Fünfundachtzig

Kurz vor der Intensivstation holten die Schwestern Elizabeth ein. Die Stationsschwester blickte von ihrer Schreibarbeit auf, als die lärmende Gruppe erschien. Sofort stellte sie sich vor die Tür von Tanners Zimmer. »Moment ... So können Sie hier nicht rein, meine Liebe. Sie müssen sich erst mal säubern«, sagte sie mit einem Blick auf das Blut und den Schlamm, die überall an Elizabeth klebten. »Sie können ihn später besuchen. Im Augenblick ist er sowieso betäubt.«

»Ich gehe zu ihm rein. Davon halten Sie mich nicht ab!«, sagte Elizabeth trotzig. Gleich mehrere Schwestern griffen nach ihr. »Bitte ... Ich muss ihn sehen.« Tränen liefen ihr übers Gesicht.

»Lassen Sie sie rein«, sagte Dr. Sarhan zum allgemeinen Erstaunen. Er trat hinter einem Vorhang hervor und putzte seine Brille.

Elizabeth fasste sich wieder ein bisschen. Dr. Sarhan ging zu ihr. »Er steht unter Betäubungsmitteln. Er wird nicht merken, Sie sind hier. In seiner Kehle steckt ein Schlauch, der hilft ihm atmen. Er hat schweres Trauma. Erschrecken Sie nicht«, erklärte Dr. Sarhan ruhig. Er wollte Elizabeth vorbereiten.

»Ich weiß. Ich war dabei«, antwortete sie. Sie strich sich das Haar hinter die Ohren, drückte die Tür auf und humpelte langsam in den dunklen Raum. Nur Dr. Sarhan folgte ihr. Alle anderen schauten ihnen nach. Die Beasleys umarmten einander. Dann prasselten die Fragen von Tanners Familie schneller auf Steve Tillman ein, als er sie beantworten konnte.

Im Zimmer sah Elizabeth unzählige Lämpchen, Monitore und verschiedene komplizierte Instrumente, mit denen Tanner überwacht wurde. Er lag mit geschlossenen Augen auf dem Rücken. Beim Anblick seines stark verschwollenen und mit Blutergüssen übersäten Gesichts konnte Elizabeth nur mit aller Gewalt ein Schluchzen unterdrücken. Mit beiden Handrücken wischte sie sich die Tränen ab, dann humpelte sie zu Tanners Bett. Sie griff nach seiner rechten Hand und hielt sie fest. Mit ihrer linken berührte sie sanft sein Gesicht.

»Tanner?«, fragte sie leise. Eine Träne fiel ihr auf die Hände. »Tanner ... Liebster. Ich bin’s. Ich bin hier. Ich bin für dich da. O Gott, Tanner. Ich liebe dich so.« Jetzt konnte sie das Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Sie küsste seine Hand und versuchte noch einmal, sich die Tränen abzuwischen. »Tanner, mir fehlt nichts ... Es geht mir gut. Dank dir.«

Auf dem Monitor sah Dr. Sarhan, wie Tanners Herzschlag sich beschleunigte. Dabei zeigte er rein äußerlich keinerlei Reaktion. Der Arzt fragte sich, ob er Elizabeth hörte.

»Das war eine schreckliche Nacht. Aber jetzt bin ich hier bei dir. Und ich werde für dich da sein, so lange du brauchst, um wieder auf die Beine zu kommen. Ich bin so froh, dich zu sehen. Du ... du siehst gut aus. Für mich jedenfalls«, hauchte sie fast unhörbar. Ihre Tränen flossen schneller, als sie sie wegwischen konnte.

Tanner hörte jedes Wort, das sie sagte. Er roch ihr Haar, erkannte ihre sanfte Berührung. Er wollte rufen, er wollte schreien vor Glück. Zum ersten Mal in dieser Nacht ließ seine Anspannung nach. Elizabeths Gegenwart, ihre Stimme, war die beste Medizin für ihn.

»O Tanner – wir müssen über so vieles reden. Ich bin einfach nur dankbar, dass du noch lebst. Ich habe ... ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.« Sie setzte sich auf die Bettkante. Seine Hand hielt sie weiterhin fest. »Auf welches College ich gehe, ist mir egal – Hauptsache, wir sind zusammen. Und was meine Eltern dazu sagen, ist mir auch egal ... Ich will nie wieder ohne dich sein, Tanner Tillman.«

Als Elizabeth ihn auf die Wange küsste, bemerkte sie die Tränen, die aus seinen Augenwinkeln quollen. Sie lächelte und küsste ihn erneut. Sie wusste, dass er sie hörte.

»Ich liebe dich, Tanner.«

»Ich glaube nicht, dass er Sie hören kann, junge Frau. Wir müssen Sie untersuchen. Lassen Sie ihn ausruhen.« Dr. Sarhan warf einen Blick auf Elizabeths geschwollenen Knöchel. »In ein paar Stunden ist er wach. Dann reden Sie.«

»Er kann mich hören.« Sie sah Tanner ins Gesicht. »Ich weißes.«

»Tanner, ich muss mich waschen und umziehen. Dann bin ich wieder bei dir. Jetzt wird alles noch viel besser als je zuvor.« Zärtlich küsste sie ihn auf die Wange. Dann flüsterte sie: »Und nächstes Mal bestimme ich, wo wir hinfahren.«

Elizabeth zog das kleine Stofftier aus der Tasche, das Katy ihr im Truck gegeben hatte. Vorsichtig setzte sie es neben Tanners Kopf und wischte sich noch einmal die Tränen ab. Sie lächelte, küsste ihn erneut und tupfte auch seine Tränen weg. Sie sagten ihr alles, was sie wissen musste.