Kate
Würde man Zimmer mit Menschen und ihrem Charakter vergleichen, überlegte Kate, dann wäre der Empfangsraum von Pedigree Pooch ein älterer, etwas zerstreut wirkender Professor.
Der ganze Raum machte eher den Eindruck eines verstaubten Altherrenclubs, als dass man ihn für den Empfangsbereich eines Hundefutterherstellers hielt. In der Lobby von Pedigree Pooch wurde auf Tradition sehr viel Wert gelegt. Hier gab es keine minimalistischen Möbel oder hippe Kunstwerke, wie sie die Warteräume der meisten anderen Klienten von Julian Marquis PR zierten. Nein, stattdessen versanken Kate und Julian tief in zwei antiken Ledersesseln, lauschten dem hypnotischen Ticken einer Standuhr und bestaunten mit großen Augen das verstaubte Porträt der ehrwürdigen (und sich untereinander unheimlich ähnelnden) Familienmitglieder Laird, der ursprünglichen Gründer von Pedigree Pooch.
Julian putzte sich geräuschvoll die Nase. Man konnte ihm ansehen, dass er sich zu Tode langweilte, aber bei Pedigree Pooch tickten die Uhren nun mal ein bisschen langsamer als anderswo. Zehn Minuten warteten sie nun schon, mit keiner anderen Ablenkung als der Zeitung von gestern und dem Ticken der Uhr. Dabei fiel es Julian schrecklich schwer, eine Weile stillzusitzen. Er stopfte das Taschentuch wieder in die Hose, schaute Kate an, verdrehte die Augen und rutschte unruhig im Sessel herum.
Dann durchbrach plötzlich das Läuten eines Telefons die andächtige Stille. Julians Handy klingelte eigentlich ununterbrochen, weshalb es einen Augenblick dauerte, bis Kate aufging, dass es ihr eigenes Telefon war, das sich meldete. Rasch kramte sie es aus der Handtasche, wobei in der Hektik Kulis und Notizbüchlein herauskullerten.
»Hallo?«, flüsterte sie und lächelte die Empfangsdame, die sie missbilligend musterte, entschuldigend an.
»Guten Morgen! Hier ist Alice von Table For Two.«
»Oh, hallo!«, entgegnete Kate mit zusammengebissenen Zähnen. Julian spitzte schon die Ohren.
»Ah … ich nehme an, Sie können gerade nicht sprechen.«
»Exakt.« Kate bemühte sich, möglichst geschäftsmäßig zu klingen, um Julian auf eine falsche Fährte zu locken. Sie sah ihn zur Zeitung greifen und so tun, als läse er. Als Schauspieler war er eindeutig eine Niete. »Aber bitte, fahren Sie doch fort.«
»Also … ich hätte da eventuell ein Date für Sie!«
Vor Aufregung hielt Kate die Luft an.
»Er heißt Sebastian und passt wirklich hervorragend auf Ihre Beschreibung.«
»Hat er …?« Krampfhaft suchte Kate nach einer unverfänglichen Formulierung. »Hat er die Bebilderung schon abgesegnet?«
»Ja! Er hat ein Foto von Ihnen gesehen und möchte Sie so schnell wie möglich kennenlernen.«
Kates Herz machte einen Satz. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte mitten in der Rezeption einen Freudentanz aufgeführt. Doch sie riss sich zusammen, brachte stattdessen ein schmallippiges »Mhm« heraus und versuchte, das aufgeregte Kieksen in der Stimme zu unterdrücken. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Julian krampfhaft versuchte, das Gespräch mitzuhören. Er hatte sich so weit zu ihr herübergebeugt, dass er aus dem Sessel zu kippen drohte.
»Klingt nach einer sehr erfreulichen Entwicklung«, erklärte sie nüchtern.
»Dann schicke ich Ihnen per Mail ein Foto von ihm zu, und Sie schauen es sich an und sagen mir, ob er Sie anspricht. Aber vorher erläutere ich Ihnen noch kurz die weiteren Details, wenn Ihnen das recht ist, ja?«
Kate nickte stumm. Sie hatte ein Date! Ihr erstes Date! Sie war ganz kribbelig vor Aufregung.
»Er ist siebenunddreißig, und genau wie Sie Ihren Traummann beschrieben haben, ist er groß, dunkelhaarig und gut aussehend. Er ist erst seit ein paar Monaten bei uns, und sämtliche Damen aus unserer Kartei, mit denen er sich bisher getroffen hat, fanden ihn … und ich zitiere wörtlich … ›göttlich‹! Sie sagten, Sie wünschen sich jemanden, der bei der Arbeit einen Anzug trägt, eine Managerposition bekleidet und einen Oberklassewagen fährt. Nun, Sebastian ist Treuhandverwalter, womit er einige Ihrer weiteren Kriterien erfüllt. Ich weiß zwar nicht, was für einen Wagen er fährt, aber er ist gerade von einem zweiwöchigen Skiurlaub in Val d’Isère zurückgekommen, sportlich ist er also schon einmal. Ach, und Sie sagten, Sie möchten einen Mann mit schönen Zähnen, und ich kann Ihnen sagen, er hat strahlend weiße, gerade Zähne, die allesamt da sind, wo sie hingehören!«
Kate errötete, als sie hörte, wie Alice ihre Präferenzenliste herunterrasselte.
»Er hat vorgeschlagen, dass Sie sich im Privet zum Essen treffen. Kennen Sie das?«
Kate schnappte nach Luft. Ob sie das kannte? Das Privet war das angesagte Restaurant der Stadt, und die Warteliste für einen Tisch war kilometerlang.
»Himmel, ja, natürlich«, keuchte sie fast ein wenig atemlos. »Das ist, ähm … das wäre sehr wünschenswert.«
Und musste sich dabei Mühe geben, vor Vorfreude nicht zu kichern wie ein Backfisch. Neben ihr schaute Julian mit großer Geste auf seine Armbanduhr. Die Empfangsdame schien den Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen, griff zum Telefon und murmelte kaum hörbar etwas in den Hörer. Kate blieb nicht mehr viel Zeit.
»Also dann, vielen Dank«, sagte sie zu Alice. »Von mir bekommen Sie grünes Licht für das Projekt.«
»Möchten Sie nicht erst warten, bis Sie ein Foto von ihm gesehen haben?«
»Nein, das klingt alles sehr gut.«
»Prima! Dann rufe ich ihn gleich an. Soll ich ihm ausrichten, am Mittwoch um halb neun im Privet?«
Kaum dass Kate aufgelegt hatte, fragte Julian mit näselnder Stimme: »Irgendwas, das ich wissen sollte?«
»Nein, alles geregelt«, entgegnete sie lächelnd und gab sich große Mühe, ruhig und beherrscht zu klingen, während sie innerlich Purzelbäume schlug. Sie hatte eine Verabredung! Eine Verabredung mit einem großen, dunkelhaarigen, gut aussehenden Mann, der – wenn sie sich nicht sehr irrte – ein stinkreiches und überaus leckeres Sahneschnittchen zu sein schien. Und er hatte bereits ein Foto von ihr gesehen, und es hatte ihn nicht abgeschreckt! Sie hätte schreien können vor Glück. Fragend schaute Julian sie an, aber zum Glück öffnete sich just in diesem Augenblick eine schwere, eichenvertäfelte Tür, und Geoffrey Laird betrat den Raum.
»Entschuldigen Sie bitte vielmals, dass ich Sie habe warten lassen«, begrüßte er die beiden. »Es gab ein kleines Problem bei der Dosenabfüllung. Aber wir sind alle ganz begeistert von Ihren Ideen, mit denen Sie Pedigree Pooch aufmöbeln und uns ein bisschen Sexappeal verpassen wollen!«
Julian haute Kate kumpelhaft auf die Schulter.
»Geoffrey, vertrauen Sie mir«, prahlte er, »wir werden Sie nicht enttäuschen. Meine kleine Katy hier hat sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen.«
»Ausgezeichnet!«, entgegnete Geoffrey und rieb sich in freudiger Erwartung die Hände, während er seine Gäste in den Sitzungsraum führte.