Das solidarische Opfer
Da saßen sie nun, die Noch-DDR-Bürger, die laut Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland schon immer Bundesbürger waren, zählten ihr erstes Westgeld und planten eine erste größere Anschaffung, möglicherweise einen preiswerten Gebrauchtwagen. Die Währungsunion zwischen der Bundesrepublik und der Noch-DDR war, abgesehen von kleineren, staatlich geduldeten Betrügereien, ruhig abgelaufen. Westdeutsche Spekulanten hatten sich im Hinblick auf die D-Mark-Umstellung mit reichlich Ostgeld eingedeckt. Zwischen Oktober 1989 und Juni 1990 mussten in den illegalen Wechselstuben für eine Westmark zwischen drei und neun Ostmark gezahlt werden. Dabei führte das Ein- und Ausfuhrverbot der Ostmark von vornherein zu hohen Abschlägen. In Extremfällen soll der Schwarzmarktkurs sogar bei 1 : 20 gelegen haben, fünf Pfennige West gegen eine Mark Ost. Das Geld hatten die Spekulanten auf die Konten ihrer ostdeutschen Bekannten verteilt und am Tag der Währungsumstellung zum offiziellen Kurs von eins zu zwei, eine D-Mark für zwei DDR-Mark, mit horrendem Gewinn umgetauscht. Bis heute ist unklar, warum die Bundesregierung derartige Spekulationen so wie bei der Währungsreform am 20. Juni 1948 nicht unterbunden hatte und wie damals rückwirkend einen Stichtag festlegte. Auf diese Weise wäre nur das Ostgeld in D-Mark umgetauscht worden, das bis zu dem Stichtag auf den Konten war. Ansonsten gerierten sich die Westdeutschen ausgesprochen großzügig und erinnerten ihre ostdeutschen Landsleute wiederholt und eindringlich an ihre eigene Währungsreform nach dem Krieg, wo sie sich mit einem in zwei Schritten ausgezahlten »Kopfgeld« von nur 70 D-Mark begnügen mussten und ansonsten für 100 Reichsmark lediglich 6,50 D-Mark bekamen. Immer wieder war von einem »solidarischen Opfer« die |48|Rede, bei dem die Westdeutschen den Ostdeutschen sozusagen ihr Bestes, die D-Mark, auf dem Altar der eigenen Erfolgsgeschichte darboten.