Audrey

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Hayley?«, wiederholte Audrey ungläubig. »Die Tierarzthelferin mit dem krummen Finger?«

Bianca stand auf der anderen Seite von Audreys Schreibtisch, trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen und nickte nervös.

»Was um alles auf der Welt bringt Sie auf den Gedanken, die beiden könnten zusammenpassen?«

Unsicher ging Biancas Blick durch die Glaswand in das offene Büro, als suchte er dort nach einer Antwort.

»Bauchgefühl«, nuschelte sie. »Ich weiß einfach, dass die beiden ein perfektes Paar wären.«

»Na ja«, sagte Audrey erstaunt und nahm ihre Brille ab. »Ein perfektes Paar! Bianca, ich muss schon sagen, Sie verblüffen mich. Anscheinend sehen Sie etwas, das wir anderen übersehen haben. Aber was hat eine Frau wie Hayley einem Mann wie Max Higgert schon zu bieten?«

Bianca zögerte einen Augenblick und dachte angestrengt nach, als versuchte sie, sich an etwas zu erinnern.

»Wärme und Herzlichkeit. Max arbeitet den ganzen Tag hart und muss sich mit Kunden und Bauarbeitern herumschlagen. Jeder will etwas von ihm. Und wenn er dann abends nach Hause kommt, sehnt er sich nach etwas anderem. Er sucht jemanden, der sanft ist und liebevoll und nicht ständig etwas von ihm verlangt.«

Audrey knurrte missbilligend.

»Hayley ist ein sehr fürsorglicher Mensch«, redete Bianca schnell weiter. »Schließlich kümmert sie sich um kranke Tiere!«

Audrey schaute sie skeptisch an.

»Aber sie ist Tierarzthelferin. Max ist ein Erfolgsmensch. Nein, ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das gut gehen würde. Tut mir leid, Bianca, aber Sie sind auf dem Holzweg.«

»Nun, womöglich würde es genau deswegen gut gehen. Würde Max nach einer beruflich ähnlich erfolgreichen Frau suchen, dann hätte er sie doch längst gefunden. Sicher lernt er jeden Tag Dutzende solcher Frauen kennen! Vielleicht sucht er das genaue Gegenteil.«

»Was, einen Misserfolgsmenschen?«, spottete Audrey und schnaubte verächtlich. »Tja, die Beschreibung würde auf Hayley perfekt zutreffen!«

Bianca schaute wieder hinaus in das offene Büro. Aus den Augenwinkeln sah sie Alice grinsen wie ein Honigkuchenpferd.

»Bitte, Audrey. Ich habe ein sehr gutes Gefühl bei der Sache. Wenn ich mich irre, dann irre ich mich eben. Aber Max scheint mir ein netter Mensch zu sein; ich glaube kaum, dass er uns diesen kleinen Fehler übel nehmen würde.«

Audrey guckte sie mit glasigen Augen an.

»Dass er ihn mir übel nehmen würde«, korrigierte sich Bianca zerknirscht.

Audrey seufzte schwer. »Also gut«, lenkte sie schließlich ein. »Aber nur, weil Sie es sind. Ich rufe ihn gleich an.«

»Danke, Audrey!« Bianca strahlte erleichtert.

»Ja, schon gut. Und nun gehen Sie bitte wieder an die Arbeit. Ach, und seien Sie so freundlich und schicken Sie mir Alice herein.« Und schon war Bianca mit einer königlichen Handbewegung entlassen. Audrey sah nicht, wie sie Alice heimlich zunickte, als sie die Glastür hinter sich schloss.

Hayley Clarke! Nun, entweder war Bianca ein Vermittlungsgenie, oder sie hatte den Verstand verloren. Aber wenn dem Mädel so viel daran lag, dass die beiden sich kennenlernten, dann würde sich Audrey nicht querstellen. Außerdem gingen ihr langsam die Frauen für Max aus.

Es klopfte zaghaft an der Tür, und Alice schob sich herein wie ein schüchternes Mäuschen. Verlegen zupfte sie an ihrem Ensemble formloser, farbloser Strickwaren herum, ehe sie erwartungsvoll zu Audrey schaute.

»Also.« Audrey strich sich über das Haar und versuchte, sich zu konzentrieren. »Wie Sie sicher wissen, findet am Donnerstag der Ball des Berufsverbands der Partnervermittler statt.«

Alice nickte eifrig und lächelte.

»Sie haben sich doch sicher ein neues Kleid gekauft, oder?«, fragte Audrey schneidend.

»Oh ja, ein ganz entzückendes sogar!«

»Und es ist neu? Nicht aus einem Second-Hand-Shop oder so?«

Alice schaute sie verwirrt an.

»Ich habe es aus einer neuen Boutique in der King Street. Der Laden, der kürzlich von Lucy Lucinda eröffnet wurde.«

»Großartig«, erklärte Audrey mit unüberhörbarer Erleichterung. Dann schob sie geschäftig ihre Unterlagen zusammen. »Nun gut, ich wollte Ihnen nur schnell ein paar Verhaltensregeln für den Abend mit auf den Weg geben. Natürlich werde ich mit John kommen, und wir treffen uns dann dort. Sie wissen doch sicher, wo der Town and Country Golf Club ist? Ich muss darauf bestehen, dass Sie mit einem Taxi dorthin fahren, auf meine Kosten natürlich.«

»Ach, Audrey, das ist sehr nett von Ihnen, aber wirklich nicht nötig.«

»Und ob das nötig ist. Ich bestehe darauf.«

»Wenn das so ist, vielen Da…«

Audrey hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. Das war keine nette Geste. Sie wollte nur um jeden Preis verhindern, dass Alice mit dem Fahrrad auftauchte.

»Aber heben Sie die Quittung auf. Und wenn Sie Trinkgeld geben, dann bitte von Ihrem eigenen Geld. Ich bin kein Wohltätigkeitsverein.«

Alice nickte eifrig.

Schon sprach Audrey weiter. »Sie sitzen am ersten Tisch, mit John und mir, Präsident Ernie und seiner Frau Patricia, Barry Chambers von A Fine Romance und seiner Frau Eileen und Ms Toogood von Love Birds und ihrem Lebensgefährten Brad. Wollen Sie sich das nicht lieber aufschreiben? Ich möchte nicht, dass Sie mich blamieren, weil Ihnen der Name eines Ehepartners nicht mehr einfällt.«

Sofort kramte Alice in der Tasche ihrer Strickjacke, holte ein eselsohriges Notizheftchen und einen Kuli hervor und schrieb gewissenhaft alles auf.

»Ach, und dieser Neue von Love Birds sitzt auch bei uns, damit Sie einen Tischherrn haben. Ich weiß gar nicht mehr, wie er heißt. Mathis? So ähnlich.«

»Matteus?«

»Ja, genau. Und ich möchte auf keinen Fall, dass Sie ihn anschmachten und ihm schöne Augen machen. Ich habe gesehen, wie die anwesenden Damen ihn letzte Woche umschwärmt haben – wirklich abstoßend. Ich habe noch nie so unverhohlene Hormonwallungen erlebt.«

Alice musste lachen.

»Keine Sorge, er ist nicht mein Typ.«

Verdutzt schaute Audrey Alice an. Selbst ihr war nicht verborgen geblieben, wie gut Matteus aussah. Ein bisschen schleimig und etwas zu großzügig mit dem Aftershave, aber zweifellos der Typ Mann, auf den die Frauen flogen. Alice dagegen, das unscheinbare kleine Mauerblümchen, war eins von jenen Mädchen, die man vor einer Magnolientapete nicht mehr erkennen würde. »Nein, wohl kaum«, erklärte sie trocken.

»Und es wird nicht über Klienten gesprochen«, fuhr sie streng fort. »Denken Sie immer daran … Freundschaften über Agenturen hinaus gibt es nicht. Begegnen Sie jedem mit einem gesunden Misstrauen.«

Alice nickte gehorsam.

»An dieser Stelle möchte ich Sie noch mal an die Vertraulichkeitsklausel in Ihrem Vertrag erinnern. Denken Sie daran: Der Feind hört mit, junge Dame.«

Alice blinzelte, dann nickte sie wieder.

»Und in diesem Sinne möchte ich Sie auch bitten, sich beim Alkohol zurückzuhalten. Ich fände es höchst unerfreulich, müsste ich Sie betrunken sehen. Deshalb rate ich Ihnen, nach jedem Alkoholgang einen Wassergang einzulegen. Verstehen Sie?«

Alice nickte.

»Das heißt also, ein Glas Wasser auf jedes Glas Alkohol, das Sie trinken«, schwadronierte Audrey weiter. »So verlieren Sie nicht die Contenance und wir nicht unsere Klienten.«

Dann ging ihr auf, wie seltsam Alice sie anschaute. »Sonst noch was?«, erkundigte sich Alice.

Audrey fingerte an ihrer Brille herum und überlegte, ob sie noch etwas vergessen hatte.

»Nein, das wär’s.«

Stirnrunzelnd sah sie zu, wie Alice an ihren Platz zurücktrottete und wieder träumerisch zum Fenster hinausstarrte. Ihr wollte beim besten Willen nicht mehr einfallen, warum um alles auf der Welt sie ausgerechnet Alice zum Ball eingeladen hatte. Oder warum sie sich damals von Hilary hatte überreden lassen, das Mädchen überhaupt einzustellen. Das war das letzte Mal gewesen, dass sie Hilarys Rat angenommen hatte, und seitdem hatte sie es nie wieder gewagt, in Urlaub zu fahren. Das war ein großer Fehler gewesen, diese zwei Wochen in den Norfolk Broads, während derer sie Hilary die Verantwortung für die Agentur übertragen hatte. Es hatte ununterbrochen geregnet, und bei ihrer Rückkehr ins Büro hatte Alice dort am Schreibtisch gesessen und den Telefondienst übernommen. Hilary hatte wirklich alle Register gezogen, um Audrey davon zu überzeugen, dass Alice unbedingt bleiben müsse – die Mitgliederzahlen seien gestiegen und die Klienten sehr zufrieden mit ihr –, und so hatte sie sich schließlich breitschlagen lassen. Das war der erste und einzige Tag gewesen, an dem Alice ansprechend gekleidet und ordentlich frisiert ins Büro gekommen war. Kaum hatte sie einen Fuß in der Tür gehabt, schien sich ihr Bügeleisen auf mysteriöse Art und Weise in Luft aufgelöst zu haben. Und Audrey war sich nicht sicher, ob ein paar zufriedene Klienten dieses Manko aufwiegen konnten. Unglücklich beobachtete sie durch die Glaswand, wie Alice sich gedankenverloren einen Kuli aus den Haaren zog, und hoffte dabei inständig, dass das Mädchen vor dem Ball noch zum Friseur gehen würde. Ganz langsam fing Alice an, sich mit dem Kugelschreiber im Nacken zu kratzen.

Schaudernd wandte Audrey sich ab. Sie konnte das einfach nicht mehr mit ansehen.