Fünfundzwanzig

R.C. fuhr wie der Teufel. Das Blaulicht blitzte, aber die Sirene hatte er im vergeblichen Bemühen zu verstehen, was Tanner sagte, abgeschaltet. Seine Gedanken rasten noch schneller, als der Wagen dahinschoss.

»R.C., wie ist deine Position?«, fragte Martha ruhig.

»Ich bin auf der Siebzehn und fahre nach Süden. Bin gerade an der Farm der Kendalls vorbeigekommen. Wo bleibt der Rettungswagen?«

»Hat gerade die Interstate überquert und ist auf dem Weg zu dir. In etwa fünf Minuten müsstest du die Scheinwerfer sehen.«

»Ja, M‘«. R.C. hielt das Steuer mit beiden Händen fest.

»Ollie ist auf dem Weg hierher. Er wird dich demnächst anfunken.«

»Ich will den Jungen erst den Sanitätern übergeben, dann sage ich Ollie, was ich weiß.«

»Roger. Ich habe Larson losgeschickt. Er bringt die Tillmans zum Krankenhaus.«

»Schätze mal, sie werden ihn nach Tuscaloosa oder ins Unikrankenhaus fliegen.«

»Du lieber Gott ... sieht es so schlimm aus, R.C.?«

»Ja, Ma’am.«

»R.C. ... Ollie meint, du sollst so schnell wie möglich herkommen.«

»Roger.«

Ollie war gerade ins Bett gekrochen und hatte das Licht ausgemacht, als der Anruf gekommen war. Seine Frau schlief einfach weiter; Jackie war an solche Dinge gewöhnt. Der Sheriff sagte Martha, er sei schon unterwegs und sie solle ihm frischen Kaffee machen. Auf der Fahrt zur Dienststelle hörte er den Polizeifunk mit. Am liebsten hätte er R.C. gleich befragt, aber er merkte, dass sein Deputy im Moment alle Hände voll zu tun hatte. Wenn er ihn zu sehr ablenkte, passierte vielleicht noch ein Unglück. Ollie schaltete das Blaulicht seines hellbraunen Expedition an und gab Gas. Was für eine Nacht!, dachte er.

»Ich sehe den Rettungswagen. Ich fahre rechts ran!«

»Roger, R.C.; Augenblick.« Zwanzig Sekunden vergingen. »Sie sehen dich auch.«

»Ich melde mich wieder, wenn sie ihn haben!«

»Roger, Einheit drei.«

Der Rettungswagen wendete und hielt neben R.C.s Streifenwagen. Beide Rettungssanitäter sprangen aus dem Fahrzeug, rissen die hinteren Türen auf und zogen die Trage heraus. Sie klappte automatisch auseinander und wurde neben den Streifenwagen geschoben. R.C. machte die hintere Tür auf. Er wollte gerne helfen, wusste aber nicht wie. Die beiden Sanitäter arbeiteten schnell und effizient. Es gab nichts, was sie noch nicht gesehen hatten.

»Ich weiß nicht, welche Verletzungen er hat. Sieht aus, als wäre er zusammengeschlagen worden. Ich wusste bloß, dass ich ihn schneller von dort hinten rauskriege, als ihr hättet reinfahren können«, sagte R.C. hoffnungsvoll.

»Das hast du gut gemacht, R.C.«, sagte die Sanitäterin. Sie griff nach Tanners Handgelenk. Der Sanitäter leuchtete in Tanners Augen und sah sich die Pupillen an.

»Okay. Auf gehts«, sagte die Frau. Sie nahm Tanner unter den Achseln. »Du hältst seinen Kopf, R.C.«

R.C. half den Sanitätern beim Strammziehen der Gurte an der Trage. Nach einem Blick auf seine Hände wischte er sich lässig das Blut an der Hose ab und fragte: »Glaubt ihr, er braucht einen Rettungshubschrauber?«

»Keine Ahnung. Das entscheiden die Ärzte, wenn sie ihn gesäubert und geröntgt haben.« Grunzend schob der Sanitäter die Trage in den Wagen. Die Sanitäterin stieg zu Tanner, der Mann schlug die Türen zu.

»Das ist Tanner Tillman. Vielleicht kennt ihr ihn vom Football.«

»Ehrlich?«, fragte der Sanitäter überrascht. »Okay. Er ist jetzt in guten Händen.«

R.C. warf einen Blick durch das Seitenfenster. Die Sanitäterin setzte eine Sauerstoffmaske auf Tanners blutiges Gesicht. Als der Rettungswagen davonraste, blieb R.C. noch einen Augenblick lang stehen und schaute hinterher.

»Drei an Basis«, sagte er schließlich ins Mikrofon.

»Kommen, R.C.«

»Ist der Sheriff schon da?«

»Kommt grade zur Tür rein.«

R.C. legte den Gang ein und machte sich auf den Weg zur Dienststelle. Nach einer Meile rauschte das Funkgerät.

»Basis an Einheit drei.«

»Einheit drei.«

»Was ist dort draußen passiert, R.C.?«

»Keine Ahnung, Chief. Ich habe die Wege um das Camp abgefahren, bin auf die Dummy Line abgebogen und habe nach etwa drei Meilen zwei Fahrzeuge gesehen, aber keine Leute. Ich bin ausgestiegen, habe mich ein bisschen umgeschaut und Tanner am Straßenrand gefunden.«

»Was denkst du – was ist mit ihm passiert? Was sagt dir dein Gefühl?«

»Er wurde übel zugerichtet. Vermutlich bei einer Schlägerei.«

»Kann es kein Unfall gewesen sein?«

»Nein. Das war Absicht.«

»War sonst noch jemand dort? Was war mit dem zweiten Wagen?«

»Ich habe niemanden gesehen. Der andere Truck kam mir irgendwie bekannt vor. Aber mir fällt nicht ein, woher. Ich bin so schnell weggefahren, dass ich nicht nach dem Kennzeichen geschaut habe. Tut mir leid.«

»Wann bist du hier?«

»In fünf Minuten.«

»Beeil dich.« Der Sheriff stand auf.

Ollie schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Mit Sahne und einer dreifachen Portion Zucker. Martha telefonierte mit dem Krankenhaus. Der Sheriff setzte sich an seinen Schreibtisch und studierte die Karte des Countys. Sein Blick wanderte zu dem riesigen Schutzgebiet, das an das Jagdcamp grenzte. Gibt es zwischen den beiden Vorfällen eine Verbindung? Er würde mit R.C. darüber reden, dann ins Krankenhaus fahren und sich den verletzten Jungen selbst ansehen.

R.C. kam hereingerannt, ließ sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch des Sheriffs fallen und war ganz offensichtlich stolz auf sich.

»Hey Chief«, sagte R.C. Anscheinend erwartete er Lobeshymnen.

»R.C., glaubst du, zwischen diesen beiden ... na ja ... Vorfällen gibt es einen Zusammenhang?«

»Tanner hatte vermutlich eine Schlägerei. Es kann um ein Mädchen gegangen sein oder um das Baseballspiel. Aber egal, was es war, die Sache wurde richtig hässlich. Man hat ihn echt halb totgeprügelt.«

»Highschool-Schlägereien sind normalerweise nicht so brutal.« Ollie nahm einen Schluck Kaffee. R.C. zuckte die Schultern und nickte bedächtig.

Als sie jemanden den Flur entlangrennen hörten, blickten sie auf. Martha stürzte mit panischem Blick ins Büro.

»Ollie, Tanner Tillmans Mutter hat mir grade gesagt, dass Tanner gestern Abend ein Date mit Elizabeth Beasley hatte ... Sie will wissen, wo das Beasley-Mädchen ist.«

Martha und Ollie starrten R.C. an. Seine Augen weiteten sich und er sprang auf.

»Verdammte Scheiße! Das wollte er also die ganze Zeit sagen ... Elizabeth! Sie ist irgendwo dort draußen. Bin schon unterwegs!«, schrie R.C. und rannte den Flur entlang.

Mit dem Cowboyhut in der Hand eilte Ollie zur Tür. »Wer hat heute Nacht sonst noch Dienst?« Er hielt die Tür auf.

»Larson und Shug«, antwortete Martha prompt.

»Sie sollen mich an der Stelle treffen, wo die Sache passiert ist. Ich bin schon unterwegs dorthin. Funken Sie R.C. an und sagen Sie ihm, er soll auf mich warten. Und keine Sirenen, nur Blaulicht.«

»Ja, Sir, Chief!«, antwortete Martha. Sobald sich die Tür hinter dem Sheriff geschlossen hatte, zündete sie sich eine Zigarette an.