Investitionen in die Vergangenheit

Am 6. September 1994, als fast die Hälfte der Reprivatisierungsansprüche erledigt waren, schrieb die ›Frankfurter Allgemeine Zeitung‹, dass für zurückgegebene Unternehmen zwischen 0 und 30 Millionen D-Mark aufgewendet worden seien, im Durchschnitt 2,05 Millionen D-Mark für jeden Reprivatisierungsfall. Laut Treuhandanstalt wurden »bis Ende 2002 finanzielle Leistungen in einer Größenordnung von 3,6 Milliarden DM an die zurückgegebenen Unternehmen erbracht«. Diese offizielle Zahl steht, da es sich um insgesamt knapp 4300 Unternehmensrückgaben handelte, einigermaßen im Gegensatz zu dem FAZ-Artikel vom 6. September 1994, wonach der Ertragsausgleich für knapp die Hälfte der Reprivatisierungsfälle den Steuerzahler bereits etwa vier Milliarden DM gekostet hätte, die Treuhand laut ihrer Statistik für alle 4300 Unternehmensprivatisierungen aber insgesamt nur 3,6 Milliarden DM ausgegeben haben will. Die offizielle Treuhandstatistik steckt voller solcher Widersprüche. Die volkswirtschaftlich verheerenden Auswirkungen des Rückgabeprinzips werden bis heute verschleiert. Bis auf eine Handvoll immer wieder zitierter Einzelbeispiele wie die Kathi Nährmittelfabrik Kurt Thiele KG in Halle, die Hedwig Bollhagen Werkstätten für Keramik in Marwitz |79|bei Berlin oder die Strickwarenfabrik Krumbein im thüringischen Heyerode gibt es keine abschließende volkswirtschaftliche Bilanz des Reprivatisierungsdebakels. Niemand kann sagen, was inzwischen aus den hoch subventionierten Unternehmen geworden ist. Wie haben sie sich in den letzten Jahren entwickelt, wie groß ist ihr Anteil an der ostdeutschen Wirtschaftskraft, wie viele Menschen sind dort beschäftigt? »Da die Leistungen an reprivatisierte Unternehmen«, hieß es bei dem 2003 im Wegweiser Verlag Berlin erschienenen Abschlussbericht der Treuhandanstalt, »in Erfüllung gesetzlicher Ansprüche erfolgen, können den Berechtigten, anders als im Fall der Privatisierung, Investitions- und Arbeitsplatzverpflichtungen nicht abverlangt werden, auch wenn das in den ersten Jahren mehrfach vorgekommen ist. Auf diesem Wege wurden Investitionsverpflichtungen in Höhe von ca. 600 Mio. DM erreicht und rund 12 000 Arbeitsplätze garantiert.«

Investitionsverpflichtungen von 600 Millionen D-Mark standen Subventionen von mehreren Milliarden D-Mark gegenüber. Vor allem aber mussten die Unternehmen, um den Rückgabeanspruch irgendwie zu begründen, auf die bei Kriegsende vorhandenen Strukturen und Produktionsprofile zurückgeführt werden. Doch die wirtschaftliche Entwicklung war seitdem nicht stehengeblieben. Das Steuergeschenk erwies sich allzu oft als eine Investition in die Vergangenheit. Ein Großteil der Antragsteller hatte ohnehin kein Interesse an unternehmerischer Tätigkeit im Beitrittsgebiet. In großer Zahl wurden Reprivatisierungsansprüche von Anwälten aufgekauft und möglichst schnell zu Geld gemacht, und das hieß, Subventionen einstreichen, den Laden dichtmachen und die Immobilie vermarkten.

Aus wirtschaftlicher Sicht war der Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung der schlechteste aller denkbaren Ansätze. Die ehemaligen DDR-Bürger, die ein geradezu existenzielles Interesse an den betroffenen Unternehmen und Immobilien hatten, waren zur Untätigkeit verdammt. Viele haben alles verloren: ihre Arbeit, ihr Selbstwertgefühl, die Chance für einen Neuanfang. Das Rückgabeprinzip und seine Folgebestimmungen degradierte sie zu Statisten in einem Verteilungskampf um ihre eigene Lebensgrundlage.

Abbau Ost
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