Kapitel 6

Nach einer langen und gründlichen Ruhe, deren die Wanderer wohl bedürfen mochten, sprang Felix lebhaft aus dem Bett und eilte, sich anzuziehn; der Vater glaubte zu bemerken, mit mehr Sorgfalt als bisher. Nichts saß ihm knapp noch nett genug, auch hätte er alles neuer und frischer gewünscht. Er sprang nach dem Garten und haschte unterwegs nur etwas von der Vorkost, die der Diener für die Gäste brachte, weil erst nach einer Stunde die Frauenzimmer im Garten erscheinen würden.

Der Diener war gewohnt, die Fremden zu unterhalten und manches im Haus vorzuzeigen; so auch führte er unsern Freund in eine Galerie, worin bloß Porträte aufgehängt und gestellt waren, alles Personen, die im achtzehnten Jahrhundert gewirkt hatten, eine große und herrliche Gesellschaft; Gemälde sowie Büsten, wo möglich von vortrefflichen Meistern. „Sie finden“, sagte der Kustode, „in dem ganzen Schloss kein Bild, das auch nur von fern auf Religion, Überlieferung, Mythologie, Legende oder Fabel hindeutete; unser Herr will, dass die Einbildungskraft nur gefördert werde, um sich das Wahre zu vergegenwärtigen. ‚Wir fabeln so genug’, pflegt er zu sagen, ‚als dass wir diese gefährliche Eigenschaft unsers Geistes durch äußere reizende Mittel noch steigern sollten.’“

Die Frage Wilhelms, wann man ihm aufwarten könne, ward durch die Nachricht beantwortet: Der Herr sei nach seiner Gewohnheit ganz früh weg geritten. Er pflege zu sagen: Aufmerksamkeit ist das Leben! „Sie werden diesen und andere Sprüche, in denen er sich bespiegelt, in den Feldern über den Türen eingeschrieben sehen, wie wir hier z. B. gleich antreffen: ‚Vom Nützlichen durchs Wahre zum Schönen’.“

Die Frauenzimmer hatten schon unter den Linden das Frühstück bereitet, Felix eulenspiegelte um sie her und trachtete, in allerlei Torheiten und Verwegenheiten sich hervorzutun, eine Abmahnung, einen Verweis von Hersilien zu erhaschen. Nun suchten die Schwestern durch Aufrichtigkeit und Mitteilung das Vertrauen des schweigsamen Gastes, der ihnen gefiel, zu gewinnen; sie erzählten von einem werten Vetter, der, drei Jahre abwesend, zunächst erwartet werde, von einer würdigen Tante, die, unfern in ihrem Schloss wohnend, als ein Schutzgeist der Familie zu betrachten sei. In krankem Verfall des Körpers, in blühender Gesundheit des Geistes ward sie geschildert, als wenn die Stimme einer unsichtbar gewordenen Ursibylle rein göttliche Worte über die menschlichen Dinge ganz einfach ausspräche.

Der neue Gast lenkte nun Gespräch und Frage auf die Gegenwart. Er wünschte den edlen Oheim in rein entschiedener Tätigkeit gerne näher zu kennen; er gedachte des angedeuteten Wegs vom Nützlichen durchs Wahre zum Schönen und suchte die Worte auf seine Weise auszulegen, das ihm denn ganz gut gelang und Juliettes Beifall zu erwerben das Glück hatte.

Hersilie, die bisher lächelnd schweigsam geblieben, versetzte dagegen: „Wir Frauen sind in einem besondern Zustand. Die Maximen der Männer hören wir immerfort wiederholen, ja wir müssen sie in goldnen Buchstaben über unsern Häuptern sehen, und doch wüssten wir Mädchen im stillen das Umgekehrte zu sagen, das auch gölte, wie es gerade hier der Fall ist. Die Schöne findet Verehrer, auch Freier, und endlich wohl gar einen Mann; dann gelangt sie zum Wahren, das nicht immer höchst erfreulich sein mag, und wenn sie klug ist, widmet sie sich dem Nützlichen, sorgt für Haus und Kinder und verharrt dabei. So habe ich’s wenigstens oft gefunden. Wir Mädchen haben Zeit zu beobachten, und da finden wir meist, was wir nicht suchten.“

Ein Bote vom Oheim traf ein mit der Nachricht, dass sämtliche Gesellschaft auf ein nahes Jagdhaus zu Tisch geladen sei, man könne hin reiten und -fahren. Hersilie erwählte zu reiten. Felix bat inständig, man möge ihm auch ein Pferd geben. Man kam überein, Juliette sollte mit Wilhelm fahren und Felix als Page seinen ersten Ausritt der Dame seines jungen Herzens zu verdanken haben.

Indessen fuhr Juliette mit dem neuen Freund durch eine Reihe von Anlagen, welche sämtlich auf Nutzen und Genuss hindeuteten, ja die unzähligen Fruchtbäume machten zweifelhaft, ob das Obst alles verzehrt werden könne.

„Sie sind durch ein so wunderliches Vorzimmer in unsere Gesellschaft geraten und fanden manches wirklich Seltsame und Sonderbare, so dass ich vermuten darf, Sie wünschen einen Zusammenhang von allem diesem zu wissen. Alles beruht auf Geist und Sinn meines trefflichen Oheims. Die kräftigen Mannsjahre dieses Edlen fielen in die Zeit der Beccaria und Filangieri; die Maximen einer allgemeinen Menschlichkeit wirkten damals nach allen Seiten. Dies Allgemeine jedoch bildete sich der strebende Geist, der strenge Charakter nach Gesinnungen aus, die sich ganz aufs Praktische bezogen. Er verhehlte uns nicht, wie er jenen liberalen Wahlspruch: ‚Den Meisten das Beste’ nach seiner Art verwandelt und ‚Vielen das Erwünschte’ zugedacht. Die Meisten lassen sich nicht finden noch kennen, was das Beste sei, noch weniger ausmitteln. Viele jedoch sind immer um uns her; was sie wünschen, erfahren wir, was sie wünschen sollten, überlegen wir, und so lässt sich denn immer Bedeutendes tun und schaffen. In diesem Sinne“, fuhr sie fort, „ist alles, was Sie hier sehen, gepflanzt, gebaut, eingerichtet, und zwar um eines ganz nahen, leicht fasslichen Zweckes willen; alles dies geschah dem großen, nahen Gebirge zuliebe. Der treffliche Mann, Kraft und Vermögen zusammenhaltend, sagte zu sich selbst: ‚Keinem Kind da droben soll es an einer Kirsche, an einem Apfel fehlen, wonach sie mit Recht so lüstern sind; der Hausfrau soll es nicht an Kohl noch an Rüben oder sonst einem Gemüse im Topf ermangeln, damit dem unseligen Kartoffelgenuss nur einigermaßen das Gleichgewicht gehalten werde.’ In diesem Sinn, auf diese Weise sucht er zu leisten, wozu ihm sein Besitztum Gelegenheit gibt, und so haben sich seit manchen Jahren Träger und Trägerinnen gebildet, welche das Obst in die tiefsten Schluchten des Felsgebirges verkäuflich hintragen.“

„Ich habe selbst davon genossen wie ein Kind“, versetzte Wilhelm; „da, wo ich dergleichen nicht anzutreffen hoffte, zwischen Tannen und Felsen, überraschte mich weniger ein reiner Frommsinn als ein erquicklich frisches Obst. Die Gaben des Geistes sind überall zu Hause, die Geschenke der Natur über den Erdboden sparsam ausgeteilt.“

„Ferner hat unser würdiger Landherr von entfernten Orten manches Notwendige dem Gebirge näher gebracht; in diesen Gebäuden am Fuß hin finden Sie Salz aufgespeichert und Gewürze vorrätig. Für Tabak und Branntwein lässt er andere sorgen; dies seien keine Bedürfnisse, sagt er, sondern Gelüste, und da würden sich schon Unterhändler genug finden.“

Angelangt am bestimmten Ort, einem geräumigen Försterhaus im Wald, fand sich die Gesellschaft zusammen und bereits eine kleine Tafel gedeckt. „Setzen wir uns“, sagte Hersilie; „hier steht zwar der Stuhl des Oheims, aber gewiss wird er nicht kommen, wie gewöhnlich. Es ist mir gewissermaßen lieb, dass unser neuer Gast, wie ich höre, nicht lange bei uns verweilen wird; denn es müsste ihm verdrießlich sein, unser Personal kennen zu lernen. Es ist das ewig in Romanen und Schauspielen wiederholte: Ein wunderlicher Oheim, eine sanfte und eine muntere Nichte, eine kluge Tante, Hausgenossen nach bekannter Art; und käme nun gar der Vetter wieder, so lernte er einen phantastischen Reisenden kennen, der vielleicht einen noch sonderbareren Gesellen mitbrächte, und so wäre das leidige Stück erfunden und in Wirklichkeit gesetzt.“

„Die Eigenheiten des Oheims haben wir zu ehren“, versetzte Juliette; „sie sind niemanden zur Last, gereichen vielmehr jedermann zur Bequemlichkeit. Eine bestimmte Tafelstunde ist ihm nun einmal verdrießlich, selten, dass er sie einhält, wie er denn versichert: Eine der schönsten Erfindungen neuerer Zeit sei das Speisen nach der Karte.“

Unter manchen andern Gesprächen kamen sie auf die Neigung des werten Mannes, überall Inschriften zu belieben. „Meine Schwester“, sagte Hersilie, „weiß sie sämtlich auszulegen, mit dem Kustode versteht sie’s um die Wette; ich aber finde, dass man sie alle umkehren kann und dass sie alsdann ebenso wahr sind, und vielleicht noch mehr.“ – „Ich leugne nicht“, versetzte Wilhelm, „es sind Sprüche darunter, die sich in sich selbst zu vernichten scheinen; so sah ich z. B. sehr auffallend angeschrieben: ‚Besitz und Gemeingut’; heben sich diese beiden Begriffe nicht auf?“

Hersilie fiel ein: „Dergleichen Inschriften, scheint es, hat der Oheim von den Orientalen genommen, die an allen Wänden die Sprüche des Korans mehr verehren als verstehen.“ Juliette, ohne sich irren zu lassen, erwiderte auf obige Frage: „Umschreiben Sie die wenigen Worte, so wird der Sinn alsobald hervorleuchten.“

Nach einigen Zwischenreden fuhr Juliette fort, weiter aufzuklären, wie es gemeint sei: „Jeder suche den Besitz, der ihm von der Natur, von dem Schicksal gegönnt ward, zu würdigen, zu erhalten, zu steigern; er greife mit allen seinen Fertigkeiten so weit umher, als er zu reichen fähig ist; immer aber denke er dabei, wie er andere daran will teilnehmen lassen; denn nur insofern werden die Vermögenden geschätzt, als andere durch sie genießen.“

Indem man sich nun nach Beispielen umsah, fand sich der Freund erst in seinem Fach; man wetteiferte, man überbot sich, um jene lakonischen Worte recht wahr zu finden. Warum, hieß es, verehrt man den Fürsten, als weil er einen jeden in Tätigkeit setzen, fördern, begünstigen und seiner absoluten Gewalt gleichsam teilhaft machen kann? Warum schaut alles nach dem Reichen, als weil er, der Bedürftigste, überall Teilnehmer an seinem Überfluss wünscht? Warum beneiden alle Menschen den Dichter? Weil seine Natur die Mitteilung nötig macht, ja die Mitteilung selbst ist. Der Musiker ist glücklicher als der Maler: Er spendet willkommene Gaben aus, persönlich unmittelbar, anstatt dass der letzte nur gibt, wenn die Gabe sich von ihm absonderte.

Nun hieß es ferner im Allgemeinen: Jede Art von Besitz soll der Mensch festhalten, er soll sich zum Mittelpunkt machen, von dem das Gemeingut ausgehen kann; er muss Egoist sein, um nicht Egoist zu werden, zusammenhalten, damit er spenden könne. Was soll es heißen, Besitz und Gut an die Armen zu geben? Löblicher ist, sich für sie als Verwalter betragen. Dies ist der Sinn der Worte: Besitz und Gemeingut; das Kapital soll niemand angreifen, die Interessen werden ohnehin im Weltlauf schon jedermann angehören.

Man hatte, wie sich im Gefolge des Gesprächs ergab, dem Oheim vorgeworfen, dass ihm seine Güter nicht eintrugen, was sie sollten. Er versetzte dagegen: „Das Mindere der Einnahme betrachte ich als Ausgabe, die mir Vergnügen macht, indem ich andern dadurch das Leben erleichtere; ich habe nicht einmal die Mühe, dass diese Spende durch mich durchgeht, und so setzt sich alles wieder ins Gleiche.“

Dergestalt unterhielten sich die Frauenzimmer mit dem neuen Freund gar vielseitig, und bei immer wachsendem gegenseitigem Vertrauen sprachen sie über den zunächst erwarteten Vetter.

„Wir halten sein wunderliches Betragen für abgeredet mit dem Oheim. Er lässt seit einigen Jahre nichts von sich hören, sendet anmutige, seinen Aufenthalt verblümt andeutende Geschenke, schreibt nun auf einmal ganz aus der Nähe, will aber nicht eher zu uns kommen, bis wir ihm von unsern Zuständen Nachricht geben. Dies Betragen ist nicht natürlich; was auch dahinter stecke, wir müssen es vor seiner Rückkehr erfahren. Heute Abend geben wir Ihnen einen Heft Briefe, woraus das Weitere zu ersehen ist.“ Hersilie setzte hinzu: „Gestern machte ich Sie mit einer törigen Landläuferin bekannt, heute sollen Sie von einem verrückten Reisenden vernehmen.“ – „Gestehe es nur“, fügte Juliette hinzu, „diese Mitteilung ist nicht ohne Absicht.“

Hersilie fragte soeben etwas ungeduldig, wo der Nachtisch bleibe, als die Meldung geschah, der Oheim erwarte die Gesellschaft, mit ihm die Nachkost in der großen Laube zu genießen. Auf dem Hinweg bemerkte man eine Feldküche, die sehr emsig ihre blank gereinigten Kasserollen, Schüsseln und Teller klappernd einzupacken beschäftigt war. In einer geräumigen Laube fand man den alten Herrn an einem runden, großen, frisch gedeckten Tisch, auf welchem soeben die schönsten Früchte, willkommenes Backwerk und die besten Süßigkeiten, indem sich jene niedersetzten, reichlich aufgetragen wurden. Auf die Frage des Oheims, was bisher begegnet, womit man sich unterhalten, fiel Hersilie vorschnell ein: „Unser guter Gast hätte wohl über ihre lakonischen Inschriften verwirrt werden können, wäre ihm Juliette nicht durch einen fortlaufenden Kommentar zu Hilfe gekommen.“ – „Du hast es immer mit Juliette zu tun“, versetzte der Oheim, „sie ist ein wackres Mädchen, das noch etwas lernen und begreifen mag.“ – „Ich möchte vieles gern vergessen, was ich weiß; und was ich begriffen habe, ist auch nicht viel wert“, versetzte Hersilie in Heiterkeit.

Hierauf nahm Wilhelm das Wort und sagte bedächtig: „Kurzgefasste Sprüche jeder Art weiß ich zu ehren, besonders wenn sie mich anregen, das Entgegengesetzte zu überschauen und in Übereinstimmung zu bringen.“ – „Ganz richtig“, erwiderte der Oheim, „hat doch der vernünftige Mann in seinem ganzen Leben noch keine andere Beschäftigung gehabt.“

Indessen besetzte sich die Tafelrunde nach und nach, so dass Spätere kaum Platz fanden. Die beiden Amtleute waren gekommen, Jäger, Pferdebändiger, Gärtner, Förster und andere, denen man nicht gleich ihren Beruf ansehen konnte. Jeder hatte etwas von dem letzten Augenblick zu erzählen und mitzuteilen, das sich der alte Herr gefallen ließ, auch wohl durch teilnehmende Fragen hervorrief, zuletzt aber aufstand und, die Gesellschaft, die sich nicht rühren sollte, begrüßend, mit den beiden Amtleuten sich entfernte. Das Obst hatten sich alle, das Zuckerwerk die jungen Leute, wenn sie auch ein wenig wild aussahen, gar wohl schmecken lassen. Einer nach dem andern stand auf, begrüßte die Bleibenden und ging davon.

Die Frauenzimmer, welche bemerkten, dass der Gast auf das, was vorging, mit einiger Verwunderung Acht gab, erklärten sich folgendermaßen: „Sie sehen hier abermals die Wirkung der Eigenheiten unsers trefflichen Oheims; er behauptet: Keine Erfindung des Jahrhunderts verdiene mehr Bewunderung, als dass man in Gasthäusern, an besonderen kleinen Tischchen, nach der Karte speisen könne; sobald er dies gewahr worden, habe er für sich und andere dies auch in seiner Familie einzuführen gesucht. Wenn er vom besten Humor ist, mag er gern die Schrecknisse eines Familientisches lebhaft schildern, wo jedes Glied, mit fremden Gedanken beschäftigt, sich niedersetzt, ungern hört, in Zerstreuung spricht, muffig schweigt und, wenn gar das Unglück kleine Kinder heranführt, mit augenblicklicher Pädagogik die unzeitigste Missstimmung hervorbringt. ‚So manches Übel’, sagt er, ‚muss man tragen, von diesem habe ich mich zu befreien gewusst.’ Selten erscheint er an unserm Tisch und besetzt den Stuhl nur augenblicklich, der für ihn leer steht. Seine Feldküche führt er mit sich umher, speist gewöhnlich allein, andere mögen für sich sorgen. Wenn er aber einmal Frühstück, Nachtisch oder sonst Erfrischung anbietet, dann versammeln sich alle zerstreuten Angehörigen, genießen das Bescherte, wie Sie gesehen haben. Das macht ihm Vergnügen; aber niemand darf kommen, der nicht Appetit mitbringt, jeder muss aufstehen, der sich gelabt hat, und nur so ist er gewiss, immer von Genießenden umgeben zu sein. ‚Will man die Menschen ergötzen’, hörte ich ihn sagen, ‚so muss man ihnen das zu verleihen suchen, was sie selten oder nie zu erlangen im Falle sind’.“

Auf dem Rückweg brachte ein unerwarteter Schlag die Gesellschaft in einige Gemütsbewegung. Hersilie sagte zu dem neben ihr reitenden Felix: „Sieh dort, was mögen das für Blumen sein? Sie decken die ganze Sommerseite des Hügels, ich hab’ sie noch nie gesehen.“ Sogleich regte Felix sein Pferd an, sprengte auf die Stelle los und war im Zurückkommen mit einem ganzen Büschel blühender Kronen, die er von weitem schüttelte, als er auf einmal mit dem Pferde verschwand. Er war in einen Graben gestürzt. Sogleich lösten sich zwei Reiter von der Gesellschaft, nach dem Punkte hinsprengend.

Wilhelm wollte aus dem Wagen, Juliette verbat es: „Hilfe ist schon bei ihm, und unser Gesetz ist in solchen Fällen, dass nur der Helfende sich von der Stelle regen darf; der Chirurg ist schon dort.“ Hersilie hielt ihr Pferd an: „Jawohl“, sagte sie, „Leibärzte braucht man nur selten, Wundärzte jeden Augenblick.“ Schon sprengte Felix mit verbundenem Kopf wieder heran, die blühende Beute festhaltend und hoch empor zeigend. Mit Selbstgefälligkeit reichte er den Strauß seiner Herrin zu, dagegen gab ihm Hersilie ein buntes, leichtes Halstuch. „Die weiße Binde kleidet dich nicht“, sagte sie, „diese wird schon lustiger aussehen.“ Und so kamen sie zwar beruhigt, aber teilnehmender gestimmt nach Hause.

Es war spät geworden, man trennte sich in freundlicher Hoffnung morgenden Wiedersehens; der hier folgende Briefwechsel aber erhielt unsern Freund noch einige Stunden nachdenklich und wach.

Lenardo an die Tante

Endlich erhalten Sie nach drei Jahren den ersten Brief von mir, liebe Tante, unserer Abrede gemäß, die freilich wunderlich genug war. Ich wollte die Welt sehen und mich ihr hingeben und wollte für diese Zeit meine Heimat vergessen, von der ich kam, zu der ich wieder zurückzukehren hoffte. Den ganzen Eindruck wollte ich behalten, und das einzelne sollte mich in die Ferne nicht irremachen. Indessen sind die nötigen Lebenszeichen von Zeit zu Zeit hin und her gegangen. Ich habe Geld erhalten, und kleine Gaben für meine Nächsten sind Ihnen indessen zur Austeilung überliefert worden. An den überschickten Waren konnten Sie sehen, wo und wie ich mich befand. An den Weinen hat der Onkel meinen jedesmaligen Aufenthalt gewiss herausgekostet; dann die Spitzen, die Quodlibets, die Stahlwaren haben meinen Weg, durch Brabant über Paris nach London, für die Frauenzimmer bezeichnet; und so werde ich auf Ihren Schreib-, Näh- und Teetischen, an Ihren Negligés und Festkleidern gar manches Merkzeichen finden, woran ich meine Reiseerzählung knüpfen kann. Sie haben mich begleitet, ohne von mir zu hören, und sind vielleicht nicht einmal neugierig, etwas weiter zu erfahren. Mir hingegen ist höchst nötig, durch Ihre Güte zu vernehmen, wie es in dem Kreis steht, in den ich wieder einzutreten im Begriff bin. Ich möchte wirklich aus der Fremde wie ein Fremder hineinkommen, der, um angenehm zu sein, sich erst erkundigt, was man in dem Hause will und mag, und sich nicht einbildet, dass man ihn wegen seiner schönen Augen oder Haare gerade nach seiner eigenen Weise empfangen müsse. Schreiben Sie mir daher vom guten Onkel, von den lieben Nichten, von sich selbst, von unsern Verwandten, nähern und fernern, auch von alten und neuen Bedienten. Genug, lassen Sie Ihre geübte Feder, die Sie für Ihren Neffen so lange nicht eingetaucht, auch einmal zu seinen Gunsten auf dem Papier hinwalten. Ihr unterrichtendes Schreiben soll zugleich mein Kreditiv sein, mit dem ich mich einstelle, sobald ich es erhalten habe. Es hängt also von Ihnen ab, mich in Ihren Armen zu sehen. Man verändert sich viel weniger, als man glaubt, und die Zustände bleiben sich auch meistens sehr ähnlich. Nicht, was sich verändert hat, sondern was geblieben ist, was allmählich zu- und abnahm, will ich auf einmal wieder erkennen und mich selbst in einem bekannten Spiegel wieder erblicken. Grüßen Sie herzlich alle die Unsrigen und glauben Sie, dass in der wunderlichen Art meines Außenbleibens und Zurückkommens so viel Wärme enthalten sei, als manchmal nicht in stetiger Teilnahme und lebhafter Mitteilung. Tausend Grüße jedem und allen!

Nachschrift

Versäumen Sie nicht, beste Tante, mir auch von unsern Geschäftsmännern ein Wort zu sagen, wie es mit unsern Gerichtshaltern und Pächtern steht. Was ist mit Valerine geworden, der Tochter des Pächters, den unser Onkel kurz vor meiner Abreise, zwar mit Recht, aber doch, dünkt mich, mit ziemlicher Härte austrieb? Sie sehen, ich erinnere mich noch manches Umstandes; ich weiß wohl noch alles. Über das Vergangene sollen Sie mich examinieren, wenn Sie mir das Gegenwärtige mitgeteilt haben.

Die Tante an Juliette

Endlich, liebe Kinder, ein Brief von dem dreijährigen Schweiger. Was doch die wunderlichen Menschen wunderlich sind! Er glaubt, seine Waren und Zeichen seien so gut als ein einziges gutes Wort, das der Freund dem Freunde sagen oder schreiben kann. Er bildet sich wirklich ein, im Vorschuss zu stehen, und will nun von unserer Seite das zuerst geleistet haben, was er uns von der seinigen so hart und unfreundlich versagte. Was sollen wir tun? Ich für meinen Teil würde gleich in einem langen Brief seinen Wünschen entgegenkommen, wenn sich mein Kopfweh nicht anmeldete, das mich gegenwärtiges Blatt kaum zu Ende schreiben lässt. Wir verlangen ihn alle zu sehen. Übernehmt, meine Lieben, doch das Geschäft. Bin ich hergestellt, eh’ Ihr geendet habt, so will ich das Meinige beitragen. Wählt Euch die Personen und die Verhältnisse, wie Ihr sie am liebsten beschreibt. Teilt Euch darein. Ihr werdet alles besser machen als ich selbst. Der Bote bringt mir doch von Euch ein Wort zurück?

Juliette an die Tante

Wir haben gleich gelesen, überlegt und sagen mit dem Boten unsere Meinung, jede besonders, wenn wir erst zusammen versichert haben, dass wir nicht so gutmütig sind wie unsere liebe Tante gegen den immer verzogenen Neffen. Nachdem er seine Karten drei Jahre vor uns verborgen gehalten hat und noch verborgen hält, sollen wir die unsrigen auflegen und ein offenes Spiel gegen ein verdecktes spielen. Das ist keineswegs billig, und doch mag es hingehen; denn der Feinste betrügt sich oft, gerade weil er zu viel sichert. Nur über die Art und Weise sind wir nicht einig, was und wie man’s ihm senden soll. Zu schreiben, wie man über die Seinigen denkt, das ist für uns wenigstens eine wunderliche Aufgabe. Gewöhnlich denkt man über sie nur in diesem und jenem Fall, wenn sie einem besonderes Vergnügen oder Verdruss machen. Übrigens lässt jeder den andern gewähren. Sie könnten es allein, liebe Tante; denn Sie haben die Einsicht und die Billigkeit zugleich. Hersilie, die, wie Sie wissen, leicht zu entzünden ist, hat mir in der Geschwindigkeit die ganze Familie aus dem Stegreif ins Lustige rezensiert; ich wollte, dass es auf dem Papier stünde, um Ihnen selbst bei Ihren Übeln ein Lächeln abzugewinnen; aber nicht, dass man es ihm schickte. Mein Vorschlag ist jedoch, ihm unsere Korrespondenz dieser drei Jahre mitzuteilen; da mag er sich durchlesen, wenn er Mut hat, oder mag kommen, um zu sehen, was er nicht lesen mag. Ihre Briefe an mich, liebe Tante, sind in der besten Ordnung und stehen gleich zu Befehl. Dieser Meinung tritt Hersilie nicht bei; sie entschuldigt sich mit der Unordnung ihrer Papiere usw., wie sie Ihnen selbst sagen wird.

Hersilie an die Tante

Ich will und muss sehr kurz sein, liebe Tante, denn der Bote zeigt sich unartig ungeduldig. Ich finde es eine übermäßige Gutmütigkeit und gar nicht am Platz, Lenardo unsere Briefe mitzuteilen. Was braucht er zu wissen, was wir Gutes von ihm gesagt haben, was braucht er zu wissen, was wir Böses von ihm sagten, um aus dem letzten noch mehr als dem ersten herauszufinden, dass wir ihm gut sind! Halten Sie ihn kurz, ich bitte Sie. Es ist so was Abgemessenes und Anmaßliches in dieser Forderung, in diesem Betragen, wie es die Herren meistens haben, wenn sie aus fremden Ländern kommen. Sie halten die daheim Gebliebenen immer nicht für voll. Entschuldigen Sie sich mit Ihrem Kopfweh. Er wird schon kommen; und wenn er nicht käme, so warten wir noch ein wenig. Vielleicht fällt es ihm alsdann ein, auf eine sonderbare, geheime Weise sich bei uns zu introduzieren, uns unerkannt kennen zu lernen, und was nicht alles in den Plan eines so klugen Mannes eingreifen könnte. Das müsste doch hübsch und wunderbar sein! Das dürfte allerlei Verhältnisse hervorbringen, die bei einem so diplomatischen Eintritt in seine Familie, wie er ihn jetzt vorhat, sich unmöglich entwickeln können.

Der Bote! Der Bote! Ziehen Sie Ihre alten Leute besser, oder schicken Sie junge. Diesem ist weder mit Schmeichelei noch mit Wein beizukommen. Leben Sie tausendmal wohl!

Nachschrift um Nachschrift

Sagen Sie mir, was will der Vetter in seiner Nachschrift mit Valerine? Diese Frage ist mir doppelt aufgefallen. Es ist die einzige Person, die er mit Namen nennt. Wir andern sind ihm Nichten, Tanten, Geschäftsträger; keine Personen, sondern Rubriken. Valerine, die Tochter unseres Gerichtshalters! Freilich ein blondes, schönes Kind, das dem Herrn Vetter vor seiner Abreise mag in die Augen geleuchtet haben. Sie ist verheiratet, gut und glücklich; das brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Aber er weiß es so wenig, als er sonst etwas von uns weiß. Vergessen Sie ja nicht, ihm gleichfalls in einer Nachschrift zu melden: Valerine sei täglich schöner geworden und habe auch deshalb eine sehr gute Partie getan. Sie sei die Frau eines reichen Gutsbesitzers. Verheiratet sei die schöne Blondine. Machen Sie es ihm recht deutlich. Nun aber, liebe Tante, ist das noch nicht alles. Wie er sich der blonden Schönheit so genau erinnern und sie mit der Tochter des liederlichen Pächters, einer wilden Hummel von Brünette, verwechseln kann, die Nachodine hieß und die wer weiß wohin geraten ist, das bleibt mir völlig unbegreiflich und intrigiert mich ganz besonders. Denn es scheint doch, der Herr Vetter, der sein gutes Gedächtnis rühmt, verwechselt Namen und Personen auf eine sonderbare Weise. Vielleicht fühlt er diesen Mangel und will das Erloschene durch Ihre Schilderung wieder auffrischen. Halten Sie ihn kurz, ich bitte Sie; aber suchen Sie zu erfahren, wie es mit den Valerinen und Nachodinen steht und was für Inen, Trinen vielleicht noch alle sich in seiner Einbildungskraft erhalten haben, indessen die Etten und Ilien daraus verschwunden sind. Der Bote! Der verwünschte Bote!

Die Tante den Nichten
(Diktiert)

Was soll man sich viel verstellen gegen die, mit denen man sein Leben zuzubringen hat! Lenardo mit allen seinen Eigenheiten verdient Zutrauen. Ich schicke ihm Eure beiden Briefe; daraus lernt er Euch kennen, und ich hoffe, wir andern werden unbewusst eine Gelegenheit ergreifen, uns auch nächstens ebenso vor ihm darzustellen. Lebet wohl! Ich leide sehr.

Hersilie an die Tante

Was soll man sich viel verstellen gegen die, mit denen man sein Leben zubringt! Lenardo ist ein verzogener Neffe. Es ist abscheulich, dass Sie ihm unsere Briefe schicken. Er wird uns daraus nicht kennen lernen, und ich wünsche mir nur Gelegenheit, mich nächstens von einer andern Seite darzustellen. Sie machen andere viel leiden, indem Sie leiden und blind lieben. Baldige Besserung Ihrer Leiden! Ihrer Liebe ist nicht zu helfen.

Die Tante an Hersilie

Dein letztes Zettelchen hätte ich auch mit an Lenardo eingepackt, wenn ich überhaupt bei dem Vorsatz geblieben wäre, den mir meine inkorrigible Neigung, mein Leiden und die Bequemlichkeit eingegeben hatten. Eure Briefe sind nicht fort.

Wilhelm an Natalie

Der Mensch ist ein geselliges, gesprächiges Wesen; seine Lust ist groß, wenn er Fähigkeiten ausübt, die ihm gegeben sind, und wenn auch weiter nichts dabei herauskäme. Wie oft beklagt man sich in Gesellschaft, dass einer den andern nicht zum Wort kommen lässt, und ebenso kann man sagen, dass einer den andern nicht zum Schreiben kommen ließe, wenn nicht das Schreiben gewöhnlich ein Geschäft wäre, das man einsam und allein abtun muss.

Wie viel die Menschen schreiben, davon hat man gar keinen Begriff. Von dem, was davon gedruckt wird, will ich gar nicht reden, ob es gleich schon genug ist. Was aber an Briefen und Nachrichten und Geschichten, Anekdoten, Beschreibungen von gegenwärtigen Zuständen einzelner Menschen in Briefen und größeren Aufsätzen in der Stille zirkuliert, davon kann man sich nur eine Vorstellung machen, wenn man in gebildeten Familien eine Zeitlang lebt, wie es mir jetzt geht. In der Sphäre, in der ich mich gegenwärtig befinde, bringt man beinahe so viel Zeit zu, seinen Verwandten und Freunden dasjenige mitzuteilen, womit man sich beschäftigt, als man Zeit sich zu beschäftigen selbst hatte. Diese Bemerkung, die sich mir seit einigen Tagen aufdringt, mache ich umso lieber, als mir die Schreibseligkeit meiner neuen Freunde Gelegenheit verschafft, ihre Verhältnisse geschwind und nach allen Seiten hin kennen zu lernen. Man vertraut mir, man gibt mir einen Pack Briefe, ein paar Hefte Reisejournale, die Konfessionen eines Gemüts, das noch nicht mit sich selbst einig ist, und so bin ich in kurzem überall zu Hause. Ich kenne die nächste Gesellschaft; ich kenne die Personen, deren Bekanntschaft ich machen werde, und weiß von ihnen beinahe mehr als sie selbst, weil sie denn doch in ihren Zuständen befangen sind und ich an ihnen vorbeischwebe, immer an deiner Hand, mich mit Dir über alles besprechend. Auch ist es meine erste Bedingung, ehe ich ein Vertrauen annehme, dass ich dir alles mitteilen dürfe. Hier also einige Briefe, die dich in den Kreis einführen werden, in dem ich mich gegenwärtig herumdrehe, ohne mein Gelübde zu brechen oder zu umgehen.

 
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Kapitel 7

Am frühsten Morgen fand sich unser Freund allein in die Galerie und ergötzte sich an so mancher bekannten Gestalt; über die Unbekannten gab ihm ein vorgefundener Katalog den erwünschten Aufschluss. Das Porträt wie die Biographie haben ein ganz eigenes Interesse; der bedeutende Mensch, den man sich ohne Umgebung nicht denken kann, tritt einzeln abgesondert heraus und stellt sich vor uns wie vor einen Spiegel; ihm sollen wir entschiedene Aufmerksamkeit zuwenden, wir sollen uns ausschließlich mit ihm beschäftigen, wie er behaglich vor dem Spiegelglas mit sich beschäftigst ist. Ein Feldherr ist es, der jetzt das ganze Heer repräsentiert, hinter den so Kaiser als Könige, für die er kämpft, ins Trübe zurücktreten. Der gewandte Hofmann steht vor uns, eben als wenn er uns den Hof machte, wir denken nicht an die große Welt, für die er sich eigentlich so anmutig ausgebildet hat. Überraschend war sodann unserm Beschauer die Ähnlichkeit mancher längst vorübergegangenen mit lebendigen, ihm bekannten und leibhaftig gesehenen Menschen, ja Ähnlichkeit mit ihm selbst! Und warum sollten sich nur Zwillings-Menächmen aus einer Mutter entwickeln? Sollte die große Mutter der Götter und Menschen nicht auch das gleiche Gebild aus ihrem fruchtbaren Schoß gleichzeitig oder in Pausen hervorbringen können?

Endlich durfte denn auch der gefühlvolle Beschauer sich nicht leugnen, dass manches anziehende, manches Abneigung erweckende Bild vor seinen Augen vorüberschwebe.

In solchem Betrachten überraschte ihn der Hausherr, mit dem er sich über diese Gegenstände freimütig unterhielt und hiernach dessen Gunst immer mehr zu gewinnen schien. Denn er ward freundlich in die innern Zimmer geführt, wo er köstliche Bilder bedeutender Männer des sechzehnten Jahrhunderts sah, in vollständiger Gegenwart, wie sie für sich leibten und lebten, ohne sich etwa im Spiegel oder im Zuschauer zu beschauen, sich selbst gelassen und genügend, nur durch ihr Dasein wirkend, nicht durch irgendein Wollen oder Vornehmen.

Der Hausherr, zufrieden, dass der Gast eine so reich herangebrachte Vergangenheit vollkommen zu schätzen wusste, ließ ihn Handschriften sehen von manchen Personen, über die sie vorher in der Galerie gesprochen hatten; sogar zuletzt Reliquien, von denen man gewiss war, dass der frühere Besitzer sich ihrer bedient, sie berührt hatte.

„Dies ist meine Art von Poesie“, sagte der Hausherr lächelnd; „meine Einbildungskraft muss sich an etwas festhalten; ich mag kaum glauben, dass etwas gewesen sei, was nicht noch da ist. Über solche Heiltümer vergangener Zeit suche ich mir die strengsten Zeugnisse zu verschaffen, sonst würden sie nicht aufgenommen. Am schärfsten werden schriftliche Überlieferungen geprüft; denn ich glaube wohl, dass der Mönch die Chronik geschrieben hat, wovon er aber zeugt, daran glaube ich selten.“ Zu letzt legte er Wilhelm ein weißes Blatt vor mit Ersuchen um einige Zeilen, doch ohne Unterschrift; worauf der Gast durch eine Tapetentüre sich in den Saal entlassen und an der Seite des Kustode fand.

„Es freut mich“, sagte dieser, „dass Sie unserm Herrn wert sind; schon dass Sie zu dieser Türe herauskommen, ist ein Beweis davon. Wissen Sie aber, wofür er Sie hält? Er glaubt einen praktischen Pädagogen in Ihnen zu sehen, den Knaben vermutet er von vornehmem Haus, Ihrer Führung anvertraut, um mit rechtem Sinn sogleich in die Welt und ihre mannigfaltigen Zustände nach Grundsätzen frühzeitig eingeweiht zu werden.“ – „Er tut mir zu viel Ehre an“, sagte der Freund, „doch will ich dies Wort nicht vergebens gehört haben.“

Beim Frühstück, wo er seinen Felix schon um die Frauenzimmer beschäftigt fand, eröffneten sie ihm den Wunsch: Er möge, da er nun einmal nicht zu halten sei, sich zu der edlen Tante Makarie begeben und vielleicht von da zum Vetter, um das wunderliche Zaudern aufzuklären. Er werde dadurch sogleich zum Glied ihrer Familie, erzeige ihnen allen einen entschiedenen Dienst und trete mit Lenardo ohne große Vorbereitung in ein zutrauliches Verhältnis.

Er jedoch versetzte dagegen: „Wohin Sie mich senden, begeb’ ich mich gern; ich ging aus, zu schauen und zu denken; bei Ihnen habe ich mehr erfahren und gelernt, als ich hoffen durfte, und bin überzeugt, auf dem nächsten eingeleiteten Wege werd’ ich mehr, als ich erwarten kann, gewahr werden und lernen.“

„Und du artiger Taugenichts! Was wirst denn du lernen?“, fragte Hersilie, worauf der Knabe sehr keck erwiderte: „Ich lerne schreiben, damit ich dir einen Brief schicken kann, und reiten wie keiner, damit ich immer gleich wieder bei dir bin.“ Hierauf sagte Hersilie bedenklich: „Mit meinen zeitbürtigen Verehrern hat es mir niemals recht glücken wollen; es scheint, dass die folgende Generation mich nächstens entschädigen will.“

Nun aber empfinden wir mit unserm Freund, wie schmerzlich die Stunde des Abschieds herannaht, und mögen uns gern von den Eigenheiten seines trefflichen Wirtes, von den Seltsamkeiten des außerordentlichen Mannes einen deutlichen Begriff machen. Um ihn aber nicht falsch zu beurteilen, müssen wir auf das Herkommen, auf das Herankommen dieser schon zu hohen Jahren gelangten würdigen Person unsere Aufmerksamkeit richten. Was wir ausfragen konnten, ist folgendes:

Sein Großvater lebte als tätiges Glied einer Gesandtschaft in England, gerade in den letzten Jahren des erhabenen William Penn. Das hohe Wohlwollen, die reinen Absichten, die unverrückte Tätigkeit eines so vorzüglichen Mannes, der Konflikt, in den er deshalb mit der Welt geriet, die Gefahren und Bedrängnisse, unter denen der Edle zu erliegen schien, erregten in dem empfänglichen Geiste des jungen Mannes ein entschiedenes Interesse; er verbrüderte sich mit der Angelegenheit und zog endlich selbst nach Amerika. Der Vater unseres Herrn ist in Philadelphia geboren, und beide rühmten sich, beigetragen zu haben, dass eine allgemein freiere Religionsübung in den Kolonien stattfand.

Hier entwickelte sich die Maxime, dass eine in sich abgeschlossene, in Sitten und Religion übereinstimmende Nation vor aller fremden Einwirkung, vor aller Neuerung sich wohl zu hüten habe; dass aber da, wo man auf frischem Boden viele Glieder von allen Seiten her zusammen berufen will, möglichst unbedingte Tätigkeit im Erwerb und freier Spielraum der allgemeinsittlichen und religiösen Vorstellungen zu vergönnen sei.

Der lebhafte Trieb nach Amerika im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts war groß, indem ein jeder, der sich diesseits einigermaßen unbequem befand, sich drüben in Freiheit zu setzen hoffte; dieser Trieb ward genährt durch wünschenswerte Besitzungen, die man erlangen konnte, ehe sich noch die Bevölkerung weiter nach Westen verbreitete. Ganze so genannte Grafschaften standen noch zu Kauf an der Grenze des bewohnten Landes, auch der Vater unseres Herrn hatte sich dort bedeutend angesiedelt.

Wie aber in den Söhnen sich oft ein Widerspruch hervortut gegen väterliche Gesinnungen und Einrichtungen, so zeigte sich’s auch hier. Unser Hausherr, als Jüngling nach Europa gelangt, fand sich hier ganz anders; diese unschätzbare Kultur, seit mehreren tausend Jahren entsprungen, gewachsen, ausgebreitet, gedämpft, gedrückt, nie ganz erdrückt, wieder aufatmend, sich neu belebend, und nach wie vor in unendlichen Tätigkeiten hervortretend, gab ihm ganz andere Begriffe, wohin die Menschheit gelangen kann. Er zog vor, an den großen, unübersehbaren Vorteilen sein Anteil hinzunehmen und lieber in der großen, geregelt tätigen Masse mitwirkend sich zu verlieren, als drüben über dem Meer um Jahrhunderte verspätet den Orpheus und Lykurg zu spielen; er sagte: „Überall bedarf der Mensch Geduld, überall muss er Rücksicht nehmen, und ich will mich doch lieber mit meinem König abfinden, dass er mir diese oder jene Gerechtsame zugestehe, lieber mich mit meinen Nachbarn vergleichen, dass sie mir gewisse Beschränkungen erlassen, wenn ich ihnen von einer andern Seite nachgebe, als dass ich mich mit den Irokesen herumschlage, um sie zu vertreiben, oder sie durch Kontrakte betrüge, um sie zu verdrängen aus ihren Sümpfen, wo man von Moskitos zu Tode gepeinigt wird.“

Er übernahm die Familiengüter, wusste sie freisinnig zu behandeln, sie wirtschaftlich einzurichten, weite, unnütz scheinende Nachbardistrikte klüglich anzuschließen und so sich innerhalb der kultivierten Welt, die in einem gewissen Sinn auch gar oft eine Wildnis genannt werden kann, ein mäßiges Gebiet zu erwerben und zu bilden, das für die beschränkten Zustände immer noch utopisch genug ist.

Religionsfreiheit ist daher in diesem Bezirk natürlich; der öffentliche Kultus wird als ein freies Bekenntnis angesehen, dass man in Leben und Tod zusammengehöre; hiernach aber wird sehr darauf gesehen, dass niemand sich absondere.

Man wird in den einzelnen Ansiedelungen mäßig große Gebäude gewahr; dies ist der Raum, den der Grundbesitzer jeder Gemeinde schuldig ist; hier kommen die Ältesten zusammen, um sich zu beraten, hier versammeln sich die Glieder, um Belehrung und fromme Ermunterung zu vernehmen. Aber auch zu heiterm Ergötzen ist dieser Raum bestimmt; hier werden die hochzeitlichen Tänze aufgeführt und der Feiertag mit Musik geschlossen.

Hierauf kann uns die Natur selbst führen. Bei gewöhnlich heiterer Witterung sehen wir unter derselben Linde die Ältesten im Rat, die Gemeinde zur Erbauung und die Jugend im Tanze sich schwenkend. Auf ernstem Lebensgrund zeigt sich das Heitere so schön, Ernst und Heiligkeit mäßigen die Lust, und nur durch Mäßigung erhalten wir uns.

Ist die Gemeinde anderes Sinnes und wohlhabend genug, so steht es ihr frei, verschiedene Baulichkeiten den verschiedenen Zwecken zu widmen.

Wenn aber dies alles aufs Öffentliche und gemeinsam Sittliche berechnet ist, so bleibt die eigentliche Religion ein Inneres, ja Individuelles; denn sie hat ganz allein mit dem Gewissen zu tun, dieses soll erregt, soll beschwichtigt werden; erregt, wenn es stumpf, untätig, unwirksam dahinbrütet; beschwichtigt, wenn es durch reuige Unruhe das Leben zu verbittern droht. Denn es ist ganz nah mit der Sorge verwandt, die in den Kummer überzugehen droht, wenn wir uns oder andern durch eigene Schuld ein Übel zugezogen haben.

Da wir aber zu Betrachtungen, wie sie hier gefordert werden, nicht immer aufgelegt sind, auch nicht immer aufgeregt sein mögen, so ist hiezu der Sonntag bestimmt, wo alles, was den Menschen drückt, in religiöser, sittlicher, geselliger, ökonomischer Beziehung, zur Sprache kommen muss.

„Wenn Sie eine Zeitlang bei uns blieben“, sagte Juliette, „so würde auch unser Sonntag Ihnen nicht missfallen. Übermorgen früh würden Sie eine große Stille bemerken; jeder bleibt einsam und widmet sich einer vorgeschriebenen Betrachtung. Der Mensch ist ein beschränktes Wesen; unsere Beschränkung zu überdenken, ist der Sonntag gewidmet. Sind es körperliche Leiden, die wir im Lebenstaumel der Woche vielleicht gering achteten, so müssen wir am Anfang der neuen alsobald den Arzt aufsuchen; ist unsere Beschränkung ökonomisch und sonst bürgerlich, so sind unsere Beamten verpflichtet, ihre Sitzungen zu halten; ist es geistig, sittlich, was uns verdüstert, so haben wir uns an einen Freund, an einen Wohldenkenden zu wenden, dessen Rat, dessen Einwirkung zu erbitten; genug, es ist das Gesetz, dass niemand eine Angelegenheit, die ihn beunruhigt oder quält, in die neue Woche hinübernehmen dürfe. Von drückenden Pflichten kann uns nur die gewissenhafteste Ausübung befreien, und was gar nicht aufzulösen ist, überlassen wir zuletzt Gott als dem allbedingenden und allbefreienden Wesen. Auch der Oheim selbst unterlässt nicht solche Prüfung; es sind sogar Fälle, wo er mit uns vertraulich über eine Angelegenheit gesprochen hat, die er im Augenblick nicht überwinden konnte; am meisten aber bespricht er sich mit unserer edlen Tante, die er von Zeit zu Zeit besuchend angeht. Auch pflegt er sonntagabends zu fragen, ob alles rein gebeichtet und abgetan worden. Sie sehen hieraus, dass wir alle Sorgfalt anwenden, um nicht in Ihren Orden, nicht in die Gemeinschaft der Entsagenden aufgenommen zu werden.“

„Es ist ein sauberes Leben!“, rief Hersilie; „wenn ich mich alle acht Tage resigniere, so hab’ ich es freilich bei dreihundertundfünfundsechzigen zugute.“

Vor dem Abschied jedoch erhielt unser Freund von dem jüngern Beamten ein Paket mit beiliegendem Schreiben, aus welchem wir folgende Stelle ausheben:

„Mir will scheinen, dass bei jeder Nation ein anderer Sinn vorwalte, dessen Befriedigung sie allein glücklich macht, und dies bemerkt man ja schon an verschiedenen Menschen. Der eine, der sein Ohr mit vollen, anmutig geregelten Tönen gefüllt, Geist und Seele dadurch angeregt wünscht, dankt er mir’s, wenn ich ihm das trefflichste Gemälde vor Augen stelle? Ein Gemäldefreund will schauen, er wird ablehnen, durch Gedicht oder Roman seine Einbildungskraft erregen zu lassen. Wer ist denn so begabt, dass er vielseitig genießen könne?

Sie aber, vorübergehender Freund, sind mir als ein solcher erschienen, und wenn Sie die Nettigkeit einer vornehm-reichen französischen Verirrung zu schätzen wussten, so hoffe ich, Sie werden die einfache, treue Rechtlichkeit deutscher Zustände nicht verschmähen und mir verzeihen, wenn ich nach meiner Art und Denkweise, nach Herankommen und Stellung, kein anmutigeres Bild finde, als wie sie uns der deutsche Mittelstand in seinen reinen Häuslichkeiten sehen lässt.

Lassen Sie sich’s gefallen und gedenken mein.“

 
 * 

Kapitel 8

Wer ist der Verräter?

„Nein! Nein!“, rief er aus, als er heftig und eilig ins angewiesene Schlafzimmer trat und das Licht niedersetzte; „nein! Es ist nicht möglich! Aber wohin soll ich mich wenden? Das erste Mal denk’ ich anders als er, das erste Mal empfind’ ich, will ich anders. – O mein Vater! Könntest du unsichtbar gegenwärtig sein, mich durch und durch schauen, du würdest dich überzeugen, dass ich noch derselbe bin, immer der treue, gehorsame, liebevolle Sohn. – Nein zu sagen! Des Vaters liebstem, lange gehegtem Wunsch zu widerstreben! Wie soll ich’s offenbaren? Wie soll ich’s ausdrücken? Nein, ich kann Julien nicht heiraten. – Indem ich’s ausspreche, erschrecke ich. Und wie soll ich vor ihn treten, es ihm eröffnen, dem guten, lieben Vater? Er blickt mich staunend an und schweigt, er schüttelt den Kopf; der einsichtige, kluge, gelehrte Mann weiß keine Worte zu finden. Weh mir! – O ich wüsste wohl, wem ich diese Pein, diese Verlegenheit vertraute, wen ich mir zum Fürsprecher ausgriffe: Aus allen dich, Lucinde! Und dir möcht’ ich zuerst sagen, wie ich dich liebe, wie ich mich dir hingebe, und dich flehentlich bitte: ‚Vertritt mich, und kannst du mich lieben, willst du mein sein, so vertritt uns beide!’“

Dieses kurze, herzlich-leidenschaftliche Selbstgespräch aufzuklären, wird es aber viele Worte kosten.

Professor N. zu N. hatte einen einzigen Knaben von wundersamer Schönheit, den er bis in das achte Jahr der Vorsorge seiner Gattin, der würdigsten Frau, überließ; diese leitete die Stunden und Tage des Kindes zum Leben, Lernen und zu allem guten Betragen. Sie starb, und im Augenblick fühlte der Vater, dass er diese Sorgfalt persönlich nicht weiter fortsetzen könne. Bisher war alles Übereinkunft zwischen den Eltern; sie arbeiteten auf einen Zweck, beschlossen zusammen für die nächste Zeit, was zu tun sei, und die Mutter verstand alles weislich auszuführen. Doppelt und dreifach war nun die Sorge des Witwers, welcher wohl wusste und täglich vor Augen sah, dass für Söhne der Professoren auf Akademien selbst nur durch ein Wunder eine glückliche Bildung zu hoffen sei.

In dieser Verlegenheit wendete er sich an seinen Freund, den Oberamtmann zu R., mit dem er schon frühere Pläne näherer Familienverbindungen durchgesprochen hatte. Dieser wusste zu raten und zu helfen, dass der Sohn in eine der guten Lehranstalten aufgenommen wurde, die in Deutschland blühten und worin für den ganzen Menschen, für Leib, Seele und Geist, möglichst gesorgt ward.

Untergebracht war nun der Sohn, der Vater jedoch fand sich gar zu allein, seiner Gattin beraubt, der lieblichen Gegenwart des Knaben entfremdet, den er, ohne selbsteigenes Bemühen so erwünscht heraufgebildet gesehn. Auch hier kam die Freundschaft des Oberamtmanns zustatten; die Entfernung ihrer Wohnorte verschwand vor der Neigung, der Lust, sich zu bewegen, sich zu zerstreuen. Hier fand nun der verwaiste Gelehrte in einem gleichfalls mutterlosen Familienkreis zwei schöne, verschiedenartig liebenswürdige Töchter heranwachsen; wo denn beide Väter sich immer mehr und mehr bestärkten in dem Gedanken, in der Aussicht, ihre Häuser dereinst aufs erfreulichste verbunden zu sehn.

Sie lebten in einem glücklichen Fürstenland; der tüchtige Mann war seiner Stelle lebenslänglich gewiss, und ein gewünschter Nachfolger wahrscheinlich. Nun sollte nach einem verständigen Familien- und Ministerialplan sich Lucidor zu dem wichtigen Posten des künftigen Schwiegervaters bilden. Dies gelang ihm auch von Stufe zu Stufe. Man versäumte nichts, ihm alle Kenntnisse zu überliefern, alle Tätigkeiten an ihm zu entwickeln, deren der Staat jederzeit bedarf: Die Pflege des strengen gerichtlichen Rechts, des lässlichern, wo Klugheit und Gewandtheit dem Ausübenden zur Hand geht; der Kalkül zum Tagesgebrauch, die höheren Übersichten nicht ausgeschlossen, aber alles unmittelbar am Leben, wie es gewiss und unausbleiblich zu gebrauchen wäre.

In diesem Sinn hatte Lucidor seine Schuljahre vollbracht und ward nun durch Vater und Gönner zur Akademie vorbereitet. Er zeigte das schönste Talent zu allem und verdankte der Natur auch noch das seltene Glück, aus Liebe zum Vater, aus Ehrfurcht für den Freund seine Fähigkeiten gerade dahin lenken zu wollen, wohin man deutete, erst aus Gehorsam, dann aus Überzeugung. Auf eine auswärtige Akademie ward er gesendet und ging daselbst, sowohl nach eigener brieflicher Rechenschaft als nach Zeugnis seiner Lehrer und Aufseher, den Gang, der ihn zum Ziele führen sollte. Nur konnte man nicht billigen, dass er in einigen Fällen zu ungeduldig brav gewesen. Der Vater schüttelte hierüber den Kopf, der Oberamtmann nickte. Wer hätte sich nicht einen solchen Sohn gewünscht!

Indessen wuchsen die Töchter heran, Julie und Lucinde. Jene, die jüngere, neckisch, lieblich, unstet, höchst unterhaltend; die andere zu bezeichnen schwer, weil sie in Geradheit und Reinheit dasjenige darstellte, was wir an allen Frauen wünschenswert finden. Man besuchte sich wechselseitig, und im Haus des Professors fand Julie die unerschöpflichste Unterhaltung.

Geographie, die er durch Topographie zu beleben wusste, gehörte zu seinem Fach, und sobald Julie nur einen Band gewahr worden, dergleichen aus der Homannischen Offizin eine ganze Reihe dastanden, so wurden sämtliche Städte gemustert, beurteilt, vorgezogen oder zurückgewiesen; alle Häfen besonders erlangten ihre Gunst; andere Städte, welche nur einigermaßen ihren Beifall erhalten wollten, mussten sich mit vielen Türmen, Kuppeln und Minaretten fleißig hervorheben.

Der Vater ließ sie wochenlang bei dem geprüften Freund; sie nahm wirklich zu an Wissenschaft und Einsicht und kannte so ziemlich die bewohnte Welt nach Hauptbezügen, Punkten und Orten. Auch war sie auf Trachten fremder Nationen sehr aufmerksam, und wenn ihr Pflegvater manchmal scherzhaft fragte, ob ihr denn von den vielen jungen, hübschen Leuten, die da vor dem Fenster hin- und widergingen, nicht einer oder der andere wirklich gefalle, so sagte sie: „Ja freilich, wenn er recht seltsam aussieht!“ – Da nun unsere jungen Studierenden es niemals daran fehlen lassen, so hatte sie oft Gelegenheit, an einem oder dem andern teilzunehmen; sie erinnerte sich an ihm irgendeiner fremden Nationaltracht, versicherte jedoch zuletzt, es müsse wenigstens ein Grieche, völlig nationell ausstaffiert, herbeikommen, wenn sie ihm vorzügliche Aufmerksamkeit widmen sollte; deswegen sie sich auch auf die Leipziger Messe wünschte, wo dergleichen auf der Straße zu sehen wären.

Nach seinen trocknen und manchmal verdrießlichen Arbeiten hatte nun unser Lehrer keine glücklichern Augenblicke, als wenn er sie scherzend unterrichtete und dabei heimlich triumphierte, sich eine so liebenswürdige, immer unterhaltene, immer unterhaltende Schwiegertochter zu erziehen. Die beiden Väter waren übrigens einverstanden, dass die Mädchen nichts von der Absicht vermuten sollten; auch Lucidorn hielt man sie verborgen.

So waren Jahre vergangen, wie sie denn gar leicht vergehen: Lucidor stellte sich dar, vollendet, alle Prüfungen bestehend, selbst zur Freude der obern Vorgesetzten, die nichts mehr wünschten, als die Hoffnung alter, würdiger, begünstigter, gunstwerter Diener mit gutem Gewissen erfüllen zu können.

Und so war denn die Angelegenheit mit ordnungsgemäßem Schritt endlich dahin gediehen, dass Lucidor, nachdem er sich in untergeordneten Stellen musterhaft betragen, nunmehr einen gar vorteilhaften Sitz nach Verdienst und Wunsch erlangen sollte, gerade mittewegs zwischen der Akademie und dem Oberamtmann gelegen.

Der Vater sprach nunmehr mit dem Sohn von Julie, auf die er bisher nur hingedeutet hatte, als von dessen Braut und Gattin, ohne weiteren Zweifel und Bedingung, das Glück preisend, solch ein lebendiges Kleinod sich angeeignet zu haben. Er sah seine Schwiegertochter im Geist schon wieder von Zeit zu Zeit bei sich, mit Karten, Plänen und Städtebildern beschäftigt; der Sohn dagegen erinnerte sich des allerliebsten, heitern Wesens, das ihn zu kindlicher Zeit durch Neckerei wie durch Freundlichkeit immer ergötzt hatte. Nun sollte Lucidor zu dem Oberamtmann hinüber reiten, die herangewachsene Schöne näher betrachten, sich einige Wochen, zu Gewohnheit und Bekanntschaft, mit dem Gesamthaus ergehen. Würden die jungen Leute, wie zu hoffen, bald einig, so sollte man’s melden; der Vater würde sogleich erscheinen, damit ein feierliches Verlöbnis das gehoffte Glück für ewig sicherstelle.

Lucidor kommt an, er wird freundlichst empfangen, ein Zimmer ihm angewiesen, er richtet sich ein und erscheint. Da findet er denn, außer den uns schon bekannten Familiengliedern, noch einen halb erwachsenen Sohn, verzogen, geradezu, aber gescheit und gutmütig, so dass, wenn man ihn für den lustigen Rat nehmen wollte, er gar nicht übel zum Ganzen passte. Dann gehörte zum Haus ein sehr alter, aber gesunder, frohmütiger Mann, still, fein, klug, auslebend nun hie und da auszuhelfen. Gleich nach Lucidor kam noch ein Fremder hinzu, nicht mehr jung, von bedeutendem Ansehn, würdig, lebensgewandt und durch Kenntnis der weitesten Weltgegenden höchst unterhaltend. Sie hießen ihn Antoni.

Julie empfing ihren angekündigten Bräutigam schicklich, aber zuvorkommend; Lucinde dagegen machte die Ehre des Hauses, wie jene ihrer Person. So verging der Tag ausgezeichnet angenehm für alle, nur für Lucidorn nicht; er, ohnehin schweigsam, musste von Zeit zu Zeit, um nicht gar zu verstummen, sich fragend verhalten; wobei denn niemand zum Vorteil erscheint.

Zerstreut war er durchaus; denn er hatte vom ersten Augenblick an nicht Abneigung noch Widerwillen, aber Entfremdung gegen Julie gefühlt; Lucinde dagegen zog ihn an, dass er zitterte, wenn sie ihn mit ihren vollen, reinen, ruhigen Augen ansah.

So bedrängt erreichte er den ersten Abend sein Schlafzimmer und ergoss sich in jenem Monolog, mit dem wir begonnen haben. Um aber auch diesen zu erklären, und wie die Heftigkeit einer solchen Redefülle zu demjenigen passt, was wir schon von ihm wissen, wird eine kurze Mitteilung nötig.

Lucidor war von tiefem Gemüt und hatte meist etwas anders im Sinn, als was die Gegenwart erheischte; deswegen Unterhaltung und Gespräch ihm nie recht glücken wollte; er fühlte das und wurde schweigsam, außer wenn von bestimmten Fächern die Rede war, die er durchstudiert hatte, davon ihm jederzeit zu Diensten stand, was er bedurfte. Dazu kam, dass er, früher auf der Schule, später auf der Universität, sich an Freunden betrogen und seinen Herzenserguss unglücklich vergeudet hatte; jede Mitteilung war ihm daher bedenklich, Bedenken aber hebt jede Mitteilung auf. Zu seinem Vater war er nur gewohnt unisono zu sprechen, und sein volles Herz ergoss sich daher in Monologen, sobald er allein war.

Den andern Morgen hatte er sich zusammengenommen und wäre doch beinahe außer Fassung gerückt, als ihm Julie noch freundlicher, heiterer und freier entgegenkam. Sie wusste viel zu fragen, nach seinen Land- und Wasserfahrten, wie er als Student mit dem Bündelchen auf’m Rücken die Schweiz durchstreift und durchstiegen, ja über die Alpen gekommen. Da wollte sie nun von der schönen Insel auf dem großen südlichen See vieles wissen; rückwärts aber musste der Rhein, von seinem ersten Ursprung an, erst durch höchst unerfreuliche Gegenden begleitet werden und so hinabwärts durch manche Abwechselung; wo es denn freilich zuletzt, zwischen Mainz und Koblenz, noch der Mühe wert ist, den Fluss ehrenvoll aus seiner letzten Beschränkung in die weite Welt, ins Meer zu entlassen.

Lucidor fühlte sich hiebei sehr erleichtert, erzählte gern und gut, so dass Julie entzückt ausrief: So was müsse man selbander sehen; worüber denn Lucidor abermals erschrak, weil er darin eine Anspielung auf ihr gemeinsames Wandern durchs Leben zu spüren glaubte.

Von seiner Erzählerpflicht jedoch wurde er bald abgelöst; denn der Fremde, den sie Antoni hießen, verdunkelte gar geschwind alle Bergquellen, Felsufer, eingezwängte, freigelassene Flüsse: Nun hier ging’s unmittelbar nach Genua; Livorno lag nicht weit; das Interessanteste im Land nahm man auf den Raub so mit; Neapel musste man, ehe man stürbe, gesehen haben, dann aber blieb freilich Konstantinopel noch übrig, das doch auch nicht zu versäumen sei. Die Beschreibung, die Antoni von der weiten Welt machte, riss die Einbildungskraft aller mit sich fort, ob er gleich weniger Feuer darein zu legen hatte. Julie, ganz außer sich, war aber noch keineswegs befriedigt, sie fühlte noch Lust nach Alexandrien, Kairo, besonders aber zu den Pyramiden, von denen sie ziemlich auslangende Kenntnisse durch ihres vermutlichen Schwiegervaters Unterricht gewonnen hatte.

Lucidor, des nächsten Abends (er hatte kaum die Türe angezogen, das Licht noch nicht niedergesetzt), rief aus: „Nun besinne dich denn! Es ist Ernst. Du hast viel Ernstes gelernt und durchdacht; was soll denn Rechtsgelehrsamkeit, wenn du jetzt nicht gleich als Rechtsmann handelst? Siehe dich als einen Bevollmächtigten an, vergiss dich selbst und tue, was du für einen andern zu tun schuldig wärst. Es verschränkt sich aufs fürchterlichste! Der Fremde ist offenbar um Lucindes willen da, sie bezeigt ihm die schönsten, edelsten gesellig-häuslichen Aufmerksamkeiten; die kleine Närrin möchte mit jedem durch die Welt laufen, für nichts und wieder nichts. Überdies noch ist sie ein Schalk, ihr Anteil an Städten und Ländern ist eine Posse, wodurch sie uns zum Schweigen bringt. Warum aber seh’ ich diese Sache so verwirrt und verschränkt an? Ist der Oberamtmann nicht selbst der verständigste, der einsichtigste, liebevollste Vermittler? Du willst ihm sagen, wie du fühlst und denkst, und er wird mitdenken, wenn auch nicht mitfühlen. Er vermag alles über den Vater. Und ist nicht eine wie die andere seine Tochter? Was will denn der Anton Reiser mit Lucinde, die für das Haus geboren ist, um glücklich zu sein und Glück zu schaffen? Hefte sich doch das zapplige Quecksilber an den ewigen Juden, das wird eine allerliebste Partie werden.“

Des Morgens ging Lucidor festen Entschlusses hinab, mit dem Vater zu sprechen und ihn deshalb in bekannten freien Stunden unverzüglich anzugehn. Wie groß war sein Schmerz, seine Verlegenheit, als er vernahm: Der Oberamtmann, in Geschäften verreist, werde erst übermorgen zurückerwartet. Julie schien heute so recht ganz ihren Reisetag zu haben, sie hielt sich an den Weltwanderer und überließ mit einigen Scherzreden, die sich auf Häuslichkeit bezogen, Lucidor an Lucinde. Hatte der Freund vorher das edle Mädchen aus gewisser Ferne gesehen, nach einem allgemeinen Eindruck, und sie sich schon herzlichst angeeignet, so musste er in der nächsten Nähe alles doppelt und dreifach entdecken, was ihn erst im allgemeinen anzog.

Der gute alte Hausfreund, an der Stelle des abwesenden Vaters, tat sich nun hervor; auch er hatte gelebt, geliebt und war, nach manchen Quetschungen des Lebens, noch endlich an der Seite des Jugendfreundes aufgefrischt und wohlbehalten. Er belebte das Gespräch und verbreitete sich besonders über Verirrungen in der Wahl eines Gatten, erzählte merkwürdige Beispiele von zeitiger und verspäteter Erklärung. Lucinde erschien in ihrem völligen Glanze, sie gestand, dass im Leben das Zufällige jeder Art, und so auch in Verbindungen, das Allerbeste bewirken könne; doch sei es schöner, herzerhebender, wenn der Mensch sich sagen dürfte, er sei sein Glück sich selbst, der stillen, ruhigen Überzeugung seines Herzens, einem edlen Vorsatz und raschen Entschluss schuldig geworden. Lucidor standen die Tränen in den Augen, als er Beifall gab, worauf die Frauenzimmer sich bald entfernten. Der alte Vorsitzende mochte sich in Wechselgeschichten gern ergehen, und so verbreitete sich die Unterhaltung in heitere Beispiele, die jedoch unsern Helden so nahe berührten, dass nur ein so rein gebildeter Jüngling nicht heraus zu brechen über sich gewinnen konnte; das geschah aber, als er allein war.

„Ich habe mich gehalten!“, rief er aus. „Mit solcher Verwirrung will ich meinen guten Vater nicht kränken; ich habe an mich gehalten; denn ich sehe in diesem würdigen Hausfreund den Stellvertretenden beider Väter; zu ihm will ich reden, ihm alles entdecken, er wird’s gewiss vermitteln und hat beinahe schon ausgesprochen, was ich wünsche. Sollte er im einzelnen Fall schelten, was er überhaupt billigt? Morgen früh such’ ich ihn auf; ich muss diesem Drang Luft machen.“

Beim Frühstück fand sich der Greis nicht ein; er hatte, hieß es, gestern Abend zu viel gesprochen, zu lange gesessen und einige Tropfen Wein über Gewohnheit getrunken. Man erzählte viel zu seinem Lob, und zwar gerade solche Reden und Handlungen, die Lucidor zur Verzweiflung brachten, dass er sich nicht sogleich an ihn gewendet. Dieses unangenehme Gefühl ward nur noch geschärft, als er vernahm: Bei solchen Anfällen lasse der gute Alte sich manchmal in acht Tagen gar nicht sehen.

Ein ländlicher Aufenthalt hat für geselliges Zusammensein gar große Vorteile, besonders wenn die Bewirtenden sich als denkende, fühlende Personen, mehrere Jahre veranlasst gefunden, der natürlichen Anlage ihrer Umgebung zu Hilfe zu kommen. So war es hier geglückt. Der Oberamtmann, erst unverheiratet, dann in einer langen, glücklichen Ehe, selbst vermögend, an einem einträglichen Posten, hatte nach eignem Blick und Einsicht, nach Liebhaberei seiner Frau, ja zuletzt nach Wünschen und Grillen seiner Kinder, erst größere und kleinere abgesonderte Anlagen besorgt und begünstigt, welche, mit Gefühl allmählich durch Pflanzungen und Wege verbunden, eine allerliebste, verschiedentlich abweichende, charakteristische Szenenfolge dem Durchwandelnden darstellten. Eine solche Wallfahrt ließen denn auch unsere jungen Familienglieder ihren Gast antreten, wie man seine Anlagen dem Fremden gerne vorzeigt, damit er das, was uns gewöhnlich geworden, auffallend erblicke und den günstigen Eindruck davon für immer behalte.

Die nächste so wie die fernere Gegend war zu bescheidenen Anlagen und eigentlich ländlichen Einzelheiten höchst geeignet. Fruchtbare Hügel wechselten mit wohl bewässerten Wiesengründen, so dass das Ganze von Zeit zu Zeit zu sehen war, ohne flach zu sein; und wenn Grund und Boden vorzüglich dem Nutzen gewidmet erschien, so war doch das Anmutige, das Reizende nicht ausgeschlossen.

An die Haupt- und Wirtschaftsgebäude fügten sich Lust-, Obst- und Grasgärten, aus denen man sich unversehens in ein Hölzchen verlor, das ein breiter, fahrbarer Weg auf und ab, hin und wider durchschlängelte. Hier in der Mitte war, auf der bedeutendsten Höhe, ein Saal erbaut, mit anstoßenden Gemächern. Wer zur Haupttüre herein trat, sah im großen Spiegel die günstigste Aussicht, welche die Gegend nur gewähren mochte, und kehrte sich geschwind wieder um, an der Wirklichkeit von dem unerwarteten Bild Erholung zu nehmen; denn das Herankommen war künstlich genug eingerichtet und alles klüglich verdeckt, was Überraschung bewirken sollte. Niemand trat herein, ohne dass er von dem Spiegel zur Natur und von der Natur zum Spiegel sich nicht gern hin und wider gewendet hätte.

Am schönsten, heitersten, längsten Tag einmal auf dem Weg, hielt man einen sinnigen Flurzug um und durch das Ganze. Hier wurde das Abendplätzchen der guten Mutter bezeichnet, wo eine herrliche Buche rings umher sich freien Raum gehalten hatte. Bald nachher wurde Lucindes Morgenandacht von Julie halb neckisch angedeutet, in der Nähe eines Wässerchens zwischen Pappeln und Erlen, an hinab streichenden Wiesen, hinauf ziehenden Äckern. Es war nicht zu beschreiben, wie hübsch! Schon überall glaubte man es gesehen zu haben, aber nirgends in seiner Einfalt so bedeutend und so willkommen. Dagegen zeigte der Junker, auch halb wider Willen Julies, die kleinlichen Lauben und kindischen Gärtchenanstalten, die, nächst einer vertraulich gelegenen Mühle, kaum noch zu bemerken; sie schrieben sich aus einer Zeit her, wo Julie, etwa in ihrem zehnten Jahr, sich in den Kopf gesetzt hatte, Müllerin zu werden und, nach dem Abgang der beiden alten Leute selbst einzutreten und sich einen braven Mühlknappen auszusuchen.

„Das war zu einer Zeit“, rief Julie, „wo ich noch nichts von Städten wusste, die an Flüssen liegen, oder gar am Meer, von Genua nichts usw. Ihr guter Vater, Lucidor, hat mich bekehrt, seit der Zeit komm’ ich nicht leicht hierher.“ Sie setzte sich neckisch auf ein Bänkchen, das sie kaum noch trug, unter einen Holunderstrauch, der sich zu tief gebeugt hatte. „Pfui übers Hocken!“, rief sie, sprang auf und lief mit dem lustigen Bruder voran.

Das zurückgebliebene Paar unterhielt sich verständig, und in solchen Fällen nähert sich der Verstand auch wohl dem Gefühl. Abwechselnd einfache, natürliche Gegenstände zu durchwandern, mit Ruhe zu betrachten, wie der verständige, kluge Mensch ihnen etwas abzugewinnen weiß, wie die Einsicht ins Vorhandene, zum Gefühl seiner Bedürfnisse sich gesellend, Wunder tut, um die Welt erst bewohnbar zu machen, dann zu bevölkern und endlich zu übervölkern, das alles konnte hier im einzelnen zur Sprache kommen. Lucinde gab von allem Rechenschaft und konnte, so bescheiden sie war, nicht verbergen, dass die bequemlich angenehmen Verbindungen entfernter Partien ihr Werk seien, unter Angabe, Leitung oder Vergünstigung einer verehrten Mutter.

Da sich aber denn doch der längste Tag endlich zum Abend bequemt, so musste man auf Rückkehr denken, und als man auf einen angenehmen Umweg sann, verlangte der lustige Bruder, man solle den kürzern, obgleich nicht erfreulichen, wohl gar beschwerlichen Weg einschlagen. „Denn“, rief er aus, „ihr habt mit euren Anlagen und Anschlägen geprahlt, wie ihr die Gegend für malerische Augen und für zärtliche Herzen verschönert und verbessert; lasst mich aber auch zu Ehren kommen.“

Nun musste man über geackerte Stellen und holprichte Pfade, ja wohl auch auf zufällig hingeworfenen Steinen über Moorflecke wandern und sah, schon in einer gewissen Ferne, allerlei Maschinenwerk verworren aufgetürmt. Näher betrachtet, war ein großer Lust- und Spielplatz, nicht ohne Verstand, mit einem gewissen Volkssinn eingerichtet. Und so standen hier, in gehörigen Entfernungen zusammengeordnet, das große Schaukelrad, wo die Auf- und Absteigenden immer gleich horizontal ruhig sitzen bleiben, andere Schaukeleien, Schwungseile, Lusthebel, Kegel- und Zellenbahnen, und was nur alles erdacht werden kann, um auf einem großen Triftraum eine Menge Menschen verschiedentlichst und gleichmäßig zu beschäftigen und zu erlustigen. „Dies“, rief er aus, „ist meine Erfindung, meine Anlage! Und obgleich der Vater das Geld und ein gescheiter Kerl den Kopf dazu hergab, so hätte doch ohne mich, den ihr oft unvernünftig nennt, Verstand und Geld sich nicht zusammengefunden.“

So heiter gestimmt kamen alle vier mit Sonnenuntergang wieder nach Hause. Antoni fand sich ein; die Kleine jedoch, die an diesem bewegten Tag noch nicht genug hatte, ließ einspannen und fuhr über Land zu einer Freundin, in Verzweiflung, sie seit zwei Tagen nicht gesehen zu haben. Die vier Zurückgebliebenen fühlten sich verlegen, ehe man sich’s versah, und es ward sogar ausgesprochen, dass des Vaters Ausbleiben die Angehörigen beunruhige. Die Unterhaltung fing an zu stocken, als auf einmal der lustige Junker aufsprang und gar bald mit einem Buch zurückkam, sich zum Vorlesen erbietend. Lucinde enthielt sich nicht, zu fragen, wie er auf den Einfall komme, den er seit einem Jahr nicht gehabt; worauf er munter versetzte: „Mir fällt alles zur rechten Zeit ein, dessen könnt ihr euch nicht rühmen.“ Er las eine Folge echter Märchen, die den Menschen aus sich selbst hinausführen, seinen Wünschen schmeicheln und ihn jede Bedingung vergessen machen, zwischen welche wir, selbst in den glücklichsten Momenten, doch immer noch eingeklemmt sind.

„Was beginne ich nun?“, rief Lucidor, als er sich endlich allein fand. „Die Stunde drängt; zu Antoni hab’ ich kein Vertrauen; er ist weltfremd, ich weiß nicht, wer er ist, wie er ins Haus kommt, noch was er will; um Lucinde scheint er sich zu bemühen, und was könnte ich daher von ihm hoffen? Mir bleibt nichts übrig, als Lucinde selbst anzugehn; sie muss es wissen, sie zuerst. Dies war ja mein erstes Gefühl; warum lassen wir uns auf Klugheitswege verleiten! Das Erste soll nun das Letzte sein, und ich hoffe, zum Ziel zu gelangen.“

Sonnabend morgen ging Lucidor, zeitig angekleidet, in seinem Zimmer auf und ab, was er Lucinde zu sagen hätte, hin und her bedenkend, als er eine Art von scherzhaftem Streit vor seiner Türe vernahm, die auch alsobald aufging. Da schob der lustige Junker einen Knaben vor sich hin, mit Kaffee und Backwerk für den Gast; er selbst trug kalte Küche und Wein. „Du sollst vorangehen“, rief der Junker, „denn der Gast muss zuerst bedient werden; ich bin gewohnt, mich selbst zu bedienen. Mein Freund! Heute komme ich etwas früh und tumultuarisch; genießen wir unser Frühstück in Ruhe, und dann wollen wir sehen, was wir anfangen; denn von der Gesellschaft haben wir wenig zu hoffen. Die Kleine ist von ihrer Freundin noch nicht zurück; diese müssen gegeneinander wenigstens alle vierzehn Tage ihr Herz ausschütten, wenn es nicht springen soll. Sonnabend ist Lucinde ganz unbrauchbar, sie liefert dem Vater pünktlich ihre Haushaltsrechnung; da hab’ ich mich auch einmischen sollen, aber Gott bewahre mich! Wenn ich weiß, was eine Sache kostet, so schmeckt mir kein Bissen. Gäste werden auf morgen erwartet, der Alte hat sich noch nicht wieder ins Gleichgewicht gestellt, Antoni ist auf die Jagd, wir wollen das gleiche tun.“

Flinten, Taschen und Hunde waren bereit, als sie in den Hof kamen, und nun ging es an den Feldern weg, wo denn doch allenfalls ein junger Hase und ein armer, gleichgültiger Vogel geschossen wurde. Indessen besprach man sich von häuslichen und gegenwärtig geselligen Verhältnissen. Antoni ward genannt, und Lucidor verfehlte nicht, sich nach ihm näher zu erkundigen. Der lustige Junker, mit einiger Selbstgefälligkeit, versicherte: Jenen wunderlichen Mann, so geheimnisvoll er auch tue, habe er schon durch und durch geblickt. „Er ist“, fuhr er fort, „gewiss der Sohn aus einem reichen Handelshause, das gerade in dem Augenblick fallierte, als er, in der Fülle seiner Jugend, teil an großen Geschäften mit Kraft und Munterkeit zu nehmen, daneben aber die sich reichlich darbietenden Genüsse zu teilen gedachte. Von der Höhe seiner Hoffnungen heruntergestürzt, raffte er sich zusammen und leistete, andern dienend, dasjenige, was er für sich und die Seinigen nicht mehr bewirken konnte. So durchreiste er die Welt, lernte sie und ihren wechselseitigen Verkehr aufs genaueste kennen und vergaß dabei seines Vorteils nicht. Unermüdete Tätigkeit und erprobte Redlichkeit brachten und erhielten ihm von vielen ein unbedingtes Vertrauen. So erwarb er sich allerorten Bekannte und Freunde; ja es lässt sich gar wohl merken, dass sein Vermögen so weit in der Welt umher verteilt ist, als seine Bekanntschaft reicht, weshalb denn auch seine Gegenwart in allen vier Teilen der Welt von Zeit zu Zeit nötig ist.“

Umständlicher und naiver hatte dies der lustige Junker erzählt und so manche possenhafte Bemerkung eingeschlossen, eben als wenn er sein Märchen recht weitläufig auszuspinnen gedächte.

„Wie lange steht er nicht schon mit meinem Vater in Verbindung! Die meinen, ich sehe nichts, weil ich mich um nichts bekümmere; aber eben deswegen seh’ ich’s nur desto besser, weil mich’s nichts angeht. Vieles Geld hat er bei meinem Vater niedergelegt, der es wieder sicher und vorteilhaft unterbrachte. Erst gestern steckte er dem Alten ein Juwelenkästchen zu; einfacher, schöner und kostbarer hab’ ich nichts gesehen, obgleich nur mit einem Blick, denn es wird verheimlicht. Wahrscheinlich soll es der Braut zu Vergnügen, Lust und künftiger Sicherheit verehrt werden. Antoni hat sein Zutrauen auf Lucinde gesetzt! Wenn ich sie aber so zusammen sehe, kann ich sie nicht für ein wohl assortiertes Paar halten. Die Ruschliche wäre besser für ihn; ich glaube auch, sie nimmt ihn lieber als die Älteste; sie blickt auch wirklich manchmal nach dem alten Knasterbart so munter und teilnehmend hinüber, als wenn sie sich mit ihm in den Wagen setzen und auf und davon fliegen wolle.“ Lucidor fasste sich zusammen; er wusste nicht, was zu erwidern wäre; alles, was er vernahm, hatte seinen innerlichen Beifall. Der Junker fuhr fort: „Überhaupt hat das Mädchen eine verkehrte Neigung zu alten Leuten; ich glaube, sie hätte Ihren Vater so frischweg geheiratet wie den Sohn.“

Lucidor folgte seinem Gefährten, wo ihn dieser auch über Stock und Stein hinführte; beide vergaßen die Jagd, die ohnehin nicht ergiebig sein konnte. Sie kehrten auf einem Pachthof ein, wo, gut aufgenommen, der eine Freund sich mit Essen, Trinken und Schwätzen unterhielt, der andere aber in Gedanken und Überlegungen sich versenkte, wie er die gemachte Entdeckung für sich und seinen Vorteil benutzen möchte.

Lucidor hatte nach allen diesen Erzählungen und Eröffnungen so viel Vertrauen zu Antoni gewonnen, dass er gleich beim Eintritt in den Hof nach ihm fragte und in den Garten eilte, wo er zu finden sein sollte. Er durchstrich die sämtlichen Gänge des Parks bei heiterer Abendsonne; umsonst! Nirgends keine Seele war zu sehen; endlich trat er in die Türe des großen Saals, und, wundersam genug, die untergehende Sonne, aus dem Spiegel zurück scheinend, blendete ihn dergestalt, dass er die beiden Personen, die auf dem Kanapee saßen, nicht erkennen, wohl aber unterscheiden konnte, dass einem Frauenzimmer von einer neben ihr sitzenden Mannsperson die Hand sehr feurig geküsst wurde. Wie groß war daher sein Entsetzen, als er bei hergestellter Augenruhe Lucinde und Antoni vor sich sah. Er hätte versinken mögen, stand aber wie angewurzelt, als ihn Lucinde freundlichst und unbefangen willkommen hieß, zurückte und ihn bat, zu ihrer rechten Seite zu sitzen. Unbewusst ließ er sich nieder, und wie sie ihn anredete, nach dem heutigen Tag sich erkundigte, Vergebung bat häuslicher Abhaltungen, da konnte er ihre Stimme kaum ertragen. Antoni stand auf und empfahl sich Lucinde, als sie, sich gleichfalls erhebend, den Zurückgebliebenen zum Spaziergang einlud. Neben ihr hergehend, war er schweigsam und verlegen; auch sie schien beunruhigt; und wenn er nur einigermaßen bei sich gewesen wäre, so hätte ihm ein tiefes Atemholen verraten müssen, dass sie herzliche Seufzer zu verbergen habe. Sie beurlaubte sich zuletzt, als sie sich dem Haus näherten; er aber wandte sich, erst langsam, dann heftig, gegen das Freie. Der Park war ihm zu eng, er eilte durchs Feld, nur die Stimme seines Herzens vernehmend, ohne Sinn für die Schönheiten des vollkommensten Abends. Als er sich allein sah und seine Gefühle sich im beruhigenden Tränenerguss Luft machten, rief er aus:

„Schon einige Mal im Leben, aber nie so grausam hab’ ich den Schmerz empfunden, der mich nun ganz elend macht: Wenn das gewünschteste Glück endlich Hand in Hand, Arm in Arm zu uns tritt und zugleich sein Scheiden für ewig ankündet. Ich saß bei ihr, ging neben ihr, das bewegte Kleid berührte mich, und ich hatte sie schon verloren! Zähle dir das nicht vor, drösele dir’s nicht auf, schweig und entschließe dich!“

Er hatte sich selbst den Mund verboten; er schwieg und sann, durch Felder, Wiesen und Busch, nicht immer auf den wegsamsten Pfaden, hinschreitend. Nur als er spät in sein Zimmer trat, hielt er sich nicht und rief: „Morgen früh bin ich fort, solch einen Tag will ich nicht wieder erleben!“

Und so warf er sich angekleidet aufs Lager. – Glückliche, gesunde Jugend! Er schlief schon; die abmüdende Bewegung des Tages hatte ihm die süßeste Nachtruhe verdient. Aus tröstlichen Morgenträumen jedoch weckte ihn die allerfrühste Sonne; es war eben der längste Tag, der ihm überlang zu werden drohte. Wenn er die Anmut des beruhigenden Abendgestirns gar nicht empfunden, so fühlte er die aufregende Schönheit des Morgens nur, um zu verzweifeln. Er sah die Welt so herrlich als je, seinen Augen war sie es noch; sein Inneres aber widersprach: Das gehörte ihm alles nicht mehr an, er hatte Lucinde verloren.

 
 * 

Kapitel 9

Der Mantelsack war schnell gepackt, den er wollte liegen lassen; keinen Brief schrieb er dazu, nur mit wenig Worten sollte sein Ausbleiben vom Tisch, vielleicht auch vom Abend, durch den Reitknecht entschuldigt werden, den er ohnehin aufwecken musste. Diesen aber fand er unten, schon vor dem Stall, mit großen Schritten auf und ab gehend. „Sie wollen doch nicht reiten?“, rief der sonst gutmütige Mensch mit einigem Verdruss. „Ihnen darf ich es wohl sagen, aber der junge Herr wird alle Tage unerträglicher. Hatte er sich doch gestern in der Gegend herumgetrieben, dass man glauben sollte, er danke Gott, einen Sonntagmorgen zu ruhen. Kommt er nicht heute früh vor Tag, rumort im Stall, und wie ich aufspringe, sattelt und zäumt er Ihr Pferd, ist durch keine Vorstellung abzuhalten; er schwingt sich darauf und ruft: ‚Bedenke nur das gute Werk, das ich tue! Dies Geschöpf geht immer nur gelassen einen juristischen Trab; ich will sehen, dass ich ihn zu einem raschen Lebensgalopp anrege.’ Er sagte ungefähr so und verführte andere wunderliche Reden.“

Lucidor war doppelt und dreifach betroffen, er liebte das Pferd, als seinem eigenen Charakter, seiner Lebensweise zusagend; ihn verdross, das gute, verständige Geschöpf in den Händen eines Wildfangs zu wissen. Sein Plan war zerstört, seine Absicht, zu einem Universitätsfreund, mit dem er in froher, herzlicher Verbindung gelebt, in dieser Krise zu flüchten. Das alte Zutrauen war erwacht, die dazwischen liegenden Meilen wurden nicht gerechnet, er glaubte schon bei dem wohlwollenden, verständigen Freunde Rat und Linderung zu finden. Diese Aussicht war nun abgeschnitten; doch sie war’s nicht, wenn er es wagte, auf frischen Wanderfüßen, die ihm zu Gebot standen, sein Ziel zu erreichen.

Vor allen Dingen suchte er nun aus dem Park ins freie Feld, auf den Weg, der ihn zum Freund führen sollte, zu gelangen. Er war seiner Richtung nicht ganz gewiss, als ihm linker Hand, über dem Gebüsch hervorragend, auf wunderlichem Zimmerwerk die Einsiedelei, aus der man ihm früher ein Geheimnis gemacht hatte, in die Augen fiel und er, jedoch zu seiner größten Verwunderung, auf der Galerie unter dem chinesischen Dach den guten Alten, der einige Tage für krank gehalten worden, munter um sich blickend erschaute. Dem freundlichsten Gruß, der dringenden Einladung, heraufzukommen widerstand Lucidor mit Ausflüchten und eiligen Gebärden. Nur Teilnahme für den guten Alten, der, die steile Treppe schwankenden Tritts heruntereilend, herabzustürzen drohte, konnte ihn vermögen, entgegenzugehen und sodann sich hinaufziehen zu lassen. Mit Verwunderung betrat er das anmutige Sälchen; es hatte nur drei Fenster gegen das Land, eine allerliebste Aussicht; die übrigen Wände waren verziert, oder vielmehr verdeckt von hundert und aber hundert Bildnissen, in Kupfer gestochen, allenfalls auch gezeichnet, auf die Wand nebeneinander in gewisser Ordnung aufgeklebt, durch farbige Säume und Zwischenräume gesondert.

„Ich begünstige Sie, mein Freund, wie nicht jeden; dies ist das Heiligtum, in dem ich meine letzten Tage vergnüglich zubringe. Hier erhol’ ich mich von allen Fehlern, die mich die Gesellschaft begehen lässt, hier bring’ ich meine Diätfehler wieder ins Gleichgewicht.“

Lucidor besah sich das Ganze, und in der Geschichte wohl erfahren, sah er alsbald klar, dass eine historische Neigung zugrunde liege.

„Hier oben in der Friese“, sagte der Alte, „finden Sie die Namen vortrefflicher Männer aus der Urzeit, dann aus der näheren auch nur die Namen; denn wie sie ausgesehen, möchte schwerlich auszumitteln sein. Hier aber im Hauptfeld geht eigentlich mein Leben an, hier sind die Männer, die ich noch nennen gehört als Knabe. Denn etwa fünfzig Jahre bleibt der Name vorzüglicher Menschen in der Erinnerung des Volks, weiterhin verschwindet er oder wird märchenhaft. – Obgleich von deutschen Eltern, bin ich in Holland geboren, und für mich ist Wilhelm von Oranien, als Statthalter und König von England, der Urvater aller außerordentlichen Männer und Helden.

Nun sehen Sie aber Ludwig den Vierzehnten gleich neben ihm, als welcher“ – wie gern hätte Lucidor den guten Alten unterbrochen, wenn es sich geschickt hätte, wie es sich uns, den Erzählenden, wohl ziemen mag; denn ihn bedrohte die neue und neueste Geschichte, wie sich an den Bildern Friedrichs des Großen und seiner Generale, nach denen er hinschielte, gar wohl bemerken ließ.

Ehrte nun auch der gute Jüngling die lebendige Teilnahme des Alten an seiner nächsten Vor- und Mitzeit, konnten ihm einzelne individuelle Züge und Ansichten als interessant nicht entgehen, so hatte er doch auf Akademien schon die neuere und neueste Geschichte gehört, und was man einmal gehört hat, glaubt man für immer zu wissen. Sein Sinn stand in die Ferne, er hörte nicht, er sah kaum und war eben im Begriff, auf die ungeschickteste Weise zur Türe hinaus und die lange, fatale Treppe hinunter zu poltern, als ein Händeklatschen von unten heftig zu vernehmen war.

Indessen sich Lucidor zurückhielt, fuhr der Kopf des Alten zum Fenster hinaus, und von unten ertönte eine wohlbekannte Stimme: „Kommen Sie herunter, ums Himmels willen, aus Ihrem historischen Bildersaal, alter Herr! Schließen Sie Ihre Fasten und helfen mir unsern jungen Freund begütigen – wenn er’s erfährt. Lucidors Pferd hab’ ich etwas unvernünftig angegriffen, es hat ein Eisen verloren, und ich musste es stehen lassen. Was wird er sagen? Es ist doch gar zu absurd, wenn man absurd ist.“

„Kommen Sie herauf!“, sagte der Alte und wendete sich herein zu Lucidor: „Nun, was sagen Sie?“ Lucidor schwieg, und der wilde Junker trat herein. Das Hin- und Widerreden gab eine lange Szene; genug, man beschloss, den Reitknecht sogleich hinzuschicken, um für das Pferd Sorge zu tragen.

Den Greis zurücklassend, eilten beide jungen Leute nach dem Hause, wohin sich Lucidor nicht ganz unwillig ziehen ließ; es mochte daraus werden, was wollte, wenigstens war in diesen Mauern der einzige Wunsch seines Herzens eingeschlossen. In solchem verzweifelten Fall vermissen wir ohnehin den Beistand unseres freien Willens und fühlen uns erleichtert für einen Augenblick, wenn von irgendwoher Bestimmung und Nötigung eingreift. Jedoch fand er sich, da er sein Zimmer betrat, in dem wunderlichsten Zustande, eben als wenn jemand in ein Gasthofsgemach, das er soeben verließ, unerwünscht wieder einzukehren genötigt ist, weil ihm eine Achse gebrochen.

Der lustige Junker machte sich nun über den Mantelsack, um alles recht ordentlich auszupacken, vorzüglich legte er zusammen, was von festlichen Kleidungsstücken, obgleich reisemäßig, vorhanden war; er nötigte Lucidor, Schuh’ und Strümpfe anzuziehen, richtete dessen vollkrause, braune Locken zurecht und putzte ihn aufs beste heraus. Sodann rief er hinweg tretend, unsern Freund und sein Machwerk vom Kopf bis zum Fuße beschauend: „Nun seht Ihr doch, Freundchen, einem Menschen gleich, der einigen Anspruch auf hübsche Kinder macht, und ernsthaft genug dabei, um sich nach einer Braut umzusehn. Nur einen Augenblick! Und Ihr sollt erfahren, wie ich mich hervorzutun weiß, wenn die Stunde schlägt. Das hab’ ich Offizieren abgelernt, nach denen die Mädchen immer schielen, und da hab’ ich mich zu einer gewissen Soldateska selbst enrolliert, und nun sehen sie mich auch an und wieder an, weil keine weiß, was sie aus mir machen soll. Da entsteht nun aus dem Hin- und Hersehen, aus Verwunderung und Aufmerksamkeit oft etwas gar Artiges, das, wär’ es auch nicht dauerhaft, doch wert ist, dass man ihm den Augenblick gönne.

Aber nun kommen Sie, Freund, und erweisen mir den gleichen Dienst! Wenn Sie mich Stück für Stück in meine Hülle schlüpfen sehen, so werden Sie Witz und Erfindungsgabe dem leichtfertigen Knaben nicht absprechen.“

Nun zog er den Freund mit sich fort durch lange, weitläufige Gänge des alten Schlosses. „Ich habe mich“, rief er aus, „ganz hinten hin gebettet. Ohne mich verbergen zu wollen, bin ich gern allein; denn man kann’s den andern doch nicht recht machen.“

Sie kamen an der Kanzlei vorbei, eben als ein Diener heraustrat und ein Urvater-Schreibzeug, schwarz, groß und vollständig, heraustrug; Papier war auch nicht vergessen.

„Ich weiß schon, was da wieder gekleckst werden soll“, rief der Junker; „geh hin und lass mir den Schlüssel. Tun Sie einen Blick hinein, Lucidor! Es unterhält Sie wohl, bis ich angezogen bin. Einem Rechtsfreund ist ein solches Lokale nicht verhasst wie einem Stallverwandten“; und so schob er Lucidor in den Gerichtssaal.

Der Jüngling fühlte sich sogleich in einem bekannten, ansprechenden Elemente: Die Erinnerung der Tage, wo er, aufs Geschäft erpicht, an solchem Tisch saß, hörend und schreibend sich übte. Auch blieb ihm nicht verborgen, dass hier eine alte, stattliche Hauskapelle zum Dienst der Themis, bei veränderten Religionsbegriffen verwandelt sei. In den Reposituren fand er Rubriken und Akten, ihm früher bekannt; er hatte selbst in diesen Angelegenheiten, von der Hauptstadt her gearbeitet. Einen Faszikel aufschlagend, fiel ihm ein Reskript in die Hände, das er selbst mundiert, ein anderes, wovon er der Konzipient gewesen. Handschrift und Papier, Kanzleisiegel und des Vorsitzenden Unterschrift, alles rief ihm jene Zeit eines rechtlichen Strebens jugendlicher Hoffnung hervor. Und wenn er sich dann umsah und den Sessel des Oberamtmanns erblickte, ihm zugedacht und bestimmt, einen so schönen Platz, einen so würdigen Wirkungskreis, den er zu verschmähen, zu entbehren Gefahr lief: Das alles bedrängte ihn doppelt und dreifach, indem die Gestalt Lucindes zu gleicher Zeit sich von ihm zu entfernen schien.

Er wollte das Freie suchen, fand sich aber gefangen. Der wunderliche Freund hatte, leichtsinnig oder schalkhaft, die Türe verschlossen hinter sich gelassen; doch blieb unser Freund nicht lange in dieser peinlichsten Beklemmung, denn der andere kam wieder, entschuldigte sich und erregte wirklich guten Humor durch seine seltsame Gegenwart. Eine gewisse Verwegenheit der Farben und des Schnitts seiner Kleidung war durch natürlichen Geschmack gedämpft; wie wir ja selbst tatouierten Indiern einen gewissen Beifall nicht versagen. „Heute“, rief er aus, „soll uns die Langeweile vergangener Tage vergütet werden; gute Freunde, muntere Freunde sind angekommen, hübsche Mädchen, neckische, verliebte Wesen, und dann auch mein Vater und, Wunder über Wunder! Ihr Vater auch; das wird ein Fest werden, alles ist im Saale schon versammelt beim Frühstück.“

Lucidor war’s auf einmal zumute, als wenn er in tiefe Nebel hineinsähe, alle die angemeldeten bekannten und unbekannten Gestalten erschienen ihm gespenstig; doch sein Charakter, in Begleitung eines reinen Herzens, hielt ihn aufrecht, in wenigen Sekunden fühlte er sich schon allem gewachsen. Nun folgte er dem eilenden Freund mit sicherem Tritt, fest entschlossen, abzuwarten, es geschehe was da wolle, sich zu erklären, es entstehe, was da wolle.

Und doch war er auf der Schwelle des Saals betroffen. In einem großen Halbkreis rings an den Fenstern umher entdeckte er sogleich seinen Vater neben dem Oberamtmann, beide stattlich angezogen. Die Schwestern, Antoni und sonst noch Bekannte und Unbekannte übersah er mit einem Blick, der ihm trübe werden wollte. Schwankend näherte er sich seinem Vater, der ihn höchst freundlich willkommen hieß, jedoch mit einer gewissen Förmlichkeit, die ein vertrauendes Annähern kaum begünstigte. Vor so vielen Personen stehend, suchte er sich für den Augenblick einen schicklichen Platz; er hätte sich neben Lucinde stellen können, aber Julie, dem gespannten Anstand zuwider, machte eine Wendung, dass er zu ihr treten musste; Antoni blieb neben Lucinde.

In diesem bedeutenden Momente fühlte sich Lucidor abermals als Beauftragten, und gestählt von seiner ganzen Rechtswissenschaft, rief er sich jene schöne Maxime zu seinen eignen Gunsten heran: „Wir sollen anvertraute Geschäfte der Fremden wie unsere eigenen behandeln, warum nicht die unsrigen in ebendem Sinne?“ – In Geschäftsvorträgen wohl geübt, durchlief er schnell, was er zu sagen habe. Indessen schien die Gesellschaft, in einen förmlichen Halbzirkel gebildet, ihn zu überflügeln. Den Inhalt seines Vortrags kannte er wohl, den Anfang konnte er nicht finden. Da bemerkte er, in einer Ecke aufgetischt, das große Tintenfass, Kanzleiverwandte dabei; der Oberamtmann machte eine Bewegung, seine Rede vorzubereiten; Lucidor wollte ihm zuvorkommen, und in demselben Augenblicke drückte Julie ihm die Hand. Dies brachte ihn aus aller Fassung, er überzeugte sich, dass alles entschieden, alles für ihn verloren sei.

Nun war an gegenwärtigen sämtlichen Lebensverhältnissen, diesen Familienverbindungen, Gesellschafts- und Anstandsbezügen nichts mehr zu schonen; er sah vor sich hin, entzog seine Hand Julie und war so schnell zur Türe hinaus, dass die Versammlung ihn unversehens vermisste und er sich selbst draußen nicht wieder finden konnte.

Scheu vor dem Tageslicht, das im höchsten Glanz über ihn herab schien, die Blicke begegnender Menschen vermeidend, aufsuchende fürchtend, schritt er vorwärts und gelangte zu dem großen Gartensaal. Dort wollten ihm die Knie versagen, er stürzte hinein und warf sich trostlos auf den Sofa unter dem Spiegel: Mitten in der sittlich-bürgerlichen Gesellschaft in solcher Verworrenheit befangen, die sich wogenhaft um ihn, in ihm hin- und herschlug. Sein vergangenes Dasein kämpfte mit dem gegenwärtigen, es war ein gräulicher Augenblick.

Und so lag er eine Zeit, mit dem Gesicht in das Kissen versenkt, auf welchem gestern Lucindes Arm geruht hatte. Ganz in seinen Schmerz versunken, fuhr er, sich berührt fühlend, schnell in die Höhe, ohne die Annäherung irgendeiner Person gespürt zu haben; da erblickt’ er Lucinde, die ihm nahe stand.

Vermutend, man habe sie gesendet, ihn abzuholen, ihr aufgetragen, ihn mit schicklichen, schwesterlichen Worten in die Gesellschaft, seinem widerlichen Schicksal entgegenzuführen, rief er aus: „Sie hätte man nicht senden müssen, Lucinde, denn Sie sind es, die mich von dort vertrieb; ich kehre nicht zurück! Geben Sie mir, wenn Sie irgendeines Mitleids fähig sind, schaffen Sie mir Gelegenheit und Mittel zur Flucht. Denn, damit Sie von mir zeugen können, wie unmöglich es sei, mich zurückzubringen, so nehmen Sie den Schlüssel zu meinem Betragen, das Ihnen und allen wahnsinnig vorkommen muss. Hören Sie den Schwur, den ich mir im Innern getan und den ich unauflöslich laut wiederhole: Nur mit Ihnen wollt’ ich leben, meine Jugend nutzen, genießen, und so das Alter im treuen, redlichen Ablauf. Dies aber sei so fest und sicher als irgendetwas, was vor dem Altar je geschworen worden, was ich jetzt schwöre, indem ich Sie verlasse, der bedauernswürdigste aller Menschen.“

Er machte eine Bewegung, zu entschlüpfen, ihr, die so gedrängt vor ihm stand; aber sie fasste ihn sanft in ihren Arm. – „Was machen Sie!“, rief er aus. – „Lucidor!“, rief sie, „nicht zu bedauern, wie Sie wohl wähnen – Sie sind mein, ich die Ihre; ich halte Sie in meinen Armen, zaudern Sie nicht, die Ihrigen um mich zu schlagen. Ihr Vater ist alles zufrieden; Antoni heiratet meine Schwester.“ Erstaunt zog er sich von ihr zurück. „Das wäre wahr?“ Lucinde lächelte und nickte, er entzog sich ihren Armen. „Lassen Sie mich noch einmal in der Ferne sehen, was so nah, so nächst mir angehören soll.“ Er fasste ihre Hände, Blick in Blick! „Lucinde, sind Sie mein?“ – Sie versetzte: „Nun ja doch“, die süßesten Tränen in dem treusten Auge; er umschlang sie und warf sein Haupt hinter das ihre, hing wie am Uferfelsen ein Schiffbrüchiger; der Boden bebte noch unter ihm. Nun aber sein entzückter Blick, sich wieder öffnend, fiel in den Spiegel. Da sah er sie in seinen Armen, sich von den ihren umschlungen; er blickte nieder, und wieder hin. Solche Gefühle begleiten den Menschen durchs ganze Leben. Zugleich sah er auch auf der Spiegelfläche die Landschaft, die ihm gestern so gräulich und ahnungsvoll erschienen war, glänzender und herrlicher als je, und sich in solcher Stellung, auf solchem Hintergrund! Genugsame Vergeltung aller Leiden.

„Wir sind nicht allein“, sagte Lucinde; und kaum hatte er sich von seinem Entzücken erholt, so erschienen geputzt und bekränzt Mädchen und Knaben, Kränze tragend, den Ausgang versperrend. „Das sollte alles anders werden“, rief Lucinde; „wie artig war es eingerichtet, und nun geht’s tumultuarisch durcheinander!“ Ein munterer Marsch tönte von weitem, und man sah die Gesellschaft den breiten Weg her feierlich heiter heranziehen. Er zauderte, entgegenzusehen, und schien seiner Schritte nur an ihrem Arm gewiss; sie blieb neben ihm, die feierliche Szene des Wiedersehens, des Danks für eine schon vollendete Vergebung von Augenblick zu Augenblick erwartend.

Anders war’s jedoch von den launischen Göttern beschlossen; eines Posthorns lustig schmetternder Ton von der Gegenseite schien den ganzen Aufstand in Verwirrung zu setzen. „Wer mag kommen?“, rief Lucinde. Lucidor schauderte vor einer fremden Gegenwart, und auch der Wagen schien ganz fremd: Eine zweisitzige, neue, ganz neuste Reisechaise! Sie fuhr an den Saal an. Ein ausgezeichneter, anständiger Knabe sprang hinten herunter, öffnete den Schlag, aber niemand stieg heraus; die Chaise war leer, der Knabe stieg hinein, mit einigen geschickten Handgriffen warf er die Spriegel zurück, und so war in einem Nu das niedlichste Gebäude zur lustigsten Spazierfahrt vor den Augen aller Anwesenden bereitet, die indessen herankamen. Antoni, den übrigen voreilend, führte Julie zu dem Wagen. „Versuchen Sie“, sprach er, „ob Ihnen dies Fuhrwerk gefallen kann, um darin mit mir auf den besten Wegen durch die Welt zu rollen; ich werde Sie keinen andern führen, und wo es irgend Not tut, wollen wir uns zu helfen wissen. Über das Gebirge sollen uns Saumrosse tragen, und den Wagen dazu.“

„Sie sind allerliebst!“, rief Julie. Der Knabe trat heran und zeigte mit Taschenspielergewandtheit alle Bequemlichkeiten, kleine Vorteile und Behändigkeiten des ganzen leichten Baues.

„Auf der Erde weiß ich keinen Dank“, rief Julie, „nur auf diesem kleinen, beweglichen Himmel, aus dieser Wolke, in die Sie mich erheben, will ich Ihnen herzlich danken.“ Sie war schon eingesprungen, ihm Blick und Kusshand freundlich zuwerfend. „Gegenwärtig dürfen Sie noch nicht zu mir herein; da ist aber ein anderer, den ich auf dieser Probefahrt mitzunehmen gedenke, er hat auch noch eine Probe zu bestehen.“ Sie rief nach Lucidor, der, eben mit Vater und Schwiegervater in stummer Unterhaltung begriffen, sich gern in das leichte Fuhrwerk nötigen ließ, da er ein unausweichlich Bedürfnis fühlte, nur einen Augenblick auf irgendeine Weise sich zu zerstreuen. Er saß neben ihr, sie rief dem Postillon zu, wie er fahren solle. Flugs entfernten sie sich, in Staub gehüllt, aus den Augen der verwundert Nachschauenden.

Julie setzte sich recht fest und bequem ins Eckchen. – „Rücken Sie nun auch dorthin, Herr Schwager, dass wir uns recht bequem in die Augen sehen.“

Lucidor. „Sie empfinden meine Verwirrung, meine Verlegenheit; ich bin noch immer wie im Traum, helfen Sie mir heraus.“

Julie. „Sehen Sie die hübschen Bauersleute, wie sie freundlich grüßen! Bei Ihrem Hiersein sind Sie ja nicht ins obere Dorf gekommen. Alles wohlhabende Leute, die mir alle gewogen sind. Es ist niemand zu reich, dem man nicht einmal wohlwollend einen bedeutenden Dienst erweisen könne. Diesen Weg, den wir so bequem fahren, hat mein Vater angelegt und auch dieses Gute gestiftet.“

Lucidor. „Ich glaub’ es gern und geb’ es zu; aber was sollen die Äußerlichkeiten gegen die Verworrenheit meines Innern!“

Julie. „Nur Geduld, ich will Ihnen die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeigen. Nun sind wir oben! Wie klar das ebene Land gegen das Gebirge hin liegt! Alle diese Dörfer verdanken meinem Vater gar viel, und Mutter und Töchtern wohl auch. Die Flur jenes Städtchens dort hinten macht erst die Grenze.“

Lucidor. „Ich finde Sie in einer wunderlichen Stimmung; Sie scheinen nicht recht zu sagen, was Sie sagen wollten.“

Julie. „Nun sehen Sie hier links hinunter, wie schön sich das alles entwickelt! Die Kirche mit ihren hohen Linden, das Amthaus mit seinen Pappeln hinter dem Dorfhügel her. Auch die Gärten liegen vor uns und der Park.“

Der Postillon fuhr schärfer.

Julie. „Jenen Saal dort droben kennen Sie; er sieht sich von hier aus ebenso gut an wie die Gegend von dort her. Hier am Baum wird gehalten; nun gerade hier spiegeln wir uns oben in der großen Glasfläche, man sieht uns dort recht gut, wir aber können uns nicht erkennen. – Fahre zu! – Dort haben sich vor kurzem wahrscheinlich ein Paar Leute näher bespiegelt und, ich müsste mich sehr irren, mit großer wechselseitiger Zufriedenheit.“

Lucidor, verdrießlich, erwiderte nichts; sie fuhren eine Zeitlang stillschweigend vor sich hin, es ging sehr schnell. „Hier“, sagte Julie, „fängt der schlechte Weg an; um den mögen Sie sich einmal verdient machen. Eh’ es hinab geht, schauen Sie noch hinüber; die Buche meiner Mutter ragt mit ihrem herrlichen Gipfel über alles hervor. Du fährst“, fuhr sie zum Kutschenden fort, „den schlechten Weg hin, wir nehmen den Fußpfad durchs Tal und sind eher drüben wie du.“ Im Aussteigen rief sie aus: „Das gestehen Sie doch, der ewige Jude, der unruhige Anton Reiser weiß noch seine Wallfahrten bequem genug einzurichten, für sich und seine Genossen; es ist ein sehr schöner, bequemer Wagen.“

Und so war sie auch schon den Hügel drunten; Lucidor folgte sinnend und fand sie auf einer wohl gelegenen Bank sitzend, es war Lucindes Plätzchen. Sie lud ihn zu sich.

Julie. „Nun sitzen wir hier und gehen einander nichts an, das hat denn doch so sein sollen. Das kleine Quecksilber wollte Ihnen gar nicht anstehen. Nicht lieben konnten Sie ein solches Wesen, verhasst war es Ihnen.“

Lucidors Verwunderung nahm zu.

Julie. „Aber freilich Lucinde! Sie ist der Inbegriff aller Vollkommenheiten, und die niedliche Schwester war ein für allemal ausgestochen. Ich seh’ es, auf Ihren Lippen schwebt die Frage, wer uns so genau unterrichtet hat?“

Lucidor. „Es steckt ein Verrat dahinter! –“

Julie. „Jawohl! Ein Verräter ist im Spiel.“

Lucidor. „Nennen Sie ihn.“

Julie. „Der ist bald entlarvt. Sie selbst! – Sie haben die löbliche oder unlöbliche Gewohnheit, mit sich selbst zu reden, und da will ich denn in unser aller Namen bekennen, dass wir Sie wechselweise behorcht haben.“

Lucidor (aufspringend). „Eine saubere Gastfreundschaft, auf diese Weise den Fremden eine Falle zu stellen!“

Julie. „Keineswegs; wir dachten nicht daran, Sie zu belauschen, so wenig als irgendeinen andern. Sie wissen, Ihr Bett steht in einem Verschlag der Wand, von der Gegenseite geht ein anderer herein, der gewöhnlich nur zu häuslicher Niederlage dient. Da hatten wir einige Tage vorher unsern Alten genötigt zu schlafen, weil wir für ihn in seiner abgelegenen Einsiedelei viele Sorge trugen; nun fuhren Sie gleich den ersten Abend mit einem solchen leidenschaftlichen Monolog ins Zeug, dessen Inhalt er uns den andern Morgen angelegentlichst entdeckte.“

Lucidor hatte nicht Lust, sie zu unterbrechen. Er entfernte sich.

Julie (aufgestanden ihm folgend). „Wie war uns mit dieser Erklärung gedient! Denn ich gestehe gern: Wenn Sie mir auch nicht gerade zuwider waren, so blieb doch der Zustand, der mich erwartete, mir keineswegs wünschenswert. Frau Oberamtmännin zu sein, welche schreckliche Lage! Einen tüchtigen, braven Mann zu haben, der den Leuten Recht sprechen soll und vor lauter Recht nicht zur Gerechtigkeit kommen kann! Der es weder nach oben noch unten recht macht und, was das Schlimmste ist, sich selbst nicht. Ich weiß, was meine Mutter ausgestanden hat von der Unbestechlichkeit, Unerschütterlichkeit meines Vaters. Endlich, leider nach ihrem Tod, ging ihm eine gewisse Mildigkeit auf; er schien sich in die Welt zu finden, an ihr sich auszugleichen, die er sich bisher vergeblich bekämpft hatte.“

Lucidor (höchst unzufrieden über den Vorfall, ärgerlich über die leichtsinnige Behandlung, stand still). „Für den Scherz eines Abends mochte das hingehen; aber eine solche beschämende Mystifikation tage- und nächtelang gegen einen unbefangenen Gast zu verüben, ist nicht verzeihlich.“

Julie. „Wir alle haben uns in die Schuld geteilt, wir haben Sie alle behorcht; ich aber allein büße die Schuld des Horchens.“

Lucidor. „Alle! Desto unverzeihlicher! Und wie konnten Sie mich den Tag über ohne Beschämung ansehen, den Sie des Nachts schmählich unerlaubt überlisteten? Doch ich sehe jetzt ganz deutlich mit einem Blick, dass Ihre Tagesanstalten nur darauf berechnet waren, mich zum Besten zu haben. Eine löbliche Familie! Und wo bleibt die Gerechtigkeitsliebe Ihres Vaters? – Und Lucinde! –“

Julie. „Und Lucinde! – Was war das für ein Ton! Nicht wahr, Sie wollten sagen: Wie tief es Sie schmerzt, von Lucinde übel zu denken, Lucinde mit uns allen in eine Klasse zu werfen?“

Lucidor. „Lucinden begreif’ ich nicht.“

Julie. „Sie wollen sagen: Diese reine, edle Seele, dieses ruhig gefasste Wesen, die Güte, das Wohlwollen selbst, diese Frau, wie sie sein sollte, verbindet sich mit einer leichtsinnigen Gesellschaft, mit einer überhinfahrenden Schwester, einem verzogenen Jungen und gewissen geheimnisvollen Personen! Das ist unbegreiflich.“

Lucidor. „Jawohl ist das unbegreiflich.“

Julie. „So begreifen Sie es denn! Lucinde wie uns allen waren die Hände gebunden. Hätten Sie die Verlegenheit bemerken können, wie sie sich kaum zurückhielt, Ihnen alles zu offenbaren, Sie würden sie doppelt und dreifach lieben, wenn nicht jede wahre Liebe an und für sich zehn- und hundertfach wäre; auch versichere ich Sie, uns allen ist der Spaß am Ende zu lang geworden.“

Lucidor. „Warum endigten Sie ihn nicht?“

Julie. „Das ist nun auch aufzuklären. Nachdem Ihr erster Monolog dem Vater bekannt geworden und er gar bald bemerken konnte, dass alle seine Kinder nichts gegen einen solchen Tausch einzuwenden hätten, so entschloss er sich, alsobald zu Ihrem Vater zu reisen. Die Wichtigkeit des Geschäfts war ihm bedenklich. Ein Vater allein fühlt den Respekt, den man einem Vater schuldig ist. – ‚Er muss es zuerst wissen’, sagte der meine, ‚um nicht etwa hintendrein, wenn wir einig sind, eine ärgerlich-erzwungene Zustimmung zu geben. Ich kenne ihn genau, ich weiß, wie er einen Gedanken, eine Neigung, einen Vorsatz festhält, und es ist mir bange genug. Er hat sich Julie, seine Karten und Prospekte so zusammen gedacht, dass er sich schon vornahm, das alles zuletzt hierher zu stiften, wenn der Tag käme, wo das junge Paar sich hier niederließe und Ort und Stelle so leicht nicht verändern könnte: Da wollt’ er alle Ferien uns zuwenden, und was er für Liebes und Gutes im Sinn hatte. Er muss zuerst erfahren, was die Natur uns für einen Streich gespielt, da noch nichts eigentlich erklärt, noch nichts entschieden ist.“ Hierauf nahm er uns allen den feierlichsten Handschlag ab, dass wir Sie beobachten und, es geschehe, was da wolle, Sie hinhalten sollten. Wie sich die Rückreise verzögert, wie es Kunst, Mühe und Beharrlichkeit gekostet, Ihres Vaters Einwilligung zu erlangen, das mögen Sie von ihm selbst hören. Genug, die Sache ist abgetan, Lucinde ist Ihnen gegönnt.“ –

Und so waren beide, vom ersten Sitz lebhaft sich entfernend, unterwegs anhaltend, immer fortsprechend und langsam weiter gehend, über die Wiesen hin auf die Erhöhung gekommen an einen andern wohl gebahnten Kunstweg. Der Wagen fuhr schnell heran; augenblicks machte sie ihren Nachbar aufmerksam auf ein seltsames Schauspiel. Die ganze Maschinerie, worauf sich der Bruder so viel zugute tat, war belebt und bewegt; schon führten die Räder eine Menschenzahl auf und nieder, schon wogten die Schaukeln, Mastbäume wurden erklettert, und was man nicht alles für kühnen Schwung und Sprung über den Häuptern einer unzählbaren Menge gewagt sah! Alles das hatte der Junker in Bewegung gesetzt, damit nach Tafel die Gäste fröhlich unterhalten würden. „Du fährst noch durchs untere Dorf“, rief Julie; „die Leute wollen mir wohl, und sie sollen sehen, wie wohl es mir geht.“

Das Dorf war öde, die Jüngern sämtlich hatten schon den Lustplatz ereilt; alte Männer und Frauen zeigten sich, durch das Posthorn erregt, an Tür und Fenstern, alles grüßte, segnete, rief: „O das schöne Paar!“

Julie. „Nun, da haben Sie’s! Wir hätten am Ende doch wohl zusammengepasst; es kann Sie noch reuen.“

Lucidor. „Jetzt aber, liebe Schwägerin,“ –

Julie. „Nicht wahr, jetzt ‚lieb’, da Sie mich los sind.“

Lucidor. „Nur ein Wort! Auf Ihnen lastet eine schwere Verantwortlichkeit; was sollte der Händedruck, da Sie meine überschreckliche Stellung kannten und fühlen mussten? So gründlich Boshaftes ist mir in der Welt noch nichts vorgekommen.“

Julie. „Danken Sie Gott, nun wär’s abgebüßt, alles ist verziehen. Ich wollte Sie nicht, das ist wahr; aber dass Sie mich ganz und gar nicht wollten, das verzeiht kein Mädchen, und dieser Händedruck war, merken Sie sich’s, für den Schalk. Ich gestehe, es war schalkischer als billig, und ich verzeihe mir nur, indem ich Ihnen vergebe, und so sei denn alles vergeben und vergessen! Hier meine Hand.“

Er schlug ein, sie rief: „Da sind wir schon wieder! In unserm Park schon wieder, und so geht’s bald um die weite Welt und auch wohl zurück; wir treffen uns wieder.“

Sie waren vor dem Gartensaal schon angelangt, er schien leer; die Gesellschaft hatte sich im Unbehagen, die Tafelzeit überlang verschoben zu sehen, zum Spazieren bewegt. Antoni aber und Lucinde traten hervor. Julie warf sich aus dem Wagen ihrem Freund entgegen, sie dankte in einer herzlichen Umarmung und enthielt sich nicht der freudigsten Tränen. Des edlen Mannes Wange rötete sich, seine Züge traten entfaltet hervor, sein Auge blickte feucht, und ein schöner, bedeutender Jüngling erschien aus der Hülle.

Und so zogen beide Paare zur Gesellschaft, mit Gefühlen, die der schönste Traum nicht zu geben vermochte.

 
 * 

Kapitel 10

Vater und Sohn waren, von einem Reitknecht begleitet, durch eine angenehme Gegend gekommen, als dieser, im Angesicht einer hohen Mauer, die einen weiten Bezirk zu umschließen schien, stillhaltend, bedeutete, sie möchten nun zu Fuß sich dem großen Tor nähern, weil kein Pferd in diesen Kreis eingelassen würde. Sie zogen die Glocke, das Tor eröffnete sich, ohne dass eine Menschengestalt sichtbar geworden wäre, und sie gingen auf ein altes Gebäude los, das zwischen uralten Stämmen von Buchen und Eichen ihnen entgegenschimmerte. Wunderbar war es anzusehen, denn so alt es der Form nach schien, so war es doch, als wenn Maurer und Steinmetzen soeben erst abgegangen wären; dergestalt neu, vollständig und nett erschienen die Fugen wie die ausgearbeiteten Verzierungen.

Der metallne, schwere Ring an einer wohl geschnitzten Pforte lud sie ein zu klopfen, welches Felix mutwillig etwas unsanft verrichtete; auch diese Tür sprang auf, und sie fanden zunächst auf der Hausflur ein Frauenzimmer sitzen von mittlerem Alter, am Stickrahmen mit einer wohl gezeichneten Arbeit beschäftigt. Diese begrüßte sogleich die Ankommenden als schon gemeldet und begann ein heiteres Lied zu singen, worauf sogleich aus einer benachbarten Türe ein Frauenzimmer heraustrat, das man für die Beschließerin und tätige Haushälterin nach den Anhängseln ihres Gürtels ohne weiteres zu erkennen hatte. Auch diese, freundlich grüßend, führte die Fremden eine Treppe hinauf und eröffnete ihnen einen Saal, der sie ernsthaft ansprach, weit, hoch, ringsum getäfelt, oben drüber eine Reihenfolge historischer Schilderungen. Zwei Personen traten ihnen entgegen, ein jüngeres Frauenzimmer und ein ältlicher Mann.

Jene hieß den Gast sogleich freimütig willkommen. „Sie sind“, sagte sie, „als einer der Unsern angemeldet. Wie soll ich Ihnen aber kurz und gut den Gegenwärtigen vorstellen? Er ist unser Hausfreund im schönsten und weitesten Sinn, bei Tag der belehrende Gesellschafter, bei Nacht Astronom, und Arzt zu jeder Stunde.“

„Und ich“, versetzte dieser freundlich, „empfehle Ihnen dieses Frauenzimmer als die bei Tag unermüdete Geschäftige, bei Nacht, wenn’s Not tut, gleich bei der Hand, und immerfort die heiterste Lebensbegleiterin.“

Angela, so nannte man die durch Gestalt und Betragen einnehmende Schöne, verkündigte sodann die Ankunft Makaries; ein grüner Vorhang zog sich auf, und eine ältliche, wunderwürdige Dame ward auf einem Lehnsessel von zwei jungen, hübschen Mädchen herein geschoben, wie von zwei andern ein runder Tisch mit erwünschtem Frühstück. In einem Winkel der ringsumher gehenden massiven eichenen Bänke waren Kissen gelegt, darauf setzten sich die obigen drei, Makarie in ihrem Sessel gegen ihnen über. Felix verzehrte sein Frühstück stehend, im Saal umherwandelnd und die ritterlichen Bilder über dem Getäfel neugierig betrachtend.

Makarie sprach zu Wilhelm als einem Vertrauten, sie schien sich in geistreicher Schilderung ihrer Verwandten zu erfreuen; es war, als wenn sie die innere Natur eines jeden durch die ihn umgebende individuelle Maske durchschaute. Die Personen, welche Wilhelm kannte, standen wie verklärt vor seiner Seele; das einsichtige Wohlwollen der unschätzbaren Frau hatte die Schale losgelöst und den gesunden Kern veredelt und belebt.

Nachdem nun diese angenehmen Gegenstände durch die freundlichste Behandlung erschöpft waren, sprach sie zu dem würdigen Gesellschafter: „Sie werden von der Gegenwart dieses neuen Freundes nicht wiederum Anlass zu einer Entschuldigung finden und die versprochene Unterhaltung abermals verspäten; er scheint von der Art, wohl auch daran teilzunehmen.“

Jener aber versetzte darauf: „Sie wissen, welche Schwierigkeit es ist, sich über diese Gegenstände zu erklären; denn es ist von nichts wenigerem als von dem Missbrauch fürtrefflicher und weit auslangender Mittel die Rede.“

„Ich geb’ es zu“, versetzte Makarie; „denn man kommt in doppelte Verlegenheit. Spricht man von Missbrauch, so scheint man die Würde des Mittels selbst anzutasten, denn es liegt ja immer noch in dem Missbrauch verborgen; spricht man von Mittel, so kann man kaum zugeben, dass seine Gründlichkeit und Würde irgendeinen Missbrauch zulasse. Indessen, da wir unter uns sind, nichts festsetzen, nichts nach außen wirken, sondern nur uns aufklären wollen, so kann das Gespräch immer vorwärts gehen.“

„Doch müssten wir“, versetzte der bedächtige Mann, „vorher anfragen, ob unser neuer Freund auch Lust habe, an einer gewissermaßen abstrusen Materie teilzunehmen, und ob er nicht vorzöge, in seinem Zimmer einer nötigen Ruhe zu pflegen. Sollte wohl unsere Angelegenheit, außer dem Zusammenhang, ohne Kenntnis, wie wir darauf gelangt, von ihm gern und günstig aufgenommen werden?“

„Wenn ich das, was Sie gesagt haben, mir durch etwas Analoges erklären möchte, so scheint es ungefähr der Fall zu sein, wenn man die Heuchelei angreift und eines Angriffs auf die Religion beschuldigt werden kann.“

„Wir können die Analogie gelten lassen“, versetzte der Hausfreund; „denn es ist auch hier von einem Komplex mehrerer bedeutender Menschen, von einer hohen Wissenschaft, von einer wichtigen Kunst und, dass ich kurz sei, von der Mathematik die Rede.“

„Ich habe“, versetzte Wilhelm, „wenn ich auch über die fremdesten Gegenstände sprechen hörte, mir immer etwas daraus nehmen können; denn alles, was den einen Menschen interessiert, wird auch in dem andern einen Anklang finden.“

„Vorausgesetzt“, sagte jener, „dass er sich eine gewisse Freiheit des Geistes erworben habe; und da wir Ihnen dies zutrauen, so will ich von meiner Seite wenigstens Ihrem Verharren nichts entgegenstellen.“

„Was aber fangen wir mit Felix an,“ fragte Makarie, „welcher, wie ich sehe, mit der Betrachtung jener Bilder schon fertig ist und einige Ungeduld merken lässt?“

„Vergönnt mir, diesem Frauenzimmer etwas ins Ohr zu sagen“, versetzte Felix, raunte Angela etwas still zu, die sich mit ihm entfernte, bald aber lächelnd zurückkam, da denn der Hausfreund folgendermaßen zu reden anfing.

„In solchen Fällen, wo man irgend eine Missbilligung, einen Tadel, auch nur ein Bedenken aussprechen soll, nehme ich nicht gern die Initiative; ich suche mir eine Autorität, bei welcher ich mich beruhigen kann, indem ich finde, dass mir ein anderer zur Seite steht. Loben tu’ ich ohne Bedenken, denn warum soll ich verschweigen, wenn mir etwas zusagt? Sollte es auch meine Beschränktheit ausdrücken, so hab’ ich mich deren nicht zu schämen; tadle ich aber, so kann mir begegnen, dass ich etwas Fürtreffliches abweise, und dadurch zieh’ ich mir die Missbilligung anderer zu, die es besser verstehen; ich muss mich zurücknehmen, wenn ich aufgeklärt werde. Deswegen bring’ ich hier einiges Geschriebene, sogar Übersetzungen mit; denn ich traue in solchen Dingen meiner Nation so wenig als mir selbst; eine Zustimmung aus der Ferne und Fremde scheint mir mehr Sicherheit zu geben.“ Er fing nunmehr nach erhaltener Erlaubnis folgendermaßen zu lesen an. –

Wenn wir aber uns bewogen finden, diesen werten Mann nicht lesen zu lassen, so werden es unsere Gönner wahrscheinlich geneigt aufnehmen; denn was oben gegen das Verweilen Wilhelms bei dieser Unterhaltung gesagt worden, gilt noch mehr in dem Fall, in welchem wir uns befinden. Unsere Freunde haben einen Roman in die Hand genommen, und wenn dieser hie und da schon mehr als billig didaktisch geworden, so finden wir doch geraten, die Geduld unserer Wohlwollenden nicht noch weiter auf die Probe zu stellen. Die Papiere, die uns vorliegen, gedenken wir an einem andern Ort abdrucken zu lassen und fahren diesmal im Geschichtlichen ohne weiteres fort, da wir selbst ungeduldig sind, das obwaltende Rätsel endlich aufgeklärt zu sehen.

Enthalten können wir uns aber doch nicht, ferner einiges zu erwähnen, was noch vor dem abendlichen Scheiden dieser edlen Gesellschaft zur Sprache kam. Wilhelm, nachdem er jener Vorlesung aufmerksam zugehört, äußerte ganz unbewunden: „Hier vernehme ich von großen Naturgaben, Fähigkeiten und Fertigkeiten, und doch zuletzt bei ihrer Anwendung, manches Bedenken. Sollte ich mich darüber ins kurze fassen, so würde ich ausrufen: ‚Große Gedanken und ein reines Herz, das ist’s, was wir uns von Gott erbitten sollten!’“

Diesen verständigen Worten Beifall gebend, löste die Versammlung sich auf; der Astronom aber versprach, Wilhelm in dieser herrlichen, klaren Nacht an den Wundern des gestirnten Himmels vollkommen teilnehmen zu lassen.

Nach einigen Stunden ließ der Astronom seinen Gast die Treppen zur Sternwarte sich hinauf winden und zuletzt auf die völlig freie Fläche eines runden, hohen Turmes heraustreten. Die heiterste Nacht, von allen Sternen leuchtend und funkelnd, umgab den Schauenden, welcher zum ersten Mal das hohe Himmelsgewölbe in seiner ganzen Herrlichkeit zu erblicken glaubte. Denn im gemeinen Leben, abgerechnet die ungünstige Witterung, die uns so oft den Glanzraum des Äthers verbirgt, hindern uns zu Haus bald Dächer und Giebel, auswärts bald Wälder und Felsen, am meisten aber überall die inneren Beunruhigungen des Gemüts, die, uns alle Umwelt mehr als Nebel und Misswetter zu verdüstern, sich hin und her bewegen.

Ergriffen und erstaunt hielt er sich beide Augen zu. Das Ungeheure hört auf, erhaben zu sein, es überreicht unsre Fassungskraft, es droht, uns zu vernichten. „Was bin ich denn gegen das All?“, sprach er zu seinem Geist; „wie kann ich ihm gegenüber, wie kann ich in seiner Mitte stehen?“ Nach einem kurzen Überdenken jedoch fuhr er fort: „Das Resultat unsres heutigen Abends löst ja auch das Rätsel des gegenwärtigen Augenblicks. Wie kann sich der Mensch gegen das Unendliche stellen, als wenn er alle geistigen Kräfte, die nach vielen Seiten hingezogen werden, in seinem Innersten, Tiefsten versammelt, wenn er sich fragt: ‚Darfst du dich in der Mitte dieser ewig lebendigen Ordnung auch nur denken, sobald sich nicht gleichfalls in dir ein beharrlich Bewegtes, um einen reinen Mittelpunkt kreisend hervortut? Und selbst wenn es dir schwer würde, diesen Mittelpunkt in deinem Busen aufzufinden, so würdest du ihn daran erkennen, dass eine wohlwollende, wohltätige Wirkung von ihm ausgeht und von ihm Zeugnis gibt.’

Wer soll, wer kann aber auf sein vergangenes Leben zurückblicken, ohne gewissermaßen irre zu werden, da er meistens finden wird, dass sein Wollen richtig, sein Tun falsch, sein Begehren tadelhaft und sein Erlangen dennoch erwünscht gewesen?

Wie oft hast du diese Gestirne leuchten gesehen, und haben sie dich nicht jederzeit anders gefunden? Sie aber sind immer dieselbigen und sagen immer dasselbige. ‚Wir bezeichnen’, wiederholten sie, ‚durch unsern gesetzmäßigen Gang Tag und Stunde; frage dich auch, wie verhältst du dich zu Tag und Stunde?’ – Und so kann ich denn diesmal antworten: ‚Des gegenwärtigen Verhältnisses hab’ ich mich nicht zu schämen; meine Absicht ist, einen edlen Familienkreis in allen seinen Gliedern erwünscht verbunden herzustellen; der Weg ist bezeichnet. Ich soll erforschen, was edle Seelen auseinander hält, soll Hindernisse wegräumen, von welcher Art sie auch seien.’ Dies darfst du vor diesen himmlischen Heerscharen bekennen; achteten sie deiner, sie würden zwar über deine Beschränktheit lächeln, aber sie ehrten gewiss deinen Vorsatz und begünstigten dessen Erfüllung.“

Bei diesen Worten oder Gedanken wendete er sich, umher zu sehen, da fiel ihm Jupiter in die Augen, das Glücksgestirn, so herrlich leuchtend als je; er nahm das Omen als günstig auf und verharrte freudig in diesem Anschauen eine Zeitlang.

Hierauf sogleich berief ihn der Astronom, herabzukommen, und ließ ihn eben dieses Gestirn durch ein vollkommenes Fernrohr in bedeutender Größe, begleitet von seinen Monden, als ein himmlisches Wunder anschauen.

Als unser Freund lange darin versunken geblieben, wendete er sich um und sprach zu dem Sternfreund: „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen danken soll, dass Sie mir dieses Gestirn so über alles Maß näher gerückt. Als ich es vorhin sah, stand es im Verhältnis zu dem übrigen Unzähligen des Himmels und zu mir selbst; jetzt aber tritt es in meiner Einbildungskraft unverhältnismäßig hervor, und ich weiß nicht, ob ich die übrigen Scharen gleicherweise heranzuführen wünschen sollte. Sie werden mich einengen, mich beängstigen.“

So erging sich unser Freund nach seiner Gewohnheit weiter, und es kam bei dieser Gelegenheit manches Unerwartete zur Sprache. Auf einiges Erwidern des Kunstverständigen versetzte Wilhelm: „Ich begreife recht gut, dass es euch Himmelskundigen die größte Freude gewähren muss, das ungeheure Weltall nach und nach so heranzuziehen, wie ich hier den Planeten sah und sehe. Aber erlauben Sie mir, es auszusprechen: Ich habe im Leben überhaupt und im Durchschnitt gefunden, dass diese Mittel, wodurch wir unsern Sinnen zu Hilfe kommen, keine sittlich günstige Wirkung auf den Menschen ausüben. Wer durch Brillen sieht, hält sich für klüger, als er ist; denn sein äußerer Sinn wird dadurch mit seiner innern Urteilsfähigkeit außer Gleichgewicht gesetzt; es gehört eine höhere Kultur dazu, deren nur vorzügliche Menschen fähig sind, ihr Inneres, Wahres mit diesem von außen herangerückten Falschen einigermaßen auszugleichen. Sooft ich durch eine Brille sehe, bin ich ein anderer Mensch und gefalle mir selbst nicht; ich sehe mehr, als ich sehen sollte, die schärfer gesehene Welt harmoniert nicht mit meinem Innern, und ich lege die Gläser geschwind wieder weg, wenn meine Neugierde, wie dieses oder jenes in der Ferne beschaffen sein möchte, befriedigt ist.“

Auf einige scherzhafte Bemerkungen des Astronomen fuhr Wilhelm fort: „Wir werden diese Gläser so wenig als irgendein Maschinenwesen aus der Welt bannen; aber dem Sittenbeobachter ist es wichtig, zu erforschen und zu wissen, woher sich manches in die Menschheit eingeschlichen hat, worüber man sich beklagt. So bin ich z. B. überzeugt, dass die Gewohnheit, Annäherungsbrillen zu tragen, an dem Dünkel unserer jungen Leute hauptsächlich schuld hat.“

Unter diesen Gesprächen war die Nacht weit vorgerückt, worauf der im Wachen bewährte Mann seinem jungen Freund den Vorschlag tat, sich auf dem Feldbett niederzulegen und einige Zeit zu schlafen, um alsdann mit frischerem Blick die dem Aufgang der Sonne voreilende Venus, welche eben heute in ihrem vollendeten Glanz zu erscheinen verspräche, zu schauen und zu begrüßen.

Wilhelm, der sich bis auf den Augenblick recht straff und munter erhalten hatte, fühlte auf diese Anmutung des wohlwollenden, vorsorglichen Mannes sich wirklich erschöpft, er legte sich nieder und war augenblicklich in den tiefsten Schlaf gesunken.

Geweckt von dem Sternkundigen sprang Wilhelm auf und eilte zum Fenster; dort staunte, starrte er einen Augenblick, dann rief er enthusiastisch: „Welche Herrlichkeit! Welch ein Wunder!“ Andere Worte des Entzückens folgten, aber ihm blieb der Anblick immer ein Wunder, ein großes Wunder.

„Dass Ihnen dieses liebenswürdige Gestirn, das heute in Fülle und Herrlichkeit wie selten erscheint, überraschend entgegentreten würde, konnt’ ich voraussehen; aber das darf ich wohl aussprechen, ohne kalt gescholten zu werden: Kein Wunder seh’ ich, durchaus kein Wunder!“

„Wie könnten Sie auch?“, versetzte Wilhelm; „da ich es mitbringe, da ich es in mir trage, da ich nicht weiß, wie mir geschieht. Lassen Sie mich noch immer stumm und staunend hinblicken, sodann vernehmen Sie!“ Nach einer Pause fuhr er fort: „Ich lag sanft, aber tief eingeschlafen; da fand ich mich in den gestrigen Saal versetzt, aber allein. Der grüne Vorhang ging auf, Makaries Sessel bewegte sich hervor, von selbst, wie ein belebtes Wesen; er glänzte golden, ihre Kleider schienen priesterlich, ihr Anblick leuchtete sanft; ich war im Begriff, mich niederzuwerfen. Wolken entwickelten sich um ihre Füße, steigend hoben sie flügelartig die heilige Gestalt empor; an der Stelle ihres herrlichen Angesichtes sah ich zuletzt, zwischen sich teilendem Gewölk, einen Stern blinken, der immer aufwärts getragen wurde und durch das eröffnete Deckengewölb’ sich mit dem ganzen Sternhimmel vereinigte, der sich immer zu verbreiten und alles zu umschließen schien. In dem Augenblick wecken Sie mich auf; schlaftrunken taumle ich nach dem Fenster, den Stern noch lebhaft in meinem Auge, und wie ich nun hinblicke – der Morgenstern, von gleicher Schönheit, obschon vielleicht nicht von gleicher strahlender Herrlichkeit, wirklich vor mir! Dieser wirkliche, da droben schwebende Stern setzt sich an die Stelle des geträumten, er zehrt auf, was an dem erscheinenden Herrliches war, aber ich schaue doch fort und fort, und Sie schauen ja mit mir, was eigentlich vor meinen Augen zugleich mit dem Nebel des Schlafes hätte verschwinden sollen.“

Der Astronom rief aus: „Wunder, ja Wunder! Sie wissen selbst nicht, welche wundersame Rede Sie führten. Möge uns nur dies nicht auf den Abschied der Herrlichen hindeuten, welcher früher oder später eine solche Apotheose beschieden ist.“

Den andern Morgen eilte Wilhelm, um seinen Felix aufzusuchen, der sich früh ganz in der Stille weggeschlichen hatte, nach dem Garten, den er zu seiner Verwunderung durch eine Anzahl Mädchen bearbeitet sah; alle, wo nicht schön, doch keine hässlich, keine, die das zwanzigste Jahr erreicht zu haben schien. Sie waren verschiedentlich gekleidet, als verschiedenen Ortschaften angehörig, tätig, heiter grüßend und fortarbeitend.

Ihm begegnete Angela, welche, die Arbeit anzuordnen und zu beurteilen, auf und ab ging; ihr ließ der Gast seine Verwunderung über eine so hübsche, lebenstätige Kolonie vermerken. „Diese“, versetzte sie, „stirbt nicht aus, ändert sich, aber bleibt immer dieselbe. Denn mit dem zwanzigsten Jahr treten diese, sowie die sämtlichen Bewohnerinnen unserer Stiftung ins tätige Leben, meistens in den Ehestand. Alle jungen Männer der Nachbarschaft, die sich eine wackere Gattin wünschen, sind aufmerksam auf dasjenige, was sich bei uns entwickelt. Auch sind unsre Zöglinge hier nicht etwa eingesperrt, sie haben sich schon auf manchem Jahrmarkt umgesehen, sind gesehen worden, gewünscht und verlobt; und so warten denn mehrere Familien schon aufmerksam, wenn bei uns wieder Platz wird, um die Ihrigen einzuführen.“ Nachdem diese Angelegenheit besprochen war, konnte der Gast seiner neuen Freundin den Wunsch nicht bergen, das gestern Abend Vorgelesene nochmals durchzusehen. „Den Hauptsinn der Unterhaltung habe ich gefasst“, sagte er; „nun möcht’ ich aber auch das einzelne, wovon die Rede war, näher kennen lernen.“

„Diesen Wunsch zu befriedigen“, versetzte jene, „finde ich mich glücklicherweise sogleich in dem Fall; das Verhältnis, das Ihnen so schnell zu unserm Innersten gegeben ward, berechtigt mich, Ihnen zu sagen, dass jene Papiere schon in meinen Händen und von mir nebst andern Blättern sorgfältig aufgehoben werden. Meine Herrin“, fuhr sie fort, „ist von der Wichtigkeit des augenblicklichen Gesprächs höchlich überzeugt; dabei gehe vorüber, sagt sie, was kein Buch enthält, und doch wieder das Beste, was Bücher jemals enthalten haben. Deshalb machte sie mir’s zur Pflicht, einzelne gute Gedanken aufzubewahren, die aus einem geistreichen Gespräch, wie Samenkörner aus einer vielästigen Pflanze, hervorspringen. ‚Ist man treu’, sagt sie, ‚das Gegenwärtige festzuhalten, so wird man erst Freude an der Überlieferung haben, indem wir den besten Gedanken schon ausgesprochen, das liebenswürdigste Gefühl schon ausgedrückt finden. Hiedurch kommen wir zum Anschauen jener Übereinstimmung, wozu der Mensch berufen ist, wozu er sich oft wider seinen Willen finden muss, da er sich gar zu gern einbildet, die Welt fange mit ihm von vorne an’.“

Angela fuhr fort, dem Gast weiter zu vertrauen, dass dadurch ein bedeutendes Archiv entstanden sei, woraus sie in schlaflosen Nächten manchmal ein Blatt Makarie vorlese; bei welcher Gelegenheit denn wieder auf eine merkwürdige Weise tausend Einzelheiten hervorspringen, eben als wenn eine Masse Quecksilber fällt und sich nach allen Seiten hin in die vielfachsten unzähligen Kügelchen zerteilt.

Auf seine Frage, inwiefern dieses Archiv als Geheimnis bewahrt werde, eröffnete sie, dass allerdings nur die nächste Umgebung davon Kenntnis habe, doch wolle sie es wohl verantworten und ihm, da er Lust bezeige, sogleich einige Hefte vorlegen.

Unter diesem Gartengespräch waren sie gegen das Schloss gelangt, und in die Zimmer eines Seitengebäudes eintretend, sagte sie lächelnd: „Ich habe bei dieser Gelegenheit Ihnen noch ein Geheimnis zu vertrauen, worauf Sie am wenigsten vorbereitet sind.“ Sie ließ ihn darauf durch einen Vorhang in ein Kabinett hineinblicken, wo er, freilich zu großer Verwunderung, seinen Felix schreibend an einem Tisch sitzen sah und sich nicht gleich diesen unerwarteten Fleiß enträtseln konnte. Bald aber ward er belehrt, als Angela ihm entdeckte, dass der Knabe jenen Augenblick seines Verschwindens hiezu angewendet und erklärt, Schreiben und Reiten sei das einzige, wozu er Lust habe.

Unser Freund ward sodann in ein Zimmer geführt, wo er in Schränken ringsum viele wohlgeordnete Papiere zu sehen hatte. Rubriken mancher Art deuteten auf den verschiedensten Inhalt, Einsicht und Ordnung leuchtete hervor. Als nun Wilhelm solche Vorzüge pries, eignete das Verdienst derselben Angela dem Hausfreund zu; die Anlage nicht allein, sondern auch in schwierigen Fällen die Einschaltung wisse er mit eigener Übersicht bestimmt zu leiten. Darauf suchte sie die gestern vorgelesenen Manuskripte vor und vergönnte dem Begierigen, sich derselben sowie alles Übrigen zu bedienen und nicht nur Einsicht davon, sondern auch Abschrift zu nehmen.

Hier nun musste der Freund bescheiden zu Werke gehen, denn es fand sich nur allzu viel Anziehendes und Wünschenswertes; besonders achtete er die Hefte kurzer, kaum zusammenhängender Sätze höchst schätzenswert. Resultate waren es, die, wenn wir nicht ihre Veranlassung wissen, als paradox erscheinen, uns aber nötigen, vermittelst eines umgekehrten Findens und Erfindens rückwärts zu gehen und uns die Filiation solcher Gedanken von weither, von unten herauf wo möglich zu vergegenwärtigen.

Auch dergleichen dürfen wir aus oben angeführten Ursachen keinen Platz einräumen. Jedoch werden wir die erste sich darbietende Gelegenheit nicht versäumen und am schicklichen Ort auch das hier Gewonnene mit Auswahl darzubringen wissen.

Am dritten Tag morgens begab sich unser Freund zu Angela, und nicht ohne einige Verlegenheit stand er vor ihr. „Heute soll ich scheiden“, sprach er, „und von der trefflichen Frau, bei der ich gestern den ganzen Tag leider nicht vorgelassen worden, meine letzten Aufträge erhalten. Hier nun liegt mir etwas auf dem Herzen, auf dem ganzen innern Sinn, worüber ich aufgeklärt zu sein wünschte. Wenn es möglich ist, so gönnen Sie mir diese Wohltat.“

„Ich glaube Sie zu verstehen“, sagte die Angenehme, „doch sprechen Sie weiter.“ – „Ein wunderbarer Traum“, fuhr er fort, „einige Worte des ernsten Himmelskundigen, ein abgesondertes, verschlossenes Fach in den zugänglichen Schränken, mit der Inschrift: ‚Makaries Eigenheiten’, diese Veranlassungen gesellen sich zu einer innern Stimme, die mir zuruft, die Bemühung um jene Himmelslichter sei nicht etwa nur eine wissenschaftliche Liebhaberei, ein Bestreben nach Kenntnis des Sternenalls, vielmehr sei zu vermuten: Es liege hier ein ganz eigenes Verhältnis Makaries zu den Gestirnen verborgen, das zu erkennen mir höchst wichtig sein müsste. Ich bin weder neugierig noch zudringlich, aber dies ist ein so wissenswerter Fall für den Geist- und Sinnforscher, dass ich mich nicht enthalten kann anzufragen: ob man zu so vielem Vertrauen nicht auch noch dieses Übermaß zu vergönnen belieben möchte?“ – „Dieses zu gewähren, bin ich berechtigt“, versetzte die Gefällige. „Ihr merkwürdiger Traum ist zwar Makarie ein Geheimnis geblieben, aber ich habe mit dem Hausfreund Ihr sonderbares geistiges Eingreifen, Ihr unvermutetes Erfassen der tiefsten Geheimnisse betrachtet und überlegt, und wir dürfen uns ermutigen, Sie weiter zu führen. Lassen Sie mich nun zuvörderst gleichnisweise reden! Bei schwer begreiflichen Dingen tut man wohl, sich auf diese Weise zu helfen.

Wie man von dem Dichter sagt, die Elemente der sichtlichen Welt seien in seiner Natur innerlichst verborgen und hätten sich nur aus ihm nach und nach zu entwickeln, dass ihm nichts in der Welt zum Anschauen komme, was er nicht vorher in der Ahnung gelebt: Ebenso sind, wie es scheinen will, Makarie die Verhältnisse unsres Sonnensystems von Anfang an, erst ruhend, sodann sich nach und nach entwickelnd, fernerhin sich immer deutlicher belebend, gründlich eingeboren. Erst litt sie an diesen Erscheinungen, dann vergnügte sie sich daran, und mit den Jahren wuchs das Entzücken. Nicht eher jedoch kam sie hierüber zur Einheit und Beruhigung, als bis sie den Beistand, den Freund gewonnen hatte, dessen Verdienst Sie auch schon genugsam kennen lernten.

Als Mathematiker und Philosoph ungläubig von Anfang, war er lange zweifelhaft, ob diese Anschauung nicht etwa angelernt sei; denn Makarie musste gestehen, frühzeitig Unterricht in der Astronomie genossen und sich leidenschaftlich damit beschäftigt zu haben. Daneben berichtete sie aber auch: wie sie viele Jahre ihres Lebens die innern Erscheinungen mit dem äußern Gewahrwerden zusammengehalten und verglichen, aber niemals hierin eine Übereinstimmung finden können.

Der Wissende ließ sich hierauf dasjenige, was sie schaute, welches ihr nur von Zeit zu Zeit ganz deutlich war, auf das genaueste vortragen, stellte Berechnungen an und folgerte daraus, dass sie nicht sowohl das ganze Sonnensystem in sich trage, sondern dass sie sich vielmehr geistig als ein integrierender Teil darin bewege. Er verfuhr nach dieser Voraussetzung, und seine Kalkuls wurden auf eine unglaubliche Weise durch ihre Aussagen bestätigt.

So viel nur darf ich Ihnen diesmal vertrauen, und auch dieses eröffne ich nur mit der dringenden Bitte, gegen niemanden hievon irgendein Wort zu erwähnen. Denn sollte nicht jeder Verständige und Vernünftige, bei dem reinsten Wohlwollen, dergleichen Äußerungen für Phantasien, für übel verstandene Erinnerungen eines früher eingelernten Wissens halten und erklären? Die Familie selbst weiß nichts Näheres hievon; diese geheimen Anschauungen, die entzückenden Gesichte sind es, die bei den Ihrigen als Krankheit gelten, wodurch sie augenblicklich gehindert sei, an der Welt und ihren Interessen teilzunehmen. Dies, mein Freund, verwahren Sie im Stillen und lassen sich auch gegen Lenardo nichts merken.“

Gegen Abend ward unser Wanderer Makarie nochmals vorgestellt; gar manches anmutig Belehrende kam zur Sprache, davon wir nachstehendes auswählen.

„Von Natur besitzen wir keinen Fehler, der nicht zur Tugend, keine Tugend, die nicht zum Fehler werden könnte. Diese letzten sind gerade die bedenklichsten. Zu dieser Betrachtung hat mir vorzüglich der wunderbare Neffe Anlass gegeben, der junge Mann, von dem Sie in der Familie manches Seltsame gehört haben und den ich, wie die Meinigen sagen, mehr als billig, schonend und liebend behandle.

Von Jugend auf entwickelte sich in ihm eine gewisse muntere technische Fertigkeit, der er sich ganz hingab und darin glücklich zu mancher Kenntnis und Meisterschaft fortschritt. Späterhin war alles, was er von Reisen nach Haus schickte, immer das Künstlichste, Klügste, Feinste, Zarteste von Handarbeit, auf das Land hindeutend, wo er sich eben befand und welches wir erraten sollten. Hieraus möchte man schließen, dass er ein trockner, unteilnehmender, in Äußerlichkeiten befangener Mensch sei und bleibe; auch war er im Gespräch zum Eingreifen an allgemeinen, sittlichen Betrachtungen nicht aufgelegt, aber er besaß im stillen und geheimen einen wunderbar feinen praktischen Takt des Guten und Bösen, des Löblichen und Unlöblichen, dass ich ihn weder gegen Ältere noch Jüngere, weder gegen Obere noch Untere jemals habe fehlen sehen. Aber diese angeborne Gewissenhaftigkeit, ungeregelt wie sie war, bildete sich im einzelnen zu grillenhafter Schwäche; er mochte sogar sich Pflichten erfinden, da wo sie nicht gefordert wurden, und sich ganz ohne Not irgendeinmal als Schuldner bekennen.

Nach seinem ganzen Reiseverfahren, besonders aber nach den Vorbereitungen zu seiner Wiederkunft glaube ich zu entdecken, dass er wähnt, früher ein weibliches Wesen unseres Kreises verletzt zu haben, deren Schicksal ihn jetzt beunruhigt, wovon er sich befreit und erlöst fühlen würde, sobald er vernehmen könnte, dass es ihr wohl gehe, und das Weitere wird Angela mit Ihnen besprechen. Nehmen Sie gegenwärtigen Brief und bereiten unsrer Familie ein glückliches Zusammenfinden. Aufrichtig gestanden: Ich wünschte ihn auf dieser Erde nochmals zu sehen und im Abscheiden ihn herzlich zu segnen.“

 
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Kapitel 11

Das nussbraune Mädchen

Nachdem Wilhelm seinen Auftrag umständlich und genau ausgerichtet, versetzte Lenardo mit einem Lächeln: „So sehr ich Ihnen verbunden bin für das, was ich durch Sie erfahre, so muss ich doch noch eine Frage hinzufügen. Hat Ihnen die Tante nicht am Schluss noch anempfohlen, mir eine unbedeutend scheinende Sache zu berichten?“ Der andere besann sich einen Augenblick. „Ja“, sagte er darauf, „ich entsinne mich. Sie erwähnte eines Frauenzimmers, das sie Valerine nannte. Von dieser sollte ich Ihnen sagen, dass sie glücklich verheiratet sei und sich in einem wünschenswerten Zustand befinde.“

„Sie wälzen mir einen Stein vom Herzen“, versetzte Lenardo. „Ich gehe nun gern nach Hause zurück, weil ich nicht fürchten muss, dass die Erinnerung an dieses Mädchen mir an Ort und Stelle zum Vorwurf gereiche.“

„Es ziemt sich nicht für mich zu fragen, welch Verhältnis Sie zu ihr gehabt“, sagte Wilhelm; „genug, Sie können ruhig sein, wenn Sie auf irgendeine Weise an dem Schicksal des Mädchens teilnehmen.“

„Es ist das wunderlichste Verhältnis von der Welt“, sagte Lenardo; „keineswegs ein Liebesverhältnis, wie man sich’s denken könnte. Ich darf Ihnen wohl vertrauen und erzählen, was eigentlich keine Geschichte ist. Was müssen Sie aber denken, wenn ich Ihnen sage, dass mein zauderndes Zurückreisen, dass die Furcht, in unsere Wohnung zurückzukehren, dass diese seltsamen Anstalten und Fragen, wie es bei uns aussehe, eigentlich nur zur Absicht haben, nebenher zu erfahren, wie es mit diesem Kind stehe.

Denn glauben Sie“, fuhr er fort, „ich weiß übrigens sehr gut, dass man Menschen, die man kennt, auf geraume Zeit verlassen kann, ohne sie verändert wieder zu finden; und so denke ich auch bei den Meinigen bald wieder völlig zu Hause zu sein. Um dies einzige Wesen war es mir zu tun, dessen Zustand sich verändern musste und sich, Dank sei es dem Himmel, ins Bessere verändert hat.“

„Sie machen mich neugierig“, sagte Wilhelm. „Sie lassen mich etwas ganz Besonderes erwarten.“

„Ich halte es wenigstens dafür“, versetzte Lenardo und fing seine Erzählung folgendermaßen an:

„Die herkömmliche Kreisfahrt durch das gesittete Europa in meinen Jünglingsjahren zu bestehen, war ein fester Vorsatz, den ich von Jugend auf hegte, dessen Ausführung aber von Zeit zu Zeit, wie es zu gehen pflegt, verzögerte. Das Nächste zog mich an, hielt mich fest, und das Entfernte verlor immer mehr seinen Reiz, je mehr ich davon las oder erzählen hörte. Doch endlich, angetrieben durch meinen Oheim, angelockt durch Freunde, die sich vor mir in die Welt hinausbegeben hatten, ward der Entschluss gefasst, und zwar geschwinder, ehe wir es uns alle versahen.

Mein Oheim, der eigentlich das Beste dazu tun musste, um die Reise möglich zu machen, hatte sogleich kein anderes Augenmerk. Sie kennen ihn und seine Eigenheit, wie er immer nur auf eines losgeht und das erst zustande bringt und inzwischen alles andere ruhen und schweigen muss, wodurch er denn freilich vieles geleistet hat, was über die Kräfte eines Partikuliers zu gehen scheint. Diese Reise kam ihm einigermaßen unerwartet; doch wusste er sich sogleich zu fassen. Einige Bauten, die er unternommen, ja sogar angefangen hatte, wurden eingestellt, und weil er sein Erspartes niemals angreifen will, so sah er sich als ein kluger Finanzmann nach andern Mitteln um. Das Nächste war, ausstehende Schulden, besonders Pachtreste, einzukassieren; denn auch dieses gehörte mit zu seiner Art und Weise, dass er gegen Schuldner nachsichtig war, solange er bis auf einen gewissen Grad selbst nichts bedurfte. Sein Geschäftsmann erhielt die Liste; diesem war die Ausführung überlassen. Vom einzelnen erfuhren wir nichts; nur hörte ich im Vorbeigehen, dass der Pächter eines unserer Güter, mit dem der Oheim lange Geduld gehabt hatte, endlich wirklich ausgetrieben, seine Kaution zu kärglichem Ersatz des Ausfalls innebehalten und das Gut anderweit verpachtet werden sollte. Es war dieser Mann von Art der ‚Stillen im Land’, aber nicht, wie seinesgleichen, dabei klug und tätig; wegen seiner Frömmigkeit und Güte zwar geliebt, doch wegen seiner Schwäche als Haushalter gescholten. Nach seiner Frauen Tod war eine Tochter, die man nur das nussbraune Mädchen nannte, ob sie schon rüstig und entschlossen zu werden versprach, doch viel zu jung, um entschieden einzugreifen; genug, es ging mit dem Mann rückwärts, ohne dass die Nachsicht des Onkels sein Schicksal hätte aufhalten können.

Ich hatte meine Reise im Sinn, und die Mittel dazu musst’ ich billigen. Alles war bereit, das Packen und Loslösen ging an, die Augenblicke drängten sich. Eines Abends durchstrich ich noch einmal den Park, um Abschied von den bekannten Bäumen und Sträuchern zu nehmen, als mir auf einmal Valerine in den Weg trat; denn so hieß das Mädchen; das andere war nur ein Scherzname, durch ihre bräunliche Gesichtsfarbe veranlasst. Sie trat mit in den Weg.“

Lenardo hielt einen Augenblick nachdenkend inne. „Wie ist mir denn?“, sagte er, „hieß sie auch Valerine? Ja doch“, fuhr er fort, „doch war der Scherzname gewöhnlicher. Genug, das braune Mädchen trat mir in den Weg und bat mich dringend, für ihren Vater, für sie ein gutes Wort bei meinem Oheim einzulegen. Da ich wusste, wie die Sache stand, und ich wohl sah, dass es schwer, ja unmöglich sein würde, in diesem Augenblick etwas für sie zu tun, so sagte ich’s ihr aufrichtig und setzte die eigne Schuld ihres Vaters in ein ungünstiges Licht.

Sie antwortete mir darauf mit so viel Klarheit und zugleich mit so viel kindlicher Schonung und Liebe, dass sie mich ganz für sich einnahm und dass ich, wäre es meine eigene Kasse gewesen, sie sogleich durch Gewährung ihrer Bitte glücklich gemacht hätte. Nun waren es aber die Einkünfte meines Oheims; es waren seine Anstalten, seine Befehle; bei seiner Denkweise, bei dem, was bisher schon geschehen, war nichts zu hoffen. Von jeher hielt ich ein Versprechen hochheilig. Wer etwas von mir verlangte, setzte mich in Verlegenheit. Ich hatte mir es so angewöhnt, abzuschlagen, dass ich sogar das nicht versprach, was ich zu halten gedachte. Diese Gewohnheit kam mir auch diesmal zustatten. Ihre Gründe ruhten auf Individualität und Neigung, die meinigen auf Pflicht und Verstand, und ich leugne nicht, dass sie mir am Ende selbst zu hart vorkamen. Wir hatten schon einige Mal dasselbe wiederholt, ohne einander zu überzeugen, als die Not sie beredter machte, ein unvermeidlicher Untergang, den sie vor sich sah, ihr Tränen aus den Augen presste. Ihr gefasstes Wesen verließ sie nicht ganz; aber sie sprach lebhaft, mit Bewegung, und indem ich immer noch Kälte und Gelassenheit heuchelte, kehrte sich ihr ganzes Gemüt nach außen. Ich wünschte die Szene zu endigen; aber auf einmal lag sie zu meinen Füßen, hatte meine Hand gefasst, geküsst, und sah so gut, so liebenswürdig flehend zu mir herauf, dass ich mir in dem Augenblick meiner selbst nicht bewusst war. Schnell sagte ich, indem ich sie aufhob: ‚Ich will das Mögliche tun, beruhige dich, mein Kind!’, und so wandte ich mich nach einem Seitenweg. ‚Tun Sie das Unmögliche!’, rief sie mir nach. – Ich weiß nicht mehr, was ich sagen wollte, aber ich sagte: ‚Ich will’, und stockte. ‚Tun Sie’s!’, rief sie auf einmal erheitert, mit einem Ausdruck von himmlischer Hoffnung. Ich grüßte sie und eilte fort.

Den Oheim wollte ich nicht zuerst angehen; denn ich kannte ihn nur zu gut, dass man ihn an das Einzelne nicht erinnern durfte, wenn er sich das Ganze vorgesetzt hatte. Ich suchte den Geschäftsträger; er war weg geritten; Gäste kamen den Abend, Freunde, die Abschied nehmen wollten. Man spielte, man speiste bis tief in die Nacht. Sie blieben den andern Tag, und die Zerstreuung vermischte jenes Bild der dringend Bittenden. Der Geschäftsträger kam zurück, er war geschäftiger und überdrängter als nie. Jedermann fragte nach ihm. Er hatte nicht Zeit, mich zu hören, doch machte ich einen Versuch, ihn festzuhalten; allein kaum hatte ich jenen frommen Pächter genannt, so wies er mich mit Lebhaftigkeit zurück: ‚Sagen Sie dem Onkel um Gottes willen davon nichts, wenn Sie zuletzt nicht noch Verdruss haben wollen.’ – Der Tag meiner Abreise war festgesetzt; ich hatte Briefe zu schreiben, Gäste zu empfangen, Besuche in der Nachbarschaft abzulegen. Meine Leute waren zu meiner bisherigen Bedienung hinreichend, keineswegs aber gewandt, das Geschäft der Abreise zu erleichtern. Alles lag auf mir; und doch, als mir der Geschäftsmann zuletzt in der Nacht eine Stunde gab, um unsere Geldangelegenheiten zu ordnen, wagte ich nochmals, für Valerines Vater zu bitten.

‚Lieber Baron’, sagte der bewegliche Mann, ‚wie kann Ihnen nur so etwas einfallen? Ich habe heute ohnehin mit Ihrem Oheim einen schweren Stand gehabt; denn was Sie nötig haben, um sich hier loszumachen, beläuft sich weit höher, als wir glaubten. Dies ist zwar ganz natürlich, aber doch beschwerlich. Besonders hat der alte Herr keine Freude, wenn die Sache abgetan scheint und noch manches hinten nachhinkt; das ist nun aber oft so, und wir andern müssen es ausbaden. Über die Strenge, womit die ausstehenden Schulden eingetrieben werden sollen, hat er sich selbst ein Gesetz gemacht; er ist darüber mit sich einig, und man möchte ihn wohl schwer zur Nachgiebigkeit bewegen. Tun Sie es nicht, ich bitte Sie! Es ist ganz vergebens.’

Ich ließ mich mit meinem Gesuch zurückschrecken, jedoch nicht ganz. Ich drang in ihn, da doch die Ausführung von ihm abhänge, gelind und billig zu verfahren. Er versprach alles, nach Art solcher Personen, um für den Augenblick in Ruhe zu kommen. Er ward mich los; der Drang, die Zerstreuung wuchs! Ich saß im Wagen und kehrte jedem Anteil, den ich zu Hause haben konnte, den Rücken.

Ein lebhafter Eindruck ist wie eine andere Wunde; man fühlt sie nicht, indem man sie empfängt. Erst später fängt sie an zu schmerzen und zu eitern. Mir ging es so mit jener Begebenheit im Garten. Sooft ich einsam, sooft ich unbeschäftigt war, trat mir jenes Bild des flehenden Mädchens, mit der ganzen Umgebung, mit jedem Baum und Strauch, dem Platz, wo sie kniete, dem Weg, den ich einschlug, mich von ihr zu entfernen, das Ganze zusammen wie ein frisches Bild vor die Seele. Es war ein unauslöschlicher Eindruck, der wohl von andern Bildern und Teilnahmen beschattet, verdeckt, aber niemals getilgt werden konnte. Immer erneut trat er in jeder stillen Stunde hervor, und je länger es währte, desto schmerzlicher fühlte ich die Schuld, die ich gegen meine Grundsätze, meine Gewohnheit auf mich geladen hatte, obgleich nicht ausdrücklich, nur stotternd, zum ersten Mal in solchem Fall verlegen.

Ich verfehlte nicht, in den ersten Briefen unsern Geschäftsmann zu fragen, wie die Sache gegangen. Er antwortete dilatorisch. Dann setzte er aus, diesen Punkt zu erwidern; dann waren seine Worte zweideutig, zuletzt schwieg er ganz. Die Entfernung wuchs, mehr Gegenstände traten zwischen mich und meine Heimat; ich ward zu manchen Beobachtungen, mancher Teilnahme aufgefordert; das Bild verschwand, das Mädchen fast bis auf den Namen. Seltener trat ihr Andenken hervor, und meine Grille, mich nicht durch Briefe, nur durch Zeichen mit den Meinigen zu unterhalten, trug viel dazu bei, meinen frühern Zustand mit allen seinen Bedingungen beinahe verschwinden zu machen. Nur jetzt, da ich mich dem Haus nähere, da ich meiner Familie, was sie bisher entbehrt, mit Zinsen zu erstatten gedenke, jetzt überfällt mich diese wunderliche Reue – ich muss sie selbst wunderlich nennen – wieder mit aller Gewalt. Die Gestalt des Mädchens frischt sich auf mit den Gestalten der Meinigen, und ich fürchte nichts mehr, als zu vernehmen, sie sei in dem Unglück, in das ich sie gestoßen, zugrunde gegangen; denn mir schien mein Unterlassen ein Handeln zu ihrem Verderben, eine Förderung ihres traurigen Schicksals. Schon tausendmal habe ich mir gesagt, dass dieses Gefühl im Grunde nur eine Schwachheit sei, dass ich früh zu jenem Gesetz, nie zu versprechen, nur aus Furcht der Reue, nicht aus einer edlern Empfindung getrieben worden. Und nun scheint sich eben die Reue, die ich geflohen, an mir zu rächen, indem sie diesen Fall statt tausend ergreift, um mich zu peinigen. Dabei ist das Bild, die Vorstellung, die mich quält, so angenehm, so liebenswürdig, dass ich gern dabei verweile. Und denke ich daran, so scheint der Kuss, den sie auf meine Hand gedrückt, mich noch zu brennen.“

Lenardo schwieg, und Wilhelm versetzte schnell und fröhlich: „So hätte ich Ihnen denn keinen größern Dienst erzeigen können als durch den Nachsatz meines Vortrags, wie manchmal in einem Postskript das Interessanteste des Briefes enthalten sein kann. Zwar weiß ich nur wenig von Valerine, denn ich erfuhr von ihr nur im Vorbeigehen; aber gewiss ist sie die Gattin eines wohlhabenden Gutsbesitzers und lebt vergnügt, wie mir die Tante noch beim Abschied versicherte.“

„Schön“, sagte Lenardo, „nun hält mich nichts ab. Sie haben mich absolviert, und wir wollen sogleich zu den Meinigen, die mich ohnehin länger, als billig ist, erwarten.“ Wilhelm erwiderte darauf. „Leider kann ich Sie nicht begleiten; denn eine sonderbare Verpflichtung liegt mir ob, nirgends länger als drei Tage zu verweilen und die Orte, die ich verlasse, in einem Jahr nicht wieder zu betreten. Verzeihen Sie, wenn ich den Grund dieser Sonderbarkeit nicht aussprechen darf.“

„Es tut mir sehr leid“, sagte Lenardo, „dass wir Sie so bald verlieren, dass ich nicht auch etwas für Sie mitwirken kann. Doch da Sie einmal auf dem Weg sind, mir wohl zu tun, so können Sie mich sehr glücklich machen, wenn Sie Valerine besuchten, sich von ihrem Zustand genau unterrichteten und mir alsdann schriftlich oder mündlich – der dritte Ort einer Zusammenkunft wird sich schon finden – zu meiner Beruhigung ausführliche Nachricht erteilten.“

Dieser Vorschlag wurde weiter besprochen; Valerines Aufenthalt hatte man Wilhelm genannt. Er übernahm es, sie zu besuchen; ein dritter Ort wurde festgesetzt, wohin der Baron kommen und auch den Felix mitbringen sollte, der indessen bei den Frauenzimmern zurückgeblieben war.

Lenardo und Wilhelm hatten ihren Weg, nebeneinander reitend, auf angenehmen Wiesen unter mancherlei Gesprächen eine Zeitlang fortgesetzt, als sie sich nunmehr der Fahrstraße näherten und den Wagen des Barons einholten, der, von seinem Herrn begleitet, die Heimat wieder finden sollte. Hier wollten die Freunde sich trennen, und Wilhelm nahm mit wenigen, freundlichen Worten Abschied und versprach dem Baron nochmals baldige Nachricht von Valerine.

„Wenn ich bedenke“, versetzte Lenardo, „dass es nur ein kleiner Umweg wäre, wenn ich Sie begleitete, warum sollte ich Valerine nicht selbst aufsuchen? Warum nicht selbst von ihrem glücklichen Zustand mich überzeugen? Sie waren so freundlich, sich zum Boten anzubieten; warum wollten Sie nicht mein Begleiter sein? Denn einen Begleiter muss ich haben, einen sittlichen Beistand, wie man sich rechtliche Beistände nimmt, wenn man dem Gerichtshandel nicht ganz gewachsen zu sein glaubt.“

Die Einreden Wilhelms, dass man zu Hause den so lange Abwesenden erwarte, dass es einen sonderbaren Eindruck machen möchte, wenn der Wagen allein käme, und was dergleichen mehr war, vermochten nichts über Lenardo, und Wilhelm musste sich zuletzt entschließen, den Begleiter abzugeben, wobei ihm wegen der zu fürchtenden Folgen nicht wohl zumute war.

Die Bedienten wurden daher unterrichtet, was sie bei der Ankunft sagen sollten, und die Freunde schlugen nunmehr den Weg ein, der zu Valerines Wohnort führte. Die Gegend schien reich und fruchtbar und der wahre Sitz des Landbaues. So war denn auch in dem Bezirk, welcher Valerines Gatten gehörte, der Boden durchaus gut und mit Sorgfalt bestellt. Wilhelm hatte Zeit, die Landschaft genau zu betrachten, indem Lenardo schweigend neben ihm ritt. Endlich fing dieser an: „Ein anderer an meiner Stelle würde sich vielleicht Valerine unerkannt zu nähern suchen; denn es ist immer ein peinliches Gefühl, vor die Augen derjenigen zu treten, die man verletzt hat; aber ich will das lieber übernehmen und den Vorwurf ertragen, den ich von ihren ersten Blicken befürchte, als dass ich mich durch Vermummung und Unwahrheit davor sicherstelle. Unwahrheit kann uns ebenso sehr in Verlegenheit setzen als Wahrheit; und wenn wir abwägen, wie oft uns diese oder jene nutzt, so möchte es doch immer der Mühe wert sein, sich ein für allemal dem Wahren zu ergeben. Lassen Sie uns also getrost vorwärts gehen; ich will mich nennen und Sie als meinen Freund und Gefährten einführen.“

Nun waren sie an den Gutshof gekommen und stiegen in dem Bezirk desselben ab. Ein ansehnlicher Mann, einfach gekleidet, den sie für einen Pächter halten konnten, trat ihnen entgegen und kündigte sich als Herrn des Hauses an. Lenardo nannte sich, und der Besitzer schien höchst erfreut, ihn zu sehen und kennen zu lernen. „Was wird meine Frau sagen“, rief er aus, „wenn sie den Neffen ihres Wohltäters wieder sieht! Nicht genug kann sie erwähnen und erzählen, was sie und ihr Vater Ihrem Oheim schuldig ist.“

Welche sonderbare Betrachtungen kreuzten sich schnell in Lenardos Geist. „Versteckt dieser Mann, der so redlich aussieht, seine Bitterkeit hinter ein freundlich Gesicht und glatte Worte? Ist er imstande, seinen Vorwürfen eine so gefällige Außenseite zu geben? Denn hat mein Oheim nicht diese Familie unglücklich gemacht? Und kann es ihm unbekannt geblieben sein? Oder“, so dachte er sich’s mit schneller Hoffnung, „ist die Sache nicht so übel geworden, als du denkst? Denn eine ganz bestimmte Nachricht hast du ja doch niemals gehabt.“ Solche Vermutungen wechselten hin und her, indem der Hausherr anspannen ließ, um seine Gattin holen zu lassen, die in der Nachbarschaft einen Besuch machte.

„Wenn ich Sie indessen, bis meine Frau kommt, auf meine Weise unterhalten und zugleich meine Geschäfte fortsetzen darf, so machen Sie einige Schritte mit mir aufs Feld und sehen sich um, wie ich meine Wirtschaft betreibe; denn gewiss ist Ihnen, als einem großen Gutsbesitzer, nichts angelegener als die edle Wissenschaft, die edle Kunst des Feldbaues.“ Lenardo widersprach nicht; Wilhelm unterrichtete sich gern; und der Landmann hatte seinen Grund und Boden, den er unumschränkt besaß und beherrschte, vollkommen gut inne; was er vornahm, war der Absicht gemäß; was er säte und pflanzte, durchaus am rechten Ort; er wusste die Behandlung und die Ursachen derselben so deutlich anzugeben, dass es ein jeder begriff und für möglich gehalten hätte, dasselbe zu tun und zu leisten: Ein Wahn, in den man leicht verfällt, wenn man einem Meister zusieht, dem alles bequem von der Hand geht.

Die Fremden erzeigten sich sehr zufrieden und konnten nichts als Lob und Billigung erteilen. Er nahm es dankbar und freundlich auf, fügte jedoch hinzu: „Nun muss ich Ihnen aber auch meine schwache Seite zeigen, die freilich an jedem zu bemerken ist, der sich einem Gegenstand ausschließlich ergibt.“ Er führte sie auf seinen Hof, zeigte ihnen seine Werkzeuge, den Vorrat derselben sowie den Vorrat von allem erdenklichen Gerät und dessen Zubehör. „Man tadelte mich oft“, sagte er dabei, „dass ich hierin zu weit gehe; allein ich kann mich deshalb nicht schelten. Glücklich ist der, dem sein Geschäft auch zur Puppe wird, der mit demselbigen zuletzt noch spielt und sich an dem ergötzt, was ihm sein Zustand zur Pflicht macht.“

Die beiden Freunde ließen es an Fragen und Erkundigungen nicht fehlen. Besonders erfreute sich Wilhelm an den allgemeinen Bemerkungen, zu denen dieser Mann aufgelegt schien, und verfehlte nicht, sie zu erwidern; indessen Lenardo, mehr in sich gekehrt, an dem Glück Valerines, das er in diesem Zustand für gewiss hielt, stillen Teil nahm, obgleich mit einem leisen Gefühl von Unbehagen, von dem er sich keine Rechenschaft zu geben wusste.

Man war schon ins Haus zurückgekehrt, als der Wagen der Besitzerin vorfuhr. Man eilte ihr entgegen; aber wie erstaunte, wie erschrak Lenardo, als er sie aussteigen sah. Sie war es nicht, es war das nussbraune Mädchen nicht, vielmehr gerade das Gegenteil; zwar auch eine schöne, schlanke Gestalt, aber blond, mit allen Vorteilen, die Blondinen eigen sind.

Diese Schönheit, diese Anmut erschreckte Lenardo. Seine Augen hatten das braune Mädchen gesucht; nun leuchtete ihm ein ganz anderes entgegen. Auch dieser Züge erinnerte er sich; ihre Anrede, ihr Betragen versetzten ihn bald aus jeder Ungewissheit: Es war die Tochter des Gerichtshalters, der bei dem Oheim in großem Ansehen stand, deshalb denn auch dieser bei der Ausstattung sehr viel getan und dem neuen Paar behilflich gewesen. Dies alles und mehr noch wurde von der jungen Frau zum Antrittsgruße fröhlich erzählt, mit einer Freude, wie sie die Überraschung eines Wiedersehens ungezwungen äußern lässt. Ob man sich wieder erkenne, wurde gefragt; die Veränderungen der Gestalt wurden beredet, welche merklich genug bei Personen dieses Alters gefunden werden. Valerine war immer angenehm, dann aber höchst liebenswürdig, wenn Fröhlichkeit sie aus dem gewöhnlichen, gleichgültigen Zustand herausriss. Die Gesellschaft ward gesprächig und die Unterhaltung so lebhaft, dass Lenardo sich fassen und seine Bestürzung verbergen konnte. Wilhelm, dem der Freund geschwind genug von diesem seltsamen Ereignis einen Wink gegeben hatte, tat sein mögliches, um diesem beizustehen; und Valerines kleine Eitelkeit, dass der Baron, noch ehe er die Seinigen gesehen, sich ihrer erinnert, bei ihr eingekehrt sei, ließ sie auch nicht den mindesten Verdacht schöpfen, dass hier eine andere Absicht oder ein Missgriff obwalte.

Man blieb bis tief in die Nacht beisammen, obgleich beide Freunde nach einem vertraulichen Gespräch sich sehnten, das denn auch sogleich begann, als sie sich in dem Gastzimmer allein sahen.

„Ich soll, so scheint es“, sagte Lenardo, „meine Qual nicht loswerden. Eine unglückliche Verwechslung des Namens, merke ich, verdoppelt sie. Diese blonde Schönheit habe ich oft mit jener Braunen, die man keine Schönheit nennen durfte, spielen sehen; ja ich trieb mich selbst mit ihnen, obgleich so vieles älter, in den Feldern und Gärten herum. Beide machten nicht den geringsten Eindruck auf mich; ich habe nur den Namen der einen behalten und ihn der andern beigelegt. Nun finde ich die, die mich nichts angeht, nach ihrer Weise über die Maßen glücklich, indessen die andere, wer weiß wohin, in die Welt geworfen ist.“

Den folgenden Morgen waren die Freunde beinahe früher auf als die tätigen Landleute. Das Vergnügen, ihre Gäste zu sehen, hatte Valerine gleichfalls zeitig geweckt. Sie ahnte nicht, mit welchen Gesinnungen sie zum Frühstück kamen. Wilhelm, der wohl einsah, dass ohne Nachricht von dem nussbraunen Mädchen Lenardo sich in der peinlichsten Lage befinde, brachte das Gespräch auf frühere Zeiten, auf Gespielen, aufs Lokal, das er selbst kannte, auf andere Erinnerungen, so dass Valerine zuletzt ganz natürlich darauf kam, des nussbraunen Mädchens zu erwähnen und ihren Namen auszusprechen.

Kaum hatte Lenardo den Namen Nachodine gehört, so entsann er sich dessen vollkommen; aber auch mit dem Namen kehrte das Bild jener Bittenden zurück, mit einer solchen Gewalt, dass ihm das Weitere ganz unerträglich fiel, als Valerine mit warmem Anteil die Auspfändung des frommen Pächters, seine Resignation und seinen Auszug erzählte, und wie er sich auf seine Tochter gelehnt, die ein kleines Bündel getragen. Lenardo glaubte zu versinken. Unglücklicher- und glücklicherweise erging sich Valerine in einer gewissen Umständlichkeit, die Lenardo das Herz zerreißend, ihm dennoch möglich machte, mit Beihilfe seines Gefährten einige Fassung zu zeigen.

Man schied unter vollen, aufrichtigen Bitten des Ehepaars um baldige Wiederkunft und einer halben, geheuchelten Zusage beider Gäste. Und wie dem Menschen, der sich selbst was Gutes gönnt, alles zum Glück schlägt, so legte Valerine zuletzt das Schweigen Lenardos, seine sichtbare Zerstreuung beim Abschied, sein hastiges Wegeilen zu ihrem Vorteil aus und konnte sich, obgleich treue und liebevolle Gattin eines wackern Landmanns, doch nicht enthalten, an einer wieder aufwachenden oder neu entstehenden Neigung, wie sie sich’s auslegte, ihres ehemaligen Gutsherrn einiges Behagen zu finden.

Nach diesem sonderbaren Ereignis sagte Lenardo: „Dass wir, bei so schönen Hoffnungen, ganz nahe vor dem Hafen scheitern, darüber kann ich mich nur einigermaßen trösten, mich nur für den Augenblick beruhigen und den Meinen entgegengehen, wenn ich betrachte, dass der Himmel Sie mir zugeführt hat, Sie, dem es bei seiner eigentümlichen Sendung gleichgültig ist, wohin und wozu er seinen Weg richtet. Nehmen Sie es über sich, Nachodine aufzusuchen und mir Nachricht von ihr zu geben. Ist sie glücklich, so bin ich zufrieden; ist sie unglücklich, so helfen Sie ihr auf meine Kosten. Handeln Sie ohne Rücksichten, sparen, schonen Sie nichts.“

„Nach welcher Weltgegend aber“, sagte Wilhelm lächelnd, „hab’ ich denn meine Schritte zu richten? Wenn Sie keine Ahnung haben, wie soll ich damit begabt sein?“

„Hören Sie!“, antwortete Lenardo, „in voriger Nacht, wo Sie mich als einen Verzweifelten rastlos auf und ab gehen sahen, wo ich leidenschaftlich in Kopf und Herzen alles durcheinander warf, da kam ein alter Freund mir vor den Geist, ein würdiger Mann, der, ohne mich eben zu hofmeistern, auf meine Jugend großen Einfluss gehabt hat. Gern hätt’ ich mir ihn, wenigstens teilweise, als Reisegefährten erbeten, wenn er nicht wundersam durch die schönsten kunst- und altertümlichen Seltenheiten an seine Wohnung geknüpft wäre, die er nur auf Augenblicke verlässt. Dieser, weiß ich, genießt einer ausgebreiteten Bekanntschaft mit allem, was in dieser Welt durch irgendeinen edlen Faden verbunden ist; zu ihm eilen Sie, ihm erzählen Sie, wie ich es vorgetragen, und es steht zu hoffen, dass ihm sein zartes Gefühl irgend einen Ort, eine Gegend andeuten werde, wo sie zu finden sein möchte. In meiner Bedrängnis fiel es mir ein, dass der Vater des Kindes sich zu den Frommen zählte, und ich ward im Augenblick fromm genug, mich an die moralische Weltordnung zu wenden und zu bitten: Sie möge sich hier zu meinen Gunsten einmal wunderbar gnädig offenbaren.“

„Noch eine Schwierigkeit“, versetzte Wilhelm, „bleibt jedoch zu lösen: Wo soll ich mit meinem Felix hin? Denn auf so ganz ungewissen Wegen möcht’ ich ihn nicht mit mir führen und ihn doch auch nicht gerne von mir lassen; denn mich dünkt, der Sohn entwickelt sich nirgends besser als in Gegenwart des Vaters.“

„Keineswegs!“, erwiderte Lenardo, „dies ist ein holder väterlicher Irrtum: Der Vater behält immer eine Art von despotischem Verhältnis zu dem Sohn, dessen Tugenden er nicht anerkennt und an dessen Fehlern er sich freut; deswegen die Alten schon zu sagen pflegten, der Helden Söhne werden Taugenichtse, und ich habe mich weit genug in der Welt umgesehen, um hierüber ins klare zu kommen. Glücklicherweise wird unser alter Freund, an den ich Ihnen sogleich ein eiliges Schreiben verfasse, auch hierüber die beste Auskunft geben. Als ich ihn vor Jahren das letzte Mal sah, erzählte er mir gar manches von einer pädagogischen Verbindung, die ich nur für eine Art von Utopien halten konnte; es schien mir, als sei, unter dem Bild der Wirklichkeit, eine Reihe von Ideen, Gedanken, Vorschlägen und Vorsätzen gemeint, die freilich zusammenhingen, aber in dem gewöhnlichen Lauf der Dinge wohl schwerlich zusammentreffen möchten. Weil ich ihn aber kenne, weil er gern durch Bilder das Mögliche und Unmögliche verwirklichen mag, so ließ ich es gut sein, und nun kommt es uns zugute; er weiß gewiss Ihnen Ort und Umstände zu bezeichnen, wie Sie Ihren Knaben getrost vertrauen und von einer weisen Leitung das Beste hoffen können.“

Im Dahinreiten sich auf diese Weise unterhaltend, erblickten sie eine edle Villa, die Gebäude im ernst-freundlichen Geschmack, freien Vorraum und in weiter, würdiger Umgebung wohl bestandene Bäume; Türen und Schalter aber durchaus verschlossen, alles einsam, doch wohl erhalten anzusehen. Von einem ältlichen Mann, der sich am Eingang zu beschäftigen schien, erfuhren sie: Dies sei das Erbteil eines jungen Mannes, dem es von seinem in hohem Alter erst kurz verstorbenen Vater soeben hinterlassen worden.

Auf weiteres Befragen wurden sie belehrt: dem Erben sei hier leider alles zu fertig, er habe hier nichts mehr zu tun und das Vorhandene zu genießen, sei gerade nicht seine Sache; deswegen er sich denn ein Lokal näher am Gebirge ausgesucht, wo er für sich und seine Gesellen Mooshütten baue und eine Art von jägerischer Einsiedelei anlegen wolle. Was den Berichtenden selbst betraf, vernahmen sie, er sei der mit geerbte Kastellan, sorge aufs genaueste für Erhaltung und Reinlichkeit, damit irgendein Enkel, in die Neigung und Besitzung des Großvaters eingreifend, alles finde, wie dieser es verlassen hat.

Nachdem sie ihren Weg einige Zeit stillschweigend fortgesetzt, begann Lenardo mit der Betrachtung, dass es die Eigenheit des Menschen sei, von vorn anfangen zu wollen; worauf der Freund erwiderte, dies lasse sich wohl erklären und entschuldigen, weil doch, genau genommen, jeder wirklich von vorn anfängt. „Sind doch“, rief er aus, „keinem die Leiden erlassen, von denen seine Vorfahren gepeinigt wurden; kann man ihm verdenken, dass er von ihren Freuden nichts wissen will?“

Lenardo versetzte hierauf: „Sie ermutigen mich, zu gestehen, dass ich eigentlich auf nichts gerne wirken mag als auf das, was ich selbst geschaffen habe. Niemals mocht’ ich einen Diener, den ich nicht vom Knaben heraufgebildet, kein Pferd, das ich nicht selbst zugeritten. In Gefolg dieser Sinnesart will ich denn auch gern bekennen, dass ich unwiderstehlich nach uranfänglichen Zuständen hingezogen werde, dass meine Reisen durch alle hoch gebildeten Länder und Völker diese Gefühle nicht abstumpfen können, dass meine Einbildungskraft sich über dem Meer ein Behagen sucht, und dass ein bisher vernachlässigter Familienbesitz in jenen frischen Gegenden mich hoffen lässt, ein im stillen gefasster, meinen Wünschen gemäß nach und nach heranreifender Plan werde sich endlich ausführen lassen.“

„Dagegen wüsst’ ich nichts einzuwenden“, versetzte Wilhelm, „ein solcher Gedanke, ins Neue und Unbestimmte gewendet, hat etwas Eigenes, Großes. Nur bitt’ ich zu bedenken, dass ein solches Unternehmen nur einer Gesamtheit glücken kann. Sie gehen hinüber und finden dort schon Familienbesitzungen, wie ich weiß; die Meinigen hegen gleiche Pläne und haben sich dort schon angesiedelt; vereinigen Sie sich mit diesen umsichtigen, klugen und kräftigen Menschen: Für beide Teile muss sich dadurch das Geschäft erleichtern und erweitern.“

Unter solchen Gesprächen waren die Freunde an den Ort gelangt, wo sie nunmehr scheiden sollten. Beide setzten sich nieder, zu schreiben; Lenardo empfahl seinen Freund dem oben erwähnten, sonderbaren Mann, Wilhelm trug den Zustand seines neuen Lebensgenossen den Verbündeten vor, woraus, wie natürlich, ein Empfehlungsschreiben entstand; worin er zum Schluss auch seine mit Jarno besprochene Angelegenheit empfahl und die Gründe nochmals auseinandersetzte, warum er von der unbequemen Bedingung, die ihn zum ewigen Juden stempelte, baldmöglichst befreit zu sein wünsche.

Beim Auswechseln dieser Briefe jedoch konnte sich Wilhelm nicht erwehren, seinem Freund nochmals gewisse Bedenklichkeiten ans Herz zu legen.

„Ich halte es“, sprach er, „in meiner Lage für den wünschenswertesten Auftrag, Sie, edler Mann, von einer Gemütsunruhe zu befreien und zugleich ein menschliches Geschöpf aus dem Elend zu retten, wenn es sich darin befinden sollte. Ein solches Ziel kann man als einen Stern ansehen, nach dem man schifft, wenn man auch nicht weiß, was man unterwegs antreffen, unterwegs begegnen werde. Doch darf ich mir dabei die Gefahr nicht leugnen, in der Sie auf jeden Fall noch immer schweben. Wären Sie nicht ein Mann, der durchaus sein Wort zu geben ablehnt, ich würde von Ihnen das Versprechen verlangen, dieses weibliche Wesen, das Ihnen so teuer zu stehen kommt, nicht wieder zu sehen, sich zu begnügen, wenn ich Ihnen melde, dass es ihr wohl geht; es sei nun, dass ich sie wirklich glücklich finde oder ihr Glück zu befördern imstande bin. Da ich Sie aber zu einem Versprechen weder vermögen kann noch will, so beschwöre ich Sie bei allem, was Ihnen wert und heilig ist, sich und den Ihrigen und mir, dem neu erworbenen Freund, zuliebe keine Annäherung, es sei unter welchem Vorwand es wolle, zu jener Vermissten sich zu erlauben; von mir nicht zu verlangen, dass ich den Ort und die Stelle, wo ich sie finde, die Gegend, wo ich sie lasse, näher bezeichne oder gar ausspreche: Sie glauben meinem Wort, dass es ihr wohl geht und sind los gesprochen und beruhigt.“

Lenardo lächelte und versetzte: „Leisten Sie mir diesen Dienst, und ich werde dankbar sein. Was Sie tun wollen und können, sei Ihnen anheim gegeben, und mich überlassen Sie der Zeit, dem Verstand und wo möglich der Vernunft.“

„Verzeihen Sie“, versetzte Wilhelm, „wer jedoch weiß, unter welchen seltsamen Formen die Neigung sich bei uns einschleicht, dem muss es bange werden, wenn er voraussieht, ein Freund könne dasjenige wünschen, was ihm in seinen Zuständen, seinen Verhältnissen notwendig Unglück und Verwirrung bringen müsste.“

„Ich hoffe“, sagte Lenardo, „wenn ich das Mädchen glücklich weiß, bin ich sie los.“

Die Freunde schieden, jeder nach seiner Seite.

 
 * 

Kapitel 12

Auf einem kurzen und angenehmen Weg war Wilhelm nach der Stadt gekommen, wohin sein Brief lautete. Er fand sie heiter und wohl gebaut; allein ihr neues Ansehn zeigte nur allzu deutlich, dass sie kurz vorher durch den Brand müsse gelitten haben. Die Adresse seines Briefes führte ihn zu dem letzten, kleinen, verschonten Teil, an ein Haus von alter, ernster Bauart, doch wohl erhalten und reinlichen Ansehns. Trübe Fensterscheiben, wundersam gefügt, deuteten auf erfreuliche Farbenpracht von innen. Und so entsprach denn auch wirklich das Innere dem Äußern. In saubern Räumen zeigten sich überall Gerätschaften, die schon einigen Generationen mochten gedient haben, untermischt mit wenigem Neuen. Der Hausherr empfing ihn freundlich in einem gleich ausgestatteten Zimmer. Diese Uhren hatten schon mancher Geburts- und Sterbestunde geschlagen, und was umherstand, erinnerte, dass Vergangenheit auch in die Gegenwart übergehen könne.

Der Ankommende gab seinen Brief ab, den der Empfänger aber, ohne ihn zu eröffnen, beiseite legte und in einem heitern Gespräch seinen Gast unmittelbar kennen zu lernen suchte. Sie wurden bald vertraut, und als Wilhelm, gegen sonstige Gewohnheit, seine Blicke betrachtend im Zimmer umherschweifen ließ, sagte der gute Alte: „Meine Umgebung erregt Ihre Aufmerksamkeit. Sie sehen hier, wie lange etwas dauern kann, und man muss doch auch dergleichen sehen, zum Gegengewicht dessen, was in der Welt so schnell wechselt und sich verändert. Dieser Teekessel diente schon meinen Eltern und war ein Zeuge unserer abendlichen Familienversammlungen; dieser kupferne Kaminschirm schützt mich noch immer vor dem Feuer, das diese alte, mächtige Zange anschürt; und so geht es durch alles durch. Anteil und Tätigkeit konnt’ ich daher auf gar viele andere Gegenstände wenden, weil ich mich mit der Veränderung dieser äußern Bedürfnisse, die so vieler Menschen Zeit und Kräfte wegnimmt, nicht weiter beschäftigte. Eine liebevolle Aufmerksamkeit auf das, was der Mensch besitzt, macht ihn reich, indem er sich einen Schatz der Erinnerung an gleichgültigen Dingen dadurch anhäuft. Ich habe einen jungen Mann gekannt, der eine Stecknadel dem geliebten Mädchen, Abschied nehmend, entwendete, den Busenstreif täglich damit zusteckte und diesen gehegten und gepflegten Schatz von einer großen, mehrjährigen Fahrt wieder zurückbrachte. Uns andern kleinen Menschen ist dies wohl als eine Tugend anzurechnen.“

„Mancher bringt wohl auch“, versetzte Wilhelm, „von einer so weiten, großen Reise einen Stachel im Herzen mit zurück, den er vielleicht lieber los wäre.“ Der Alte schien von Lenardos Zustand nichts zu wissen, ob er gleich den Brief inzwischen erbrochen und gelesen hatte, denn er ging zu den vorigen Betrachtungen wieder zurück. „Die Beharrlichkeit auf dem Besitz“, fuhr er fort, „gibt uns in manchen Fällen die größte Energie. Diesem Eigensinn bin ich die Rettung meines Hauses schuldig. Als die Stadt brannte, wollte man auch bei mir flüchten und retten. Ich verbot’s, befahl, Fenster und Türen zu schließen, und wandte mich mit mehreren Nachbarn gegen die Flamme. Unserer Anstrengung gelang es, diesen Zipfel der Stadt aufrecht zu erhalten. Den andern Morgen stand alles noch bei mir, wie Sie es sehen und wie es beinahe seit hundert Jahren gestanden hat.“ – „Mit allem dem“, sagte Wilhelm, „werden Sie mir gestehen, dass der Mensch der Veränderung nicht widersteht, welche die Zeit hervorbringt.“ – „Freilich“, sagte der Alte, „aber doch der am längsten sich erhält, hat auch etwas geleistet.

Ja sogar über unser Dasein hinaus sind wir fähig, zu erhalten und zu sichern; wir überliefern Kenntnisse, wir übertragen Gesinnungen so gut als Besitz, und da mir es nun vorzüglich um den letzten zu tun ist, so hab’ ich deshalb seit langer Zeit wunderliche Vorsicht gebraucht, auf ganz eigene Vorkehrungen gesonnen; nur spät aber ist mir’s gelungen, meinen Wunsch erfüllt zu sehen.

Gewöhnlich zerstreut der Sohn, was der Vater gesammelt hat, sammelt etwas anders, oder auf andere Weise. Kann man jedoch den Enkel, die neue Generation abwarten, so kommen dieselben Neigungen, dieselben Ansichten wieder zum Vorschein. Und so hab’ ich denn endlich, durch Sorgfalt unserer pädagogischen Freunde einen tüchtigen jungen Mann erworben, welcher womöglich noch mehr auf hergebrachten Besitz hält als ich selbst und eine heftige Neigung zu wunderlichen Dingen empfindet. Mein Zutrauen hat er entschieden durch die gewaltsamen Anstrengungen erworben, womit ihm das Feuer von unserer Wohnung abzuwehren gelang; doppelt und dreifach hat er den Schatz verdient, dessen Besitz ich ihm zu überlassen gedenke; ja er ist ihm schon übergeben, und seit der Zeit mehrt sich unser Vorrat auf eine wundersame Weise.

Nicht alles jedoch, was Sie hier sehen, ist unser. Vielmehr, wie Sie sonst bei Pfandinhabern manches fremde Juwel erblicken, so kann ich Ihnen bei uns Kostbarkeiten bezeichnen, die man, unter den verschiedensten Umständen besserer Aufbewahrung halber hier nieder gestellt.“ Wilhelm gedachte des herrlichen Kästchens, das er ohnehin nicht gern auf der Reise mit sich herumführen wollte, und enthielt sich nicht, es dem Freund zu zeigen. Der Alte betrachtete es mit Aufmerksamkeit, gab die Zeit an, wann es verfertigt sein könnte, und wies etwas Ähnliches vor. Wilhelm brachte zur Sprache: ob man es wohl eröffnen sollte. Der Alte war nicht der Meinung. „Ich glaube zwar, dass man es ohne sonderliche Beschädigung tun könne“, sagte er; „allein da Sie es durch einen so wunderbaren Zufall erhalten haben, so sollten Sie daran Ihr Glück prüfen. Denn wenn Sie glücklich geboren sind und wenn dieses Kästchen etwas bedeutet, so muss sich gelegentlich der Schlüssel dazu finden und gerade da, wo Sie ihn am wenigsten erwarten.“ – „Es gibt wohl solche Fälle“, versetzte Wilhelm. – „Ich habe selbst einige erlebt“, erwiderte der Alte, „und hier sehen Sie den merkwürdigsten vor sich. Von diesem elfenbeinernen Kruzifix besaß ich seit dreißig Jahren den Körper mit Haupt und Füßen aus einem Stück; der Gegenstand sowohl als die herrlichste Kunst ward sorgfältig in dem kostbarsten Lädchen aufbewahrt; vor ungefähr zehn Jahren erhielt ich das dazugehörige Kreuz mit der Inschrift, und ich ließ mich verführen, durch den geschicktesten Bildschnitzer unserer Zeit die Arme ansetzen zu lassen; aber wie weit war der Gute hinter seinem Vorgänger zurückgeblieben; doch es mochte stehen, mehr zu erbaulichen Betrachtungen als zu Bewunderung des Kunstfleißes.

Nun denken Sie mein Ergötzen! Vor kurzem erhalt’ ich die ersten, echten Arme, wie Sie solche zur lieblichsten Harmonie hier angefügt sehen, und ich, entzückt über ein so glückliches Zusammentreffen, enthalte mich nicht, die Schicksale der christlichen Religion hieran zu erkennen, die, oft genug zergliedert und zerstreut, sich doch endlich immer wieder am Kreuz zusammenfinden muss.“

Wilhelm bewunderte das Bild und die seltsame Fügung. „Ich werde Ihrem Rat folgen“, setzte er hinzu; „bleibe das Kästchen verschlossen, bis der Schlüssel sich findet, und wenn es bis ans Ende meines Lebens liegen sollte.“ – „Wer lange lebt“, sagte der Alte, „sieht manches versammelt und manches auseinander fallen.“

Der junge Besitzgenosse trat soeben herein, und Wilhelm erklärte seinen Vorsatz, das Kästchen ihrem Gewahrsam zu übergeben. Nun ward ein großes Buch herbeigeschafft, das anvertraute Gut eingeschrieben; mit manchen beobachteten Zeremonien und Bedingungen ein Empfangschein ausgestellt, der zwar auf jeden Vorzeigenden lautete, aber nur auf ein mit dem Empfänger verabredetes Zeichen honoriert werden sollte.

Als dieses alles vollbracht war, überlegte man den Inhalt des Briefes, zuerst sich über das Unterkommen des guten Felix beratend, wobei der alte Freund sich ohne weiteres zu einigen Maximen bekannte, welche der Erziehung zu Grunde liegen sollten.

„Allem Leben, allem Tun, aller Kunst muss das Handwerk vorausgehen, welches nur in der Beschränkung erworben wird. Eines recht wissen und ausüben gibt höhere Bildung als Halbheit im Hundertfältigen. Da, wo ich Sie hinweise, hat man alle Tätigkeiten gesondert; geprüft werden die Zöglinge auf jedem Schritt; dabei erkennt man, wo seine Natur eigentlich hinstrebt, ob er sich gleich mit zerstreuten Wünschen bald da, bald dorthin wendet. Weise Männer lassen den Knaben unter der Hand dasjenige finden, was ihm gemäß ist; sie verkürzen die Umwege, durch welche der Mensch von seiner Bestimmung nur allzu gefällig abirren mag.“

„Sodann“, fuhr er fort, „darf ich hoffen, aus jenem herrlich gegründeten Mittelpunkt wird man Sie auf den Weg leiten, wo jenes gute Mädchen zu finden ist, das einen so sonderbaren Eindruck auf Ihren Freund machte, der den Wert eines unschuldigen, unglücklichen Geschöpfes durch sittliches Gefühl und Betrachtung so hoch erhöht hat, dass er dessen Dasein zum Zweck und Ziel seines Lebens zu machen genötigt war. Ich hoffe, Sie werden ihn beruhigen können; denn die Vorsehung hat tausend Mittel, die Gefallenen zu erheben und die Niedergebeugten aufzurichten. Manchmal sieht unser Schicksal aus wie ein Fruchtbaum im Winter. Wer sollte bei dem traurigen Ansehn desselben wohl denken, dass diese starren Äste, diese zackigen Zweige im nächsten Frühjahr wieder grünen, blühen, sodann Früchte tragen könnten! Doch wir hoffen’s, wir wissen’s.“

 
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