KAPITEL 74

»Schön, Sie wiederzusehen«, sagte Marisa Friedman, als sie sich an den Tisch im Restaurant setzte. Annabelle und Caleb saßen ihr gegenüber.

»Ich sagte doch, dass wir in Verbindung bleiben«, erwiderte Annabelle knapp.

»Wir finden es unglaublich spannend, diese Angelegenheit mit Ihrer Hilfe weiterzubringen«, sagte Caleb.

Friedman legte die Serviette auf den Schoß. »Und ich kann es kaum erwarten, mit Ihnen daran zu arbeiten. Ich habe bereits ein paar vorläufige Erkundigungen eingeholt, und die Zeit ist definitiv reif für Ihr Geschäftsmodell.«

Sie aßen und redeten über das Geschäft. Als sie das Restaurant verließen, bog eine Mercedes-Limousine um die Ecke.

»Wir können Sie nach Hause fahren«, bot Caleb an.

»Das ist nicht nötig«, erwiderte Friedman. »Ich wohne draußen in Virginia.«

Caleb ergriff ihre Hand und küsste sie. »Das macht keine Mühe. Tatsächlich wäre es mir ein Vergnügen.«

Annabelle hielt die Tür auf. Friedman stieg ein. Kaum hatte sie sich gesetzt, schlug Annabelle hinter ihr die Tür zu, und die Limousine jagte los.

Blitzartig griff Friedman nach dem Türriegel, aber der war verschlossen. Erst jetzt wurde sie sich einer Person zu ihrer Linken bewusst und schnellte herum.

Ein Mann starrte sie an.

»Was hat das zu bedeuten, verdammt?«, fragte sie. Dann erkannte sie den Mann, und ihr stockte der Atem. »Stone?«

Stone deutete auf die Fahrerin. »Das ist Mary Chapman, meine Partnerin. Ich bin sicher, man hat Sie über sie unterrichtet.«

Chapman winkte kurz, bevor sie in die nächste Straße einbog.

»Soll das eine Entführung sein?«, fragte Friedman.

»Nein, wir treffen uns mit Ihnen.«

Sie runzelte die Stirn. »Leute, die sich mit mir treffen wollen, machen normalerweise einen Termin.«

»Wir brauchen Ihre Hilfe, und wir wollten unauffällig danach fragen.«

»Ich dachte, Direktor Weaver hätte Ihnen verboten, in meine Nähe zu kommen.«

»Darum fragen wir ja auch unauffällig.«

Friedman lehnte sich zurück und dachte nach. In ihrem Blick war keine Spur von Furcht zu entdecken. »Also weiß Weaver nichts davon?«

»Immer nur die notwendigen Informationen. Und im Augenblick muss er es nicht wissen.«

»Interessante Theorie, wenn man bedenkt, dass er die Geheimdienste dieses Landes leitet.«

»Wie Sie wissen, haben wir großes Interesse an Turkekul.«

»Da sind Sie nicht der Einzige.«

»Sie haben herausgefunden, dass er ein Verräter ist, haben Sie mir gesagt. Wann genau haben Sie entdeckt, dass er Doppelagent ist?«

»Sie können mir ja erzählen, dass Riley Weaver Sie eingeweiht hat, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich es glauben muss.«

»Menschen sterben in alarmierendem Tempo«, sagte Stone.

Friedman zuckte mit den Achseln. »Das ist ein gefährliches Geschäft.«

»Und wir glauben, dass sich Turkekul im Epizentrum dieses Geschäfts befindet.«

Friedman zögerte. »Dieser Einschätzung würde ich nicht widersprechen. Aber …«

»Trotzdem macht er ohne die geringsten Probleme weiter«, unterbrach Chapman sie.

Friedman schaute zuerst sie, dann Stone an. »Ich befolge Befehle. Ich mag vielleicht nicht immer damit einverstanden sein, aber ich befolge sie.«

»Immer?«, wollte Stone wissen.

»Wäre es nicht so, würde ich in diesem Geschäft nicht lange überleben.«

»Haben Sie nicht gelernt, gelegentlich selbstständig zu handeln, um einen Auftrag zu erfüllen?«

Friedman schlug die Beine übereinander und verschränkte die Arme unter der Brust. »Haben wir ein bestimmtes Ziel?«

»Wir sehen uns nur die Stadt an. Plaudern ein bisschen.«

»Woran denken Sie?«

»Machen Sie sich Sorgen?«

»Verdammt noch mal, wer würde sich denn keine Sorgen machen?«, fauchte sie. »Nach meiner Zählung sind mindestens ein Dutzend Menschen ermordet worden. Scharfschützen, Bombenexplosionen, Hinrichtungen. Alles auf amerikanischem Boden!«

»Also helfen Sie uns?«

»Das kann ich nicht versprechen«, sagte sie geradeheraus. »Ich muss erst wissen, wie Ihr Plan aussieht.«

»Turkekul muss mit uns sprechen.«

»Das wird er. Über alles, was Sie nicht wissen wollen. Er ist der verschlossenste, nervtötendste Geheimniskrämer, der mir jemals begegnet ist, und das will viel heißen.«

»Er will nur überleben. Und das tut man, indem man niemandem vertraut.«

»Dann verraten Sie mir doch bitte, wie Sie ihn zum Reden bringen wollen. Denn ich habe es nicht mal annähernd geschafft.«

»Ich glaube, mit Ihrer Hilfe könnten wir es schaffen.«

»Ich habe mich nicht bereit erklärt, überhaupt etwas zu tun. Ich sollte über unseren Kontakt sofort Meldung erstatten. Und falls Weaver herausfindet …«

»Aber Sie werden es nicht melden.«

Sie blickte ihn herablassend an. »Woher wollen Sie das wissen?«

»Weil ich sehe, dass Sie diesen Kerl erwischen wollen.«

»Ich wollte diesen Kerl immer schon erwischen. Aber meine Vorgesetzten wollen seine Hintermänner. Das habe ich Ihnen doch erklärt. Ohne sie ist Turkekul wertlos. Ginge es nur um ihn, gäbe es kein Problem. Er würde einfach sterben.«

»Und Sie sind sich sicher, dass es nicht hilfreich wäre, wenn Sie ihn ausschalten?«, vergewisserte sich Chapman.

»Es brächte überhaupt nichts. Die Russen haben ein Dutzend Fuat Turkekuls auf der ganzen Welt verteilt. Und wenn wir unser Blatt zeigen, machen wir eine Gelegenheit zunichte, die es vermutlich nie wieder geben wird. Das ist das Problem bei dieser Mission. Wenn wir Fuat direkt nach Moskau folgen und eine eindeutige Verbindung zwischen der dortigen Regierung und dem russischen Drogenkartell nachweisen können, würden meines Erachtens selbst Russlands Bürger aufhorchen. Die UN würde es mit Sicherheit, genau wie der Rest der freien Welt. Und Russland bliebe keine andere Wahl, als ganz schnell die Finger von seinen grandiosen Plänen zur erneuten Weltherrschaft zu lassen, die es dieses Mal mit Kokain und Heroin erreichen will statt mit Gewehren und Panzern.«

»Ich verstehe seinen Wert jetzt besser. Sie haben die Situation sehr gut erklärt«, sagte Stone.

Sie schaute auf. Ihre Blicke trafen sich.

»Raten Sie mal, wie alt ich bin«, sagte sie.

Stone musterte sie. »Fünfunddreißig?«

»Legen Sie noch zehn Jahre drauf.«

Er schien überrascht. »Für einen so riskanten Beruf haben Sie sich erstaunlich gut gehalten.«

»Äußerlich vielleicht«, erwiderte sie. »Drinnen sieht es ganz anders aus.« Sie blickte ihn an. »Warum glaube ich, dass wir im selben Boot sitzen?«

»Ich glaube, dass man mir mein Alter ansehen kann.«

»Die meisten Männer in Ihrem Alter sind fett und krumm. Sie sehen aus, als könnten Sie den Hindernisparcours der Marines in Quantico absolvieren, ohne dabei einen Tropfen Schweiß zu vergießen.«

Chapman musterte die beiden nervös im Innenspiegel. »Um wieder zum Thema zurückzukommen«, sagte sie schnell, als die beiden einander weiterhin anstarrten.

Friedman ignorierte sie. »Habe ich eigentlich erwähnt, dass ich John Carrs Laufbahn beim Militär und der CIA eingesehen habe? Die unglaublichen Dinge fand ich aus irgendeinem Grund am glaubhaftesten.«

»Ich habe meinen Job erledigt. Genau wie Sie.«

»Nur wenige Leute haben ihren Job wie Sie erledigt. Sie sind mehr als nur eine Legende, John Carr. Sie sind beinahe schon ein Mythos.«

»Ich bin aus Fleisch und Blut. Das war mir von Anfang an sehr deutlich.« Er berührte das Pflaster auf der Kopfwunde. »Und niemals war es mir deutlicher als im Augenblick.«

»Ihre Missionen und Methoden hat man bei der CIA als Unterrichtsmaterial verwendet. Wussten Sie das?«

»Nein, das ist mir neu.«

»Natürlich nicht unter Ihrem Namen, sonst hätte ich schon viel früher von John Carr gehört. Aber ich habe ein wenig nachgeforscht. Abteilung 666. Dieser Name hat mich immer begeistert. Sie sind nie gescheitert.«

»Natürlich.«

»Bescheidenheit.«

»Die Wahrheit.«

»Ich glaube Ihnen nicht.«

Chapman konnte sich nicht mehr zurückhalten. »Das ist ja alles gut und schön, aber wir müssen auf unser Problem zurückkommen, wenn Sie beide nichts dagegen haben.«

»Arbeiten Sie mit uns zusammen?«, fragte Stone. »Bevor ich meinen Plan erkläre, brauche ich diese Zustimmung.«

»Sie bitten mich im Grunde genommen, meine Karriere aufs Spiel zu setzen. Wenn das schiefgeht, bin ich weg vom Fenster, ohne eine Spur zu hinterlassen.«

»Aber wenn wir diese Sache nicht aufhalten, wird noch viel mehr untergehen, nicht wahr? Nicht nur Menschen, vielleicht auch die ein oder andere Stadt.« Er hielt inne. »Nanobots? Die Russen sind dann wieder auf dem globalen Kriegspfad. Und wenn mein Plan funktioniert, könnten auch Sie Ihr Ziel erreichen. Der ganze Schlamassel liegt dann vor Moskaus Türschwelle.«

»Ich bin mir der Situation durchaus bewusst«, erwiderte sie kühl.

»Dann kennen Sie ja den Einsatz. Und ich brauche Ihre Hilfe.«

»Turkekul hat einige Zeit in Afghanistan verbracht. Dort schneidet man seine Feinde gern in Stücke, ein Stück Haut nach dem anderen. Und dann wird er mich an die Russen übergeben. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die besser sind.«

»Ich werde Sie mit meinem Leben beschützen.«

Sie blickte wieder aus dem Fenster. Stone sah, wie sich die verschiedensten Gefühle auf ihrem Gesicht abzeichneten, bis er erkannte, dass sie sich entschieden hatte. Sie wandte sich ihm wieder zu.

»Ich helfe Ihnen.«

»Vielen Dank.«

»Aber um das erreichen, hätten Sie auch direkt zu mir kommen können und sich nicht zu dieser Entführung herablassen müssen. Ich glaube, da habe ich Besseres verdient.«

»Das stimmt«, sagte Stone.

Der Auftrag
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