notdürftige, das zufällig Aufgedrungene, das absichtlich Gekünstelte, das kümmerlich Geflickte. Ein solcher Einblick ist aber alsdann nur möglich, wenn eine Mauer nach der andern, ein Gewölbe nach dem andern fällt und der Schutt, soviel sich tun läßt, auf der Stelle hinweggeräumt wird.
Dieses zu leisten und womöglich den Platz zu ebnen, die gewonnenen Materialien aber so zu ordnen, daß sie bei einem neuen Gebäude wieder benutzt werden können, ist die beschwerliche Pflicht, die wir uns in diesem zweiten Teile auferlegt haben. Gelingt es uns nun, mit froher Anwendung möglichster Kraft und Geschickes, jene Bastille zu schleifen und einen freien Raum zu gewinnen, so ist keinesweges die Absicht, ihn etwa sogleich wieder mit einem neuen Gebäude zu überbauen und zu belästigen; wir wollen uns vielmehr desselben bedienen, um eine schöne Reihe mannigfaltiger Gestalten vorzuführen.
Der dritte Teil bleibt daher historischen Untersuchungen und Vorarbeiten gewidmet. Äußerten wir oben, daß die Geschichte des Menschen den Menschen darstelle, so läßt sich hier auch wohl behaupten, daß die Geschichte der Wissenschaft die Wissenschaft selbst sei. Man kann dasjenige, was man besitzt, nicht rein erkennen, bis man das, was andre vor uns besessen, zu erkennen weiß. Man wird sich an den Vorzügen seiner Zeit nicht wahrhaft und redlich freuen, wenn man die Vorzüge der Vergangenheit nicht zu würdigen versteht. Aber eine Geschichte der Farbenlehre zu schreiben oder auch nur vorzubereiten war unmöglich, solange die Newtonische Lehre bestand. Denn kein aristokratischer Dünkel hat jemals mit solchem unerträglichen Übermute auf diejenigen herabgesehen, die nicht zu seiner Gilde gehörten, als die Newtonische Schule von jeher über alles abgesprochen hat, was vor ihr geleistet war und neben ihr geleistet ward. Mit Verdruß und Unwillen sieht man, wie Priestley in seiner Geschichte der Optik, und so manche vor und nach ihm, das Heil der Farbenwelt von der Epoche eines gespalten sein sollenden Lichtes herdatieren, und mit hohem Augbraun auf die ältern und mittleren herabsehen, die auf dem rechten Wege ruhig hingingen und im einzelnen Beobachtungen und Gedanken überliefert haben, die wir nicht besser anstellen können, nicht richtiger fassen werden.
Von demjenigen nun, der die Geschichte irgendeines Wissens überliefern will, können wir mit Recht verlangen, daß er uns Nachricht gebe, wie die Phänomene nach und nach bekannt geworden, was man darüber phantasiert, gewähnt, gemeint und gedacht habe. Dieses alles im Zusammenhange vorzutragen, hat große Schwierigkeiten, und eine Geschichte zu schreiben ist immer eine bedenkliche Sache. Denn bei dem redlichsten Vorsatz kommt man in Gefahr unredlich zu sein; ja wer eine solche Darstellung unternimmt erklärt zum voraus, daß er manches ins Licht, manches in Schatten setzen werde.
Und doch hat sich der Verfasser auf eine solche Arbeit lange gefreut. Da aber meist nur der Vorsatz als ein Ganzes vor unserer Seele steht, das Vollbringen aber gewöhnlich nur stückweise geleistet wird, so ergeben wir uns darein, statt der Geschichte Materialien zu derselben zu liefern. Sie bestehen in Übersetzungen, Auszügen, eigenen und fremden Urteilen, Winken und Andeutungen, in einer Sammlung, der, wenn sie nicht allen Forderungen entspricht, doch das Lob nicht mangeln wird, daß sie mit Ernst und Liebe gemacht sei. Übrigens mögen vielleicht solche Materialien, zwar nicht ganz unbearbeitet, aber doch unverarbeitet, dem denkenden Leser um desto angenehmer sein, als er selbst sich, nach eigener Art und Weise, ein Ganzes daraus zu bilden die Bequemlichkeit findet.
Mit gedachtem dritten historischen Teil ist jedoch noch nicht alles getan. Wir haben daher noch einen vierten supplementaren hinzugefügt. Dieser enthält die Revision, um derentwillen vorzüglich die Paragraphen mit Nummern versehen worden. Denn indem bei der Redaktion einer solchen Arbeit einiges vergessen werden kann, einiges beseitigt werden muß, um die Aufmerksamkeit nicht abzuleiten, anderes erst hinterdrein erfahren wird, auch anderes einer Bestimmung und Berichtigung bedarf, so sind Nachträge, Zusätze und Verbesserungen unerläßlich. Bei dieser Gelegenheit haben wir denn auch die Zitate nachgebracht. Sodann enthält dieser Band noch einige einzelne Aufsätze, zum Beispiel über die atmosphärischen Farben, welche, indem sie in dem Entwurf zerstreut vorkommen, hier zusammen und auf einmal vor die Phantasie gebracht werden.
Führt nun dieser Aufsatz den Leser in das freie Leben, so sucht ein anderer das künstliche Wissen zu befördern, indem er den zur Farbenlehre künftig nötigen Apparat umständlich beschreibt.
Schließlich bleibt uns nur noch übrig der Tafeln zu gedenken, welche wir dem Ganzen beigefügt. Und hier werden wir freilich an jene Unvollständigkeit und Unvollkommenheit erinnert, welche unser Werk mit allen Werken dieser Art gemein hat.
Denn wie ein gutes Theaterstück eigentlich kaum zur Hälfte zu Papier gebracht werden kann, vielmehr der größere Teil desselben dem Glanz der Bühne, der Persönlichkeit des Schauspielers, der Kraft seiner Stimme, der Eigentümlichkeit seiner Bewegungen, ja dem Geiste und der guten Laune des Zuschauers anheimgegeben bleibt, so ist es noch viel mehr der Fall mit einem Buche, das von natürlichen Erscheinungen handelt. Wenn es genossen, wenn es genutzt werden soll, so muß dem Leser die Natur entweder wirklich oder in lebhafter Phantasie gegenwärtig sein. Denn eigentlich sollte der Schreibende sprechen und seinen Zuhörern die Phänomene, teils wie sie uns ungesucht entgegenkommen, teils wie sie durch absichtliche Vorrichtungen nach Zweck und Willen dargestellt werden können, als Text erst anschaulich machen; alsdann würde jedes Erläutern, Erklären, Auslegen einer lebendigen Wirkung nicht ermangeln.
Ein höchst unzulängliches Surrogat sind hiezu die Tafeln, die man dergleichen Schriften beizulegen pflegt. Ein freies physisches Phänomen, das nach allen Seiten wirkt, ist nicht in Linien zu fassen und im Durchschnitt anzudeuten. Niemand fällt es ein, chemische Versuche mit Figuren zu erläutern; bei den physischen nah verwandten ist es jedoch hergebracht, weil sich eins und das andre dadurch leisten läßt. Aber sehr oft stellen diese Figuren nur Begriffe dar; es sind symbolische Hülfsmittel, hieroglyphische Überlieferungsweisen, welche sich nach und nach an die Stelle des Phänomens, an die Stelle der Natur setzen und die wahre Erkenntnis hindern, anstatt sie zu befördern. Entbehren konnten auch wir der Tafeln nicht; doch haben wir sie so einzurichten gesucht, daß man sie zum didaktischen und polemischen Gebrauch getrost zur Hand nehmen, ja gewisse derselben als einen Teil des nötigen Apparats ansehen kann.
Und so bleibt uns denn nichts weiter übrig, als auf die Arbeit selbst hin zu weisen, und nur vorher noch eine Bitte zu wiederholen, die schon so mancher Autor vergebens getan hat und die besonders der deutsche Leser neuerer Zeit so selten gewährt:
Si quid novisti rectius istis,
Candidus imperti; si non, his utere mecum.
Einleitung
Die Lust zum Wissen wird bei dem Menschen zuerst dadurch angeregt, daß er bedeutende Phänomene gewahr wird, die seine Aufmerksamkeit an sich ziehen. Damit nun diese dauernd bleibe, so muß sich eine innigere Teilnahme finden, die uns nach und nach mit den Gegenständen bekannter macht. Alsdann bemerken wir erst eine große Mannigfaltigkeit, die uns als Menge entgegendringt. Wir sind genötigt zu sondern, zu unterscheiden und wieder zusammenzustellen, wodurch zuletzt eine Ordnung entsteht, die sich mit mehr oder weniger Zufriedenheit übersehen läßt.
Dieses in irgend einem Fache nur einigermaßen zu leisten, wird eine anhaltende strenge Beschäftigung nötig. Deswegen finden wir, daß die Menschen lieber durch eine allgemeine theoretische Ansicht, durch irgendeine Erklärungsart die Phänomene beiseite bringen, anstatt sich die Mühe zu geben, das Einzelne kennen zu lernen und ein Ganzes zu erbauen.
Der Versuch, die Farbenerscheinungen auf- und zusammenzustellen ist nur zweimal gemacht worden, das erstemal von Theophrast, sodann von Boyle. Dem gegenwärtigen wird man die dritte Stelle nicht streitig machen.
Das nähere Verhältnis erzählt uns die Geschichte. Hier sagen wir nur so viel, daß in dem verflossenen Jahrhundert an eine solche Zusammenstellung nicht gedacht werden konnte, weil Newton seiner Hypothese einen verwickelten und abgeleiteten Versuch zum Grund gelegt hatte, auf welchen man die übrigen zudringenden Erscheinungen, wenn man sie nicht verschweigen und beseitigen konnte, künstlich bezog und sie in ängstlichen Verhältnissen umherstellte, wie etwa ein Astronom verfahren müßte, der aus Grille den Mond in die Mitte unseres Systems setzen möchte. Er wäre genötigt, die Erde, die Sonne mit allen übrigen Planeten um den subalternen Körper herum zu bewegen und durch künstliche Berechnungen und Vorstellungsweisen das Irrige seines ersten Annehmens zu verstecken und zu beschönigen.
Schreiten wir nun in Erinnerung dessen, was wir oben vorwortlich beigebracht, weiter vor. Dort setzten wir das Licht als anerkannt voraus, hier tun wir ein Gleiches mit dem Auge. Wir sagten: die ganze Natur offenbare sich durch die Farbe dem Sinne des Auges. Nunmehr behaupten wir, wenn es auch einigermaßen sonderbar klingen mag, daß das Auge keine Form sehe, indem Hell, Dunkel und Farbe zusammen allein dasjenige ausmachen, was den Gegenstand vom Gegenstand, die Teile des Gegenstandes voneinander fürs Auge unterscheidet. Und so erbauen wir aus diesen dreien die sichtbare Welt und machen dadurch zu gleich die Malerei möglich, welche auf der Tafel eine weit vollkommner sichtbare Welt, als die wirkliche sein kann, hervorzubringen vermag.
Das Auge hat sein Dasein dem Licht zu danken. Aus gleichgültigen tierischen Hülfsorganen ruft sich das Licht ein Organ hervor, das seinesgleichen werde; und so bildet sich das Auge am Lichte fürs Licht, damit das innere Licht dem äußeren entgegentrete.
Hierbei erinnern wir uns der alten ionischen Schule, welche mit so großer Bedeutsamkeit immer wiederholte: nur von Gleichem werde Gleiches erkannt, wie auch der Worte eines alten Mystikers, die wir in deutschen Reimen folgendermaßen ausdrücken möchten:
Wär’ nicht das Auge sonnenhaft,
Wie könnten wir das Licht erblicken?
Lebt’ nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt’ uns Göttliches entzücken?
Jene unmittelbare Verwandtschaft des Lichtes und des Auges wird niemand leugnen, aber sich beide zugleich als eins und dasselbe zu denken, hat mehr Schwierigkeit. Indessen wird es faßlicher, wenn man behauptet, im Auge wohne ein ruhendes Licht, das bei der mindesten Veranlassung von innen oder von außen erregt werde. Wir können in der Finsternis durch Forderungen der Einbildungskraft uns die hellsten Bilder hervorrufen. Im Traume erscheinen uns die Gegenstände wie am vollen Tage. Im wachenden Zustande wird uns die leiseste äußere Lichteinwirkung bemerkbar, ja wenn das Organ einen mechanischen Anstoß erleidet, so springen Licht und Farben hervor.
Vielleicht aber machen hier diejenigen, welche nach einer gewissen Ordnung zu verfahren pflegen, bemerklich, daß wir ja noch nicht einmal entschieden erklärt, was denn Farbe sei? Dieser Frage möchten wir gar gern hier abermals ausweichen und uns auf unsere Ausführung berufen, wo wir umständlich gezeigt, wie sie erscheine. Denn es bleibt uns auch hier nichts übrig, als zu wiederholen, die Farbe sei die gesetzmäßige Natur in bezug auf den Sinn des Auges. Auch hier müssen wir annehmen, daß jemand diesen Sinn habe, daß jemand die Einwirkung der Natur auf diesen Sinn kenne: denn mit dem Blinden läßt sich nicht von der Farbe reden.
Damit wir aber nicht gar zu ängstlich eine Erklärung zu vermeiden scheinen, so möchten wir das Erstgesagte folgendermaßen umschreiben. Die Farbe sei ein elementares Naturphänomen für den Sinn des Auges, das sich, wie die übrigen alle, durch Trennung und Gegensatz, durch Mischung und Vereinigung, durch Erhöhung und Neutralisation, durch Mitteilung und Verteilung und so weiter manifestiert und unter diesen allgemeinen Naturformeln am besten angeschaut und begriffen werden kann.
Diese Art, sich die Sache vorzustellen, können wir niemand aufdringen. Wer sie bequem findet, wie wir, wird sie gern in sich aufnehmen. Ebensowenig haben wir Lust, sie künftig durch Kampf und Streit zu verteidigen. Denn es hatte von jeher etwas Gefährliches, von der Farbe zu handeln, dergestalt daß einer unserer Vorgänger gelegentlich gar zu äußern wagt: Hält man dem Stier ein rotes Tuch vor, so wird er wütend, aber der Philosoph, wenn man nur überhaupt von Farbe spricht, fängt an zu rasen.
Sollen wir jedoch nunmehr von unserem Vortrag, auf den wir uns berufen, einige Rechenschaft geben, so müssen wir vor allen Dingen anzeigen, wie wir die verschiedenen Bedingungen, unter welchen die Farbe sich zeigen mag, gesondert. Wir fanden dreierlei Erscheinungsweisen, dreierlei Arten von Farben, oder wenn man lieber will, dreierlei Ansichten derselben, deren Unterschied sich aussprechen läßt.
Wir betrachteten also die Farben zuerst, insofern sie dem Auge angehören und auf einer Wirkung und Gegenwirkung desselben beruhen; ferner zogen sie unsere Aufmerksamkeit an sich, indem wir sie an farblosen Mitteln oder durch deren Beihülfe gewahrten; zuletzt aber wurden sie uns merkwürdig, indem wir sie als den Gegenständen angehörig denken konnten. Die ersten nannten wir physiologische, die zweiten physische, die dritten chemische Farben. Jene sind unaufhaltsam flüchtig, die andern vorübergehend, aber allenfalls verweilend, die letzten festzuhalten bis zur spätesten Dauer.
Indem wir sie nun in solcher naturgemäßen Ordnung, zum Behuf eines didaktischen Vortrags, möglichst sonderten und auseinander hielten, gelang es uns zugleich, sie in einer stetigen Reihe darzustellen, die flüchtigen mit den verweilenden und diese wieder mit den dauernden zu verknüpfen, und so die erst sorgfältig gezogenen Abteilungen für ein höheres Anschauen wieder aufzuheben.
Hierauf haben wir in einer vierten Abteilung unserer Arbeit, was bis dahin von den Farben unter mannigfaltigen besonderen Bedingungen bemerkt worden, im allgemeinen ausgesprochen und dadurch eigentlich den Abriß einer künftigen Farbenlehre entworfen. Gegenwärtig sagen wir nur so viel voraus, daß zur Erzeugung der Farbe Licht und Finsternis, Helles und Dunkles, oder, wenn man sich einer allgemeineren Formel bedienen will, Licht und Nichtlicht gefordert werde. Zunächst am Licht entsteht uns eine Farbe, die wir Gelb nennen, eine andere zunächst an der Finsternis, die wir mit dem Worte Blau bezeichnen. Diese beiden, wenn wir sie in ihrem reinsten Zustand dergestalt vermischen, daß sie sich völlig das Gleichgewicht halten, bringen eine dritte hervor, welche wir Grün heißen. Jene beiden ersten Farben können aber auch jede an sich selbst eine neue Erscheinung hervorbringen, indem sie sich verdichten oder verdunkeln. Sie erhalten ein rötliches Ansehen, welches sich bis auf einen so hohen Grad steigern kann, daß man das ursprüngliche Blau und Gelb kaum darin mehr erkennen mag. Doch läßt sich das höchste und reine Rot, vorzüglich in physischen Fällen, dadurch hervorbringen, daß man die beiden Enden des Gelbroten und Blauroten vereinigt. Dieses ist die lebendige Ansicht der Farbenerscheinung und -erzeugung. Man kann aber auch zu dem spezifiziert fertigen Blauen und Gelben ein fertiges Rot annehmen und rückwärts durch Mischung hervorbringen, was wir vorwärts durch Intensieren bewirkt haben. Mit diesen drei oder sechs Farben, welche sich bequem in einen Kreis einschließen lassen, hat die Elementare Farbenlehre allein zu tun. Alle übrigen ins Unendliche gehenden Abänderungen gehören mehr in das Angewandte, gehören zur Technik des Malers, des Färbers, überhaupt ins Leben.
Sollen wir sodann noch eine allgemeine Eigenschaft aussprechen, so sind die Farben durchaus als Halblichter, als Halbschatten anzusehen, weshalb sie denn auch, wenn sie zusammengemischt ihre spezifischen Eigenschaften wechselseitig aufheben, ein Schattiges, ein Graues hervorbringen.
In unserer fünften Abteilung sollten sodann jene nachbarlichen Verhältnisse dargestellt werden, in welchen unsere Farbenlehre mit dem übrigen Wissen, Tun und Treiben zu stehen wünschte. So wichtig diese Abteilung ist, so mag sie vielleicht gerade eben deswegen nicht zum besten gelungen sein. Doch wenn man bedenkt, daß eigentlich nachbarliche Verhältnisse sich nicht eher aussprechen lassen, als bis sie sich gemacht haben, so kann man sich über das Mißlingen eines solchen ersten Versuches wohl trösten. Denn freilich ist erst abzuwarten, wie diejenigen, denen wir zu dienen suchten, denen wir etwas Gefälliges und Nützliches zu erzeigen dachten, das von uns möglichst Geleistete aufnehmen werden, ob sie sich es zueignen, ob sie es benutzen und weiter führen, oder ob sie es ablehnen, wegdrängen und notdürftig für sich bestehen lassen. Indessen dürfen wir sagen, was wir glauben und was wir hoffen.
Vom Philosophen glauben wir Dank zu verdienen, daß wir gesucht die Phänomene bis zu ihren Urquellen zu verfolgen, bis dorthin, wo sie bloß erscheinen und sind und wo sich nichts weiter an ihnen erklären läßt. Ferner wird ihm willkommen sein, daß wir die Erscheinungen in eine leicht übersehbare Ordnung gestellt, wenn er diese Ordnung selbst auch nicht ganz billigen sollte.
Den Arzt, besonders denjenigen, der das Organ des Auges zu beobachten, es zu erhalten, dessen Mängeln abzuhelfen und dessen Übel zu heilen berufen ist, glauben wir uns vorzüglich zum Freunde zu machen. In der Abteilung von den physiologischen Farben, in dem Anhange, der die pathologischen andeutet, findet er sich ganz zu Hause. Und wir werden gewiß durch die Bemühungen jener Männer, die zu unserer Zeit dieses Fach mit Glück behandeln, jene erste, bisher vernachlässigte und man kann wohl sagen wichtigste Abteilung der Farbenlehre ausführlich bearbeitet sehen.
Am freundlichsten sollte der Physiker uns entgegenkommen, da wir ihm die Bequemlichkeit verschaffen, die Lehre von den Farben in der Reihe aller übrigen elementaren Erscheinungen vorzutragen und sich dabei einer übereinstimmenden Sprache, ja fast derselbigen Worte und Zeichen wie unter den übrigen Rubriken zu bedienen. Freilich machen wir ihm, insofern er Lehrer ist, etwas mehr Mühe: denn das Kapitel von den Farben läßt sich künftig nicht wie bisher mit wenig Paragraphen und Versuchen abtun; auch wird sich der Schüler nicht leicht so frugal, als man ihn sonst bedienen mögen, ohne Murren abspeisen lassen. Dagegen findet sich späterhin ein anderer Vorteil. Denn wenn die Newtonische Lehre leicht zu lernen war, so zeigten sich bei ihrer Anwendung unüberwindliche Schwierigkeiten. Unsere Lehre ist vielleicht schwerer zu fassen, aber alsdann ist auch alles getan: denn sie führt ihre Anwendung mit sich.
Der Chemiker, welcher auf die Farben als Kriterien achtet, um die geheimern Eigenschaften körperlicher Wesen zu entdecken, hat bisher bei Benennung und Bezeichnung der Farben manches Hindernis gefunden; ja man ist nach einer näheren und feineren Betrachtung bewogen worden, die Farbe als ein unsicheres und trügliches Kennzeichen bei chemischen Operationen anzusehen. Doch hoffen wir sie durch unsere Darstellung und durch die vorgeschlagene Nomenklatur wieder zu Ehren zu bringen und die Überzeugung zu erwecken, daß ein Werdendes, Wachsendes, ein Bewegliches, der Umwendung Fähiges nicht betrüglich sei, vielmehr geschickt, die zartesten Wirkungen der Natur zu offenbaren.
Blicken wir jedoch weiter umher, so wandelt uns eine Furcht an, dem Mathematiker zu mißfallen. Durch eine sonderbare Verknüpfung von Umständen ist die Farbenlehre in das Reich, vor den Gerichtsstuhl des Mathematikers gezogen worden, wohin sie nicht gehört. Dies geschah wegen ihrer Verwandtschaft mit den übrigen Gesetzen des Sehens, welche der Mathematiker zu behandeln eigentlich berufen war. Es geschah ferner dadurch, daß ein großer Mathematiker die Farbenlehre bearbeitete, und da er sich als Physiker geirrt hatte, die ganze Kraft seines Talents aufbot, um diesem Irrtum Konsistenz zu verschaffen. Wird beides eingesehen, so muß jedes Mißverständnis bald gehoben sein, und der Mathematiker wird gern, besonders die physische Abteilung der Farbenlehre, mit bearbeiten helfen.
Dem Techniker, dem Färber hingegen muß unsre Arbeit durchaus willkommen sein. Denn gerade diejenigen, welche über die Phänomene der Färberei nachdachten, waren am wenigsten durch die bisherige Theorie befriedigt. Sie waren die ersten, welche die Unzulänglichkeit der Newtonischen Lehre gewahr wurden. Denn es ist ein großer Unterschied, von welcher Seite man sich einem Wissen, einer Wissenschaft nähert, durch welche Pforte man herein kommt. Der echte Praktiker, der Fabrikant, dem sich die Phänomene täglich mit Gewalt aufdringen, welcher Nutzen oder Schaden von der Ausübung seiner Überzeugungen empfindet, dem Geld- und Zeitverlust nicht gleichgültig ist, der vorwärts will, von anderen Geleistetes erreichen, übertreffen soll, er empfindet viel geschwinder das Hohle, das Falsche einer Theorie als der Gelehrte, dem zuletzt die hergebrachten Worte für bare Münze gelten, als der Mathematiker, dessen Formel immer noch richtig bleibt, wenn auch die Unterlage nicht zu ihr paßt, auf die sie angewendet worden. Und so werden auch wir, da wir von der Seite der Malerei, von der Seite ästhetischer Färbung der Oberflächen, in die Farbenlehre hereingekommen, für den Maler das Dankenswerteste geleistet haben, wenn wir in der sechsten Abteilung die sinnlichen und sittlichen Wirkungen der Farbe zu bestimmen gesucht und sie dadurch dem Kunstgebrauch annähern wollen. Ist auch hierbei, wie durchaus, manches nur Skizze geblieben, so soll ja alles Theoretische eigentlich nur die Grundzüge andeuten, auf welchen sich hernach die Tat lebendig ergehen und zu gesetzlichem Hervorbringen gelangen mag.
Erste Abteilung – Physiologische Farben
Diese Farben, welche wir billig obenan setzen, weil sie dem Subjekt, weil sie dem Auge, teils völlig, teils größtens zugehören, diese Farben, welche das Fundament der ganzen Lehre machen und uns die chromatische Harmonie, worüber so viel gestritten wird, offenbaren, wurden bisher als außerwesentlich, zufällig, als Täuschung und Gebrechen betrachtet. Die Erscheinungen derselben sind von frühern Zeiten her bekannt, aber weil man ihre Flüchtigkeit nicht haschen konnte, so verbannte man sie in das Reich der schädlichen Gespenster und bezeichnete sie in diesem Sinne gar verschiedentlich.
2. Also heißen sie colores adventicii nach Boyle, imaginarii und phantastici nach Rizzetti, nach Buffon couleurs accidentelles, nach Scherffer Scheinfarben; Augentäuschungen und Gesichtsbetrug nach mehreren, nach Hamberger vitia fugitiva, nach Darwin ocular spectra.
3. Wir haben sie physiologische genannt, weil sie dem gesunden Auge angehören, weil wir sie als die notwendigen Bedingungen des Sehens betrachten, auf dessen lebendiges Wechselwirken in sich selbst und nach außen sie hindeuten.
4. Wir fügen ihnen sogleich die pathologischen hinzu, welche, wie jeder abnorme Zustand auf den gesetzlichen, so auch hier auf die physiologischen Farben eine vollkommenere Einsicht verbreiten.
I. Licht und Finsternis zum Auge
5. Die Retina befindet sich, je nachdem Licht oder Finsternis auf sie wirken, in zwei verschiedenen Zuständen, die einander völlig entgegenstehen.
6. Wenn wir die Augen innerhalb eines ganz finstern Raums offen halten, so wird uns ein gewisser Mangel empfindbar. Das Organ ist sich selbst überlassen, es zieht sich in sich selbst zurück, ihm fehlt jene reizende befriedigende Berührung, durch die es mit der äußern Welt verbunden und zum Ganzen wird.
7. Wenden wir das Auge gegen eine stark beleuchtete weiße Fläche, so wird es geblendet und für eine Zeit lang unfähig, mäßig beleuchtete Gegenstände zu unterscheiden.
8. Jeder dieser äußersten Zustände nimmt auf die angegebene Weise die ganze Netzhaut ein, und insofern werden wir nur einen derselben auf einmal gewahr. Dort (6) fanden wir das Organ in der höchsten Abspannung und Empfänglichkeit, hier (7) in der äußersten Überspannung und Unempfindlichkeit.
9. Gehen wir schnell aus einem dieser Zustände in den andern über, wenn auch nicht von einer äußersten Grenze zur andern, sondern etwa nur aus dem Hellen ins Dämmernde, so ist der Unterschied bedeutend und wir können bemerken, daß die Zustände eine Zeitlang dauern.
10. Wer aus der Tageshelle in einen dämmrigen Ort übergeht, unterscheidet nichts in der ersten Zeit, nach und nach stellen sich die Augen zur Empfänglichkeit wieder her, starke früher als schwache, jene schon in einer Minute, wenn diese sieben bis acht Minuten brauchen.
11. Bei wissenschaftlichen Beobachtungen kann die Unempfänglichkeit des Auges für schwache Lichteindrücke, wenn man aus dem Hellen ins Dunkle geht, zu sonderbaren Irrtümern Gelegenheit geben. So glaubte ein Beobachter, dessen Auge sich langsam herstellte, eine ganze Zeit, das faule Holz leuchte nicht um Mittag, selbst in der dunkeln Kammer. Er sah nämlich das schwache Leuchten nicht, weil er aus dem hellen Sonnenschein in die dunkle Kammer zu gehen pflegte und erst später einmal so lange darin verweilte, bis sich das Auge wieder hergestellt hatte.
Ebenso mag es dem Doktor Wall mit dem elektrischen Scheine des Bernsteins gegangen sein, den er bei Tage, selbst im dunkeln Zimmer, kaum gewahr werden konnte.
Das Nichtsehen der Sterne bei Tage, das Bessersehen der Gemälde durch eine doppelte Röhre ist auch hieher zu rechnen.
12. Wer einen völlig dunkeln Ort mit einem, den die Sonnt bescheint, verwechselt, wird geblendet. Wer aus der Dämmrung ins nicht blendende Helle kommt, bemerkt alle Gegenstände frischer und besser; daher ein ausgeruhtes Auge durchaus für mäßige Erscheinungen empfänglicher ist.
Bei Gefangenen, welche lange im Finstern gesessen, ist die Empfänglichkeit der Retina so groß, daß sie im Finstern (wahrscheinlich in einem wenig erhellten Dunkel) schon Gegenstände unterscheiden.
13. Die Netzhaut befindet sich bei dem, was wir sehen heißen, zu gleicher Zeit in verschiedenen, ja in entgegengesetzten Zuständen. Das höchste nicht blendende Helle wirkt neben dem völlig Dunkeln. Zugleich werden wir alle Mittelstufen des Helldunkeln und alle Farbenbestimmungen gewahr.
14. Wir wollen gedachte Elemente der sichtbaren Welt nach und nach betrachten und bemerken, wie sich das Organ gegen dieselben verhalte, und zu diesem Zweck die einfachsten Bilder vornehmen.
II. Schwarze und weiße Bilder zum Auge
15. Wie sich die Netzhaut gegen Hell und Dunkel überhaupt verhält, so verhält sie sich auch gegen dunkle und helle einzelne Gegenstände. Wenn Licht und Finsternis ihr im ganzen verschiedene Stimmungen geben, so werden schwarze und weiße Bilder, die zu gleicher Zeit ins Auge fallen, diejenigen Zustände nebeneinander bewirken, welche durch Licht und Finsternis in einer Folge hervorgebracht wurden.
16. Ein dunkler Gegenstand erscheint kleiner, als ein heller von derselben Größe. Man sehe zugleich eine weiße Rundung auf schwarzem, eine schwarze auf weißem Grunde, welche nach einerlei Zirkelschlag ausgeschnitten sind, in einiger Entfernung an, und wir werden die letztere etwa um ein Fünftel kleiner, als die erste halten. Man mache das schwarze Bild um soviel größer, und sie werden gleich erscheinen.
17. So bemerkte Tycho de Brahe, daß der Mond in der Konjunktion (der finstere) um den fünften Teil kleiner erscheine als in der Opposition (der volle helle). Die erste Mondsichel scheint einer größern Scheibe anzugehören als der an sie grenzenden dunkeln, die man zur Zeit des Neulichtes manchmal unterscheiden kann. Schwarze Kleider machen die Personen viel schmäler aussehen als helle. Hinter einem Rand gesehene Lichter machen in den Rand einen scheinbaren Einschnitt. Ein Lineal, hinter welchem ein Kerzenlicht hervorblickt, hat für uns eine Scharte. Die auf- und untergehende Sonne scheint einen Einschnitt in den Horizont zu machen.
18. Das Schwarze, als Repräsentant der Finsternis, läßt das Organ im Zustande der Ruhe, das Weiße, als Stellvertreter des Lichts, versetzt es in Tätigkeit. Man schlösse vielleicht aus gedachtem Phänomen (16), daß die ruhige Netzhaut, wenn sie sich selbst überlassen ist, in sich selbst zusammen gezogen sei und einen kleinern Raum einnehme als in dem Zustande der Tätigkeit, in den sie durch den Reiz des Lichtes versetzt wird.
Kepler sagt daher sehr schön: certum est vel in retina causa picturae, vel in spiritibus causa impressionis exsistere dilatationem lucidorum. Paralip. in Vitellionem p. 220. Pater Scherffer hat eine ähnliche Mutmaßung.
19. Wie dem auch sei, beide Zustände, zu welchen das Organ durch ein solches Bild bestimmt wird, bestehen auf demselben örtlich, und dauern eine Zeitlang fort, wenn auch schon der äußre Anlaß entfernt ist. Im gemeinen Leben bemerken wir es kaum: denn selten kommen Bilder vor, die sehr stark voneinander abstechen. Wir vermeiden diejenigen anzusehn, die uns blenden. Wir blicken von einem Gegenstand auf den andern, die Sukzession der Bilder scheint uns rein, wir werden nicht gewahr, daß sich von dem vorhergehenden etwas ins nachfolgende hinüberschleicht.
20. Wer auf ein Fensterkreuz, das einen dämmernden Himmel zum Hintergrunde hat, morgens beim Erwachen, wenn das Auge besonders empfänglich ist, scharf hinblickt und sodann die Augen schließt oder gegen einen ganz dunkeln Ort hinsieht, wird ein schwarzes Kreuz auf hellem Grunde noch eine Weile vor sich sehen.
21. Jedes Bild nimmt seinen bestimmten Platz auf der Netzhaut ein, und zwar einen größern oder kleinern, nach dem Maße, in welchem es nahe oder fern gesehen wird. Schließen wir das Auge sogleich, wenn wir in die Sonne gesehen haben, so werden wir uns wundern, wie klein das zurückgebliebene Bild erscheint.
22. Kehren wir dagegen das geöffnete Auge nach einer Wand und betrachten das uns vorschwebende Gespenst in bezug auf andre Gegenstände, so werden wir es immer größer erblicken, je weiter von uns es durch irgendeine Fläche aufgefangen wird. Dieses Phänomen erklärt sich wohl aus dem perspektivischen Gesetz, daß uns der kleine nähere Gegenstand den größern entfernten zudeckt.
23. Nach Beschaffenheit der Augen ist die Dauer dieses Eindrucks verschieden. Sie verhält sich wie die Herstellung der Netzhaut bei dem Übergang aus dem Hellen ins Dunkle (10) und kann also nach Minuten und Sekunden abgemessen werden, und zwar viel genauer, als es bisher durch eine geschwungene brennende Lunte, die dem hinblickenden Auge als ein Zirkel erscheint, geschehen konnte.
24. Besonders auch kommt die Energie in Betracht, womit eine Lichtwirkung das Auge trifft. Am längsten bleibt das Bild der Sonne, andre mehr oder weniger leuchtende Körper lassen ihre Spur länger oder kürzer zurück.
25. Diese Bilder verschwinden nach und nach, und zwar indem sie sowohl an Deutlichkeit als an Größe verlieren.
26. Sie nehmen von der Peripherie herein ab, und man glaubt bemerkt zu haben, daß bei viereckten Bildern sich nach und nach die Ecken abstumpfen, und zuletzt ein immer kleineres rundes Bild vorschwebt.
27. Ein solches Bild, dessen Eindruck nicht mehr bemerklich ist, läßt sich auf der Retina gleichsam wieder beleben, wenn wir die Augen öffnen und schließen und mit Erregung und Schonung abwechseln.
28. Daß Bilder sich bei Augenkrankheiten vierzehn bis siebzehn Minuten, ja länger auf der Retina erhielten, deutet auf äußerste Schwäche des Organs, auf dessen Unfähigkeit, sich wieder herzustellen, so wie das Vorschweben leidenschaftlich geliebter oder verhaßter Gegenstände aus dem Sinnlichen ins Geistige deutet.
29. Blickt man, indessen der Eindruck obgedachten Fensterbildes noch dauert, nach einer hellgrauen Fläche, so erscheint das Kreuz hell und der Scheibenraum dunkel. In jenem Falle (20) blieb der Zustand sich selbst gleich, so daß auch der Eindruck identisch verharren konnte; hier aber wird eine Umkehrung bewirkt, die unsere Aufmerksamkeit aufregt und von der uns die Beobachter mehrere Fälle überliefert haben.
30. Die Gelehrten, welche auf den Cordilleras ihre Beobachtungen anstellten, sahen um den Schatten ihrer Köpfe, der auf Wolken fiel, einen hellen Schein. Dieser Fall gehört wohl hieher: denn indem sie das dunkle Bild des Schattens fixierten und sich zugleich von der Stelle bewegten, so schien ihnen das geforderte helle Bild um das dunkle zu schweben. Man betrachte ein schwarzes Rund auf einer hellgrauen Fläche, so wird man bald, wenn man die Richtung des Blicks im geringsten verändert, einen hellen Schein um das dunkle Rund schweben sehen.
Auch mir ist ein Ähnliches begegnet. Indem ich nämlich auf dem Felde sitzend mit einem Manne sprach, der, in einiger Entfernung vor mir stehend, einen grauen Himmel zum Hintergrund hatte, so erschien mir, nachdem ich ihn lange scharf und unverwandt angesehen, als ich den Blick ein wenig gewendet, sein Kopf von einem blendenden Schein umgeben.
Wahrscheinlich gehört hieher auch das Phänomen, daß Personen, die bei Aufgang der Sonne an feuchten Wiesen hergehen, einen Schein um ihr Haupt erblicken, der zugleich farbig sein mag, weil sich von den Phänomenen der Refraktion etwas einmischt.
So hat man auch um die Schatten der Luftballone, welche auf Wolken fielen, helle und einigermaßen gefärbte Kreise bemerken wollen.
Pater Beccaria stellte einige Versuche an über die Wetterelektrizität, wobei er den papiernen Drachen in die Höhe steigen ließ. Es zeigte sich um diese Maschine ein kleines glänzendes Wölkchen von abwechselnder Größe, ja auch um einen Teil der Schnur. Es verschwand zuweilen, und wenn der Drache sich schneller bewegte, schien es auf dem vorigen Platze einige Augenblicke hin und wieder zu schweben. Diese Erscheinung, welche die damaligen Beobachter nicht erklären konnten, war das im Auge zurückgebliebene, gegen den hellen Himmel in ein helles verwandelte Bild des dunkeln Drachen.
Bei optischen, besonders chromatischen Versuchen, wo man oft mit blendenden Lichtern, sie seien farblos oder farbig, zu tun hat, muß man sich sehr vorsehen, daß nicht das zurückgebliebene Spektrum einer vorhergehenden Beobachtung sich mit in eine folgende Beobachtung mische und dieselbe verwirrt und unrein mache.
31. Diese Erscheinungen hat man sich folgendermaßen zu erklären gesucht. Der Ort der Retina, auf welchen das Bild des dunklen Kreuzes fiel, ist als ausgeruht und empfänglich anzusehen. Auf ihn wirkt die mäßig erhellte Fläche lebhafter als auf die übrigen Teile der Netzhaut, welche durch die Fensterscheiben das Licht empfingen, und nachdem sie durch einen so viel stärkern Reiz in Tätigkeit gesetzt worden, die graue Fläche nur als dunkel gewahr werden.
32. Diese Erklärungsart scheint für den gegenwärtigen Fall ziemlich hinreichend; in Betrachtung künftiger Erscheinungen aber sind wir genötigt, das Phänomen aus höhern Quellen abzuleiten.
33. Das Auge eines Wachenden äußert seine Lebendigkeit besonders darin, daß es durchaus in seinen Zuständen abzuwechseln verlangt, die sich am einfachsten vom Dunkeln zum Hellen und umgekehrt bewegen. Das Auge kann und mag nicht einen Moment in einem besondern, in einem durch das Objekt spezifizierten Zustande identisch verharren. Es ist vielmehr zu einer Art von Opposition genötigt, die, indem sie das Extrem dem Extreme, das Mittlere dem Mittleren entgegensetzt, sogleich das Entgegengesetzte verbindet und in der Sukzession sowohl als in der Gleichzeitigkeit und Gleichörtlichkeit nach einem Ganzen strebt.
34. Vielleicht entsteht das außerordentliche Behagen, das wir bei dem wohlbehandelten Helldunkel farbloser Gemälde und ähnlicher Kunstwerke empfinden, vorzüglich aus dem gleichzeitigen Gewahrwerden eines Ganzen, das von dem Organ sonst nur in einer Folge mehr gesucht, als hervorgebracht wird, und wie es auch gelingen möge, niemals festgehalten werden kann.
III. Graue Flächen und Bilder
35. Ein großer Teil chromatischer Versuche verlangt ein mäßiges Licht. Dieses können wir sogleich durch mehr oder minder graue Flächen bewirken, und wir haben uns daher mit dem Grauen zeitig bekannt zu machen, wobei wir kaum zu bemerken brauchen, daß in manchen Fällen eine im Schatten oder in der Dämmerung stehende weiße Fläche für eine graue gelten kann.
36. Da eine graue Fläche zwischen Hell und Dunkel innen steht, so läßt sich das, was wir oben (29) als Phänomen vorgetragen, zum bequemen Versuch erheben.
37. Man halte ein schwarzes Bild vor eine graue Fläche und sehe unverwandt, indem es weggenommen wird, auf denselben Fleck; der Raum, den es einnahm, erscheint um vieles heller. Man halte auf eben diese Art ein weißes Bild hin, und der Raum wird nachher dunkler als die übrige Fläche erscheinen. Man verwende das Auge auf der Tafel hin und wieder, so werden in beiden Fällen die Bilder sich gleichfalls hin und her bewegen.
38. Ein graues Bild auf schwarzem Grunde erscheint viel heller als dasselbe Bild auf weißem. Stellt man beide Fälle nebeneinander, so kann man sich kaum überzeugen, daß beide Bilder aus einem Topf gefärbt seien. Wir glauben hier abermals die große Regsamkeit der Netzhaut zu bemerken und den stillen Widerspruch, den jedes Lebendige zu äußern gedrungen ist, wenn ihm irgendein bestimmter Zustand dargeboten wird. So setzt das Einatmen schon das Ausatmen voraus und umgekehrt; so jede Systole ihre Diastole. Es ist die ewige Formel des Lebens, die sich auch hier äußert. Wie dem Auge das Dunkle geboten wird, so fordert es das Helle; es fordert Dunkel, wenn man ihm Hell entgegenbringt, und zeigt eben dadurch seine Lebendigkeit, sein Recht, das Objekt zu fassen, indem es etwas, das dem Objekt entgegengesetzt ist, aus sich selbst hervorbringt.
IV. Blendendes farbloses Bild
39. Wenn man ein blendendes völlig farbloses Bild ansieht, so macht solches einen starken dauernden Eindruck, und das Abklingen desselben ist von einer Farbenerscheinung begleitet.
40. In einem Zimmer, das möglichst verdunkelt worden, habe man im Laden eine runde Öffnung, etwa drei Zoll im Durchmesser, die man nach Belieben auf-und zudecken kann; durch selbige lasse man die Sonne auf ein weißes Papier scheinen und sehe in einiger Entfernung starr das erleuchtete Rund an; man schließe darauf die Öffnung und blicke nach dem dunkelsten Orte des Zimmers, so wird man eine runde Erscheinung vor sich schweben sehen. Die Mitte des Kreises wird man hell, farblos, einigermaßen gelb sehen, der Rand aber wird sogleich purpurfarben erscheinen.
Es dauert eine Zeitlang, bis diese Purpurfarbe von außen herein den ganzen Kreis zudeckt, und endlich den hellen Mittelpunkt völlig vertreibt. Kaum erscheint aber das ganze Rund purpurfarben, so fängt der Rand an blau zu werden, das Blaue verdrängt nach und nach hereinwärts den Purpur. Ist die Erscheinung vollkommen blau, so wird der Rand dunkel und unfärbig. Es währet lange, bis der unfärbige Rand völlig das Blaue vertreibt und der ganze Raum unfärbig wird. Das Bild nimmt sodann nach und nach ab, und zwar dergestalt, daß es zugleich schwächer und kleiner wird. Hier sehen wir abermals, wie sich die Netzhaut durch eine Sukzession von Schwingungen gegen den gewaltsamen äußern Eindruck nach und nach wieder herstellt (25, 26).
41. Die Verhältnisse des Zeitmaßes dieser Erscheinung habe ich an meinem Auge, bei mehrern Versuchen übereinstimmend, folgendermaßen gefunden.
Auf das blendende Bild hatte ich fünf Sekunden gesehen, darauf den Schieber geschlossen; da erblickt’ ich das farbige Scheinbild schwebend, und nach dreizehn Sekunden erschien es ganz purpurfarben. Nun vergingen wieder neunundzwanzig Sekunden, bis das Ganze blau erschien, und achtundvierzig, bis es mir farblos vorschwebte. Durch Schließen und Öffnen des Auges belebte ich das Bild immer wieder (27), so daß es sich erst nach Verlauf von sieben Minuten ganz verlor.
Künftige Beobachter werden diese Zeiten kürzer oder länger finden, je nachdem sie stärkere oder schwächere Augen haben (23). Sehr merkwürdig aber wäre es, wenn man demungeachtet durchaus ein gewisses Zahlenverhältnis dabei entdecken könnte.
42. Aber dieses sonderbare Phänomen erregt nicht so bald unsre Aufmerksamkeit, als wir schon eine neue Modifikation desselben gewahr werden.
Haben wir, wie oben gedacht, den Lichteindruck im Auge aufgenommen und sehen in einem mäßig erleuchteten Zimmer auf einen hellgrauen Gegenstand, so schwebt abermals ein Phänomen vor uns, aber ein dunkles, das sich nach und nach von außen mit einem grünen Rande einfaßt, welcher ebenso wie vorher der purpurne Rand sich über das ganze Rund hineinwärts verbreitet. Ist dieses geschehen, so sieht man nunmehr ein schmutziges Gelb, das, wie in dem vorigen Versuche das Blau, die Scheibe ausfüllt und zuletzt von einer Unfarbe verschlungen wird.
43. Diese beiden Versuche lassen sich kombinieren, wenn man in einem mäßig hellen Zimmer eine schwarze und weiße Tafel nebeneinander hinsetzt und, solange das Auge den Lichteindruck behält, bald auf die weiße, bald auf die schwarze Tafel scharf hinblickt. Man wird alsdann im Anfange bald ein purpurnes, bald ein grünes Phänomen und so weiter das übrige gewahr werden. Ja, wenn man sich geübt hat, so lassen sich, indem man das schwebende Phänomen dahin bringt, wo die zwei Tafeln aneinander stoßen, die beiden entgegengesetzten Farben zugleich erblicken; welches um so bequemer geschehen kann, als die Tafeln entfernter stehen, indem das Spektrum alsdann größer erscheint.
44. Ich befand mich gegen Abend in einer Eisen schmiede, als eben die glühende Masse unter den Hammer gebracht wurde. Ich hatte scharf darauf gesehen, wendete mich um und blickte zufällig in einen offenstehenden Kohlenschoppen. Ein ungeheures purpurfarbnes Bild schwebte nun vor meinen Augen, und als ich den Blick von der dunkeln Öffnung weg nach dem hellen Bretterverschlag wendete, so erschien mir das Phänomen halb grün, halb purpurfarben, je nachdem es einen dunklern oder hellern Grund hinter sich hatte. Auf das Abklingen dieser Erscheinung merkte ich damals nicht.
45. Wie das Abklingen eines umschriebenen Glanzbildes verhält sich auch das Abklingen einer totalen Blendung der Retina. Die Purpurfarbe, welche die vom Schnee Geblendeten erblicken, gehört hieher, sowie die ungemein schöne grüne Farbe dunkler Gegenstände, nachdem man auf ein weißes Papier in der Sonne lange hingesehen. Wie es sich näher damit verhalte, werden diejenigen künftig untersuchen, deren jugendliche Augen, um der Wissenschaft willen, noch etwas auszustehen fähig sind.
46. Hieher gehören gleichfalls die schwarzen Buchstaben, die im Abendlichte rot erscheinen. Vielleicht gehört auch die Geschichte hieher, daß sich Blutstropfen auf dem Tische zeigten, an den sich Heinrich der Vierte von Frankreich mit dem Herzog von Guise, um Würfel zu spielen, gesetzt hatte.
V. Farbige Bilder
47. Wir wurden die physiologischen Farben zuerst beim Abklingen farbloser blendender Bilder, sowie auch bei abklingenden allgemeinen farblosen Blendungen gewahr. Nun finden wir analoge Erscheinungen, wenn dem Auge eine schon spezifizierte Farbe geboten wird, wobei uns alles, was wir bisher erfahren haben, immer gegenwärtig bleiben muß.
48. Wie von den farblosen Bildern, so bleibt auch von den farbigen der Eindruck im Auge, nur daß uns die zur Opposition aufgeforderte und durch den Gegensatz eine Totalität hervorbringende Lebendigkeit der Netzhaut anschaulicher wird.
49. Man halte ein kleines Stück lebhaft farbigen Papiers oder seidnen Zeuges vor eine mäßig erleuchtete weiße Tafel, schaue unverwandt auf die kleine farbige Fläche und hebe sie, ohne das Auge zu verrücken, nach einiger Zeit hinweg, so wird das Spektrum einer andern Farbe auf der weißen Tafel zu sehen sein. Man kann auch das farbige Papier an seinem Orte lassen und mit dem Auge auf einen andern Fleck der weißen Tafel hinblicken, so wird jene farbige Erscheinung sich auch dort sehen lassen: denn sie entspringt aus einem Bilde, das nunmehr dem Auge angehört.
50. Um in der Kürze zu bemerken, welche Farben denn eigentlich durch diesen Gegensatz hervorgerufen werden, bediene man sich des illuminierten Farbenkreises unserer Tafeln, der überhaupt naturgemäß eingerichtet ist und auch hier seine guten Dienste leistet, indem die in demselben diametral einander entgegengesetzten Farben diejenigen sind, welche sich im Auge wechselsweise fordern. So fordert Gelb das Violette, Orange das Blaue, Purpur das Grüne, und umgekehrt. So fordern sich alle Abstufungen wechselsweise, die einfachere Farbe fordert die zusammengesetztere, und umgekehrt.
51. Öfter, als wir denken, kommen uns die hieher gehörigen Fälle im gemeinen Leben vor, ja der Aufmerksame sieht diese Erscheinungen überall, da sie hingegen von dem ununterrichteten Teil der Menschen, wie von unsern Vorfahren, als flüchtige Fehler angesehen werden, ja manchmal gar, als wären es Vorbedeutungen von Augenkrankheiten, sorgliches Nachdenken erregen. Einige bedeutende Fälle mögen hier Platz nehmen.
52. Als ich gegen Abend in ein Wirtshaus eintrat und ein wohlgewachsenes Mädchen mit blendendweißem Gesicht, schwarzen Haaren und einem scharlachroten Mieder zu mir ins Zimmer trat, blickte ich sie, die in einiger Entfernung vor mir stand, in der Halbdämmerung scharf an. Indem sie sich nun darauf hinwegbewegte, sah ich auf der mir entgegenstehenden weißen Wand ein schwarzes Gesicht, mit einem hellen Schein umgeben, und die übrige Bekleidung der völlig deutlichen Figur erschien von einem schönen Meergrün.
53. Unter dem optischen Apparat befinden sich Brustbilder von Farben und Schattierungen, denen entgegengesetzt, welche die Natur zeigt, und man will, wenn man sie eine Zeitlang angeschaut, die Scheingestalt alsdann ziemlich natürlich gesehen haben. Die Sache ist an sich selbst richtig und der Erfahrung gemäß: denn in obigem Falle hätte mir eine Mohrin mit weißer Binde ein weißes Gesicht schwarz umgeben hervorgebracht; nur will es bei jenen gewöhnlich klein gemalten Bildern nicht jedermann glücken, die Teile der Scheinfigur gewahr zu werden.
54. Ein Phänomen, das schon früher bei den Naturforschern Aufmerksamkeit erregt, läßt sich, wie ich überzeugt bin, auch aus diesen Erscheinungen ableiten.
Man erzählt, daß gewisse Blumen im Sommer bei Abendzeit gleichsam blitzen, phosphoreszieren oder ein augenblickliches Licht ausströmen. Einige Beobachter geben diese Erfahrungen genauer an.
Dieses Phänomen selbst zu sehen hatte ich mich oft bemüht, ja sogar, um es hervorzubringen, künstliche Versuche angestellt.
Am 19. Juni 1799, als ich zu später Abendzeit bei der in eine klare Nacht übergehenden Dämmerung mit einem Freunde im Garten auf- und abging, bemerkten wir sehr deutlich an den Blumen des orientalischen Mohns, die vor allen andern eine sehr mächtig rote Farbe haben, etwas Flammenähnliches, das sich in ihrer Nähe zeigte. Wir stellten uns vor die Stauden hin, sahen aufmerksam darauf, konnten aber nichts weiter bemerken, bis uns endlich, bei abermaligem Hin- und Widergehen, gelang, indem wir seitwärts darauf blickten, die Erscheinung so oft zu wiederholen, als uns beliebte. Es zeigte sich, daß es ein physiologisches Farbenphänomen, und der scheinbare Blitz eigentlich das Scheinbild der Blume in der geforderten blaugrünen Farbe sei.
Wenn man eine Blume gerad ansieht, so kommt die Erscheinung nicht hervor; doch müßte es auch geschehen, sobald man mit dem Blick wankte. Schielt man aber mit dem Augenwinkel hin, so entsteht eine momentane Doppelerscheinung, bei welcher das Scheinbild gleich neben und an dem wahren Bilde erblickt wird.
Die Dämmerung ist Ursache, daß das Auge völlig ausgeruht und empfänglich ist, und die Farbe des Mohns ist mächtig genug, bei einer Sommerdämmerung der längsten Tage, noch vollkommen zu wirken und ein gefordertes Bild hervorzurufen.
Ich bin überzeugt, daß man diese Erscheinung zum Versuche erheben und den gleichen Effekt durch Papierblumen hervorbringen könnte.
Will man indessen sich auf die Erfahrung in der Naturvorbereiten, so gewöhne man sich, indem man durch den Garten geht, die farbigen Blumen scharf anzusehen und sogleich auf den Sandweg hinzublicken; man wird diesen alsdann mit Flecken der entgegengesetzten Farbe bestreut sehen. Diese Erfahrung glückt bei bedecktem Himmel, aber auch selbst beim hellsten Sonnenschein, der, indem er die Farbe der Blume erhöht, sie fähig macht die geforderte Farbe mächtig genug hervorzubringen, daß sie selbst bei einem blendenden Lichte noch bemerkt werden kann. So bringen die Päonien schön grüne, die Kalendeln lebhaft blaue Spektra hervor.
55. So wie bei den Versuchen mit farbigen Bildern auf einzelnen Teilen der Retina ein Farbenwechsel gesetzmäßig entsteht, so geschieht dasselbe, wenn die ganze Netzhaut von einer Farbe affiziert wird. Hievon können wir uns überzeugen, wenn wir farbige Glasscheiben vors Auge nehmen. Man blicke eine Zeitlang durch eine blaue Scheibe, so wird die Welt nachher dem befreiten Auge wie von der Sonne erleuchtet erscheinen, wenn auch gleich der Tag grau und die Gegend herbstlich farblos wäre. Ebenso sehen wir, indem wir eine grüne Brille weglegen, die Gegenstände mit einem rötlichen Schein überglänzt. Ich sollte daher glauben, daß es nicht wohlgetan sei, zu Schonung der Augen sich grüner Gläser, oder grünen Papiers zu bedienen, weil jede Farbspezifikation dem Auge Gewalt antut und das Organ zur Opposition nötigt.
56. Haben wir bisher die entgegengesetzten Farben sich einander sukzessiv auf der Retina fordern sehen, so bleibt uns noch übrig zu erfahren, daß diese gesetzliche Forderung auch simultan bestehen könne. Malt sich auf einem Teile der Netzhaut ein farbiges Bild, so findet sich der übrige Teil sogleich in einer Disposition, die bemerkten korrespondierenden Farben hervorzubringen. Setzt man obige Versuche fort und blickt zum Beispiel vor einer weißen Fläche auf ein gelbes Stück Papier, so ist der übrige Teil des Auges schon disponiert, auf gedachter farbloser Fläche das Violette hervorzubringen. Allein das wenige Gelbe ist nicht mächtig genug, jene Wirkung deutlich zu leisten. Bringt man aber auf eine gelbe Wand weiße Papiere, so wird man sie mit einem violetten Ton überzogen sehen.
57. Ob man gleich mit allen Farben diese Versuche anstellen kann, so sind doch besonders dazu Grün und Purpur zu empfehlen, weil diese Farben einander auffallend hervorrufen. Auch im Leben begegnen uns diese Fälle häufig. Blickt ein grünes Papier durch gestreiften oder geblümten Musselin hindurch, so werden die Streifen oder Blumen rötlich erscheinen. Durch grüne Schaltern ein graues Haus gesehen, erscheint gleichfalls rötlich. Die Purpurfarbe an dem bewegten Meer ist auch eine geforderte Farbe. Der beleuchtete Teil der Wellen erscheint grün in seiner eigenen Farbe, und der beschattete in der entgegengesetzten purpurnen. Die verschiedene Richtung der Wellen gegen das Auge bringt eben die Wirkung hervor. Durch eine Öffnung roter oder grüner Vorhänge erscheinen die Gegenstände draußen mit der geforderten Farbe. Übrigens werden sich diese Erscheinungen dem Aufmerksamen überall, ja bis zur Unbequemlichkeit zeigen.
58. Haben wir das Simultane dieser Wirkungen bisher in den direkten Fällen kennen gelernt, so können wir solche auch in den umgekehrten bemerken. Nimmt man ein sehr lebhaft orange gefärbtes Stückchen Papier vor die weiße Fläche, so wird man, wenn man es scharf ansieht, das auf der übrigen Fläche geforderte Blau schwerlich gewahr werden. Nimmt man aber das orange Papier weg und erscheint an dessen Platz das blaue Scheinbild, so wird sich in dem Augenblick, da dieses völlig wirksam ist, die übrige Fläche, wie in einer Art von Wetterleuchten, mit einem rötlich gelben Schein überziehen und wird dem Beobachter die produktive Forderung dieser Gesetzlichkeit zum lebhaften Anschauen bringen.
59. Wie die geforderten Farben, da wo sie nicht sind, neben und nach der fordernden leicht erscheinen, so werden sie erhöht, da wo sie sind. In einem Hofe, der mit grauen Kalksteinen gepflastert und mit Gras durchwachsen war, erschien das Gras von einer unendlich schönen Grüne, als Abendwolken einen rötlichen kaum bemerklichen Schein auf das Pflaster warfen. Im umgekehrten Falle sieht derjenige, der bei einer mittleren Helle des Himmels auf Wiesen wandelt und nichts als Grün vor sich sieht, öfters die Baumstämme und Wege mit einem rötlichen Scheine leuchten. Bei Landschaftmalern, besonders denjenigen, die mit Aquarellfarben arbeiten, kommt dieser Ton öfters vor. Wahrscheinlich sehen sie ihn in der Natur, ahmen ihn unbewußt nach und ihre Arbeit wird als unnatürlich getadelt.
60. Diese Phänomene sind von der größten Wichtigkeit, indem sie uns auf die Gesetze des Sehens hindeuten und zu künftiger Betrachtung der Farben eine notwendige Vorbereitung sind. Das Auge verlangt dabei ganz eigentlich Totalität und schließt in sich selbst den Farbenkreis ab. In dem vom Gelben geforderten Violetten liegt das Rote und Blaue; im Orange das Gelbe und Rote, dem das Blaue entspricht; das Grüne vereinigt Blau und Gelb und fordert das Rote, und so in allen Abstufungen der verschiedensten Mischungen. Daß man in diesem Falle genötigt werde, drei Hauptfarben anzunehmen, ist schon früher von den Beobachtern bemerkt worden.
61. Wenn in der Totalität die Elemente, woraus sie zusammenwächst, noch bemerklich sind, nennen wir sie billig Harmonie, und wie die Lehre von der Harmonie der Farben sich aus diesen Phänomenen herleite, wie nur durch diese Eigenschaften die Farbe fähig sei, zu ästhetischem Gebrauch angewendet zu werden, muß sich in der Folge zeigen, wenn wir den ganzen Kreis der Beobachtungen durchlaufen haben und auf den Punkt, wovon wir ausgegangen sind, zurückkehren.
VI. Farbige Schatten
62. Ehe wir jedoch weiter schreiten, haben wir noch höchst merkwürdige Fälle dieser lebendig geforderten, nebeneinander bestehenden Farben zu beobachten, und zwar indem wir unsre Aufmerksamkeit auf die farbigen Schatten richten. Um zu diesen überzugehen, wenden wir uns vorerst zur Betrachtung der farblosen Schatten.
63. Ein Schatten von der Sonne auf eine weiße Fläche geworfen gibt uns keine Empfindung von Farbe, solange die Sonne in ihrer völligen Kraft wirkt. Er scheint schwarz oder, wenn ein Gegenlicht hinzu dringen kann, schwächer, halberhellt, grau.
64. Zu den farbigen Schatten gehören zwei Bedingungen, erstlich, daß das wirksame Licht auf irgend eine Art die weiße Fläche färbe, zweitens, daß ein Gegenlicht den geworfenen Schatten auf einen gewissen Grad erleuchte.
65. Man setze bei der Dämmerung auf ein weißes Papier eine niedrig brennende Kerze; zwischen sie und das abnehmende Tageslicht stelle man einen Bleistift aufrecht, so daß der Schatten, welchen die Kerze wirft, von dem schwachen Tageslicht erhellt, aber nicht aufgehoben werden kann, und der Schatten wird von dem schönsten Blau erscheinen.
66. Daß dieser Schatten blau sei, bemerkt man alsobald; aber man überzeugt sich nur durch Aufmerksamkeit, daß das weiße Papier als eine rötlich gelbe Fläche wirkt, durch welchen Schein jene blaue Farbe im Auge gefordert wird.
67. Bei allen farbigen Schatten daher muß man auf der Fläche, auf welche er geworfen wird, eine erregte Farbe vermuten, welche sich auch bei aufmerksamerer Betrachtung wohl erkennen läßt. Doch überzeuge man sich vorher durch folgenden Versuch.
68. Man nehme zu Nachtzeit zwei brennende Kerzen und stelle sie gegeneinander auf eine weiße Fläche; man halte einen dünnen Stab zwischen beiden aufrecht, so daß zwei Schatten entstehen; man nehme ein farbiges Glas und halte es vor das eine Licht, also daß die weiße Fläche gefärbt erscheine, und in demselben Augenblick wird der von dem nunmehr färbenden Lichte geworfene, und von dem farblosen Lichte beleuchtete Schatten die geforderte Farbe anzeigen.
69. Es tritt hier eine wichtige Betrachtung ein, auf die wir noch öfters zurückkommen werden. Die Farbe selbst ist ein Schattiges (σκιερον); deswegen Kircher vollkommen recht hat, sie Lumen opacatum zu nennen; und wie sie mit dem Schatten verwandt ist, so verbindet sie sich auch gern mit ihm, sie erscheint uns gern in ihm und durch ihn, sobald der Anlaß nur gegeben ist; und so müssen wir bei Gelegenheit der farbigen Schatten zugleich eines Phänomens erwähnen, dessen Ableitung und Entwickelung erst später vorgenommen werden kann.
70. Man wähle in der Dämmerung den Zeitpunkt, wo das einfallende Himmelslicht noch einen Schatten zu werfen imstande ist, der von dem Kerzenlichte nicht ganz aufgehoben werden kann, so daß vielmehr ein doppelter fällt, einmal vom Kerzenlicht gegen das Himmelslicht und sodann vom Himmelslicht gegen das Kerzenlicht. Wenn der erstere blau ist, so wird der letztere hochgelb erscheinen. Dieses hohe Gelb ist aber eigentlich nur der über das ganze Papier von dem Kerzenlicht verbreitete gelbrötliche Schein, der im Schatten sichtbar wird.
71. Hievon kann man sich bei dem obigen Versuche mit zwei Kerzen und farbigen Gläsern am besten überzeugen, so wie die unglaubliche Leichtigkeit, womit der Schatten eine Farbe annimmt, bei der nähern Betrachtung der Widerscheine und sonst mehrmals zur Sprache kommt.
72. Und so wäre denn auch die Erscheinung der farbigen Schatten, welche den Beobachtern bisher so viel zu schaffen gemacht, bequem abgeleitet. Ein jeder, der künftighin farbige Schatten bemerkt, beobachte nur, mit welcher Farbe die helle Fläche, worauf sie erscheinen, etwa tingiert sein möchte. Ja man kann die Farbe des Schattens als ein Chromatoskop der beleuchteten Flächen ansehen, indem man die der Farbe des Schattens entgegenstehende Farbe auf der Fläche vermuten und bei näherer Aufmerksamkeit in jedem Falle gewahr werden kann.
73. Wegen dieser nunmehr bequem abzuleitenden farbigen Schatten hat man sich bisher viel gequält und sie, weil sie meistenteils unter freiem Himmel beobachtet wurden und vorzüglich blau erschienen, einer gewissen heimlich blauen und blau färbenden Eigenschaft der Luft zugeschrieben. Man kann sich aber bei jenem Versuche mit dem Kerzenlicht im Zimmer überzeugen, daß keine Art von blauem Schein oder Widerschein dazu nötig ist, indem man den Versuch an einem grauen trüben Tag, ja hinter zugezogenen weißen Vorhängen anstellen kann, in einem Zimmer, wo sich auch nicht das mindeste Blaue befindet, und der blaue Schatten wird sich nur um desto schöner zeigen.
74. Saussure sagt in der Beschreibung seiner Reise auf den Montblanc:
»Eine zweite nicht uninteressante Bemerkung betrifft die Farben der Schatten, die wir trotz der genausten Beobachtung nie dunkelblau fanden, ob es gleich in der Ebene häufig der Fall gewesen war. Wir sahen sie im Gegenteil von neunundfünfzigmal einmal gelblich, sechsmal blaßbläulich, achtzehnmal farbenlos oder schwarz, und vierunddreißigmal blaßviolett.
Wenn also einige Physiker annehmen, daß diese Farben mehr von zufälligen in der Luft zerstreuten, den Schatten ihre eigentümlichen Nüancen mitteilenden Dünsten herrühren, nicht aber durch eine bestimmte Luft- oder reflektierte Himmelsfarbe verursacht werden, so scheinen jene Beobachtungen ihrer Meinung günstig zu sein.«
Die von de Saussure angezeigten Erfahrungen werden wir nun bequem einrangieren können.
Auf der großen Höhe war der Himmel meistenteils rein von Dünsten. Die Sonne wirkte in ihrer ganzen Kraft auf den weißen Schnee, so daß er dem Auge völlig weiß erschien, und sie sahen bei dieser Gelegenheit die Schatten völlig farbenlos. War die Luft mit wenigen Dünsten geschwängert und entstand dadurch ein gelblicher Ton des Schnees, so folgten violette Schatten, und zwar waren diese die meisten. Auch sahen sie bläuliche Schatten, jedoch seltener; und daß die blauen und violetten nur blaß waren, kam von der hellen und heiteren Umgebung, wodurch die Schattenstärke gemindert wurde. Nur einmal sahen sie den Schatten gelblich, welches, wie wir oben (70) gesehen haben, ein Schatten ist, der von einem farblosen Gegenlichte geworfen und von dem färbenden Hauptlichte erleuchtet worden.
75. Auf einer Harzreise im Winter stieg ich gegen Abend vom Brocken herunter, die weiten Flächen auf-und abwärts waren beschneit, die Heide von Schnee bedeckt, alle zerstreut stehenden Bäume und vorragenden Klippen, auch alle Baum- und Felsenmassen völlig bereift, die Sonne senkte sich eben gegen die Oderteiche hinunter.
Waren den Tag über, bei dem gelblichen Ton des Schnees, schon leise violette Schatten bemerklich gewesen, so mußte man sie nun für hochblau ansprechen, als ein gesteigertes Gelb von den beleuchteten Teilen widerschien.
Als aber die Sonne sich endlich ihrem Niedergang näherte und ihr durch die stärkeren Dünste höchst gemäßigter Strahl die ganze mich umgebende Welt mit der schönsten Purpurfarbe überzog, da verwandelte sich die Schattenfarbe in ein Grün, das nach seiner Klarheit einem Meergrün, nach seiner Schönheit einem Smaragdgrün verglichen werden konnte. Die Erscheinung ward immer lebhafter, man glaubte sich in einer Feenwelt zu befinden, denn alles hatte sich in die zwei lebhaften und so schön übereinstimmenden Farben gekleidet, bis endlich mit dem Sonnenuntergang die Prachterscheinung sich in eine graue Dämmerung, und nach und nach in eine mond- und sternhelle Nacht verlor.
76. Einer der schönsten Fälle farbiger Schatten kann bei dem Vollmonde beobachtet werden. Der Kerzen- und Mondenschein lassen sich völlig ins Gleichgewicht bringen. Beide Schatten können gleich stark und deutlich dargestellt werden, so daß beide Farben sich vollkommen balancieren. Man setzt die Tafel dem Scheine des Vollmondes entgegen, das Kerzenlicht ein wenig an die Seite, in gehöriger Entfernung, vor die Tafel hält man einen undurchsichtigen Körper; alsdann entsteht ein doppelter Schatten, und zwar wird derjenige, den der Mond wirft und das Kerzenlicht bescheint, gewaltig rotgelb, und umgekehrt der, den das Licht wirft und der Mond bescheint, vom schönsten Blau gesehen werden. Wo beide Schatten zusammentreffen und sich zu einem vereinigen, ist er schwarz. Der gelbe Schatten läßt sich vielleicht auf keine Weise auffallender darstellen. Die unmittelbare Nähe des blauen, der dazwischentretende schwarze Schatten machen die Erscheinung desto angenehmer. Ja, wenn der Blick lange auf der Tafel verweilt, so wird das geforderte Blau das fordernde Gelb wieder gegenseitig fordernd steigern und ins Gelbrote treiben, welches denn wieder seinen Gegensatz, eine Art von Meergrün, hervorbringt.
77. Hier ist der Ort zu bemerken, daß es wahrscheinlich eines Zeitmomentes bedarf, um die geforderte Farbe hervorzubringen. Die Retina muß von der fordernden Farbe erst recht affiziert sein, ehe die geforderte lebhaft bemerklich wird.
78. Wenn Taucher sich unter dem Meere befinden und das Sonnenlicht in ihre Glocke scheint, so ist alles Beleuchtete, was sie umgibt, purpurfarbig (wovon künftig die Ursache anzugeben ist); die Schatten dagegen sehen grün aus. Eben dasselbe Phänomen, was ich auf einem hohen Berge gewahr wurde (75), bemerken sie in der Tiefe des Meers, und so ist die Natur mit sich selbst durchaus übereinstimmend.
79. Einige Erfahrungen und Versuche, welche sich zwischen die Kapitel von farbigen Bildern und von farbigen Schatten gleichsam einschieben, werden hier nachgebracht.
Man habe an einem Winterabende einen weißen Papierladen inwendig vor dem Fenster eines Zimmers; in diesem Laden sei eine Öffnung, wodurch man den Schnee eines etwa benachbarten Daches sehen könne; es sei draußen noch einigermaßen dämmrig und ein Licht komme in das Zimmer; so wird der Schnee durch die Öffnung vollkommen blau erscheinen, weil nämlich das Papier durch das Kerzenlicht gelb gefärbt wird. Der Schnee, welchen man durch die Öffnung sieht, tritt hier an die Stelle eines durch ein Gegenlicht erhellten Schattens, oder, wenn man will, eines grauen Bildes auf gelber Fläche.
80. Ein andrer sehr interessanter Versuch mache den Schluß.
Nimmt man eine Tafel grünen Glases von einiger Stärke und läßt darin die Fensterstäbe sich spiegeln, so wird man sie doppelt sehen, und zwar wird das Bild, das von der untern Fläche des Glases kommt, grün sein, das Bild hingegen, das sich von der obern Fläche herleitet und eigentlich farblos sein sollte, wird purpurfarben erscheinen.
An einem Gefäß, dessen Boden spiegelartig ist, welches man mit Wasser füllen kann, läßt sich der Versuch sehr artig anstellen, indem man bei reinem Wasser erst die farblosen Bilder zeigen und durch Färbung desselben sodann die farbigen Bilder produzieren kann.
VII. Schwachwirkende Lichter
81. Das energische Licht erscheint rein weiß, und diesen Eindruck macht es auch im höchsten Grade der Blendung. Das nicht in seiner ganzen Gewalt wirkende Licht kann auch noch unter verschiedenen Bedingungen farblos bleiben. Mehrere Naturforscher und Mathematiker haben die Stufen desselben zu messen gesucht. Lambert, Bouguer, Rumford.
82. Jedoch findet sich bei schwächer wirkenden Lichtern bald eine Farbenerscheinung, indem sie sich wie abklingende Bilder verhalten (39).
83. Irgendein Licht wirkt schwächer, entweder wenn seine Energie, es geschehe wie es wolle, gemindert wird, oder wenn das Auge in eine Disposition gerät, die Wirkung nicht genugsam erfahren zu können. Jene Erscheinungen, welche objektiv genannt werden können, finden ihren Platz bei den physischen Farben. Wir erwähnen hier nur des Übergangs vom Weißglühen bis zum Rotglühen des erhitzten Eisens. Nicht weniger bemerken wir, daß Kerzen, auch bei Nachtzeit, nach Maßgabe wie man sie vom Auge entfernt, röter scheinen.
84. Der Kerzenschein bei Nacht wirkt in der Nähe als ein gelbes Licht; wir können es an der Wirkung bemerken, welche auf die übrigen Farben hervorgebracht wird. Ein Blaßgelb ist bei Nacht wenig von dem Weißen zu unterscheiden; das Blaue nähert sich dem Grünen und ein Rosenfarb dem Orangen.
85. Der Schein des Kerzenlichts bei der Dämmrung wirkt lebhaft als ein gelbes Licht, welches die blauen Schatten am besten beweisen, die bei dieser Gelegenheit im Auge hervorgerufen werden.
86. Die Retina kann durch ein starkes Licht dergestalt gereizt werden, daß sie schwächere Lichter nicht erkennen kann (11). Erkennt sie solche, so erscheinen sie farbig; daher sieht ein Kerzenlicht bei Tage rötlich aus, es verhält sich wie ein abklingendes; ja ein Kerzenlicht, das man bei Nacht länger und schärfer ansieht, erscheint immer röter.
87. Es gibt schwach wirkende Lichter, welche demungeachtet eine weiße, höchstens hellgelbliche Erscheinung auf der Retina machen, wie der Mond in seiner vollen Klarheit. Das faule Holz hat sogar eine Art von bläulichem Schein. Dieses alles wird künftig wieder zur Sprache kommen.
88. Wenn man nahe an eine weiße oder grauliche Wand nachts ein Licht stellt, so wird sie von diesem Mittelpunkt aus auf eine ziemliche Weite erleuchtet sein. Betrachtet man den daher entstehenden Kreis aus einiger Ferne, so erscheint uns der Rand der erleuchteten Fläche mit einem gelben, nach außen rotgelben Kreise umgeben, und wir werden aufmerksam gemacht, daß das Licht, wenn es scheinend oder widerscheinend nicht in seiner größten Energie auf uns wirkt, unserm Auge den Eindruck vom Gelben, Rötlichen, und zuletzt sogar vom Roten gebe. Hier finden wir den Übergang zu den Höfen, die wir um leuchtende Punkte auf eine oder die andre Weise zu sehen pflegen.
VIII. Subjektive Höfe
89. Man kann die Höfe in subjektive und objektive einteilen. Die letzten werden unter den physischen Farben abgehandelt, nur die ersten gehören hieher. Sie unterscheiden sich von den objektiven darin, daß sie verschwinden, wenn man den leuchtenden Gegenstand, der sie auf der Netzhaut hervorbringt, zudeckt.
90. Wir haben oben den Eindruck des leuchtenden Bildes auf die Retina gesehen und wie es sich auf derselben vergrößert; aber damit ist die Wirkung noch nicht vollendet. Es wirkt nicht allein als Bild, sondern auch als Energie über sich hinaus; es verbreitet sich vom Mittelpunkte aus nach der Peripherie.
91. Daß ein solcher Nimbus um das leuchtende Bild in unserm Auge bewirket werde, kann man am besten in der dunkeln Kammer sehen, wenn man gegen eine mäßig große Öffnung im Fensterladen hinblickt. Hier ist das helle Bild von einem runden Nebelschein umgeben.
Einen solchen Nebelschein sah ich mit einem gelben und gelbroten Kreise umgeben, als ich mehrere Nächte in einem Schlafwagen zubrachte und morgens bei dämmerndem Tageslichte die Augen aufschlug.
92. Die Höfe erscheinen am lebhaftesten, wenn das Auge ausgeruht und empfänglich ist. Nicht weniger vor einem dunklen Hintergrund. Beides ist die Ursache, daß wir sie so stark sehen, wenn wir nachts aufwachen und uns ein Licht entgegengebracht wird. Diese Bedingungen fanden sich auch zusammen, als Descartes im Schiff sitzend geschlafen hatte und so lebhafte farbige Scheine um das Licht bemerkte.
93. Ein Licht muß mäßig leuchten, nicht blenden, wenn es einen Hof im Auge erregen soll, wenigstens würden die Höfe eines blendenden Lichtes nicht bemerkt werden können. Wir sehen einen solchen Glanzhof um die Sonne, welche von einer Wasserfläche ins Auge fällt.
94. Genau beobachtet ist ein solcher Hof an seinem Rande mit einem gelben Saume eingefaßt. Aber auch hier ist jene energische Wirkung noch nicht geendigt, sondern sie scheint sich in abwechselnden Kreisen weiter fort zu bewegen.
95. Es gibt viele Fälle, die auf eine kreisartige Wirkung der Retina deuten, es sei nun, daß sie durch die runde Form des Auges selbst und seiner verschiedenen Teile, oder sonst hervorgebracht werde.
96. Wenn man das Auge von dem innern Augenwinkel her nur ein wenig drückt, so entstehen dunklere oder hellere Kreise. Man kann bei Nachtzeit manchmal auch ohne Druck eine Sukzession solcher Kreise gewahr werden, von denen sich einer aus dem andern entwickelt, einer vom andern verschlungen wird.
97. Wir haben schon einen gelben Rand um den von einem nah gestellten Licht erleuchteten weißen Raum gesehen. Dies wäre eine Art von objektivem Hof (88).
98. Die subjektiven Höfe können wir uns als den Konflikt des Lichtes mit einem lebendigen Raume denken. Aus dem Konflikt des Bewegenden mit dem Bewegten entsteht eine undulierende Bewegung. Man kann das Gleichnis von den Ringen im Wasser hernehmen. Der hineingeworfene Stein treibt das Wasser nach allen Seiten, die Wirkung erreicht eine höchste Stufe, sie klingt ab und gelangt, im Gegensatz, zur Tiefe. Die Wirkung geht fort, kulminiert aufs neue, und so wiederholen sich die Kreise. Erinnert man sich der konzentrischen Ringe, die in einem mit Wasser gefüllten Trinkglase entstehen, wenn man versucht, einen Ton durch Reiben des Randes hervorzubringen, gedenkt man der intermittierenden Schwingungen beim Abklingen der Glocken, so nähert man sich wohl in der Vorstellung demjenigen, was auf der Retina vorgehen mag, wenn sie von einem leuchtenden Gegenstand getroffen wird, nur daß sie als lebendig schon eine gewisse kreisartige Disposition in ihrer Organisation hat.
99. Die um das leuchtende Bild sich zeigende helle Kreisfläche ist gelb mit Rot geendigt. Darauf folgt ein grünlicher Kreis, der mit einem roten Rande geschlossen ist. Dies scheint das gewöhnliche Phänomen zu sein bei einer gewissen Größe des leuchtenden Körpers. Diese Höfe werden größer, je weiter man sich von dem leuchtenden Bilde entfernt.
100. Die Höfe können aber auch im Auge unendlich klein und vielfach erscheinen, wenn der erste Anstoß klein und mächtig ist. Der Versuch macht sich am besten mit einer auf der Erde liegenden, von der Sonne beschienenen Goldflinter. In diesen Fällen erscheinen die Höfe in bunten Strahlen. Jene farbige Erscheinung, welche die Sonne im Auge macht, indem sie durch Baumblätter dringt, scheint auch hieher zu gehören.
Pathologische Farben: Anhang
101. Die physiologischen Farben kennen wir nunmehr hinreichend, um sie von den pathologischen zu unterscheiden. Wir wissen, welche Erscheinungen dem gesunden Auge zugehören und nötig sind, damit sich das Organ vollkommen lebendig und tätig erzeige.
102. Die krankhaften Phänomene deuten gleichfalls auf organische und physische Gesetze: denn wenn ein besonderes lebendiges Wesen von derjenigen Regel abweicht, durch die es gebildet ist, so strebt es ins allgemeine Leben hin, immer auf einem gesetzlichen Wege, und macht uns auf seiner ganzen Bahn jene Maximen anschaulich, aus welchen die Welt entsprungen ist und durch welche sie zusammengehalten wird.
103. Wir sprechen hier zuerst von einem sehr merkwürdigen Zustande, in welchem sich die Augen mancher Personen befinden. Indem er eine Abweichung von der gewöhnlichen Art, die Farben zu sehen, anzeigt, so gehört er wohl zu den krankhaften; da er aber regelmäßig ist, öfter vorkommt, sich auf mehrere Familienglieder erstreckt und sich wahrscheinlich nicht heilen läßt, so stellen wir ihn billig auf die Grenze.
104. Ich kannte zwei Subjekte, die damit behaftet waren, nicht über zwanzig Jahr alt; beide hatten blaugraue Augen, ein scharfes Gesicht in der Nähe und Ferne, bei Tages- und Kerzenlicht, und ihre Art, die Farben zu sehen, war in der Hauptsache völlig übereinstimmend.
105. Mit uns treffen sie zusammen, daß sie Weiß, Schwarz und Grau nach unsrer Weise benennen; Weiß sahen sie beide ohne Beimischung. Der eine wollte bei Schwarz etwas Bräunliches und bei Grau etwas Rötliches bemerken. Überhaupt scheinen sie die Abstufung von Hell und Dunkel sehr zart zu empfinden.
106. Mit uns scheinen sie Gelb, Rotgelb und Gelbrot zu sehen; bei dem letzten sagen sie, sie sähen das Gelbe gleichsam über dem Rot schweben, wie lasiert. Karmin in der Mitte einer Untertasse dicht aufgetrocknet nannten sie rot.
107. Nun aber tritt eine auffallende Differenz ein. Man streiche mit einem genetzten Pinsel den Karmin leicht über die weiße Schale, so werden sie diese entstehende helle Farbe der Farbe des Himmels vergleichen und solche blau nennen. Zeigt man ihnen daneben eine Rose, so nennen sie diese auch blau, und können bei allen Proben, die man anstellt, das Hellblau nicht von dem Rosenfarb unterscheiden. Sie verwechseln Rosenfarb, Blau und Violett durchaus; nur durch kleine Schattierungen des Helleren, Dunkleren, Lebhafteren, Schwächeren scheinen sich diese Farben für sie voneinander abzusondern.
108. Ferner können sie Grün von einem Dunkelorange, besonders aber von einem Rotbraun nicht unterscheiden.
109. Wenn man die Unterhaltung mit ihnen dem Zufall überläßt und sie bloß über vorliegende Gegenstände befragt, so gerät man in die größte Verwirrung und fürchtet wahnsinnig zu werden. Mit einiger Methode hingegen kommt man dem Gesetz dieser Gesetzwidrigkeit schon um vieles näher.
110. Sie haben, wie man aus dem Obigen sehen kann, weniger Farben als wir, daher denn die Verwechselung von verschiedenen Farben entsteht. Sie nennen den Himmel rosenfarb und die Rose blau, oder umgekehrt. Nun fragt sich: sehen sie beides blau, oder beides rosenfarb? sehen sie das Grün orange, oder das Orange grün?
111. Diese seltsamen Rätsel scheinen sich zu lösen, wenn man annimmt, daß sie kein Blau, sondern an dessen Statt einen diluierten Purpur, ein Rosenfarb, ein helles reines Rot sehen. Symbolisch kann man sich diese Lösung einstweilen folgendermaßen vorstellen.
112. Nehmen wir aus unserm Farbenkreise das Blaue heraus, so fehlt uns Blau, Violett und Grün. Das reine Rot verbreitet sich an der Stelle der beiden ersten, und wenn es wieder das Gelbe berührt, bringt es anstatt des Grünen abermals ein Orange hervor.
113. Indem wir uns von dieser Erklärungsart überzeugt halten, haben wir diese merkwürdige Abweichung vom gewöhnlichen Sehen Akyanoblepsie genannt, und zu besserer Einsicht mehrere Figuren gezeichnet und illuminiert, bei deren Erklärung wir künftig das Weitre beizubringen gedenken. Auch findet man daselbst eine Landschaft, gefärbt nach der Weise, wie diese Menschen wahrscheinlich die Natur sehen, den Himmel rosenfarb und alles Grüne in Tönen vom Gelben bis zum Braunroten, ungefähr wie es uns im Herbst erscheint.
114. Wir sprechen nunmehr von krankhaften sowohl als allen widernatürlichen, außernatürlichen, seltenen Affektionen der Retina, wobei, ohne äußres Licht, das Auge zu einer Lichterscheinung disponiert werden kann, und behalten uns vor, des galvanischen Lichtes künftig zu erwähnen.
115. Bei einem Schlag aufs Auge scheinen Funken umher zu sprühen. Ferner, wenn man in gewissen körperlichen Dispositionen, besonders bei erhitztem Blute und reger Empfindlichkeit, das Auge erst sachte, dann immer stärker drückt, so kann man ein blendendes unerträgliches Licht erregen.
116. Operierte Starkranke, wenn sie Schmerz und Hitze im Auge haben, sehen häufig feurige Blitze und Funken, welche zuweilen acht bis vierzehn Tage bleiben, oder doch so lange, bis Schmerz und Hitze weicht.
117. Ein Kranker, wenn er Ohrenschmerz bekam, sah jederzeit Lichtfunken und Kugeln im Auge, solange der Schmerz dauerte.
118. Wurmkranke haben oft sonderbare Erscheinungen im Auge, bald Feuerfunken, bald Lichtgespenster, bald schreckhafte Figuren, die sie nicht entfernen können. Bald sehen sie doppelt.
119. Hypochondristen sehen häufig schwarze Figuren als Fäden, Haare, Spinnen, Fliegen, Wespen. Diese Erscheinungen zeigen sich auch bei anfangendem schwarzen Star. Manche sehen halbdurchsichtige kleine Röhren, wie Flügel von Insekten, Wasserbläschen von verschiedener Größe, welche beim Heben des Auges niedersinken, zuweilen gerade so in Verbindung hängen wie Froschlaich, und bald als völlige Sphären, bald als Linsen bemerkt werden.
120. Wie dort das Licht ohne äußeres Licht, so entspringen auch diese Bilder ohne äußre Bilder. Sie sind teils vorübergehend, teils lebenslänglich dauernd. Hiebei tritt auch manchmal eine Farbe ein: denn Hypochondristen sehen auch häufig gelbrote schmale Bänder im Auge, oft heftiger und häufiger am Morgen, oder bei leerem Magen.
121. Daß der Eindruck irgendeines Bildes im Auge einige Zeit verharre, kennen wir als ein physiologisches Phänomen (23), die allzu lange Dauer eines solchen Eindrucks hingegen kann als krankhaft angesehen werden.
122. Je schwächer das Auge ist, desto länger bleibt das Bild in demselben. Die Retina stellt sich nicht so bald wieder her, und man kann die Wirkung als eine Art von Paralyse ansehen (28).
123. Von blendenden Bildern ist es nicht zu verwundern. Wenn man in die Sonne sieht, so kann man das Bild mehrere Tage mit sich herumtragen. Boyle erzählt einen Fall von zehn Jahren.
124. Das gleiche findet auch verhältnismäßig von Bildern, welche nicht blendend sind, statt. Büsch erzählt von sich selbst, daß ihm ein Kupferstich vollkommen mit allen seinen Teilen bei siebzehn Minuten im Auge geblieben.
125. Mehrere Personen, welche zu Krampf und Vollblütigkeit geneigt waren, behielten das Bild eines hochroten Kattuns mit weißen Muscheln viele Minuten lang im Auge und sahen es wie einen Flor vor allem schweben. Nur nach langem Reiben des Auges verlor sich’s.
126. Scherffer bemerkt, daß die Purpurfarbe eines abklingenden starken Lichteindrucks einige Stunden dauern könne.
127. Wie wir durch Druck auf den Augapfel eine Lichterscheinung auf der Retina hervorbringen können, so entsteht bei schwachem Druck eine rote Farbe und wird gleichsam ein abklingendes Licht hervorgebracht.
128. Viele Kranke, wenn sie erwachen, sehen alles in der Farbe des Morgenrots, wie durch einen roten Flor; auch wenn sie am Abend lesen, und zwischendurch einnicken und wieder aufwachen, pflegt es zu geschehen. Dieses bleibt minutenlang und vergeht allenfalls, wenn das Auge etwas gerieben wird. Dabei sind zuweilen rote Sterne und Kugeln. Dieses Rotsehen dauert auch wohl eine lange Zeit.
129. Die Luftfahrer, besonders Zambeccari und seine Gefährten, wollen in ihrer höchsten Erhebung den Mond blutrot gesehen haben. Da sie sich über die irdischen Dünste emporgeschwungen hatten, durch welche wir den Mond und die Sonne wohl in einer solchen Farbe sehen, so läßt sich vermuten, daß diese Erscheinung zu den pathologischen Farben gehöre. Es mögen nämlich die Sinne durch den ungewohnten Zustand dergestalt affiziert sein, daß der ganze Körper und besonders auch die Retina in eine Art von Unrührbarkeit und Unreizbarkeit verfällt. Es ist daher nicht unmöglich, daß der Mond als ein höchst abgestumpftes Licht wirke, und also das Gefühl der roten Farbe hervorbringe. Den Hamburger Luftfahrern erschien auch die Sonne blutrot.
Wenn die Luftfahrenden zusammen sprechen und sich kaum hören, sollte nicht auch dieses der Unreizbarkeit der Nerven ebensogut als der Dünne der Luft zugeschrieben werden können?
130. Die Gegenstände werden von Kranken auch manchmal vielfärbig gesehen. Boyle erzählt von einer Dame, daß sie nach einem Sturze, wobei ein Auge gequetscht worden, die Gegenstände, besonders aber die weißen, lebhaft bis zum Unerträglichen schimmern gesehen.
131. Die Ärzte nennen Chrupsie, wenn in typischen Krankheiten, besonders der Augen, die Patienten an den Rändern der Bilder, wo Hell und Dunkel aneinander grenzen, farbige Umgebungen zu sehen versichern. Wahrscheinlich entsteht in den Liquoren eine Veränderung, wodurch ihre Achromasie aufgehoben wird.
132. Beim grauen Star läßt eine starkgetrübte Kristallinse den Kranken einen roten Schein sehen. In einem solchen Falle, der durch Elektrizität behandelt wurde, veränderte sich der rote Schein nach und nach in einen gelben, zuletzt in einen weißen, und der Kranke fing an, wieder Gegenstände gewahr zu werden; woraus man schließen konnte, daß der trübe Zustand der Linse sich nach und nach der Durchsichtigkeit nähere. Diese Erscheinung wird sich, sobald wir mit den physischen Farben nähere Bekanntschaft ge macht, bequem ableiten lassen.
133. Kann man nun annehmen, daß ein gelbsüchtiger Kranker durch einen wirklich gelbgefärbten Liquor hindurchsehe, so werden wir schon in die Abteilung der chemischen Farben verwiesen, und wir sehen leicht ein, daß wir das Kapitel von den pathologischen Farben nur dann erst vollkommen ausarbeiten können, wenn wir uns mit der Farbenlehre in ihrem ganzen Umfang bekannt gemacht; deshalb sei es an dem Gegenwärtigen genug, bis wir später das Angedeutete weiter ausführen können.
134. Nur möchte hier zum Schlusse noch einiger besondern Dispositionen des Auges vorläufig zu erwähnen sein.
Es gibt Maler, welche, anstatt daß sie die natürliche Farbe wiedergeben sollten, einen allgemeinen Ton, einen warmen oder kalten über das Bild verbreiten. So zeigt sich auch bei manchen eine Vorliebe für gewisse Farben, bei andern ein Ungefühl für Harmonie.
135. Endlich ist noch bemerkenswert, daß wilde Nationen, ungebildete Menschen, Kinder eine große Vorliebe für lebhafte Farben empfinden, daß Tiere bei gewissen Farben in Zorn geraten, daß gebildete Menschen in Kleidung und sonstiger Umgebung die lebhaften Farben vermeiden und sie durchgängig von sich zu entfernen suchen.
Zweite Abteilung – Physische Farben
Physische Farben nennen wir diejenigen, zu deren Hervorbringung gewisse materielle Mittel nötig sind, welche aber selbst keine Farbe haben und teils durchsichtig, teils trüb und durchscheinend, teils völlig undurchsichtig sein können. Dergleichen Farben werden also in unserm Auge durch solche äußere bestimmte Anlässe erzeugt, oder, wenn sie schon auf irgend eine Weise außer uns erzeugt sind, in unser Auge zurückgeworfen. Ob wir nun schon hiedurch denselben eine Art von Objektivität zuschreiben, so bleibt doch das Vorübergehende, Nichtfestzuhaltende meistens ihr Kennzeichen.
137. Sie heißen daher auch bei den frühern Naturforschern Colores apparentes, fluxi, fugitivi, phantastici, falsi, variantes. Zugleich werden sie speciosi und emphatici, wegen ihrer auffallenden Herrlichkeit, genannt. Sie schließen sich unmittelbar an die physiologischen an, und scheinen nur um einen geringen Grad mehr Realität zu haben. Denn wenn bei jenen vorzüglich das Auge wirksam war und wir die Phänomene derselben nur in uns, nicht aber außer uns darzustellen vermochten, so tritt nun hier der Fall ein, daß zwar Farben im Auge durch farblose Gegenstände erregt werden, daß wir aber auch eine farblose Fläche an die Stelle unserer Retina setzen und auf derselben die Erscheinung außer uns gewahr werden können, wobei uns jedoch alle Erfahrungen auf das bestimmteste überzeugen, daß hier nicht von fertigen, sondern von werdenden und wechselnden Farben die Rede sei.
138. Wir sehen uns deshalb bei diesen physischen Farben durchaus imstande, einem subjektiven Phänomen ein objektives an die Seite zu setzen und öfters, durch die Verbindung beider, mit Glück tiefer in die Natur der Erscheinung einzudringen.
139. Bei den Erfahrungen also, wobei wir die physischen Farben gewahr werden, wird das Auge nicht für sich als wirkend, das Licht niemals in unmittelbarem Bezuge auf das Auge betrachtet, sondern wir richten unsere Aufmerksamkeit besonders darauf, wie durch Mittel, und zwar farblose Mittel, verschiedene Bedingungen entstehen.
140. Das Licht kann auf dreierlei Weise unter diesen Umständen bedingt werden. Erstlich, wenn es von der Oberfläche eines Mittels zurückstrahlt, da denn die katoptrischen Versuche zur Sprache kommen. Zweitens, wenn es an dem Rande eines Mittels herstrahlt. Die dabei eintretenden Erscheinungen wurden ehmals perioptische genannt, wir nennen sie paroptische. Drittens, wenn es durch einen durchscheinenden oder durchsichtigen Körper durchgeht, welches die dioptrischen Versuche sind. Eine vierte Art physischer Farben haben wir epoptische genannt, indem sich die Erscheinung, ohne vorgängige Mitteilung (βαφη), auf einer farblosen Oberfläche der Körper unter verschiedenen Bedingungen sehen läßt.
141. Beurteilen wir diese Rubriken in bezug auf die von uns beliebten Hauptabteilungen, nach welchen wir die Farben in physiologischer, physischer und chemischer Rücksicht betrachten, so finden wir, daß die katoptrischen Farben sich nahe an die physiologischen anschließen, die paroptischen sich schon etwas mehr ablösen und gewissermaßen selbständig werden, die dioptrischen sich ganz eigentlich physisch erweisen und eine entschieden objektive Seite haben; die epoptischen, obgleich in ihren Anfängen auch nur apparent, machen den Übergang zu den chemischen Farben.
142. Wenn wir also unsern Vortrag stetig nach Anleitung der Natur fortführen wollten, so dürften wir nur in der jetzt eben bezeichneten Ordnung auch fernerhin verfahren; weil aber bei didaktischen Vorträgen es nicht sowohl darauf ankommt, dasjenige, wovon die Rede ist, aneinander zu knüpfen, vielmehr solches wohl auseinander zu sondern, damit erst zuletzt, wenn alles Einzelne vor die Seele gebracht ist, eine große Einheit das Besondere verschlinge: so wollen wir uns gleich zu den dioptrischen Farben wen den, um den Leser alsbald in die Mitte der physischen Farben zu versetzen und ihm ihre Eigenschaften auffallender zu machen.
IX. Dioptrische Farben
143. Man nennt dioptrische Farben diejenigen, zu deren Entstehung ein farbloses Mittel gefordert wird, dergestalt daß Licht und Finsternis hindurchwirken, entweder aufs Auge, oder auf entgegenstehende Flächen. Es wird also gefordert, daß das Mittel durchsichtig oder wenigstens bis auf einen gewissen Grad durchscheinend sei.
144. Nach diesen Bedingungen teilen wir die dioptrischen Erscheinungen in zwei Klassen und setzen in die erste diejenigen, welche bei durchscheinenden trüben Mitteln entstehen, in die zweite aber solche, die sich alsdann zeigen, wenn das Mittel in dem höchst möglichen Grade durchsichtig ist.
X. Dioptrische Farben der ersten Klasse
145. Der Raum, den wir uns leer denken, hätte durchaus für uns die Eigenschaft der Durchsichtigkeit. Wenn sich nun derselbe dergestalt füllt, daß unser Auge die Ausfüllung nicht gewahr wird, so entsteht ein materielles, mehr oder weniger körperliches, durchsichtiges Mittel, das luft- und gasartig, flüssig oder auch fest sein kann.
146. Die reine durchscheinende Trübe leitet sich aus dem Durchsichtigen her. Sie kann sich uns also auch auf gedachte dreifache Weise darstellen.
147. Die vollendete Trübe ist das Weiße, die gleichgültigste, hellste, erste undurchsichtige Raumerfüllung.
148. Das Durchsichtige selbst, empirisch betrachtet, ist schon der erste Grad des Trüben. Die ferneren Grade des Trüben bis zum undurchsichtigen Weißen sind unendlich.
149. Auf welcher Stufe wir auch das Trübe vor seiner Undurchsichtigkeit festhalten, gewährt es uns, wenn wir es in Verhältnis zum Hellen und Dunkeln setzen, einfache und bedeutende Phänomene.
150. Das höchstenergische Licht, wie das der Sonne, des Phosphors in Lebensluft verbrennend, ist blendend und farblos. So kommt auch das Licht der Fixsterne meistens farblos zu uns. Dieses Licht aber durch ein auch nur wenig trübes Mittel gesehen, erscheint uns gelb. Nimmt die Trübe eines solchen Mittels zu, oder wird seine Tiefe vermehrt, so sehen wir das Licht nach und nach eine gelbrote Farbe annehmen, die sich endlich bis zum Rubinroten steigert.
151. Wird hingegen durch ein trübes, von einem darauffallenden Lichte erleuchtetes Mittel die Finsternis gesehen, so erscheint uns eine blaue Farbe, welche immer heller und blässer wird, je mehr sich die Trübe des Mittels vermehrt, hingegen immer dunkler und satter sich zeigt, je durchsichtiger das Trübe werden kann, ja bei dem mindesten Grad der reinsten Trübe als das schönste Violett dem Auge fühlbar wird.
152. Wenn diese Wirkung auf die beschriebene Weise in unserm Auge vorgeht und also subjektiv genannt werden kann, so haben wir uns auch durch objektive Erscheinungen von derselben noch mehr zu vergewissern. Denn ein so gemäßigtes und getrübtes Licht wirft auch auf die Gegenstände einen gelben, gelbroten oder purpurnen Schein; und ob sich gleich die Wirkung der Finsternis durch das Trübe nicht ebenso mächtig äußert, so zeigt sich doch der blaue Himmel in der Camera obscura ganz deutlich auf dem weißen Papier neben jeder andern körperlichen Farbe.
153. Wenn wir die Fälle durchgehn, unter welchen uns dieses wichtige Grundphänomen erscheint, so er wähnen wir billig zuerst der atmosphärischen Farben, deren meiste hieher geordnet werden können.
154. Die Sonne, durch einen gewissen Grad von Dünsten gesehen, zeigt sich mit einer gelblichen Scheibe. Oft ist die Mitte noch blendend gelb, wenn sich die Ränder schon rot zeigen. Beim Heerrauch (wie 1794 auch im Norden der Fall war), und noch mehr bei der Disposition der Atmosphäre, wenn in südlichen Gegenden der Scirocco herrscht, erscheint die Sonne rubinrot mit allen sie im letzten Falle gewöhnlich umgebenden Wolken, die alsdann jene Farbe im Widerschein zurückwerfen.
Morgen- und Abendröte entsteht aus derselben Ursache. Die Sonne wird durch eine Röte verkündigt, indem sie durch eine größere Masse von Dünsten zu uns strahlt. Je weiter sie herauf kommt, desto heller und gelber wird der Schein.
155. Wird die Finsternis des unendlichen Raums durch atmosphärische vom Tageslicht erleuchtete Dünste hindurch angesehen, so erscheint die blaue Farbe. Auf hohen Gebirgen sieht man am Tage den Himmel königsblau, weil nur wenig feine Dünste vor dem unendlichen finstern Raum schweben; sobald man in die Täler herabsteigt, wird das Blaue heller, bis es endlich, in gewissen Regionen und bei zunehmenden Dünsten, ganz in ein Weißblau übergeht.
156. Ebenso scheinen uns auch die Berge blau: denn indem wir sie in einer solchen Ferne erblicken, daß wir die Lokalfarben nicht mehr sehen, und kein Licht von ihrer Oberfläche mehr auf unser Auge wirkt, so gelten sie als ein reiner finsterer Gegenstand, der nun durch die dazwischen tretenden trüben Dünste blau erscheint.
157. Auch sprechen wir die Schattenteile näherer Gegenstände für blau an, wenn die Luft mit feinen Dünsten gesättigt ist.
158. Die Eisberge hingegen erscheinen in großer Entfernung noch immer weiß und eher gelblich, weil sie immer noch als hell durch den Dunstkreis auf unser Auge wirken.
159. Die blaue Erscheinung an dem untern Teil des Kerzenlichtes gehört auch hieher. Man halte die Flamme vor einen weißen Grund, und man wird nichts Blaues sehen; welche Farbe hingegen sogleich erscheinen wird, wenn man die Flamme gegen einen schwarzen Grund hält. Dieses Phänomen erscheint am lebhaftesten bei einem angezündeten Löffel Weingeist. Wir können also den untern Teil der Flamme für einen Dunst ansprechen, welcher, obgleich unendlich fein, doch vor der dunklen Fläche sichtbar wird: er ist so fein, daß man bequem durch ihn lesen kann, dahingegen die Spitze der Flamme, welche uns die Gegenstände verdeckt, als ein selbstleuchtender Körper anzusehen ist.
160. Übrigens ist der Rauch gleichfalls als ein trübes Mittel anzusehen, das uns vor einem hellen Grunde gelb oder rötlich, vor einem dunklen aber blau erscheint.
161. Wenden wir uns nun zu den flüssigen Mitteln, so finden wir, daß ein jedes Wasser, auf eine zarte Weise getrübt, denselben Effekt hervorbringe.
162. Die Infusion des nephritischen Holzes (der Guilandina Linnaei), welche früher so großes Aufsehen machte, ist nur ein trüber Liquor, der im dunklen hölzernen Becher blau aussehen, in einem durchsichtigen Glase aber gegen die Sonne gehalten eine gelbe Erscheinung hervorbringen muß.
163. Einige Tropfen wohlriechender Wasser, eines Weingeistfirnisses, mancher metallischen Solutionen können das Wasser zu solchen Versuchen in allen Graden trübe machen. Seifenspiritus tut fast die beste Wirkung.
164. Der Grund des Meeres erscheint den Tauchern bei hellem Sonnenschein purpurfarb, wobei das Meerwasser als ein trübes und tiefes Mittel wirkt. Sie bemerken bei dieser Gelegenheit die Schatten grün, welches die geforderte Farbe ist (78).
165. Unter den festen Mitteln begegnet uns in der Natur zuerst der Opal, dessen Farben wenigstens zum Teil daraus zu erklären sind, daß er eigentlich ein trübes Mittel sei, wodurch bald helle, bald dunkle Unterlagen sichtbar werden.
166. Zu allen Versuchen aber ist das Opalglas (vitrum astroides, girasole) der erwünschteste Körper. Es wird auf verschiedene Weise verfertigt und seine Trübe durch Metallkalke hervorgebracht. Auch trübt man das Glas dadurch, daß man gepülverte und kalzinierte Knochen mit ihm zusammenschmelzt, deswegen man es auch Beinglas nennt; doch geht dieses gar zu leicht ins Undurchsichtige über.
167. Man kann dieses Glas zu Versuchen auf vielerlei Weise zurichten: denn entweder man macht es nur wenig trüb, da man denn durch mehrere Schichten übereinander das Licht vom hellsten Gelb bis zum tiefsten Purpur führen kann; oder man kann auch stark getrübtes Glas in dünnern und stärkeren Scheiben anwenden. Auf beide Arten lassen sich die Versuche anstellen; besonders darf man aber, um die hohe blaue Farbe zu sehen, das Glas weder allzutrüb noch allzustark nehmen. Denn da es natürlich ist, daß das Finstere nur schwach durch die Trübe hindurch wirke, so geht die Trübe, wenn sie zu dicht wird, gar schnell in das Weiße hinüber.
168. Fensterscheiben durch die Stellen, an welchen sie blind geworden sind, werfen einen gelben Schein auf die Gegenstände, und eben diese Stellen sehen blau aus, wenn wir durch sie nach einem dunklen Gegenstande blicken.
169. Das angerauchte Glas gehört auch hieher und ist gleichfalls als ein trübes Mittel anzusehen. Es zeigt uns die Sonne mehr oder weniger rubinrot; und ob man gleich diese Erscheinung der schwarz-braunen Farbe des Rußes zuschreiben könnte, so kann man sich doch überzeugen, daß hier ein trübes Mittel wirke, wenn man ein solches mäßig angerauchtes Glas, auf der vordern Seite durch die Sonne erleuchtet, vor einen dunklen Gegenstand hält, da wir denn einen blaulichen Schein gewahr werden.
170. Mit Pergamentblättern läßt sich in der dunkeln Kammer ein auffallender Versuch anstellen. Wenn man vor die Öffnung des eben von der Sonne beschienenen Fensterladens ein Stück Pergament befestigt, so wird es weißlich erscheinen; fügt man ein zweites hinzu, so entsteht eine gelbliche Farbe, die immer zunimmt und endlich bis ins Rote übergeht, je mehr man Blätter nach und nach hinzufügt.
171. Einer solchen Wirkung der getrübten Kristallinse beim grauen Star ist schon oben gedacht (132).
172. Sind wir nun auf diesem Wege schon bis zu der Wirkung eines kaum noch durchscheinenden Trüben gelangt, so bleibt uns noch übrig, einer wunderbaren Erscheinung augenblicklicher Trübe zu gedenken.
Das Porträt eines angesehenen Theologen war von einem Künstler, welcher praktisch besonders gut mit der Farbe umzugehen wußte, vor mehrern Jahren, gemalt worden. Der hochwürdige Mann stand in einem glänzenden Samtrocke da, welcher fast mehr als das Gesicht die Augen der Anschauer auf sich zog und Bewunderung erregte. Indessen hatte das Bild nach und nach durch Lichterdampf und Staub von seiner ersten Lebhaftigkeit vieles verloren. Man übergab es daher einem Maler, der es reinigen und mit einem neuen Firnis überziehen sollte. Dieser fängt nun sorgfältig an, zuerst das Bild mit einem feuchten Schwamm abzuwaschen; kaum aber hat er es einigemal überfahren und den stärksten Schmutz weggewischt, als zu seinem Erstaunen der schwarze Samtrock sich plötzlich in einen hellblauen Plüschrock verwandelt, wodurch der geistliche Herr ein sehr weltliches, obgleich altmodisches Ansehn gewinnt. Der Maler getraut sich nicht weiter zu waschen, begreift nicht, wie ein Hellblau zum Grunde des tiefsten Schwarzen liegen, noch weniger wie er eine Lasur so schnell könne weggescheuert haben, welche ein solches Blau, wie er vor sich sah, in Schwarz zu verwandeln imstande gewesen wäre.
Genug, er fühlte sich sehr bestürzt, das Bild auf diesen Grad verdorben zu haben: es war nichts Geistliches mehr daran zu sehen, als nur die vielgelockte runde Perücke, wobei der Tausch eines verschossenen Plüschrocks gegen einen trefflichen neuen Samtrock durchaus unerwünscht blieb. Das Übel schien indessen unheilbar, und unser guter Künstler lehnte mißmutig das Bild gegen die Wand und legte sich nicht ohne Sorgen zu Bette.
Wie erfreut aber war er den andern Morgen, als er das Gemälde wieder vornahm und den schwarzen Samtrock in völligem Glanze wieder erblickte. Er konnte sich nicht enthalten, den Rock an einem Ende abermals zu benetzen, da denn die blaue Farbe wieder erschien und nach einiger Zeit verschwand.
Als ich Nachricht von diesem Phänomen erhielt, begab ich mich sogleich zu dem Wunderbilde. Es ward in meiner Gegenwart mit einem feuchten Schwamme überfahren, und die Veränderung zeigte sich sehr schnell. Ich sah einen zwar etwas verschossenen, aber völlig hellblauen Plüschrock, auf welchem an dem Ärmel einige braune Striche die Falten andeuteten.
Ich erklärte mir dieses Phänomen aus der Lehre von den trüben Mitteln. Der Künstler mochte seine schon gemalte schwarze Farbe, um sie recht tief zu machen, mit einem besondern Firnis lasieren, welcher beim Waschen einige Feuchtigkeit in sich sog und dadurch trübe ward, wodurch das unterliegende Schwarz sogleich als Blau erschien. Vielleicht kommen diejenigen, welche viel mit Firnissen umgehen, durch Zu fall oder Nachdenken auf den Weg, diese sonderbare Erscheinung den Freunden der Naturforschung als Experiment darzustellen. Mir hat es nach mancherlei Proben nicht gelingen wollen.
173. Haben wir nun die herrlichsten Fälle atmosphärischer Erscheinungen, sowie andre geringere, aber doch immer genugsam bedeutende, aus der Haupterfahrung mit trüben Mitteln hergeleitet, so zweifeln wir nicht, daß aufmerksame Naturfreunde immer weiter gehen und sich üben werden, die im Leben mannigfaltig vorkommenden Erscheinungen auf eben diesem Wege abzuleiten und zu erklären; so wie wir hoffen können, daß die Naturforscher sich nach einem hinlänglichen Apparat umsehen werden, um so bedeutende Erfahrungen den Wißbegierigen vor Augen zu bringen.
174. Ja wir möchten jene im allgemeinen ausgesprochene Haupterscheinung ein Grund- und Urphänomen nennen, und es sei uns erlaubt, hier, was wir darunter verstehen, sogleich beizubringen.
175. Das, was wir in der Erfahrung gewahr werden, sind meistens nur Fälle, welche sich mit einiger Aufmerksamkeit unter allgemeine empirische Rubriken bringen lassen. Diese subordinieren sich abermals unter wissenschaftliche Rubriken, welche weiter hinaufdeuten, wobei uns gewisse unerläßliche Bedingungen des Erscheinenden näher bekanntwerden. Von nun an fügt sich alles nach und nach unter höhere Regeln und Gesetze, die sich aber nicht durch Worte und Hypothesen dem Verstande, sondern gleichfalls durch Phänomene dem Anschauen offenbaren. Wir nennen sie Urphänomene, weil nichts in der Erscheinung über ihnen liegt, sie aber dagegen völlig geeignet sind, daß man stufenweise, wie wir vorhin hinaufgestiegen, von ihnen herab bis zu dem gemeinsten Falle der täglichen Erfahrung niedersteigen kann. Ein solches Urphänomen ist dasjenige, das wir bisher dargestellt haben. Wir sehen auf der einen Seite das Licht, das Helle, auf der andern die Finsternis, das Dunkle, wir bringen die Trübe zwischen beide, und aus diesen Gegensätzen, mit Hülfe gedachter Vermittlung, entwickeln sich, gleichfalls in einem Gegensatz, die Farben, deuten aber alsbald durch einen Wechselbezug unmittelbar auf ein Gemeinsames wieder zurück.
176. In diesem Sinne halten wir den in der Naturforschung begangenen Fehler für sehr groß, daß man ein abgeleitetes Phänomen an die obere Stelle, das Urphänomen an die niedere Stelle setzte, ja sogar das abgeleitete Phänomen wieder auf den Kopf stellte und an ihm das Zusammengesetzte für ein Einfaches, das Einfache für ein Zusammengesetztes gelten ließ; durch welches Hinterstzuvörderst die wunderlichsten Verwicklungen und Verwirrungen in die Naturlehre gekommen sind, an welchen sie noch leidet.
177. Wäre denn aber auch ein solches Urphänomen gefunden, so bleibt immer noch das Übel, daß man es nicht als ein solches anerkennen will, daß wir hinter ihm und über ihm noch etwas Weiteres aufsuchen, da wir doch hier die Grenze des Schauens eingestehen sollten. Der Naturforscher lasse die Urphänomene in ihrer ewigen Ruhe und Herrlichkeit dastehen, der Philosoph nehme sie in seine Region auf, und er wird finden, daß ihm nicht in einzelnen Fällen, allgemeinen Rubriken, Meinungen und Hypothesen, sondern im Grund- und Urphänomen ein würdiger Stoff zu weiterer Behandlung und Bearbeitung überliefert werde.
XI. Dioptrische Farben der zweiten Klasse, Refraktion
178. Die dioptrischen Farben der beiden Klassen schließen sich genau aneinander an, wie sich bei einiger Betrachtung sogleich finden läßt. Die der ersten Klasse erschienen in dem Felde der trüben Mittel, die der zweiten sollen uns nun in durchsichtigen Mitteln erscheinen. Da aber jedes empirisch Durchsichtige an sich schon als trüb angesehen werden kann, wie uns jede vermehrte Masse eines durchsichtig genannten Mittels zeigt, so ist die nahe Verwandtschaft beider Arten genugsam einleuchtend.
179. Doch wir abstrahieren vorerst, indem wir uns zu den durchsichtigen Mitteln wenden, von aller ihnen einigermaßen beiwohnenden Trübe, und richten unsre ganze Aufmerksamkeit auf das hier eintretende Phänomen, das unter dem Kunstnamen der Refraktion bekannt ist.
180. Wir haben schon bei Gelegenheit der physiologischen Farben dasjenige, was man sonst Augentäuschungen zu nennen pflegte, als Tätigkeiten des gesunden und richtig wirkenden Auges gerettet (2) und wir kommen hier abermals in den Fall, zu Ehren unserer Sinne und zu Bestätigung ihrer Zuverlässigkeit einiges auszuführen.
181. In der ganzen sinnlichen Welt kommt alles überhaupt auf das Verhältnis der Gegenstände untereinander an, vorzüglich aber auf das Verhältnis des bedeutendsten irdischen Gegenstandes, des Menschen, zu den übrigen. Hierdurch trennt sich die Welt in zwei Teile, und der Mensch stellt sich als ein Subjekt dem Objekt entgegen. Hier ist es, wo sich der Praktiker in der Erfahrung, der Denker in der Spekulation abmüdet und einen Kampf zu bestehen aufgefordert ist, der durch keinen Frieden und durch keine Entscheidung geschlossen werden kann.
182. Immer bleibt es aber auch hier die Hauptsache, daß die Beziehungen wahrhaft eingesehen werden. Da nun unsre Sinne, insofern sie gesund sind, die äußern Beziehungen am wahrhaftesten aussprechen, so können wir uns überzeugen, daß sie überall, wo sie dem Wirklichen zu widersprechen scheinen, das wahre Verhältnis desto sichrer bezeichnen. So erscheint uns das Entfernte kleiner, und eben dadurch werden wir die Entfernung gewahr. An farblosen Gegenständen brachten wir durch farblose Mittel farbige Erscheinungen hervor und wurden zugleich auf die Grade des Trüben solcher Mittel aufmerksam.
183. Ebenso werden unserm Auge die verschiedenen Grade der Dichtigkeit durchsichtiger Mittel, ja sogar noch andre physische und chemische Eigenschaften derselben, bei Gelegenheit der Refraktion, bekannt, und fordern uns auf, andre Prüfungen anzustellen, um in die von einer Seite schon eröffneten Geheimnisse auf physischem und chemischem Wege völlig einzudringen.
184. Gegenstände durch mehr oder weniger dichte Mittel gesehen, erscheinen uns nicht an der Stelle, an der sie sich, nach den Gesetzen der Perspektive, befinden sollten. Hierauf beruhen die dioptrischen Erscheinungen der zweiten Klasse.
185. Diejenigen Gesetze des Sehens, welche sich durch mathematische Formeln ausdrücken lassen, haben zum Grunde, daß, so wie das Licht sich in gerader Linie bewegt, auch eine gerade Linie zwischen dem sehenden Organ und dem gesehenen Gegenstand müsse zu ziehen sein. Kommt also der Fall, daß das Licht zu uns in einer gebogenen oder gebrochenen Linie anlangt, daß wir die Gegenstände in einer gebogenen oder gebrochenen Linie sehen, so werden wir alsbald erinnert, daß die dazwischen liegenden Mittel sich verdichtet, daß sie diese oder jene fremde Natur angenommen haben.
186. Diese Abweichung vom Gesetz des geradlinigen Sehens wird im allgemeinen die Refraktion genannt, und ob wir gleich voraussetzen können, daß unsre Leser damit bekannt sind, so wollen wir sie doch kürzlich von ihrer objektiven und subjektiven Seite hier nochmals darstellen.
187. Man lasse in ein leeres kubisches Gefäß das Sonnenlicht schräg in der Diagonale hineinscheinen, dergestalt daß nur die dem Licht entgegengesetzte Wand, nicht aber der Boden erleuchtet sei; man gieße sodann Wasser in dieses Gefäß, und der Bezug des Lichtes zu demselben wird sogleich verändert sein. Das Licht zieht sich gegen die Seite, wo es herkommt, zurück, und ein Teil des Bodens wird gleichfalls erleuchtet. An dem Punkte, wo nunmehr das Licht in das dichtere Mittel tritt, weicht es von seiner geradlinigen Richtung ab und scheint gebrochen, deswegen man auch dieses Phänomen die Brechung genannt hat. So viel von dem objektiven Versuche.
188. Zu der subjektiven Erfahrung gelangen wir aber folgendermaßen. Man setze das Auge an die Stelle der Sonne; das Auge schaue gleichfalls in der Diagonale über die eine Wand, so daß es die ihm entgegenstehende jenseitige innre Wandfläche vollkommen, nichts aber vom Boden sehen könne. Man gieße Wasser in das Gefäß, und das Auge wird nun einen Teil des Bodens gleichfalls erblicken, und zwar geschieht es auf eine Weise, daß wir glauben, wir sehen noch immer in gerader Linie: denn der Boden scheint uns heraufgehoben, daher wir das subjektive Phänomen mit dem Namen der Hebung bezeichnen. Einiges, was noch besonders merkwürdig hiebei ist, wird künftig vorgetragen werden.
189. Sprechen wir dieses Phänomen nunmehr im allgemeinen aus, so können wir, was wir oben angedeutet, hier wiederholen: daß nämlich der Bezug der Gegenstände verändert, verrückt werde.
190. Da wir aber bei unserer gegenwärtigen Darstellung die objektiven Erscheinungen von den subjektiven zu trennen gemeint sind, so sprechen wir das Phänomen vorerst subjektiv aus und sagen: es zeige sich eine Verrückung des Gesehenen oder des zu Sehenden.
191. Es kann nun aber das unbegrenzt Gesehene verrückt werden, ohne daß uns die Wirkung bemerklich wird. Verrückt sich hingegen das begrenzt Gesehene, so haben wir Merkzeichen, daß eine Verrückung geschieht. Wollen wir uns also von einer solchen Veränderung des Bezuges unterrichten, so werden wir uns vorzüglich an die Verrückung des begrenzt Gesehenen, an die Verrückung des Bildes zu halten haben.
192. Diese Wirkung überhaupt kann aber geschehen durch parallele Mittel: denn jedes parallele Mittel verrückt den Gegenstand und bringt ihn sogar im Perpendikel dem Auge entgegen. Merklicher aber wird dieses Verrücken durch nicht parallele Mittel.
193. Diese können eine völlig sphärische Gestalt haben, auch als konvexe oder als konkave Linsen angewandt werden. Wir bedienen uns derselben gleich falls bei unsern Erfahrungen. Weil sie aber nicht allein das Bild von der Stelle verrücken, sondern dasselbe auch auf mancherlei Weise verändern, so gebrauchen wir lieber solche Mittel, deren Flächen zwar nicht parallel gegeneinander, aber doch sämtlich eben sind, nämlich Prismen, die einen Triangel zur Base haben, die man zwar auch als Teile einer Linse betrachten kann, die aber zu unsern Erfahrungen deshalb besonders tauglich sind, weil sie das Bild sehr stark von der Stelle verrücken, ohne jedoch an seiner Gestalt eine bedeutende Veränderung hervorzubringen.
194. Nunmehr, um unsre Erfahrungen mit möglichster Genauigkeit anzustellen und alle Verwechslung abzulehnen, halten wir uns zuerst an
Subjektive Versuche
bei welchen nämlich der Gegenstand durch ein brechendes Mittel von dem Beobachter gesehen wird. Sobald wir diese der Reihe nach abgehandelt, sollen die objektiven Versuche in gleicher Ordnung folgen.
XII. Refraktion ohne Farbenerscheinung
195. Die Refraktion kann ihre Wirkung äußern, ohne daß man eine Farbenerscheinung gewahr werde. So sehr auch durch Refraktion das unbegrenzt Gesehene, eine farblose oder einfach gefärbte Fläche verrückt werde, so entsteht innerhalb derselben doch keine Farbe. Man kann sich hievon auf mancherlei Weise überzeugen.
196. Man setze einen gläsernen Kubus auf irgend eine Fläche und schaue im Perpendikel oder im Winkel darauf, so wird die reine Fläche dem Auge völlig entgegengehoben, aber es zeigt sich keine Farbe. Wenn man durchs Prisma einen rein grauen oder blauen Himmel, eine rein weiße oder farbige Wand betrachtet, so wird der Teil der Fläche, den wir eben ins Auge gefaßt haben, völlig von seiner Stelle gerückt sein, ohne daß wir deshalb die mindeste Farbenerscheinung darauf bemerken.
XIII. Bedingungen der Farbenerscheinung
197. Haben wir bei den vorigen Versuchen und Beobachtungen alle reinen Flächen, groß oder klein, farblos gefunden, so bemerken wir an den Rändern, da wo sich eine solche Fläche gegen einen hellern oder dunklern Gegenstand abschneidet, eine farbige Erscheinung.
198. Durch Verbindung von Rand und Fläche entstehen Bilder. Wir sprechen daher die Haupterfahrung dergestalt aus: es müssen Bilder verrückt werden, wenn eine Farbenerscheinung sich zeigen soll.
199. Wir nehmen das einfachste Bild vor uns, ein helles Rund auf dunklem Grunde A. An diesem findet eine Verrückung statt, wenn wir seine Ränder von dem Mittelpunkte aus scheinbar nach außen dehnen, indem wir es vergrößern. Dieses geschieht durch jedes konvexe Glas, und wir erblicken in diesem Falle einen blauen Rand B.
200. Den Umkreis eben desselben Bildes können wir nach dem Mittelpunkte zu scheinbar hineinbewegen, indem wir das Rund zusammenziehen; da alsdann die Ränder gelb erscheinen C. Dieses geschieht durch ein konkaves Glas, das aber nicht, wie die gewöhnlichen Lorgnetten, dünn geschliffen sein darf, sondern einige Masse haben muß. Damit man aber diesen Versuch auf einmal mit dem konvexen Glas machen könne, so bringe man in das helle Rund auf schwarzem Grunde eine kleinere schwarze Scheibe. Denn vergrößert man durch ein konvexes Glas die schwarze Scheibe auf weißem Grund, so geschieht dieselbe Operation, als wenn man ein weißes Rund verkleinerte: denn wir führen den schwarzen Rand nach dem weißen zu; und wir erblicken also den gelblichen Farbenrand zugleich mit dem blauen D.
201. Diese beiden Erscheinungen, die blaue und gelbe, zeigen sich an und über dem Weißen. Sie nehmen, insofern sie über das Schwarze reichen, einen rötlichen Schein an.
202. Und hiermit sind die Grundphänomene aller Farbenerscheinung bei Gelegenheit der Refraktion ausgesprochen, welche denn freilich auf mancherlei Weise wiederholt, variiert, erhöht, verringert, verbunden, verwickelt, verwirrt, zuletzt aber immer wieder auf ihre ursprüngliche Einfalt zurückgeführt werden können.
203. Untersuchen wir nun die Operation, welche wir vorgenommen, so finden wir, daß wir in dem einen Falle den hellen Rand gegen die dunkle, in dem andern den dunkeln Rand gegen die helle Fläche scheinbar geführt, eins durch das andre verdrängt, eins über das andre weggeschoben haben. Wir wollen nunmehr sämtliche Erfahrungen schrittweise zu entwickeln suchen.
204. Rückt man die helle Scheibe, wie es besonders durch Prismen geschehen kann, im ganzen von ihrer Stelle, so wird sie in der Richtung gefärbt, in der sie scheinbar bewegt wird, und zwar nach jenen Gesetzen. Man betrachte durch ein Prisma die in a befindliche Scheibe dergestalt, daß sie nach b verrückt erscheine, so wird der obere Rand, nach dem Gesetz der Figur B, blau und blaurot erscheinen, der untere, nach dem Gesetz der Scheibe C, gelb und gelbrot. Denn im ersten Fall wird das helle Bild in den dunklen Rand hinüber-, und in dem andern der dunkle Rand über das helle Bild gleichsam hineingeführt. Ein Gleiches gilt, wenn man die Scheibe von a nach c, von a nach d, und so im ganzen Kreise scheinbar herumführt.
205. Wie sich nun die einfache Wirkung verhält, so verhält sich auch die zusammengesetzte. Man sehe durch das horizontale Prisma a b nach einer hinter demselben in einiger Entfernung befindlichen weißen Scheibe in e, so wird die Scheibe nach f erhoben und nach dem obigen Gesetz gefärbt sein. Man hebe dies Prisma weg und schaue durch ein vertikales c d nach eben dem Bilde, so wird es in h erscheinen, und nach eben demselben Gesetze gefärbt. Man bringe nun beide Prismen übereinander, so erscheint die Scheibe, nach einem allgemeinen Naturgesetz, in der Diagonale verrückt und gefärbt, wie es die Richtung e g mit sich bringt.
206. Geben wir auf diese entgegengesetzten Farbenränder der Scheibe wohl acht, so finden wir, daß sie nur in der Richtung ihrer scheinbaren Bewegung entstehen. Ein rundes Bild läßt uns über dieses Verhältnis einigermaßen ungewiß; ein vierecktes hingegen belehrt uns klärlich darüber.
207. Das viereckte Bild a, in der Richtung a b oder a d verrückt, zeigt uns an den Seiten, die mit der Richtung parallel gehen, keine Farben; in der Richtung a c hingegen, da sich das Quadrat in seiner eignen Diagonale bewegt, erscheinen alle Grenzen des Bildes gefärbt.
208. Hier bestätigt sich also jener Ausspruch (203f.), ein Bild müsse dergestalt verrückt werden, daß seine helle Grenze über die dunkle, die dunkle Grenze aber über die helle, das Bild über seine Begrenzung, die Begrenzung über das Bild scheinbar hingeführt werde. Bewegen sich aber die geradlinigen Grenzen eines Bildes durch Refraktion immerfort, daß sie nur nebeneinander, nicht aber übereinander ihren Weg zurücklegen, so entstehen keine Farben, und wenn sie auch bis ins Unendliche fortgeführt würden.
XIV. Bedingungen unter welchen die Farbenerscheinung zunimmt
209. Wir haben in dem vorigen gesehen, daß alle Farbenerscheinung bei Gelegenheit der Refraktion darauf beruht, daß der Rand eines Bildes gegen das Bild selbst oder über den Grund gerückt, daß das Bild gleichsam über sich selbst oder über den Grund hingeführt werde. Und nun zeigt sich auch, bei vermehrter Verrückung des Bildes, die Farbenerscheinung in einem breitern Maße, und zwar bei subjektiven Versuchen, bei denen wir immer noch verweilen, unter folgenden Bedingungen.
210. Erstlich, wenn das Auge gegen parallele Mittel eine schiefere Richtung annimmt.
Zweitens, wenn das Mittel aufhört, parallel zu sein, und einen mehr oder weniger spitzen Winkel bildet.
Drittens durch das verstärkte Maß des Mittels; es sei nun, daß parallele Mittel am Volumen zunehmen, oder die Grade des spitzen Winkels verstärkt werden, doch so, daß sie keinen rechten Winkel erreichen.
Viertens durch Entfernung des mit brechenden Mitteln bewaffneten Auges von dem zu verrückenden Bilde.
Fünftens durch eine chemische Eigenschaft, welche dem Glase mitgeteilt, auch in demselben erhöht wer den kann.
211. Die größte Verrückung des Bildes, ohne daß desselben Gestalt bedeutend verändert werde, bringen wir durch Prismen hervor, und dies ist die Ursache, warum durch so gestaltete Gläser die Farbenerscheinung höchst mächtig werden kann. Wir wollen uns jedoch bei dem Gebrauch derselben von jenen glänzenden Erscheinungen nicht blenden lassen, vielmehr die oben festgesetzten einfachen Anfänge ruhig im Sinne behalten.
212. Diejenige Farbe, welche bei Verrückung eines Bildes vorausgeht, ist immer die breitere, und wir nennen sie einen Saum; diejenige Farbe, welche an der Grenze zurückbleibt, ist die schmälere, und wir nennen sie einen Rand.
213. Bewegen wir eine dunkle Grenze gegen das Helle, so geht der gelbe breitere Saum voran, und der schmälere gelbrote Rand folgt mit der Grenze. Rücken wir eine helle Grenze gegen das Dunkle, so geht der breitere violette Saum voraus und der schmälere blaue Rand folgt.
214. Ist das Bild groß, so bleibt dessen Mitte ungefärbt. Sie ist als eine unbegrenzte Fläche anzusehen, die verrückt, aber nicht verändert wird. Ist es aber so schmal, daß unter obgedachten vier Bedingungen der gelbe Saum den blauen Rand erreichen kann, so wird die Mitte völlig durch Farben zugedeckt. Man mache diesen Versuch mit einem weißen Streifen auf schwarzem Grunde; über einem solchen werden sich die beiden Extreme bald vereinigen und das Grün erzeugen. Man erblickt alsdann folgende Reihe von Farben:
Gelbrot
Gelb
Grün
Blau
Blaurot
215. Bringt man auf weiß Papier einen schwarzen Streifen, so wird sich der violette Saum darüber hinbreiten und den gelbroten Rand erreichen. Hier wird das dazwischen liegende Schwarz, so wie vorher das dazwischen liegende Weiß, aufgehoben und an seiner Stelle ein prächtig reines Rot erscheinen, das wir oft mit dem Namen Purpur bezeichnet haben. Nunmehr ist die Farbenfolge nachstehende:
Blau
Blaurot
Purpur
Gelbrot
Gelb
216. Nach und nach können in dem ersten Falle (214) Gelb und Blau dergestalt übereinander greifen, daß diese beiden Farben sich völlig zu Grün verbinden und das farbige Bild folgendermaßen erscheint:
Gelbrot
Grün
Blaurot
Im zweiten Falle (215) sieht man unter ähnlichen Umständen nur:
Blau
Purpur
Gelb
Welche Erscheinung am schönsten sich an Fensterstäben zeigt, die einen grauen Himmel zum Hintergrunde haben.
217. Bei allem diesem lassen wir niemals aus dem Sinne, daß diese Erscheinung nie als eine fertige, vollendete, sondern immer als eine werdende, zunehmende und in manchem Sinn bestimmbare Erscheinung anzusehen sei. Deswegen sie auch bei Negation obiger fünf Bedingungen (210) wieder nach und nach abnimmt und zuletzt völlig verschwindet.