|92|Das geblümte Sofa
In den Wirtschaftsministerien der neuen Länder und innerhalb der Treuhandanstalt waren mit der Besetzung der weitaus meisten Leitungspositionen durch westdeutsche Beamte und Manager die Möglichkeiten der Problemlösung eingeengt, und zwar auf das Handlungsrepertoire, das durch ihr Erfahrungswissen und innerhalb der zugleich von West nach Ost übertragenen institutionellen Ordnung zur Verfügung stand.
Roland Czada, Professor für Politikfeldanalyse und Verwaltungswissenschaft an der Fernuniversität Hagen und Dekan des Fachbereichs Sozialwissenschaften an der Universität Osnabrück
Vier Wochen nach der Ermordung von Detlev Karsten Rohwedder schaltete die Treuhandanstalt eine Anzeige in allen überregionalen Zeitungen. Das Foto zeigte Erich Honecker auf einem geblümten Sofa. Darunter stand die Schlagzeile: »Ihn mussten wir leider entlassen. Wann fangen Sie an?« Angesprochen waren Absolventen betriebswirtschaftlicher Studienrichtungen an westdeutschen Hochschulen und Universitäten. »Die Treuhandanstalt«, hieß es im Anzeigentext, »größter Konzern der Welt, braucht 100 junge Kaufleute. Sie werden viel entscheiden, aber auch viel Dankbarkeit erfahren. Nach einiger Zeit bei der Treuhandanstalt werden Sie alle Chancen haben, eine schnelle Karriere zu machen. Wenn Sie nach einigen Jahren zurück in die westdeutsche Wirtschaft möchten, müssen Sie sich nicht als Namenloser irgendwo bewerben.«
Angesichts dieser Geschmacklosigkeit wünschten damals nicht wenige, Helmut Kohl hätte neben Erich Honecker auf dem Sofa Platz genommen. Diese deutsch-deutsche Wohnzimmerszene hätte ein treffliches Bild vom wiedervereinigten Deutschland zeichnen können und wäre den Deutschen für immer im Gedächtnis geblieben. Links der aus einer saarländischen Bergarbeiterfamilie stammende Generalsekretär, Sportsfreund und Schalmeienbläser, westlichster Statthalter des Sowjetreichs, der, obwohl des Russischen nicht mächtig, alles zu verstehen meinte. Auf der rechten Seite der aus einer kleinen Beamtenfamilie stammende Bundeskanzler |93|mit seinen umstrittenen rhetorischen Fähigkeiten, seinem unstillbaren Machthunger und einer Vorliebe für deftige Pfälzer Hausmannskost.
Drei Monate vor dem Beitritt hatte die Treuhandbehörde erst 130 Mitarbeiter. Am Tag der deutschen Einigung, am 3. Oktober 1990, waren es gerade 379 Beschäftigte. Die meisten der 220 Neuzugänge in der Zeit zwischen der D-Mark-Umstellung und dem Einigungstag kamen aus den Bezirksverwaltungen der DDR, die bereits mit Blick auf die künftigen Länderstrukturen aufgelöst wurden. In dieser Zeit beschäftigte die Treuhandanstalt erst elf aus Westdeutschland kommende Mitarbeiter, vornehmlich in leitenden Funktionen. Bis Juni 1993 wuchs die Belegschaft auf 4 024 Angestellte, deren Schreibtische von einem ganzen Heer westdeutscher Honorarkräfte belagert wurden. Das neue Leitungspersonal wurde aus altbundesdeutschen Beziehungsnetzwerken rekrutiert. Ehemalige DDR-Bürger kamen nicht mehr über die Abteilungsleiterebene hinaus. Das Personalgerangel begann noch unter Detlev Karsten Rohwedder, der die sogenannte »Kopftheorie« favorisierte. Zuerst wurden die Direktoren berufen, die zogen ihre Referenten nach und die wiederum erwählten aus ihrem persönlichen Bekanntenkreis die Abteilungsleiter. Dieses Verfahren setzte sich auch beim untergeordneten Leistungspersonal und bei Honorarkräften fort. Die Fachkompetenz dieser frei gewählten Köpfe ließ oft zu wünschen übrig, nie aber deren Loyalität und Verschwiegenheit.
Spätestens nach den Säuberungsaktionen der Stasi-Behörde hatte kein Ostdeutscher mehr nennenswerten Einfluss auf die Privatisierungsarbeit. Selbst auf mittleren Leitungsposten waren Treuhandbeschäftigte mit DDR-Vergangenheit ausgesprochen rar. Nicht nur inhaltlich, auch personell war der Verkauf des Volksvermögens etwas, was Westdeutschland mit sich selbst aushandelte. Klaus Klamroth, einer der Niederlassungsdirektoren, erinnerte sich später an »einen Stall voll junger Referendare, die ihre Arbeit wie die Fortsetzung juristischer Seminare betrieben. Ich habe bis heute Verständnis dafür, dass mancher Betroffene aus Ost und West, der mit diesem ungelenken Nachwuchs zu tun hatte, |94|das Gefühl bekam, dass die Treuhandanstalt die Kommandowirtschaft ihrer Vorgänger fortsetzte. Merkwürdig ist, wie schnell Menschen, wenn sie Macht zu haben glauben, ihre Manieren verlieren und selbstverständliche Gebote der Höflichkeit vergessen können.«
Wenn es gelänge, den Ton noch einmal hörbar zu machen, den diese Leute gegenüber den ehemaligen DDR-Bürgern anschlugen, würde manchem die Schamröte ins Gesicht steigen. Niemand, der das erleben musste, wird vergessen, wie dreist auftretende Treuhandmitarbeiter die totale Macht ihrer Behörde ausnutzten und lebenserfahrene, gebildete Menschen mit ihrer Unfähigkeit und ihrem schlechten Benehmen traktierten.