KAPITEL 16
Stone und Chapman zückten ihre Dienstmarken und konnten den Sicherheitskordon um den Park durchdringen.
»Was zuerst?«, fragte Chapman.
Stone deutete auf einen Mann, der von mehreren Anzugträgern umgeben war. »Gehen wir direkt an die Spitze.«
Sie zeigten erneut ihre Ausweise vor. Als der Mann sah, von welcher Behörde Stone war, winkte er ihn und Chapman zur Seite, damit sie sich ungestört unterhalten konnten.
»Tom Gross, FBI«, sagte er. »Ich bin der Leiter dieser Ermittlung und arbeite für die Antiterroreinheit.« Gross war Ende vierzig, etwas kleiner und stämmiger als Stone, mit schütterem Haar und ernstem Gesichtsausdruck.
»Wir sind hier, weil …«, setzte Stone an.
»Ich habe einen Anruf bekommen«, unterbrach Gross ihn. »Sie können mit der vollen Kooperation des FBI rechnen.« Er sah Chapman an. »Freut mich, dass Ihr Premierminister unverletzt geblieben ist.«
»Danke«, erwiderte Chapman.
»Hat schon irgendwer die Verantwortung übernommen?«, fragte Stone.
»Noch nicht.«
Gross führte sie zum Ursprungsort der Explosion, während Stone ihm erklärte, dass er sich gestern Abend im Park aufgehalten hatte. Während sie im Weißen Haus gewesen waren, hatte die Anzahl der kleinen bunten Fähnchen, die anzeigten, wo Beweisstücke gefunden worden waren, beträchtlich zugenommen.
»Die Medien haben sich natürlich auf diese Sache gestürzt«, sagte Gross, »obwohl es uns gelungen ist, sie vom Tatort fernzuhalten. Das ist wirklich ein verdammter Schlamassel. Wir mussten alle Läden im Umkreis von einem Block um den Park schließen. Eine Menge angefressener Leute.«
»Da bin ich mir sicher«, sagte Stone.
»Der Direktor hat eine Pressekonferenz einberufen, in der er sehr wenig gesagt hat, weil wir noch nicht viel wissen. Der ADIC wird sich über das MR-Büro mit dem Rest der Medien befassen«, fügte er hinzu, wobei er sich auf den verantwortlichen Assistent Director und das Media Relations-Büro des FBI bezog. »Wir übernehmen die Ermittlungen vom ATF, das aber bei der Bombe am Ball bleiben wird.«
Stone musterte Gross. »Dann sind Sie zu dem Schluss gekommen, dass es sich um einen internationalen und keinen nationalen Terrorakt handelt?«
»Nein, das kann ich nicht behaupten«, gestand Gross ein. »Wir ziehen die Ermittlungen wegen der geografischen Nähe und der Anwesenheit des Premierministers an uns.«
»Klar«, sagte Stone. »Haben Sie sich das Überwachungsvideo des Parks vom vergangenen Abend angesehen?«
»Wir haben es in der mobilen Kommandostelle abgespielt. Leider wurden die verdammten Kameras bei der Explosion beschädigt. Das überrascht mich, denn wir haben ungefähr ein Dutzend Aufzeichnungsgeräte installiert und mit Agenten von wahrscheinlich fünf verschiedenen Behörden bemannt. Vielleicht war die Bombe aus irgendeinem Grund so entworfen, dass sie die Geräte blockiert hat.«
Stones Miene blieb bei diesem Kommentar unergründlich. Das FBI hatte eindeutig keinen Zugang zu der ungeschnittenen Aufzeichnung. Stone speicherte die Information erst einmal ab. »Woher kamen die Schüsse?«, fragte er.
Gross zeigte auf das nördliche Ende des Parks. »Der Dachgarten des Hay-Adams-Hotels. Wir haben eine Menge Patronenhülsen gefunden. Sie stammen von einer TEC-9.«
»Interessante Waffenwahl«, sagte Stone.
»Wieso?«, fragte Gross.
»Begrenzte Reichweite. Ungefähr fünfundzwanzig Meter. Was kürzer ist als die Höhe, aus der sie heruntergeschossen haben. Und es ist nicht leicht, mit einer TEC-9 etwas zu treffen, was nicht direkt vor einem steht.«
»Tja, sie haben auch nichts getroffen.«
»Aber Sie haben keine Waffen gefunden?«, fragte Stone.
Gross schüttelte den Kopf.
»Wie ist das möglich?«, fragte Chapman. »Laufen die Leute in den Vereinigten Staaten einfach mit Maschinenpistolen unter dem Arm herum? Ich dachte, die englische Presse hätte das frei erfunden.«
»Da bin ich mir noch nicht sicher. Und nein, die Leute laufen hier nicht mit Maschinenpistolen unter dem Arm herum«, sagte Gross ungehalten. »Das Hotelpersonal kooperiert mit uns. Der Dachgarten ist beliebt, aber nicht schwer gesichert. Natürlich haben wir das Hotel bis zum Abschluss der Ermittlungen geschlossen. Wir haben sämtliche Gäste auf dem Gelände festgehalten und verhören sie zurzeit.«
»Waren die Waffen ferngesteuert, oder haben menschliche Finger die Abzüge betätigt?«, fragte Stone.
»Wenn sie ferngesteuert waren, sind alle Spuren beseitigt worden. Momentan gehen wir davon aus, dass Menschen in die Sache verwickelt sind.«
»Sie haben das Hotel abgeschottet?«
»Ja, aber es gab eine Zeitlücke«, gestand Gross ein.
»Wie lange?«
»Hier herrschte ein paar Stunden ein ziemliches Chaos. Als bestätigt wurde, dass die Schüsse vom Dachgarten abgegeben wurden, haben wir das Hotel abgeriegelt.«
»Also hatten die Schützen genug Zeit, das Hotel zu verlassen und ihre Waffen mitzunehmen?«
»Mehrere Maschinenpistolen sind nicht gerade unauffällig«, sagte Gross.
Stone schüttelte den Kopf. »Wenn man weiß, was man tut, kann man eine TEC-9 sehr schnell zerlegen und in eine Aktentasche packen.«
»Wir haben das Hotel so schnell abgeriegelt, wie wir konnten. Aber es ist, wie es ist.«
»Und nun hoffen Sie, dass jemand sich erinnert, wie mehrere Leute das Hotel mit ein paar sperrigen Koffern verlassen haben?«, fragte Chapman.
Gross schaute nicht besonders zuversichtlich drein. »In dem Hotel ging gerade eine Veranstaltung zu Ende. Offensichtlich haben just zu diesem Zeitpunkt eine Menge Leute mit Aktentaschen das Hotel verlassen.«
»Das war kein Zufall«, sagte Stone. »Das war gute Vorbereitung.«
Ein Mann in einem Chemikalienschutzanzug kam zu ihnen und zog die Kopfbedeckung ab. Gross stellte ihn als ATF-Agent Stephen Garchik vor.
»Haben Sie was gefunden?«, fragte Gross.
»Nichts, was Sie umhauen wird«, sagte Garchik.
Stone blickte zu den Fähnchen hinüber. Es gab orangerote und weiße. Die orangefarbenen waren bei Weitem in der Überzahl und ziemlich gleichmäßig im Park verteilt. Die weißen befanden sich fast ausschließlich auf der westlichen Seite.
»Die orangeroten Fahnen zeigen Bombentrümmer an, die weißen die Kugeln, die Sie gefunden haben?«, fragte Stone.
Garchick nickte. »Ja. Offensichtlich gab es viel mehr Bombentrümmer als Kugeln. Sie wurden vom Explosionsort weggeschleudert.«
»Um was für einen Sprengstoff handelt es sich, Agent Garchik?«, fragte Stone.
»Sagen Sie ruhig Steve zu mir. Ist noch zu früh, um das zu sagen. Aber der Größe des Trümmerfelds und des Schadens an der Statue nach zu urteilen war es ziemlich starkes Zeug.«
»C-4, oder vielleicht Semtex?«, fragte Chapman. »Beide können schon in relativ kleinen Mengen schwere Schäden anrichten.«
»Tja«, sagte Garchik, »das ist ein verdammt großer Schaden für eine Stange TNT oder sogar ein Pfund Semtex. Vielleicht war es eine Mischung aus bestimmten Komponenten. Möglicherweise HMX oder CL-20. Dieses Zeug ist unheimlich stark. Es gehört zu den stärksten nicht nuklearen Sprengstoffen. Aber höchstwahrscheinlich war es kein militärisches Material.«
»Woher wissen Sie das?«, fragte Stone.
»Weißer Rauch auf dem Video«, warf Chapman ein. »Das Zeug vom Militär hat eine Ölgrundlage und hinterlässt schwarzen Rauch. Weiß bedeutet normalerweise, der Sprengstoff stammt aus dem freien Handel.«
Der ATF-Agent lächelte anerkennend. »Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht. Wir sammeln gerade Rückstände vom Explosionsort, tüten sie ein und markieren sie.« Er deutete auf zwei stattliche schwarze Labradore, die mit ihren Hundeführern über das Gelände gingen. »Roy und Wilbur«, sagte er. »So heißen die Hunde. Hunde sind die billigsten und zuverlässigsten Bombendetektoren auf der Welt. Einer meiner Hunde kann einen ganzen Flughafen in ein paar Stunden durchsuchen. Da werden sie mit dem Park in null Komma nichts fertig sein. Sie werden Bombenrückstände finden, die meine Leute nicht mal mit unserer modernen Technologie entdecken.«
»Beeindruckend«, sagte Chapman.
»Es gibt keine Geräte«, fuhr Garchik begeistert fort, »die sich mit einer Hundenase messen können. Menschen haben etwa 125 Millionen Riechzellen in den Nasenwegen, unsere Labradore doppelt so viele. Wir werden alle Funde ins Fire Research Center in Maryland bringen. Wir können dort ein dreistöckiges Gebäude abfackeln und haben einen abgeriegelten Bereich, der groß genug ist, um jedes Molekül aufzufangen, das bei der Verbrennung entsteht. Wir werden genau sagen können, was hier benutzt wurde.«
»Ist vom Mann im Loch etwas übrig?«, fragte Stone.
Garchik nickte. »Bomben schleudern Rückstände in einem Umkreis von dreihundertsechzig Grad davon. Wir haben Leichenteile aus den Kronen der umliegenden Bäume geborgen. Zwei, drei Häuserblocks entfernt. Fanden den Teil eines Fußes auf dem Rasen des Weißen Hauses, den Teil eines Zeigefingers auf dem Dach der St. John’s Church. Und wir haben Gewebe gefunden, Hirnmasse, das Übliche. Mehr als genug DNS. Wenn der Typ in irgendeiner Datenbank verzeichnet ist, werden wir bald alles über ihn wissen.« Er nickte zum NRT-Truck hinüber. »Natürlich haben wir zuerst die Gegend abgeriegelt und unsere Hunde reingeschickt.«
»Nachfolgende Anschläge?«
»Genau. Das haben sie im Irak und in Afghanistan zur Kunstform erhoben. Man zündet eine Bombe, alle eilen herbei, um zu helfen, und man lässt eine zweite Bombe hochgehen, um die Ersthelfer zu töten. Aber wir haben nichts gefunden. Und unsere Labradore sind außergewöhnlich«, fügte Garchik stolz hinzu. »Die meisten von ihnen haben eine Ausbildung als Polizeihund und können neunzehntausend verschiedene Explosivstoffe riechen, die auf den fünf großen Gruppen von Explosivstoffen basieren, darunter chemische Verbindungen. Wir benutzen zur Ausbildung Futter. Labradore sind Landhaie, die tun alles für Futter.«
»Man kann sie nicht täuschen?«
»Drücken wir es mal so aus. Roy da drüben hat ein zehn Quadratzentimeter großes Stück C-4 gefunden, das schaumversiegelt und in eine Plastiktüte eingewickelt unter schmutzigen Windeln und Kaffee in einer mit Beton ausgegossenen Kiste lag, die in einem Lagerraum stand. Und er hat dafür ungefähr dreißig Sekunden gebraucht.«
»Wie ist das möglich?«, fragte Chapman.
»Gerüche entstehen auf molekularer Ebene. Man kann sie nicht versiegeln, so sehr man sich bemüht. Behälter aus Plastik, Metall oder so ziemlich jedem anderen Material können keine Moleküle einschließen, weil sie durchlässig sind. Man kann feste und flüssige Stoffe, sogar Gase darin aufbewahren, aber Geruchsmoleküle sind etwas ganz anderes. Sie durchdringen diese Substanzen. Wenn die Nachweismethode empfindlich genug ist, spielt es keine Rolle, was die Bösen unternehmen. Ausgebildete Bombensuchhunde haben eine olfaktorische Kapazität, die nach menschlichem Ermessen nicht zu täuschen ist. Und glauben Sie mir, eine Menge Leute haben das versucht.«
»Wissen Sie schon, wie die Bombe gezündet wurde?«, fragte Gross.
Der ATF-Agent zuckte mit den Achseln. »Die Dreierregel. Um eine Bombe zu bauen, braucht man einen Schalter, eine Energiequelle und den Sprengstoff. Bomben sind im Prinzip ein Etwas, das sich mit extrem hoher Geschwindigkeit gewaltsam ausdehnen kann, während es sich in einem begrenzten Raum befindet. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, eine Bombe zu zünden, aber die beiden grundlegenden sind die mittels eines Zeitmessers und einer kontrollierten Detonation, wie wir es nennen.«
»Das heißt, die Person, die die Detonation auslöst, ist anwesend?«, fragte Chapman.
»Entweder der Bombenattentäter selbst oder eine andere Person. Und die soll den Anschlag normalerweise dagegen absichern, dass der Bombenattentäter kalte Füße bekommt. Wahrscheinlich die Hälfte aller Bomben bei den Selbstmordattentaten im Irak werden aus diesem Grunde von einer dritten Partei gezündet.«
»Ich nehme an, Sie waren dort«, sagte Gross.
Garchik nickte. »Viermal. Und ich hoffe, dass ich nicht dorthin zurückmuss.«
»Wo war denn nun die Bombe?«, fragte Stone. »Hat der Jogger, der in die Luft geflogen ist, sie bei sich gehabt?«
»Das halte ich für unmöglich«, erwiderte Garchik.
»Warum?«
»Er ging zu den Hunden.«
»Was?«, sagte Gross.
»Kommen Sie mit, ich zeige es Ihnen.«