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Vom Auto aus rief Menkhoff im Präsidium an und erkundigte sich unter anderem danach, was Oliver Glöckner zu seinem Besuch bei der Familie Wiebking gesagt hatte. Er erfuhr, dass Riedel und sein Partner den frischgebackenen Witwer nicht zu Hause angetroffen hatten, und entschloss sich spontan, es selbst noch einmal zu versuchen. Die Ringfahndung nach Eva Rossbach war in vollem Gange, hatte aber noch keinen Erfolg gebracht. Auch nach dem ominösen Rocker wurde mittlerweile gesucht, was aber kein einfaches Unterfangen war, denn die Beschreibung von Frau Köhler traf auf viele der in Clubs organisierten Motorradfahrer zu.

Sie erreichten das Anwesen nach zwanzigminütiger Fahrt, und jetzt war Oliver Glöckner auch zu Hause. Als er ihnen die Tür öffnete, fiel Menkhoff auf, dass er längst nicht so frisch und gepflegt aussah wie bei ihrem letzten Besuch. Sein Gesicht war etwas gerötet, und er wirkte matt, die Haare lagen ihm strähnig und ungekämmt am Kopf. »Ah, Sie sind das, guten Tag«, begrüßte er sie, machte aber keine Anstalten, sie hereinzubitten.

»Wir haben noch ein paar Fragen an Sie«, erklärte Menkhoff. »Dürfen wir vielleicht kurz reinkommen?«

»Ehm … ja, also, wenn es sein muss. Es kommt mir gerade ungelegen, aber wenn es nicht zu lange dauert, bitte.«

Menkhoff und Reithöfer setzten sich wie beim letzten Mal auf die Designercouch, und nachdem auch Glöckner saß, kam Menkhoff ohne Umschweife zur Sache. »Herr Glöckner, warum haben Sie uns nicht erzählt, dass Sie vorletzte Woche bei Hubert Wiebking zu Hause waren?«

Menkhoff hätte nicht sagen können, welche Reaktion er erwartet hatte, aber dass dieser Glöckner überhaupt keine erkennbare Regung zeigte, wunderte ihn. Er hob nur die Schultern und sagte: »Ach, das habe ich wohl vergessen.«

»Ah, vergessen also. Genauso wie Sie auch vergessen hatten, uns von dem Gespräch mit Jörg Wiebking zu erzählen. Eine Frage, Herr Glöckner: Auf wie viele Dinge müssen wir uns noch einstellen, die Sie vergessen haben uns zu sagen, und die in direktem Bezug zum Mord an Ihrer Ehefrau stehen?«

Glöckner hatte nun doch ein Stück seiner Gelassenheit verloren. Er fuhr sich mit gespreizten Fingern durch die Haare und sagte: »Ja, ich weiß ja …«

»Ich weiß, dass ich langsam das Gefühl habe, Sie behindern unsere Ermittlungen ganz gezielt, Herr Glöckner. Bringt man das in Zusammenhang mit der Tatsache, dass Sie nach dem Tod Ihrer Frau vermutlich eine große Summe erben, drängt sich zwangsläufig der eine oder andere Gedanke auf.«

Das hatte gesessen, denn innerhalb weniger Sekunden wurde aus einem scheinbar lockeren Oliver Glöckner ein nervöses Etwas. »Welche Gedanken meinen Sie? Wollen Sie damit etwa sagen, dass Sie mich verdächtigen, meine Frau umgebracht zu haben?«

»Ich will damit sagen, dass Sie durch den Mord an Ihrer Frau einerseits viel Geld erben und andererseits unsere Ermittlungen von Anfang an dadurch behindern, dass Sie uns wichtige Dinge vorenthalten. Das wirft kein besonders gutes Licht auf Sie, Herr Glöckner. Also, ich frage Sie jetzt noch einmal, was Sie im Haus der Wiebkings gewollt haben und ob es sonst noch etwas gibt, das Sie vergessen haben, uns zu erzählen. Und ich rate Ihnen, denken Sie sehr gut nach, bevor Sie antworten.«

Tatsächlich schien Glöckner in sich zu gehen, starrte mit in Falten gelegter Stirn an die Decke, was seine Anstrengungen wohl verdeutlichen sollte, und verharrte eine Weile in dieser Position, bevor er erst Reithöfer und dann Menkhoff ansah und sagte: »Also gut. Ja, Sie haben recht, ich erbe viel Geld. Aber das konnte ich vorletzte Woche noch nicht wissen, denn ich habe meine Frau ganz gewiss nicht umgebracht und hatte es auch nicht vor. Jörg Wiebking wollte Inge überreden, ihren Erbteil dazu einzusetzen, Eva Rossbach die Firma abzukaufen, weil er unbedingt den Posten seines Vaters haben möchte. Er weiß genau, dass er ihn nicht bekommt, wenn die Firma in Eva Rossbachs Hand bleibt, weil die auf alles hört, was sein Vater ihr sagt. Inge hat mit mir nie über Gelddinge geredet, und ich habe mich auch nie in ihre Angelegenheiten eingemischt, aber ich hatte einen Teil des Gesprächs zwischen Jörg Wiebking und ihr mitbekommen und ahnte, was er von ihr wollte. Als er dann gegangen ist, habe ich ihn danach gefragt. Er hat zugegeben, dass er Inge gebeten hatte, den Betrieb zu kaufen, und dass Inge das auch nicht grundsätzlich abgelehnt hatte. Ich hielt es für einen riesigen Fehler, überhaupt darüber nachzudenken, aber wie schon gesagt hat Inge sich von mir nie reinreden lassen. Also bin ich zum alten Wiebking gegangen und habe ihm von dem Besuch seines Sohns bei uns erzählt. Ich dachte, vielleicht wird der dann dafür sorgen, dass Eva nicht verkauft. Das war alles.«

»Warum hätten Sie es für einen Fehler gehalten, wenn Ihre Frau die Firma gekauft hätte?«

»Weil sie keine Ahnung von so einem Betrieb hatte und völlig auf Jörg Wiebking angewiesen gewesen wäre. Und dem traue ich keinen Meter weit.«

»Warum nicht?«, wollte Reithöfer wissen.

»Ach, ich weiß gar nicht so genau, aber irgendwie ist der Kerl komisch. Ein Gefühl.«

»Herr Glöckner, wo waren Sie während der letzten drei Stunden?« Menkhoff feuerte die Frage regelrecht ab, mit dem Erfolg, dass Glöckner zusammenzuckte. »Wie? Ich verstehe nicht.«

»Was haben Sie nicht verstanden?«

»Ich … Sie wollen wissen, was ich in den letzten drei Stunden gemacht habe? Warum?« Als weder Menkhoff noch Reithöfer Anstalten machten, ihm darauf zu antworten, sagte er: »Nun, ich war beim Sport.«

»Beim Sport? Wo? Welche Art von Sport? Ich hoffe, dafür gibt es Zeugen.«

Glöckner rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht, stand auf und machte drei, vier Schritte, bis er vor einem der großen Glaselemente stand, durch die die Terrasse zu sehen war. Er steckte die Hände in die Taschen und starrte durch die Scheibe hinaus. »Ich war beim Tennis, und ja, es gibt jemanden, der das bezeugen kann – die Frau, mit der ich gespielt habe. Und bevor wir weiter um den heißen Brei herumreden und Sie mir anschließend wieder vorwerfen, ich hätte Ihnen etwas verheimlicht: Ich habe mit dieser Frau ein Verhältnis.«

Menkhoff sah zu Reithöfer hinüber, und deren Blick sprach Bände. Das war eine fast schon klassische Konstellation. »Ah, verstehe. Kennen Sie diese Frau schon länger?«

Glöckner wandte seinen Blick vom Garten ab und sah ernst zu ihnen herüber. »Sie werden es nicht verstehen, aber ja, ich kenne sie schon länger.«

»Wie alt ist diese Frau? Jünger als Sie?« Menkhoff war sicher, die Antwort schon zu kennen. »Ja.«

Menkhoff stand nun ebenfalls auf, ging zu Glöckner hinüber und blieb dicht vor ihm stehen. »Was denken Sie, Herr Glöckner, wie stellt sich wohl Ihre Rolle in dieser scheußlichen Sache für uns dar?«

Glöckner lachte kurz und hysterisch auf. »Ja, eben, das ist mir ja vollkommen klar. Das ist doch der Grund, warum ich Ihnen nicht von Anfang an alles gesagt habe. Dann hätten Sie doch Ihren Hauptverdächtigen sofort gehabt. Junger Mann aus normalen Verhältnissen, ohne Job, heiratet ältere, stinkreiche Frau, spielt den Hausmann, hat nichts zu melden. Weder in finanziellen Dingen noch sonst wo, und schon gar nicht im Bett. Er nimmt sich eine junge Geliebte und plant, die Frau umzubringen, um mit dem jungen Ding vom Geld der Frau fortan in Saus und Braus zu leben.«

Menkhoff nickte. »Ja, das klingt schon mal nach einem handfesten Motiv. Aber Sie haben bei Ihren Überlegungen eines vergessen: Nichts ist verdächtiger, als jemand, der Dinge verheimlicht oder nicht die Wahrheit sagt. Und das kommt nun zu Ihrer Beschreibung noch hinzu.«

Sie sahen sich eine Zeitlang an, dann sagte Glöckner: »Inge war alles andere als eine gefühlvolle Frau, im Gegenteil, sie konnte sehr kaltherzig und zynisch sein. Zärtlichkeit war für sie ein Ausdruck von Schwäche, Berührungen duldete sie schon recht schnell gar nicht mehr. Nein, wir haben keine gute Ehe geführt. Aber ich habe mit ihrem Tod nichts zu tun.«

»Warum haben Sie sie geheiratet«, fragte Reithöfer, die noch immer auf der Couch saß. »So, wie Sie Ihre Frau beschreiben, kann ich mir nur sehr schwer vorstellen, dass sie gravierend anders war, als Sie sie kennenlernten. Warum also die Heirat?«

Glöckners Blick saugte sich an einer Stelle auf dem Fußboden zwischen Reithöfer und ihm fest. »Wegen des Geldes. Ich war damals hoch verschuldet und hatte keinen Job, und als Inge mir vorgeschlagen hat zu heiraten, war das die Lösung all meiner finanziellen Probleme.« Er hob den Kopf und sah Reithöfer nun direkt an. »Ja, ich schäme mich deswegen.«

Menkhoff hatte genug von Oliver Glöckner. Er wandte sich ab, machte ein paar Schritte in Richtung Ausgang und blieb noch einmal stehen. »Geben Sie Frau Reithöfer Adresse und Telefonnummer Ihrer … Freundin. Verlassen Sie bitte nicht die Stadt, und halten Sie sich jederzeit zu unserer Verfügung.« Dann wandte er sich an Reithöfer. »Ich warte draußen auf dich.«

Als er ins Freie trat, atmete er erst ein paarmal tief durch, dann wählte er Brosius’ Nummer und forderte ein Observierungsteam für Oliver Glöckner an. Danach ging er zum Auto und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Er dachte daran, dass er am nächsten Tag endlich seine Tochter sehen sollte. Und dass daraus nichts werden würde.

Der Sarg
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