Einunddreißig
Sheriff Ollie Landrum stand nachdenklich vor Tanner Tillmans Jeep. Den Cowboyhut in der Hand, kratzte er sich den langsam kahler werdenden Kopf. Deputy R.C. Smithson wartete auf Anweisungen und hoffte, dass er nicht den übel riechenden Pick-up durchsuchen musste. Dem Sheriff war deutlich anzusehen, wie sehr er unter Stress stand.
»R.C., bitte sieh nach, ob du im Truck einen Hinweis auf den Besitzer findest. Dieser Wagen ist der Schlüssel zu allem.«
»Ja, Sir.« Mit einem resignierten Seufzer öffnete R.C. die Beifahrertür. Sofort erfüllte eine Dunstwolke die Luft und vier leere Bierdosen fielen heraus. »Er stinkt und er trinkt billiges Bier.«
»Was tut er?«, fragte Ollie.
»Er trinkt billiges Bier ... schau her. Und zwar jede Menge.« R.C. hielt eine Dose Old Milwaukee hoch, dann warf er sie auf die Pritsche des Trucks.
»Okay. Ist gut ... such weiter, Columbo.« Ollie ging zurück zu seinem Expedition und griff nach dem Mikro.
»Miz Martha?«
»Ja, Chief?«
»Kann der junge Tillman sprechen oder schreiben und uns erklären, was passiert ist?«, fragte Ollie in der Hoffnung, dass es tatsächlich so einfach sein könnte.
»Chief, die vom Krankenhaus meinten, er hätte so schlimme Schmerzen gehabt, dass sie ihn praktisch schachmatt gesetzt haben, sobald sein Zustand stabil war. Jemand hat ihn ziemlich übel zugerichtet. Er hat einige Zähne verloren, seine Luftröhre ist weitgehend eingedrückt ... und einige Rippen sind auch gebrochen.«
»Verdammte ...«, fing Ollie an. Dann atmete er tief durch.
»Chief, und seine Freundin, Elizabeth, sie ist Klassenbeste und Cheerleaderin. Beliebt und überall mit dabei. Ein tolles Mädchen. Nicht die Sorte, die sich mit Absicht in Schwierigkeiten bringt.«
»Augenblick, Miz Martha.« Beim Anblick von Elizabeths Handtasche kam Ollie eine Idee. Er öffnete sie, und das war es ... ein Handy. Ollie schaltete es an und es erwachte zum Leben.
»Hier draußen funktioniert das nicht, Boss. Wir sitzen in einem riesigen Funkloch. Mit etwas Glück kommt man vielleicht kurz durch, aber die Verbindung hält sicher nur ein paar Sekunden lang«, erklärte R.C.
Dann hielt er sich die Nase zu und setzte die Durchsuchung des Trucks fort. »Hey! Das hier könnte uns weiterhelfen: ein Beleg von einer Metzgerei bei Camden. Die sind auf Wild spezialisiert und machen das wirklich gut. Magst du Hirschwurst, Chief?«
»Nein, R.C., und ich habe lange keine gegessen. Welcher Name steht auf dem Beleg?«, fragte Ollie ungeduldig.
»Ähm ... Tommy Tidwell. Eine Telefonnummer gibt es auch; ich glaube, es ist seine Handynummer. Von dem Kerl habe ich schon mal gehört ... Die meisten Leute nennen ihn Mini. Wenn er mit den falschen Leuten zusammen ist, baut er Mist. Meinst du, er geht ran, wenn wir ihn anrufen?«
»Nicht um diese Zeit, und nicht, wenn er auf dem Display unsere Nummer sieht. Aber gib mir den Beleg.«
»Sheriff?«, rief Martha.
»Ja, M’?« Ollies Geduldsfaden wurde dünner.
»Die Beasleys werden wissen wollen, was Sie unternehmen.« Martha war gerne auf alles vorbereitet.
»Sagen Sie das Übliche«, antwortete er. Dann fügte er hinzu: »Aber geben Sie mir Bescheid, sobald sie da sind. Und rufen Sie bitte eine bestimmte Nummer für mich an. Aber nicht mit dem Diensttelefon ... Leihen Sie sich von irgendjemandem ein Handy. Am besten, Sie holen sich das Telefon des Jungen aus der Asservatenkammer, den wir vorhin eingesperrt haben.« Er gab ihr die Nummer, die sie wählen sollte. »Wenn jemand rangeht, legen Sie einfach auf, und dann melden Sie sich bei mir ... Egal, was passiert.«
»Roger, Chief.«
Ollie und R.C. blickten erst gleichzeitig auf und dann in die Richtung, aus der das Motorengeräusch eines schnell näher kommenden Fahrzeugs zu ihnen drang. Schließlich sahen sie sich an.
»Larson«, sagte Ollie. »Hoffe ich zumindest. Auf weitere Überraschungen kann ich heute gerne verzichten.«
In den Baumwipfeln zuckten blaue Lichtblitze. Larson stellte den Streifenwagen ab und stieg aus. Larson Hodges war seit fünf Jahren Deputy und hoffte seither, dass endlich einmal etwas Spannendes passieren würde. So wie jetzt. Er verpasste keine Folge von COPS und las jede Ausgabe der Zeitschrift Der Polizei-Präzisionsschütze gleich mehrmals von vorn bis hinten. Vor zwei Jahren hatte er Ollie dazu überredet, einen Polizeihund anzuschaffen. Larson fuhr nach Columbus, Ohio, suchte den Hund aus und ließ sich zum Hundeführer ausbilden. Seither sah man ihn nicht mehr ohne den Vierbeiner. Der Deutsche Schäferhund hieß Luger, wurde aber Lug gerufen. Auf dem Nachhauseweg taufte Larson den Hund in Shug um – zu Ehren eines der größten Footballtrainer der Auburn University, Ralph »Shug« Jordan. Nicht jeder in Westalabama war ein Pur-pur-Fan.
Ollie ahnte natürlich, dass die K-9-Akademie den Hund nicht Shug genannt hatte. Aber weil das Tier auf den Namen zu hören schien, sagte er nichts. Leider befolgte Shug nur deutsche Kommandos. Anfangs waren der Hund und sein Führer meist beide ziemlich verwirrt. Nach ein paar Wochen jedoch verstand Shug Deutsch mit einem Südstaatenakzent.
»Morgen, Sheriff. Was kann ich tun?«
In diesem Augenblick klingelte das Handy auf dem Armaturenbrett des Pick-ups. R.C. nahm es und warf es Ollie zu. Ollie klappte es auf und sah die Nummer auf dem Display. Martha rief ihn wie gebeten vom Telefon des Festgenommenen aus an. Die Empfangsanzeige hatte nur einen Balken. Ollie ließ das Telefon klingeln, bis es aufhörte. Dann steckte er es in die Tasche.
Sein Funkgerät rauschte. »Chief. Es ging keiner ran und eine Mailbox gibt es auch nicht.«
»Roger. Danke.«
»Larson, hast du Shug mitgebracht?«, fragte Ollie.
Larson nickte.
»Lass ihn mal die Wagen beschnüffeln. R.C. hat den verletzten Tillman-Jungen hier gefunden, und wir haben Grund zur Annahme, dass das Beasley-Mädchen bei ihm war.«
»Ja, Sir!«, antwortete Larson.
»Achtung, Shug!« Der übergewichtige schwarzbraune Polizeihund sprang aus dem Streifenwagen und sah seinen Führer aufmerksam an. Larson brachte Shug zur Vorderseite des Jeeps und sagte: »Such!« Shug machte sich ganz offensichtlich an die Arbeit. Sie nahmen an, dass das Erste, was er fand, Tanners Blut war. Nachdem er diesen Bereich abgesucht hatte, führte Larson ihn an eine andere Stelle. Aber schon nach ein paar Minuten war klar, dass Shug das Einzige aufgespürt hatte, was ihn wirklich interessierte. Er legte sich mitten auf den Weg und begann sich mit Hingabe zu lecken.
Geknickt, weil der Hund derart versagte, schleifte Larson Shug zurück zum Wagen. Ollie wandte sich angewidert ab und schüttelte den Kopf. R.C. unterdrückte ein Glucksen.
Er versuchte von Larson abzulenken. »Hey, Chief«, sagte R.C. »Der Jeep ist im Weg. Ich lege den Leerlauf ein, dann können wir ihn wegschieben. Wir müssen dem Quad hinterher, das die Straße runtergefahren ist.« R.C. zeigte auf die Dummy Line.
»Wohin führt diese Piste denn überhaupt?«, fragte Ollie.
»Sie endet am Sumpf vom Noxubee River. Bis dahin sind es zwanzig Meilen Schlaglöcher und Matsch mit einem Hochstand alle fünfhundert Meter und nicht viel mehr.«
»Okay, in Ordnung, R.C. Also los«, sagte Ollie.
»Hey, der Schlüssel steckt«, stellte R.C. fest, als sie Tanners Jeep wegschieben wollten.
»Dann lass das Ding an und fahr es beiseite«, sagte Ollie.