Elf

Morgan freute sich darauf, das Haus für sich zu haben. Sie hatte den perfekten Abend geplant. Bei Movie Gallery lieh sie sich zwei DVDs. Dann ging sie in die Getränkehandlung, um eine Flasche kalifornischen Barefoot Merlot zu kaufen. Sie versuchte sich ganz unbefangen zu geben, betete aber, dass ihre Sonntagsschullehrerin sie nicht sehen würde. West Point war eine so kleine Stadt und normalerweise kaufte Jake den Wein.

Weil sie keine Lust hatte zu kochen, rief sie bei Domino’s an und bestellte sich eine Pizza mit extra Pilzen und Sardellen. Jake hasste Pilze und Sardellen. Morgan aß die mittelgroße Pizza, streckte sich auf der Couch aus und legte Was das Herz begehrt mit Diane Keaton und Jack Nicholson ein. Der Titel des Films beschrieb Morgans Leben. Ihr Herz begehrte so einiges. Materiell ging es ihr zwar recht gut, aber glücklich war sie nicht. Sie brauchte mehr; sie wollte mehr. Mir steht einfach mehr zu. Ihre Entscheidung, Jake zu verlassen, stand inzwischen fest; die Details musste sie allerdings noch klären. Ihre Ehe war so furchtbar langweilig geworden. Alles war so vorhersehbar.

»Von sämtlichen Jungs aus halbwegs betuchten Familien musste ich ausgerechnet denjenigen heiraten, der den ödesten Radiosender hört und den Wetterkanal im Fernsehen liebt«, sagte sie laut und ziemlich verächtlich.

Nach dem Film setzte Morgan sich mit einem Glas Wein in den Whirlpool und las ein Selbsthilfebuch. Sie genoss das Gefühl, leicht beschwipst zu sein und sich um niemanden kümmern zu müssen. Um Mitternacht ging sie ein wenig benommen vom Wein ins Bett.

West Point war eine so friedliche kleine Stadt, dass man sich leicht in einem trügerischen Gefühl der Sicherheit wiegen konnte. Die Alarmanlage einzuschalten kam Morgan gar nicht in den Sinn. Und weil Scout immer völlig außer sich geriet, wenn die Hirsche zu der Futterstelle kamen, die Jake hinter dem Haus eingerichtet hatte, war sie so an das Gebell gewöhnt, dass sie in dieser Nacht gar nicht darauf achtete.

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Ethan »Moon Pie« Daniels, ein alter Freund von Johnny Lee und Reese, lebte in Tupelo, Mississippi. Als Reese ihn anrief, war er gerade mit einer Drogenlieferung auf dem Weg nach Starkville – »Stark Vegas«, wie er den Ort nannte.

Moon Pie schuldete Johnny Lee einen großen Gefallen. Vor zwei Jahren hatte Moon Pies Lebensgefährtin Sheree ihn mit einem Typen aus Jackson betrogen, den sie übers Internet kennengelernt hatte. Moon Pie ermunterte Johnny Lee, sich den Kerl einmal vorzunehmen, ihm einen Denkzettel zu verpassen. Er selbst sorgte dafür, dass man ihn bei einem Footballspiel der Tupelo Fire Ants sah – ein wasserdichtes Alibi. Sheree wusste, dass Moon Pie hinter der Sache steckte. Die Polizei vermutete es – doch es war unmöglich, ihm das Verbrechen nachzuweisen. Und der Computerfreak aus Jackson konnte keine E-Mails mehr schreiben, weil er alle Finger der rechten Hand verloren hatte. Johnny Lee hatte Moon Pies Problem gelöst. Für so was hat man Freunde, dachte er.

Dass Johnny Lee nun tot sein sollte, konnte er einfach nicht fassen. Er würde seinen Teil dazu beitragen, ihn zu rächen. Das Haus war leicht zu finden. Die Grundstücke in der Gegend waren groß, voller Bäume und kaum einsehbar. Kleinigkeit. Erst einmal sah er sich gründlich um. Vor dem Haus stand ein neuer Jeep Grand Cherokee, mit dem vermutlich die Kinder zur Schule gefahren wurden. Die Einfahrt war groß genug für mehrere Fahrzeuge. Weil er aber nur eines sah, wusste er, dass die Frau wahrscheinlich allein war. Er hoffte, dass nicht auch noch ein oder zwei Kinder im Haus schliefen. Ein bisschen mehr Zeit zum Planen wäre ihm lieber gewesen. Vor allem weil es auch noch ein schickes Angelboot gab, in dem sicher teure Ruten und Rollen lagen, die man sich holen konnte. Moon Pie angelte fürs Leben gern, hasste es aber, für gute Ausrüstung zu bezahlen. Wenn er hier fertig war, würde er das Boot unter die Lupe nehmen.

Als er sich dem Haus langsam näherte, begann ein großer Hund halbherzig zu bellen. Moon Pie hatte damit gerechnet. Er ging in die Hocke und tat so freundlich, wie er konnte, aber die Töle ließ sich nicht beeindrucken. Also zog er den Hotdog aus der Tasche, den er gerade im Quik Mart gekauft hatte, brach ihn in zwei Hälften und warf der Hündin eine hin. Sie hörte auf zu bellen, beschnüffelte den Köder und fraß ihn. Moon Pie wedelte mit dem Rest und warf ihn nur ein paar Meter vor sich auf die Erde. Der Kläffer kam langsam näher, war aber immer noch sehr misstrauisch. An Männer in Tarnkleidung, die zu jeder Tages- oder Nachtzeit zum Haus kamen, war die Hündin gewöhnt. Normalerweise wurde sie gelobt, wenn sie dann bellte. Aber der Kerl hier hatte Futter. Sollte sie lieber das Haus beschützen oder den köstlichen Hotdog fressen? Das Würstchen gewann. Sie begleitete den Mann bis zum Eingang.

Bei einem Blick durch das Glasfenster der Haustür sah Moon Pie das beleuchtete Nummernpad einer Alarmanlage. Alle Lämpchen standen auf grün. Er lächelte. Das ist viel zu leicht. Dann berührte etwas Feuchtes, Kaltes seine Hand. Moon Pie fuhr hektisch herum. Neben ihm saß die schwarze Hündin und wedelte mit dem Schwanz.