Dritte Abteilung – Chemische Farben
So nennen wir diejenigen, welche wir an gewissen Körpern erregen, mehr oder weniger fixieren, an ihnen steigern, von ihnen wieder wegnehmen und andern Körpern mitteilen können, denen wir denn auch deshalb eine gewisse immanente Eigenschaft zuschreiben. Die Dauer ist meist ihr Kennzeichen.
487. In diesen Rücksichten bezeichnete man früher die chemischen Farben mit verschiedenen Beiwörtern. Sie hießen colores proprii, corporei, materiales, veri, permanentes, fixi.
488. Wie sich das Bewegliche und Vorübergehende der physischen Farben nach und nach an den Körpern fixiere, haben wir in dem Vorhergehenden bemerkt und den Übergang eingeleitet.
489. Die Farbe fixiert sich an den Körpern mehr oder weniger dauerhaft, oberflächlich oder durchdringend.
490. Alle Körper sind der Farbe fähig, entweder daß sie an ihnen erregt, gesteigert, stufenweise fixiert oder wenigstens ihnen mitgeteilt werden kann.
XXXIV. Chemischer Gegensatz
491. Indem wir bei Darstellung der farbigen Erscheinung auf einen Gegensatz durchaus aufmerksam zu machen Ursache hatten, so finden wir, indem wir den Boden der Chemie betreten, die chemischen Gegensätze uns auf eine bedeutende Weise begegnend. Wir sprechen hier zu unsern Zwecken nur von demjenigen, den man unter dem allgemeinen Namen von Säure und Alkali zu begreifen pflegt.
492. Wenn wir den chromatischen Gegensatz nach Anleitung aller übrigen physischen Gegensätze durch ein Mehr oder Weniger bezeichnen, der gelben Seite das Mehr, der blauen das Weniger zuschreiben, so schließen sich diese beiden Seiten nun auch in chemischen Fällen an die Seiten des chemisch Entgegengesetzten an. Das Gelb und Gelbrote widmet sich den Säuren, das Blau und Blaurote den Alkalien, und so lassen sich die Erscheinungen der chemischen Farben, freilich mit noch manchen andern eintretenden Betrachtungen, auf eine ziemlich einfache Weise durchfahren.
493. Da übrigens die Hauptphänomene der chemischen Farben bei Säuerungen der Metalle vorkommen, so sieht man, wie wichtig diese Betrachtung hier an der Spitze sei. Was übrigens noch weiter zu bedenken eintritt, werden wir unter einzelnen Rubriken näher bemerken, wobei wir jedoch ausdrücklich erklären, daß wir dem Chemiker nur im allgemeinsten vorzuarbeiten gedenken, ohne uns in irgendein Besondres, ohne uns in die zartern chemischen Aufgaben und Fragen mischen oder sie beantworten zu wollen. Unsre Absicht kann nur sein, eine Skizze zu geben, wie sich allenfalls nach unserer Überzeugung die chemische Farbenlehre an die allgemeine physische anschließen könnte.
XXXV. Ableitung des Weißen
494. Wir haben hiezu schon oben bei Gelegenheit der dioptrischen Farben der ersten Klasse (155 ff.) einige Schritte getan. Durchsichtige Körper stehen auf der höchsten Stufe unorganischer Materialität. Zunächst daran fügt sich die reine Trübe, und das Weiße kann als die vollendete reine Trübe angesehen werden.
495. Reines Wasser zu Schnee kristallisiert erscheint weiß, indem die Durchsichtigkeit der einzelnen Teile kein durchsichtiges Ganzes macht. Verschiedene Salzkristalle, denen das Kristallisationswasser entweicht, erscheinen als ein weißes Pulver. Man könnte den zufällig undurchsichtigen Zustand des rein Durchsichtigen Weiß nennen, so wie ein zermalmtes Glas als ein weißes Pulver erscheint. Man kann dabei die Aufhebung einer dynamischen Verbindung und die Darstellung der atomistischen Eigenschaft der Materie in Betracht ziehn.
496. Die bekannten unzerlegten Erden sind in ihrem reinen Zustand alle weiß. Sie gehn durch natürliche Kristallisation in Durchsichtigkeit über; Kieselerde in den Bergkristall, Tonerde in den Glimmer, Bittererde in den Talk, Kalkerde und Schwererde erscheinen in so mancherlei Späten durchsichtig.
497. Da uns bei Färbung mineralischer Körper die Metallkalke vorzüglich begegnen werden, so bemerken wir noch zum Schlusse, daß angehende gelinde Säurungen weiße Kalke darstellen, wie das Blei durch die Essigsäure in Bleiweiß verwandelt wird.
XXXVI. Ableitung des Schwarzen
498. Das Schwarze entspringt uns nicht so uranfänglich wie das Weiße. Wir treffen es im vegetabilischen Reiche bei Halbverbrennungen an, und die Kohle, der auch übrigens höchst merkwürdige Körper, zeigt uns die schwarze Farbe. Auch wenn Holz, zum Beispiel Bretter, durch Licht, Luft und Feuchtigkeit seines Brennlichen zum Teil beraubt wird, so erscheint erst die graue, dann die schwarze Farbe. Wie wir denn auch animalische Teile durch eine Halbverbrennung in Kohle verwandeln können.
499. Ebenso finden wir auch bei den Metallen, daß oft eine Halboxydation stattfindet, wenn die schwarze Farbe erregt werden soll. So werden durch schwache Säuerung mehrere Metalle, besonders das Eisen, schwarz, durch Essig, durch gelinde saure Gärungen, zum Beispiel eines Reisdekokts und so weiter.
500. Nicht weniger läßt sich vermuten, daß eine Ab- oder Rücksäuerung die schwarze Farbe hervorbringe. Dieser Fall ist bei der Entstehung der Tinte, da das in der starken Schwefelsäure aufgelöste Eisen gelblich wird, durch die Gallusinfusion aber zum Teil entsäuert nunmehr schwarz erscheint.
XXXVII. Erregung der Farbe
501. Als wir oben in der Abteilung von physischen Farben trübe Mittel behandelten, sahen wir die Farbe eher, als das Weiße und Schwarze. Nun setzen wir ein gewordnes Weißes, ein gewordnes Schwarzes fixiert voraus und fragen, wie sich an ihm die Farbe erregen lasse.
502. Auch hier können wir sagen, ein Weißes, das sich verdunkelt, das sich trübt, wird gelb; das Schwarze, das sich erhellt, wird blau.
503. Auf der aktiven Seite, unmittelbar am Lichte, am Hellen, am Weißen entsteht das Gelbe. Wie leicht vergilbt alles, was weiße Oberflächen hat, das Papier, die Leinwand, Baumwolle, Seide, Wachs; besonders auch durchsichtige Liquoren, welche zum Brennen geneigt sind, werden leicht gelb, das heißt mit andern Worten, sie gehen leicht in eine gelinde Trübung über.
504. So ist die Erregung auf der passiven Seite am Finstern, Dunkeln, Schwarzen sogleich mit der blauen, oder vielmehr mit einer rötlichblauen Erscheinung begleitet. Eisen in Schwefelsäure aufgelöst und sehr mit Wasser diluiert bringt in einem gegen das Licht gehaltnen Glase, sobald nur einige Tropfen Gallus dazu kommen, eine schöne violette Farbe hervor, wel che die Eigenschaften des Rauchtopases, das Orphninon eines verbrannten Purpurs, wie sich die Alten ausdrücken, dem Auge darstellt.
505. Ob an den reinen Erden durch chemische Operationen der Natur und Kunst, ohne Beimischung von Metallkalken eine Farbe erregt werden könne, ist eine wichtige Frage die gewöhnlich mit Nein beantwortet wird. Sie hängt vielleicht mit der Frage zusammen, inwiefern sich durch Oxydation den Erden etwas abgewinnen lasse.
506. Für die Verneinung der Frage spricht allerdings der Umstand, daß überall, wo man mineralische Farben findet, sich eine Spur von Metall, besonders von Eisen zeigt, wobei man freilich in Betracht zieht, wie leicht sich das Eisen oxydiere, wie leicht der Eisenkalk verschiedene Farben annehme, wie unendlich teilbar derselbe sei und wie geschwind er seine Farbe mitteile. Demungeachtet wäre zu wünschen, daß neue Versuche hierüber angestellt und die Zweifel entweder bestärkt oder beseitigt würden.
507. Wie dem auch sein mag, so ist die Rezeptivität der Erden gegen schon vorhandne Farben sehr groß, worunter sich die Alaunerde besonders auszeichnet.
508. Wenn wir nun zu den Metallen übergehen, welche sich im unorganischen Reiche beinahe privativ das Recht, farbig zu erscheinen, zugeeignet haben, so finden wir, daß sie sich in ihrem reinen, selbständigen, regulinischen Zustande schon dadurch von den reinen Erden unterscheiden, daß sie sich zu irgendeiner Farbe hinneigen.
509. Wenn das Silber sich dem reinen Weißen am meisten nähert, ja das reine Weiß, erhöht durch metallischen Glanz, wirklich darstellt, so ziehen Stahl, Zinn, Blei und so weiter ins bleiche Blaugraue hinüber, dagegen das Gold sich zum reinen Gelben erhöht, das Kupfer zum Roten hinanrückt, welches unter gewissen Umständen sich fast bis zum Purpur steigert, durch Zink hingegen wieder zur gelben Goldfarbe hinabgezogen wird.
510. Zeigen Metalle nun im gediegenen Zustande solche spezifische Determinationen zu diesem oder jenem Farbenausdruck, so werden sie durch die Wirkung der Oxydation gewissermaßen in eine gemeinsame Lage versetzt. Denn die Elementarfarben treten nun rein hervor, und obgleich dieses und jenes Metall zu dieser oder jener Farbe eine besondre Bestimmbarkeit zu haben scheint, so wissen wir doch von einigen, daß sie den ganzen Farbenkreis durchlaufen können, von andern, daß sie mehr als eine Farbe darzustellen fähig sind; wobei sich jedoch das Zinn durch seine Unfärblichkeit auszeichnet. Wir geben künftig eine Tabelle, inwiefern die verschiedenen Metalle mehr oder weniger durch die verschiedenen Farben durch geführt werden können.
511. Daß die reine glatte Oberfläche eines gediegenen Metalles bei Erhitzung von einem Farbenhauch überzogen wird, welcher mit steigender Wärme eine Reihe von Erscheinungen durchläuft, deutet nach unserer Überzeugung auf die Fähigkeit der Metalle, den ganzen Farbenkreis zu durchlaufen. Am schönsten werden wir dieses Phänomen am polierten Stahl gewahr, aber Silber, Kupfer, Messing, Blei, Zinn lassen uns leicht ähnliche Erscheinungen sehen. Wahrscheinlich ist hier eine oberflächliche Säurung im Spiele, wie man aus der fortgesetzten Operation, besonders bei den leichter verkalklichen Metallen schließen kann.
512. Daß ein geglühtes Eisen leichter eine Säurung durch saure Liquoren erleidet, scheint auch dahin zu deuten, indem eine Wirkung der andern entgegenkommt. Noch bemerken wir, daß der Stahl, je nachdem er in verschiedenen Epochen seiner Farbenerscheinung gehärtet wird, einigen Unterschied der Elastizität zeigen soll, welches ganz naturgemäß ist, indem die verschiedenen Farbenerscheinungen die verschiedenen Grade der Hitze andeuten.
513. Geht man über diesen oberflächlichen Hauch, über dieses Häutchen hinweg, beobachtet man, wie Metalle in Massen penetrativ gesäuert werden, so erscheint mit dem ersten Grade Weiß oder Schwarz, wie man beim Bleiweiß, Eisen und Quecksilber bemerken kann.
514. Fragen wir nun weiter nach eigentlicher Erregung der Farbe, so finden wir sie auf der Plusseite am häufigsten. Das oft erwähnte Anlaufen glatter metallischer Flächen geht von dem Gelben aus. Das Eisen geht bald in den gelben Ocker, das Blei aus dem Bleiweiß in den Massicot, das Quecksilber aus dem Äthiops in den gelben Turbit hinüber Die Auflösungen des Goldes und der Platina in Säuren sind gelb.
515. Die Erregungen auf der Minusseite sind seltner. Ein wenig gesäuertes Kupfer erscheint blau. Bei Bereitung des Berlinerblau sind Alkalien im Spiele.
516. Überhaupt aber sind diese Farbenerscheinungen von so beweglicher Art, daß die Chemiker selbst, sobald sie ins Feinere gehen, sie als trügliche Kennzeichen betrachten. Wir aber können zu unsern Zwecken diese Materie nur im Durchschnitt behandeln und wollen nur so viel bemerken, daß man vielleicht die metallischen Farbenerscheinungen, wenigstens zum didaktischen Behuf, einstweilen ordnen könne, wie sie durch Säurung, Aufsäurung, Absäurung und Entsäurung entstehen, sich auf mannigfaltige Weise zeigen und verschwinden.
XXXVIII. Steigerung
517. Die Steigerung erscheint uns als eine In-sich-selbst-Drängung, Sättigung, Beschattung der Farben. So haben wir schon oben bei farblosen Mitteln gesehen, daß wir durch Vermehrung der Trübe einen leuchtenden Gegenstand vom leisesten Gelb bis zum höchsten Rubinrot steigern können. Umgekehrt steigert sich das Blau in das schönste Violett, wenn wir eine erleuchtete Trübe vor der Finsternis verdünnen und vermindern (150, 151).
518. Ist die Farbe spezifiziert, so tritt ein Ähnliches hervor. Man lasse nämlich Stufengefäße aus weißem Porzellan machen und fülle das eine mit einer reinen gelben Feuchtigkeit, so wird diese von oben herunter bis auf den Boden stufenweise immer röter und zuletzt orange erscheinen. In das andre Gefäß gieße man eine blaue reine Solution, die obersten Stufen werden ein Himmelblau, der Grund des Gefäßes ein schönes Violett zeigen. Stellt man das Gefäß in die Sonne, so ist die Schattenseite der obern Stufen auch schon violett. Wirft man mit der Hand oder einem andern Gegenstande Schatten über den erleuchteten Teil des Gefäßes, so erscheint dieser Schatten gleichfalls rötlich.
519. Es ist dieses eine der wichtigsten Erscheinungen in der Farbenlehre, indem wir ganz greiflich erfahren, daß ein quantitatives Verhältnis einen qualitativen Eindruck auf unsre Sinne hervorbringe. Und indem wir schon früher, bei Gelegenheit der letzten epoptischen Farben (485), unsre Vermutungen eröffnet, wie man das Anlaufen des Stahls vielleicht aus der Lehre von trüben Mitteln herleiten könnte, so bringen wir dieses hier abermals ins Gedächtnis.
520. Übrigens folgt alle chemische Steigerung unmittelbar auf die Erregung. Sie geht unaufhaltsam und stetig fort, wobei man zu bemerken hat, daß die Steigerung auf der Plusseite die gewöhnlichste ist. Der gelbe Eisenocker steigert sich sowohl durchs Feuer als durch andre Operationen zu einer sehr hohen Röte. Massicot wird in Mennige, Turbit in Zinnober gesteigert, welcher letztere schon auf eine sehr hohe Stufe des Gelbroten gelangt. Eine innige Durchdringung des Metalls durch die Säure, eine Teilung desselben ins empirisch Unendliche geht hierbei vor.
521. Die Steigerung auf der Minusseite ist seltner, ob wir gleich bemerken, daß je reiner und gedrängter das Berlinerblau oder das Kobaltglas bereitet wird, es immer einen rötlichen Schein annimmt und mehr ins Violette spielt.
522. Für diese unmerkliche Steigerung des Gelben und Blauen ins Rote haben die Franzosen einen artigen Ausdruck, indem sie sagen, die Farbe habe einen Oeil de Rouge, welches wir durch einen rötlichen Blick ausdrücken könnten.
XXXIX. Kulmination
523. Sie erfolgt bei fortschreitender Steigerung. Das Rote, worin weder Gelb noch Blau zu entdecken ist, macht hier den Zenit.
524. Suchen wir ein auffallendes Beispiel einer Kulmination von der Plusseite her, so finden wir es abermals beim anlaufenden Stahl, welcher bis in den Purpurzenit gelangt und auf diesem Punkte festgehalten werden kann.
525. Sollen wir die vorhin (516) angegebene Terminologie hier anwenden, so würden wir sagen, die erste Säuerung bringe das Gelbe hervor, die Aufsäurung das Gelbrote; hier entstehe ein gewisses Summum, da denn eine Absäurung und endlich eine Entsäurung eintrete.
526. Hohe Punkte von Säuerung bringen eine Purpurfarbe hervor. Gold, aus seiner Auflösung durch Zinnauflösung gefällt, erscheint purpurfarben. Das Oxyd des Arseniks, mit Schwefel verbunden, bringt eine Rubinfarbe hervor.
527. Wiefern aber eine Art von Absäurung bei mancher Kulmination mitwirke, wäre zu untersuchen: denn eine Einwirkung der Alkalien auf das Gelbrote scheint auch die Kulmination hervorzubringen, indem die Farbe gegen das Minus zu in den Zenit genötigt wird.
528. Aus dem besten ungarischen Zinnober, welcher das höchste Gelbrot zeigt, bereiten die Holländer eine Farbe, die man Vermillon nennt. Es ist auch nur ein Zinnober, der sich aber der Purpurfarbe nähert, und es läßt sich vermuten, daß man durch Alkalien ihn der Kulmination näherzubringen sucht.
529. Vegetabilische Säfte sind, auf diese Weise behandelt, ein in die Augen fallendes Beispiel. Kurkuma, Orlean, Saflor und andre, deren färbendes Wesen man mit Weingeist ausgezogen und nun Tinkturen von gelber, gelb- und hyazinthroter Farbe vor sich hat, gehen durch Beimischung von Alkalien in den Zenit, ja drüber hinaus nach dem Blauroten zu.
530. Kein Fall einer Kulmination von der Minusseite ist mir im mineralischen und vegetabilischen Reiche bekannt. In dem animalischen ist der Saft der Purpurschnecke merkwürdig, von dessen Steigerung und Kulmination von der Minusseite her wir künftig sprechen werden.
XL. Balancieren
531. Die Beweglichkeit der Farbe ist so groß, daß selbst diejenigen Pigmente, welche man glaubt spezifiziert zu haben, sich wieder hin und her wenden lassen. Sie ist in der Nähe des Kulminationspunktes am merkwürdigsten und wird durch wechselsweise Anwendung der Säuren und Alkalien am auffallendsten bewirkt.
532. Die Franzosen bedienen sich, um diese Erscheinung bei der Färberei auszudrücken, des Wortes virer, welches von einer Seite nach der andern wenden heißt, und drücken dadurch auf eine sehr geschickte Weise dasjenige aus, was man sonst durch Mischungsverhältnisse zu bezeichnen und anzugeben versucht.
533. Hievon ist diejenige Operation, die wir mit dem Lackmus zu machen pflegen, eine der bekanntesten und auffallendsten. Lackmus ist ein Farbematerial, das durch Alkalien zum Rotblauen spezifiziert worden. Es wird dieses sehr leicht durch Säuren ins Rotgelbe hinüber und durch Alkalien wieder herüber gezogen. Inwiefern in diesem Fall durch zarte Versuche ein Kulminationspunkt zu entdecken und festzuhalten sei, wird denen, die in dieser Kunst geübt sind, überlassen, so wie die Färbekunst, besonders die Scharlachfärberei, von diesem Hin- und Herwenden mannigfaltige Beispiele zu liefern imstande ist.
XLI. Durchwandern des Kreises
534. Die Erregung und Steigerung kommt mehr auf der Plus- als auf der Minusseite vor. So geht auch die Farbe, bei Durchwanderung des ganzen Wegs, meist von der Plusseite aus.
535. Eine stetige in die Augen fallende Durchwanderung des Wegs, vom Gelben durchs Rote zum Blauen, zeigt sich beim Anlaufen des Stahls.
536. Die Metalle lassen sich durch verschiedene Stufen und Arten der Oxydation auf verschiedenen Punkten des Farbenkreises spezifizieren.
537. Da sie auch grün erscheinen, so ist die Frage, ob man eine stetige Durchwandrung aus dem Gelben durchs Grüne ins Blaue und umgekehrt in dem Mineralreiche kennt. Eisenkalk, mit Glas zusammengeschmolzen, bringt erst eine grüne, bei verstärktem Feuer eine blaue Farbe hervor.
538. Es ist wohl hier am Platz, von dem Grünen überhaupt zu sprechen. Es entsteht vor uns vorzüglich im atomistischen Sinne und zwar völlig rein, wenn wir Gelb und Blau zusammenbringen; allein auch schon ein unreines, beschmutztes Gelb bringt uns den Eindruck des Grünlichen hervor. Gelb mit Schwarz macht schon Grün; aber auch dieses leitet sich davon ab, daß Schwarz mit dem Blauen verwandt ist. Ein unvollkommnes Gelb, wie das Schwefelgelb, gibt uns den Eindruck von einem Grünlichen. Ebenso werden wir ein unvollkommenes Blau als grün gewahr. Das Grüne der Weinflaschen entsteht, so scheint es, durch eine unvollkommene Verbindung des Eisenkalks mit dem Glase. Bringt man durch größere Hitze eine vollkommenere Verbindung hervor, so entsteht ein schönes blaues Glas.
539. Aus allem diesem scheint so viel hervorzugehen, daß eine gewisse Kluft zwischen Gelb und Blau in der Natur sich findet, welche zwar durch Verschränkung und Vermischung atomistisch gehoben und zum Grünen verknüpft werden kann, daß aber eigentlich die wahre Vermittlung vom Gelben und Blauen nur durch das Rote geschieht.
540. Was jedoch dem Unorganischen nicht gemäß zu sein scheint, das werden wir, wenn von organischen Naturen die Rede ist, möglich finden, indem in diesem letzten Reiche eine solche Durchwandrung des Kreises vom Gelben durchs Grüne und Blaue bis zum Purpur wirklich vorkommt.
XLII. Umkehrung
541. Auch eine unmittelbare Umkehrung in den geforderten Gegensatz zeigt sich als eine sehr merkwürdige Erscheinung, wovon wir gegenwärtig nur folgendes anzugeben wissen.
542. Das mineralische Chamäleon, welches eigentlich ein Braunsteinoxyd enthält, kann man in seinem ganz trocknen Zustande als ein grünes Pulver ansehen. Streut man es in Wasser, so zeigt sich in dem ersten Augenblick der Auflösung die grüne Farbe sehr schön, aber sie verwandelt sich sogleich in die dem Grünen entgegengesetzte Purpurfarbe, ohne daß irgendeine Zwischenstufe bemerklich wäre.
543. Derselbe Fall ist mit der sympathetischen Tinte welche auch als ein rötlicher Liquor angesehen werden kann dessen Austrocknung durch Wärme die grüne Farbe auf dem Papiere zeigt.
544. Eigentlich scheint hier der Konflikt zwischen Trockne und Feuchtigkeit dieses Phänomen hervorzubringen, wie, wenn wir uns nicht irren, auch schon von den Scheidekünstlern angegeben worden. Was sich weiter daraus ableiten, woran sich diese Phänomene anknüpfen lassen, darüber können wir von der Zeit hinlängliche Belehrung erwarten.
XLIII. Fixation
545. So beweglich wir bisher die Farbe selbst bei ihrer körperlichen Erscheinung gesehen haben, so fixiert sie sich doch zuletzt unter gewissen Umständen.
546. Es gibt Körper, welche fähig sind, ganz in Farbestoff verwandelt zu werden, und hier kann man sagen, die Farbe fixiere sich in sich selbst, beharre auf einer gewissen Stufe und spezifiziere sich. So entstehen Färbematerialien aus allen Reichen, deren besonders das vegetabilische eine große Menge darbietet, worunter doch einige sich besonders auszeichnen und als die Stellvertreter der andern angesehen werden können; wie auf der aktiven Seite der Krapp, auf der passiven der Indig.
547. Um diese Materialien bedeutend und zum Gebrauch vorteilhaft zu machen, gehört, daß die färbende Eigenschaft in ihnen innig zusammengedrängt und der färbende Stoff zu einer unendlichen empirischen Teilbarkeit erhoben werde, welches auf allerlei Weise und besonders bei den genannten durch Gärung und Fäulnis hervorgebracht wird.
548. Diese materiellen Farbenstoffe fixieren sich nun wieder an andern Körpern. So werfen sie sich im Mineralreich an Erden und Metallkalke, sie verbinden sich durch Schmelzung mit Gläsern und erhalten hier bei durchscheinendem Licht die höchste Schönheit, so wie man ihnen eine ewige Dauer zuschreiben kann.
549. Vegetabilische und animalische Körper ergreifen sie mit mehr oder weniger Gewalt und halten daran mehr oder weniger fest, teils ihrer Natur nach, wie denn Gelb vergänglicher ist als Blau, oder nach der Natur der Unterlagen. An vegetabilischen dauern sie weniger als an animalischen, und selbst innerhalb dieser Reiche gibt es abermals Verschiedenheit. Flachs- oder baumwollnes Garn, Seide oder Wolle zeigen gar verschiedene Verhältnisse zu den Färbestoffen.
550. Hier tritt nun die wichtige Lehre von den Beizen hervor, welche als Vermittler zwischen der Farbe und dem Körper angesehen werden können. Die Färbebücher sprechen hievon umständlich. Uns sei genug dahin gedeutet zu haben, daß durch diese Operationen die Farbe eine nur mit dem Körper zu verwüstende Dauer erhält, ja sogar durch den Gebrauch an Klarheit und Schönheit wachsen kann.
XLIV. Mischung, reale
551. Eine jede Mischung setzt eine Spezifikation voraus, und wir sind daher, wenn wir von Mischung reden, im atomistischen Felde. Man muß erst gewisse Körper auf irgendeinem Punkte des Farbenkreises spezifiziert vor sich sehen, ehe man durch Mischung derselben neue Schattierungen hervorbringen will.
552. Man nehme im allgemeinen Gelb, Blau und Rot als reine, als Grundfarben, fertig an. Rot und Blau wird Violett, Rot und Gelb Orange, Gelb und Blau Grün hervorbringen.
553. Man hat sich sehr bemüht, durch Zahl-, Maß-und Gewichtsverhältnisse diese Mischungen näher zu bestimmen, hat aber dadurch wenig Ersprießliches geleistet.
554. Die Malerei beruht eigentlich auf der Mischung solcher spezifizierten, ja individualisierten Farbenkörper und ihrer unendlichen möglichen Verbindungen, welche allein durch das zarteste, geübteste Auge empfunden und unter dessen Urteil bewirkt werden können.
555. Die innige Verbindung dieser Mischungen geschieht durch die reinste Teilung der Körper durch Reiben, Schlemmen und so weiter, nicht weniger durch Säfte, welche das Staubartige zusammenhalten und das Unorganische gleichsam organisch verbinden; dergleichen sind die Öle, Harze und so weiter.
556. Sämtliche Farben zusammengemischt behalten ihren allgemeinen Charakter als σκιερον, und da sie nicht mehr nebeneinander gesehen werden, wird keine Totalität, keine Harmonie empfunden, und so entsteht das Grau, das, wie die sichtbare Farbe, immer etwas dunkler als Weiß und immer etwas heller als Schwarz erscheint.
557. Dieses Grau kann auf verschiedene Weise hervorgebracht werden. Einmal, wenn man aus Gelb und Blau ein Smaragdgrün mischt und alsdann so viel reines Rot hinzubringt, bis sich alle drei gleichsam neutralisiert haben. Ferner entsteht gleichfalls ein Grau, wenn man eine Skala der ursprünglichen und abgeleiteten Farben in einer gewissen Proportion zusammenstellt und hernach vermischt.
558. Daß alle Farben zusammengemischt Weiß machen, ist eine Absurdität, die man nebst andern Absurditäten schon ein Jahrhundert gläubig und dem Augenschein entgegen zu wiederholen gewohnt ist.
559. Die zusammengemischten Farben tragen ihr Dunkles in die Mischung über. Je dunkler die Farben sind, desto dunkler wird das entstehende Grau, welches zuletzt sich dem Schwarzen nähert. Je heller die Farben sind, desto heller wird das Grau, welches zuletzt sich dem Weißen nähert.
XIV. Mischung, scheinbare
560. Die scheinbare Mischung wird hier um so mehr gleich mit abgehandelt, als sie in manchem Sinne von großer Bedeutung ist und man sogar die von uns als real angegebene Mischung für scheinbar halten könnte. Denn die Elemente, woraus die zusammengesetzte Farbe entsprungen ist, sind nur zu klein, um einzeln gesehen zu werden. Gelbes und blaues Pulver zusammengerieben erscheint dem nackten Auge grün, wenn man durch ein Vergrößerungsglas noch Gelb und Blau voneinander abgesondert bemerken kann. So machen auch gelbe und blaue Streifen in der Entfernung eine grüne Fläche, welches alles auch von der Vermischung der übrigen spezifizierten Farben gilt.
561. Unter dem Apparat wird künftig auch das Schwungrad abgehandelt werden, auf welchem die scheinbare Mischung durch Schnelligkeit hervorgebracht wird. Auf einer Scheibe bringt man verschiedene Farben im Kreise nebeneinander an, dreht dieselben durch die Gewalt des Schwunges mit größter Schnelligkeit herum und kann so, wenn man mehrere Scheiben zubereitet, alle möglichen Mischungen vor Augen stellen, sowie zuletzt auch die Mischung aller Farben zum Grau naturgemäß auf oben angezeigte Weise.
562. Physiologische Farben nehmen gleichfalls Mischung an. Wenn man zum Beispiel den blauen Schatten (65) auf einem leicht gelben Papiere hervorbringt, so erscheint derselbe grün. Ein Gleiches gilt von den übrigen Farben, wenn man die Vorrichtung darnach zu machen weiß.
563. Wenn man die im Auge verweilenden farbigen Scheinbilder (39 ff.) auf farbige Flächen führt, so entsteht auch eine Mischung und Determination des Bildes zu einer andern Farbe, die sich aus beiden herschreibt.
564. Physische Farben stellen gleichfalls eine Mischung dar. Hieher gehören die Versuche, wenn man bunte Bilder durchs Prisma sieht, wie wir solches oben (258–284) umständlich angegeben haben.
565. Am meisten aber machten sich die Physiker mit jenen Erscheinungen zu tun, welche entstehen, wenn man die prismatischen Farben auf gefärbte Flächen wirft.
566. Das, was man dabei gewahr wird, ist sehr einfach. Erstlich muß man bedenken, daß die prismatischen Farben viel lebhafter sind, als die Farben der Fläche, worauf man sie fallen läßt. Zweitens kommt in Betracht, daß die prismatische Farbe entweder homogen mit der Fläche oder heterogen sein kann. Im ersten Fall erhöht und verherrlicht sie solche und wird dadurch verherrlicht, wie der farbige Stein durch eine gleichgefärbte Folie. Im entgegengesetzten Falle beschmutzt, stört und zerstört eine die andre.
567. Man kann diese Versuche durch farbige Gläser wiederholen und das Sonnenlicht durch dieselben auf farbige Flächen fallen lassen; und durchaus werden ähnliche Resultate erscheinen.
568. Ein Gleiches wird bewirkt, wenn der Beobachter durch farbige Gläser nach gefärbten Gegenständen hinsieht, deren Farben sodann nach Beschaffenheit erhöht, erniedrigt oder aufgehoben werden.
569. Läßt man die prismatischen Farben durch farbige Gläser durchgehen, so treten die Erscheinungen völlig analog hervor, wobei mehr oder weniger Energie, mehr oder weniger Helle und Dunkle, Klarheit und Reinheit des Glases in Betracht kommt und manchen zarten Unterschied hervorbringt, wie jeder genaue Beobachter wird bemerken können, der diese Phänomene durchzuarbeiten Lust und Geduld hat.
570. So ist es auch wohl kaum nötig zu erwähnen, daß mehrere farbige Gläser übereinander, nicht weniger ölgetränkte, durchscheinende Papiere, alle und jede Arten von Mischung hervorbringen und dem Auge nach Belieben des Experimentierenden darstellen.
571. Schließlich gehören hieher die Lasuren der Maler, wodurch eine viel geistigere Mischung entsteht, als durch die mechanisch atomistische, deren sie sich gewöhnlich bedienen, hervorgebracht werden kann.
XLVI. Mitteilung, wirkliche
572. Wenn wir nunmehr auf gedachte Weise uns Farbematerialien verschafft haben, so entsteht ferner die Frage, wie wir solche farblosen Körpern mitteilen können, deren Beantwortung für das Leben, den Gebrauch, die Benutzung, die Technik von der größten Bedeutung ist.
573. Hier kommt abermals die dunkle Eigenschaft einer jeden Farbe zur Sprache. Von dem Gelben, das ganz nah am Weißen liegt, durchs Orange und Mennigfarbe zum Rein roten und Karmin, durch alle Abstufungen des Violetten bis in das satteste Blau, das ganz am Schwarzen liegt, nimmt die Farbe immer an Dunkelheit zu. Das Blaue, einmal spezifiziert, läßt sich verdünnen, erhellen, mit dem Gelben verbinden, wodurch es Grün wird und sich nach der Lichtseite hinzieht. Keineswegs geschieht dies aber seiner Natur nach.
574. Bei den physiologischen Farben haben wir schon gesehen, daß sie ein Minus sind als das Licht, indem sie beim Abklingen des Lichteindrucks entstehen, ja zuletzt diesen Eindruck ganz als ein Dunkles zurücklassen. Bei physischen Versuchen belehrt uns schon der Gebrauch trüber Mittel, die Wirkung trüber Nebenbilder, daß hier von einem gedämpften Lichte, von einem Übergang ins Dunkle die Rede sei.
575. Bei der chemischen Entstehung der Pigmente werden wir dasselbe bei der ersten Erregung gewahr. Der gelbe Hauch, der sich über den Stahl zieht, verdunkelt schon die glänzende Oberfläche. Bei der Verwandlung des Bleiweißes in Massicot ist es deutlich, daß das Gelbe dunkler als Weiß sei.
576. Diese Operation ist von der größten Zartheit und so auch die Steigerung, welche immer fortwächst, die Körper, welche bearbeitet werden, immer inniger und kräftiger färbt, und so auf die größte Feinheit der behandelten Teile, auf unendliche Teilbarkeit hinweist.
577. Mit den Farben, welche sich gegen das Dunkle hinbegeben, und folglich besonders mit dem Blauen können wir ganz an das Schwarze hinanrücken, wie uns denn ein recht vollkommnes Berlinerblau, ein durch Vitriolsäure behandelter Indig fast als Schwarz erscheint.
578. Hier ist nun der Ort, einer merkwürdigen Erscheinung zu gedenken, daß nämlich Pigmente in ihrem höchst gesättigten und gedrängten Zustande, besonders aus dem Pflanzenreiche, als erstgedachter Indig, oder auf seine höchste Stufe geführter Krapp, ihre Farbe nicht mehr zeigen; vielmehr erscheint auf ihrer Oberfläche ein entschiedener Metallglanz, in welchem die physiologisch geforderte Farbe spielt.
579. Schon jeder gute Indig zeigt eine Kupferfarbe auf dem Bruch, welches im Handel ein Kennzeichen ausmacht. Der durch Schwefelsäure bearbeitete aber, wenn man ihn dick aufstreicht oder eintrocknet, so daß weder das weiße Papier noch die Porzellanschale durchwirken kann, läßt eine Farbe sehen, die dem Orange nahkommt.
580. Die hochpurpurfarbne spanische Schminke, wahrscheinlich aus Krapp bereitet, zeigt auf der Oberfläche einen vollkommnen grünen Metallglanz. Streicht man beide Farben, die blaue und rote, mit einem Pinsel auf Porzellan oder Papier auseinander, so hat man sie wieder in ihrer Natur, indem das Helle der Unterlage durch sie hindurchscheint.
581. Farbige Liquoren erscheinen schwarz, wenn kein Licht durch sie hindurchfällt, wie man sich in parallelepipedischen Blechgefäßen mit Glasboden sehr leicht überzeugen kann. In einem solchen wird jede durchsichtige farbige Infusion, wenn man einen schwarzen Grund unterlegt, schwarz und farblos erscheinen.
582. Macht man die Vorrichtung, daß das Bild einer Flamme von der untern Fläche zurückstrahlen kann, so erscheint diese gefärbt. Hebt man das Gefäß in die Höhe und läßt das Licht auf druntergehaltenes weißes Papierfallen, so erscheint die Farbe auf diesem. Jede helle Unterlage, durch ein solches gefärbtes Mittel gesehen, zeigt die Farbe desselben.
583. Jede Farbe also, um gesehen zu werden, muß ein Licht im Hinterhalte haben. Daher kommt es, daß je heller und glänzender die Unterlagen sind, desto schöner erscheinen die Farben. Zieht man Lackfarben auf einen metallisch glänzenden weißen Grund, wie unsre sogenannten Folien verfertigt werden, so zeigt sich die Herrlichkeit der Farbe bei diesem zurückwirkenden Licht so sehr als bei irgendeinem prismatischen Versuche. Ja die Energie der physischen Farben beruht hauptsächlich darauf, daß mit und hinter ihnen das Licht immerfort wirksam ist.
584. Lichtenberg, der zwar seiner Zeit und Lage nach der hergebrachten Vorstellung folgen mußte, war doch zu ein guter Beobachter und zu geistreich, als daß er das, was ihm vor Augen erschien, nicht hätte bemerken und nach seiner Weise erklären und zurecht legen sollen. Er sagt in der Vorrede zu Delaval: »Auch scheint es mir aus andern Gründen – wahrscheinlich, daß unser Organ, um eine Farbe zu empfinden, etwas von allem Licht (weißes) zugleich mitempfinden müsse.«
585. Sich weiße Unterlagen zu verschaffen, ist das Hauptgeschäft des Färbers. Farblosen Erden, besonders dem Alaun, kann jede spezifizierte Farbe leicht mitgeteilt werden. Besonders aber hat der Färber mit Produkten der animalischen und der Pflanzenorganisation zu schaffen.
586. Alles Lebendige strebt zur Farbe, zum Besondern, zur Spezifikation, zum Effekt, zur Undurchsichtigkeit bis ins Unendlichfeine. Alles Abgelebte zieht sich nach dem Weißen (494), zur Abstraktion, zur Allgemeinheit, zur Verklärung, zur Durchsichtigkeit.
587. Wie dieses durch Technik bewirkt werde, ist in dem Kapitel von Entziehung der Farbe anzudeuten. Hier bei der Mitteilung haben wir vorzüglich zu bedenken, daß Tiere und Vegetabilien im lebendigen Zustande Farbe an ihnen hervorbringen und solche daher, wenn sie ihnen völlig entzogen ist, um desto leichter wieder in sich aufnehmen.
XLVII. Mitteilung, scheinbare
588. Die Mitteilung trifft, wie man leicht sehen kann, mit der Mischung zusammen, sowohl die wahre als die scheinbare. Wir wiederholen deswegen nicht, was oben so viel als nötig ausgeführt worden.
589. Doch bemerken wir gegenwärtig umständlicher die Wichtigkeit einer scheinbaren Mitteilung, welche durch den Widerschein geschieht. Es ist dieses zwar sehr bekannte, doch immer ahndungsvolle Phänomen dem Physiker wie dem Maler von der größten Bedeutung.
590. Man nehme eine jede spezifizierte farbige Fläche, man stelle sie in die Sonne und lasse den Widerschein auf andre farblose Gegenstände fallen. Dieser Widerschein ist eine Art gemäßigten Lichts, ein Halblicht, ein Halbschatten, der außer seiner gedämpften Natur die spezifische Farbe der Fläche mit abspiegelt.
591. Wirkt dieser Widerschein auf lichte Flächen, so wird er aufgehoben, und man bemerkt die Farbe wenig, die er mit sich bringt. Wirkt er aber auf Schattenstellen, so zeigt sich eine gleichsam magische Verbindung mit dem σκιερω. Der Schatten ist das eigentliche Element der Farbe, und hier tritt zu demselben eine schattige Farbe beleuchtend, färbend und belebend. Und so entsteht eine ebenso mächtige als angenehme Erscheinung, welche dem Maler, der sie zu benutzen weiß, die herrlichsten Dienste leistet. Hier sind die Vorbilder der sogenannten Reflexe, die in der Geschichte der Kunst erst später bemerkt werden und die man seltner als billig in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit anzuwenden gewußt hat.
592. Die Scholastiker nannten diese Farben colores notionales und intentionales; wie uns denn überhaupt die Geschichte zeigen wird, daß jene Schule die Phänomene schon gut genug beachtete, auch sie gehörig zu sondern wußte, wenn schon die ganze Behandlungsart solcher Gegenstände von der unsrigen sehr verschieden ist.
XLVIII. Entziehung
593. Den Körpern werden auf mancherlei Weise die Farben entzogen, sie mögen dieselben von Natur besitzen, oder wir mögen ihnen solche mitgeteilt haben. Wir sind daher imstande, ihnen zu unserm Vorteil zweckmäßig die Farbe zu nehmen, aber sie entflieht auch oft zu unserm Nachteil gegen unsern Willen.
594. Nicht allein die Grunderden sind in ihrem natürlichen Zustande weiß, sondern auch vegetabilische und animalische Stoffe können, ohne daß ihr Gewebe zerstört wird, in einen weißen Zustand versetzt werden. Da uns nun zu mancherlei Gebrauch ein reinliches Weiß höchst nötig und angenehm ist, wie wir uns besonders gern der leinenen und baumwollenen Zeuge ungefärbt bedienen, auch seidene Zeuge, das Papier und anderes uns desto angenehmer sind, je weißer sie gefunden werden; weil auch ferner, wie wir oben gesehen, das Hauptfundament der ganzen Färberei weiße Unterlagen sind, so hat sich die Technik, teils zufällig, teils mit Nachdenken, auf das Entziehen der Farbe aus diesen Stoffen so emsig geworfen, daß man hierüber unzählige Versuche gemacht und gar manches Bedeutende entdeckt hat.
595. In dieser völligen Entziehung der Farbe liegt eigentlich die Beschäftigung der Bleichkunst, welche von mehreren empirischer oder methodischer abgehandelt worden. Wir geben die Hauptmomente hier nur kürzlich an.
596. Das Licht wird als eines der ersten Mittel, die Farbe den Körpern zu entziehen, angesehen, und zwar nicht allein das Sonnenlicht, sondern das bloße gewaltlose Tageslicht. Denn wie beide Lichter, sowohl das direkte von der Sonne als auch das abgeleitete Himmelslicht, die Bononischen Phosphoren entzünden, so wirken auch beide Lichter auf gefärbte Flächen. Es sei nun, daß das Licht die ihm verwandte Farbe ergreife, sie, die so viel Flammenartiges hat, gleichsam entzünde, verbrenne und das an ihr Spezifizierte wieder in ein Allgemeines auflöse, oder daß eine andre uns unbekannte Operation geschehe, genug, das Licht übt eine große Gewalt gegen farbige Flächen aus und bleicht sie mehr oder weniger. Doch zeigen auch hier die verschiedenen Farben eine verschiedene Zerstörlichkeit und Dauer, wie denn das Gelbe, besonders das aus gewissen Stoffen bereitete hier zuerst davonfliegt.
597. Aber nicht allein das Licht, sondern auch die Luft und besonders das Wasser wirken gewaltig auf die Entziehung der Farbe. Man will sogar bemerkt haben, daß wohl befeuchtete, bei Nacht auf dem Rasen ausgebreitete Garne besser bleichen als solche, welche, gleichfalls wohl befeuchtet, dem Sonnenlicht ausgesetzt werden. Und so mag sich denn freilich das Wasser auch hier als ein Auflösendes, Vermittlendes, das Zufällige Aufhebendes und das Besondre ins Allgemeine Zurückführendes beweisen.
598. Durch Reagenzien wird auch eine solche Entziehung bewirkt. Der Weingeist hat eine besondre Neigung, dasjenige, was die Pflanzen färbt, an sich zu ziehen und sich damit, oft auf eine sehr beständige Weise, zu färben. Die Schwefelsäure zeigt sich, besonders gegen Wolle und Seide, als farbentziehend sehr wirksam; und wem ist nicht der Gebrauch des Schwefeldampfes da bekannt, wo man etwas Vergilbtes oder Beflecktes weiß herzustellen gedenkt.
599. Die stärksten Säuren sind in der neuren Zeit als kürzere Bleichmittel angeraten worden.
600. Ebenso wirken im Gegensinne die alkalischen Reagenzien, die Laugen an sich, die zu Seife mit Lauge verbundenen Öle und Fettigkeiten und so weiter, wie dieses alles in den ausdrücklich zu diesem Zwecke verfaßten Schriften umständlich gefunden wird.
601. Übrigens möchte es wohl der Mühe wert sein, gewisse zarte Versuche zu machen, inwiefern Licht und Luft auf das Entziehen der Farbe ihre Tätigkeit äußern. Man könnte vielleicht unter luftleeren, mit gemeiner Luft oder besondern Luftarten gefüllten Glocken solche Farbstoffe dem Licht aussetzen, deren Flüchtigkeit man kennt, und beobachten, ob sich nicht an das Glas wieder etwas von der verflüchtigten Farbe ansetzte oder sonst ein Niederschlag sich zeigte; und ob alsdann dieses Wiedererscheinende dem Unsichtbargewordnen völlig gleich sei oder ob es eine Veränderung erlitten habe. Geschickte Experimentatoren ersinnen sich hierzu wohl mancherlei Vorrichtungen.
602. Wenn wir nun also zuerst die Naturwirkungen betrachtet haben, wie wir sie zu unsern Absichten anwenden, so ist noch einiges zu sagen von dem, wie sie feindlich gegen uns wirken.
603. Die Malerei ist in dem Falle, daß sie die schönsten Arbeiten des Geistes und der Mühe durch die Zeit auf mancherlei Weise zerstört sieht. – Man hat daher sich immer viel Mühe gegeben, dauernde Pigmente zu finden und sie auf eine Weise unter sich sowie mit der Unterlage zu vereinigen, daß ihre Dauer dadurch noch mehr gesichert werde, wie uns hiervon die Technik der Malerschulen genugsam unterrichten kann.
604. Auch ist hier der Platz, einer Halbkunst zu gedenken, welcher wir in Absicht auf Färberei sehr vieles schuldig sind, ich meine die Tapetenwirkerei. Indem man nämlich in den Fall kam, die zartesten Schattierungen der Gemälde nachzuahmen und daher die verschiedenst gefärbten Stoffe oft nebeneinander zu bringen, so bemerkte man bald, daß die Farben nicht alle gleich dauerhaft waren, sondern die eine eher als die andre dem gewobenen Bilde entzogen wurde. Es entsprang daher das eifrigste Bestreben, den sämtlichen Farben und Schattierungen eine gleiche Dauer zu versichern, welches besonders in Frankreich unter Colbert geschah, dessen Verfügungen über diesen Punkt in der Geschichte der Färbekunst Epoche machen. Die sogenannte Schönfärberei, welche sich nur zu einer vergänglichen Anmut verpflichtete, ward eine besondre Gilde; mit desto größerm Ernst hingegen suchte man diejenige Technik, welche für die Dauer stehn sollte, zu begründen.
So wären wir, bei Betrachtung des Entziehens, der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit glänzender Farbenerscheinungen, wieder auf die Forderung der Dauer zurückgekehrt und hätten auch in diesem Sinne unsern Kreis abermals abgeschlossen.
XLIX. Nomenklatur
605. Nach dem, was wir bisher von dem Entstehen, dem Fortschreiten und der Verwandtschaft der Farben ausgeführt, wird sich besser übersehen lassen, welche Nomenklatur künftig wünschenswert wäre, und was von der bisherigen zu halten sei.
606. Die Nomenklatur der Farben ging, wie alle Nomenklaturen, besonders aber diejenigen, welche sinnliche Gegenstände bezeichnen, vom Besondern aus ins Allgemeine und vom Allgemeinen wieder zurück ins Besondre. Der Name der Spezies ward ein Geschlechtsname, dem sich wieder das einzelne unterordnete.
607. Dieser Weg konnte bei der Beweglichkeit und Unbestimmtheit des frühern Sprachgebrauchs zurückgelegt werden, besonders da man in den ersten Zeiten sich auf ein lebhafteres sinnliches Anschauen verlassen durfte. Man bezeichnete die Eigenschaften der Gegenstände unbestimmt, weil sie jedermann deutlich in der Imagination festhielt.
608. Der reine Farbenkreis war zwar enge, er schien aber an unzähligen Gegenständen spezifiziert und individualisiert und mit Nebenbestimmungen bedingt. Man sehe die Mannigfaltigkeit der griechischen und römischen Ausdrücke ..., und man wird mit Vergnügen dabei gewahr werden, wie beweglich und läßlich die Worte beinahe durch den ganzen Farbenkreis herum gebraucht worden.
609. In späteren Zeiten trat durch die mannigfaltigen Operationen der Färbekunst manche neue Schattierung ein. Selbst die Modefarben und ihre Benennungen stellten ein unendliches Heer von Farbenindividualitäten dar. Auch die Farbenterminologie der neuern Sprachen werden wir gelegentlich aufführen; wobei sich denn zeigen wird, daß man immer auf genauere Bestimmungen ausgegangen, und ein Fixiertes, Spezifiziertes auch durch die Sprache festzuhalten und zu vereinzelnen gesucht hat.
610. Was die deutsche Terminologie betrifft, so hat sie den Vorteil, daß wir vier einsilbige, an ihren Ursprung nicht mehr erinnernde Namen besitzen, nämlich Gelb, Blau, Rot, Grün. Sie stellen nur das Allgemeinste der Farbe der Einbildungskraft dar, ohne auf etwas Spezifisches hinzudeuten.
611. Wollten wir in jeden Zwischenraum zwischen diesen vieren noch zwei Bestimmungen setzen, als Rotgelb und Gelbrot, Rotblau und Blaurot, Gelbgrün und Grüngelb, Blaugrün und Grünblau, so würden wir die Schattierungen des Farbenkreises bestimmt genug ausdrücken; und wenn wir die Bezeichnungen von Hell und Dunkel hinzufügen wollten, ingleichen die Beschmutzungen einigermaßen andeuten, wozu uns die gleichfalls einsilbigen Worte Schwarz, Weiß, Grau und Braun zu Diensten stehn, so würden wir ziemlich auslangen und die vorkommenden Erscheinungen ausdrücken, ohne uns zu bekümmern, ob sie auf dynamischem oder atomistischem Wege entstanden sind.
612. Man könnte jedoch immer hiebei die spezifischen und individuellen Ausdrücke vorteilhaft benutzen, so wie wir uns auch des Worts Orange und Violett bedienten. Ingleichen haben wir das Wort Purpur gebraucht, um das reine in der Mitte stehende Rot zu bezeichnen, weil der Saft der Purpurschnecke, besonders wenn er feine Leinwand durchdrungen hat, vorzüglich durch das Sonnenlicht zu dem höchsten Punkte der Kulmination zu bringen ist.
L. Mineralien
613. Die Farben der Mineralien sind alle chemischer Natur, und so kann ihre Entstehungsweise aus dem, was wir von den chemischen Farben gesagt haben, ziemlich entwickelt werden.
614. Die Farbenbenennungen stehn unter den äußern Kennzeichen oben an, und man hat sich, im Sinne der neuern Zeit, große Mühe gegeben, jede vorkommende Erscheinung genau zu bestimmen und festzuhalten; man hat aber dadurch, wie uns dünkt, neue Schwierigkeiten erregt, welche beim Gebrauch manche Unbequemlichkeit veranlassen.
615. Freilich führt auch dieses, sobald man bedenkt, wie die Sache entstanden, seine Entschuldigung mit sich. Der Maler hatte von jeher das Vorrecht, die Farbe zu handhaben. Die wenigen spezifizierten Farben standen fest, und dennoch kamen durch künstliche Mischungen unzählige Schattierungen hervor, welche die Oberfläche der natürlichen Gegenstände nachahmten. War es daher ein Wunder, wenn man auch diesen Mischungsweg einschlug und den Künstler aufrief, gefärbte Musterflächen aufzustellen, nach denen man die natürlichen Gegenstände beurteilen und bezeichnen könnte? Man fragte nicht, wie geht die Natur zu Werke, um diese und jene Farbe auf ihrem innern lebendigen Wege hervorzubringen, sondern wie belebt der Maler das Tote, um ein dem Lebendigen ähnliches Scheinbild darzustellen. Man ging also immer von der Mischung aus und kehrte auf Mischung zurück, so daß man zuletzt das Gemischte wieder zu mischen vornahm, um einige sonderbare Spezifikationen und Individualisationen auszudrücken und zu unterscheiden.
616. Übrigens läßt sich bei der gedachten eingeführten mineralischen Farbenterminologie noch manches erinnern. Man hat nämlich die Benennungen nicht, wie es doch meistens möglich gewesen wäre, aus dem Mineralreich, sondern von allerlei sichtbaren Gegenständen genommen, da man doch mit größerem Vorteil auf eigenem Grund und Boden hätte bleiben können. Ferner hat man zu viel einzelne, spezifische Ausdrücke aufgenommen, und indem man durch Vermischung dieser Spezifikationen wieder neue Bestimmungen hervorzubringen suchte, nicht bedacht, daß man dadurch vor der Imagination das Bild und vor dem Verstand den Begriff völlig aufhebe. Zuletzt stehen denn auch diese gewissermaßen als Grundbestimmungen gebrauchten einzelnen Farbenbenennungen nicht in der besten Ordnung, wie sie etwa voneinander sich ableiten, daher denn der Schüler jede Bestimmung einzeln lernen und sich ein beinahe totes Positives einprägen muß. Die weitere Ausführung dieses Angedeuteten stünde hier nicht am rechten Orte.
LI. Pflanzen
617. Man kann die Farben organischer Körper überhaupt als eine höhere chemische Operation ansehen, weswegen sie auch die Alten durch das Wort Kochung (πεψις) ausgedrückt haben. Alle Elementarfarben sowohl als die gemischten und abgeleiteten kommen auf der Oberfläche organischer Naturen vor, dahingegen das Innere, man kann nicht sagen, unfärbig, doch eigentlich mißfärbig erscheint, wenn es zutage gebracht wird. Da wir bald an einem andern Orte von unsern Ansichten über organische Natur einiges mitzuteilen denken, so stehe nur dasjenige hier, was früher mit der Farbenlehre in Verbindung gebracht war, indessen wir zu jenen besondern Zwecken das Weitre vorbereiten. Von den Pflanzen sei also zuerst gesprochen.
618. Die Samen, Bulben, Wurzeln und was überhaupt vom Lichte ausgeschlossen ist oder unmittelbar von der Erde sich umgeben befindet, zeigt sich meistenteils weiß.
619. Die im Finstern aus Samen erzogenen Pflanzen sind weiß oder ins Gelbe ziehend. Das Licht hingegen, indem es auf ihre Farben wirkt, wirkt zugleich auf ihre Form.
620. Die Pflanzen, die im Finstern wachsen, setzen sich von Knoten zu Knoten zwar lange fort; aber die Stengel zwischen zwei Knoten sind länger als billig; keine Seitenzweige werden erzeugt und die Metamorphose der Pflanzen hat nicht statt.
621. Das Licht versetzt sie dagegen sogleich in einen tätigen Zustand, die Pflanze erscheint grün, und der Gang der Metamorphose bis zur Begattung geht unaufhaltsam fort.
622. Wir wissen, daß die Stengelblätter nur Vorbereitungen und Vorbedeutungen auf die Blumen- und Fruchtwerkzeuge sind; und so kann man in den Stengelblättern schon Farben sehen, die von weitem auf die Blume hindeuten, wie bei den Amaranten der Fall ist.
623. Es gibt weiße Blumen, deren Blätter sich zur größten Reinheit durchgearbeitet haben, aber auch farbige, in denen die schöne Elementarerscheinung hin und wieder spielt. Es gibt deren, die sich nur teilweise vom Grünen auf eine höhere Stufe losgearbeitet haben.
624. Blumen einerlei Geschlechts, ja einerlei Art, finden sich von allen Farben. Rosen und besonders Malven zum Beispiel gehen einen großen Teil des Farbenkreises durch, vom Weißen ins Gelbe, sodann durch das Rotgelbe in den Purpur, und von da in das Dunkelste, was der Purpur, indem er sich dem Blauen nähert, ergreifen kann.
625. Andere fangen schon auf einer höhern Stufe an, wie zum Beispiel die Mohne, welche von dem Gelbroten ausgehen und sich in das Violette hinüberziehen.
626. Doch sind auch Farben bei Arten, Gattungen, ja Familien und Klassen, wo nicht beständig, doch herrschend, besonders die gelbe Farbe: die blaue ist überhaupt seltner.
627. Bei den saftigen Hüllen der Frucht geht etwas Ähnliches vor, indem sie sich von der grünen Farbe durch das Gelbliche und Gelbe bis zu dem höchsten Rot erhöhen, wobei die Farbe der Schale die Stufen der Reife andeutet. Einige sind ringsum gefärbt, einige nur an der Sonnenseite, in welchem letzten Falle man die Steigerung des Gelben ins Rote durch größere An- und Übereinanderdrängung sehr wohl beobachten kann.
628. Auch sind mehrere Früchte innerlich gefärbt, besonders sind purpurrote Säfte gewöhnlich.
629. Wie die Farbe sowohl oberflächlich auf der Blume als durchdringend in der Frucht sich befindet, so verbreitet sie sich auch durch die übrigen Teile, indem sie die Wurzeln und die Säfte der Stengel färbt, und zwar mit sehr reicher und mächtiger Farbe.
630. So geht auch die Farbe des Holzes vom Gelben durch die verschiedenen Stufen des Roten bis ins Purpurfarbene und Braune hinüber. Blaue Hölzer sind mir nicht bekannt, und so zeigt sich schon auf dieser Stufe der Organisation die aktive Seite mächtig, wenn in dem allgemeinen Grün der Pflanzen beide Seiten sich balancieren mögen.
631. Wir haben oben gesehen, daß der aus der Erde dringende Keim sich mehrenteils weiß und gelblich zeigt, durch Einwirkung von Licht und Luft aber in die grüne Farbe übergeht. Ein Ähnliches geschieht bei jungen Blättern der Bäume, wie man zum Beispiel an den Birken sehen kann, deren junge Blätter gelblich sind und beim Auskochen einen schönen gelben Saft von sich geben. Nachher werden sie immer grüner, so wie die Blätter von andern Bäumen nach und nach in das Blaugrüne übergehen.
632. So scheint auch das Gelbe wesentlicher den Blättern anzugehören als der blaue Anteil: denn dieser verschwindet im Herbste, und das Gelbe des Blattes scheint in eine braune Farbe übergegangen. Noch merkwürdiger aber sind die besonderen Fälle, da die Blätter im Herbste wieder rein gelb werden und andre sich bis zu dem höchsten Rot hinaufsteigern.
633. Übrigens haben einige Pflanzen die Eigenschaft, durch künstliche Behandlung fast durchaus in ein Farbematerial verwandelt zu werden, das so fein, wirksam und unendlich teilbar ist als irgendein anderes. Beispiele sind der Indigo und Krapp, mit denen so viel geleistet wird. Auch werden Flechten zum Färben benutzt.
634. Diesem Phänomen steht ein anderes unmittelbar entgegen, daß man nämlich den färbenden Teil der Pflanzen ausziehen und gleichsam besonders darstellen kann, ohne daß ihre Organisation dadurch etwas zu leiden scheint. Die Farben der Blumen lassen sich durch Weingeist ausziehen und tingieren denselben; die Blumenblätter dagegen erscheinen weiß.
635. Es gibt verschiedene Bearbeitungen der Blumen und ihrer Säfte durch Reagenzien. Dieses hat Boyle in vielen Experimenten geleistet. Man bleicht die Rosen durch Schwefel und stellt sie durch andre Säuren wieder her. Durch Tobaksrauch werden die Rosen grün.
LII. Würmer, Insekten, Fische
636. Von den Tieren, welche auf den niedern Stufen der Organisation verweilen, sei hier vorläufig folgendes gesagt. Die Würmer, welche sich in der Erde aufhalten, der Finsternis und der kalten Feuchtigkeit gewidmet sind, zeigen sich mißfärbig; die Eingeweidewürmer von warmer Feuchtigkeit im Finstern ausgebrütet und genährt, unfärbig; zu Bestimmung der Farbe scheint ausdrücklich Licht zu gehören.
637. Diejenigen Geschöpfe, welche im Wasser wohnen, welches als ein obgleich sehr dichtes Mittel dennoch hinreichendes Licht hindurchläßt, erscheinen mehr oder weniger gefärbt. Die Zoophyten, welche die reinste Kalkerde zu beleben scheinen, sind meistenteils weiß; doch finden wir die Korallen bis zum schönsten Gelbrot hinaufgesteigert, welches in andern Wurmgehäusen sich bis nahe zum Purpur hinanhebt.
638. Die Gehäuse der Schaltiere sind schön gezeichnet und gefärbt; doch ist zu bemerken, daß weder die Landschnecken, noch die Schale der Muscheln des süßen Wassers mit so hohen Farben geziert sind als die des Meerwassers.
639. Bei Betrachtung der Muschelschalen, besonders der gewundenen, bemerken wir, daß zu ihrem Entstehen eine Versammlung unter sich ähnlicher tierischer Organe sich wachsend vorwärts bewegte, und indem sie sich um eine Axe drehten, das Gehäuse durch eine Folge von Riefen, Rändern, Rinnen und Erhöhungen, nach einem immer sich vergrößernden Maßstab, hervorbrachten. Wir bemerken aber auch zugleich, daß diesen Organen irgendein mannigfaltig färbender Saft beiwohnen mußte, der die Oberfläche des Gehäuses, wahrscheinlich durch unmittelbare Einwirkung des Meerwassers, mit farbigen Linien, Punkten, Flecken und Schattierungen epochenweis bezeichnete und so die Spuren seines steigenden Wachstums auf der Außenseite dauernd hinterließ, indes die innre meistens weiß oder nur blaßgefärbt angetroffen wird.
640. Daß in den Muscheln solche Säfte sich befinden, zeigt uns die Erfahrung auch außerdem genugsam, indem sie uns dieselben noch in ihrem flüssigen und färbenden Zustande darbietet, wovon der Saft des Tintenfisches ein Zeugnis gibt; ein weit stärkeres aber derjenige Purpursaft, welcher in mehreren Schnecken gefunden wird, der von altersher so berühmt ist und in der neuern Zeit auch wohl benutzt wird. Es gibt nämlich unter den Eingeweiden mancher Würmer, welche sich in Schalgehäusen aufhalten, ein gewisses Gefäß, das mit einem roten Safte gefüllt ist. Dieser enthält ein sehr stark und dauerhaft färbendes Wesen, so daß man die ganzen Tiere zerknirschen, kochen und aus dieser animalischen Brühe doch noch eine hinreichend färbende Feuchtigkeit herausnehmen konnte. Es läßt sich aber dieses farbgefüllte Gefäß auch von dem Tiere absondern, wodurch denn freilich ein konzentrierterer Saft gewonnen wird.
641. Dieser Saft hat das Eigene, daß er, dem Licht und der Luft ausgesetzt, erst gelblich, dann grünlich erscheint, dann ins Blaue, von da ins Violette übergeht, immer aber ein höheres Rot annimmt und zuletzt durch Einwirkung der Sonne, besonders wenn er auf Batist aufgetragen worden, eine reine hohe rote Farbe annimmt.
642. Wir hätten also hier eine Steigerung von der Minusseite bis zur Kulmination, die wir bei den unorganischen Fällen nicht leicht gewahr wurden; ja wir können diese Erscheinung beinahe ein Durchwandern des ganzen Kreises nennen, und wir sind überzeugt, daß durch gehörige Versuche wirklich die ganze Durchwanderung des Kreises bewirkt werden könne: denn es ist wohl kein Zweifel, daß sich durch wohl angewendete Säuren der Purpur vom Kulminationspunkte herüber nach dem Scharlach führen ließe.
643. Diese Feuchtigkeit scheint von der einen Seite mit der Begattung zusammenzuhängen, ja sogar finden sich Eier, die Anfänge künftiger Schaltiere, welche ein solches färbendes Wesen enthalten. Von der andern Seite scheint aber dieser Saft auf das bei höher stehenden Tieren sich entwickelnde Blut zu deuten. Denn das Blut läßt uns ähnliche Eigenschaften der Farbe sehen. In seinem verdünntesten Zustande erscheint es uns gelb, verdichtet, wie es in den Adern sich befindet, rot, und zwar zeigt das arterielle Blut ein höheres Rot, wahrscheinlich wegen der Säurung, die ihm beim Atemholen widerfährt; das venöse Blut geht mehr nach dem Violetten hin und zeigt durch diese Beweglichkeit auf jenes uns genugsam bekannte Steigern und Wandern.
644. Sprechen wir, ehe wir das Element des Wassers verlassen, noch einiges von den Fischen, deren schuppige Oberfläche zu gewissen Farben öfters teils im ganzen, teils streifig, teils fleckenweis spezifiziert ist, noch öfter ein gewisses Farbenspiel zeigt, das auf die Verwandtschaft der Schuppen mit den Gehäusen der Schaltiere, dem Perlemutter, ja selbst der Perle hinweist. Nicht zu übergehen ist hierbei, daß heißere Himmelsstriche, auch schon in das Wasser wirksam, die Farben der Fische hervorbringen, verschönern und erhöhen.
645. Auf Otahiti bemerkte Forster Fische, deren Oberflächen sehr schön spielten, besonders im Augenblick, da der Fisch starb. Man erinnre sich hierbei des Chamäleons und andrer ähnlichen Erscheinungen, welche dereinst zusammengestellt diese Wirkungen deutlicher erkennen lassen.
646. Noch zuletzt, obgleich außer der Reihe, ist wohl noch das Farbenspiel gewisser Mollusken zu erwähnen, sowie die Phosphoreszenz einiger Seegeschöpfe, welche sich auch in Farben spielend verlieren soll.
647. Wenden wir nunmehr unsre Betrachtung auf diejenigen Geschöpfe, welche dem Licht und der Luft und der trocknen Wärme angehören, so finden wir uns freilich erst recht im lebendigen Farbenreiche. Hier erscheinen uns an trefflich organisierten Teilen die Elementarfarben in ihrer größten Reinheit und Schönheit. Sie deuten uns aber doch, daß eben diese Geschöpfe noch auf einer niedern Stufe der Organisation stehen, eben weil diese Elementarfarben noch unverarbeitet bei ihnen hervortreten können. Auch hier scheint die Hitze viel zu Ausarbeitung dieser Erscheinung beizutragen.
648. Wir finden Insekten, welche als ganz konzentrierter Farbenstoff anzusehen sind, worunter besonders die Coccusarten berühmt sind; wobei wir zu bemerken nicht unterlassen, daß ihre Weise, sich an Vegetabilien anzusiedeln, ja in dieselben hineinzunisten, auch zugleich jene Auswüchse hervorbringt, welche als Beizen zu Befestigung der Farben so große Dienste leisten.
649. Am auffallendsten aber zeigt sich die Farbengewalt, verbunden mit regelmäßiger Organisation, an denjenigen Insekten, welche eine vollkommene Metamorphose zu ihrer Entwicklung bedürfen, an Käfern, vorzüglich aber an Schmetterlingen.
650. Diese letztern, die man wahrhafte Ausgeburten des Lichtes und der Luft nennen könnte, zeigen schon in ihrem Raupenzustand oft die schönsten Farben, welche, spezifiziert wie sie sind, auf die künftigen Farben des Schmetterlings deuten; eine Betrachtung, die wenn sie künftig weiter verfolgt wird, gewiß in manches Geheimnis der Organisation eine erfreuliche Einsicht gewähren muß.
651. Wenn wir übrigens die Flügel des Schmetterlings näher betrachten und in seinem netzartigen Gewebe die Spuren eines Armes entdecken, und ferner die Art, wie dieser gleichsam verflächte Arm durch zarte Federn bedeckt und zum Organ des Fliegens bestimmt worden, so glauben wir ein Gesetz gewahr zu werden, wonach sich die große Mannigfaltigkeit der Färbung richtet, welches künftig näher zu entwickeln sein wird.
652. Daß auch überhaupt die Hitze auf Größe des Geschöpfes, auf Ausbildung der Form, auf mehrere Herrlichkeit der Farben Einfluß habe, bedarf wohl kaum erinnert zu werden.
LIII. Vögel
653. Je weiter wir nun uns gegen die höhern Organisationen bewegen, desto mehr haben wir Ursache, flüchtig und vorübergehend, nur einiges hinzustreuen. Denn alles, was solchen organischen Wesen natürlich begegnet, ist eine Wirkung von so vielen Prämissen, daß, ohne dieselben wenigstens angedeutet zu haben, nur etwas Unzulängliches und Gewagtes ausgesprochen wird.
654. Wie wir bei den Pflanzen finden, daß ihr Höheres, die ausgebildeten Blüten und Früchte auf dem Stamme gleichsam gewurzelt sind und sich von vollkommneren Säften nähren, als ihnen die Wurzel zuerst zugebracht hat; wie wir bemerken, daß die Schmarotzerpflanzen, die das Organische als ihr Element behandeln, an Kräften und Eigenschaften sich ganz vorzüglich beweisen, so können wir auch die Federn der Vögel in einem gewissen Sinne mit den Pflanzen vergleichen. Die Federn entspringen als ein Letztes aus der Oberfläche eines Körpers, der noch viel nach außen herzugeben hat, und sind deswegen sehr reich ausgestattete Organe.
655. Die Kiele erwachsen nicht allein verhältnismäßig zu einer ansehnlichen Größe, sondern sie sind durchaus geästet, wodurch sie eigentlich zu Federn werden, und manche dieser Ausästungen, Befiederungen sind wieder subdividiert, wodurch sie abermals an die Pflanzen erinnern.
656. Die Federn sind sehr verschieden an Form und Größe, aber sie bleiben immer dasselbe Organ, das sich nur nach Beschaffenheit des Körperteiles, aus welchem es entspringt, bildet und umbildet.
657. Mit der Form verwandelt sich auch die Farbe, und ein gewisses Gesetz leitet sowohl die allgemeine Färbung als auch die besondre, wie wir sie nennen möchten, diejenige nämlich, wodurch die einzelne Feder scheckig wird. Dieses ist es, woraus alle Zeichnung des bunten Gefieders entspringt und woraus zuletzt das Pfauenauge hervorgeht. Es ist ein Ähnliches mit jenem, das wir bei Gelegenheit der Metamorphose der Pflanzen früher entwickelt und welches darzulegen wir die nächste Gelegenheit ergreifen werden.
658. Nötigen uns hier Zeit und Umstände über dieses organische Gesetz hinauszugehen, so ist doch hier unsre Pflicht, der chemischen Wirkungen zu gedenken, welche sich bei Färbung der Federn auf eine uns nun schon hinlänglich bekannte Weise zu äußern pflegen.
659. Das Gefieder ist allfarbig, doch im ganzen das gelbe, das sich zum Roten steigert, häufiger als das blaue.
660. Die Einwirkung des Lichts auf die Federn und ihre Farben ist durchaus bemerklich. So ist zum Beispiel auf der Brust gewisser Papageien die Feder eigentlich gelb. Der schuppenartig hervortretende Teil, den das Licht bescheint, ist aus dem Gelben ins Rote gesteigert. So sieht die Brust eines solchen Tiers hochrot aus; wenn man aber in die Federn bläst, erscheint das Gelbe.
661. So ist durchaus der unbedeckte Teil der Federn von dem im ruhigen Zustand bedeckten höchlich unterschieden, so daß sogar nur der unbedeckte Teil, zum Beispiel bei Raben, bunte Farben spielt, der bedeckte aber nicht, nach welcher Anleitung man die Schwanzfedern, wenn sie durcheinander geworfen sind, sogleich wieder zurechtlegen kann.
LIV. Säugetiere und Menschen
662. Hier fangen die Elementarfarben an, uns ganz zu verlassen. Wir sind auf der höchsten Stufe, auf der wir nur flüchtig verweilen.
663. Das Säugetier steht überhaupt entschieden auf der Lebensseite. Alles, was sich an ihm äußert, ist lebendig. Von dem Innern sprechen wir nicht, also hier nur einiges von der Oberfläche. Die Haare unterscheiden sich schon dadurch von den Federn, daß sie der Haut mehr angehören, daß sie einfach, fadenartig, nicht geästet sind. An den verschiedenen Teilen des Körpers sind sie aber auch, nach Art der Federn kürzer, länger, zarter und stärker, farblos oder gefärbt, und dies alles nach Gesetzen, welche sich aussprechen lassen.
664. Weiß und Schwarz, Gelb, Gelbrot und Braun wechseln auf mannigfaltige Weise, doch erscheinen sie niemals auf eine solche Art, daß sie uns an die Elementarfarben erinnerten. Sie sind alle vielmehr gemischte, durch organische Kochung bezwungene Farben und bezeichnen mehr oder weniger die Stufenhöhe des Wesens, dem sie angehören.
665. Eine von den wichtigsten Betrachtungen der Morphologie, insofern sie Oberflächen beobachtet, ist diese, daß auch bei den vierfüßigen Tieren die Flecken der Haut auf die innern Teile, über welche sie gezogen ist, einen Bezug haben. So willkürlich übrigens die Natur dem flüchtigen Anblick hier zu wirken scheint, so konsequent wird dennoch ein tiefes Gesetz beobachtet, dessen Entwicklung und Anwendung freilich nur einer genauen Sorgfalt und treuen Teilnehmung vorbehalten ist.
666. Wenn bei Affen gewisse nackte Teile bunt, mit Elementarfarben, erscheinen, so zeigt dies die weite Entfernung eines solchen Geschöpfs von der Vollkommenheit an: denn man kann sagen, je edler ein Geschöpf ist, je mehr ist alles Stoffartige in ihm verarbeitet; je wesentlicher seine Oberfläche mit dem Innern zusammenhängt, desto weniger können auf derselben Elementarfarben erscheinen. Denn da, wo alles ein vollkommenes Ganzes zusammen ausmachen soll, kann sich nicht hier und da etwas Spezifisches absondern.
667. Von dem Menschen haben wir wenig zu sagen, denn er trennt sich ganz von der allgemeinen Naturlehre los, in der wir jetzt eigentlich wandeln. Auf des Menschen Inneres ist so viel verwandt, daß seine Oberfläche nur sparsamer begabt werden konnte.
668. Wenn man nimmt, daß schon unter der Haut die Tiere mit Interkutanmuskeln mehr belastet als begünstigt sind; wenn man sieht, daß gar manches Überflüssige nach außen strebt, wie zum Beispiel die großen Ohren und Schwänze, nicht weniger die Haare, Mähnen, Zotten: so sieht man wohl, daß die Natur vieles abzugeben und zu verschwenden hatte.
669. Dagegen ist die Oberfläche des Menschen glatt und rein und läßt, bei den vollkommensten, außer wenigen mit Haar mehr gezierten als bedeckten Stellen, die schöne Form sehen: denn im Vorbeigehen sei es gesagt, ein Überfluß der Haare an Brust, Armen, Schenkeln deutet eher auf Schwäche als auf Stärke, wie denn wahrscheinlich nur die Poeten, durch den Anlaß einer übrigens starken Tiernatur verführt, mitunter solche haarige Helden zu Ehren gebracht haben.
670. Doch haben wir hauptsächlich an diesem Ort von der Farbe zu reden. Und so ist die Farbe der menschlichen Haut, in allen ihren Abweichungen, durchaus keine Elementarfarbe, sondern eine durch organische Kochung höchst bearbeitete Erscheinung.
671. Daß die Farbe der Haut und Haare auf einen Unterschied der Charaktere deute, ist wohl keine Frage, wie wir ja schon einen bedeutenden Unterschied an blonden und braunen Menschen gewahr werden; wodurch wir auf die Vermutung geleitet worden, daß ein oder das andre organische System vorwaltend eine solche Verschiedenheit hervorbringe. Ein Gleiches läßt sich wohl auf Nationen anwenden, wobei vielleicht zu bemerken wäre, daß auch gewisse Farben mit gewissen Bildungen zusammentreffen, worauf wir schon durch die Mohrenphysiognomien aufmerksam geworden.
672. Übrigens wäre wohl hier der Ort, der Zweiflerfrage zu begegnen, ob denn nicht alle Menschenbildung und Farbe gleich schön und nur durch Gewohnheit und Eigendünkel eine der andern vorgezogen werde. Wir getrauen uns aber in Gefolg alles dessen, was bisher vorgekommen, zu behaupten, daß der weiße Mensch, das heißt derjenige, dessen Oberfläche vom Weißen ins Gelbliche, Bräunliche, Rötliche spielt, kurz, dessen Oberfläche am gleichgültigsten erscheint, am wenigsten sich zu irgend etwas Besondrem hinneigt, der schönste sei. Und so wird auch wohl künftig, wenn von der Form die Rede sein wird, ein solcher Gipfel menschlicher Gestalt sich vor das Anschauen bringen lassen; nicht als ob diese alte Streitfrage hierdurch für immer entschieden sein sollte: denn es gibt Menschen genug, welche Ursache haben, diese Deutsamkeit des Äußern in Zweifel zu setzen; sondern daß dasjenige ausgesprochen werde, was aus einer Folge von Beobachtung und Urteil einem Sicherheit und Beruhigung suchenden Gemüte hervorspringt. Und so fügen wir zum Schluß noch einige auf die elementarchemische Farbenlehre sich beziehende Betrachtungen bei.
LV. Physische und chemische Wirkungen farbiger Beleuchtung
673. Die physischen und chemischen Wirkungen farbloser Beleuchtung sind bekannt, so daß es hier unnötig sein dürfte, sie weitläuftig auseinander zu setzen. Das farblose Licht zeigt sich unter verschiedenen Bedingungen, als Wärme erregend, als ein Leuchten gewissen Körpern mitteilend, als auf Säurung und Entsäurung wirkend. In der Art und Stärke dieser Wirkungen findet sich wohl mancher Unterschied, aber keine solche Differenz, die auf einen Gegensatz hinwiese, wie solche bei farbigen Beleuchtungen erscheint, wovon wir nunmehr kürzlich Rechenschaft zu geben gedenken.
674. Von der Wirkung farbiger Beleuchtung als wärme-erregend wissen wir folgendes zu sagen: An einem sensiblen sogenannten Luftthermometer beobachte man die Temperatur des dunklen Zimmers. Bringt man die Kugel darauf in das direkt hereinscheinende Sonnenlicht, so ist nichts natürlicher, als daß die Flüssigkeit einen viel höhern Grad der Wärme anzeige. Schiebt man alsdann farbige Gläser vor, so folgt auch ganz natürlich, daß sich der Wärmegrad vermindre, erstlich weil die Wirkung des direkten Lichts schon durch das Glas etwas gehindert ist, sodann aber vorzüglich, weil ein farbiges Glas, als ein Dunkles, ein wenigeres Licht hindurchläßt.
675. Hiebei zeigt sich aber dem aufmerksamen Beobachter ein Unterschied der Wärmeerregung, je nachdem diese oder jene Farbe dem Glase eigen ist. Das gelbe und gelbrote Glas bringt eine höhere Temperatur, als das blaue und blaurote hervor, und zwar ist der Unterschied von Bedeutung.
676. Will man diesen Versuch mit dem sogenannten prismatischen Spektrum anstellen, so bemerke man am Thermometer erst die Temperatur des Zimmers, lasse alsdann das blaufärbige Licht auf die Kugel fallen, so wird ein etwas höherer Wärmegrad angezeigt, welcher immer wächst, wenn man die übrigen Farben nach und nach auf die Kugel bringt. In der gelbroten ist die Temperatur am stärksten, noch stärker aber unter dem Gelbroten.
Macht man die Vorrichtung mit dem Wasserprisma, so daß man das weiße Licht in der Mitte vollkommen haben kann, so ist dieses zwar gebrochne, aber noch nicht gefärbte Licht das wärmste; die übrigen Farben verhalten sich hingegen wie vorher gesagt.
677. Da es hier nur um Andeutung, nicht aber um Ableitung und Erklärung dieser Phänomene zu tun ist, so bemerken wir nur im Vorbeigehen, daß sich am Spektrum unter dem Roten keinesweges das Licht vollkommen abschneidet, sondern daß immer noch ein gebrochnes, von seinem Wege abgelenktes, sich hinter dem prismatischen Farbenbilde gleichsam herschleichendes Licht zu bemerken ist, so daß man bei näherer Betrachtung wohl kaum nötig haben wird, zu unsichtbaren Strahlen und deren Brechung seine Zuflucht zu nehmen.
678. Die Mitteilung des Lichtes durch farbige Beleuchtung zeigt dieselbige Differenz. Den Bononischen Phosphoren teilt sich das Licht mit durch blaue und violette Gläser, keinesweges aber durch gelbe und gelbrote; ja man will sogar bemerkt haben, daß die Phosphoren, welchen man durch violette und blaue Gläser den Glühschein mitgeteilt, wenn man solche nachher unter die gelben und gelbroten Scheiben gebracht, früher verlöschen als die, welche man im dunklen Zimmer ruhig liegen läßt.
679. Man kann diese Versuche wie die vorhergehenden auch durch das prismatische Spektrum machen, und es zeigen sich immer dieselben Resultate.
680. Von der Wirkung farbiger Beleuchtung auf Säurung und Entsäurung kann man sich folgendermaßen unterrichten. Man streiche feuchtes, ganz weißes Hornsilber auf einen Papierstreifen; man lege ihn ins Licht, daß er einigermaßen grau werde, und schneide ihn alsdenn in drei Stücke. Das eine lege man in ein Buch, als bleibendes Muster, das andre unter ein gelbrotes, das dritte unter ein blaurotes Glas. Dieses letzte Stück wird immer dunkelgrauer werden und eine Entsäurung anzeigen. Das unter dem gelbroten befindliche wird immer heller grau, tritt also dem ersten Zustand vollkommnerer Säurung wieder näher. Von beiden kann man sich durch Vergleichung mit dem Musterstücke überzeugen.
681. Man hat auch eine schöne Vorrichtung gemacht, diese Versuche mit dem prismatischen Bilde anzustellen. Die Resultate sind denen bisher erwähnten gemäß, und wir werden das Nähere davon späterhin vortragen und dabei die Arbeiten eines genauen Beobachters benutzen, der sich bisher mit diesen Versuchen sorgfältig beschäftigte.
LVI. Chemische Wirkung bei der dioptrischen Achromasie
682. Zuerst ersuchen wir unsre Leser, dasjenige wieder nachzusehen, was wir oben (285–298) über diese Materie vorgetragen, damit es hier keiner weitern Wiederholung bedürfe.
683. Man kann also einem Glase die Eigenschaft geben, daß es, ohne viel stärker zu refrangieren als vorher, das heißt ohne das Bild um ein sehr merkliches weiter zu verrücken dennoch viel breitere Farbensäume hervorbringt.
684. Diese Eigenschaft wird dem Glase durch Metallkalke mitgeteilt. Daher Mennige, mit einem reinen Glase innig zusammengeschmolzen und vereinigt, diese Wirkung hervorbringt. Flintglas (291) ist ein solches mit Bleikalk bereitetes Glas. Auf diesem Wege ist man weiter gegangen und hat die sogenannte Spießglanzbutter, die sich nach einer neuern Bereitung als reine Flüssigkeit darstellen läßt, in linsenförmigen und prismatischen Gefäßen benutzt und hat eine sehr starke Farbenerscheinung bei mäßiger Refraktion hervorgebracht und die von uns so genannte Hyperchromasie sehr lebhaft dargestellt.
685. Bedenkt man nun, daß das gemeine Glas, wenigstens überwiegend alkalischer Natur sei, indem es vorzüglich aus Sand und Laugensalzen zusammengeschmolzen wird, so möchte wohl eine Reihe von Versuchen belehrend sein, welche das Verhältnis völlig alkalischer Liquoren zu völligen Säuren auseinandersetzten.
686. Wäre nun das Maximum und Minimum gefunden, so wäre die Frage, ob nicht irgendein brechend Mittel zu erdenken sei, in welchem die von der Refraktion beinah unabhängig auf- und absteigende Farbenerscheinung bei Verrückung des Bildes völlig Null werden könnte.
687. Wie sehr wünschenswert wäre es daher für diesen letzten Punkt sowohl als für unsre ganze dritte Abteilung, ja für die Farbenlehre überhaupt, daß die mit Bearbeitung der Chemie unter immer fortschreitenden neuen Ansichten beschäftigten Männer auch hier eingreifen und das, was wir beinahe nur mit rohen Zügen angedeutet, in das Feinere verfolgen und in einem allgemeinen, der ganzen Wissenschaft zusagenden Sinne bearbeiten möchten.
Vierte Abteilung – Allgemeine Ansichten nach Innen
Wir haben bisher die Phänomene fast gewaltsam auseinandergehalten, die sich teils ihrer Natur nach, teils dem Bedürfnis unsres Geistes gemäß immer wieder zu vereinigen strebten. Wir haben sie nach einer gewissen Methode in drei Abteilungen vorgetragen und die Farben zuerst bemerkt als flüchtige Wirkung und Gegenwirkung des Auges selbst, ferner als vorübergehende Wirkung farbloser, durchscheinender, durchsichtiger, undurchsichtiger Körper auf das Licht, besonders auf das Lichtbild; endlich sind wir zu dem Punkte gelangt, wo wir sie als dauernd, als den Körpern wirklich einwohnend zuversichtlich ansprechen konnten.
689. In dieser stetigen Reihe haben wir, soviel es möglich sein wollte, die Erscheinungen zu bestimmen, zu sondern, und zu ordnen gesucht. Jetzt, da wir nicht mehr fürchten, sie zu vermischen oder zu verwirren, können wir unternehmen, erstlich das Allgemeine, was sich von diesen Erscheinungen innerhalb des geschlossenen Kreises prädizieren läßt, anzugeben, zweitens, anzudeuten, wie sich dieser besondre Kreis an die übrigen Glieder verwandter Naturerscheinungen anschließt und sich mit ihnen verkettet.
Wie leicht die Farbe entsteht
690. Wir haben beobachtet, daß die Farbe unter mancherlei Bedingungen sehr leicht und schnell entstehe. Die Empfindlichkeit des Auges gegen das Licht, die gesetzliche Gegenwirkung der Retina gegen dasselbe bringen augenblicklich ein leichtes Farbenspiel hervor. Jedes gemäßigte Licht kann als farbig angesehen werden, ja wir dürfen jedes Licht, insofern es gesehen wird, farbig nennen. Farbloses Licht, farblose Flächen sind gewissermaßen Abstraktionen; in der Erfahrung werden wir sie kaum gewahr.
691. Wenn das Licht einen farblosen Körper berührt, von ihm zurückprallt, an ihm her-, durch ihn durchgeht, so erscheinen die Farben sogleich; nur müssen wir hierbei bedenken, was so oft von uns urgiert worden, daß nicht jene Hauptbedingungen der Refraktion, der Reflexion und so weiter hinreichend sind, die Erscheinung hervorzubringen. Das Licht wirkt zwar manchmal dabei an und für sich, öfters aber als ein bestimmtes, begrenztes, als ein Lichtbild. Die Trübe der Mittel ist oft eine notwendige Bedingung, so wie auch Halb- und Doppelschatten zu manchen farbigen Erscheinungen erfordert werden. Durchaus aber entsteht die Farbe augenblicklich und mit der größten Leichtigkeit. So finden wir denn auch ferner, daß durch Druck, Hauch, Rotation, Wärme, durch mancherlei Arten von Bewegung und Veränderung an glatten, reinen Körpern sowie an farblosen Liquoren die Farbe sogleich hervorgebracht werde.
692. In den Bestandteilen der Körper darf nur die geringste Veränderung vor sich gehen, es sei nun durch Mischung mit andern oder durch sonstige Bestimmungen, so entsteht die Farbe an den Körpern oder verändert sich an denselben.
Wie energisch die Farbe sei
693. Die physischen Farben und besonders die prismatischen wurden ehemals wegen ihrer besondern Herrlichkeit und Energie colores emphatici genannt. Bei näherer Betrachtung aber kann man allen Farberscheinungen eine hohe Emphase zuschreiben, vorausgesetzt, daß sie unter den reinsten und vollkommensten Bedingungen dargestellt werden.
694. Die dunkle Natur der Farbe, ihre hohe gesättigte Qualität ist das, wodurch sie den ernsthaften und zugleich reizenden Eindruck hervorbringt, und indem man sie als eine Bedingung des Lichtes ansehen kann, so kann sie auch das Licht nicht entbehren als der mitwirkenden Ursache ihrer Erscheinung, als der Unterlage ihres Erscheinens, als einer aufscheinenden und die Farbe manifestierenden Gewalt.
Wie entschieden die Farbe sei
695. Entstehen der Farbe und sich entscheiden ist eins. Wenn das Licht mit einer allgemeinen Gleichgültigkeit sich und die Gegenstände darstellt und uns von einer bedeutungslosen Gegenwart gewiß macht, so zeigt sich die Farbe jederzeit spezifisch, charakteristisch, bedeutend.
696. Im allgemeinen betrachtet entscheidet sie sich nach zwei Seiten. Sie stellt einen Gegensatz dar, den wir eine Polarität nennen und durch ein + und – recht gut bezeichnen können
Plus Minus
GelbBlau
Wirkung Beraubung
Licht Schatten
HellDunkel
Kraft Schwäche
Wärme Kälte
Nähe Ferne
Abstoßen Anziehen
Verwandtschaft Verwandtschaft
mit Säuren mit Alkalien
Mischung der beiden Seiten
697. Wenn man diesen spezifizierten Gegensatz in sich vermischt, so heben sich die beiderseitigen Eigenschaften nicht auf; sind sie aber auf den Punkt des Gleichgewichts gebracht, daß man keine der beiden besonders erkennt, so erhält die Mischung wieder etwas Spezifisches fürs Auge, sie erscheint als eine Einheit, bei der wir an die Zusammensetzung nicht denken. Diese Einheit nennen wir Grün.
698. Wenn nun zwei aus derselben Quelle entspringende entgegengesetzte Phänomene, indem man sie zusammen bringt, sich nicht aufheben, sondern sich zu einem dritten angenehm Bemerkbaren verbinden, so ist dies schon ein Phänomen, das auf Übereinstimmung hindeutet. Das Vollkommnere ist noch zurück.
Steigerung ins Rote
699. Das Blaue und Gelbe läßt sich nicht verdichten, ohne daß zugleich eine andre Erscheinung mit eintrete. Die Farbe ist in ihrem lichtesten Zustand ein Dunkles, wird sie verdichtet, so muß sie dunkler werden; aber zugleich erhält sie einen Schein, den wir mit dem Worte rötlich bezeichnen.
700. Dieser Schein wächst immer fort, so daß er auf der höchsten Stufe der Steigerung prävaliert. Ein gewaltsamer Lichteindruck klingt purpurfarben ab. Bei dem Gelbroten der prismatischen Versuche, das unmittelbar aus dem Gelben entspringt, denkt man kaum mehr an das Gelbe.
701. Die Steigerung entsteht schon durch farblose trübe Mittel, und hier sehen wir die Wirkung in ihrer höchsten Reinheit und Allgemeinheit. Farbige spezifizierte durchsichtige Liquoren zeigen diese Steigerung sehr auffallend in den Stufengefäßen. Diese Steigerung ist unaufhaltsam schnell und stetig; sie ist allgemein und kommt sowohl bei physiologischen als physischen und chemischen Farben vor.
Vollständigkeit der mannigfaltigen Erscheinung
706. Die mannigfaltigen Erscheinungen, auf ihren verschiedenen Stufen fixiert und nebeneinander betrachtet, bringen Totalität hervor. Diese Totalität ist Harmonie fürs Auge.
707. Der Farbenkreis ist vor unsern Augen entstanden, die mannigfaltigen Verhältnisse des Werdens sind uns deutlich. Zwei reine ursprüngliche Gegensätze sind das Fundament des Ganzen. Es zeigt sich sodann eine Steigerung, wodurch sie sich beide einem dritten nähern; dadurch entsteht auf jeder Seite ein Tiefstes und ein Höchstes, ein Einfachstes und Bedingtestes, ein Gemeinstes und ein Edelstes. Sodann kommen zwei Vereinungen (Vermischungen, Verbindungen, wie man es nennen will) zur Sprache; einmal der einfachen anfänglichen, und sodann der gesteigerten Gegensätze.
Übereinstimmung der vollständigen Erscheinung
708. Die Totalität nebeneinander zu sehen macht einen harmonischen Eindruck aufs Auge. Man hat hier den Unterschied zwischen dem physischen Gegensatz und der harmonischen Entgegenstellung zu bedenken. Der erste beruht auf der reinen nackten ursprünglichen Dualität, insofern sie als ein Getrenntes angesehen wird; die zweite beruht auf der abgeleiteten, entwickelten und dargestellten Totalität.
709. Jede einzelne Gegeneinanderstellung, die harmonisch sein soll, muß Totalität enthalten. Hievon werden wir durch die physiologischen Versuche belehrt. Eine Entwicklung der sämtlichen möglichen Entgegenstellungen um den ganzen Farbenkreis wird nächstens geleistet.
Wie leicht die Farbe von einer Seite auf die andre zu wenden
710. Die Beweglichkeit der Farbe haben wir schon bei der Steigerung und bei der Durchwanderung des Kreises zu bedenken Ursache gehabt; aber auch sogar hinüber und herüber werfen sie sich notwendig und geschwind.
711. Physiologische Farben zeigen sich anders auf dunklem als auf hellem Grund. Bei den physikalischen ist die Verbindung des objektiven und subjektiven Versuchs höchst merkwürdig. Die epoptischen Farben sollen beim durchscheinenden Licht und beim aufscheinenden entgegengesetzt sein. Wie die chemischen Farben durch Feuer und Alkalien umzuwenden, ist seines Orts hinlänglich gezeigt worden.
Wie fest die Farbe bleibt
714. Die chemischen Farben geben ein Zeugnis sehr langer Dauer. Die Farben, durch Schmelzung in Gläsern fixiert sowie durch Natur in Edelsteinen, trotzen aller Zeit und Gegenwirkung.
715. Die Färberei fixiert von ihrer Seite die Farben sehr mächtig. Und Pigmente, welche durch Reagenzien sonst leicht herüber und hinüber geführt werden, lassen sich durch Beizen zur größten Beständigkeit an und in Körper übertragen.
Fünfte Abteilung – Nachbarliche Verhältnisse
Verhältnis zur Philosophie
Man kann von dem Physiker nicht fordern, daß er Philosoph sei; aber man kann von ihm erwarten, daß er so viel philosophische Bildung habe, um sich gründlich von der Welt zu unterscheiden und mit ihr wieder im höhern Sinne zusammenzutreten. Er soll sich eine Methode bilden, die dem Anschauen gemäß ist; er soll sich hüten, das Anschauen in Begriffe, den Begriff in Worte zu verwandeln und mit diesen Worten, als wären’s Gegenstände, umzugehen und zu verfahren; er soll von den Bemühungen des Philosophen Kenntnis haben, um die Phänomene bis an die philosophische Region hinanzuführen.
717. Man kann von dem Philosophen nicht verlangen, daß er Physiker sei; und dennoch ist seine Einwirkung auf den physischen Kreis so notwendig und so wünschenswert. Dazu bedarf er nicht des einzelnen, sondern nur der Einsicht in jene Endpunkte, wo das einzelne zusammentrifft.
718. Wir haben früher (175 ff.) dieser wichtigen Betrachtung im Vorbeigehen erwähnt und sprechen sie hier, als am schicklichen Orte, nochmals aus. Das Schlimmste, was der Physik sowie mancher andern Wissenschaft widerfahren kann, ist, daß man das Abgeleitete für das Ursprüngliche hält, und da man das Ursprüngliche aus Abgeleitetem nicht ableiten kann, das Ursprüngliche aus dem Abgeleiteten zu erklären sucht. Dadurch entsteht eine unendliche Verwirrung, ein Wortkram und eine fortdauernde Bemühung, Ausflüchte zu suchen und zu finden, wo das Wahre nur irgend hervortritt und mächtig werden will.
719. Indem sich der Beobachter, der Naturforscher auf diese Weise abquält, weil die Erscheinungen der Meinung jederzeit widersprechen, so kann der Philosoph mit einem falschen Resultate in seiner Sphäre noch immer operieren, indem kein Resultat so falsch ist, daß es nicht, als Form ohne allen Gehalt, auf irgendeine Weise gelten könnte.
720. Kann dagegen der Physiker zur Erkenntnis desjenigen gelangen, was wir ein Urphänomen genannt haben, so ist er geborgen und der Philosoph mit ihm: er, denn er überzeugt sich, daß er an die Grenze seiner Wissenschaft gelangt sei, daß er sich auf der empirischen Höhe befinde, wo er rückwärts die Erfahrung in allen ihren Stufen überschauen und vorwärts in das Reich der Theorie, wo nicht eintreten, doch einblicken könne. Der Philosoph ist geborgen: denn er nimmt aus des Physikers Hand ein Letztes, das bei ihm nun ein Erstes wird. Er bekümmert sich nun mit Recht nicht mehr um die Erscheinung, wenn man darunter das Abgeleitete versteht, wie man es entweder schon wissenschaftlich zusammengestellt findet oder wie es gar in empirischen Fällen zerstreut und verworren vor die Sinne tritt. Will er ja auch diesen Weg durchlaufen und einen Blick ins einzelne nicht verschmähen, so tut er es mit Bequemlichkeit, anstatt daß er bei anderer Behandlung sich entweder zu lange in den Zwischenregionen aufhält oder sie nur flüchtig durchstreift, ohne sie genau kennen zu lernen.
721. In diesem Sinne die Farbenlehre dem Philosophen zu nähern, war des Verfassers Wunsch, und wenn ihm solches in der Ausführung selbst aus mancherlei Ursachen nicht gelungen sein sollte, so wird er bei Revision seiner Arbeit, bei Rekapitulation des Vorgetragenen sowie in dem polemischen und historischen Teile dieses Ziel immer im Auge haben und später, wo manches deutlicher wird auszusprechen sein, auf diese Betrachtung zurückkehren.
Verhältnis zur Mathematik
722. Man kann von dem Physiker, welcher die Naturlehre in ihrem ganzen Umfange behandeln will, verlangen, daß er Mathematiker sei. In den mittleren Zeiten war die Mathematik das vorzüglichste unter den Organen, durch welche man sich der Geheimnisse der Natur zu bemächtigen hoffte; und noch ist in gewissen Teilen der Naturlehre die Meßkunst, wie billig, herrschend.
723. Der Verfasser kann sich keiner Kultur von dieser Seite rühmen, und verweilt auch deshalb nur in den von der Meßkunst unabhängigen Regionen, die sich in der neuern Zeit weit und breit aufgetan haben.
724. Wer bekennt nicht, daß die Mathematik, als eins der herrlichsten menschlichen Organe, der Physik von einer Seite sehr vieles genutzt; daß sie aber durch falsche Anwendung ihrer Behandlungsweise dieser Wissenschaft gar manches geschadet, läßt sich auch nicht wohl leugnen, und man findet’s, hier und da, notdürftig eingestanden.
725. Die Farbenlehre besonders hat sehr viel gelitten, und ihre Fortschritte sind äußerst gehindert worden, daß man sie mit der übrigen Optik, welche der Meßkunst nicht entbehren kann, vermengte, da sie doch eigentlich von jener ganz abgesondert betrachtet werden kann.
726. Dazu kam noch das Übel, daß ein großer Mathematiker über den physischen Ursprung der Farben eine ganz falsche Vorstellung bei sich festsetzte und durch seine großen Verdienste als Meßkünstler die Fehler, die er als Naturforscher begangen, vor einer in Vorurteilen stets befangnen Welt auf lange Zeit sanktionierte.
727. Der Verfasser des Gegenwärtigen hat die Farbenlehre durchaus von der Mathematik entfernt zu halten gesucht, ob sich gleich gewisse Punkte deutlich genug ergeben, wo die Beihülfe der Meßkunst wünschenswert sein würde. Wären die vorurteilsfreien Mathematiker, mit denen er umzugehen das Glück hatte und hat, nicht durch andre Geschäfte abgehalten gewesen, um mit ihm gemeine Sache machen zu können, so würde der Behandlung von dieser Seite einiges Verdienst nicht fehlen. Aber so mag denn auch dieser Mangel zum Vorteil gereichen, indem es nunmehr des geistreichen Mathematikers Geschäft werden kann, selbst aufzusuchen, wo denn die Farbenlehre seiner Hülfe bedarf, und wie er zur Vollendung dieses Teils der Naturwissenschaft das Seinige beitragen kann.
728. Überhaupt wäre es zu wünschen, daß die Deutschen, die so vieles Gute leisten, indem sie sich das Gute fremder Nationen aneignen, sich nach und nach gewöhnten, in Gesellschaft zu arbeiten. Wir leben zwar in einer diesem Wunsche gerade entgegengesetzten Epoche. Jeder will nicht nur original in seinen Ansichten, sondern auch im Gange seines Lebens und Tuns von den Bemühungen anderer unabhängig, wo nicht sein, doch daß er es sei, sich überreden. Man bemerkt sehr oft, daß Männer, die freilich manches geleistet, nur sich selbst, ihre eigenen Schriften, Journale und Kompendien zitieren, anstatt daß es für den einzelnen und für die Welt viel vorteilhafter wäre, wenn mehrere zu gemeinsamer Arbeit gerufen würden. Das Betragen unserer Nachbarn, der Franzosen, ist hierin musterhaft, wie man zum Beispiel in der Vorrede Cuviers zu seinem Tableau élémentaire de l’Histoire naturelle des animaux mit Vergnügen sehen wird.
729. Wer die Wissenschaften und ihren Gang mit treuem Auge beobachtet hat, wird sogar die Frage aufwerfen: ob es denn vorteilhaft sei, so manche, obgleich verwandte, Beschäftigungen und Bemühungen in einer Person zu vereinigen, und ob es nicht bei der Beschränktheit der menschlichen Natur gemäßer sei, zum Beispiel den aufsuchenden und findenden von dem behandelnden und anwendenden Manne zu unterscheiden. Haben sich doch die himmelbeobachtenden und sternaufsuchenden Astronomen von den bahnberechnenden, das Ganze umfassenden und näher bestimmenden in der neuern Zeit gewissermaßen getrennt. Die Geschichte der Farbenlehre wird uns zu diesen Betrachtungen öfter zurückführen.
Verhältnis zur Technik des Färbers
730. Sind wir bei unsern Arbeiten dem Mathematiker aus dem Wege gegangen, so haben wir dagegen gesucht, der Technik des Färbers zu begegnen. Und obgleich diejenige Abteilung, welche die Farben in chemischer Rücksicht abhandelt, nicht die vollständigste und umständlichste ist, so wird doch sowohl darin als in dem, was wir Allgemeines von den Farben ausgesprochen, der Färber weit mehr seine Rechnung finden als bei der bisherigen Theorie, die ihn ohne allen Trost ließ.
731. Merkwürdig ist es, in diesem Sinne die Anleitungen zur Färbekunst zu betrachten. Wie der katholische Christ, wenn er in seinen Tempel tritt, sich mit Weihwasser besprengt und vor dem Hochwürdigen die Knie beugt und vielleicht alsdann, ohne sonderliche Andacht, seine Angelegenheiten mit Freunden bespricht oder Liebesabenteuern nachgeht, so fangen die sämtlichen Färbelehren mit einer respektvollen Erwähnung der Theorie geziemend an, ohne daß sich auch nachher nur eine Spur fände, daß etwas aus dieser Theorie herflösse, daß diese Theorie irgend etwas erleuchte, erläutere und zu praktischen Handgriffen irgendeinen Vorteil gewähre.
732. Dagegen finden sich Männer, welche den Umfang des praktischen Färbewesens wohl eingesehen, in dem Falle, sich mit der herkömmlichen Theorie zu entzweien, ihre Blößen mehr oder weniger zu entdecken und ein der Natur und Erfahrung gemäßeres Allgemeines aufzusuchen. Wenn uns in der Geschichte die Namen Castel und Gülich begegnen, so werden wir hierüber weitläuftiger zu handeln Ursache haben, wobei sich zugleich Gelegenheit finden wird zu zeigen, wie eine fortgesetzte Empirie, indem sie in allem Zufälligen umhergreift, den Kreis, in den sie gebannt ist, wirklich ausläuft und sich als ein hohes Vollendetes dem Theoretiker, wenn er klare Augen und ein redliches Gemüt hat, zu seiner großen Bequemlichkeit überliefert.
Verhältnis zur Physiologie und Pathologie
733. Wenn wir in der Abteilung, welche die Farben in physiologischer und pathologischer Rücksicht betrachtet, fast nur allgemein bekannte Phänomene überliefert, so werden dagegen einige neue Ansichten dem Physiologen nicht unwillkommen sein. Besonders hoffen wir seine Zufriedenheit dadurch erreicht zu haben, daß wir gewisse Phänomene, welche isoliert standen, zu ihren ähnlichen und gleichen gebracht und ihm dadurch gewissermaßen vorgearbeitet haben.
734. Was den pathologischen Anhang betrifft, so ist er freilich unzulänglich und inkohärent. Wir besitzen aber die vortrefflichsten Männer, die nicht allein in diesem Fache höchst erfahren und kenntnisreich sind, sondern auch zugleich wegen eines so gebildeten Geistes verehrt werden, daß es ihnen wenig Mühe machen kann, diese Rubriken umzuschreiben und das, was ich angedeutet, vollständig auszuführen und zugleich an die höheren Einsichten in den Organismus anzuschließen.
Verhältnis zur Naturgeschichte
735. Insofern wir hoffen können, daß die Naturgeschichte auch nach und nach sich in eine Ableitung der Naturerscheinungen aus höhern Phänomenen umbilden wird, so glaubt der Verfasser auch hierzu einiges angedeutet und vorbereitet zu haben. Indem die Farbe in ihrer größten Mannigfaltigkeit sich auf der Oberfläche lebendiger Wesen dem Auge darstellt, so ist sie ein wichtiger Teil der äußeren Zeichen, wodurch wir gewahr werden, was im Innern vorgeht.
736. Zwar ist ihr von einer Seite wegen ihrer Unbestimmtheit und Versatilität nicht allzuviel zu trauen; doch wird eben diese Beweglichkeit, insofern sie sich uns als eine konstante Erscheinung zeigt, wieder ein Kriterion des beweglichen Lebens; und der Verfasser wünscht nichts mehr, als daß ihm Frist gegönnt sei, das, was er hierüber wahrgenommen, in einer Folge, zu der hier der Ort nicht war, weitläuftiger auseinander zu setzen.
Verhältnis zur allgemeinen Physik
737. Der Zustand, in welchem sich die allgemeine Physik gegenwärtig befindet, scheint auch unserer Arbeit besonders günstig, indem die Naturlehre durch rastlose, mannigfaltige Behandlung sich nach und nach zu einer solchen Höhe erhoben hat, daß es nicht unmöglich scheint, die grenzenlose Empirie an einen methodischen Mittelpunkt heranzuziehen.
738. Dessen, was zu weit von unserm besondern Kreise abliegt, nicht zu gedenken, so finden sich die Formeln, durch die man die elementaren Naturerscheinungen, wo nicht dogmatisch, doch wenigstens zum didaktischen Behufe ausspricht, durchaus auf dem Wege, daß man sieht, man werde durch die Übereinstimmung der Zeichen bald auch notwendig zur Übereinstimmung im Sinne gelangen.
739. Treue Beobachter der Natur, wenn sie auch sonst noch so verschieden denken, werden doch darin miteinander übereinkommen, daß alles, was erscheinen, was uns als ein Phänomen begegnen solle, müsse entweder eine ursprüngliche Entzweiung, die einer Vereinigung fähig ist, oder eine ursprüngliche Einheit, die zur Entzweiung gelangen könne, andeuten und sich auf eine solche Weise darstellen. Das Geeinte zu entzweien, das Entzweite zu einigen, ist das Leben der Natur; dies ist die ewige Systole und Diastole, die ewige Synkrisis und Diakrisis, das Ein- und Ausatmen der Welt, in der wir leben, weben und sind.
740. Daß dasjenige, was wir hier als Zahl, als Eins und Zwei aussprechen, ein höheres Geschäft sei, versteht sich von selbst; so wie die Erscheinung eines Dritten, Vierten sich ferner Entwickelnden immer in einem höhern Sinne zu nehmen, besonders aber allen diesen Ausdrücken eine echte Anschauung unterzulegen ist.
741. Das Eisen kennen wir als einen besondern von andern unterschiedenen Körper; aber es ist ein gleichgültiges, uns nur in manchem Bezug und zu manchem Gebrauch merkwürdiges Wesen. Wie wenig aber bedarf es, und die Gleichgültigkeit dieses Körpers ist aufgehoben. Eine Entzweiung geht vor, die, indem sie sich wieder zu vereinigen strebt und sich selbst aufsucht, einen gleichsam magischen Bezug auf ihresgleichen gewinnt, und diese Entzweiung, die doch nur wieder eine Vereinigung ist, durch ihr ganzes Geschlecht fortsetzt. Hier kennen wir das gleichgültige Wesen, das Eisen; wir sehen die Entzweiung an ihm entstehen, sich fortpflanzen und verschwinden, und sich leicht wieder aufs neue erregen: nach unserer Meinung ein Urphänomen, das unmittelbar an der Idee steht und nichts Irdisches über sich erkennt.
742. Mit der Elektrizität verhält es sich wieder auf eine eigne Weise. Das Elektrische, als ein Gleichgültiges, kennen wir nicht. Es ist für uns ein Nichts, ein Null, ein Nullpunkt, ein Gleichgültigkeitspunkt, der aber in allen erscheinenden Wesen liegt und zugleich der Quellpunkt ist, aus dem bei dem geringsten Anlaß eine Doppelerscheinung hervortritt, welche nur insofern erscheint, als sie wieder verschwindet. Die Bedingungen, unter welchen jenes Hervortreten erregt wird, sind nach Beschaffenheit der besondern Körper unendlich verschieden. Von dem gröbsten mechanischen Reiben sehr unterschiedener Körper aneinander bis zu dem leisesten Nebeneinandersein zweier völlig gleichen, nur durch weniger als einen Hauch anders determinierten Körper, ist die Erscheinung rege und gegenwärtig, ja auffallend und mächtig, und zwar dergestalt bestimmt und geeignet, daß wir die Formeln der Polarität, des Plus und Minus, als Nord und Süd, als Glas und Harz, schicklich und naturgemäß anwenden.
743. Diese Erscheinung, ob sie gleich der Oberfläche besonders folgt, ist doch keinesweges oberflächlich. Sie wirkt auf die Bestimmung körperlicher Eigenschaften und schließt sich an die große Doppelerscheinung, welche sich in der Chemie so herrschend zeigt, an Oxydation und Desoxydation unmittelbar wirkend an.
744. In diese Reihe, in diesen Kreis, in diesen Kranz von Phänomenen auch die Erscheinungen der Farbe heranzubringen und einzuschließen, war das Ziel unseres Bestrebens. Was uns nicht gelungen ist, werden andre leisten. Wir fanden einen uranfänglichen ungeheuren Gegensatz von Licht und Finsternis, den man allgemeiner durch Licht und Nichtlicht ausdrücken kann; wir suchten denselben zu vermitteln und dadurch die sichtbare Welt aus Licht, Schatten und Farbe herauszubilden, wobei wir uns zu Entwickelung der Phänomene verschiedener Formeln bedienten, wie sie uns in der Lehre des Magnetismus, der Elektrizität, des Chemismus überliefert werden. Wir mußten aber weiter gehen, weil wir uns in einer höhern Region befanden und mannigfaltigere Verhältnisse auszudrücken hatten.
745. Wenn sich Elektrizität und Galvanität in ihrer Allgemeinheit von dem Besondern der magnetischen Erscheinungen abtrennt und erhebt, so kann man sagen, daß die Farbe, obgleich unter eben den Gesetzen stehend, sich doch viel höher erhebe und, indem sie für den edlen Sinn des Auges wirksam ist, auch ihre Natur zu ihrem Vorteile dartue. Man vergleiche das Mannigfaltige, das aus einer Steigerung des Gelben und Blauen zum Roten, aus der Verknüpfung dieser beiden höheren Enden zum Purpur, aus der Vermischung der beiden niedern Enden zum Grün entsteht. Welch ein ungleich mannigfaltigeres Schema entspringt hier nicht, als dasjenige ist, worin sich Magnetismus und Elektrizität begreifen lassen. Auch stehen diese letzteren Erscheinungen auf einer niedern Stufe, so daß sie zwar die allgemeine Welt durchdringen und beleben, sich aber zum Menschen im höheren Sinne nicht herauf begeben können, um von ihm ästhetisch benutzt zu werden. Das allgemeine einfache physische Schema muß erst in sich selbst erhöht und vermannigfaltigt werden, um zu höheren Zwecken zu dienen.
746. Man rufe in diesem Sinne zurück, was durchaus von uns bisher sowohl im Allgemeinen als Besondern von der Farbe prädiziert worden, und man wird sich selbst dasjenige, was hier nur leicht angedeutet ist, ausführen und entwickeln. Man wird dem Wissen, der Wissenschaft, dem Handwerk und der Kunst Glück wünschen, wenn es möglich wäre, das schöne Kapitel der Farbenlehre aus seiner atomistischen Beschränktheit und Abgesondertheit, in die es bisher verwiesen, dem allgemeinen dynamischen Flusse des Lebens und Wirkens wiederzugeben, dessen sich die jetzige Zeit erfreut. Diese Empfindungen werden bei uns noch lebhafter werden, wenn uns die Geschichte so manchen wackern und einsichtsvollen Mann vorführen wird, dem es nicht gelang, von seinen Überzeugungen seine Zeitgenossen zu durchdringen.
Verhältnis zur Tonlehre
747. Ehe wir nunmehr zu den sinnlich-sittlichen und daraus entspringenden ästhetischen Wirkungen der Farbe übergehen, ist es der Ort, auch von ihrem Verhältnisse zu dem Ton einiges zu sagen.
Daß ein gewisses Verhältnis der Farbe zum Ton stattfinde, hat man von jeher gefühlt, wie die öftern Vergleichungen, welche teils vorübergehend, teils umständlich genug angestellt worden, beweisen. Der Fehler, den man hiebei begangen, beruhet nur auf folgendem.
748. Vergleichen lassen sich Farbe und Ton untereinander auf keine Weise, aber beide lassen sich auf eine höhere Formel beziehen, aus einer höhern Formel beide, jedoch jedes für sich, ableiten. Wie zwei Flüsse, die auf einem Berge entspringen, aber unter ganz verschiedenen Bedingungen in zwei ganz entgegengesetzte Weltgegenden laufen, so daß auf dem beiderseitigen ganzen Wege keine einzelne Stelle der andern verglichen werden kann, so sind auch Farbe und Ton. Beide sind allgemeine elementare Wirkungen nach dem allgemeinen Gesetz des Trennens und Zusammenstrebens, des Auf- und Abschwankens, des Hin-und Wiederwägens wirkend, doch nach ganz verschiedenen Seiten, auf verschiedene Weise, auf verschiedene Zwischenelemente, für verschiedene Sinne.
749. Möchte jemand die Art und Weise, wie wir die Farbenlehre an die allgemeine Naturlehre angeknüpft, recht fassen und dasjenige, was uns entgangen und abgegangen, durch Glück und Genialität ersetzen, so würde die Tonlehre nach unserer Überzeugung an die allgemeine Physik vollkommen anzuschließen sein, da sie jetzt innerhalb derselben gleichsam nur historisch abgesondert steht.
750. Aber eben darin läge die größte Schwierigkeit, die für uns gewordene positive, auf seltsamen empirischen, zufälligen, mathematischen, ästhetischen, genialischen Wegen entsprungene Musik zugunsten einer physikalischen Behandlung zu zerstören und in ihre ersten physischen Elemente aufzulösen. Vielleicht wäre auch hierzu auf dem Punkte, wo Wissenschaft und Kunst sich befinden, nach so manchen schönen Vorarbeiten Zeit und Gelegenheit.
Schlußbetrachtung über Sprache und Terminologie
751. Man bedenkt niemals genug, daß eine Sprache eigentlich nur symbolisch, nur bildlich sei und die Gegenstände niemals unmittelbar, sondern nur im Widerscheine ausdrücke. Dieses ist besonders der Fall, wenn von Wesen die Rede ist, welche an die Erfahrung nur herantreten und die man mehr Tätigkeiten als Gegenstände nennen kann, dergleichen im Reiche der Naturlehre immerfort in Bewegung sind. Sie lassen sich nicht festhalten, und doch soll man von ihnen reden; man sucht daher alle Arten von Formeln auf, um ihnen wenigstens gleichnisweise beizukommen.
752. Metaphysische Formeln haben eine große Breite und Tiefe, jedoch sie würdig auszufüllen, wird ein reicher Gehalt erfordert, sonst bleiben sie hohl. Mathematische Formeln lassen sich in vielen Fällen sehr bequem und glücklich anwenden, aber es bleibt ihnen immer etwas Steifes und Ungelenkes, und wir fühlen bald ihre Unzulänglichkeit, weil wir, selbst in Elementarfällen, sehr früh ein Inkommensurables gewahr werden; ferner sind sie auch nur innerhalb eines gewissen Kreises besonders hiezu gebildeter Geister verständlich. Mechanische Formeln sprechen mehr zu dem gemeinen Sinn, aber sie sind auch gemeiner und behalten immer etwas Rohes. Sie verwandeln das Lebendige in ein Totes; sie töten das innre Leben, um von außen ein unzulängliches heranzubringen. Korpuskularformeln sind ihnen nahe verwandt; das Bewegliche wird starr durch sie, Vorstellung und Ausdruck ungeschlacht. Dagegen erscheinen die moralischen Formeln, welche freilich zartere Verhältnisse ausdrücken, als bloße Gleichnisse und verlieren sich denn auch wohl zuletzt in Spiele des Witzes.
753. Könnte man sich jedoch aller dieser Arten der Vorstellung und des Ausdrucks mit Bewußtsein bedienen und in einer mannigfaltigen Sprache seine Betrachtungen über Naturphänomene überliefern, hielte man sich von Einseitigkeit frei und faßte einen lebendigen Sinn in einen lebendigen Ausdruck, so ließe sich manches Erfreuliche mitteilen.
754. Jedoch wie schwer ist es, das Zeichen nicht an die Stelle der Sache zu setzen, das Wesen immer lebendig vor sich zu haben und es nicht durch das Wort zu töten. Dabei sind wir in den neuern Zeiten in eine noch größere Gefahr geraten, indem wir aus allem Erkenn- und Wißbaren Ausdrücke und Terminologien herübergenommen haben, um unsre Anschauungen der einfacheren Natur auszudrücken. Astronomie, Kosmologie, Geologie, Naturgeschichte, ja Religion und Mystik werden zu Hülfe gerufen; und wie oft wird nicht das Allgemeine durch ein Besonderes, das Elementare durch ein Abgeleitetes mehr zugedeckt und verdunkelt als aufgehellt und näher gebracht. Wir kennen das Bedürfnis recht gut, wodurch eine solche Sprache entstanden ist und sich ausbreitet; wir wissen auch, daß sie sich in einem gewissen Sinne unentbehrlich macht: allein nur ein mäßiger, anspruchsloser Gebrauch mit Überzeugung und Bewußtsein kann Vorteil bringen.
755. Am wünschenswertesten wäre jedoch, daß man die Sprache, wodurch man die Einzelnheiten eines gewissen Kreises bezeichnen will, aus dem Kreise selbst nähme; die einfachste Erscheinung als Grundformel behandelte und die mannigfaltigern von daher ableitete und entwickelte.
756. Die Notwendigkeit und Schicklichkeit einer solchen Zeichensprache, wo das Grundzeichen die Erscheinung selbst ausdrückt, hat man recht gut gefühlt, indem man die Formel der Polarität, dem Magneten abgeborgt, auf Elektrizität und so weiter hinübergeführt hat. Das Plus und Minus, was an dessen Stelle gesetzt werden kann, hat bei so vielen Phänomenen eine schickliche Anwendung gefunden; ja der Tonkünstler ist, wahrscheinlich ohne sich um jene andern Fächer zu bekümmern, durch die Natur veranlaßt worden, die Hauptdifferenz der Tonarten durch Majeur und Mineur auszudrücken.
757. So haben auch wir seit langer Zeit den Ausdruck der Polarität in die Farbenlehre einzuführen gewünscht; mit welchem Rechte und in welchem Sinne, mag die gegenwärtige Arbeit ausweisen. Vielleicht finden wir künftig Raum, durch eine solche Behandlung und Symbolik, welche ihr Anschauen jederzeit mit sich führen müßte, die elementaren Naturphänomene nach unsrer Weise aneinander zu knüpfen, und dadurch dasjenige deutlicher zu machen, was hier nur im allgemeinen und vielleicht nicht bestimmt genug ausgesprochen worden.
Sechste Abteilung – Sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe
Da die Farbe in der Reihe der uranfänglichen Naturerscheinungen einen so hohen Platz behauptet, indem sie den ihr angewiesenen einfachen Kreis mit entschiedener Mannigfaltigkeit ausfüllt, so werden wir uns nicht wundern, wenn wir erfahren, daß sie auf den Sinn des Auges, dem sie vorzüglich zugeeignet ist, und durch dessen Vermittelung auf das Gemüt in ihren allgemeinsten elementaren Erscheinungen, ohne Bezug auf Beschaffenheit oder Form eines Materials, an dessen Oberfläche wir sie gewahr werden, einzeln eine spezifische, in Zusammenstellung eine teils harmonische, teils charakteristische, oft auch unharmonische, immer aber eine entschiedene und bedeutende Wirkung hervorbringe, die sich unmittelbar an das Sittliche anschließt. Deshalb denn Farbe, als ein Element der Kunst betrachtet, zu den höchsten ästhetischen Zwecken mitwirkend genutzt werden kann.
759. Die Menschen empfinden im allgemeinen eine große Freude an der Farbe. Das Auge bedarf ihrer, wie es des Lichtes bedarf. Man erinnre sich der Erquickung, wenn an einem trüben Tage die Sonne auf einen einzelnen Teil der Gegend scheint und die Farben daselbst sichtbar macht. Daß man den farbigen Edelsteinen Heilkräfte zuschrieb, mag aus dem tiefen Gefühl dieses unaussprechlichen Behagens entstanden sein.
760. Die Farben, die wir an den Körpern erblicken, sind nicht etwa dem Auge ein völlig Fremdes, wodurch es erst zu dieser Empfindung gleichsam gestempelt würde; nein. Dieses Organ ist immer in der Disposition, selbst Farben hervorzubringen, und genießt einer angenehmen Empfindung, wenn etwas der eignen Natur Gemäßes ihm von außen gebracht wird, wenn seine Bestimmbarkeit nach einer gewissen Seite hin bedeutend bestimmt wird.
761. Aus der Idee des Gegensatzes der Erscheinung, aus der Kenntnis, die wir von den besondern Bestimmungen desselben erlangt haben, können wir schließen, daß die einzelnen Farbeindrücke nicht verwechselt werden können, daß sie spezifisch wirken, und entschieden spezifische Zustände in dem lebendigen Organ hervorbringen müssen.
762. Eben auch so in dem Gemüt. Die Erfahrung lehrt uns, daß die einzelnen Farben besondre Gemütsstimmungen geben. Von einem geistreichen Franzosen wird erzählt: Il prétendoit que son ton de conversation avec Madame étoit changé depuis qu’elle avoit changé en cramoisi le meuble de son cabinet qui étoit bleu.
763. Diese einzelnen bedeutenden Wirkungen voll kommen zu empfinden, muß man das Auge ganz mit einer Farbe umgeben, zum Beispiel in einem einfarbigen Zimmer sich befinden, durch ein farbiges Glas sehen. Man identifiziert sich alsdann mit der Farbe; sie stimmt Auge und Geist mit sich unisono.
764. Die Farben von der Plusseite sind Gelb, Rotgelb (Orange), Gelbrot (Mennig, Zinnober). Sie stimmen regsam, lebhaft, strebend.
Gelb
765. Es ist die nächste Farbe am Licht. Sie entsteht durch die gelindeste Mäßigung desselben, es sei durch trübe Mittel oder durch schwache Zurückwerfung von weißen Flächen. Bei den prismatischen Versuchen erstreckt sie sich allein breit in den lichten Raum und kann dort, wenn die beiden Pole noch abgesondert voneinander stehen, ehe sie sich mit dem Blauen zum Grünen vermischt, in ihrer schönsten Reinheit gesehen werden. Wie das chemische Gelb sich an und über dem Weißen entwickelt, ist gehörigen Orts umständlich vorgetragen worden.
766. Sie führt in ihrer höchsten Reinheit immer die Natur des Hellen mit sich und besitzt eine heitere, muntere, sanft reizende Eigenschaft.
767. In diesem Grade ist sie als Umgebung, es sei als Kleid, Vorhang, Tapete, angenehm. Das Gold in seinem ganz ungemischten Zustande gibt uns, besonders wenn der Glanz hinzukommt, einen neuen und hohen Begriff von dieser Farbe; so wie ein starkes Gelb, wenn es auf glänzender Seide, zum Beispiel auf Atlas erscheint, eine prächtige und edle Wirkung tut.
768. So ist es der Erfahrung gemäß, daß das Gelbe einen durchaus warmen und behaglichen Eindruck mache. Daher es auch in der Malerei der beleuchteten und wirksamen Seite zukommt.
769. Diesen erwärmenden Effekt kann man am lebhaftesten bemerken, wenn man durch ein gelbes Glas, besonders in grauen Wintertagen, eine Landschaft ansieht. Das Auge wird erfreut, das Herz ausgedehnt, das Gemüt erheitert; eine unmittelbare Wärme scheint uns anzuwehen.
770. Wenn nun diese Farbe, in ihrer Reinheit und hellem Zustande angenehm und erfreulich, in ihrer ganzen Kraft aber etwas Heiteres und Edles hat, so ist sie dagegen äußerst empfindlich und macht eine sehr unangenehme Wirkung, wenn sie beschmutzt oder einigermaßen ins Minus gezogen wird. So hat die Farbe des Schwefels, die ins Grüne fällt, etwas Unangenehmes.
771. Wenn die gelbe Farbe unreinen und unedlen Oberflächen mitgeteilt wird, wie dem gemeinen Tuch, dem Filz und dergleichen, worauf sie nicht mit ganzer Energie erscheint, entsteht eine solche unangenehme Wirkung. Durch eine geringe und unmerkliche Bewegung wird der schöne Eindruck des Feuers und Goldes in die Empfindung des Kotigen verwandelt, und die Farbe der Ehre und Wonne zur Farbe der Schande, des Abscheus und Mißbehagens umgekehrt. Daher mögen die gelben Hüte der Bankerottierer, die gelben Ringe auf den Mänteln der Juden entstanden sein; ja die sogenannte Hahnreifarbe ist eigentlich nur ein schmutziges Gelb.
Rotgelb
772. Da sich keine Farbe als stillstehend betrachten läßt, so kann man das Gelbe sehr leicht durch Verdichtung und Verdunklung ins Rötliche steigern und erheben. Die Farbe wächst an Energie und erscheint im Rotgelben mächtiger und herrlicher.
773. Alles was wir vom Gelben gesagt haben, gilt auch hier, nur im höhern Grade. Das Rotgelbe gibt eigentlich dem Auge das Gefühl von Wärme und Wonne, indem es die Farbe der höhern Glut sowie den mildern Abglanz der untergehenden Sonne repräsentiert. Deswegen ist sie auch bei Umgebungen angenehm und als Kleidung in mehr oder minderm Grade erfreulich oder herrlich. Ein kleiner Blick ins Rote gibt dem Gelben gleich ein ander Ansehn; und wenn Engländer und Deutsche sich noch an blaßgelben hellen Lederfarben genügen lassen, so liebt der Franzose, wie Pater Castel schon bemerkt, das ins Rot gesteigerte Gelb, wie ihn überhaupt an Farben alles freut, was sich auf der aktiven Seite befindet.
Gelbrot
774. Wie das reine Gelb sehr leicht in das Rotgelbe hinübergeht, so ist die Steigerung dieses letzten ins Gelbrote nicht aufzuhalten. Das angenehme heitre Gefühl, das uns das Rotgelbe noch gewährt, steigert sich bis zum unerträglich Gewaltsamen im hohen Gelbroten.
775. Die aktive Seite ist hier in ihrer höchsten Energie, und es ist kein Wunder, daß energische, gesunde, rohe Menschen sich besonders an dieser Farbe erfreuen. Man hat die Neigung zu derselben bei wilden Völkern durchaus bemerkt. Und wenn Kinder, sich selbst überlassen, zu illuminieren anfangen, so werden sie Zinnober und Mennig nicht schonen.
776. Man darf eine vollkommen gelbrote Fläche starr ansehen, so scheint sich die Farbe wirklich ins Organ zu bohren. Sie bringt eine unglaubliche Erschütterung hervor und behält diese Wirkung bei einem ziemlichen Grade von Dunkelheit.
Die Erscheinung eines gelbroten Tuches beunruhigt und erzürnt die Tiere. Auch habe ich gebildete Menschen gekannt, denen es unerträglich fiel, wenn ihnen an einem sonst grauen Tage jemand im Scharlachrock begegnete.
777. Die Farben von der Minusseite sind Blau, Rotblau und Blaurot. Sie stimmen zu einer unruhigen, weichen und sehnenden Empfindung.
Blau
778. So wie Gelb immer ein Licht mit sich führt, so kann man sagen, daß Blau immer etwas Dunkles mit sich führe.
779. Diese Farbe macht für das Auge eine sonderbare und fast unaussprechliche Wirkung. Sie ist als Farbe eine Energie; allein sie steht auf der negativen Seite und ist in ihrer höchsten Reinheit gleichsam ein reizendes Nichts. Es ist etwas Widersprechendes von Reiz und Ruhe im Anblick.
780. Wie wir den hohen Himmel, die fernen Berge blau sehen, so scheint eine blaue Fläche auch vor uns zurückzuweichen.
781. Wie wir einen angenehmen Gegenstand, der vor uns flieht, gern verfolgen, so sehen wir das Blaue gern an, nicht weil es auf uns dringt, sondern weil es uns nach sich zieht.
782. Das Blaue gibt uns ein Gefühl von Kälte, so wie es uns auch an Schatten erinnert. Wie es vom Schwarzen abgeleitet sei, ist uns bekannt.
783. Zimmer, die rein blau austapeziert sind, erscheinen gewissermaßen weit, aber eigentlich leer und kalt.
784. Blaues Glas zeigt die Gegenstände im traurigen Licht.
785. Es ist nicht unangenehm, wenn das Blau einigermaßen vom Plus partizipiert. Das Meergrün ist vielmehr eine liebliche Farbe.
Rotblau
786. Wie wir das Gelbe sehr bald in einer Steigerung gefunden haben, so bemerken wir auch bei dem Blauen dieselbe Eigenschaft.
787. Das Blaue steigert sich sehr sanft ins Rote und erhält dadurch etwas Wirksames, ob es sich gleich auf der passiven Seite befindet. Sein Reiz ist aber von ganz andrer Art als der des Rotgelben. Er belebt nicht sowohl, als daß er unruhig macht.
788. So wie die Steigerung selbst unaufhaltsam ist, so wünscht man auch mit dieser Farbe immer fortzugehen, nicht aber, wie beim Rotgelben, immer tätig vorwärts zu schreiten, sondern einen Punkt zu finden, wo man ausruhen könnte.
789. Sehr verdünnt kennen wir die Farbe unter dem Namen Lila; aber auch so hat sie etwas Lebhaftes ohne Fröhlichkeit.
Blaurot
790. Jene Unruhe nimmt bei der weiter schreitenden Steigerung zu, und man kann wohl behaupten, daß eine Tapete von einem ganz reinen gesättigten Blaurot eine Art von unerträglicher Gegenwart sein müsse. Deswegen es auch, wenn es als Kleidung, Band, oder sonstiger Zierrat vorkommt, sehr verdünnt und hell angewendet wird, da es denn seiner bezeichneten Natur nach einen ganz besondern Reiz ausübt.
791. Indem die hohe Geistlichkeit diese unruhige Farbe sich angeeignet hat, so dürfte man wohl sagen, daß sie auf den unruhigen Staffeln einer immer vordringenden Steigerung unaufhaltsam zu dem Kardinalpurpur hinaufstrebe.
Rot
792. Man entferne bei dieser Benennung alles, was im Roten einen Eindruck von Gelb oder Blau machen könnte. Man denke sich ein ganz reines Rot, einen vollkommenen, auf einer weißen Porzellanschale aufgetrockneten Karmin. Wir haben diese Farbe ihrer hohen Würde wegen manchmal Purpur genannt, ob wir gleichwohl wissen, daß der Purpur der Alten sich mehr nach der blauen Seite hinzog.
793. Wer die prismatische Entstehung des Purpurs kennt, der wird nicht paradox finden, wenn wir behaupten, daß diese Farbe teils actu, teils potentia alle andern Farben enthalte.
794. Wenn wir beim Gelben und Blauen eine strebende Steigerung ins Rote gesehen und dabei unsre Gefühle bemerkt haben, so läßt sich denken, daß nun in der Vereinigung der gesteigerten Pole eine eigentliche Beruhigung, die wir eine ideale Befriedigung nennen möchten, stattfinden könne. Und so entsteht bei physischen Phänomenen diese höchste aller Farbenerscheinungen aus dem Zusammentreten zweier entgegengesetzten Enden, die sich zu einer Vereinigung nach und nach selbst vorbereitet haben.
795. Als Pigment hingegen erscheint sie uns als ein Fertiges und als das vollkommenste Rot in der Cochenille, welches Material jedoch durch chemische Behandlung bald ins Plus, bald ins Minus zu führen ist und allenfalls im besten Karmin als völlig im Gleichgewicht stehend angesehen werden kann.
796. Die Wirkung dieser Farbe ist so einzig wie ihre Natur. Sie gibt einen Eindruck sowohl von Ernst und Würde als von Huld und Anmut. Jenes leistet sie in ihrem dunklen verdichteten, dieses in ihrem hellen verdünnten Zustande. Und so kann sich die Würde des Alters und die Liebenswürdigkeit der Jugend in eine Farbe kleiden.
797. Von der Eifersucht der Regenten auf den Purpur erzählt uns die Geschichte manches. Eine Umgebung von dieser Farbe ist immer ernst und prächtig.
798. Das Purpurglas zeigt eine wohlerleuchtete Landschaft in furchtbarem Lichte. So müßte der Farbeton über Erd’ und Himmel am Tage des Gerichts ausgebreitet sein.
799. Da die beiden Materialien, deren sich die Färberei zur Hervorbringung dieser Farbe vorzüglich bedient, der Kermes und die Cochenille, sich mehr oder weniger zum Plus und Minus neigen, auch sich durch Behandlung mit Säuren und Alkalien herüber und hinüber führen lassen: so ist zu bemerken, daß die Franzosen sich auf der wirksamen Seite halten, wie der französische Scharlach zeigt, welcher ins Gelbe zieht; die Italiener hingegen auf der passiven Seite verharren, so daß ihr Scharlach eine Ahndung von Blau behält.
800. Durch eine ähnliche alkalische Behandlung entsteht das Karmesin, eine Farbe, die den Franzosen sehr verhaßt sein muß, da sie die Ausdrücke sot en cramoisi, méchant en cramoisi als das Äußerste des Abgeschmackten und Bösen bezeichnen.
Grün
801. Wenn man Gelb und Blau, welche wir als die ersten und einfachsten Farben ansehen, gleich bei ihrem ersten Erscheinen, auf der ersten Stufe ihrer Wirkung zusammenbringt, so entsteht diejenige Farbe, welche wir Grün nennen.
802. Unser Auge findet in derselben eine reale Befriedigung. Wenn beide Mutterfarben sich in der Mischung genau das Gleichgewicht halten, dergestalt, daß keine vor der andern bemerklich ist, so ruht das Auge und das Gemüt auf diesem Gemischten wie auf einem Einfachen. Man will nicht weiter und man kann nicht weiter. Deswegen für Zimmer, in denen man sich immer befindet, die grüne Farbe zur Tapete meist gewählt wird.
Totalität und Harmonie
803. Wir haben bisher zum Behuf unsres Vortrages angenommen, daß das Auge genötigt werden könne, sich mit irgendeiner einzelnen Farbe zu identifizieren; allein dies möchte wohl nur auf einen Augenblick möglich sein.
804. Denn wenn wir uns von einer Farbe umgeben sehen, welche die Empfindung ihrer Eigenschaft in unserm Auge erregt und uns durch ihre Gegenwart nötigt, mit ihr in einem identischen Zustande zu verharren, so ist es eine gezwungene Lage, in welcher das Organ ungern verweilt.
805. Wenn das Auge die Farbe erblickt, so wird es gleich in Tätigkeit gesetzt, und es ist seiner Natur gemäß, auf der Stelle eine andre, so unbewußt als notwendig, hervorzubringen, welche mit der gegebenen die Totalität des ganzen Farbenkreises enthält. Eine einzelne Farbe erregt in dem Auge, durch eine spezifische Empfindung, das Streben nach Allgemeinheit.
806. Um nun diese Totalität gewahr zu werden, um sich selbst zu befriedigen, sucht es neben jedem farbigen Raum einen farblosen, um die geforderte Farbe an demselben hervorzubringen.
807. Hier liegt also das Grundgesetz aller Harmonie der Farben, wovon sich jeder durch eigene Erfahrung überzeugen kann, indem er sich mit den Versuchen, die wir in der Abteilung der physiologischen Farben angezeigt, genau bekannt macht.
808. Wird nun die Farbentotalität von außen dem Auge als Objekt gebracht, so ist sie ihm erfreulich, weil ihm die Summe seiner eignen Tätigkeit als Realität entgegen kommt. Es sei also zuerst von diesen harmonischen Zusammenstellungen die Rede.
809. Um sich davon auf das leichteste zu unterrichten, denke man sich in dem von uns angegebenen Farbenkreise einen beweglichen Diameter und führe denselben im ganzen Kreise herum, so werden die beiden Enden nach und nach die sich fordernden Farben bezeichnen, welche sich denn freilich zuletzt auf drei einfache Gegensätze zurückführen lassen.
810.
Gelb fordert Rotblau
Blau fordert Rotgelb
Purpur fordert Grün
und umgekehrt.
811. Wie der von uns supponierte Zeiger von der Mitte der von uns naturgemäß geordneten Farben wegrückt, ebenso rückt er mit dem andern Ende in der entgegengesetzten Abstufung weiter, und es läßt sich durch eine solche Vorrichtung zu einer jeden fordernden Farbe die geforderte bequem bezeichnen. Sich hiezu einen Farbenkreis zu bilden, der nicht wie der unsre abgesetzt, sondern in einem stetigen Fortschritte die Farben und ihre Übergänge zeigte, würde nicht unnütz sein: denn wir stehen hier auf einem sehr wichtigen Punkt, der alle unsre Aufmerksamkeit verdient.
812. Wurden wir vorher bei dem Beschauen einzelner Farben gewissermaßen pathologisch affiziert, indem wir zu einzelnen Empfindungen fortgerissen, uns bald lebhaft und strebend, bald weich und sehnend, bald zum Edlen emporgehoben, bald zum Gemeinen herabgezogen fühlten, so führt uns das Bedürfnis nach Totalität, welches unserm Organ eingeboren ist, aus dieser Beschränkung heraus; es setzt sich selbst in Freiheit, indem es den Gegensatz des ihm aufgedrungenen einzelnen und somit eine befriedigende Ganzheit hervorbringt.
813. So einfach also diese eigentlich harmonischen Gegensätze sind, welche uns in dem engen Kreise gegeben werden, so wichtig ist der Wink, daß uns die Natur durch Totalität zur Freiheit heraufzuheben angelegt ist, und daß wir diesmal eine Naturerscheinung zum ästhetischen Gebrauch unmittelbar überliefert erhalten.
814. Indem wir also aussprechen können, daß der Farbenkreis, wie wir ihn angegeben, auch schon dem Stoff nach eine angenehme Empfindung hervorbringe, ist es der Ort zu gedenken, daß man bisher den Regenbogen mit Unrecht als ein Beispiel der Farbentotalität angenommen: denn es fehlt demselben die Hauptfarbe, das reine Rot, der Purpur, welcher nicht entstehen kann, da sich bei dieser Erscheinung so wenig als bei dem hergebrachten prismatischen Bilde das Gelbrot und Blaurot zu erreichen vermögen.
815. Überhaupt zeigt uns die Natur kein allgemeines Phänomen, wo die Farbentotalität völlig beisammen wäre. Durch Versuche läßt sich ein solches in seiner vollkommnen Schönheit hervorbringen. Wie sich aber die völlige Erscheinung im Kreise zusammenstellt, machen wir uns am besten durch Pigmente auf Papier begreiflich, bis wir, bei natürlichen Anlagen und nach mancher Erfahrung und Übung, uns endlich von der Idee dieser Harmonie völlig penetriert und sie uns im Geiste gegenwärtig fühlen.
Charakteristische Zusammenstellungen
816. Außer diesen rein harmonischen, aus sich selbst entspringenden Zusammenstellungen, welche immer Totalität mit sich führen, gibt es noch andre, welche durch Willkür hervorgebracht werden und die wir dadurch am leichtesten bezeichnen, daß sie in unserm Farbenkreise nicht nach Diametern, sondern nach Chorden aufzufinden sind, und zwar zuerst dergestalt, daß eine Mittelfarbe übersprungen wird.
817. Wir nennen diese Zusammenstellungen charakteristisch, weil sie sämtlich etwas Bedeutendes haben, das sich uns mit einem gewissen Ausdruck aufdringt, aber uns nicht befriedigt, indem jedes Charakteristische nur dadurch entsteht, daß es als Teil aus einem Ganzen heraustritt, mit welchem es ein Verhältnis hat, ohne sich darin aufzulösen.
818. Da wir die Farben in ihrer Entstehung sowie deren harmonische Verhältnisse kennen, so läßt sich erwarten, daß auch die Charaktere der willkürlichen Zusammenstellungen von der verschiedensten Bedeutung sein werden. Wir wollen sie einzeln durchgehen.
Gelb und Blau
819. Dieses ist die einfachste von solchen Zusammenstellungen. Man kann sagen, es sei zu wenig in ihr: denn da ihr jede Spur von Rot fehlt, so geht ihr zu viel von der Totalität ab. In diesem Sinne kann man sie arm und, da die beiden Pole auf ihrer niedrigsten Stufe stehn, gemein nennen. Doch hat sie den Vorteil, daß sie zunächst am Grünen und also an der realen Befriedigung steht.
Gelb und Purpur
820. Hat etwas Einseitiges, aber Heiteres und Prächtiges. Man sieht die beiden Enden der tätigen Seite nebeneinander, ohne daß das stetige Werden ausgedrückt sei.
Da man aus ihrer Mischung durch Pigmente das Gelbrote erwarten kann, so stehn sie gewissermaßen anstatt dieser Farbe.
Blau und Purpur
821. Die beiden Enden der passiven Seite mit dem Übergewicht des obern Endes nach dem aktiven zu. Da durch Mischung beider das Blaurote entsteht, so wird der Effekt dieser Zusammenstellung sich auch gedachter Farbe nähern.
Gelbrot und Blaurot
822. Haben zusammengestellt, als die gesteigerten Enden der beiden Seiten, etwas Erregendes, Hohes. Sie geben uns die Vorahndung des Purpurs, der bei physikalischen Versuchen aus ihrer Vereinigung entsteht.
823. Diese vier Zusammenstellungen haben also das Gemeinsame, daß sie, vermischt, die Zwischenfarben unseres Farbenkreises hervorbringen würden, wie sie auch schon tun, wenn die Zusammenstellung aus kleinen Teilen besteht und aus der Ferne betrachtet wird. Eine Fläche mit schmalen blauen und gelben Streifen erscheint in einiger Entfernung grün.
824. Wenn nun aber das Auge Blau und Gelb nebeneinander sieht, so befindet es sich in der sonderbaren Bemühung, immer Grün hervorbringen zu wollen, ohne damit zustande zu kommen und ohne also im einzelnen Ruhe, oder im ganzen Gefühl der Totalität bewirken zu können.
825. Man sieht also, daß wir nicht mit Unrecht diese Zusammenstellungen charakteristisch genannt haben, so wie denn auch der Charakter einer jeden sich auf den Charakter der einzelnen Farben, woraus sie zusammengestellt ist, beziehen muß.
Charakterlose Zusammenstellungen
826. Wir wenden uns nun zu der letzten Art der Zusammenstellungen, welche sich aus dem Kreise leicht herausfinden lassen. Es sind nämlich diejenigen, welche durch kleinere Chorden angedeutet werden, wenn man nicht eine ganze Mittelfarbe, sondern nur den Übergang aus einer in die andere überspringt.
827. Man kann diese Zusammenstellungen wohl die charakterlosen nennen, indem sie zu nahe aneinander liegen, als daß ihr Eindruck bedeutsam werden könnte. Doch behaupten die meisten immer noch ein gewisses Recht, da sie ein Fortschreiten andeuten, dessen Verhältnis aber kaum fühlbar werden kann.
828. So drücken Gelb und Gelbrot, Gelbrot und Purpur, Blau und Blaurot, Blaurot und Purpur die nächsten Stufen der Steigerung und Kulmination aus und können in gewissen Verhältnissen der Massen keine üble Wirkung tun.
829. Gelb und Grün hat immer etwas Gemein-Heiteres, Blau und Grün aber immer etwas Gemein-Widerliches, deswegen unsre guten Vorfahren diese letzte Zusammenstellung auch Narrenfarbe genannt haben.
Bezug der Zusammenstellungen zu Hell und Dunkel
830. Diese Zusammenstellungen können sehr vermannigfaltigt werden, indem man beide Farben hell, beide Farben dunkel, eine Farbe hell, die andre dunkel zusammenbringen kann; wobei jedoch, was im Allgemeinen gegolten hat, in jedem besondern Falle gelten muß. Von dem unendlich Mannigfaltigen, was dabei stattfindet, erwähnen wir nur folgendes.
831. Die aktive Seite, mit dem Schwarzen zusammengestellt, gewinnt an Energie, die passive verliert. Die aktive, mit dem Weißen und Hellen zusammengebracht, verliert an Kraft, die passive gewinnt an Heiterkeit. Purpur und Grün mit Schwarz sieht dunkel und düster, mit Weiß hingegen erfreulich aus.
832. Hierzu kommt nun noch, daß alle Farben mehr oder weniger beschmutzt, bis auf einen gewissen Grad unkenntlich gemacht, und so teils unter sich selbst, teils mit reinen Farben zusammengestellt werden können, wodurch zwar die Verhältnisse unendlich variiert werden, wobei aber doch alles gilt, was von den reinen gegolten hat.
Historische Betrachtungen
833. Wenn in dem Vorhergehenden die Grundsätze der Farbenharmonie vorgetragen worden, so wird es nicht zweckwidrig sein, wenn wir das dort Ausgesprochene in Verbindung mit Erfahrungen und Beispielen nochmals wiederholen.
834. Jene Grundsätze waren aus der menschlichen Natur und aus den anerkannten Verhältnissen der Farbenerscheinungen abgeleitet. In der Erfahrung begegnet uns manches, was jenen Grundsätzen gemäß, manches, was ihnen widersprechend ist.
835. Naturmenschen, rohe Völker, Kinder haben große Neigung zur Farbe in ihrer höchsten Energie und also besonders zu dem Gelbroten. Sie haben auch eine Neigung zum Bunten. Das Bunte aber entsteht, wenn die Farben in ihrer höchsten Energie ohne harmonisches Gleichgewicht zusammengestellt worden. Findet sich aber dieses Gleichgewicht durch Instinkt oder zufällig beobachtet, so entsteht eine angenehme Wirkung. Ich erinnere mich, daß ein hessischer Offizier, der aus Amerika kam, sein Gesicht nach Art der Wilden mit reinen Farben bemalte, wodurch eine Art von Totalität entstand, die keine unangenehme Wirkung tat.
836. Die Völker des südlichen Europas tragen zu Kleidern sehr lebhafte Farben. Die Seidenwaren, welche sie leichten Kaufs haben, begünstigen diese Neigung. Auch sind besonders die Frauen mit ihren lebhaftesten Miedern und Bändern immer mit der Gegend in Harmonie, indem sie nicht imstande sind, den Glanz des Himmels und der Erde zu überscheinen.
837. Die Geschichte der Färberei belehrt uns, daß bei den Trachten der Nationen gewisse technische Bequemlichkeiten und Vorteile sehr großen Einfluß hatten. So sieht man die Deutschen viel in Blau gehen, weil es eine dauerhafte Farbe des Tuches ist, auch in manchen Gegenden alle Landleute in grünem Zwillich, weil dieser gedachte Farbe gut annimmt. Möchte ein Reisender hierauf achten, so würden ihm bald angenehme und lehrreiche Beobachtungen gelingen.
838. Farben, wie sie Stimmungen hervorbringen, fügen sich auch zu Stimmungen und Zuständen. Lebhafte Nationen, zum Beispiel die Franzosen, lieben die gesteigerten Farben, besonders der aktiven Seite; gemäßigte, als Engländer und Deutsche, das Stroh-oder Ledergelb, wozu sie Dunkelblau tragen. Nach Würde strebende Nationen, als Italiener und Spanier, ziehen die rote Farbe ihrer Mäntel auf die passive Seite hinüber.
839. Man bezieht bei Kleidungen den Charakter der Farbe auf den Charakter der Person. So kann man das Verhältnis der einzelnen Farben und Zusammenstellungen zu Gesichtsfarbe, Alter und Stand beobachten.
840. Die weibliche Jugend hält auf Rosenfarb und Meergrün, das Alter auf Violett und Dunkelgrün. Die Blondine hat zu Violett und Hellgelb, die Brünette zu Blau und Gelbrot Neigung, und sämtlich mit Recht.
Die römischen Kaiser waren auf den Purpur höchst eifersüchtig. Die Kleidung des chinesischen Kaisers ist Orange mit Purpur gestickt. Zitronengelb dürfen auch seine Bedienten und die Geistlichen tragen.
841. Gebildete Menschen haben eine Abneigung vor Farben. Es kann dieses teils aus Schwäche des Organs, teils aus Unsicherheit des Geschmacks geschehen, die sich gern in das völlige Nichts flüchtet. Die Frauen gehen nunmehr fast durchgängig weiß und die Männer schwarz.
842. Überhaupt aber steht hier eine Beobachtung nicht am unrechten Platze, daß der Mensch, so gern er sich auszeichnet, sich auch ebenso gern unter seinesgleichen verlieren mag.
843. Die schwarze Farbe sollte den venezianischen Edelmann an eine republikanische Gleichheit erinnern.
844. Inwiefern der trübe nordische Himmel die Farben nach und nach vertrieben hat, ließe sich vielleicht auch noch untersuchen.
845. Man ist freilich bei dem Gebrauch der ganzen Farben sehr eingeschränkt, dahingegen die beschmutzten, getöteten sogenannten Modefarben unendlich viele abweichende Grade und Schattierungen zeigen, wovon die meisten nicht ohne Anmut sind.
846. Zu bemerken ist noch, daß die Frauenzimmer bei ganzen Farben in Gefahr kommen, eine nicht ganz lebhafte Gesichtsfarbe noch unscheinbarer zu machen; wie sie denn überhaupt genötigt sind, sobald sie einer glänzenden Umgebung das Gleichgewicht halten sollen, ihre Gesichtsfarbe durch Schminke zu erhöhen.
847. Hier wäre nun noch eine artige Arbeit zu machen übrig, nämlich eine Beurteilung der Uniformen, Livreen, Kokarden und andrer Abzeichen nach den oben aufgestellten Grundsätzen. Man könnte im allgemeinen sagen, daß solche Kleidungen oder Abzeichen keine harmonischen Farben haben dürfen. Die Uniformen sollten Charakter und Würde haben; die Livreen können gemein und ins Auge fallend sein. An Beispielen von guter und schlechter Art würde es nicht fehlen, da der Farbenkreis eng und schon oft genug durchprobiert worden ist.
Ästhetische Wirkung
848. Aus der sinnlichen und sittlichen Wirkung der Farben, sowohl einzeln als in Zusammenstellung, wie wir sie bisher vorgetragen haben, wird nun für den Künstler die ästhetische Wirkung abgeleitet. Wir wollen auch darüber die nötigsten Winke geben, wenn wir vorher die allgemeine Bindung malerischer Darstellung, Licht und Schatten, abgehandelt, woran sich die Farbenerscheinung unmittelbar anschließt.
Helldunkel
849. Das Helldunkel, clair-obscur, nennen wir die Erscheinung körperlicher Gegenstände, wenn an denselben nur die Wirkung des Lichtes und Schattens betrachtet wird.
850. Im engern Sinn wird auch manchmal eine Schattenpartie, welche durch Reflexe beleuchtet wird, so genannt; doch wir brauchen hier das Wort in seinem ersten allgemeinern Sinne.
851. Die Trennung des Helldunkels von aller Farbenerscheinung ist möglich und nötig. Der Künstler wird das Rätsel der Darstellung eher lösen, wenn er sich zuerst das Helldunkel unabhängig von Farben denkt und dasselbe in seinem ganzen Umfange kennen lernt.
852. Das Helldunkel macht den Körper als Körper erscheinen, indem uns Licht und Schatten von der Dichtigkeit belehrt.
853. Es kommt dabei in Betracht das höchste Licht, die Mitteltinte, der Schatten und bei dem letzten wieder der eigene Schatten des Körpers, der auf andre Körper geworfene Schatten, der erhellte Schatten oder Reflex.
854. Zum natürlichsten Beispiel für das Helldunkel wäre die Kugel günstig, um sich einen allgemeinen Begriff zu bilden, aber nicht hinlänglich zum ästhetischen Gebrauch. Die verfließende Einheit einer solchen Rundung führt zum Nebulistischen. Um Kunstwirkungen zu erzwecken, müssen an ihr Flächen hervorgebracht werden, damit die Teile der Schatten- und Lichtseite sich mehr in sich selbst absondern.
855. Die Italiener nennen dieses il piazzoso; man könnte es im Deutschen das Flächenhafte nennen. Wenn nun also die Kugel ein vollkommenes Beispiel des natürlichen Helldunkels wäre, so würde ein Vieleck ein Beispiel des künstlichen sein, wo alle Arten von Lichtern, Halblichtern, Schatten und Reflexen bemerklich wären.
856. Die Traube ist als ein gutes Beispiel eines malerischen Ganzen im Helldunkel anerkannt, um so mehr als sie ihrer Form nach eine vorzügliche Gruppe darzustellen imstande ist, aber sie ist bloß für den Meister tauglich, der das, was er auszuüben versteht, in ihr zu sehen weiß.
857. Um den ersten Begriff faßlich zu machen, der selbst von einem Vieleck immer noch schwer zu abstrahieren ist, schlagen wir einen Kubus vor, dessen drei gesehene Seiten das Licht, die Mitteltinte und den Schatten, abgesondert nebeneinander vorstellen.
858. Jedoch um zum Helldunkel einer zusammengesetztern Figur überzugehen, wählen wir das Beispiel eines aufgeschlagenen Buches, welches uns einer größern Mannigfaltigkeit näher bringt.
859. Die antiken Statuen aus der schönen Zeit findet man zu solchen Wirkungen höchst zweckmäßig gearbeitet. Die Lichtpartien sind einfach behandelt, die Schattenseiten desto mehr unterbrochen, damit sie für mannigfaltige Reflexe empfänglich würden, wobei man sich des Beispiels vom Vieleck erinnern kann.
860. Beispiele antiker Malerei geben hierzu die herkulanischen Gemälde und die Aldobrandinische Hochzeit.
861. Moderne Beispiele finden sich in einzelnen Figuren Raffaels, an ganzen Gemälden Correggios, der niederländischen Schule, besonders des Rubens.
Streben zur Farbe
862. Ein Kunstwerk schwarz und weiß kann in der Malerei selten vorkommen. Einige Arbeiten von Polydor geben uns davon Beispiele, sowie unsre Kupferstiche und geschabten Blätter. Diese Arten, insofern sie sich mit Formen und Haltung beschäftigen, sind schätzenswert; allein sie haben wenig Gefälliges fürs Auge, indem sie nur durch eine gewaltsame Abstraktion entstehen.
863. Wenn sich der Künstler seinem Gefühl überläßt, so meldet sich etwas Farbiges gleich. Sobald das Schwarze ins Blauliche fällt, entsteht eine Forderung des Gelben, das denn der Künstler instinktmäßig verteilt und teils rein in den Lichtern, teils gerötet und beschmutzt als Braun in den Reflexen zu Belebung des Ganzen anbringt, wie es ihm am rätlichsten zu sein scheint.
864. Alle Arten von Camayeu, oder Farb’ in Farbe, laufen doch am Ende dahin hinaus, daß ein geforderter Gegensatz oder irgendeine farbige Wirkung angebracht wird. So hat Polydor in seinen schwarz und weißen Frescogemälden ein gelbes Gefäß oder sonst etwas der Art eingeführt.
865. Überhaupt strebten die Menschen in der Kunst instinktmäßig jederzeit nach Farbe. Man darf nur täglich beobachten, wie Zeichenlustige von Tusche oder schwarzer Kreide auf weiß Papier zu farbigem Papier sich steigern, dann verschiedene Kreiden anwenden und endlich ins Pastell übergehen. Man sah in unsern Zeiten Gesichter mit Silberstift gezeichnet, durch rote Bäckchen belebt und mit farbigen Kleidern angetan; ja Silhouetten in bunten Uniformen. Paolo Uccello malte farbige Landschaften zu farblosen Figuren.
866. Selbst die Bildhauerei der Alten konnte diesem Trieb nicht widerstehen. Die Ägypter strichen ihre Basreliefs an. Den Statuen gab man Augen von farbigen Steinen. Zu marmornen Köpfen und Extremitäten fügte man porphyrne Gewänder, so wie man bunte Kalksinter zum Sturze der Brustbilder nahm. Die Jesuiten verfehlten nicht, ihren heiligen Aloysius in Rom auf diese Weise zusammenzusetzen, und die neuste Bildhauerei unterscheidet das Fleisch durch eine Tinktur von den Gewändern.
Haltung
867. Wenn die Linearperspektive die Abstufung der Gegenstände in scheinbarer Größe durch Entfernung zeigt, so läßt uns die Luftperspektive die Abstufung der Gegenstände in mehr oder minderer Deutlichkeit durch Entfernung sehen.
868. Ob wir zwar entfernte Gegenstände nach der Natur unsres Auges nicht so deutlich sehen als nähere, so ruht doch die Luftperspektive eigentlich auf dem wichtigen Satz, daß alle durchsichtigen Mittel einigermaßen trübe sind.
869. Die Atmosphäre ist also immer mehr oder weniger trüb. Besonders zeigt sie diese Eigenschaft in den südlichen Gegenden bei hohem Barometerstand, trocknem Wetter und wolkenlosem Himmel, wo man eine sehr merkliche Abstufung wenig auseinanderstehender Gegenstände beobachten kann.
870. Im allgemeinen ist diese Erscheinung jedermann bekannt; der Maler hingegen sieht die Abstufung bei den geringsten Abständen oder glaubt sie zu sehen. Er stellt sie praktisch dar, indem er die Teile eines Körpers, zum Beispiel eines völlig vorwärts gekehrten Gesichtes, voneinander abstuft. Hiebei behauptet Beleuchtung ihre Rechte. Diese kommt von der Seite in Betracht, sowie die Haltung von vorn nach der Tiefe zu.
Kolorit
871. Indem wir nunmehr zur Farbengebung übergehen, setzen wir voraus, daß der Maler überhaupt mit dem Entwurf unserer Farbenlehre bekannt sei und sich gewisse Kapitel und Rubriken, die ihn vorzüglich berühren, wohl zu eigen gemacht habe: denn so wird er sich imstande befinden, das Theoretische sowohl als das Praktische, im Erkennen der Natur und im Anwenden auf die Kunst, mit Leichtigkeit zu behandeln.
Kolorit des Orts
872. Die erste Erscheinung des Kolorits tritt in der Natur gleich mit der Haltung ein: denn die Luftperspektive beruht auf der Lehre von den trüben Mitteln. Wir sehen den Himmel, die entfernten Gegenstände, ja die nahen Schatten blau. Zugleich erscheint uns das Leuchtende und Beleuchtete stufenweise gelb bis zur Purpurfarbe. In manchen Fällen tritt sogleich die physiologische Forderung der Farben ein, und eine ganz farblose Landschaft wird durch diese mit- und gegeneinander wirkenden Bestimmungen vor unserm Auge völlig farbig erscheinen.
Kolorit der Gegenstände
873. Lokalfarben sind die allgemeinen Elementarfarben, aber nach den Eigenschaften der Körper und ihrer Oberflächen, an denen wir sie gewahr werden, spezifiziert. Diese Spezifikation geht bis ins Unendliche.
874. Es ist ein großer Unterschied, ob man gefärbte Seide oder Wolle vor sich hat. Jede Art des Bereitens und Webens bringt schon Abweichungen hervor. Rauhigkeit, Glätte, Glanz kommen in Betrachtung.
875. Es ist daher ein der Kunst sehr schädliches Vorurteil, daß der gute Maler keine Rücksicht auf den Stoff der Gewänder nehmen, sondern nur immer gleichsam abstrakte Falten malen müsse. Wird nicht hierdurch alle charakteristische Abwechslung aufgehoben, und ist das Porträt von Leo X. deshalb weniger trefflich, weil auf diesem Bilde Samt, Atlas und Mohr nebeneinander nachgeahmt ward?
876. Bei Naturprodukten erscheinen die Farben mehr oder weniger modifiziert, spezifiziert, ja individualisiert, welches bei Steinen und Pflanzen, bei den Federn der Vögel und den Haaren der Tiere wohl zu beobachten ist.
877. Die Hauptkunst des Malers bleibt immer, daß er die Gegenwart des bestimmten Stoffes nachahme und das Allgemeine, Elementare der Farbenerscheinung zerstöre. Die höchste Schwierigkeit findet sich hier bei der Oberfläche des menschlichen Körpers.
878. Das Fleisch steht im ganzen auf der aktiven Seite, doch spielt das Blauliche der passiven auch mit herein. Die Farbe ist durchaus ihrem elementaren Zustande entrückt und durch Organisation neutralisiert.
879. Das Kolorit des Ortes und das Kolorit der Gegenstände in Harmonie zu bringen, wird nach Betrachtung dessen, was von uns in der Farbenlehre abgehandelt worden, dem geistreichen Künstler leichter werden, als bisher der Fall war, und er wird imstande sein, unendlich schöne, mannigfaltige und zugleich wahre Erscheinungen darzustellen.
Charakteristisches Kolorit
880. Die Zusammenstellung farbiger Gegenstände sowohl als die Färbung des Raums, in welchem sie enthalten sind, soll nach Zwecken geschehen, welche der Künstler sich vorsetzt. Hiezu ist besonders die Kenntnis der Wirkung der Farben auf Empfindung, sowohl im einzelnen als in Zusammenstellung, nötig. Deshalb sich denn der Maler von dem allgemeinen Dualism sowohl als von den besondern Gegensätzen penetrieren soll; wie er denn überhaupt wohl inne haben müßte, was wir von den Eigenschaften der Farben gesagt haben.
881. Das Charakteristische kann unter drei Hauptrubriken begriffen werden, die wir einstweilen durch das Mächtige, das Sanfte und das Glänzende bezeichnen wollen.
882. Das erste wird durch das Übergewicht der aktiven, das zweite durch das Übergewicht der passiven Seite, das dritte durch Totalität und Darstellung des ganzen Farbenkreises im Gleichgewicht hervorgebracht.
883. Der mächtige Effekt wird erreicht durch Gelb, Gelbrot und Purpur, welche letzte Farbe auch noch auf der Plusseite zu halten ist. Wenig Violett und Blau, noch weniger Grün ist anzubringen. Der sanfte Effekt wird durch Blau, Violett und Purpur, welcher jedoch auf die Minusseite zu führen ist, hervorgebracht. Wenig Gelb und Gelbrot, aber viel Grün, kann stattfinden.
884. Wenn man also diese beiden Effekte in ihrer vollen Bedeutung hervorbringen will, so kann man die geforderten Farben bis auf ein Minimum ausschließen und nur so viel von ihnen sehen lassen, als eine Ahndung der Totalität unweigerlich zu verlangen scheint.
Harmonisches Kolorit
885. Obgleich die beiden charakteristischen Bestimmungen, nach der eben angezeigten Weise, auch gewissermaßen harmonisch genannt werden können, so entsteht doch die eigentliche harmonische Wirkung nur alsdann, wenn alle Farben nebeneinander im Gleichgewicht angebracht sind.
886. Man kann hiedurch das Glänzende sowohl als das Angenehme hervorbringen, welche beide jedoch immer etwas Allgemeines und in diesem Sinne etwas Charakterloses haben werden.
887. Hierin liegt die Ursache, warum das Kolorit der meisten Neuern charakterlos ist; denn indem sie nur ihrem Instinkt folgen, so bleibt das Letzte, wohin er sie führen kann, die Totalität, die sie mehr oder weniger erreichen, dadurch aber zugleich den Charakter versäumen, den das Bild allenfalls haben könnte.
888. Hat man hingegen jene Grundsätze im Auge, so sieht man, wie sich für jeden Gegenstand mit Sicherheit eine andre Farbenstimmung wählen läßt. Freilich fordert die Anwendung unendliche Modifikationen, welche dem Genie allein, wenn es von diesen Grundsätzen durchdrungen ist, gelingen werden.
Echter Ton
889. Wenn man das Wort Ton, oder vielmehr Tonart, auch noch künftig von der Musik borgen und bei der Farbengebung brauchen will, so wird es in einem bessern Sinne als bisher geschehen können.
890. Man würde nicht mit Unrecht ein Bild von mächtigem Effekt mit einem musikalischen Stücke aus dem Durton, ein Gemälde von sanftem Effekt mit einem Stücke aus dem Mollton vergleichen; sowie man für die Modifikation dieser beiden Haupteffekte andre Vergleichungen finden könnte.
Falscher Ton
891. Was man bisher Ton nannte, war ein Schleier von einer einzigen Farbe über das ganze Bild gezogen. Man nahm ihn gewöhnlich gelb, indem man aus Instinkt das Bild auf die mächtige Seite treiben wollte.
892. Wenn man ein Gemälde durch ein gelbes Glas ansieht, so wird es uns in diesem Ton erscheinen. Es ist der Mühe wert, diesen Versuch zu machen und zu wiederholen, um genau kennen zu lernen, was bei einer solchen Operation eigentlich vorgeht. Es ist eine Art Nachtbeleuchtung, eine Steigerung, aber zugleich Verdüsterung der Plusseite und eine Beschmutzung der Minusseite.
893. Dieser unechte Ton ist durch Instinkt aus Unsicherheit dessen, was zu tun sei, entstanden, so daß man anstatt der Totalität eine Uniformität hervorbrachte.
Schwaches Kolorit
894. Eben diese Unsicherheit ist Ursache, daß man die Farben der Gemälde so sehr gebrochen hat, daß man aus dem Grauen heraus und in das Graue hinein malt und die Farbe so leise behandelt als möglich.
895. Man findet in solchen Gemälden oft die harmonischen Gegenstellungen recht glücklich, aber ohne Mut, weil man sich vor dem Bunten fürchtet.
Das Bunte
896. Bunt kann ein Gemälde leicht werden, in welchem man bloß empirisch, nach unsichern Eindrücken, die Farben in ihrer ganzen Kraft nebeneinander stellen wollte.
897. Wenn man dagegen schwache, obgleich widrige Farben nebeneinander setzt, so ist freilich der Effekt nicht auffallend. Man trägt seine Unsicherheit auf den Zuschauer hinüber, der denn an seiner Seite weder loben noch tadeln kann.
898. Auch ist es eine wichtige Betrachtung, daß man zwar die Farben unter sich in einem Bilde richtig aufstellen könne, daß aber doch ein Bild bunt werden müsse, wenn man die Farben in Bezug auf Licht und Schatten falsch anwendet.
899. Es kann dieser Fall um so leichter eintreten, als Licht und Schatten schon durch die Zeichnung gegeben und in derselben gleichsam enthalten ist, dahingegen die Farbe der Wahl und Willkür noch unterworfen bleibt.
Furcht vor dem Theoretischen
900. Man fand bisher bei den Malern eine Furcht, ja eine entschiedene Abneigung gegen alle theoretische Betrachtungen über die Farbe und was zu ihr gehört, welches ihnen jedoch nicht übel zu deuten war. Denn das bisher sogenannte Theoretische war grundlos, schwankend und auf Empirie hindeutend. Wir wünschen, daß unsre Bemühungen diese Furcht einigermaßen vermindern und den Künstler anreizen mögen, die aufgestellten Grundsätze praktisch zu prüfen und zu beleben.
Letzter Zweck
901. Denn ohne Übersicht des Ganzen wird der letzte Zweck nicht erreicht. Von allem dem, was wir bisher vorgetragen, durchdringe sich der Künstler. Nur durch die Einstimmung des Lichtes und Schattens, der Haltung, der wahren und charakteristischen Farbengebung kann das Gemälde von der Seite, von der wir es gegenwärtig betrachten, als vollendet erscheinen.
Gründe
902. Es war die Art der ältern Künstler, auf hellen Grund zu malen. Er bestand aus Kreide und wurde auf Leinwand oder Holz stark aufgetragen und poliert. Sodann wurde der Umriß aufgezeichnet und das Bild mit einer schwärzlichen oder bräunlichen Farbe ausgetuscht. Dergleichen auf diese Art zum Kolorieren vorbereitete Bilder sind noch übrig von Leonardo da Vinci, Fra Bartolomeo und mehrere von Guido.
903. Wenn man zur Kolorierung schritt und weiße Gewänder darstellen wollte, so ließ man zuweilen diesen Grund stehen. Tizian tat es in einer spätern Zeit, wo er die große Sicherheit hatte und mit wenig Mühe viel zu leisten wußte. Der weißliche Grund wurde als Mitteltinte behandelt, die Schatten aufgetragen und die hohen Lichter aufgesetzt.
904. Beim Kolorieren war das unterlegte gleichsam getuschte Bild immer wirksam. Man malte zum Beispiel ein Gewand mit einer Lasurfarbe und das Weiße schien durch und gab der Farbe ein Leben, so wie der schon früher zum Schatten angelegte Teil die Farbe gedämpft zeigte, ohne daß sie gemischt oder beschmutzt gewesen wäre.
905. Diese Methode hat viele Vorteile. Denn an den lichten Stellen des Bildes hatte man einen hellen, an den beschatteten einen dunkeln Grund. Das ganze Bild war vorbereitet; man konnte mit leichten Farben malen, und man war der Übereinstimmung des Lichtes mit den Farben gewiß. Zu unsern Zeiten ruht die Aquarellmalerei auf diesen Grundsätzen.
906. Übrigens wird in der Ölmalerei gegenwärtig durchaus ein heller Grund gebraucht, weil Mitteltinten mehr oder weniger durchsichtig sind und also durch einen hellen Grund einigermaßen belebt, so wie die Schatten selbst nicht so leicht dunkel werden.
907. Auf dunkle Gründe malte man auch eine Zeitlang. Wahrscheinlich hat sie Tintoretto eingeführt; ob Giorgione sich derselben bedient, ist nicht bekannt. Tizians beste Bilder sind nicht auf dunkeln Grund gemalt.
908. Ein solcher Grund war rotbraun, und wenn auf denselben das Bild aufgezeichnet war, so wurden die stärksten Schatten aufgetragen, die Lichtfarben impastierte man auf den hohen Stellen sehr stark und vertrieb sie gegen den Schatten zu, da denn der dunkle Grund durch die verdünnte Farbe als Mitteltinte durchsah. Der Effekt wurde beim Ausmalen durch mehrmaliges Übergehen der lichten Partien und Aufsetzen der hohen Lichter erreicht.
909. Wenn diese Art sich besonders wegen der Geschwindigkeit bei der Arbeit empfiehlt, so hat sie doch in der Folge viel Schädliches. Der energische Grund wächst und wird dunkler; was die hellen Farben nach und nach an Klarheit verlieren, gibt der Schattenseite immer mehr und mehr Übergewicht. Die Mitteltinten werden immer dunkler und der Schatten zuletzt ganz finster. Die stark aufgetragenen Lichter bleiben allein hell, und man sieht nur lichte Flecken auf dem Bilde, wovon uns die Gemälde der bolognesischen Schule und des Caravaggio genugsame Beispiele geben.
910. Auch ist nicht unschicklich, hier noch zum Schlusse des Lasierens zu erwähnen. Dieses geschieht, wenn man eine schon aufgetragene Farbe als hellen Grund betrachtet. Man kann eine Farbe dadurch fürs Auge mischen, sie steigern, ihr einen sogenannten Ton geben; man macht sie dabei aber immer dunkler.
Pigmente
911. Wir empfangen sie aus der Hand des Chemikers und Naturforschers. Manches ist darüber aufgezeichnet und durch den Druck bekannt geworden, doch verdiente dieses Kapitel von Zeit zu Zeit neu bearbeitet zu werden. Indessen teilt der Meister seine Kenntnisse hierüber dem Schüler mit, der Künstler dem Künstler.
912. Diejenigen Pigmente, welche ihrer Natur nach die dauerhaftesten sind, werden vorzüglich ausgesucht; aber auch die Behandlungsart trägt viel zur Dauer des Bildes bei. Deswegen sind so wenig Farbenkörper als möglich anzuwenden, und die simpelste Methode des Auftrags nicht genug zu empfehlen.
913. Denn aus der Menge der Pigmente ist manches Übel für das Kolorit entsprungen. Jedes Pigment hat sein eigentümliches Wesen in Absicht seiner Wirkung aufs Auge, ferner etwas Eigentümliches, wie es technisch behandelt sein will. Jenes ist Ursache, daß die Harmonie schwerer durch mehrere als durch wenige Pigmente zu erreichen ist, dieses, daß chemische Wirkung und Gegenwirkung unter den Farbekörpern stattfinden kann.
914. Ferner gedenken wir noch einiger falschen Richtungen, von denen sich die Künstler hinreißen lassen. Die Maler begehren immer nach neuen Farbekörpern und glauben, wenn ein solcher gefunden wird, einen Vorschritt in der Kunst getan zu haben. Sie tragen großes Verlangen, die alten mechanischen Behandlungsarten kennen zu lernen, wodurch sie viel Zeit verlieren, wie wir uns denn zu Ende des vorigen Jahrhunderts mit der Wachsmalerei viel zu lange gequält haben. Andre gehen darauf aus, neue Behandlungsarten zu erfinden, wodurch denn auch weiter nichts gewonnen wird. Denn es ist zuletzt doch nur der Geist, der jede Technik lebendig macht.
Allegorischer, symbolischer, mystischer Gebrauch der Farbe
915. Es ist oben umständlich nachgewiesen worden, daß eine jede Farbe einen besondern Eindruck auf den Menschen mache und dadurch ihr Wesen sowohl dem Auge als Gemüt offenbare. Daraus folgt sogleich, daß die Farbe sich zu gewissen sinnlichen, sittlichen, ästhetischen Zwecken anwenden lasse.
916. Einen solchen Gebrauch also, der mit der Natur völlig übereinträfe, könnte man den symbolischen nennen, indem die Farbe ihrer Wirkung gemäß angewendet würde und das wahre Verhältnis sogleich die Bedeutung ausspräche. Stellt man zum Beispiel den Purpur als die Majestät bezeichnend auf, so wird wohl kein Zweifel sein, daß der rechte Ausdruck gefunden worden, wie sich alles dieses schon oben hinreichend auseinandergesetzt findet.
917. Hiermit ist ein anderer Gebrauch nahe verwandt, den man den allegorischen nennen könnte. Bei diesem ist mehr Zufälliges und Willkürliches, ja man kann sagen etwas Konventionelles, indem uns erst der Sinn des Zeichens überliefert werden muß, ehe wir wissen, was es bedeuten soll, wie es sich zum Beispiel mit der grünen Farbe verhält, die man der Hoffnung zugeteilt hat.
918. Daß zuletzt auch die Farbe eine mystische Deutung erlaube, läßt sich wohl ahnden. Denn da jenes Schema, worin sich die Farbenmannigfaltigkeit darstellen läßt, solche Urverhältnisse andeutet, die sowohl der menschlichen Anschauung als der Natur angehören, so ist wohl kein Zweifel, daß man sich ihrer Bezüge, gleichsam als einer Sprache, auch da bedienen könne, wenn man Urverhältnisse ausdrücken will, die nicht ebenso mächtig und mannigfaltig in die Sinne fallen. Der Mathematiker schätzt den Wert und Gebrauch des Triangels; der Triangel steht bei dem Mystiker in großer Verehrung; gar manches läßt sich im Triangel schematisieren und die Farbenerscheinung gleichfalls, und zwar dergestalt, daß man durch Verdopplung und Verschränkung zu dem alten geheimnisvollen Sechseck gelangt.
919. Wenn man erst das Auseinandergehen des Gelben und Blauen wird recht gefaßt, besonders aber die Steigerung ins Rote genugsam betrachtet haben, wodurch das Entgegengesetzte sich gegeneinander neigt, und sich in einem Dritten vereinigt, dann wird gewiß eine besondere geheimnisvolle Anschauung eintreten, daß man diesen beiden getrennten, einander entgegengesetzten Wesen eine geistige Bedeutung unterlegen könne, und man wird sich kaum enthalten, wenn man sie unterwärts das Grün und oberwärts das Rot hervorbringen sieht, dort an die irdischen, hier an die himmlischen Ausgeburten der Elohim zu gedenken.
920. Doch wir tun besser, uns nicht noch zum Schlusse dem Verdacht der Schwärmerei auszusetzen, um so mehr als es, wenn unsre Farbenlehre Gunst gewinnt, an allegorischen, symbolischen und mystischen Anwendungen und Deutungen, dem Geiste der Zeit gemäß, gewiß nicht fehlen wird.
Zugabe
Das Bedürfnis des Malers, der in der bisherigen Theorie keine Hülfe fand, sondern seinem Gefühl, seinem Geschmack, einer unsichern Überlieferung in Absicht auf die Farbe völlig überlassen war, ohne irgendein physisches Fundament gewahr zu werden, worauf er seine Ausübung hätte gründen können, dieses Bedürfnis war der erste Anlaß, der den Verfasser vermochte, in eine Bearbeitung der Farbenlehre sich einzulassen. Da nichts wünschenswerter ist, als daß diese theoretische Ausführung bald im Praktischen genutzt und dadurch geprüft und schnell weiter geführt werde, so muß es zugleich höchst willkommen sein, wenn wir finden, daß Künstler selbst schon den Weg einschlagen, den wir für den rechten halten.
Ich lasse daher zum Schluß, um hiervon ein Zeugnis abzugeben, den Brief eines talentvollen Malers, des Herrn Philipp Otto Runge, mit Vergnügen abdrucken, eines jungen Mannes, der, ohne von meinen Bemühungen unterrichtet zu sein, durch Naturell, Übung und Nachdenken sich auf die gleichen Wege gefunden hat. Man wird in diesem Briefe, den ich ganz mitteile, weil seine sämtlichen Glieder in einem innigen Zusammenhange stehen, bei aufmerksamer Vergleichung gewahr werden, daß mehrere Stellen genau mit meinem Entwurf übereinkommen, daß andere ihre Deutung und Erläuterung aus meiner Arbeit gewinnen können, und daß dabei der Verfasser in mehreren Stellen mit lebhafter Überzeugung und wahrem Gefühle mir selbst auf meinem Gange vorgeschritten ist. Möge sein schönes Talent praktisch betätigen, wovon wir uns beide überzeugt halten, und möchten wir bei fortgesetzter Betrachtung und Ausübung mehrere gewogene Mitarbeiter finden.
Wolgast, den 3. Juli 1806
Nach einer kleinen Wanderung, die ich durch unsere anmutige Insel Rügen gemacht hatte, wo der stille Ernst des Meeres von den freundlichen Halbinseln und Tälern, Hügeln und Felsen auf mannigfaltige Art unterbrochen wird, fand ich zu dem freundlichen Willkommen der Meinigen auch noch Ihren werten Brief, und es ist eine große Beruhigung für mich, meinen herzlichen Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen, daß meine Arbeiten doch auf irgendeine Art ansprechen möchten. Ich empfinde es sehr, wie Sie ein Bestreben, was auch außer der Richtung, die Sie der Kunst wünschen, liegt, würdigen; und es würde ebenso albern sein, Ihnen meine Ursachen, warum ich so arbeite, zu sagen, als wenn ich bereden wollte, die meinige wäre die rechte.
Wenn die Praktik für jeden mit so großen Schwierigkeiten verbunden ist, so ist sie es in unsern Zeiten im höchsten Grade. Für den aber, der in einem Alter, wo der Verstand schon eine große Oberhand erlangt hat, erst anfängt, sich in den Anfangsgründen zu üben, wird es unmöglich, ohne zugrundezugehen, aus seiner Individualität heraus sich in ein allgemeines Bestreben zu versetzen.
Derjenige, der, indem er sich in der unendlichen Fülle von Leben, die um ihn ausgebreitet ist, verliert, und unwiderstehlich dadurch zum Nachbilden angereizt wird, sich von dem totalen Eindrucke ebenso gewaltig ergriffen fühlt, wird gewiß auf eben die Weise, wie er in das Charakteristische der Einzelnheiten eingeht, auch in das Verhältnis, die Natur und die Kräfte der großen Massen einzudringen suchen.
Wer in dem beständigen Gefühl, wie alles bis ins kleinste Detail lebendig ist, und aufeinander wirkt, die großen Massen betrachtet, kann solche nicht ohne eine besondere Konnexion oder Verwandtschaft sich denken, noch viel weniger darstellen, ohne sich auf die Grundursachen einzulassen. Und tut er dies, so kann er nicht eher wieder zu der ersten Freiheit gelangen, wenn er sich nicht gewissermaßen bis auf den reinen Grund durchgearbeitet hat.
Um es deutlicher zu machen, wie ich es meine: ich glaube, daß die alten deutschen Künstler, wenn sie etwas von der Form gewußt hätten, die Unmittelbarkeit und Natürlichkeit des Ausdrucks in ihren Figuren würden verloren haben, bis sie in dieser Wissenschaft einen gewissen Grad erlangt hätten.
Es hat manchen Menschen gegeben, der aus freier Faust Brücken und Hängewerke und gar künstliche Sachen gebaut hat. Es geht auch Wohl eine Zeitlang, wann er aber zu einer gewissen Höhe gekommen und er von selbst auf mathematische Schlüsse verfällt, so ist sein ganzes Talent fort, er arbeite sich denn durch die Wissenschaft durch wieder in die Freiheit hinein.
So ist es mir unmöglich gewesen, seit ich zuerst mich über die besondern Erscheinungen bei der Mischung der drei Farben verwunderte, mich zu beruhigen, bis ich ein gewisses Bild von der ganzen Farbenwelt hatte, welches groß genug wäre, um alle Verwandlungen und Erscheinungen in sich zu schließen.
Es ist ein sehr natürlicher Gedanke für einen Maler, wenn er zu wissen begehrt, indem er eine schöne Gegend sieht oder auf irgendeine Art von einem Effekt in der Natur angesprochen wird, aus welchen Stoffen gemischt dieser Effekt wiederzugeben wäre. Dies hat mich wenigstens angetrieben, die Eigenheiten der Farben zu studieren, und ob es möglich wäre, so tief einzudringen in ihre Kräfte, damit es mir deutlicher würde, was sie leisten oder was durch sie gewirkt wird oder was auf sie wirkt. Ich hoffe, daß Sie mit Schonung einen Versuch ansehen, den ich bloß aufschreibe, um Ihnen meine Ansicht deutlich zu machen, die, wie ich doch glaube, sich praktisch nur ganz auszusprechen vermag. Indes hoffe ich nicht, daß es für die Malerei unnütz ist, oder nur entbehrt werden kann, die Farben von dieser Seite anzusehen; auch wird diese Ansicht den physikalischen Versuchen, etwas Vollständiges über die Farben zu erfahren, weder widersprechen noch sie unnötig machen.
Da ich Ihnen hier aber keine unumstößlichen Beweise vorlegen kann, weil diese auf eine vollständige Erfahrung begründet sein müssen, so bitte ich nur, daß Sie auf Ihr eignes Gefühl sich reduzieren möchten, um zu verstehen, wie ich meinte, daß ein Maler mit keinen andern Elementen zu tun hätte als mit denen, die Sie hier angegeben finden.
1. Drei Farben, Gelb, Rot und Blau, gibt es bekanntlich nur, wenn wir diese in ihrer ganzen Kraft annehmen, und stellen sie uns wie einen Zirkel vor, zum Beispiel (siehe die Tafeln)
Rot
Orange
Violett
Gelb
Blau
Grün
so bilden sich aus den drei Farben Gelb, Rot und Blau drei Übergänge, Orange, Violett und Grün (ich heiße alles Orange, was zwischen Gelb und Rot fällt oder was von Gelb oder Rot aus sich nach diesen Seiten hinneigt), und diese sind in ihrer mittleren Stellung am brillantesten und die reinen Mischungen der Farben.
2. Wenn man sich ein bläuliches Orange, ein rötliches Grün oder ein gelbliches Violett denken will, wird einem so zumute wie bei einem südwestlichen Nordwinde. Wie sich aber ein warmes Violett erklären läßt, gibt es im Verfolg vielleicht Materie.
3. Zwei reine Farben wie Gelb und Rot geben eine reine Mischung Orange. Wenn man aber zu solcher Blau mischt, so wird sie beschmutzt, also daß, wenn sie zu gleichen Teilen geschieht, alle Farbe in ein unscheinendes Grau aufgehoben ist.
Zwei reine Farben lassen sich mischen, zwei Mittelfarben aber heben sich einander auf oder beschmutzen sich, da ein Teil von der dritten Farbe hinzugekommen ist.
Wenn die drei reinen Farben sich einander aufheben in Grau, so tun die drei Mischungen, Orange, Violett und Grün, dasselbe in ihrer mittlern Stellung, weil die drei Farben wieder gleich stark darin sind.
Da nun in diesem ganzen Kreise nur die reinen Übergänge der drei Farben liegen und sie durch ihre Mischung nur den Zusatz von Grau erhalten, so liegt außer ihnen zur größern Vervielfältigung noch Weiß und Schwarz.
4. Das Weiß macht durch seine Beimischung alle Farben matter, und wenn sie gleich heller werden, so verlieren sie doch ihre Klarheit und Feuer.
5. Schwarz macht alle Farben schmutzig, und wenn es solche gleich dunkler macht, so verlieren sie ebensowohl ihre Reinheit und Klarheit.
6. Weiß und Schwarz miteinander gemischt gibt Grau.
7. Man empfindet sehr leicht, daß in dem Umfang von den drei Farben nebst Weiß und Schwarz der durch unsre Augen empfundene Eindruck der Natur in seinen Elementen nicht erschöpft ist. Da Weiß die Farben matt und Schwarz sie schmutzig macht, werden wir daher geneigt, ein Hell und Dunkel anzunehmen. Die folgenden Betrachtungen werden uns aber zeigen, inwiefern sich hieran zu halten ist.
8. Es ist in der Natur außer dem Unterschied von Heller und Dunkler in den reinen Farben noch ein andrer wichtiger auffallend. Wann wir zum Beispiel in einer Helligkeit und in einer Reinheit rotes Tuch, Papier, Taft, Atlas oder Sammet, das Rote des Abendrots oder rotes durchsichtiges Glas annehmen, so ist da noch ein Unterschied, der in der Durchsichtigkeit oder Undurchsichtigkeit der Materie liegt.
9. Wenn wir die drei Farben Rot, Blau und Gelb undurchsichtig zusammen mischen, so entsteht ein Grau, welches Grau ebenso aus Weiß und Schwarz gemischt werden kann.
10. Wenn man diese drei Farben durchsichtig also mischt, daß keine überwiegend ist, so erhält man eine Dunkelheit, die durch keine von den andern Teilen hervorgebracht werden kann.
11. Weiß sowohl als Schwarz sind beide undurchsichtig oder körperlich. Man darf sich an dem Ausdruck weißes Glas nicht stoßen, womit man klares meint. Weißes Wasser wird man sich nicht denken können, was rein ist, so wenig wie klare Milch. Wenn das Schwarze bloß dunkel machte, so könnte es wohl klar sein, da es aber schmutzt, so kann es solches nicht.
12. Die undurchsichtigen Farben stehen zwischen dem Weißen und Schwarzen; sie können nie so hell wie Weiß und nie so dunkel wie Schwarz sein.
13. Die durchsichtigen Farben sind in ihrer Erleuchtung wie in ihrer Dunkelheit grenzenlos, wie Feuer und Wasser als ihre Höhe und ihre Tiefe angesehen werden kann.
14. Das Produkt der drei undurchsichtigen Farben, Grau, kann durch das Licht nicht wieder zu einer Reinheit kommen, noch durch eine Mischung dazu gebracht werden; es verbleicht entweder zu Weiß oder verkohlt sich zu Schwarz.
15. Drei Stücken Glas von den drei reinen durchsichtigen Farben würden aufeinander gelegt eine Dunkelheit hervorbringen, die tiefer wäre als jede Farbe einzeln, nämlich so: Drei durchsichtige Farben zusammen geben eine farblose Dunkelheit, die tiefer ist als irgendeine von den Farben. Gelb ist zum Exempel die hellste und leuchtendste unter den drei Farben, und doch, wenn man zu ganz dunklem Violett so viel Gelb mischt, bis sie sich einander aufheben, so ist die Dunkelheit in hohem Grade verstärkt.
16. Wenn man ein dunkles durchsichtiges Glas, wie es allenfalls bei den optischen Gläsern ist, nimmt, und von der halben Dicke eine polierte Steinkohle, und legt beide auf einen weißen Grund, so wird das Glas heller erscheinen; verdoppelt man aber beide, so muß die Steinkohle stille stehen wegen der Undurchsichtigkeit; das Glas wird aber bis ins Unendliche sich verdunkeln, obwohl für unsre Augen nicht sichtbar. Eine solche Dunkelheit können ebensowohl die einzelnen durchsichtigen Farben erreichen, so daß Schwarz dagegen nur wie ein schmutziger Fleck erscheint.
17. Wenn wir ein solches durchsichtiges Produkt der drei durchsichtigen Farben auf die Weise verdünnen und das Licht durchscheinen ließen, so wird es auch eine Art Grau geben, die aber sehr verschieden von der Mischung der drei undurchsichtigen Farben sein würde.
18. Die Helligkeit an einem klaren Himmel bei Sonnenaufgang dicht um die Sonne herum oder vor der Sonne her kann so groß sein, daß wir sie kaum ertragen können. Wenn wir nun von dieser dort vorkommenden farblosen Klarheit als einem Produkt von den drei Farben auf diese schließen wollten, so würden diese so hell sein müssen und so sehr über unsere Kräfte weggerückt, daß sie für uns dasselbe Geheimnis blieben wie die in der Dunkelheit versunkenen.
19. Nun merken wir aber auch, daß die Helligkeit oder Dunkelheit nicht in den Vergleich oder Verhältnis zu den durchsichtigen Farben zu setzen sei, wie das Schwarz und Weiß zu den undurchsichtigen. Sie ist vielmehr eine Eigenschaft und eins mit der Klarheit und mit der Farbe. Man stelle sich einen reinen Rubin vor, so dick oder so dünn man will, so ist das Rot eins und dasselbe, und ist also nur ein durchsichtiges Rot, welches hell oder dunkel wird, je nachdem es vom Licht erweckt oder verlassen wird. Das Licht entzündet natürlich ebenso das Produkt dieser Farben in seiner Tiefe und erhebt es zu einer leuchtenden Klarheit, die jede Farbe durchscheinen läßt. Diese Erleuchtung, der sie fähig ist, indem das Licht sie zu immer höherem Brand entzündet, macht, daß sie oft unbemerkt um uns wogt und in tausend Verwandlungen die Gegenstände zeigt, die durch eine einfache Mischung unmöglich wären, und alles in seiner Klarheit läßt und noch erhöht. So können wir über die gleichgültigsten Gegenstände oft einen Reiz verbreitet sehen, der meist mehr in der Erleuchtung der zwischen uns und dem Gegenstand befindlichen Luft liegt als in der Beleuchtung seiner Formen.
20. Das Verhältnis des Lichts zur durchsichtigen Farbe ist, wenn man sich darein vertieft, unendlich reizend, und das Entzünden der Farben und das Verschwimmen ineinander und Wiederentstehen und Verschwinden ist wie das Odemholen in großen Pausen von Ewigkeit zu Ewigkeit vom höchsten Licht bis in die einsame und ewige Stille in den allertiefsten Tönen.
21. Die undurchsichtigen Farben stehen wie Blumen dagegen, die es nicht wagen, sich mit dem Himmel zu messen, und doch mit der Schwachheit von der einen Seite, dem Weißen, und dem Bösen, dem Schwarzen, von der andern zu tun haben.
22. Diese sind aber gerade fähig, wenn sie sich nicht mit Weiß noch Schwarz vermischen, sondern dünn darüber gezogen werden, so anmutige Variationen und so natürliche Effekte hervorzubringen, daß sich an ihnen gerade der praktische Gebrauch der Ideen halten muß, und die durchsichtigen am Ende nur wie Geister ihr Spiel darüber haben und nur die nen, um sie zu heben und zu erhöhen in ihrer Kraft.
Der feste Glaube an eine bestimmte geistige Verbindung in den Elementen kann dem Maler zuletzt einen Trost und Heiterkeit mitteilen, den er auf keine andre Art zu erlangen imstande ist, da sein eignes Leben sich so in seiner Arbeit verliert und Materie, Mittel und Ziel in eins zuletzt in ihm eine Vollendung hervorbringt, die gewiß durch ein stets fleißiges und getreues Bestreben hervorgebracht werden muß, so daß es auch auf andere nicht ohne wohltätige Wirkung bleiben kann.
Wenn ich die Stoffe, womit ich arbeite, betrachte, und ich halte sie an den Maßstab dieser Qualitäten, so weiß ich bestimmt, wo und wie ich sie anwenden kann, da kein Stoff, den wir verarbeiten, ganz rein ist. Ich kann mich hier nicht über die Praktik ausbreiten, weil es erstlich zu weitläuftig wäre, auch ich bloß im Sinne gehabt habe, Ihnen den Standpunkt zu zeigen, von welchem ich die Farben betrachte.
Schlußwort
Indem ich diese Arbeit, welche mich lange genug beschäftigt, doch zuletzt nur als Entwurf gleichsam aus dem Stegreife herauszugeben im Falle bin und nun die vorstehenden gedruckten Bogen durchblättere, so erinnere ich mich des Wunsches, den ein sorgfältiger Schriftsteller vormals geäußert, daß er seine Werke lieber zuerst ins Konzept gedruckt sähe, um alsdann aufs neue mit frischem Blick an das Geschäft zu gehen, weil alles Mangelhafte uns im Drucke deutlicher entgegen komme als selbst in der saubersten Handschrift.
Um wie lebhafter mußte bei mir dieser Wunsch entstehen, da ich nicht einmal eine völlig reinliche Abschrift vor dem Druck durchgehen konnte, da die sukzessive Redaktion dieser Blätter in eine Zeit fiel, welche eine ruhige Sammlung des Gemüts unmöglich machte.
Wie vieles hätte ich daher meinen Lesern zu sagen, wovon sich doch manches schon in der Einleitung findet. Ferner wird man mir vergönnen, in der Geschichte der Farbenlehre auch meiner Bemühungen und der Schicksale zu gedenken, welche sie erduldeten.
Hier aber stehe wenigstens eine Betrachtung vielleicht nicht am unrechten Orte, die Beantwortung der Frage: was kann derjenige, der nicht im Fall ist, sein ganzes Leben den Wissenschaften zu widmen, doch für die Wissenschaften leisten und wirken? was kann er als Gast in einer fremden Wohnung zum Vorteile der Besitzer ausrichten?
Wenn man die Kunst in einem höhern Sinne betrachtet, so möchte man wünschen, daß nur Meister sich damit abgäben, daß die Schüler auf das strengste geprüft würden, daß Liebhaber sich in einer ehrfurchtsvollen Annäherung glücklich fühlten. Denn das Kunstwerk soll aus dem Genie entspringen, der Künstler soll Gehalt und Form aus der Tiefe seines eigenen Wesens hervorrufen, sich gegen den Stoff beherrschend verhalten und sich der äußern Einflüsse nur zu seiner Ausbildung bedienen.
Wie aber dennoch aus mancherlei Ursachen schon der Künstler den Dilettanten zu ehren hat, so ist es bei wissenschaftlichen Gegenständen noch weit mehr der Fall, daß der Liebhaber etwas Erfreuliches und Nützliches zu leisten imstande ist. Die Wissenschaften ruhen weit mehr auf der Erfahrung als die Kunst, und zum Erfahren ist gar mancher geschickt. Das Wissenschaftliche wird von vielen Seiten zusammengetragen und kann vieler Hände, vieler Köpfe nicht entbehren. Das Wissen läßt sich überliefern, diese Schätze können vererbt werden; und das von einem Erworbene werden manche sich zueignen. Es ist daher niemand, der nicht seinen Beitrag den Wissenschaften anbieten dürfte. Wie vieles sind wir nicht dem Zufall, dem Handwerk, einer augenblicklichen Aufmerksamkeit schuldig. Alle Naturen, die mit einer glücklichen Sinnlichkeit begabt sind, Frauen, Kinder sind fähig, uns lebhafte und wohlgefaßte Bemerkungen mitzuteilen.
In der Wissenschaft kann also nicht verlangt werden, daß derjenige, der etwas für sie zu leisten gedenkt, ihr das ganze Leben widme, sie ganz überschaue und umgehe; welches überhaupt auch für den Eingeweihten eine hohe Forderung ist. Durchsucht man jedoch die Geschichte der Wissenschaften überhaupt, besonders aber die Geschichte der Naturwissenschaft, so findet man, daß manches Vorzüglichere von einzelnen in einzelnen Fächern, sehr oft von Laien geleistet worden.
Wohin irgend die Neigung, Zufall oder Gelegenheit den Menschen führt, welche Phänomene besonders ihm auffallen, ihm einen Anteil abgewinnen, ihn festhalten, ihn beschäftigen, immer wird es zum Vorteil der Wissenschaft sein. Denn jedes neue Verhältnis, das an den Tag kommt, jede neue Behandlungsart, selbst das Unzulängliche, selbst der Irrtum ist brauchbar oder aufregend und für die Folge nicht verloren.
In diesem Sinne mag der Verfasser denn auch mit einiger Beruhigung auf seine Arbeit zurücksehen; in dieser Betrachtung kann er wohl einigen Mut schöpfen zu dem, was zu tun noch übrig bleibt, und, zwar nicht mit sich selbst zufrieden, doch in sich selbst getrost, das Geleistete und zu Leistende einer teilnehmenden Welt und Nachwelt empfehlen.
Multi pertransibunt et augebitur scientia