Anteilsscheine
Auch wenn die Vorstellung, die ehemaligen DDR-Bürger könnten Anteilsscheine an ihrem Vermögen erhalten, etwas für sich hatte, so rechneten wohl die wenigsten damit, dass sie schon bald eine Vermögensurkunde in den Händen halten würden, die ihnen einen Anteil am Volkseigentum von möglicherweise einigen tausend D-Mark bescheinigte. Ehemalige DDR-Bürger, das haben ihnen soziologische Untersuchungen immer wieder bescheinigt, sind vor allem Realisten. Diese Anteilsscheine waren auch gar nicht der Punkt, schließlich hätte es genügt, wenn die viel beschworene Transformation der ostdeutschen Staatswirtschaft in marktwirtschaftliche Verhältnisse so verlaufen wäre, dass die DDR-Bürger am Ende des Transformationsprozesses zumindest Arbeit gehabt hätten. Das Problem war doch wohl, dass ausgerechnet die Bundesrepublik, die selbst unter einer aufgeblähten Staatswirtschaft litt, die ostdeutsche Industrie in die Marktwirtschaft führen wollte. Im Hinblick auf Unwirtschaftlichkeit und uneffektive |87|Strukturen übertrafen westdeutsche Staatsunternehmen – erinnert sei hier nur an Post und Bahn mit allein 789 200 Beamten, öffentlichen Arbeitern und Angestellten – selbst die unbeweglichen Kombinate der DDR. Ausgerechnet der altbundesdeutsche Beamtenstaat, der sich bei seinen wirtschaftlichen Aktivitäten wahrlich keine Sporen verdiente, hing offenbar der Überzeugung an, er könnte mittels einer deutschen Behörde, der Treuhandanstalt, die Volkseigenen Betriebe gewinnbringend verkaufen und dabei zugleich die Voraussetzungen für eine marktwirtschaftlich erfolgreiche Tätigkeit schaffen. Tatsächlich gab es dafür in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik nicht ein ermutigendes Beispiel. Selbst nach den frustrierenden Erfahrungen mit der Treuhandanstalt gerieten die Privatisierungen von Post und Bahn Mitte der 90er Jahre zu einem finanziellen Desaster, für das der Steuerzahler, allein schon wegen der Pensionsverpflichtungen, noch bis zum Ende dieses Jahrhunderts zahlen muss. Dabei ist es bezeichnend, dass die Bundesregierung bei Post und Bahn praktisch nach dem Treuhandgesetz der Modrow-Regierung verfuhr, nämlich Aktiengesellschaften gründete, allenfalls Einfluss auf die Auswahl der Geschäftsführer nahm, sich ansonsten aber zurückhielt. Die Maßnahmen zur Sanierung und wirtschaftlichen Neuordnung waren selbstverständlich Sache des Unternehmens. Überträgt man die typische Treuhandsanierung, wie sie in Ostdeutschland in Tausenden Fällen ablief, gedanklich auf Post und Bahn, so wäre von diesen Unternehmen heute nicht mehr viel übrig. Die meisten Mitarbeiter wären arbeitslos und ihre Arbeit würden andere erledigen.