Neunzehn

Mutti mit Kindern allein im Haus. Das sollte nicht allzu schwierig werden, dachte Moon Pie. Er tätschelte die freundliche Hündin. Auf der Suche nach dem Telefonkabel sah er im Garten ein Trampolin und eine Schaukel. Das Kabel wollte er vorsichtshalber durchtrennen, damit niemand die Notrufnummer wählen konnte. Ob er den Unterschied zwischen einem Telefonkabel und einem Fernsehkabel erkennen würde, wusste er nicht. Aber dann entdeckte er das aufgedruckte Logo der Bell-South-Telefongesellschaft.

Noch nie hatte Moon Pie sich jemanden gegriffen. Er sagte lieber greifen als kidnappen. Kidnappen klang zu sehr nach Bundesknast. Aber er war sehr gerne bereit es auszuprobieren. Seine Gründlichkeit kam seiner kriminellen Karriere sehr zugute. Aufgewachsen war er auf einer Sojabohnenfarm. Was er dort gelernt hatte, hatte ihn später zum erfolgreichsten Marihuana-Anbauer im nordöstlichen Mississippi gemacht. Er hatte als Erster mit modernen Düngetechniken experimentiert, um den pH-Wert des Bodens zu beeinflussen. In zwei riesigen ehemaligen Hühnerhallen hatte er eine Beleuchtungsanlage und ein Bewässerungssystem installiert und bald eine doppelt so große Ernte eingefahren wie seine Konkurrenten. Das einzige Problem waren die hohen Ausgaben. Deshalb war er immer ein wenig klamm. Sheree, mit der er seit sechs Jahren zusammen war, schien immer etwas mehr Geld auszugeben, als er heranschaffen konnte. Diese Frau war extrem teuer im Unterhalt.

Nachdem er das Elternschlafzimmer ausfindig gemacht hatte, dachte er über sein weiteres Vorgehen nach. Die unbekannte Variable war die Anzahl der Kinder, die sich vielleicht im Haus aufhielten. Er schlich die Verandastufen hinauf und sah sich die Schlösser an. Ein einziger schlichter Bolzenriegel. Den kriege ich mit einem Tritt locker auf, dachte er, während er seine ganz spezielle Werkzeugtasche abstellte. Dann kam ihm der Gedanke, dass er auch mit einem Hammer das Glasfenster an der Tür einschlagen, hindurchgreifen und den Knauf drehen konnte. Mit Tarnmusterklebeband pflasterte er sorgfältig ein Spinnennetz auf das Glas, damit es nicht sprang und klirrend zu Boden fiel. Dann schlug er es vorsichtig ein. Es überraschte ihn immer wieder, wie wenig Lärm das machte.

Sie wurde von einem unbekannten Geräusch geweckt, war aber nicht einmal sicher, dass sie wirklich etwas gehört hatte. Reglos lag sie in ihrem warmen, gemütlichen Bett und horchte. Einmal war ihr, als quietschte eine Bodendiele. Doch das alte Haus war voller Geräusche. Dann sprang die Heizung an und übertönte alle anderen Laute. Sie entspannte sich wieder.

Moon Pie betrat das Haus und ging schnell und leise den Flur entlang zum Elternschlafzimmer. Dort stürzte er durch die Tür und überraschte die Frau. Sie wollte schreien, aber im selben Augenblick klatschte seine Hand bereits auf ihren Mund. Er drückte die Frau aufs Bett und hielt ihr die Mündung seiner 40er-Glock direkt zwischen die Augen. Das Nachtlicht aus dem Badezimmer ließ die Pistole aufschimmern. Moon Pie setzte sich rittlings auf die Frau und hielt sein Gesicht so nahe an ihres, dass sich ihre Nasen fast berührten. Er atmete ihren Geruch ein. Dabei ließ er den Pistolenlauf an ihre Schläfe gleiten. Sie sollte den kalten Stahl spüren.

»Kein Wort!«, zischte er leise zwischen den Zähnen hervor. »Ist sonst noch jemand im Haus?«, fragte er, obwohl er wusste, dass er ihr nicht trauen konnte.

Ihre Augen waren vor Entsetzen geweitet; Moon Pie weidete sich an ihrer Angst. Sie schüttelte den Kopf. »Nein!«

»Dein Mann hat jemanden umgebracht, der mir sehr wichtig war. Und du wirst jetzt dafür bezahlen«, flüsterte er eindringlich. »So ist das nun mal.«

Er sah die Verwirrung und die Angst in ihren Augen. Sie schüttelte heftig den Kopf und wollte etwas sagen, aber das ließ er nicht zu. Mit einer Hand zog er das Klebeband von der Rolle, riss es mit den Zähnen ab und pappte es ihr auf den Mund. Sie wehrte sich gegen seinen harten Griff, aber er drückte ihr gewaltsam die Arme hinter den Rücken und umwickelte die Handgelenke mit Klebeband. Sie kämpfte mit aller Kraft gegen ihn, doch er zog einen Klebestreifen rund um ihren Kopf und ihren Mund. Anscheinend hatte sie unbedingt etwas sagen wollen. Als Nächstes fesselte er ihr die Knöchel mit Klebeband aneinander. Sie war nun absolut wehrlos. Er überzeugte sich, dass ihre Nasenlöcher frei waren, dann stand er schwer atmend auf.

Die Frau trug ein Panty-Höschen und ein ärmelloses Shirt. Moon Pie bewunderte ihren athletischen Körper. Noch immer außer Atem sah er sich im Zimmer um und beschloss, auch den Rest des Hauses in Augenschein zu nehmen. Er durchsuchte sämtliche Zimmer, fand aber keine weitere Person. Die Kinder übernachten wohl woanders, dache er auf dem Weg zurück nach unten ins Elternschlafzimmer.

»Wir machen jetzt einen kleinen Ausflug.« Moon Pie hob die Frau hoch und warf sie sich wie einen Mehlsack über die Schulter. An der Haustür knirschte das Glas unter seinen Füßen. Er schloss die Tür und trug die Frau zu seinem Wagen. Sehr schwer war sie nicht – knapp sechzig Kilo vielleicht. Er hatte die Innenbeleuchtung des Wagens ausgeschaltet, damit man ihn von außen nicht erkennen konnte. Die Frau war fast wahnsinnig vor Angst, das sah er. Er hatte die volle Kontrolle über sie und dieses Machtgefühl erregte ihn.

Der Rücksitz des Tahoe war umgeklappt. Hinten im Wagen gab es also jede Menge Platz. Moon Pie warf die Frau hinein, legte sich auf sie und rieb sich an ihr. Dass sie sich verzweifelt unter ihm wand, erregte ihn nur noch mehr.

»Das wird eine richtig nette Party«, flüsterte er ihr ins Ohr und leckte die Tränen ab, die ihr über die Wangen liefen. »Aber nicht hier. Ich habe ganz besondere Pläne mit dir, meine Süße.« Moon Pie hob ihr Shirt und leckte ihren Bauch. Dann stemmte er sich hoch, warf die Tür zu und sprang auf den Fahrersitz. Er zog sich die Latexhandschuhe aus, fuhr los und zündete sich als Erstes eine Marlboro an. Nach einem tiefen Zug stieß er den Rauch aus, griff zum Funktelefon und drückte die Sendetaste.

Biep-biep. »Yo, Mann.«

Biep-biep. »Sprich.«

Biep-biep. »Hab sie und sie ist ein Schmuckstück. Geiles Stück Arsch!«

Biep-biep. »Kannst du sie zu Johnny Lees Wohntrailer bringen?«

Biep-biep. »Klar. In zwei Stunden bin ich da. Ich muss bloß anständig fahren, damit die Cops mich nicht anhalten.«

Biep-biep. »Der Schlüssel liegt auf dem Absatz über der Tür. Ruf mich an, wenn du dort bist.«

Biep-biep. »Habt ihr den Kerl schon?«

Biep-biep. »Nein, aber bald.«

Moon Pie legte auf und wählte die Nummer seiner Freundin. Dabei rieb er sich zwischen den Beinen. Die Leitung war belegt; sie surfte anscheinend wieder im Internet. Ihn nervte das gewaltig. Sie ist mitten in der Nacht mit irgendwelchen Freaks in einem Chatroom zugange, dachte er. Im Netz surfte sie immer nur, wenn er nicht zu Hause war. Das machte ihn wahnsinnig. Ich habe die Schnauze endgültig voll! Jetzt werfe ich sie raus.