Sechsundachtzig

»Und Sie sind nicht verheiratet ... Also – was ist Ihr Problem?« Jake hörte die Frage, die Katy R.C. mit schief gelegtem Kopf stellte. Sie sprach in einem Ton, der nahelegte, dass jede erwachsene Person verheiratet sein sollte. Sie und R.C. teilten sich eine Handvoll M&M’s und führten ganz offensichtlich ein tiefgründiges Gespräch über R.C.s Privatleben. Katy mischte sich gerne in anderer Leute Angelegenheiten.

»Nein, aber ich habe eine tolle Freundin ... Sie ist ... Wie soll ich sagen? Sie ist eine professionelle Tänzerin und ...« Bevor R.C. weitersprechen konnte, legte Ollie ihm fest die Hand auf die Schulter. Doch R.C. wusste selbst, dass er sich weitere Details besser sparte.

»Eine Tänzerin ... Uuugh. Ich fand meinen Tanzunterricht ganz grässlich. Und was heißt eigentlich R.C.?«, fragte Katy unschuldig.

»Na ja ... ähm. Das steht für Ralph Carmelo«, sagte er schüchtern. Eigentlich wollte er ihr das gar nicht sagen.

»R.C. gefällt mir besser«, antwortete sie sofort. Alle, die sie hören konnten, fingen an zu lachen.

Nach diesem Gespräch wusste Jake, dass Katy keinen Schaden genommen hatte. Er stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, dann sah er sich in der Notaufnahme um. All das war Ergebnis seiner Entscheidung, tödliche Gewalt einzusetzen, um sie zu schützen. Die blutigen Bilder der Schießerei vor dem Wohnwagen flackerten vor ihm auf, gefolgt vom Bild von Elizabeths Angreifer und dem entsetzlichen Anblick des Verfolgers, den er tot im Sumpf liegen gelassen hatte.

Jake wusste, dass viele Alpträume auf ihn warteten. Er fragte sich, ob er je wieder in der Lage sein würde, in einen dunklen Wald zu gehen, und grübelte bereits darüber nach, ob es wirklich unvermeidbar gewesen war, den ersten Mann zu töten. Diese Frage würde ihn von nun an sein Leben lang beschäftigen. Jakes Gedanken waren wie ein reißender Strudel. Unverwandt starrte er in den Raum.

»Hey, alles in Ordnung?«, fragte Ollie. Er nahm Jake am Arm.

»Ja. Ja ... Tut mir leid. Was sagte ich gerade? Ich bin bloß völlig fertig.« Jake fing an zu zittern und rieb sich mit der rechten Hand die Stirn.

Ollie zog ihn in den Abstellraum. Er wollte mit ihm reden, wollte sicher sein, dass dort draußen niemand mehr war. Und er war gespannt auf Jakes Version der Ereignisse.

Beim Eintreten schlug etwas in Jakes Weste gegen den Türrahmen. Er griff in die Tasche, spürte sein Handy und schüttelte den Kopf. Dann warf er einen Blick auf das Display. Einundzwanzig unbeantwortete Anrufe. Die letzten zwölf von zu Hause. Er lächelte. Zum ersten Mal seit Jahren wollte er wirklich mit Morgan reden. Ja, er sehnte sich sogar danach, sie zu sehen.

»Hey, Sheriff – kann ich bitte eine Minute für mich haben, damit ich mit meiner Frau reden kann?«, bat Jake. Er wusste, dass der Sheriff ihn befragen musste. Doch er musste mit Morgan sprechen.

Dafür hatte Ollie Verständnis.

Kurzfristig wurde die Aufmerksamkeit des Sheriffs durch Marlow abgelenkt, der vor den Glastüren der Notaufnahme vor den Fernsehkameras mit den Armen ruderte. Was für ein Idiot! »Sicher ... Lassen Sie sich Zeit. Ich warte draußen.« Ollie drehte einen Putzeimer um, damit Jake sich setzen konnte. »Ein Anruf steht jedem zu.« Schmunzelnd schloss er die Tür des Abstellraums hinter sich.

Ende