Frauen lieben Machos
In der DDR gehörte die Gleichstellung der Frau von Anbeginn zu den offiziellen Zielen der sozialistischen Gesellschaftspolitik. Diese »Emanzipation von oben« vollzog sich paternalistisch-autoritär: Sie wurde von Männern gesteuert und war dem öffentlichen Diskurs entzogen. Motiviert war sie dreifach: ideologisch, politisch und ökonomisch. Ideologisch war die Gleichheit von Männern und Frauen ein Element der egalitären Utopie von der kommunistischen Gesellschaft. Politisch sollten die Frauen durch den Abbau von Nachteilen für das neue sozialistische System gewonnen werden. Und ökonomisch stellten die Frauen ein dringend benötigtes Arbeitskräftepotenzial für die Wirtschaft dar.
Rainer Geißler (Jahrgang 1939), Soziologieprofessor an der Universität Siegen in ›Geschlechtsspezifische Ungleichheit‹, in: ›Informationen zur politischen Bildung der Bundeszentrale für politische Bildung‹, Heft 269, überarbeitete Neuauflage 2004
Frauen in vergleichbaren Positionen wie ich – also mit technischen oder naturwissenschaftlichen Professuren – kommen heute häufig aus den neuen Bundesländern. Das liegt daran, dass es in der DDR normal war, dass Frauen arbeiten und auch in traditionellen Männerdomänen. Noch dazu kommt, dass der Schutz der Familie in der BRD an erster Stelle steht. Mit Blick auf das Steuerrecht ist es vom Staat ja regelrecht gewollt, dass Frauen nicht arbeiten. In der DDR war die Gleichberechtigung auf keinen Fall perfekt, aber es |200|war auch viel einfacher, zu arbeiten, weil wir eine hervorragende Kinderbetreuung hatten. Die Fragen, die sich Frauen heute stellen, wenn sie berufstätig sind – wohin mit meinem Kind? –, gab es damals nicht.
Kerstin Thurow (Jahrgang 1969), Univ.-Professor Life Science Automation – Director of the Institute of Automation der Universität Rostock im Interview vom 8. August 2000, »Deutschlands jüngste Professorin zur Chancengleichheit von Frauen« mit ›Bildung PLUS‹, dem Online Portal zum Thema Bildungsreform in Deutschland
Die altbundesdeutsche Gesellschaft ist weit mehr vom Geist des deutschen Berufsbeamten geprägt, als sie sich eingestehen mag. In den zurückliegenden zweieinhalb Jahrhunderten konnte sich auf deutschem Boden keine Berufsgruppe so sorglos reproduzieren wie die Berufsbeamten. Im Dienstrecht des Berufsstandes ist die Ehegattin immer noch ein Versorgungsfall: Sie gebärt die Kinder, entlastet den Staatsdiener von zeitaufwendigen Erziehungsaufgaben und schmiert der Familie die Frühstücksstullen. Während der Berufsalltag von Familien, die ihren Lebensunterhalt in der gewerblichen Wirtschaft verdienen müssen, von der Sorge ums tägliche Brot und von der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie geprägt ist, wird dem Beamten sein Unterhalt bereits am Anfang des Monats, bevor er überhaupt für das Geld tätig werden konnte, aufs Konto überwiesen, damit er für sich und die Seinen in einer dem Amte angemessenen Art und Weise sorgen kann. Keine andere Industrienation kann sich so etwas leisten, und die Bundesrepublik Deutschland kann es auch nicht. Die Wettbewerbsfähigkeit einer Nation hängt davon ab, wie es ihr gelingt, den weiblichen Bevölkerungsanteil gleichberechtigt ins Arbeitsleben einzubinden, ohne dass Frauen sich zwischen Kindern und Karriereplänen entscheiden müssen.
Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass die DDR auf diesem Weg ein Stück vorangekommen war. Dennoch mag sich heute kaum eine der sogenannten MeinungsführerInnen uneingeschränkt zu dem bekennen, was in der DDR für Frauen geleistet wurde. Selbst diese großartigste gesellschaftliche Leistung, derer sich Deutsche seit der Einführung der Sozialversicherungen rühmen |201|könnten, wird zerredet, abgewertet und verschwindet zunehmend in dem Ruch, den heute nahezu alles umgibt, was irgendwie mit dem zweiten deutschen Staat zu tun hatte. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dieser Abwertung bietet das öffentlichrechtliche Fernsehen unter www.damals-in-der-ddr.de, dem »Multimedia-Projekt von MDR und WDR«. Zum Thema Gleichberechtigung heißt es in dem ›DDR-Onlinelexikon‹: »In den 70er und 80er Jahren gingen immer mehr verheiratete Frauen und Mütter von einer Vollbeschäftigung zur Teilzeitarbeit über, zugleich sank auch die Geburtenrate stark herab und die Anzahl der Ehescheidungen nahm kontinuierlich zu. Dies hatte zum größten Teil seine Ursache in dem Versuch, berufliche, gesellschaftliche und häusliche Aufgaben miteinander zu vereinbaren – ein Problem, das die Frauen in den meisten Fällen allein zu lösen hatten. Die SED versuchte nun ihrerseits, die Vergünstigungen für Familien, Mütter und Frauen zu verstärken. Allerdings trafen diese sozialpolitischen Vergünstigungen nur für Frauen zu. So verließ auch die DDR mit ihren viel gepriesenen sozial- und frauenpolitischen Leistungen nicht das traditionelle Leitbild von Frau und Mutter. In der DDR ging es nur um die ›Lösung der Frauenfrage‹, nicht aber um die Emanzipation der Geschlechter von Geschlechterordnungen. Es ist eine Tatsache, dass Frauen als Arbeitskräfte eine wichtige Ressource der sozialistischen Planwirtschaft waren. Man darf trotz aller objektiven Vorteile für die Frauen und ein in den Jahren gewachsenes Selbstbewusstsein der arbeitenden Frauen dennoch nicht übersehen, dass durch die paternalistische Gleichberechtigungspolitik letzten Endes zementiert wurde, dass allein ›Vater Staat‹ bestimmte, was für die Frauen gut sei: die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Mehr noch, der Maßstab der Gleichberechtigung war männlich bestimmt und orientierte sich vor allem an beruflichen Leistungen und Karrieren.«
Dieser Text misst die Gleichstellungssituation in der DDR an der westdeutschen Emanzipationsbewegung und spiegelt nicht die Erfahrungen und das Lebensgefühl in Ostdeutschland aufgewachsener Frauen wider. Offensichtlich hat hier jemand über die Situation der Frauen in der DDR geschrieben, der dies nicht aus |202|eigenem Erleben kennt. Es gibt einige unabänderliche Tatsachen zwischen Mann und Frau, an denen auch die Emanzipation nichts ändert. Der Mann kann in der Beziehung die variabelsten Positionen einnehmen und seine traditionelle Geschlechterrolle weitgehend ablegen, aber er wird niemals das Baby stillen. Und wenn das Kleine schreit, wird sie die Erste sein, die aufwacht. Die westdeutsche Emanzipationsbewegung ist auf einem Irrweg, wenn sie meint, durch die Abschaffung der traditionellen Geschlechterordnung ließe sich Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau herstellen. Es wird immer Frauen geben, die mit großen Augen zu einem Mann aufblicken und dabei von einem warmen Gefühl durchströmt werden. Entscheidend ist doch, dass sie, wenn ihr Blick wieder klar wird, wirtschaftlich unabhängig sind und eigene Rentenansprüche erworben haben. Die Auseinandersetzung mit traditionellen Geschlechterrollen gehört in die Privatsphäre von Mann und Frau. Einige Paare werden möglicherweise neue Formen des Zusammenlebens für sich entdecken, andere Beziehungen kann das bewusste Ausleben traditioneller Rollenmodelle durchaus stabilisieren. Wenn es aber, warum auch immer, nicht mehr funktioniert, darf eine Frau (jung, weiblich, allein erziehend) nicht dem Armutsrisiko anheimfallen und vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden.
Wirtschaftlich unabhängige Frauen verändern den Mann weit stärker als die gesamte Emanzipationsbewegung. Junge ostdeutsche Frauen, das ist dem Einfluss ihrer Mütter geschuldet, wollen auf jeden Fall wirtschaftlich unabhängig sein und stellen dafür notfalls ihren Kinderwunsch zurück. Dennoch sind sie eher bereit, Kinder und Beruf miteinander zu verbinden, wenn es sein muss auch ohne Mann. Ein im Netz des Ernährers verfangener Mann kann die Vorzüge einer beruflich arrivierten Frau nicht wirklich genießen. Aber er jammert lautstark über den im Falle der Scheidung fällig werdenden Versorgungsausgleich. Auch in Ostdeutschland wünscht sich mittlerweile eine schnell wachsende Zahl junger Männer sehr wohl eine Familie, aber eine, in der die Frau zu Hause bleibt und sich um Kinder und Haushalt kümmert. Viele Männer scheitern an diesem Anspruch. Sie können |203|keine Familie ernähren, und einige können nicht einmal für sich selbst sorgen. Heute bietet allenfalls noch der Staatsdienst ein Maß an Sicherheit, dass die Familie ihre Zukunftsplanungen allein auf die Karriere und das Einkommen eines Ehegatten gründen kann. Die immer aufregender verlaufenden Erwerbsbiografien in der gewerblichen Wirtschaft und den sogenannten freien Berufen erfordern Vater und Mutter gleichermaßen und ein gesellschaftliches Umfeld, das Müttern ein berufliches Fortkommen ermöglicht und sie nicht an den Herd fesselt. Was die Gleichstellung der Frau betrifft, ist das wiedervereinigte Deutschland weit hinter die Verhältnisse in der DDR zurückgefallen. Westdeutschland hat dieser uneingeschränkt positiven, in den 50er Jahren in Ostdeutschland begonnenen und bis 1989 fortgeführten Entwicklung mit dem Zeitpunkt der Vereinigung ein Ende gesetzt. Frauen, die sich in der DDR als »berufstätige Mütter« erleben durften, empfinden den Rückfall in die altdeutschen Zustände besonders schmerzlich. Ihre Töchter sind heute einem gesellschaftlichen Druck ausgesetzt, dem sie sich selbst nie stellen mussten.