Zwölf

Jake fuhr, als säße ihm der Teufel im Nacken, und riss auf dem ganzen Weg junge Bäume um. Einen Seitenspiegel hatte er so bereits verloren. Er spürte, wie Panik ihn erfasste, doch immer wieder ermahnte er sich, ruhig zu bleiben und nachzudenken. Als er eine Anhöhe erreichte, fuhr er langsamer und warf einen Blick auf sein Handy.

»Immer noch kein Empfang. Es ist nicht zu fassen.« Jake warf das Telefon genervt beiseite und schaute in den Rückspiegel. Er sah keine Lichter, die ihm folgten. Allerdings hatte er hier im Wald keine gute Sicht – bestimmt keine hundert Meter.

Jake hielt an, stellte den Motor ab, stieg aus und horchte. Nichts. Vielleicht verfolgten die Kerle ihn gar nicht? Vielleicht waren er und Katy noch einmal davongekommen? Er hatte keine Ahnung, wie weit er hören konnte, aber es musste ein ganzes Stück sein. Als Jake wieder einstieg, zog Katy sich gerade ihre Hose an. Sie machte einen nervösen Eindruck, aber er sorgte dafür, dass sie zu tun hatte.

»Zieh die dicken grauen Strümpfe an!«, sagte er.

»Die hier?« Er hörte die Angst in ihrer Stimme.

»Ja, Baby.« Jacke nickte.

Er ließ den Wagen wieder an und warf einen Blick auf die Anzeigen. Der Tank war noch halb voll. Gut. Sie mussten so schnell wie möglich die Dummy Line erreichen, und dann nichts wie weg. Die Entfernung zur nächsten Landstraße schätzte er auf etwa zwanzig Meilen. Sein Handy würde vermutlich erst auf dem Highway 17 wieder funktionieren. Besorgt dachte er beim Weiterfahren an das gewaltige Schlammloch, das vor ihnen lag.

Die Bilder von dem, was passiert war, verfolgten ihn. Er konnte nicht glauben, dass er den Typen erschossen hatte. Ihm war keine andere Wahl geblieben, aber alles erschien ihm so unwirklich. Was für ein Alptraum! Tief im Innern wusste er, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Trotzdem fragte er sich, ob er den Schuss hätte vermeiden können. Wäre es besser gewesen, ins Licht zu treten und sein Gewehr zu zeigen? Er würde es nie erfahren. Wer waren diese Kerle? Was wollten sie? Und warum hatte er Katy ausgerechnet diesmal mit ins Camp genommen, wo er doch so oft hierherkam? Katy, meine süße, liebe Katy. Beim Gedanken daran, was ihr hätte zustoßen können, erschauerte er. Morgan würde ihm den Kopf abreißen.

»Dad, wo sind meine Stiefel?«, fragte Katy.

Jake fiel ein, dass er sie im Wohnwagen gelassen hatte. »Verdammt«, schnaubte er. Er hatte die Stiefel mit hineingenommen, damit sie am Morgen warm waren. Bei ihrem überstürzten Aufbruch hatte er zwar an Katys Kleider gedacht, die Stiefel aber vergessen.

»Kein Problem ... Sie sind noch im Wohnwagen. Aber du brauchst sie nicht. Wir fahren direkt zum Sheriff.« Er versuchte ganz zuversichtlich zu klingen.

Plötzlich tauchte ein langes Schlammloch mit tiefen Furchen vor ihnen auf. Die Scheinwerfer des Trucks erfassten nur einen Teil davon. Schwere Holzlaster hatten den Waldweg über Jahre hinweg umgepflügt. Die Tannen, mit denen die Gegend aufgeforstet worden war, standen wie Mauern zu beiden Seiten der Fahrspur; deshalb konnte er dem Schlammloch nicht ausweichen.

Jake betrachtete die fast hundert Meter lange Matschwüste. Er hatte keine Ahnung, wie tief der Boden war. Sein Wagen war mit einer Kabelwinde ausgerüstet, also würde er so weit fahren wie nur möglich und den Truck dann mit der Winde weiter ziehen. Das war die einzig denkbare Möglichkeit.

Ob die Kerle ihn verfolgten, wusste er nicht. Aber umkehren und auf demselben Weg ins Camp zurückfahren? Das konnte er nicht riskieren.

»Schnall dich an und halt dich fest, Katy«, sagte er und steuerte auf den Schlamm zu.

Jake beschloss, es im niedrigsten Allradgang an der rechten Seite des Lochs zu versuchen. Er gab Gas und bemühte sich den Truck so gerade wie möglich zu halten. Die Stollenreifen krallten sich in den roten Schlamm und schleuderten ihn in alle Richtungen. Er machte die Scheibenwischer an. Katy hielt sich die Augen zu. Der Truck verlor zwar an Schwung, doch sie kamen immer noch weiter. Die Furchen im Untergrund zogen den Wagen nach links. Kaum dreißig Meter vor dem Ende saß er plötzlich fest. Jake versuchte es mit dem Rückwärtsgang. Ohne Erfolg. Er drehte die Reifen nach links, dann nach rechts. Umsonst.

»Ich muss aussteigen, Katy, und das Kabel um einen der Bäume dort legen.« Er zeigte ein Stück den Weg entlang. »Du bleibst hier sitzen. Es ist alles in Ordnung. Warum hörst du dir nicht deine Hillary-Duff-Kassette an?«

»Schon gut. Kann ich dir helfen?« Das war ernst gemeint.

»Vielleicht. Lass mich aber erst mal nachsehen, was du tun kannst«, antwortete Jake. Er hatte keinerlei Absicht, Katy aus dem Truck steigen zu lassen.

Jake öffnete die Tür und stellte den Fuß ins kalte, schmutzige Wasser. Der Schlamm war so tief, dass er ihm bei jedem Schritt fast die Stiefel von den Füßen zog. Er versuchte die Kälte zu ignorieren. In der Werkzeugkiste mit der Flügelklappe tastete er nach einer Taschenlampe und suchte dann nach der Windensteuerung. Anschließend stapfte er zum Kühler des Trucks und legte das Steuergerät auf die Motorhaube. Er stellte das Windenkabel auf Freilauf und zog es, so schnell es in dem Matsch ging, hinter sich her. Schließlich schlang er es um einen Baum ein paar Schritte hinter dem Schlammloch und kämpfte sich dann zurück zum Truck. Er steckte die Steuerung in die Winde, zog das Kabel über die Motorhaube und warf es zum Fahrerfenster hinein. Als er wieder im Wagen saß, gab er vorsichtig Gas, stellte den Ganghebel auf neutral und drückte den Schalter an der Windensteuerung. Der Voltmesser flackerte auf, das Kabel bewegte sich.

»Ja, Baby. Ja! Komm schon! Du schaffst es!«, sagte Jake laut. Angespannt klopfte er aufs Lenkrad.

Als er merkte, dass er von den Knien abwärts pitschnass war, wurde ihm plötzlich kalt. Er stellte die Heizung an und versuchte, nicht daran zu denken, dass er fror. Vielleicht sind in der Werkzeugkiste ein paar trockene Klamotten, dachte er. Er sah zu, wie das Kabel sich straffte und den Truck nach vorn zog. Seine Winde hatte ihn schon immer begeistert, aber ganz besonders galt das heute Nacht.

Langsam kroch der Truck den Weg entlang. Jake kämpfte gegen den Drang an, einen Gang einzulegen und den Vorgang zu beschleunigen. Er hatte Angst, dass das Kabel sich unter dem Truck verheddern könnte. Sich von der Winde aus dem Schlamm ziehen zu lassen war am sichersten. Er achtete darauf, die Drehzahl hoch zu halten, damit nicht irgendwann plötzlich die Batterie leer war. Komm! Mach schnell. Bitte beeil dich.

Sobald der Truck wieder auf festem Boden stand, sprang Jake aus dem Wagen und warf einen Blick zurück. Zwischen den Bäumen näherten sich Scheinwerfer. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er stürzte zum Baum, hakte das Windenkabel aus und schnitt sich dabei in die Hand. Bis die Winde die übrigen sechs oder sieben Meter Kabel aufwickelt hatte, konnte er nicht warten. Schnell schlang er das Kabel um den Bügel vorn am Truck und sprang wieder auf den Fahrersitz. Die Scheinwerfer kamen näher. Aber keiner der Trucks dieser Banditen würde mit dem Schlammloch besser zurechtkommen als seiner. Dieses Hindernis wird sie eine Weile beschäftigen, dachte Jake und gab Gas.