Kate

115840.jpg

Kate lachte. Sie mochte diesen Mann.

Am Tisch ihr gegenüber saß Steve und erzählte ihr gerade eine unglaublich lustige Geschichte aus seinem Berufsleben. Sie drehte sich um mehrere peinliche Patzer, die ihm unterlaufen waren – ein Fehltritt gravierender als der andere –, weshalb sein Chef ihn letztendlich als das wertloseste Stück Scheiße, das je vor meinem Schreibtisch gestanden hat beschimpft hatte.

Kate tat schon der Kiefer weh vor Lachen. Auf jeden Fall war er ganz anders als die anderen Männer, die Alice bisher für sie ausgesucht hatte. Und dass sie bereits mehrere Gläser Gin Tonic intus hatte, schadete wohl auch nicht. Sie war entspannt und hatte das Gefühl, sich gelassen zurücklehnen und einfach nur sie selbst sein zu können. Es war ein sehr angenehmes Gefühl.

Als sie schließlich nach dem Lachanfall wieder zu Atem gekommen war, nahm Steve ihre leeren Gläser und erklärte: »Die nächste Runde geht auf mich!« Zielstrebig marschierte er zur Theke.

Kate kuschelte sich in den Sessel und schaute ihm nach. Er war toll, aber sie spürte kein Kribbeln in seiner Gegenwart.

Wobei das vermutlich noch nicht mal an ihm lag. Er erfüllte viele ihrer Kriterien; so hatte er beispielsweise einen guten Job und verstand sich hervorragend mit seiner Familie. Und ganz im Gegensatz zu den anderen Männern, mit denen Alice sich bisher getroffen hatte, war er interessant und witzig und hörte ihr aufmerksam zu, wenn sie etwas erzählte. In vielerlei Hinsicht war Steve wirklich ein guter Fang.

Und doch gab es zwei gravierende Minuspunkte, und sie konnte es kaum abwarten, diese detailliert mit Lou zu analysieren.

Der erste war schwer zu fassen, aber es war ein sehr ungutes Gefühl, das sich im Laufe des Abends noch verstärken sollte. Irgendwas war faul an der Sache. So offen und selbstironisch er auch sein mochte, er verheimlichte ihr etwas. Diese lustigen kleinen Anekdoten waren wirklich genial und umwerfend witzig, aber irgendwie wirkte das alles zu geleckt. Es kam einem so … ja, was eigentlich? So gestellt vor! Als hätte er diese Geschichten alle schon erzählt. Und zwar etliche Male.

Aber eine Geschichte mehrmals zu erzählen ist schließlich kein Verbrechen, argumentierte Kate. Das tut doch jeder, vor allem wir Frauen. Ein Erlebnis wird doch erst real, wenn man es mindestens zehn seiner Freunde bis in die kleinste, noch so peinliche Einzelheit berichtet hat. Nein, es lag wohl eher daran, dass Steves Erzählweise zu perfekt war. Nie verhaspelte er sich oder brachte irgendwas durcheinander. Er kam einem vor wie ein Komiker, der sein Programm abspult. Aber sein Publikum bestand nur aus einer einzigen Person … ihr.

Kate sah, wie Steve dem Barkeeper winkte und die Getränke bestellte.

Der zweite Grund, warum sie nicht auf ihn stand, war sein Gesicht. Sie gab es zwar nur ungern zu, aber er war ihr einfach nicht gut aussehend genug. Zugegeben, das klang wirklich grässlich – und war etwas, das sie nur Lou gestehen würde, aus Angst, jeder andere müsste sie für schrecklich oberflächlich halten –, aber sie konnte einfach nicht aus ihrer Haut. Sie wünschte sich einen Freund, der so hübsch war, dass man tot umfallen wollte. Und bei Steve wollte man zwar tot umfallen, aber ganz bestimmt nicht, weil er so umwerfend gut aussah. Sie fand, den Mann fürs Leben sollte man sich gerne ansehen … schließlich war es für den Rest des Lebens.

Seltsam eigentlich, dass Alice ausgerechnet Steve vorgeschlagen hatte, dachte Kate plötzlich. Schließlich wusste sie im Grunde ganz genau, was für einen Mann Kate suchte und dass eine ansprechende Optik ganz oben auf ihrer Liste stand. Harvey, mit dem Kate am Abend zuvor ausgegangen war, hatte genauso umwerfend ausgesehen wie Sebastian und Michael, obwohl er ein wenig schwer von Begriff gewesen war und nicht viel von der Welt um ihn herum mitzubekommen schien. Kate war ganz baff gewesen, als er ihr erzählte, er lese weder Zeitung noch schaue er fern.

»Und wie informierst du dich dann über das aktuelle Weltgeschehen?«, hatte sie erstaunt nachgefragt.

»Was gibt es da schon viel zu wissen?«, hatte er geantwortet und träge gegrinst.

Gut informiert war Harvey hingegen, was den Gewinner der letzten Reality-Show anging oder für welche Jeans von Dolce & Gabbana es die längste Warteliste gab. Welche politische Partei jedoch gerade an der Macht war, welcher Schriftsteller kürzlich einen aufsehenerregenden Roman veröffentlicht hatte oder welcher Lebensmittelskandal aktuell die Schlagzeilen der Zeitungen beherrschte, davon hatte er nicht den blassesten Schimmer.

So war Kate ehrlich erleichtert gewesen, als sie Steve traf, denn er war vollkommen anders als die anderen Männer, die sie bisher durch Table For Two kennengelernt hatte. Er war weder egozentrisch und arrogant noch unhöflich, weder von seiner Arbeit besessen noch arbeitsscheu oder ein Hans-guck-in-die-Luft. Weder telefonierte er während ihrer Verabredung noch gab er ihr das Gefühl, dumm oder dick zu sein. Zum ersten Mal musste Kate sich ernsthaft fragen, ob sie mit den Kriterien, die sie Alice genannt hatte, nicht womöglich auf dem Holzweg war. Doch dann ging ihr Blick zu Steves blassem, glänzendem Gesicht, den kaum vorhandenen Wimpern und den abstehenden Ohren, und sie wusste, neben diesem Gesicht wollte sie einfach nicht aufwachen.

Und außerdem war da immer noch dieses seltsame Gefühl, das sich einfach nicht abschütteln ließ …

Steve kam zurück und stellte mit großer Geste zwei doppelte Gin Tonic auf den Tisch. Kate lächelte. Er war nett, aber als ihr neuer Freund kam er nicht infrage. Oder als Ehemann. Oder als Vater ihrer zukünftigen Kinder. Er war witzig und brachte sie zum Lachen, mehr aber auch nicht. Doch nach den desaströsen Verabredungen der vergangenen Wochen war sie wild entschlossen, diesen Abend in vollen Zügen zu genießen.

Darum nahm sie ihr Glas und trank einen großen Schluck.