Siebenundfünfzig

»Sie können unbesorgt sein, Mr Tillman. Ich bin für Fahrten mit hohem Tempo ausgebildet.« R.C. versuchte seinen Beifahrer zu beruhigen. Tillman war an solche Geschwindigkeiten nicht gewöhnt, hatte aber bislang kein Wort gesagt. Allerdings war R.C. nicht entgangen, wie er mehrfach den Sicherheitsgurt überprüfte und den Fuß gegen das Bodenblech stemmte, als wolle er auf eine unsichtbare Bremse treten.

»Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Fahren wir einfach raus und suchen Elizabeth.« Tillman starrte geradeaus.

»Glauben Sie, wir können mit dem Streifenwagen über das gesamte Grundstück fahren?«, fragte R.C.

Nach kurzem Nachdenken erwiderte Tillman: »Durch den vorderen Bereich kommen wir mit Sicherheit, aber bis ganz nach hinten schaffen wir es damit nicht.«

»Wir kommen trotzdem hin. Ich habe die Schlüssel von Tanners Jeep.«

Tillman war überrascht. Ihm ging auf, dass er nicht viel darüber wusste, was mit Tanner passiert war. In der letzten halben Stunde hatte er vor allem an Elizabeth gedacht.

»Wo ist der Jeep?«, fragte er schließlich.

»Am großen gelben Tor an der Dummy Line.«

»Was glauben Sie, R.C.? Was ist passiert?«

R.C. überlegte kurz. »Ich nehme an, sie sind in einen Drogendeal oder etwas Ähnliches geplatzt. Im Westen von Alabama ist Methamphetamin ein Riesenproblem. Wir kommen einfach nicht hinterher. Die Drogenlabore schießen wie Pilze aus dem Boden. Es ist schlimm, und es wird immer schlimmer. Tanner wusste wahrscheinlich gar nicht, wie ihm geschieht.«

R.C. bog zügig auf eine Schotterpiste ab. Tillman bemerkte das West-Union-Schild am Wegrand. Das Grundstück gehörte seiner Familie seit zwei Generationen. Früher war die Farm noch viel größer gewesen, aber etliche schlechte Ernten und die Erbschaftssteuer hatten sie auf fünfundsechzig Hektar schrumpfen lassen. Vor achtzehn Jahren hatte er den gesamten Grund mit Nadelbäumen bepflanzt. Mit dem Verkauf des Tannenholzes wollte er Tanners Studium finanzieren. Er hatte viele schöne Erinnerungen ans Angeln, Jagen und Reiten in dieser Gegend. Und jetzt stand er Todesängste aus, was er auf dem Grundstück vorfinden würde, das er so liebte.

»Meth macht gleich beim ersten Mal süchtig. Das Leben der Junkies ist innerhalb kürzester Zeit ruiniert.« R.C. brachte es fertig, sich bei einer Geschwindigkeit von siebzig Meilen die Stunde auf einer Schotterpiste eine neue Portion Kautabak hinter die Lippe zu schieben. Tillmans Anspannung wurde noch ein wenig größer. »Und keiner schafft je den Entzug. Das Zeug hat ein unheimliches Suchtpotenzial. Meth-Konsumenten leiden außerdem oft unter Verfolgungswahn.«

Tillman nickte nur. Er hielt sich krampfhaft am Türgriff fest.

»Letzten Monat hatten wir einen Typen, der überzeugt war, dass sich irgendwelche Gestalten in seinen Küchengeräten verstecken. Er hatte seinen Ofen demoliert, seine Mikrowelle, den Trockner. Den Kühlschrank hätten Sie sehen sollen, und ...« R.C. steigerte sich immer mehr in seine Schilderung hinein.

»R.C., ich ... Können wir uns vielleicht ganz auf unsere Aufgabe konzentrieren?«, fiel Tillman ihm ins Wort.

»Sicher. Kein Problem.« R.C. spuckte in die grüne Flasche. »Aber man erkennt sie ganz leicht. Die Süchtigen. Sie haben Krusten an den Beinen und ihre Vorderzähne verfaulen.«

»Sie denken also, Tanner und Elizabeth könnten auf jemanden gestoßen sein, der diese Drogen verkauft?« Tillman fand sich damit ab, dass R.C. mit dem Gequatsche nicht aufhören würde.

»Ja ... vielleicht. Denkbar ist auch, dass sich dort draußen in einer alten Scheune oder in einem alten Gebäude ein Labor befindet. Das würde mich nicht überraschen.« R.C. fuhr etwas langsamer und bog auf die Dummy Line ab.

Dann bretterte er zügig weiter, bis Tanners Jeep das Scheinwerferlicht reflektierte.

»Der Truck ist weg!«, schrie R.C.

»Was?«, fragte Tillman.

»Genau hier stand ein großer blauer Chevy-Truck. Ich habe die Schlüssel in der Tasche!«

»Und wem gehört er?«

»Das wissen wir nicht genau. Shit!« R.C. wollte es nicht glauben. Eigentlich musste er diese neue Entwicklung sofort über Funk dem Sheriff melden. Aber er wollte keine Zeit dafür opfern, es vom Streifenwagen aus zu tun.

Er parkte so, dass kein anderes Fahrzeug vorbeikonnte, und schnappte sich das Handfunkgerät. Als sie ausgestiegen waren, drückte er Tillman die Schlüssel des Jeeps in die Hand.

»Tanners Jeep gefällt mir richtig gut«, sagte R.C., während er auf dem Beifahrersitz Platz nahm.

»Ja. Ihm gefällt er auch«, antwortete Tillman ernst.

Der Jeep sprang sofort an. Tillman setzte zurück, dann fuhren sie die Dummy Line entlang. R.C. schaltete das Funkgerät ein und drückte auf den Sprechknopf.

»Miz Martha?«

»Kommen, R.C.«

»Ich bin mit Mr Tillman unterwegs und habe jetzt eine Zeit lang nur ein Handfunkgerät zur Verfügung.«

»Roger. Ich sage dem Sheriff Bescheid.«

»Sag ihm, der blaue Truck, der am Tor stand, ist weg.«

»Mache ich, sobald er mit dem Telefonieren fertig ist. Seid vorsichtig dort draußen.« Sie blies Rauch an die Decke.

»Also los, Mr Tillman.«