63.

Es war acht Uhr morgens, und in Blenheim herrschte Hochbetrieb. Auf dem Parkplatz standen die Range Rover für ihre morgendliche Wäsche und Politur nebeneinander. Das Wiehern und Schnauben der Pferde, die im Sonnenlicht des frühen Tages aus den Ställen geführt wurden, erfüllte die Luft. Auch im Haus herrschte geschäftiges Kommen und Gehen. Nur um die Werkstatt herum war es auffallend still. Nirgendwo parkten Lieferwagen oder Laster, und auch von den bewaffneten Wachleuten, die Jonathan am Tag zuvor vor dem Eingang gesehen hatte, fehlte jede Spur.

Im ersten Moment vermutete Jonathan, dass der Sprengkopf woanders deponiert worden war. Durch den gestrigen Angriff aufgeschreckt, hatte Balfour keine Zeit verloren und seinen kostbarsten Schatz an einen sicheren Platz gebracht. Doch dann schoss ihm ein ganz anderer Gedanke durch den Kopf. Gerade wegen des Angriffs hätte Balfour es niemals gewagt, den Sprengkopf aus der Werkstatt zu holen. Der unbewachte und scheinbar leere Bau war ein Täuschungsmanöver. Auf diese Weise versuchte Balfour, die Aufmerksamkeit von dem Gebäude abzulenken. Aus dem Augenwinkel sah Jonathan eine Bewegung, die ihn in seiner Annahme bestätigte. Zwei Scharfschützen lagen auf dem Garagendach auf der Lauer, um die Werkstatt zu bewachen. Eine solche Sicherheitsmaßnahme machte keinen Sinn, wenn sie tatsächlich leer war.

Vom Fenster seines Zimmers im ersten Stock aus verschaffte sich Jonathan einen Überblick über alle Vorgänge auf dem Anwesen. Frisch geduscht und rasiert und mit einem T-Shirt und einer kurzen Sporthose für einen morgendlichen Dauerlauf bekleidet, fühlte er sich seltsam ungeduldig, rachedurstig und beinahe fanatisch dazu entschlossen, das zu tun, was verdammt noch mal nötig war, um seine Aufgabe hier zu Ende zu bringen. Seine eigene Sicherheit und Gesundheit spielten keine Rolle. Er musste alles, was er herausgefunden hatte, an Frank Connor weiterleiten. Ob das der tollkühne Entschluss eines Narren oder das Pflichtgefühl eines werdenden Vaters seinem ungeborenen Kind gegenüber war, konnte er nicht sagen. Nur eines wusste er mit Gewissheit: Abwarten kam für ihn nicht länger in Frage.

Was ihn antrieb, war natürlich das Zusammentreffen mit Emma. Durch ihren Besuch waren viele tot geglaubte Empfindungen in ihm zu neuem Leben erwacht. Vielleicht hatte er sie auch nur für tot erklärt, weil es so einfacher für ihn war. Die verführerischen Allmachtsfantasien des eigenen Egos. Ganz gleich, wie groß ihr Verrat und ihre Verbrechen auch waren, er konnte einfach nicht aufhören, sie zu lieben. Sie war so zerstörerisch wie ein langsam wirkendes Gift, von dem er einfach die Finger nicht lassen konnte. Obwohl er ein disziplinierter Mensch war, brachte sie ihn immer wieder dazu, seine Prinzipien zu verraten. Alles, was sie war und tat, bereitete ihm Qualen. Doch ihre unglaubliche Kompetenz inspirierte ihn auch. Und jetzt hatte sie ihm auch noch mitgeteilt, dass sie von ihm ein Kind erwartete. Schon allein deshalb war er auf Gedeih und Verderb mit ihr verbunden. Sie konnte auf seine Treue zählen, aber nicht länger auf seine Unterstützung hoffen. Wenn er ihr schon in der Liebe hoffnungslos unterlegen war, würde er wenigstens versuchen, sie im Kampf zu übertrumpfen.

Jonathan wandte sich vom Fenster ab und ging zum Ankleidebereich hinüber, wo er eine Platinkarte von American Express aus seiner Brieftasche holte. Auf der Karte stand Michel Revys Name, doch in Wahrheit hatte sie ihm nie gehört. Eigentlich war die Karte einer von Frank Connors kleinen Tricks. In ihr verbarg sich ein starker Störsender, mit dem die Funksignalblockade, die Balfour sicherheitshalber auf seinem Anwesen errichtet hatte, für einen kurzen Zeitraum außer Gefecht gesetzt werden konnte.

Connors Anweisungen waren klar und deutlich gewesen. Sobald Jonathan auf Informationen über den Aufenthaltsort des Sprengkopfs, seines Verkaufs und der Übergabe an Balfours Klienten stoßen würde, sollte er diese unverzüglich an Division weiterleiten. Theoretisch hatte Jonathan drei Möglichkeiten: Wenn es ihm gelänge, ohne Begleitung von Balfour und seinen Männern das Anwesen zu verlassen, könnte er Connor einfach über eine abhörsichere Leitung mit dem Handy anrufen. Sollte das jedoch nicht möglich sein (und Connor war sich sicher gewesen, dass Balfour Jonathan unter keinen Umständen erlauben würde, Blenheim zu verlassen), könnte er die verschlüsselten Informationen auf seinem Laptop an eine sichere Internetseite mailen. Doch weil es in seinem Zimmer kein WLAN gab, schied auch dieser Weg aus.

Die letzte Möglichkeit bestand darin, den Störsender in der Kreditkarte zu aktivieren. Danach blieben ihm fünf bis acht Minuten Zeit, um Connor anzurufen, ihm die Informationen durchzugeben und sich über sein weiteres Vorgehen instruieren zu lassen. Die Sache hatte nur einen Haken. Connor hatte Jonathan explizit darauf hingewiesen, dass Balfours Security sofort merken würde, wenn die Funksignalblockade nicht mehr funktionierte. Außerdem könnten sie den Störsender innerhalb von sechzig Sekunden orten. Durch den Einsatz der Kreditkarte würde Jonathan also mit Sicherheit enttarnt und anschließend exekutiert werden.

Jonathan verstaute die Karte zusammen mit seinem Handy in den Taschen seiner Shorts und ging leise aus dem Zimmer. Im Flur sah er sich prüfend nach allen Seiten um und beschloss dann, das Haus über die Hintertreppe zu verlassen. Sie führte zu einem Ausgang gleich neben der Küche. Auf dem Flur war niemand zu sehen, und Jonathan wurde mit jedem Schritt entschlossener und zuversichtlicher. Sobald er draußen war, würde er an den Ställen vorbei über die Wiese, die Balfour Runnymede getauft hatte, bis zur Grundstücksgrenze joggen. Je weiter er sich von Balfours Störsender entfernte, desto größer waren die Erfolgschancen für sein eigenes Gerät. Auf seinem Weg zur Hintertreppe kam er an der Kopie von Blue Boy und der gerahmten Sammlung mittelalterlicher Kampfeisen vorbei und fragte sich, was wohl mit Balfours Besitztümern passieren würde.

Rechts von ihm ging eine Tür auf, und Mr. Singh kam heraus und versperrte Jonathan den Weg. Jonathan wünschte ihm freundlich einen guten Morgen und lief, ohne stehen zu bleiben, an dem Hünen vorbei. Mr. Singhs Handy klingelte, und Jonathan hörte, wie er in tadellosem Englisch sagte: »Guten Morgen, Mylord.«

An der Treppe angekommen, tastete Jonathan mit den Fingern nach der Kreditkarte. Auf seinem Weg nach unten stieg ihm der verlockende Duft von Würstchen, Eiern und anderen Köstlichkeiten eines deftigen Frühstücks in die Nase. Die Küchenchefin empfing ihn mit einem Korb frischgebackener Muffins an der Tür zu ihrem Reich. Jonathan blieb nichts anderes übrig, als mit ihr zu plaudern. Sie bot ihm ein Frühstück mit Muffins, French Toast und Eiern Benedict an. Höflich, aber bestimmt lehnte Jonathan ab, griff stattdessen nach einem roten Apfel in der Obstschale und versprach der freundlichen Küchenchefin, direkt nach dem Joggen auf ihr nettes Angebot zurückzukommen. Zufrieden wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Als Jonathan gerade durch die Hintertür ins Freie treten wollte, hielt ihn eine Stimme zurück:

»Ransom.«

Die Stimme sprach in normaler Lautstärke und in jenem tadellosen Amerikanisch, das ihn von Anfang an so überrascht und beeindruckt hatte. Von Danni hatte Jonathan gelernt, wie er einen Verfolger aufspüren und sich möglichst viele Gegenstände einprägen konnte. Doch wie er sich verhalten sollte, wenn jemand urplötzlich seinen richtigen Namen rief, viele tausend Kilometer von der sicheren Heimat entfernt, mitten im feindlichen Gebiet, darauf hatte sie ihn mit keinem Wort vorbereitet.

Jonathan erstarrte, und seine Schultern versteiften sich. Im selben Moment wurde ihm klar, dass alles verloren war. Langsam drehte er sich um. Von der anderen Seite der Küche aus starrte ihn Sultan Haq an. Als ihre Blicke sich trafen, kam Jonathan das Bild von seiner letzten Begegnung mit Haq wieder in den Sinn, wie er mit dem Jagdgewehr in der Hand auf dem brennenden Bergplateau stand und mit zurückgeworfenem Kopf nach Vergeltung schrie. Vor seinem inneren Auge sah Jonathan Hamid und die mutigen Soldaten, die in den Höhlen von Tora Bora ihr Leben gelassen hatten, und für einen kurzen Moment verspürte er den unbändigen Drang, Haq gleich hier und jetzt zu töten.

Auf der Treppe hinter ihm waren die Schritte von Singh und Balfour zu hören.

Jonathan stürzte durch die Tür ins Freie und warf sie mit einem Knall hinter sich ins Schloss. So schnell ihn seine Füße trugen, rannte er an den Range Rovern und den Wagenpflegern vorbei, die ihm verwundert nachblickten, passierte den Garagenkomplex und lief in Richtung der Pferdeställe davon.

»Ransom!«, rief Haq.

»Haltet ihn auf!«, befahl Balfour.

Ein Wachmann auf einem ATV steuerte auf Jonathan zu. Mit beiden Füßen auf den Pedalen stehend, blickte er sich um und versuchte, aus der Situation schlau zu werden. Jonathan senkte den Kopf und stieß den verdutzten Mann von seinem Gefährt. Im nächsten Moment hatte er dessen Platz eingenommen und jagte mit dem ATV davon.

»Erschießt ihn!«, hörte er Balfour schreien.

Jonathan riss den Lenker nach rechts und raste an den Ställen vorbei. Ein Schuss pfiff durch die Luft und schlug ins Chassis des ATVs ein. Jonathan duckte sich über den Lenker und gab Gas. Die nächste Kugel durchschlug den Kotflügel. Jonathan jagte über die Wiese und versuchte, den Abstand zwischen sich und dem Haus zu vergrößern. Mit einem kurzen Blick über die Schulter vergewisserte er sich, dass niemand ihm folgte. Er verringerte die Geschwindigkeit so weit, dass er die Kreditkarte aus der Tasche ziehen konnte, und aktivierte den Störsender. Dann tauschte er die Kreditkarte gegen sein Handy und drückte auf die Kurzwahl, unter der Frank Connors Geheimnummer gespeichert war. Doch der erste Versuch, eine Verbindung herzustellen, schlug fehl.

»Verdammt.«

Aus dem Augenwinkel sah er einen schwarzen Schatten, der mit großer Geschwindigkeit näher kam. Beim genaueren Hinsehen stellte er fest, dass ihm Sultan Haq mit Inferno, dem schwarzen Hengst, auf den Fersen war. Jonathan presste den Finger erneut auf die Kurzwahl. Wieder hörte er nur ein Rauschen und Knistern in der Leitung und fluchte lautstark. Plötzlich hörte das Rauschen auf, und die Leitung war frei. Jonathan gab wieder Gas. Das Fahrzeug schoss holpernd über das Gras und riss Jonathan um ein Haar vom Sitz. Mit dem Handy in der Hand war es unmöglich, das Fahrzeug bei dieser halsbrecherischen Geschwindigkeit unter Kontrolle zu halten.

Hinter ihm holte Haq mehr und mehr auf. Mit dem Handy in der linken Hand umklammerte Jonathan den Lenker. Am anderen Ende der Wiese tauchte ein zweiter ATV auf und schnitt ihm den Weg nach vorne ab. Jonathan wich nach rechts aus, um den Abstand zu seinen Verfolgern zu vergrößern, und blieb dann abrupt stehen.

»Frank, ich bin’s, Jonathan. Kannst du mich verstehen?«

»Jonathan … ja, undeutlich. Was zum Teufel ist denn los?«

»Frank, er ist hier. Der Sprengkopf ist in Blenheim. Sie müssen so schnell wie möglich ein paar Leute herschicken. Die Bombe soll noch heute übergeben werden. Der Käufer ist Sultan Haq.«

»Wie bitte? Die Verbindung ist sehr schlecht … kann Sie nicht verstehen …«

Jonathan warf einen Blick über die Schulter. Haq hatte ihn fast eingeholt. Infernos wütendes Schnauben kam von Sekunde zu Sekunde näher. Jonathan umklammerte den Lenker und gab noch mehr Gas. Ein Stück weiter am Zaun standen ein paar Arbeiter mit einem Jeep, und Jonathan steuerte auf sie zu. Verbissen versuchte er, das Letzte aus dem Gefährt herauszuholen, doch Inferno war schneller. Immer näher schob sich der schwarze Hengst heran, Jonathan konnte schon das Donnern seiner Hufe hören. Hastig blickte er sich um. Haq war nur noch knapp fünf Meter hinter ihm und holte weiter auf. Mit den Augen suchte Jonathan die Umgebung nach einer Fluchtmöglichkeit ab und entdeckte ein Loch im Zaun. Verzweifelt versuchte er, dorthin zu gelangen.

Mit einem Mal war Haq neben ihm. Er beugte sich seitwärts zu Jonathan herunter und versuchte, ihn mit einem gewaltigen Fausthieb vom Sitz zu holen. Jonathan wollte nach rechts ausweichen, doch Haq ließ nicht locker. Mit einer Hand klammerte er sich in der Mähne des Pferdes fest und presste die Beine an die Flanken des Hengsts. Seine Faust traf Jonathan erneut an der Wange. Jonathan wehrte sich mit dem linken Arm und versetzte Haq seitlich am Kopf einen Schlag. Inferno verlangsamte sein halsbrecherisches Tempo, und Jonathan war seinen Widersacher für den Augenblick los.

Nur fünfzig Meter trennten ihn noch vom rettenden Zaun.

Um wirklich alles aus seinem Gefährt herauszuholen, duckte sich Jonathan über den Lenker.

Wie aus dem Nichts tauchte von rechts ein Jeep vor ihm auf und versperrte ihm den Fluchtweg. Am Steuer saß Mr. Singh. Hinten auf der Ladefläche stand Balfour an einem schweren Maschinengewehr.

Jonathan musste den Lenker herumreißen, um nicht frontal in den Jeep hineinzurasen. Bei dem waghalsigen Manöver verloren zwei Räder des ATVs den Kontakt mit dem Boden, und der Wagen neigte sich zur Seite. Jonathan versuchte, durch Verlagerung seines Gewichts die Kontrolle über das Fahrzeug zurückzugewinnen, aber er fuhr viel zu schnell, und der grasbewachsene Untergrund bot den Rädern nicht genügend Halt. Der ATV kippte auf die Seite, und Jonathan purzelte kopfüber ins hohe Gras.

Den Mund voller Erde rappelte er sich auf die Knie hoch. Als er den Kopf hob, sah er, wie Balfour das MG auf ihn richtete und den Finger um den Abzug legte.

»Nicht schießen!«, rief Haq, während er von Inferno sprang und auf Jonathan zukam. »Hallo, Dr. Ransom. Ich habe aus tiefstem Herzen gehofft, dass wir uns noch einmal über den Weg laufen, hätte aber nie zu glauben gewagt, dass dieser Wunsch tatsächlich in Erfüllung geht. Ich fürchte, dieses Mal können Sie nicht darauf zählen, dass die Kavallerie Sie rettet.«

»Vermutlich nicht«, erwiderte Jonathan.

Haq versetzte ihm einen schmerzhaften Tritt in die Rippen, und Jonathan fiel auf die Seite. Dann griff der stattliche Afghane nach Jonathans Handy, das im Gras lag. Erfolglos drückte er auf einige Tasten. »Wen haben Sie angerufen?«

Jonathan hüllte sich in Schweigen.

Haq und Balfour wechselten einen Blick.

»Ich habe den raffiniertesten Störsender der Welt. In einem Umkreis von fünf Kilometern kann niemand auf meinem Anwesen telefonieren, solange ich die Nummer nicht im Vorfeld überprüft und freigeschaltet habe. Dieser Mann hier – Revy, Ransom oder wie auch immer sein Name lautet – kann unmöglich von hier aus telefoniert haben.«

Haq schien nicht überzeugt. Zunehmend verärgert wandte er sich erneut an Jonathan. »Mit wem haben Sie telefoniert?«

»Ich habe versucht, Ihren Vater in der Hölle anzurufen, um ihm zu sagen, dass ich es zutiefst bedauere, ihm nicht eigenhändig die Kehle durchgeschnitten zu haben.«

»Sie werden ihm die Nachricht höchstpersönlich überbringen können, aber vorher muss ich wissen, ob Sie die Wahrheit sagen. Mr. Singh, halten Sie Dr. Ransom fest.«

Der Sikh zerrte Jonathan unsanft auf die Füße und schlang ihm von hinten die Arme um den Brustkorb.

Haq zog ein Messer aus der Tasche. Es war kein gewöhnliches Messer, denn es hatte eine kurze sichelförmige Klinge und einen klobigen, verschrammten Griff aus Holz. Jonathan wusste, dass es sich um ein Opiummesser handelte, mit dem die Bauern die reifen Mohnkapseln anritzten, damit der kostbare Saft herausfließen konnte. »An Ihre dunklen Augen erinnere ich mich noch genau«, sagte Haq.

Jonathan blinzelte mehrmals, bis ihm klar wurde, dass er die getönten Linsen beim Sturz verloren haben musste. Haq drückte ihm die Klinge unter das Auge. »Ein blinder Chirurg kann nicht mehr operieren.«

Mit diesen Worten presste er die Klinge noch stärker gegen das weiche Gewebe unter Jonathans Auge.

Jonathan versuchte verzweifelt, sich aus Singhs eisernem Griff zu befreien, doch der Sikh war zu stark.

»Also, mein Freund«, sagte Haq und zog die Klinge über die zarte Hautpartie, »da uns leider nicht genug Zeit bleibt, um aus Ihnen eine Antwort auf all meine Fragen herauszuholen, stelle ich Ihnen nur eine einzige Frage. Wenn Ihnen daran gelegen ist, Ihr Auge zu behalten, rate ich Ihnen, mir die Wahrheit zu sagen. Und wenn Sie glauben, dass ich Sie am Ende ohnehin umbringe, dann muss ich Sie leider enttäuschen. Bevor es so weit ist, habe ich noch einiges mit Ihnen vor. Haben Sie Ihren Hintermännern von unseren Plänen erzählt?«

»Die Verbindung kam nicht zustande.«

Mit einer schnellen Bewegung schlitzte Haq die obersten Hautschichten von Jonathans Unterlid auf. Jonathan zuckte zusammen, gab aber keinen Laut von sich.

»Ich frage Sie nur noch ein Mal, bevor ich Ihr Auge dem Pferd zum Fraß vorwerfe.«

Innerlich bereitete sich Jonathan auf das Schlimmste vor. Eines war ihm nur zu bewusst: Emma hätte niemals klein beigegeben.

Wenn er ihr schon in der Liebe hoffnungslos unterlegen war, würde er wenigstens versuchen, sie im Kampf zu übertrumpfen.

»Haben Sie Ihren Leuten von unseren Plänen erzählt?«, fragte Haq.

»Nein.«

Haq blickte erneut zu Balfour, der mit ausdruckslosem Gesicht das Geschehen beobachtete. »Ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht abnehmen. Tut mir leid.« Er drückte die Klinge tiefer in die Haut.

»Überzeugen Sie sich doch selbst«, rief Jonathan. »Hier, bitte. Drücken Sie auf die Sieben und dann auf den Hörer. Na los, versuchen Sie’s.«

Haq ließ von ihm ab. Er nahm das Handy, drückte auf die Sieben und den Hörer und lauschte. Jonathan beobachtete ihn und hoffte inständig, dass die fünf Minuten nach der Aktivierung des Gegenstörsenders bereits verstrichen waren. Haq riss die Augen auf, und Jonathan rechnete mit dem Schlimmsten. Eine Sekunde später ließ Haq das Handy sinken und verstaute es in seiner Hosentasche.

»Und?«, erkundigte sich Balfour.

»Keine Verbindung. Ihr Störsender scheint zu funktionieren.«

»Überlassen Sie ihn mir«, sagte Balfour. »Ich erledige das.«

Haq hielt ihn mit ausgestrecktem Arm zurück. »Noch nicht. Zuerst möchte ich Dr. Ransom mit meinem Bruder bekannt machen. Er hat bestimmt noch einige Fragen an unseren guten Doktor.«

Balfour dachte kurz nach und richtete den Lauf seines Maschinengewehrs dann zum Himmel. »Wie Sie wünschen. Betrachten Sie Dr. Ransom als mein persönliches Geschenk an Sie.«