Kate

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Es war vier Uhr nachmittags, und Kate stand mit gestärkter Bluse und weißer Schürze an der Getreidebörse. Sie und das restliche Team von Julian Marquis PR liefen als Kellner ausstaffiert geschäftig zwischen den Buden hin und her, um dafür zu sorgen, dass alles glattlief beim ersten Pedigree-Pooch-Hundegourmetfestival. Seit halb neun hatte Kate alle Hände voll zu tun gehabt; erst mussten sie die Stände aufbauen, dann die Köche mit frischen Zutaten beliefern und anschließend Mikrofone aufstellen, damit die Festivalbesucher (und ihre Hunde) die Live-Kochvorführungen verfolgen konnten.

Um zehn begann der Ansturm der Festivalbesucher, deren ungeduldig an der Leine zerrende Hunde den Duft der Gourmetleckereien, die eigens für sie zubereitet wurden, schon in der Nase hatten. Um halb zwölf war es rappelvoll.

Auch zahlreiche Journalisten waren gekommen, einschließlich einiger überregionaler Zeitungen und eines Nachrichtenteams von ITN, das einen Beitrag für die »Zu guter Letzt«-Sparte der News drehte. Das Team hatte während des gesamten Interviews mit Geoffrey Laird von Pedigree-Pooch keine Miene verzogen und sogar todernst eine Dreiviertelstunde lang versucht, die begeisterten Reaktionen der Hunde einzufangen.

Jetzt, wo es allmählich ruhiger wurde, überkam Kate ein wohlig warmes Glücksgefühl. Die Veranstaltung hätte kaum besser laufen können. Der Kunde war entzückt, die Journalisten hatten sich amüsiert, und sie hatte bei zahllosen Hunden für ein zufriedenes Schwanzwedeln gesorgt. Alles in allem kein übler Arbeitstag.

Julian trat zu ihr.

»Gut gemacht, Kate, Darling. Du hast dich mal wieder selbst übertroffen.«

Natürlich hatte Julian sich nicht bloß als einfacher Kellner kostümiert, nein, er spielte den Oberkellner und trug sogar ein kleines Schildchen, das auf seine gehobene Position in der strengen Hierarchie der gastronomischen Hackordnung verwies. Kate hatte zunächst etwas verstimmt die Stirn gerunzelt, musste dann allerdings zugeben, dass er sich mächtig ins Zeug gelegt hatte. Er hatte Journalisten und zwei- und vierbeinige Besucher gleichermaßen umschmeichelt und war sogar unerschrocken dazwischengegangen, um zwei zähnefletschende Bernhardiner zu trennen, die beide den letzten Rum-Rosinen-Nachtisch für sich beanspruchten.

»Danke.« Kate konnte sich ein stolzes Grinsen nicht verkneifen.

»Um fünf packen wir hier ein«, brummte Julian. »Und dann gehen wir in die Star Bar gegenüber. Ich finde, wir haben uns zur Feier des Tages ein paar Drinks verdient!« Damit war er auch schon wieder weg und stürzte quer über den Platz zur Feuilletonchefin der Daily Post, die gerade mit ihrem Pudel Xavier, dem augenscheinlich leicht übel war, nach Hause gehen wollte, um beide mit großer Geste zu verabschieden. Xavier, so schien es, hatte sich etwas zu enthusiastisch in den Gourmetrummel gestürzt, und Kate war sich ziemlich sicher, dass die Dame später einen kleinen Unfall vom Teppich würde kratzen müssen.

Sie musste sich umdrehen, um ihr Grinsen zu verbergen, dann ging sie los, um die kleinen Doggie-Bags zum Mitnehmen zu verteilen.

Um halb sechs saß das gesamte Team von Julian Marquis PR dicht gedrängt in der Star Bar, stürzte gerade die zweite Runde Mojitos hinunter und gratulierte sich gegenseitig lautstark zum Erfolg des heutigen Tages. Ganz aufgekratzt von seinem kleinen Ausflug ins Rampenlicht, hatte Geoffrey sich zu ihnen gesellt, wedelte nun über seinem Kopf mit der Firmenkreditkarte herum und verlangte für alle nach mehr Champagner.

»Auf köstliches Fresschen, nimmersatte Tölen und ihre lieben, lieben Besitzer!«, prostete er den anderen lautstark zu. Dabei hatte er sogar die Krawatte gelockert; dem Mann war offensichtlich nach Feiern zumute.

Alle stießen miteinander an und grölten ihre Zustimmung.

»Ich muss sagen, Julian, mein Lieber…«, Geoffrey bahnte sich den Weg zu Julian und Kate, »…tolle Show heute. Gut gemacht.« Kate bedachte er mit einem väterlichen Lächeln. »Was hast du nur für eine clevere kleine Assistentin, die mit so einer grandiosen Idee aufwartet. Du kannst bloß hoffen, dass sie nicht bald verschwunden ist, um ein Dutzend entzückende Babys in die Welt zu setzen.«

Kate wurde stocksteif. Woher wusste Geoffrey denn, dass sie Kinder wollte? Und seine Assistentin? So sahen die Leute sie also? Ihr Blick ging zu Julian, in der Erwartung, er würde die Sache richtigstellen.

»Babys?«, schnaubte Julian verächtlich. »Dafür ist sie wohl schon ein bisschen zu alt, stimmt’s, Kate?«

Kate kam es vor, als hätte ihr jemand in den Magen geschlagen. Wie konnte Julian so etwas sagen? Sie war doch erst dreiunddreißig! Und warum erklärte er Geoffrey nicht, dass sie leitende Kundenbetreuerin war und damit quasi Julians Stellvertreterin?

Aufgebracht warf sie Julian einen mordlustigen Blick zu. Ihm fiel das gar nicht auf; er war zu beschäftigt damit, ein Minzblättchen aus seinen Zähnen zu popeln.

Plötzlich johlte die Menge begeistert auf, weil mehrere Flaschen Champagner an den Tisch gebracht wurden.

»Hallo zusammen!«, ertönte da eine vertraute Stimme von der Tür her. »Ist das hier eine geschlossene Gesellschaft, oder darf ich mich zu euch setzen?«

»Lou!«, rief Kate erleichtert. »Ich bin ja so froh, dass du da bist!«

»Freigetränke in einem exklusiven Club? Da könnten mich keine zehn Pferde davon abhalten herzukommen«, entgegnete Lou trocken. »Ooooh, ist das für mich?« Und damit nahm sie Geoffrey das Champagnerglas einfach ganz unverfroren aus der Hand und zog einen kleinen Schmollmund.

Kate musste sich abwenden, damit niemand ihr Grinsen sah. Lou trug mal wieder ihr übliches hautenges, dunkles Domina-Outfit: Dita Von Teese trifft Sarah Palin, und dazu jede Menge Lippenstift. Kate sah, wie Geoffrey bei ihrem Anblick dezent errötete.

»Und, wie ist es gelaufen?«, wollte Lou wissen.

»Großartig!«, rief Kate fröhlich und dirigierte ihre Freundin ein Stückchen von den anderen weg. »Wir haben viele Hunde sehr glücklich gemacht.«

»Amen. Und Mr Marquis?«

Die beiden Frauen drehten sich um und schauten zu Julian hinüber, der gerade zielstrebig in Richtung Herrentoilette verschwand, wobei er geschäftig in der Innentasche seines Jacketts kramte.

»Warte einen kleinen Moment …«, murmelte Kate leise, und tatsächlich, zehn Sekunden später folgte Geoffrey ihm mit erwartungsvoll bebenden Nasenflügeln.

»Für den Chef hört die Arbeit eben nie auf«, erklärte Kate sarkastisch.

»Also …« Lou wandte sich wieder ihrer Freundin zu. »Wie war der gestrige Abend? Hattest du dein Schwarzmarkt-Date mit dem Table For Two-Hochstapler?«

»Tommy? Ja, hatte ich.«

»Und sind das an deinem Kinn Bartstoppelkratzer vom Knutschen?«

Erschrocken griff Kate sich mit der Hand ins Gesicht.

»Sieht man das immer noch? Ich habe fast einen ganzen Abdeckstift draufgeschmiert!«

Lou lachte.

»Dann war dein Date also ein voller Erfolg?«

Kate bekam glänzende Augen.

»Lou, es war so ein umwerfender Erfolg, das glaubt man kaum.«

»Warte mal kurz«, fiel Lou ihr ins Wort und schenkte sich Champagner aus einer Flasche nach, die irgendwer auf Kosten des abwesenden Geoffrey bestellt hatte. »Ist der Kerl nicht genau das Gegenteil dessen, was du immer gesucht hast? Was ist denn aus dem gepflegten, gut betuchten und höher gestellten Traumprinzen geworden? Wolltest du nicht eigentlich einen Ehemann zum Angeben?«

»Ach, das!« Mit einer wegwerfenden Geste wischte Kate ihre alten Kriterien vom Tisch. »Regeln sind dazu da, dass man sie bricht.«

Lou wirkte erstaunt.

»Aber sich strikt an die Regeln zu halten ist doch deine Regel Nummer eins! Du hast mehr Zielvorgaben, Tabellen und Terminpläne in deinem Leben als jeder andere Mensch auf dieser Erde! Du bist die einzige Frau, die ich kenne, die in ihrem iPhone eine Fotogalerie ihrer besten Outfits hat!« Plötzlich wurde Lou abgelenkt. »Oooh, pass auf! Da will jemand spielen!«

Julian und Geoffrey kamen von der Herrentoilette zurück und waren offenkundig in noch ausgelassenerer Feierlaune als vorhin. Beide hatten hochrote Wangen und glänzende Augen. Julian streifte sein Jackett ab und warf sich den Kaschmirpulli über die Schultern.

»Lou, Lou, Lou.« Er schnappte sich die nächstbeste Flasche und schenkte den beiden Freundinnen nach. »Schön, dich zu sehen. Die brauchen hier dringend noch ein paar verrückte Partylöwen wie uns! Ich kann doch nicht die ganze Arbeit alleine machen!«

»Sieht aber aus, als würdest du das spielend schaffen«, stellte Lou trocken fest.

Julian lachte. »Und wenn ich das so sagen darf, Lou, du siehst mal wieder zum Anbeißen aus. Du bist mir eindeutig die liebste Freundin meiner liebsten Mitarbeiterin.«

»Das will ich aber auch hoffen!«, flötete Lou kokett und hielt Julian ihr Glas hin, damit er es auffüllte. »Du siehst aber auch … ganz … schick aus.« Zweifelnd beäugte sie den Kaschmirpulli. »Klassiker kommen ja nie aus der Mode. Und ich steh auf Männer, die nach Chappi riechen!«

Kate schnappte entsetzt nach Luft. Das schaffte wirklich nur Lou: Eine Beleidigung auszuteilen und sie auch noch wie eine Anzüglichkeit klingen zu lassen. Chappi war das mit Abstand übelriechendste Hundefutter auf dem Markt.

Julian lachte laut auf.

»Heute Abend kann mir mit Sicherheit kein Fleischfresser widerstehen.« Und damit schaute er Lou tief in die Augen.

»Wuff, wuff!«, gab sie zurück und erwiderte seinen Blick.

Entsetzt und peinlich berührt drehte Kate sich weg. Lou konnte sich doch unmöglich an Julian ranmachen, oder? Das war sicher nur ein Witz gewesen! Und Julian? Sie wusste zwar, dass Lou vor nichts und niemandem haltmachte, aber sie hatte Julian noch nie als sexuell attraktiven Mann gesehen. Mit Kundinnen flirtete er zwar immer, was das Zeug hielt, aber da ging es schließlich ums Geschäft. Und außerdem war Lou doch gar nicht sein Typ! Er war ein eingebildeter Schnösel; seine Freundinnen waren bestimmt inzuchtgeschädigte Camilla-Parker-Bowles-Doppelgängerinnen, die stämmige Ponys ritten und nur Kleidung in Karamelltönen trugen. Aber dann sah Kate, dass er verdächtig dicht neben Lou stand. Und während sie die beiden beobachtete, streckte er den Arm hinter ihrer Freundin aus und strich ihr ganz beiläufig mit den Fingern über den Po. O Gott, nein, dachte Kate, der ganz anders wurde. Bitte nicht!

Sie schaute auf die Uhr. Es war Viertel vor sechs. Tommy hatte versprochen, um sechs anzurufen. Jetzt konnte die Zeit gar nicht schnell genug vergehen.

»Du weißt ja, Hündchen treiben es wie die Karnickel«, erklärte Lou Julian schnurrend.

»Mmmm, kraul mir den Bauch und sag mir, dass ich ein böser Junge bin«, entgegnete er anzüglich.

Kate verdrückte sich unauffällig.

Eine Minute nach sechs klingelte ihr Handy. Dankbar für die Ablenkung flitzte sie nach draußen, wo es deutlich ruhiger war.

»Ich gucke gerade die Nachrichten«, begrüßte Tommy sie fröhlich, »gleich kommt ein Sonderbericht über das erste Gourmet-Hunde-Futter-Festival der Welt!«

Kate quiekte entzückt.

»Glückwunsch! Du bist die Königin der PR-Berater!«, jubelte Tommy begeistert. »Und, wie schaut es aus? Gewährst du mir noch einen Abend deiner kostbaren Zeit?«

Kate zappelte vor Freude und hatte plötzlich einen ganzen Schwarm Schmetterlinge im Bauch. Sie fühlte sich so leicht, als schwebte sie eine Handbreit über dem Bürgersteig. Tommy war besser als jede Diät, die sie je gemacht hatte.

»Dann hole ich dich um acht ab?«

»Acht ist perfekt!«

Sie legte auf, und ihr Blick fiel durch das Fenster auf Lou und Julian. Lou saß auf Julians Schoß und verschüttete gerade ein bisschen von ihrem Champagner, als sie sich nach vorne beugte, um ihm eine Geschichte zu erzählen. Mit großen Augen lauschte er ihr sehr angetan, die Nase genau auf Höhe ihrer Brüste.

Kate stand da, spielte mit dem Telefon in der Hand und fragte sich, ob sie wirklich noch mal nach drinnen zurückgehen sollte.