81.

Hinter der orthodoxen Kirche St Demetrios, einem langen, rechteckigen Gebäude mit Kuppel, lag ein kleiner, über hundert Jahre alter Friedhof, auf dem die Verstorbenen aus dieser Gegend beerdigt wurden. Der Friedhof war von einer halb hohen Steinmauer mit einem breiten, schmiedeeisernen Tor am Eingang umgeben. Im Scheinwerferlicht der Streifenwagen und der Zivilfahrzeuge der Detectives warfen die Grabsteine lange Schatten auf die Erde und die Mauern der Reihenhäuser zu beiden Seiten. In den flackernden Blaulichtern tanzten riesige Geister über die Mauern und bewachten die Toten.

Nicci Malone lief auf Jessica zu, als diese näher kam, und deutete auf ein junges Paar neben einem der Streifenwagen. Den beiden saß der Schreck noch in den Knochen.

»Vor etwa einer halben Stunde sind sie diese Straße hier entlanggegangen. Sie haben nicht besonders auf die Umgebung geachtet, aber als sie die Straßenecke erreichten, sahen sie, dass jemand auf die Mitte des Friedhofs zusteuerte. Es war ein Mann, der eine schwere Last auf den Schultern trug.«

»Konnten sie den Mann erkennen?«, fragte Jessica.

Nicci schüttelte den Kopf. »Auf dieser Seite war es zu dunkel. Sie beobachteten ihn aber. Der Mann ließ das große Bündel auf den Boden fallen und packte es aus. Als sie sahen, dass es eine Leiche war, wurden sie starr vor Schreck. Kurz darauf legte er ein Bein der Leiche auf einen flachen Grabstein.«

Jessica wusste, was jetzt kam. Sie schwieg.

»Die Zeugen haben gesehen, dass der Mann auf das Bein der Leiche sprang. Die Frau konnte das Knacken der Knochen noch auf der anderen Seite des Friedhofs hören.«

Der Hubschrauber eines Nachrichtensenders flog über sie hinweg. Jessica fragte sich, was für ein grotesker Anblick sich den Reportern wohl von oben bot.

»Was ist mit dem Fahrzeug? Konnten sie irgendetwas erkennen?«

Nicci schüttelte wieder den Kopf. »Die ganze Sache hat sie so mitgenommen, dass sie nicht auf Details geachtet haben. Wir sind froh, dass sie so geistesgegenwärtig waren, uns sofort anzurufen.«

Jessica sah zu den beiden Straßenecken. Sie konnte keine Überwachungskameras entdecken. In dieser Gegend war die Verbrechensquote nicht hoch und gab es auch keine große Drogenszene. Sie schaute auf die Mauern der Kirche. Auch dort sah sie keine Überwachungskameras.

Als Jessica den Friedhof betrat und auf die Leiche zuging, erkannte sie die mittlerweile vertraute Signatur des Killers. Das Opfer war ein Weißer mittleren Alters, nackt, von Kopf bis Fuß rasiert und mit einem Streifen Papier um den Kopf. Der linke Fuß lag auf einem niedrigen Grabstein. Jessica ging zu der Grabstelle, richtete ihre Taschenlampe auf den Leichnam und sah den spitzen Knochen über dem linken Knie herausragen. Ihr fielen die Zeilen aus dem Gedicht Totentanz wieder ein.

Klipp-klapp, alle hüpfen umher,
man hört das Klappern der tanzenden Skelette.

Jessica beugte sich hinunter und schob das linke Bein des Opfers wenige Zentimeter zur Seite. Dann richtete sie die Taschenlampe auf den Grabstein. Dort stand:

O THEOS NA TIN ANAPAFSI

In dem Grab ruhte Melina Laskaris.

Jessica beleuchtete die rechte Hand des Opfers. Sie lag geöffnet auf dem Boden. Auf dem Ringfinger klebte das kleine Tattoo eines Esels – das siebte Tier. Das bedeutete, dass noch eines fehlte.

Ehe Jessica Nicci Malone daran hindern konnte – und im Grunde hatte sie es auch gar nicht vor –, kniete diese sich auf den Boden und zog den blutbefleckten weißen Papierstreifen vom Kopf des Toten. Jessica schaute in das Gesicht des Opfers. Das Dreieck war komplett.

In dem Grab lag Lina Laskaris.

Ihr Mörder war Eduardo Robles.

Der Komplize, die Harmonie in dieser Horrorshow – der Leichnam mit den gebrochenen Knochen, der auf diesem verfallenen Friedhof ausgestreckt auf einem Grab lag –, war Detective Dennis Stansfield.

Echo des Blutes: Thriller
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