84.
Die Bells Mill Road war eine zweispurige Asphaltstraße, die die Ridge Avenue mit der Germantown Avenue verband. Am westlichen Ende, wo sie Spring Lane hieß, standen Häuser, doch die Strecke durch den Fairmount Park führte durch dunklen Wald. Als Jessica und Josh der Straße folgten, erhellten nur die Scheinwerfer die Nacht.
Unterwegs wählte Josh Bontrager zwanzig Mal die Nummer von David Albrecht, aber es ging immer nur die Mailbox an. Währenddessen drückte Jessica ständig auf die Kurzwahltaste für Byrnes Handy, mit demselben Resultat.
»Vielleicht hat Kevin sein Handy irgendwo liegen lassen«, sagte Bontrager.
Jessica dachte darüber nach. »Nein. Er schaltet es manchmal aus, aber er hat es immer bei sich. Er geht nicht ran.«
Bontrager schwieg kurz. »Ist nicht in allen Handys ein Navi eingebaut?«, fragte er dann.
Jessica wusste nicht, ob das bei allen Handys der Fall war. »Was meinst du, Josh?«
»Wenn wir es schaffen, eine offizielle Genehmigung zu umgehen, könnten wir doch Kevins Handy orten lassen, oder?«
Daran hatte Jessica auch schon gedacht. Das bedeutete aber, jemanden einzuweihen. Für sie bestand kein Zweifel, dass Kevin bereits zur Fahndung ausgeschrieben war. Die Polizei hielt nach ihm und seinem Wagen Ausschau. Wenn sie jemanden bat, ihr bei der Suche nach ihm zu helfen, bestand die Gefahr, dass etwas durchsickerte und alles ein böses Ende nahm.
Jessica schaute auf die Uhr. 22.24 Uhr. Die Zeit rannte ihr davon.
Sie hatte keine andere Wahl. Sie wusste, an wen sie sich wenden musste. Sie rief Michael Drummond an.
»Michael Drummond«, meldete er sich.
»Hallo, hier ist Jessica Balzano.«
»Hallo, Jessica. Wie geht es Ihnen?«
»Ich hoffe, ich hab Sie nicht geweckt.«
»Keine Chance. Ich bin auf einer Halloween-Party«, erwiderte er. »Was gibt’s?«
»Ich brauche eine Genehmigung für eine Handyortung.«
»Was liegt vor?«, fragte Drummond nach einem Augenblick des Schweigens.
Jessica erzählte ihm nur das Nötigste.
»Um wen geht es?«
Jessica blieb keine andere Wahl, als ihm den Namen zu nennen. »Kevin Byrne.«
Michael Drummond schwieg wieder einen kurzen Moment. »Es geht um Ihren Serienmörder?«
Jetzt war es offiziell. Wenn sie log, würde sie die Konsequenzen tragen müssen.
»Ja und nein.«
»Sie reden wie ein Politiker. Ich brauche aber mehr Informationen, wenn ich Ihnen eine Genehmigung für eine Handyortung besorgen soll. Die Sache muss dem Chef vorgelegt werden.«
Durchsuchungsbeschlüsse jedweder Art, die mit einem Mordfall zusammenhingen, mussten vom Leiter der Mordermittlungen im Büro der Bezirksstaatsanwaltschaft genehmigt werden.
Jessica hatte keine andere Wahl. »Es könnte sein, dass er in Schwierigkeiten steckt, Michael.«
Sie hörte, wie Drummond tief ein-und langsam ausatmete. »Ich brauche seine Handynummer und den Netzbetreiber.«
Jessica gab ihm die Informationen.
»Ich weiß nicht, ob ich das um diese Zeit durchkriege.«
»Verstehe.«
»Ich schau mal, was ich tun kann«, sagte Drummond. »Wo sind Sie?«
Jessica sagte es ihm.
»Sind Sie allein?«
»Detective Bontrager ist bei mir.«
»Okay. Ich ruf gleich zurück.«
Jessica beendete das Gespräch. Sie stand mitten auf der Straße in der undurchdringlichen Dunkelheit der ländlichen Vororte. Die Straße verlor sich in beiden Richtungen in der dunklen Nacht. Dunkel, verboten, unbekannt, still.