23

Bernd Menkhoff sah vom vorläufigen Bericht über ihren morgendlichen Fund auf, als es an seiner geöffneten Bürotür klopfte. Udo Riedel kam herein, wie meistens war sein Gesicht gerötet und glänzte. »Der Mann des ersten Opfers hat gerade angerufen, dieser Glöckner. Er wollte dich sprechen, aber dein Telefon war besetzt, da hat er sich über die Zentrale zu Jutta durchstellen lassen, aber da war auch besetzt. Ihm ist noch was eingefallen, was er nur dir persönlich sagen wollte. Er kommt gleich vorbei. Wir anderen scheinen dem Herrn nicht gut genug zu sein.«

»Ah, ja, ich habe gerade mit den Kollegen von der Spurensicherung gesprochen. Ist gut, danke.«

Er wollte sich wieder dem Bericht zuwenden, registrierte aber am Rand, dass Riedel keine Anstalten machte zu gehen, und sah wieder auf. »Ja? Sonst noch was?«

»Ja, da ist noch was. Ich wollte dir noch sagen, dass ich dein Verhalten heute Morgen mir gegenüber registriert habe.«

»Was meinst du?«

»Nun, dass du mich während der Fahrt, und dann am Fundort … Also ich fand, du hast dich bemüht, ja. Aber ich bin auch nicht bescheuert. Mir ist vollkommen klar, dass das nicht der wahre Menkhoff war. Ich möchte, dass du weißt, dass mir völlig klar ist, dass du dich verstellt hast.«

Menkhoff dachte einen Moment nach, er konnte dieses Gespräch nicht so recht einordnen, spürte aber, wie etwas in seiner Magengegend Feuer fing. »Wir sind Kollegen, und ich habe mich dir gegenüber verhalten wie ich es bei jedem anderen auch getan hätte.«

Riedel nickte mit bewegungsloser Miene. »Ja, eben. Wir sind Kollegen, und ich weiß, dass dir Kollegen ziemlich egal sind. Also, um es auf den Punkt zu bringen: Ich habe gemerkt, dass es bemüht war und nicht ehrlich. Einschleimen ist nicht das Mittel, sich Freunde zu machen.« Er drehte sich um, stockte, wandte sich Menkhoff erneut zu. »Aber das ändert nichts daran, dass ich honoriere, dass du zumindest bemüht bist, mir …«

Bernd Menkhoff hatte Mühe, seine Wut weiter unter Kontrolle zu halten. »Stopp«, unterbrach er Riedel scharf und mit erhobener Hand, woraufhin der tatsächlich verstummte. »Eines möchte ich dir auch sagen, du aufgeblasener Furz: Du gehst mir auf die Nerven, und zwar gewaltig. Und jetzt verschwinde aus meinem Büro.«

Riedel sog zischend die Luft ein, dann schürzte er die Lippen. »Ja, da kommt der wahre Menkhoff wieder hervor. Ich wusste es doch, du änderst dich nie.« Er wandte sich zackig ab und verließ das Büro. Menkhoff schloss die Augen und erinnerte sich an die Atemübungen, die der Aachener Polizeipsychologe Dr. Winkelmann ihm beigebracht hatte. Nur nicht in alte Muster verfallen …

Als er etwa zwanzig Minuten später per Telefon die Mitteilung bekam, dass ein Oliver Glöckner unten am Empfang war, hatte er sich wieder beruhigt. Er ließ ihn hochschicken und machte sich auf den Weg zum Fahrstuhl am Ende des Flurs, um ihn in Empfang zu nehmen. Sie kamen fast zur gleichen Zeit dort an, Menkhoff öffnete gerade die Glastür, die den Büroflur der Mordkommission von dem Teil mit dem Fahrstuhl trennte. Glöckner lächelte unsicher, als er aus der Fahrstuhlkabine trat. Die Karte mit der großen Aufschrift BESUCHER hing an einem gelben Band um seinen Hals. »Guten Tag, Herr Glöckner«, begrüßte Menkhoff ihn und gab ihm die Hand. »Ja, guten Tag, ich weiß nicht, ob es wirklich wichtig ist, was ich Ihnen sagen möchte, aber ich dachte … Na ja, also es gibt da einen Punkt …«

»Lassen Sie uns doch in mein Büro gehen, Herr Glöckner«, schnitt Menkhoff ihm das Wort ab, denn er hatte keine Lust, das auf dem Flur zu besprechen. Er gab die vierstellige Zahlenkombination am Nummernblock neben der Glastür ein und hielt die Tür auf.

Einen Kaffee lehnte Glöckner ab, und kaum saßen sie sich in Menkhoffs Büro gegenüber, begann er sofort wieder zu reden. »Also wie schon gesagt, ich weiß nicht, ob es wirklich wichtig ist, aber ich glaube, ich habe mich bei unserem Gespräch etwas unklar ausgedrückt in einem Punkt.«

Menkhoff faltete die Hände vor sich auf dem Tisch. »Aha, und in welchem Punkt?«

»Also, es geht um den Besuch von Jörg Wiebking bei meiner Frau, also genau genommen bei uns. Vor zwei Wochen. Na ja, also … wie soll ich es ausdrücken …« Er wiegte den Kopf hin und her. »Er hat nicht nur mit Inge gesprochen, sondern auch mit mir. Also, allein, nachdem er sich mit Inge unterhalten hatte.«

»Aha«, kommentierte Menkhoff diese Eröffnung und war gespannt, was nun kommen würde.

»Und es war auch nicht so, dass er regelmäßig bei uns vorbeikam, eher selten. Also, ich hatte ihn lange Zeit vorher nicht gesehen.«

»Hm … da brennen mir doch spontan zwei Fragen auf der Zunge, Herr Glöckner. Erstens: Warum erzählen Sie mir das erst jetzt? Und zweitens: Worum ging es denn in dem Gespräch, das er – allein – mit Ihnen geführt hat?«

»Ja, warum habe ich das nicht gleich gesagt … Könnte ich vielleicht doch einen Kaffee haben?«

Menkhoff nickte, wenig erfreut über die Verzögerung, griff das Telefon und wählte Jutta Reithöfers Nummer. Er wusste, sie saß an dem endgültigen Bericht über die Ereignisse vom Vormittag. »Ja, Bernd hier«, sagte er, als sie abhob. »Bist du bitte so nett und besorgst einen Kaffee für Herrn Glöckner? In mein Büro.«

»Er ist bei dir?«

»Ja, danke.« Er legte auf und sah Glöckner wieder an. »Also, warum kommen Sie erst jetzt damit?«

»Na ja, er hat versucht, Inge als Investorin zu gewinnen, um Eva Rossbach die Firma ihres Vaters abzukaufen, aber sie wollte davon nichts wissen. Sie war froh, mit der Firma nichts zu tun zu haben. Danach kam er dann eben zu mir und hat mir erzählt, wie viel Geld mit der Firma zu verdienen ist. Er wollte, dass ich mit Inge rede und sie davon überzeuge, dass das Geld gut angelegt ist.«

»Und? Haben Sie mit Ihrer Frau darüber geredet?«

Glöckner stieß einen grellen Lacher aus. »Sind Sie verrückt? Mit Inge … Ich meine, entschuldigen Sie, das habe ich nicht so gemeint. Aber wenn Sie Inge gekannt hätten … Ich hätte eher einen Esel dazu überreden können, mit mir zusammen ein Lied zu pfeifen, als Inge dazu, etwas zu tun, wozu sie schon nein gesagt hat.«

»Hm«, machte Menkhoff. »Und warum rücken Sie damit erst jetzt heraus?«

»Na, weil Jörg Wiebking mir das Versprechen abgenommen hat, mit niemandem darüber zu reden. Ich stehe normalerweise zu den Versprechen, die ich gebe, wissen Sie.«

»Das ehrt Sie, aber hier geht es um den Mord an Ihrer Frau.«

Glöckner nickte eifrig. »Eben, das habe ich mir auch überlegt. Das sind quasi höhere Interessen, die …«

Die Tür wurde nach kurzem Anklopfen geöffnet, und Jutta Reithöfer brachte eine Tasse Kaffe herein und stellte sie vor Glöckner ab. Auf der Untertasse lagen zwei Stück Würfelzucker und ein Döschen Milch. Sie begrüßten sich kurz, wobei Glöckner sie mit jungenhaftem Lächeln anstrahlte, dann bedeutete Menkhoff ihr, sie solle sich setzen, und wandte sich wieder an Glöckner. »Also, fassen wir zusammen: Jörg Wiebking hat vor rund zwei Wochen Ihre Frau besucht, weil er sie dazu überreden wollte, ihrer Halbschwester Eva Rossbach die Firma abzukaufen. Als sie das ablehnte, versuchte er Sie dazu zu überreden, auf Ihre Frau einzuwirken, damit Sie es doch tut. Ist das so weit richtig?« Glöckner nickte und ließ seinen Blick dabei auf Jutta Reithöfer ruhen, die ihn fragend ansah. »Entschuldigen Sie, ich habe ja Ihr Gespräch mit meinem Kollegen nicht mitbekommen, aber … wenn Ihre Frau auf seinen Vorschlag eingegangen wäre, was hätte Herr Wiebking davon gehabt?«

»Oh, ja, natürlich«, Glöckner schlug sich mit der Hand leicht gegen die Stirn und schüttelte den Kopf. »Das habe ich ja noch gar nicht erwähnt. Er wollte dann den Posten des Geschäftsführers übernehmen.«

»Ah, gut, das ist natürlich ein Argument.«

Kurze Zeit später hatte Oliver Glöckner seinen Kaffee ausgetrunken und verabschiedete sich. »Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich zuerst nichts … also, dass ich Ihnen anfangs nicht alles gesagt habe.«

Menkhoff winkte ab. »Schon gut, wichtig ist, dass Sie sich doch noch dazu entschlossen haben. Vielen Dank, dass Sie deswegen extra hergekommen sind.« Er begleitete Glöckner noch zum Fahrstuhl, wartete, bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, und ging dann zurück zu seinem Büro, wo Jutta Reithöfer auf ihn wartete. »Was hältst du davon?«, fragte er, während er zu seinem Platz ging.

»Hm, ich weiß nicht.« Reithöfer spielte mit einem Bleistift, den sie von seinem Schreibtisch genommen hatte. »Jörg Wiebking scheint zu befürchten, dass sein Vater bezüglich der Thronfolge jemand anderen vorziehen wird. Also überlegt er sich, wie er es schaffen kann, den alten Herrn loszuwerden und dessen Platz einzunehmen. Klingt für mich wie ganz normales Taktieren um einen Posten, der viel Geld und Macht mit sich bringt.«

»Zwischen Vater und Sohn?«

»Na ja, du hast den alten Wiebking doch erlebt. Patriarch der alten Schule. Ich schätze, der lebt für das Unternehmen und zum Wohle seiner Besitzerin. Wenn der sich in den Kopf gesetzt hat, dass sein Sohn nicht für den Job geeignet ist, wird er schwer davon abzubringen sein, jemand anderen als Nachfolger aufzubauen.«

»Ja, da hast du wohl recht. Unter normalen Umständen.« Menkhoff sah Reithöfers fragenden Blick und sagte: »Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwas in dieser Familie ist oberfaul, und ich werde das Gefühl nicht los, wir müssen herausfinden, was das ist, wenn wir diesen abartigen Fall aufklären wollen.«

»Hm … Ich weiß nicht, Bernd, vielleicht interpretierst du da auch zu viel hinein.«

»Ja, vielleicht«, erwiderte er und dachte dabei: Das hat man mir schon öfter gesagt.

Das Telefon klingelte. Es war einer der Kollegen, die noch den Fundort der Frau untersuchten. Sie hatten ein Stück vom Tatort entfernt ihren Mantel mit allen Papieren darin gefunden. Menkhoff machte sich einige Notizen und legte auf. »Wir wissen jetzt, wer das Opfer von heute Morgen ist«, sagte er an Reithöfer gewandt. »Mirjam Walther, vierundzwanzig, wohnhaft in Heimersdorf. Auf geht’s.«

Als sie im Auto saßen, fragte Reithöfer: »Sag mal, hast du eine Ahnung, was mit dem Riedel los ist? Der ist vorhin wutschnaubend über den Gang marschiert und war dabei hochrot im Gesicht.«

Menkhoff hielt den Blick weiter auf die Straße gerichtet und sagte beiläufig: »Vielleicht hat ihm endlich mal jemand gesagt, dass er ein aufgeblasener Furz ist.«

Der Sarg
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