30
Er betrat die Kneipe in der Friesenstraße und blieb kurz am Eingang stehen, um sich zu orientieren. Er hatte sich wieder verkleidet, denn das Miststück, das er sich heute Abend aussuchen wollte, sollte aus freien Stücken mit ihm mitgehen. Er kannte die Kneipe, wusste, dass er hier leichtes Spiel haben würde. Hier war die Verderbtheit zu Hause.
Der Laden war ein langer Schlauch mit mehreren Theken hintereinander, und er war brechend voll. Die Musik war so laut, dass es fast unmöglich war, sich zu unterhalten. Aber er wollte auch keine Gespräche führen, sondern eines dieser verlogenen Miststücke im Schlepptau haben, wenn er den Laden wieder verließ. Zu seiner großen Genugtuung stellte er fest, dass der weitaus größere Anteil der Gäste weiblich war. Er bahnte sich einen Weg an der ersten Theke vorbei und bemerkte sofort, dass seine Verkleidung Wirkung zeigte: Er wurde mit dem einen oder anderen langen Blick gemustert.
Kurz vor der zweiten Theke fand er eine Lücke, wo er stehen blieb. Er sah sich um und entdeckte rechts von sich zwei dieser schamlosen Weiber, die ihn ganz ungeniert angafften und ihm anzüglich zulächelten. Ihre Blicke waren ihm sofort zuwider wie alles an diesem sündigen Ort: Überall wurde gelacht und im Takt der Musik gewippt und geschunkelt, verdorbene, schmutzige Körper aneinander gerieben.
Die beiden neben ihm starrten ihn noch immer an. Er musterte sie offen von Kopf bis Fuß und entschied sich für die auf der rechten Seite – jung, stark geschminkt, wasserstoffblond gefärbtes Haar, Glitzerhose. Sie würde heulen und flehen und ihm in ihrer Feigheit alles anbieten, was er wollte. Sein Magen krampfte sich vor Übelkeit zusammen, wenn er nur daran dachte.
Er bestellte sich an der Theke ein Wasser, zahlte und drückte sich dann an einer Gruppe vorbei auf die beiden zu.
In dem Moment, als er sie erreicht hatte, verstummte plötzlich die Musik. Doch nur für zwei, drei Sekunden, dann setzte ein neues Lied ein, mit noch größerer Lautstärke.
Maach noch ens die Tüt an, he is noch lang nit Schluss, …
Die Gespräche ringsum hörten auf. Überall in diesem verdammten Laden umschlang man sich und bewegte sich gemeinsam hin und her. Er konnte es nicht mit ansehen und senkte den Blick.
Kumm, maach keine Ärjer, maach uns keine Stress
Mer sin uch janz leis un maache keine Dress …
Er wurde nervös, der Krach, dieses Gejohle, die Leute waren außer sich. Er ballte die Hände zu Fäusten, so fest, dass seine Fingernägel sich schmerzhaft in die Handballen bohrten. Plötzlich war da ein Arm, der sich um seine Hüfte schlang, und als er aufsah, blickte er zwar nicht in das Gesicht der Wasserstoffblonden, dafür aber in das ihrer Freundin. Sie lächelte, senkte den Kopf zu seinem Ohr hin und schrie: »Wie heißt du?«
Er erfand einen Namen und schaffte es gerade noch, ihn ihr entgegenzuschreien, als das vollkommene Chaos rings um ihn herum ausbrach. Offenbar ohne Ausnahme schrien alle den Text mit:
Nä, wat wor dat dann fröher en superjeile Zick …
Aus Leibeskräften wurde um sie herum gegrölt. Er sah ihr tief in die Augen, und sie erwiderte seinen Blick. Sie bewegte ihren Mund wieder zu seinem Ohr hin und verriet ihm, dass sie Bianca hieß.
Zwanzig Minuten später verließ er zusammen mit Bianca die Kneipe.