Rückgabe vor Entschädigung
Erst im Nachhinein konnten ehemalige DDR-Bürger ermessen, wie in Westdeutschland die Sektkorken geknallt haben mussten, als die konservative Bundesregierung unter Helmut Kohl der letzten DDR-Regierung den Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung abgehandelt hatte und ein erheblicher Teil des auf Enteignungen zurückgehenden Volksvermögens an die weit überwiegend in Westdeutschland lebenden Nachfahren der früheren Eigentümer zurückgegeben werden konnte. Es scheint unwahrscheinlich, dass der Bundesregierung dieser Schachzug gelungen wäre, wenn sie, statt mit den Politneulingen der letzten, auf den Beitritt fixierten Volkskammer, mit der alten DDR-Elite verhandelt hätte, zu der sich die Bundesregierung noch bis zur Wende auf das Innigste verbunden fühlte und zu der sie in den Jahren der Teilung ausgesprochen freundschaftliche Kontakte unterhielt. Woher rührte eigentlich diese plötzliche Abneigung, wie kam es zu dieser eiskalten Distanz nach so vielen Jahren warmer Händedrücke?
Die Beitritts-Volkskammer verabschiedete das Vermögensgesetz am 23. September 1990, wenige Tage vor ihrer Auflösung. Diese in Bonn vorbereitete und von dort gesteuerte Entscheidung sollte sich, neben der D-Mark-Umstellung und der Altschuldenproblematik, |73|als der größte Fehlgriff im Einigungsprozess erweisen. Nichts hat die Deutschen so entzweit, die ehemaligen DDR-Bürger so gedemütigt wie die unvergesslichen Auftritte jener aus dem Altbundesgebiet angereisten Altersrentner, ihrer Nachkommenschaft und der die rückwärtigen Dienste absichernden Anwaltsbataillone. Das Vermögensgesetz ignorierte die besonderen Ansprüche der DDR-Bevölkerung ebenso wie das gesamtdeutsche Interesse an einer schnellen wirtschaftlichen Transformation und übereignete einen erheblichen Teil volkseigener Liegenschaften und Unternehmen Menschen, die zu ihren schon vor Jahrzehnten verlorenen Besitzungen kaum noch ein Verhältnis hatten. Dabei muss unterschieden werden zwischen den erst 1972 verfügten Enteignungen mittelständischer Unternehmer und den Enteignungen, die in Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen Deutschland und den Kriegsfolgen stehen. Die Mittelstandsenteignungen Anfang der 70er Jahre waren zweifellos die größte wirtschaftspolitische Entgleisung der Einheitssozialisten. Viele der enteigneten Unternehmer arbeiteten noch als Angestellte in ihren Betrieben. Deren Rückgabe wurde noch unter der Modrow-Regierung im März 1990 durchgesetzt.
Anders lagen die Dinge bei Eigentumsverschiebungen, die mit Nazideutschland und den Kriegsfolgen in Zusammenhang standen. Durch das Vermögensgesetz sollten nun im Wesentlichen die Eigentumsverhältnisse wiederhergestellt werden, wie sie bei Ende des Zweiten Weltkrieges bestanden, so als hätte es die deutsche Teilung und vier Jahrzehnte DDR niemals gegeben. Das betraf nicht allein Besitzungen von Alteigentümerfamilien, auch der Staatsbesitz des Dritten Reiches wurde sozusagen re-verstaatlicht, und ging aus dem Besitz des ostdeutschen Volkes in den des Bundes über. Die Bundesrepublik trat nicht etwa die Rechtsnachfolge der DDR, sondern die des Dritten Reiches an, sozusagen als viereinhalb Jahrzehnte verspätet erfolgende, die deutsche Zweistaatlichkeit auf ihren Ausgangspunkt zurücksetzende Zäsur. Ausgenommen blieben lediglich Vermögenseingriffe, die zwischen 1945 und 1949 unter sowjetischer Besatzung vorgenommen worden waren.
|74|Das in den Gesetzesstand erhobene Prinzip »Rückgabe vor Entschädigung« war ohne Beispiel. Bezeichnenderweise hatte die Bundesregierung beim Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik im Jahre 1957 ausdrücklich auf eine derartige Regelung verzichtet. Auch die osteuropäischen Nachbarländer, in denen ganz ähnliche Probleme bewältigt werden mussten, hatten das Rückgabeprinzip überwiegend abgelehnt. Nicht einmal in der ehemaligen Sowjetunion wurde die Rückkehr zu den alten, vorsowjetischen Eigentumsverhältnissen ernsthaft erwogen. Die ungarische Regierung hatte das Rückgabeprinzip mit dem Hinweis abgelehnt, dass rechtliche Unsicherheiten vermieden und ausländische Investoren nicht abgeschreckt werden sollten. Lediglich die Tschechoslowakei, aber auch dort nur mit Einschränkungen, und ansatzweise Polen, folgten ein Stück weit dem deutschen Sonderweg.