KAPITEL 90
Joe Knox war ein kräftiger Mann, der mit fünfzig noch immer wie der College-Footballspieler gebaut war, der er einst gewesen war. Er und Stone hatten ohne Verfahren oder Verurteilung zusammen in einem Hochsicherheitsgefängnis gesessen. Ein abtrünniger CIA-Vorgesetzter, wie sich später herausstellte, hatte Knox den Auftrag erteilt, Stone zur Strecke zu bringen. Stattdessen hatten die beiden Männer eine dauerhafte Freundschaft entwickelt, als sie die Gefängnistortur gemeinsam überstanden hatten, weil sie einander respektierten.
»Ich habe alles verfolgt«, sagte Knox, als sie sich in Stones Häuschen hinsetzten. »Entweder in der Zeitung oder durch den offiziellen oder inoffiziellen Klatsch bei der Agency.« Alex Ford hatte Knox’ Tochter geholfen, ihren Vater zu finden, als man ihn entführt und ins Gefängnis gesteckt hatte. Das hatte Knox nie vergessen. Seine Miene verriet deutlich sein Verlangen, jene Leute zur Rechenschaft zu ziehen, die Alex an den Rand des Todes gebracht hatten.
»Dann lass uns keine Zeit verschwenden«, erwiderte Stone. »Welches mexikanische Kartell hat kürzlich große Geldsummen durch die karibischen Banken geschleust und dann eine Bezahlung in Höhe von einer halben Milliarde Dollar rückgängig gemacht?«
»Das ist gar nicht gut, Oliver.«
»Carlos Montoya?«
Knox nickte. »Als die Russen sich reindrängten, haben sie seine Mutter, seine Frau und seine drei Kinder aufgeschlitzt und in einen Straßengraben geworfen. Sie haben nichts füreinander übrig. Montoya hat seine Basis irgendwo in den Außenbezirken von Mexiko City. Auch wenn sein Geschäft um ungefähr neunzig Prozent geschrumpft ist, hat er noch immer auf der ganzen Welt Leute und Einfluss.«
»Das könnte unseren Zwecken dienen. Friedman muss absolute Vorsicht walten lassen, was ihre Flucht behindern wird.«
Knox dachte darüber nach. »Sie hat auch noch ein anderes Problem.«
»Sie braucht Schutz.«
»Offensichtlich, aber den wird sie nicht von den Latinos bekommen. Von denen hilft ihr keiner gegen einen Mann wie Montoya. Und amerikanische Profis werden sich vermutlich von ihr fernhalten. Sie werden nicht gern in Attentatsversuche auf den Präsidenten verwickelt. Die Strafen sind zu heftig, und es machen zu viele Bundesagenten Jagd auf einen. Sie könnte sich an die Osteuropäer wenden. Den Russen ist es scheißegal, mit wem sie sich anlegen. Oder vielleicht auch an die Ostasiaten.«
»Das heißt, wir müssen herausfinden, ob in den letzten paar Tagen ein halbes Dutzend oder mehr von denen unerkannt ins Land geschlüpft sind. Kannst du das herausfinden?«
»Selbst an einem schlechten Tag«, erwiderte Knox. Er hielt inne und betrachtete seine Hände. »Wie ist Alex’ Prognose?«
»Nicht sehr gut«, gestand Stone.
»Er ist ein erstklassiger Agent und feiner Kerl.«
»Ja«, sagte Stone, »das ist er.«
»Er hat uns den Hintern gerettet.«
»Und das bedeutet, dass wir es auf die richtige Weise zu Ende bringen müssen. Für ihn.«
Knox stand auf. »Innerhalb der nächsten sechs Stunden habe ich etwas für dich.«
Nachdem sein Freund gegangen war, verließ Stone sein Häuschen und spazierte über die Wege zwischen den Gräbern. Er kam zu einer Bank unter einer weit ausladenden Eiche und setzte sich. Einen engen Freund hatte er bereits verloren. Jeden Augenblick konnten es zwei sein.
Er betrachtete einen der alten Grabsteine. Auf einem Friedhof gar nicht weit von hier entfernt lag Milton Farb unter der Erde. Vielleicht würde Alex ihm bald folgen.
Marisa Friedman oder er. Sie würden das nicht beide überleben. Nicht nach dem, was diese Frau getan hatte.
Entweder würde Stone dieses Schlachtfeld lebend verlassen oder Friedman. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.