73.
»Ich habe dich nicht verraten«, sagte Connor.
»Das weiß ich inzwischen«, beruhigte ihn Emma und hockte sich neben ihn auf den Boden, um ihm auf die Beine zu helfen. »Setz dich erst mal hin, und atme tief durch.«
Ächzend ließ sich Connor auf einen Stuhl fallen. »Woher weißt du das?«
»Ich war in der letzten Zeit ziemlich fleißig. All die schmutzigen Tricks, die du mir beigebracht hast, haben sich dabei als ausgesprochen praktisch erwiesen.«
»Was zum Teufel ist in der Zwischenzeit geschehen? Haben wir die Bombe sichergestellt? Wurde Haqs Leiche in dem verfluchten Hangar gefunden? Ist Jonathan noch am Leben? Nicht einmal das kleinste Detail haben sie mir verraten.«
Emma knöpfte Connors Hemd auf und untersuchte fachmännisch die Wunde an seiner Schulter. »Ja, Jonathan lebt und befindet sich in diesem Moment in einem Flugzeug nach New York.«
»Was ist mit der Bombe und mit Haq?«
Für einen kurzen Moment blickte Emma ihm wortlos in die Augen. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf seine verwundete Schulter. »Das hier tut mir ehrlich leid, Frank. Ich hatte leider keine Unterschallpatronen zur Hand. Normalerweise hätte ich den Kerl mit einem gezielten Kopfschuss erledigt, aber das war mir in diesem Fall zu riskant. Eine der Patronen ist glatt durch den Mistkerl durchgegangen.« Mit ein paar Schritten war Emma neben dem erschossenen Killer und zog ihm das Portemonnaie aus der hinteren Hosentasche. »Jacob Taylor«, las sie laut vom Führerschein ab. »Kanntest du den Kerl?«
Connor verneinte die Frage, sagte aber, dass er wüsste, wer ihm den Mann auf den Hals gehetzt hatte.
Emma durchsuchte den Toten und stieß auf sein Handy. Nachdem sie die gespeicherten Nummern durchgesehen hatte, sagte sie: »Offensichtlich hast du recht. Traue niemals einem Anwalt.«
Sie tippte eine SMS und drückte auf Senden.
»Was tust du da?«, wollte Connor wissen.
»Ich habe der Schlampe erzählt, dass du tot bist. Entspann dich.« Mit diesen Worten stand sie auf und verschwand im Badezimmer. Kurz darauf kam sie mit Gästehandtüchern zurück, von denen sie eines faltete und auf Connors blutende Schulter presste. »Du hättest Jonathan niemals für deine Zwecke einspannen dürfen.«
»Er war der beste Mann für diese Mission.«
»Trotzdem.«
»Er hat einen guten Job gemacht.«
»So wie immer.«
Connor versuchte aufzustehen, doch der Schmerz war überwältigend. »Warum bist du hier?«
Emma setzte sich und betrachtete ihn nachdenklich. Ihre Wangen waren noch immer rau von der Bergungsaktion auf dem Tirich Mir, und ihre Augen funkelten in einem nahezu gespenstischen Grün. »Um mir eine Art Lebensversicherung zu beschaffen«, erwiderte sie schließlich.
»Was soll das heißen?«
»Das wirst du schon noch herausfinden.«
»Dachtest du, du könntest wieder bei Division einsteigen, wenn du mir das Leben rettest?«
Emma schüttelte den Kopf und lächelte traurig. »Mit der Arbeit hat es nichts zu tun. Du weißt so gut wie ich, dass ich nie wieder zurückkomme. Wenn ich dir das Leben gerettet habe, dann nur, weil ich dich mag.«
»Ich könnte ein gutes Wort für dich einlegen.«
»Dieses Mal würde selbst das nichts mehr nützen. Außerdem will ich aussteigen. Ich muss damit aufhören, solange ich noch nicht vollkommen abgestumpft bin.« Emma erhob sich und reichte Connor ein frisches Handtuch für seine Schulter. »Du musst auf dem schnellsten Weg in ein Krankenhaus. Ich weiß nicht, wo genau die Kugel stecken geblieben ist, und obendrein hattest du vermutlich einen ganz leichten Herzinfarkt.«
Connor dachte über Emmas Worte nach, ein furchtbarer Verdacht stieg in ihm auf. Wenn Emma hier war, konnte es dafür nur eine einzige Erklärung geben. »Haq«, stieß er hervor. »Du lieber Gott, nein! Du wirst doch nicht tatenlos zusehen, wie er uns alle umbringt. Hast du vor, ihn aufzuhalten?«
Emma beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn auf die Wange. »Ich bin und bleibe dein Mädchen, Frank. Bis zum bitteren Ende.«
»Genau das ist es ja, was mir solche Sorgen macht«, entgegnete Connor.
An der Tür zum Geheimgang wandte sich Emma noch einmal um. »Gib mir ein paar Minuten Vorsprung.«
Connor nickte. Er wollte ihr noch »Viel Glück« oder »Hals und Beinbruch« wünschen oder einfach nur »Danke«, sagen, aber er wusste, dass sich die Dinge zwischen ihnen grundlegend geändert hatten. Emma war nicht länger der heißumkämpfte Hauptgewinn und die Topagentin, um die sich die Geheimdienste geradezu rissen. Sie hatte gegen viel zu viele Spielregeln verstoßen und konnte nicht mehr zurück. Darüber war sie sich auch völlig im Klaren, und es schien ihr nichts auszumachen. Sie hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen. Von nun an war Emma Ransom ganz auf sich allein gestellt.
Eine Abtrünnige.
Und genau deswegen, stellte Connor mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend fest, war Emma Ransom heute noch viel gefährlicher als je zuvor.