KAPITEL 40
Es dauerte fast drei Stunden, bis Stone sie schließlich auf den neuesten Stand gebracht hatte. Finn, Reuben und Caleb saßen auf Stühlen, die Stones Schreibtisch umstanden, während Annabelle sich auf der Schreibtischplatte niedergelassen hatte. Alex Ford war nicht bei ihnen; er hatte Dienst.
»Also ist der Bombenleger, zumindest einer von ihnen, gefasst worden«, sagte Caleb.
»Scheint so«, antwortete Stone.
»Aber du schaust nicht sehr überzeugt drein«, sagte Finn. Er trug eine dunkelblaue Windjacke, Jeans, staubige Stiefel und seine Glock.
»Alle Beweise liegen vor«, sagte Stone. »Eigentlich schon zu viele.«
»Sieht das FBI es auch so?«, fragte Reuben.
»Keine Ahnung. Momentan scheine ich beim FBI ein wenig in Ungnade gefallen zu sein.«
»Wenn nicht dieser Typ von der Baumschule, wer dann?«, warf Annabelle ein. »Wenn du sagen willst, dass ihm eine Falle gestellt wurde, war das aber eine verteufelte Falle.«
»Der Ansicht bin ich auch.« Stone wollte noch etwas hinzufügen, als jemand an die Tür klopfte.
Es war Chapman. Sie kam herein und sah die anderen.
»Ich bin endlich zur Vernunft gekommen«, sagte Stone geradeheraus, »und habe meine Freunde gebeten, uns zu helfen.«
Chapman musterte die anderen. »Uns wie?«, fragte sie skeptisch.
»Bei der Ermittlung.«
»Und bei welchem Geheimdienst sind sie?«
»Ich bin bei der Kongressbibliothek«, sagte Caleb von sich aus.
Chapman starrte ihn offenen Mundes an. »Das ist nicht Ihr Ernst!«
Er blickte sie verdutzt an. »Wie bitte?«
Sie wandte sich an Stone. »Verdammt, was geht hier vor?«
»Ich habe gestern Abend mit McElroy gesprochen. Er hat mir die FBI-Akten über den Zwischenfall in Pennsylvania gegeben. Ich bin sie durchgegangen. Mit ihnen.«
»Mit Ihren Freunden? Die uns helfen werden?« Chapman schien ihren eigenen Worten nicht zu glauben. »Ein verdammter Bibliothekar!«
»Eigentlich bin ich Experte für seltene Bücher«, sagte Caleb würdevoll. »Auf meinem Gebiet ist das so, als wäre ich James Bond.«
Mit beneidenswerter Schnelligkeit zog Chapman die Pistole und drückte die Mündung gegen Calebs Stirn. »Auf meinem Gebiet bedeutet das einen Scheiß, kleiner Mann.«
Sie steckte die Waffe wieder weg, während Caleb kurz vor einem Schlaganfall zu stehen schien.
»Habe ich eine Wahl?«, fragte die britische Agentin.
»Wobei?«, wollte Stone wissen.
»Mit ihnen zusammenarbeiten zu müssen.«
»Wenn Sie weiter mit mir arbeiten wollen, müssen Sie auch mit meinen Freunden arbeiten.«
»Ihr habt hier drüben schon sehr seltsame Sitten.«
Stone nickte. »Ja. Soll ich Sie über den FBI-Bericht informieren? Oder hat McElroy das bereits getan?«
Zwanzig Minuten später kannte Chapman den Inhalt des Berichts und wusste, dass Stone die Schlussfolgerungen mit Skepsis betrachtete.
»Wenn Kravitz also nichts davon getan hat … wer dann?«, fragte sie.
»Genau das müssen wir herausfinden. Aber vielleicht irre ich mich ja, und das FBI hat recht.«
»Und wie genau stellen wir das mit Wissen und Kooperation des FBI an?«
»Ich würde sagen, ohne Wissen oder Kooperation des FBI«, erwiderte Stone.
Chapman zog Caleb von seinem Stuhl und ließ sich dort nieder. »Also schön. Haben Sie Whisky hier?«
»Warum?«
»Wenn ich schon gegen das Gesetz verstoße und meinen Diensteid verletze, würde ich das lieber in einem etwas entspannteren Zustand tun, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Sie müssen sich überhaupt nicht daran beteiligen, Agent Chapman«, sagte Stone. »Das ist mein Plan und damit auch meine Verantwortung. Ihr Chef wird vollstes Verständnis dafür haben, sobald ich mit ihm gesprochen habe. Dann können Sie sich problemlos aus der Sache zurückziehen.«
»Und dann? Dann wird mein Hintern einfach wieder nach merry old England verschifft?«
»So ähnlich.«
»Das glaube ich kaum. Unerledigte Dinge machen mich wahnsinnig.«
Stone lächelte. »Das kann ich verstehen.«
Sie beugte sich vor. »Also, wo fangen wir an?«
»Mit einem Plan, einem sich ständig weiterentwickelnden Plan, bei dem aber niemand zu Schaden kommt«, sagte Stone ernst.
»Ich glaube nicht, dass du oder sonst jemand das garantieren kann, Oliver«, meinte Annabelle.
»Dann zumindest ein Plan, der euch allen den bestmöglichen Schutz bietet.«
»Klingt nicht besonders unterhaltsam«, meinte Reuben.
Chapman musterte ihn interessiert. »Also sind Sie bereit, für die Sache zu sterben?«
Trotzig erwiderte er ihren Blick. »Ich bin bereit, für meine Freunde zu sterben.«
»Es gefällt mir, wie Sie denken, Reuben«, sagte Chapman und zwinkerte ihm zu.
»An mir gibt’s noch viel mehr, das einem gefällt, MI6.«
Caleb hatte die Diskussion mit wachsendem Unmut verfolgt. »Können wir nun etwas tun oder nicht?«, wollte er wissen.
»Ja«, sagte Stone. »Ich habe für jeden von euch eine Aufgabe, die sich auf eure jeweiligen Stärken gründet.«
Caleb wandte sich Chapman zu. »Normalerweise bekomme ich die gefährlichen Sachen.«
»Tatsächlich?« Sie sah amüsiert aus.
»Das ist mein Schicksal. Sie sollten mal zusammen mit mir Auto fahren. Ich glaube, das würde alles erklären. Ich bin ein echter Draufgänger. Fragen Sie Annabelle.«
»Oh ja«, sagte Annabelle. »Wenn Sie den Verstand verlieren wollen, brauchen Sie nur mit unserem kleinen Raser hier über Landstraßen zuckeln, während er, ohne Luft zu holen, über irgendwelche toten Schriftsteller doziert, die keiner außer ihm kennt.«
»Hört sich lustig an«, erwiderte Chapman. »Als würde man sich selbst den Arm abnagen, weil man nichts Besseres zu tun hat.«
»Caleb«, übernahm Stone wieder das Gespräch, »ich möchte, dass du in der Bibliothek sämtliche Veranstaltungen recherchierst, die im nächsten Monat im Lafayette Park stattfinden sollen.«
Caleb wurde knallrot, was Chapmans Lippen amüsiert zucken ließ. »Dazu nehme ich aber mindestens zwei Maschinenpistolen mit, mein Freund.«
Stone teilte auch den anderen ihre Aufgaben zu. Annabelle umarmte ihn, bevor sie gingen.
»Schön, wieder da zu sein, wo wir hingehören.«
Chapman ging als Letzte. »Ich treffe Sie in drei Stunden im Park«, sagte Stone zu ihr.
»Vertrauen Sie diesen Leuten?«
»Blind.«
»Wer sind sie? In Wirklichkeit.«
»Der Camel Club.«
»Camel Club? Was ist das?«
»Das Wichtigste in meinem Leben«, antwortete Stone. »Leider hatte ich das eine Zeit lang vergessen.«