64.

H18.

Eingepfercht auf der Rückbank von Balfours Range Rover, wusste Jonathan beim Anblick des auf den Hangar gemalten großen weißen Schriftzugs am Flughafen von Islamabad sofort, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Neben ihm saß Mr. Singh. Der stets wachsame Sikh hatte ihn während der einstündigen Fahrt von Blenheim zum Flughafen nicht eine Sekunde lang aus den Augen gelassen. Sultan Haq saß auf dem Beifahrersitz vorn neben Balfour, der den Wagen steuerte. Ein Wagen mit Bodyguards fuhr voran, zwei weitere folgten ihnen. Doch das Wichtigste lagerte nicht mal eine Armlänge von Jonathan entfernt hinten im Kofferraum: eine unauffällige khakifarbene Kiste von der Größe einer Ausrüstungstruhe, wie Jonathan sie früher im Lager der Pfadfinder oft gesehen hatte. Doch in dieser Kiste war keine harmlose Ausrüstung verstaut, sondern ein Atomsprengkopf.

Der imposante Hangar für die Wartung großer Flugzeuge stand abseits am äußersten Ende des Flughafens. Über den verschlossenen Toren prangte der Schriftzug: »East Pakistan Airways«. EPA. Auf dieses Kürzel war Jonathan bei seiner nächtlichen Durchsuchung von Balfours Büro gestoßen. Der Hangar wirkte verlassen, doch als sich die Wagen näherten, öffnete sich wie von Zauberhand ein Tor. Ohne zu bremsen, fuhr Balfour den Wagen in den Hangar hinein. Das Sonnenlicht wurde vom Halbdunkel des Hangars abgelöst. In der riesengroßen Halle standen keine Flugzeuge, sondern nur jede Menge Kisten. Wie Berge türmten sich die khakifarbenen Kisten vor ihnen auf. Sie waren in Englisch, Kyrillisch und Arabisch beschriftet. Jonathan las Aufschriften wie: »5000 Schuss Kaliber.45«, »Antipersonenminen«, »AK-47 Kalaschnikows« und »Semtex«, »C4«, »Bofors« oder »Glock«. Ein Sammelsurium an todbringenden Waffen aus allen möglichen Ländern.

Balfour lenkte den Wagen um etliche Kurven durch den Kistendschungel. An der Rückwand des Hangars wurden sie von einer Art Begrüßungskomitee aus zehn Männern im traditionellen Salwar Kameez und einem etwas älteren, düster wirkenden Mann in der schwarzen Robe eines Imam empfangen. Hinter den Männern parkten verschiedene Wagen: ein Hilux-Pick-up, zwei Jeeps und ein Kleintransporter.

Der Range Rover hielt an, und Mr. Singh stieß Jonathan unsanft aus dem Wagen. Nach und nach kletterten Balfours Bodyguards aus ihren Fahrzeugen und bildeten hinter Jonathan einen Halbkreis. Zwanzig Mann, alle mit den gleichen braunen Anzügen bekleidet und einer Kalaschnikow in der Hand. Singh brüllte einen kurzen Befehl, woraufhin zwei der Männer die Kiste aus Balfours Kofferraum luden und zu einem großen Tisch trugen.

Haq trat zu Jonathan und drückte ihm ein feuchtes Tuch in die Hand. »Wischen Sie sich das Gesicht ab.«

Jonathan tupfte sich das Blut vom Auge, und Haq klopfte ihm kurz auf die Schulter. Es war die Geste eines Siegers gegenüber dem Besiegten, und Jonathan schlug seine Hand wütend weg. »Fertig«, sagte er und warf Haq das Tuch zu.

Haq ging zu dem Mann im schwarzen Gewand und küsste ihn dreimal auf die Wange. Beide Männer wechselten ein paar Worte, bevor Haq mit dem Finger auf Jonathan zeigte. Der ältere Mann kam zu ihm herüber. »Sie sind also der Heiler, der meinen Vater getötet hat?«

Jonathan gab keine Antwort. Tatsächlich schämte er sich für die Wahrheit, denn eigentlich war er nur eine ahnungslose Schachfigur und kein aktiver Teilnehmer in dem Spiel gewesen. Nur allzu gerne hätte er in diesem Moment ein Messer gezückt und es dem Mann vor ihm in den Unterleib gerammt.

»Mein Name ist Massoud Haq. Ich bin das Oberhaupt des Haq-Clans und werde Sie in meine Heimat mitnehmen. In unserem Stamm gibt es für Mörder wie Sie nur eine Strafe: Sie werden bis zum Hals eingegraben, und meine Familie wird Sie danach zu Tode steinigen. Ich selbst werde im Namen meines Vaters den ersten Stein werfen.«

»Ich kann es kaum erwarten«, sagte Jonathan säuerlich.

»Das geht mir genauso.«

Zwei Wissenschaftler, die Jonathan von Blenheim her kannte, überwachten das Herausnehmen des Sprengkopfs aus der schützenden Kiste. Die Bombe hatte keine Ähnlichkeit mehr mit den Bildern, die Connor ihm vor Beginn der Operation gezeigt hatte. Sie war deutlich geschrumpft und sah jetzt aus wie eine überlange silbrig glänzende Thermoskanne. Einer der Wissenschaftler schraubte den Sprengkopf auf und demonstrierte Haq und seinem Bruder ein paarmal den Mechanismus und die Programmierung der Bombe. Gesprochen wurde in Englisch, und Jonathan konnte die Worte »zwölf Kilotonnen«, »unauffindbar«, »Timer« und »Detonations-Code« aufschnappen. Mit großer Sorgfalt und Andacht tippe Sultan Haq einen sechsstelligen Code ein. Danach wurde der Sprengkopf wieder zugeschraubt und in eine neue Kiste gelegt. Auf einer Seite waren die Worte »US Verteidigungsministerium« eingraviert.

Massoud Haq führte ein kurzes Telefonat in Paschto. Jonathans Sprachkenntnisse reichten aus, um zu verstehen, dass es um eine Banküberweisung von zehn Millionen Dollar ging. Nachdem Massoud Haq das Gespräch beendet hatte, rief Balfour seinen Banker an und nannte ihm eine Kontonummer, auf die Jonathan am Abend zuvor in dessen Büro gestoßen war und die er sich vorsichtshalber eingeprägt hatte. Balfours breitem Grinsen nach zu urteilen, war der Transfer reibungslos verlaufen.

Dann kam Balfour zu Jonathan und streckte ihm die Hand entgegen. »Sie kennen nicht zufällig einen guten Schönheitschirurgen, oder?« Er lachte lauthals und präsentierte Jonathan seine makellos weißen Zähne. Sein triumphierender Blick schien zu sagen, dass er dank des gerade abgeschlossenen Geschäfts auf jeden Fall auf der sicheren Seite war. Trotz der Tatsache, dass sein sorgfältig ausgesuchter Chirurg sich als Spion entpuppt hatte, würde es bei seiner finanziellen Lage nicht allzu schwer werden, einen anderen Operateur zu finden, der ihm zu einem neuen Gesicht und einer neuen Identität verhalf.

»Mistkerl«, sagte Jonathan und ignorierte Balfours ausgestreckte Hand. Balfour warf den Kopf zurück und lachte noch herzhafter.

Plötzlich gab es einen scharfen Knall, und Massoud Haqs Gesicht verwandelte sich in eine blutige Masse aus rohem Fleisch. Wie eine Stoffpuppe sackte er zu Boden.

Aus allen Himmelsrichtungen wurden Maschinengewehrsalven abgefeuert. Dann folgte eine gewaltige Explosion, und ein paar Humvees stürmten mit röhrenden Motoren den Hangar.

Das Lächeln auf Balfours Gesicht war wie weggewischt. Mit eingezogenem Kopf rannte er zu einem mit Netzen überzogenen Stapel Kisten und kauerte sich dahinter.

Jonathan warf sich zu Boden und kroch hinter dem nächstgelegenen Kistenstapel in Deckung. Als er einen Blick nach links warf, sah er, dass auf den Kisten zehn Zentimeter neben ihm »Semtex« stand.

Das Rattern der Maschinengewehre wuchs sich zu einem richtigen Gefecht aus. Balfours Männer, darunter auch Mr. Singh und Sultan Haq, hatten sich hinter ihren Fahrzeugen verschanzt und verteidigten verbissen ihr Terrain. Soldaten in voller Kampfmontur kämpften sich vom anderen Ende des Hangars mühsam voran. Mittendrin hockte Jonathan, gefangen im Kugelhagel.

Eine Handgranate flog über seinen Kopf hinweg und rollte auf Sultan Haq zu. Einer von Balfours Bodyguards sprang dazwischen und wurde Sekunden später von der Explosion in der Luft zerfetzt. Eine zweite Granate folgte auf dem Fuß. Haq fing sie ab und schleuderte sie zurück, doch nicht zu den Angreifern, sondern genau zu dem Stapel, hinter dem sich Balfour in Sicherheit gebracht hatte. Auf den Kisten stand »Munition Kaliber.30«. Die Handgranate schlug auf dem Boden auf, und Balfour kroch panisch hinterher und tastete fieberhaft nach dem eiförmigen Ding. Gerade als er sie zu fassen bekam und mit ausgestrecktem Arm wegwerfen wollte, explodierte die Granate. Jonathan sah, wie Balfour in einer schwarz-orangefarbigen Feuerwolke verschwand.

Als sich die Wolke auflöste, stand Balfour erstaunlicherweise immer noch auf den Beinen. Der untere Teil des Armes, mit dem er die Granate hatte werfen wollen, war bis auf die Knochen zerfetzt, und die Explosion hatte ihm die Haut vom Gesicht gerissen. Benommen drehte er den Kopf in Jonathans Richtung und riss das noch unversehrte Auge weit auf, als wäre er über das gerade Geschehene erstaunt. Eine weitere Granate verfing sich im Netz der Palette und explodierte. Die Munition in den Kisten ging wie auf Kommando hoch. Von zahllosen Kugeln durchsiebt stürzte Balfour leblos zu Boden.

Die Wände des Hangars begannen zu beben, und die Lampen an der Decke flackerten.

Die Angreifer zogen sich zurück, und Jonathan erkannte eine amerikanische Flagge auf der Schulter eines Soldaten. Connor musste sie alarmiert haben, doch wie hatte er wissen können, wo die Übergabe stattfand, wenn nicht einmal Jonathan selbst es gewusst hatte?

An einem Stapel Kisten ganz in seiner Nähe brach ein Feuer aus. Innerhalb von Sekunden schossen die Flammen bis an die Decke, und weitere Munitionskisten gingen hoch. Leuchtspurgeschosse flogen ihm um die Ohren, und überall waren Explosionen zu hören. Metallsplitter schossen wie aufgeschreckte Brummer durch die Luft. Von der Decke löste sich ein Balken und begrub einen der Soldaten unter sich.

Verzweifelt sah sich Jonathan nach einem Fluchtweg um. Gut zehn Meter von ihm entfernt hob Haq gerade die Kiste mit dem Sprengkopf vom Tisch und hievte sie auf die Ladefläche eines Jeeps. Jonathan versuchte sich aufzurichten. Nur wenige Millimeter oberhalb von seiner Schulter schlug eine Kugel in eine Kiste hinter ihm ein, und Jonathan warf sich sofort wieder flach auf den Bauch. Tatenlos musste er mit ansehen, wie Haq die Ladeklappe des Jeeps schloss und zur Beifahrertür rannte. Einer seiner Männer wurde bei dem Versuch, auf den Fahrersitz zu klettern, erschossen und sofort von einem anderen ersetzt.

»Haltet sie auf!«, schrie Jonathan mit wild fuchtelnden Armen und deutete auf Haq, doch seine Stimme ging im Gefechtslärm unter. Entnervt sprang er auf und rannte quer durch den Kugelhagel hinüber zum Wagen. Eine Kugel streifte ihn am Ohr, sodass er für einen Moment das Gleichgewicht verlor und stürzte. Entschlossen rappelte er sich wieder auf und rief: »Haq!«

Im nächsten Augenblick stürzte sich jemand auf ihn und warf ihn wieder zu Boden.

Noch benommen vom Aufprall, sah Jonathan Mr. Singh, der mit gezückter Pistole auf ihm saß. Singh stieß ihm den Lauf der Waffe in den Mund und drückte ab, doch das Magazin war leer. Jonathan rammte dem Mann das Kinn zwischen die Beine und warf ihn von sich runter. Gerade als er sich aufgerappelt hatte, bekam Mr. Singh seinen Fuß zu fassen und zog ihn wieder zu Boden. Statt der Pistole hielt der Sikh nun ein langes gekrümmtes Khukuri-Messer in der Hand. Er holte aus und ließ es auf Jonathans Bein niederfahren, doch statt der Wade traf das Messer nur den harten Zementboden. Jonathan trat nach dem Gesicht seines Widersachers und traf Mr. Singh an der Wange. Durch die Wucht des Trittes verrutschte der Turban des Sikh. Jonathan trat noch einmal zu und zertrümmerte ihm die Nase. Der dritte Tritt landete auf dem Kinn des Hünen.

Doch die Verletzungen schienen dem Sikh nicht das Geringste auszumachen. Mit blutender Nase und verfilzten Strähnen vor dem Gesicht rappelte er sich auf und hob die tödliche Klinge mit beiden Händen über den Kopf, um Jonathan mit einem einzigen gezielten Stoß abzuschlachten. Dem sicheren Tod hilflos ausgeliefert, hielt sich Jonathan mit einer letzten verzweifelten Geste schützend die Arme vors Gesicht. Doch zu seinem großen Erstaunen sauste die Klinge nicht erbarmungslos auf ihn nieder. Eine Maschinengewehrsalve traf Singh von hinten in die Brust. Blut und Stofffetzen spritzten durch die Gegend. Wie ein gefällter Baum kippte der Sikh zur Seite, und seine Brust zuckte im Todeskampf.

Zwei kräftige Arme packten Jonathan und zogen ihn hinter einem Kistenstapel in Sicherheit. Eine drahtige Gestalt in Militäruniform half ihm, sich aufzusetzen.

»Ihr müsst ihn aufhalten!«, stammelte Jonathan benommen und deutete mit der Hand auf den Jeep. »Stoppt Haq! Er hat die Bombe!«

»Er kann nicht entkommen«, beruhigte ihn der Soldat mit lauter Stimme. »Unsere Leute haben den ganzen Platz umzingelt.«

Es war die Stimme einer Frau. Eine sehr vertraute Stimme. »Emma?«, fragte Jonathan.

Die Gestalt zog sich die schwarze Sturmmaske vom Kopf. »Alles okay bei dir?«

Jonathan blickte der Frau direkt ins Gesicht. Ihre Augen waren blau, nicht grün. »Danni? Wie kommst du denn hierher?«

»Ich habe schon gestern Abend versucht, dich zu warnen.«

Jonathan blinzelte verwirrt, bis ihm der Angriff auf Balfours Anwesen am Abend zuvor wieder einfiel. »Hat Connor dich geschickt?«

»Nein«, erwiderte Danni. »Ich bin auf eigene Faust gekommen. Erst heute Morgen habe ich erfahren, dass Connor seit deiner Abreise versucht hat, mich zu erreichen. Er hat mir die Delta Force zur Unterstützung geschickt. Ich sollte dich nur im Auge behalten und dafür sorgen, dass keiner der Jungs dich im Eifer des Gefechts erschießt.«

»Aber was ist mit Haq?«, fragte Jonathan und reckte suchend den Hals. Doch Haqs Jeep war wie vom Erdboden verschluckt.

Eine gigantische Explosion ließ den Hangar in seinen Grundfesten erzittern. Riesige Neonröhren krachten von der Decke. Ein weiterer Balken löste sich und stürzte unter lautem Getöse zu Boden.

»Wir müssen hier raus, bevor das ganze Gebäude in die Luft fliegt«, drängte Danni.

Bevor Jonathan noch protestieren konnte, zog sie ihn auf die Füße und rannte mit ihm durch den Kistendschungel zum Ausgang. Draußen angekommen, blieben sie vor Erschöpfung keuchend und hustend stehen.

Ein amerikanischer Offizier deutete auf einen Krankenwagen, der in der Nähe des Hangars parkte, aber Jonathan war immer noch viel zu aufgewühlt, um sich um seine eigenen Verletzungen zu sorgen. »Haq«, stieß er atemlos hervor, während er sich vornübergebeugt auf die Knie stützte und hustete. »Haben Sie ihn erwischt? Schwarzer Jeep … er hat sie … er hat die Bombe.«

»Sir, Sie brauchen dringend Wasser und müssen medizinisch versorgt werden.«

Jonathan ignorierte die Worte. Mit Mühe richtete er sich auf und blickte dem Offizier fest in die Augen. »Haben Sie ihn erwischt?«

»Sir, diese Operation liegt in unserer Verantwortung. Was Sie jetzt brauchen, ist ärztliche Hilfe. Sanitäter, bringen Sie den Mann hier bitte zum Krankenwagen.«

»Das übernehme ich«, sagte Danni.

»Haben Sie nicht verstanden?«, schrie Jonathan den Offizier an. »Er hat eine Atombombe! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen – auf der Ladefläche des Jeeps!«

»Bringen Sie ihn weg von hier! Sofort!«

»Immer mit der Ruhe«, versuchte Danni Jonathan zu beruhigen. »Auf dem Gelände befinden sich über hundert Soldaten. Sie haben alles abgeriegelt. Haq kann unmöglich entkommen.«

Danni führte Jonathan zu einer etwa fünfzig Meter entfernten Stelle auf der anderen Seite des Hangars, wo zwei Humvees und ein Kleinlaster auf dem Asphalt standen. Ein pakistanischer Soldat bot ihnen Wasser, Tee und Energieriegel zur Stärkung an.

»Was sind das für Soldaten?«, erkundigte sich Jonathan. »Woher kommen sie?«

»Delta Force und Soldaten der pakistanischen Armee«, entgegnete Danni.

»Woher wussten sie, wo wir zu finden waren?«

»Von den Informationen, die du an Connor weitergeleitet hast. Connor hat sich daraufhin sofort an das amerikanische Zentralkommando gewandt, und die haben dann die Delta Force alarmiert.«

»Die Informationen, die ich Connor geschickt habe?«

»Die Dateien sind unmittelbar nach meinem Überraschungsangriff bei Connor auf dem Computer gelandet. Es war ein ziemlich kluger Schachzug von dir, während des Angriffs in Balfours Büro einzubrechen.«

»Hat Connor dir das alles erzählt?«

»Er hat mir nur gesagt, dass er Einsicht in alle Dateien von Balfour hat. Seinen Worten zufolge handelt es sich um eine echte Goldmine.«

»Aber das ist unmöglich …«

Mitten im Satz stockte Jonathan. Ihm war, als liefen vor seinen Augen zwei Filme gleichzeitig ab: Einerseits spulte seine Erinnerung die Ereignisse der vergangenen Nacht in Balfours Büro noch einmal herunter, und andererseits beobachtete er beunruhigt, wie rund ein Dutzend Soldaten mit eingezogenen Köpfen aus dem Hangar stürmten, gefolgt von einem Humvee, der in abenteuerlichem Tempo zurücksetzte. Während Jonathan vor seinem inneren Auge Emma mit dem USB-Stick in der ausgestreckten Hand sah und ihm klar wurde, dass nur sie diejenige gewesen sein konnte, die Balfours Dateien an Connor übermittelt hatte, entdeckte er den halsstarrigen amerikanischen Offizier an der Spitze der fliehenden Soldaten. Wild mit den Armen fuchtelnd, schrie er seinen Männern zu: »Zurück!«

Seine Worte verloren sich in einer gigantischen Explosion. Eine orangerote Stichflamme, die so grell war, dass sogar das Licht der Mittagssonne daneben verblasste, schoss in den Himmel. Noch bevor ihn die Schockwelle mit voller Wucht zu Boden warf, sah Jonathan, wie das eine Ende des Humvees hochgerissen wurde, so als stünde der Wagen auf Zehenspitzen, und der Soldat hinterm Steuer in hohem Bogen aus dem Fahrzeug flog. So in etwa muss es sein, wenn in zweihundert Metern Entfernung eine Atombombe explodiert, dachte Jonathan.

Eine gefühlte Ewigkeit später öffnete er die Augen und stellte überrascht fest, dass er noch am Leben war. Auf einen Ellenbogen gestützt, beobachtete er, wie große Teile des Wellblechdachs aus dem vom schwarzen Rauch verdunkelten Himmel in das am Boden wütende Feuer und den Trümmerhaufen stürzten, der vom Hangar noch übrig war.

»Kopf runter«, rief Danni und schlug ihm den Ellenbogen weg. »Nimm dich in Acht vor dem Höllenfeuer. Das ganze Waffenlager ist in die Luft gegangen.«

Jonathan achtete nicht auf sie. Zwischen den Flammen, den Trümmern und dem sich immer noch überschlagenden Humvee hatte er etwas entdeckt. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er auf einen weit entfernten Punkt hinter dem Flammenmeer.

In sicherer Entfernung von Flammen, Rauch und Zerstörung rasten zwei Jeeps mit hoher Geschwindigkeit davon. Ein weiterer Feuerball schoss in die Luft und versperrte Jonathan für einige Sekunden die Sicht. Als Rauch und Flammen sich ein wenig gelegt hatten, waren die beiden Jeeps irgendwo im Verkehr des Flughafens verschwunden.