51. KAPITEL

Der Mann, der Richard Cooper sein würde, liebte das Hotel. Er fand, er hätte sich ein wenig Luxus verdient – nachdem er mehrere Tage unterwegs gewesen war, dazu der Druck, jemanden so exakt wie möglich nachzumachen; die Risiken, die Jagd und der entscheidende Schlag; er war einfach erschöpft. Nachdem er eingecheckt hatte, nutzte er den Fitnessraum, kam ordentlich ins Schwitzen, öffnete danach seine Poren in der Sauna, gefolgt von einem kühlen Bad mit einem feinen Peeling aus Grünem Tee, das seine Haut ganz rein und rosig machte. Er bestellte sich ein gesundes Mittagessen – Biogemüse, Papaya und Ananas, ein Stück gegrillten Lachs. Er fühlte sich so leicht und leer wie seit Tagen nicht mehr. Auf Reisen zu essen, immer in Eile, in Fastfoodrestaurants und billigen Diners, passte nicht zu seinem sonstigen Lebensstil. Er achtete auf sich. Sein Körper war sein Tempel. Er trank keinen Alkohol und rauchte nicht. Nur ganz selten nahm er Medikamente. Er hatte beschlossen, seinen Körper so zu behandeln, wie er behandelt werden sollte – nichts Unechtes, nichts Künstliches. Er aß nur frische Vollwertkost, nur Sachen, die wuchsen, gefangen oder gejagt werden konnten.

Vor allem gejagt.

Er stellte seinen leeren Teller auf den Servierwagen zurück und schob diesen in den Flur hinaus, damit der Essensgeruch nicht weiter in der Luft lag und ihm den Appetit verdarb. Er zog die Tür zu, verschloss sie dreifach und setzte sich in den luxuriösen Ledersessel, der im genau richtigen Winkel positioniert war, um fernsehen zu können. Er hatte vor, die Nachrichten anzuschauen und dann den Nachmittag über zu lesen. Vielleicht würde er auch einen kleinen Spaziergang machen, obwohl es draußen schon empfindlich kalt geworden war. Er war ein wenig enttäuscht, dass er das hier nicht schon im Sommer gemacht hatte. Der Pool des Hotels war wirklich einzigartig.

Die Fernbedienung lag in der Schublade des Eichentischchens, das in bequemer Reichweite zu seinem Sessel stand. Er schaltete den Fernseher ein. Gott sei gedankt fürs Kabelfernsehen – vierundzwanzig Stunden am Tag Nachrichtensendungen auf Knopfdruck.

Als er das blinkende rote Banner mit der Aufschrift „Eilmeldung“ über den Bildschirm flimmern sah, rutschte ihm das Herz in die Hose. Vorsichtig stellte er den Fernseher lauter und hörte zu, wie der Nachrichtensprecher seine letzten paar Tage in erstaunlicher Genauigkeit wiedergab. Das ganze Spiel war aufgeflogen.

Es war eine Sache, ohne Vorwarnung von Troy zu ihm zitiert zu werden. Das hatte ihm überhaupt nicht gefallen. Nach der ganzen Vorarbeit, die er geleistet hatte, um sein Opfer in Cincinnati perfekt zu töten, widerstrebte es ihm, seinen Plan aufzugeben. Aber jetzt zu erfahren, dass die Presse Wind von ihrem Spiel bekommen hatte, war eine ganz andere Sache.

Alle großen Sender berichteten darüber. Er zappte durch die Programme und schnappte einen Namen auf. Seinen Namen. Natürlich nicht seinen echten, so dumm war er nicht, aber den Namen, den er im Zusammenhang mit diesem Wettbewerb benutzt hatte. Der Name, auf den das Zimmer hier im Hotel lief.

Er zwang sich, ruhig zu bleiben. Er musste das Hotel sofort verlassen. Den Mietwagen würde er einfach stehen lassen. Er hatte bereits alle Fingerabdrücke beseitigt – eine Vorsichtsmaßnahme, die er jede Nacht ergriff –, und auch das Blackberry hatte er schon auseinandergenommen. Er hatte so lange überlebt, weil er nicht dumm war – obwohl er seine Intelligenz im Moment ernsthaft infrage stellte; wieso war er nur auf die Idee gekommen, sich mit einem Mann einzulassen, der offensichtlich auf einer Kamikaze-Mission war? Troy Land nannte er sich. Ein Name, der genauso falsch war wie sein aktuelles Pseudonym.

Sein Seesack war schnell gepackt. Er zog sich an. Setzte die Baseballkappe auf, die er immer benutzte, wenn er ein Gebäude betrat, um sein Gesicht vor den Kameras abzuschirmen. Er beschloss, das Bettzeug und den Bademantel mitzunehmen; auch wenn er nur auf der Bettkante gesessen hatte, könnte er irgendwelche DNA-Spuren hinterlassen haben, und das Risiko wollte er nicht eingehen. Mit einem Stück Klebeband reinigte er die Sesselkanten und den Teppich darunter. Beim Essen trug er immer Latexhandschuhe, also gab es kein Problem mit Fingerabdrücken, und das Besteck hatte er mit heißem Wasser und Seife gespült, sodass sich daran auch keine DNA mehr finden lassen sollte. Trotzdem ging er auf Nummer sicher und öffnete vorsichtig die Tür. Zum Glück hatten die Zimmermädchen den Wagen noch nicht weggeräumt. Er holte das Tablett wieder herein. Später würde er alles zusammen irgendwo verbrennen.

Der Süden gefiel ihm sowieso nicht. Hier war es viel zu ruhig. Die ganzen zirpenden Vögel und lächelnden Menschen. Sie stellten alle naselang Blickkontakt her und sprachen einen an und wurden misstrauisch, wenn man nicht antwortete. Eine sehr gefährliche Kombination. Er brauchte das düstere Großstadtleben; viele Menschen mit zu vielen Problemen, als dass sie ihm einen zweiten Blick schenken würden. Dort fiel er nicht auf. Er war ein wenig größer, mit braunen Haaren und braunen Augen. Nicht gut aussehend, aber auch nicht hässlich. Er hatte keine hervorstechenden Merkmale. Seine Haare ließ er sich in Friseurläden schneiden, bei denen man keinen Termin brauchte; seine Einkäufe tätigte er in großen Supermärkten, obwohl es da schwerer war, die Biowaren zu bekommen, nach denen es seinen Körper verlangte. Aber die Spezialgeschäfte hatten weniger Kunden und außerdem die Tendenz, sich ihre Stammkunden zu merken. Er wollte aber nicht bemerkt werden.

Er würde sich ein Auto aus dem Parkhaus borgen, nach Atlanta fahren und es dort stehen lassen. Dann würde er sich irgendeinen billigen Wagen von einem Gebrauchtwagenhändler kaufen und mit ihm nach Florida fahren. Miami. Eine Hafenstadt. Dort würde er eine Kreuzfahrt nach Südamerika buchen.

Doch er würde nicht wirklich das Land verlassen. Nein. Nachdem er die Spur gelegt hätte, würde er nach Indianapolis zurückkehren, zu der süßen Kellnerin in dem Steakhaus. Das war ein guter Ort, um neu anzufangen.

Ach ja. Das Spiel hatte Spaß gemacht, solange es gedauert hatte.

Vielleicht würde er am Büro des Zielobjekts vorbeifahren. Einfach nur, weil er es konnte. Ihr zum Abschied winken. Eine Schande. Wirklich. Es wäre lustig gewesen, ihr beim Sterben zuzusehen.