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»Ich kann mir nicht helfen, diese Eva Rossbach ist irgendwie seltsam.« Menkhoff sah zu Jutta Reithöfer, die hinter dem Steuer des Passat saß. Sie waren auf dem Weg nach Hahnwald zu Oliver Glöckner, dem Mann des Opfers. »Was genau meinst du?«
Sie hob die Schulter. »Ich kann es nur schwer beschreiben. Sie kam mir irgendwie abwesend vor. Mein Gott, der Frau gehört ein großes Unternehmen mit was weiß ich wie vielen Mitarbeitern, und sie wirkt wie ein introvertierter Teenager.«
»Was sicherlich ein Grund dafür ist, dass dieser Wiebking die Geschäfte führt. Als Chefin kann ich mir Eva Rossbach weiß Gott nicht vorstellen. So, wie wir sie gerade erlebt haben, wickelt Wiebking die doch um den Finger und macht, was er will.«
Reithöfer nickte. »Ja, und der Kronprinz steht sicherlich schon parat, um zu übernehmen.«
»Sein Sohn? Gut möglich. Allerdings wird der noch etwas an seinem Durchsetzungsvermögen arbeiten müssen, so, wie der Alte ihm ins Wort gefallen ist und für ihn geantwortet hat. Ich bin mal gespannt, was dieses eine Zeitlang heißen sollte. Das klingt mir sehr danach, als hätte Jörg Wiebking noch länger Kontakt zu Inge Glöckner gehabt als sein Vater.«
Als sie vor der Glöckner’schen Villa ankamen, stieß Reithöfer einen Pfiff aus. »So lässt sich’s leben.«
Das weiße Jugendstilgebäude lag etwas zurückgesetzt, die gepflegte Rasenfläche davor wirkte wie ein grüner Teppich.
»Du hast doch die Firma gesehen. Wenn sie den gleichen Wert in Geld und Aktien erhalten hat, wundert mich das hier überhaupt nicht.«
Menkhoff hatte den Mann des Opfers bisher noch nicht gesehen und war entsprechend überrascht, als er die Tür öffnete.
Oliver Glöckner war ein Beau. Er war etwa so groß wie Menkhoff, der aber mit seinen neunzig Kilo bei einsfünfundachtzig mindestens zehn Kilo schwerer war als Glöckner. Zudem war Glöckner mindestens fünfundzwanzig Jahre jünger. Menkhoff überlegte, dass er damit auch einige Jahre jünger sein musste als das Opfer. Das lange Deckhaar war hellblond gesträhnt und an der Seite gescheitelt, was dazu führte, dass Glöckner sich immer wieder Strähnen aus dem Gesicht streichen musste, die ihm in die Augen fielen. Seine Zähne waren entweder von Natur aus unverschämt gerade und weiß, oder aber ein Zahnkosmetiker hatte nachgeholfen, was Menkhoff für wahrscheinlicher hielt. Der Kontrast zu der gebräunten Gesichtshaut war so extrem, dass Menkhoff immer wieder auf diese Zähne schauen musste, sobald Glöckner den Mund aufmachte. Er war leger gekleidet, aber Menkhoff schätzte, dass das, was Glöckner am Leib trug, wahrscheinlich sein halbes Monatsgehalt verschlungen hätte. Wenn er ihm zufällig begegnet wäre, hätte er Glöckner für einen Golf-oder Tennislehrer gehalten.
Nun saßen sie sich in einer Art modernem Salon von der Größe von Menkhoffs Wohnung auf zwei identischen weißen Ledercouches gegenüber, zwischen sich ein niedriges Glastischchen. An der Wand hinter Glöckner gruppierten sich mehrere Fotos, die Inge Glöckner in verschiedenen Situationen zeigten, um eine große Porträtaufnahme von ihr. Sie hatte schulterlange schwarze Haare, braune Augen und ein hübsches, vielleicht etwas strenges Gesicht. Menkhoff versuchte Ähnlichkeiten mit Eva Rossbach zu finden, konnte aber nichts entdecken, worin sich die Halbschwestern ähnelten. Er wandte sich wieder Glöckner zu, auf dessen Zügen sich deutliche Trauer zeigte. Menkhoff erwischte sich dabei, dass ihm das Wort plakativ dazu einfiel, verwarf den Gedanken aber sofort wieder, er wollte nicht ungerecht sein.
»Fühlen Sie sich in der Lage, uns ein paar Fragen zu beantworten, Herr Glöckner?«, fragte Reithöfer, und es war Menkhoff ganz recht, dass sie bei diesem Mann instinktiv die Gesprächsführung übernommen hatte. »Ja. Ja, natürlich, es geht schließlich darum, den Mord an meiner Frau aufzuklären. Natürlich werde ich alles tun, was ich kann, um Ihnen Ihre Arbeit zu erleichtern.«
Reithöfer nickte. »Zuerst einmal: Hatte Ihre Frau Ihres Wissens nach Feinde? Oder gab es Menschen, die ihr das alles hier vielleicht neideten?« Sie sah sich bewundernd in dem Raum um und verdeutlichte damit, was sie meinte.
»Nein, nicht dass ich wüsste. Meine Frau war überall beliebt, wir haben sehr viele Freunde. Nein, von Feinden oder Neidern weiß ich nichts.«
»Ich habe gelesen, Ihre Frau hatte ein Geschäft in der Neusser Straße?«, übernahm Menkhoff.
»Ja, eine Boutique für Designermode. Nur die besten Marken. Dabei ging es ihr nicht ums Geldverdienen, das war nicht nötig. Die Boutique war eher ein Hobby von ihr. Und jetzt …« Er schluckte, und Menkhoff fiel auf, dass die Trauer wieder überdeutlich in sein Gesicht zurückgekehrt war. Es schien Glöckner wirklich schwerzufallen, über seine tote Frau zu sprechen, und Menkhoff leistete insgeheim Abbitte dafür, dass er ihn anfangs für wenig authentisch gehalten hatte. Er war sicher ein Lebemann, aber sein Schmerz schien echt.
»Und was machen Sie beruflich, Herr Glöckner?«
»Ach«, sagte er und versuchte sogar ein Lächeln, was allerdings gründlich misslang, »ich würde mich als Hausmann bezeichnen. Ich kümmere mich um Haus und Garten und all die Dinge, die so erledigt werden müssen.«
»Aha, und … das tun Sie, seit sie verheiratet sind?«
»Ja, wir haben uns von Anfang an darauf geeinigt, dass ich das übernehme.«
»Ah, verstehe. Wir kommen gerade von Frau Rossbach. Ihre Frau hatte zu ihrer Halbschwester seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr. Warum war das so?«
Die Trauer verschwand mit einem Mal aus Glöckners Gesicht. »Eva Rossbach, ja …« Er schien innerlich mit sich zu ringen und zeigte das auch deutlich, was für Menkhoffs Geschmack eine Spur zu theatralisch war. »Irgendwie eine tragische Gestalt, die liebe Eva.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun, sie ist … wie soll ich es ausdrücken … vielleicht nicht ganz gesund.« Menkhoff wartete darauf, dass Glöckner weitersprach, als er das aber nicht tat, sagte er: »Herr Glöckner, würden Sie uns sagen, was Sie damit meinen, dass sie nicht ganz gesund ist?«
Wieder wand Glöckner sich, bis er sich augenscheinlich dazu entschlossen hatte, zu reden. »Na ja, ich weiß das ja auch nur aus zweiter Hand, ich selbst habe sie nie kennengelernt, aber meine Frau erzählte mir, Eva sei immer sehr seltsam gewesen. Sie war wohl schon als Kind ständig verwirrt. Sie wusste oft nicht, wo sie war, und vergaß die einfachsten Dinge, und wenn man sie darauf ansprach, wurde sie wohl schnell aggressiv. Deshalb gab es auch häufig Streit zwischen Inge und Eva.«
»Wissen Sie, ob sie deshalb in ärztlicher Behandlung war?«
»Nein, war sie nicht. Inge erzählte mir, ihre Mutter hätte viele Ansätze gemacht, mit ihr zu einem Arzt zu gehen, aber ihr Vater hat sich dagegen gewehrt. Wahrscheinlich befürchtete er, es könne darüber geredet werden, dass eine Rossbach-Tochter psychische Probleme hat.«
»Wann brach der Kontakt zwischen Ihrer Frau und Eva Rossbach ab und warum?«
»Ach, ich weiß es gar nicht genau, das muss ein paar Jahre vor meiner Zeit gewesen sein. Und auch den genauen Grund kenne ich nicht, aber Eva war wohl so unberechenbar, dass es irgendwann einfach nicht mehr ging.«
»Herr Glöckner, können Sie uns bitte eine Liste machen mit Ihren Freunden und guten Bekannten? Und falls Ihnen doch noch jemand einfallen sollte, der sich mit Ihrer Frau nicht verstanden hat, schreiben Sie ihn bitte unbedingt mit einem entsprechenden Hinweis dazu.«
»Ja, natürlich, das mache ich.«
Menkhoff lehnte sich zurück und sah Glöckner an. Der brauchte eine Zeitlang, bis er überrascht fragte: »Wie? Jetzt? Soll ich die Liste jetzt erstellen?«
Menkhoff nickte. »Das wäre nett.«
Glöckner stand auf und kam eine Minute später mit einem Blatt Papier und einem Stift zurück. Während er Namen um Namen untereinander schrieb, unterhielten sich Menkhoff und Reithöfer mit ihm über die Hobbys seiner Frau und ihre Gewohnheiten, ob sie Mitglied in Vereinen gewesen war und ähnliche Routinedinge. Nach etwa einer halben Stunde war die Liste beachtlich lang, und Menkhoff genügte es fürs Erste. Er nahm sie an sich, warf einen kurzen Blick auf die etwa fünfundzwanzig Namen und reichte das Blatt dann an seine Kollegin weiter. »Vielen Dank, wir werden uns mit den Leuten unterhalten. Wir melden uns dann wieder bei Ihnen.«
Als sie schon an der massiven zweiflügeligen Haustür angekommen waren, drehte Menkhoff sich noch einmal um. »Sagen Sie, Herr Glöckner, kennen Sie den Geschäftsführer der Rossbach Maschinenbaubetriebe, Herrn Wiebking und dessen Sohn?«
»Ehm, nein, also den alten Wiebking kenne ich nicht. Seinen Sohn kenne ich flüchtig. Er war ein paarmal hier, weil er was mit Inge zu besprechen hatte.«
»Er hatte was mit Ihrer Frau zu besprechen? Wie lange ist das her?«
Glöckner hatte die Stirn in Falten gelegt und schien angestrengt zu überlegen. »Warten Sie, das war … hm … ich glaube … ja, vorletzte Woche zum letzten Mal.«
»Vorletzte Woche?« Menkhoff war überrascht. »Als wir ihn fragten, hörte es sich für uns so an, als sei das schon Jahre her. Was hat er von Ihrer Frau gewollt?«
»Ich weiß es nicht. Wie schon gesagt, ich habe hier die Rolle des Hausmannes. Für die geschäftlichen Dinge ist meine … war meine Frau zuständig.«
»Und wie kommen Sie darauf, dass es etwas Geschäftliches war, über das Herr Wiebking mit Ihrer Frau gesprochen hat?«
Glöckner hob die Schultern. »Inge erwähnte so etwas. Ich habe dann nicht weiter nachgefragt, aber immerhin hat er eine hohe Position in der Firma, die Inges Vater gehörte.«
»Und die jetzt Eva Rossbach gehört.«
»Wie gesagt, ich weiß nicht, worüber die beiden gesprochen haben. Vielleicht fragen Sie ihn besser selbst.«
»Ja, das werden wir tun.«
Menkhoff ging an Glöckner vorbei nach draußen, Reithöfer folgte ihm. Als sie im Auto saßen, sagte sie: »Wer hätte gedacht, dass eine Zeitlang in der Wiebking’schen Definition eineinhalb Wochen sind.«
Menkhoff nickte grimmig. »Auf das Gespräch mit Herrn Wiebking junior bin ich schon sehr gespannt. Wir werden gleich nachher noch mal zu ihm fahren, aber zuerst muss ich was essen. Hast du Hunger? Ich lad dich ein.«
Reithöfer warf ihm einen schmunzelnden Blick zu. »Wer kann einer solch charmanten Einladung schon widerstehen, Herr Hauptkommissar.«