14. KAPITEL

An: Troy14@ncr.tr.com
Von: crypto@ncr.zk.com
Betreff: Denver

Lieber Troy,
lange Fahrt. Bin in Kürze da. Erwarte keine Verzögerungen.
ZK

Er war müde von der Fahrt. Das Holpern der Reifen auf der Straße machte ihn langsam verrückt. Er war zu groß für das Auto. Der verbeulte kleine Mietwagen war nicht mehr als ein Stück Plastik. Er fuhr nicht gerne. Es wäre einfacher und schneller gewesen, zu fliegen, aber er musste den Anweisungen bis aufs i-Tüpfelchen folgen. Er hatte die schnellste Route genommen – die I-5 nach Süden in Richtung L.A., dann quer rüber auf die nordöstlich verlaufende I-15. Er fuhr die Nacht hindurch und dann direkt in die aufgehende Sonne. In Vegas hatte er zwei Stunden verloren – in der Eintönigkeit der Vororte war das Haus des Opfers schwer zu finden gewesen. Aber schließlich war es ihm gelungen, und er hatte mit der von ihm erwarteten Gründlichkeit zugeschlagen.

Umbringen und abhauen – so lautete die Regel. Kein Herumspielen mit den Leichen. Was er bedauerte. Nach dem Pärchen in San Francisco und seiner Reaktion auf das Blut war er neugierig, wie es wohl wäre. Sie würden sich nicht bewegen, oder? Aber sie wären noch immer warm.

Doch das würde gegen die Regeln verstoßen.

Monotonie. Er schaltete zur Unterhaltung das Radio an. Die konservativen Talkshows gefielen ihm am besten – sie brachten sein Blut zum Kochen. Er träumte oft davon, bei einer von ihnen anzurufen und den Schweinehunden genau zu erzählen, was er gerne mit ihnen anstellen würde. Wie er sie Stück für Stück auseinandernehmen würde. Sie hatten alles – Geld, Drogen, Frauen. Dieser Limbaugh hatte sogar gerade zum zwanzigsten Mal oder so geheiratet. Und dieser englische Volltrottel Elton John hatte live auf der Hochzeit gespielt. Er hatte immer gedacht, dass Elton John ein Liberaler war – immerhin war er doch durch und durch schwul. Aber offensichtlich ließ sich jeder kaufen, wenn die Summe nur hoch genug war. Auf ihn selber traf das zumindest zu.

Weiter ging die Fahrt, seine Gedanken rasten, die Menschen im Radio lamentierten.

Die untergehende Sonne tauchte blutrot in seinem Rückspiegel auf. Der Mond erhob sich schwer und voll, kurz danach kamen die ersten Sterne, Stecknadelköpfe in der pechschwarzen Nacht, die aus ihren himmlischen Betten hervorblitzten. Für weitere Stunden vermischte sich das Licht seiner Scheinwerfer mit dem des Mondes, erhellte den Weg, die unzähligen Meilen der leeren, einsamen Straße, die vor ihm lag. Schließlich verabschiedete der Mond sich von ihm. Die Äste der Bäume hingen niedrig über den Pass, die Tunnel waren verlassen und verloren.

Als die Sonne durch den Morgennebel brach, rollte er gerade über die Rocky Mountains. Die hoch aufragenden Gipfel waren von Schnee bedeckt, die Luft wurde klar und kalt. Heute Nacht würde es einen Sturm geben; der Regen, den er in San Francisco hinter sich gelassen hatte, war auf dem Weg in die höheren Gefilde. Er musste seinen Auftrag erledigen und zusehen, dass er weiterkam und nicht in der Stadt hängen blieb. Das würde seinen Zeitplan über den Haufen werfen, und das wollte er auf alle Fälle vermeiden. Er schaute auf seine Uhr. Noch lief alles, wie es sollte.

In Conifer hielt er an, um zu tanken und sich einen Schokoriegel zu kaufen. Er brauchte die Energie, denn langsam wurde er müde. Einmal müsste er heute noch töten. Er war überrascht, wie ermüdend der Gedanke war. Beinahe langweilig. Aber nur beinahe. Das erste Mal in San Francisco – ja, das war etwas Besonderes gewesen. Er hatte dableiben und den Moment genießen wollen, noch einmal in Gedanken nacherleben, wie die Waffe in seiner Hand explodiert war, den schockierten Gesichtsausdruck auf ihren Gesichtern sehen, die Gerüche tief in sich aufnehmen, die ihre Körper verströmten. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass sie so riechen würden. Leicht verbrannt mit Spuren von Kupfer und einem feinen Hauch Urin.

Doch er hatte nicht bleiben und genießen können. Er hatte einen Plan, und an den musste er sich halten. Der Brief musste zugestellt, die nächsten Ziele ausradiert werden. Er wusste nicht, ob ihm dieses Spiel gefiel. Er fühlte sich gehetzt. Die Fahrerei, die direkt aufeinanderfolgenden Tötungen. Sein eigenes Gefühl war vollkommen außer Kraft gesetzt. Dass er sich die Opfer nicht selber aussuchen durfte, nahm ihm den ganzen Spaß an der Sache.

Doch er hatte zugestimmt, nach den Regeln zu spielen. Die Regeln zu befolgen bedeutete, dass er nicht erwischt wurde. Die Regeln bedeuteten, er könnte gewinnen und danach seinen eigenen Weg gehen, auf seine eigene Art weitertöten. Die Pistole war ihm zu unpersönlich, zu einfach. Er hatte es wirklich genossen, in Las Vegas das Messer einzusetzen. Noch vier weitere mit der Pistole, und dann war er wieder frei.

Er verschlang den Schokoriegel und trank eine Cola. Dann stieg er wieder in seinen Wagen und träumte auf der Weiterfahrt vor sich hin.

Freiheit. Wenn er gewönne, würde das Geld ihn mehrere Jahre über Wasser halten. Er brauchte nicht viel. Ein kleines Haus mit einem Keller würde reichen. Irgendwo in einer abgelegenen Gegend ohne neugierige Nachbarn. Vielleicht würde er sich eine Katze zulegen. Hunde mochte er eigentlich lieber, aber mit denen musste man spazieren gehen, und er wurde nicht gerne gesehen.

Nein, eine Katze wäre perfekt. Ein freundliches Gesicht, das ihm Gesellschaft leistete.

Und wenn alles gut lief, noch ein paar verängstigte, unfreundliche Gesichter dazu.