Herr Schmidt aus Bernkastel-Kues
Der Beschluss der Mitgliederversammlung, die LPG Tierproduktion »Einheit« Schlanstedt aufzulösen und das verbleibende Vermögen an die Genossenschaftsmitglieder auszuzahlen, war im Beitrittsgebiet Anfang der 90er Jahre nichts Besonderes, wohl aber der von der Mosel, aus Bernkastel-Kues, nach Sachsen-Anhalt gewechselte Insolvenzverwalter. Nicht dass es Friedrich Schmidt die ins Harzvorland eingebettete 2000-Seelen-Gemeinde Schlanstedt und ihre Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft besonders angetan hätten, sein Interesse war rein beruflicher Natur. Dann aber fand der Anwalt beim Durchblättern der Rechnungsbücher DDR-Altkredite über 2,8 Millionen D-Mark. Friedrich Schmidt suchte im Unternehmensbestand nach entsprechenden Gegenwerten für ein derart hohes Kreditvolumen, fand aber kaum etwas, das mit den Krediten bezahlt wurde und sich nun, im Zuge des Vollstreckungsverfahrens, zu Geld machen ließe. Bei seinen Nachforschungen fand er heraus, dass es sich nicht um Kredite im marktwirtschaftlichen Sinne handelte, diese Schulden |55|waren untrennbar mit dem politischen System der DDR verbunden und in einer eigentumsorientierten Wirtschaft undenkbar. Zu all dem verlangten die inzwischen vom Bundesfinanzministerium an westdeutsche Geldhäuser verkauften früheren DDR-Staatsbanken nicht mehr den ursprünglich vereinbarten Zinssatz von 0,5 Prozent, sondern stellten die Kredite durch einseitige Erklärung auf marktübliche Zinsen von damals mehr als 10 Prozent um. Friedrich Schmidt, ein eigenwilliger Mann mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitsempfinden, lehnte die Bezahlung der Altkredite rundheraus ab und stellte sich damit gegen die bereits in zahllosen Fällen praktizierte, durch das Bundesfinanzministerium festgeschriebene Gesetzeslage. Ihn empörte nicht nur, dass die Bundesrepublik Deutschland mit der Übernahme der sozialistischen Schulden die Wirtschaftspolitik der DDR fortführte, ihn verbitterte geradezu, dass die Banken, denen diese Altkredite ohne eigenes Zutun in die Hände gefallen waren und die, weil für Ausfälle die Bundesregierung haftete, keinerlei Risiken trugen, auch noch immense Zinsen verlangten. Der Anwalt prozessierte durch alle Instanzen und wandte sich Ende 1993 an den Bundesgerichtshof. Als auch der Bundesgerichtshof LPG-Altschulden für rechtmäßig erklärte, war Friedrich Schmidt am Ende. Allein kam er in der Altschuldenfrage nicht weiter.