KAPITEL 75

Einen Tag später saß Stone in einem Restaurant an der Fourteenth Street, bekleidet mit einem schwarzen Sakko, weißem Hemd und Jeans. Er hatte seine Pistole, aber nicht den Dienstausweis bei sich. Seiner Ansicht nach war das Erstere unverzichtbar, das Letztere wertlos. In einer Ecke des Lokals mit freiem Blick auf den Eingang saß Harry Finn und nippte an einem Ginger Ale, während er langsam die Karte studierte. Seine Neunmillimeter steckte in einem Schulterhalfter.

Mary Chapman kontrollierte das andere Ende des Restaurants. Sie hockte auf einem Barstuhl und trank eine Cola. Ihre Walther steckte in ihrer Handtasche.

Drei Pistolen, die auf ihr Ziel warteten.

Stone stand auf, als sie eintraten. Neben der glamourösen Marisa Friedman wirkte Fuat Turkekul eher unscheinbar. Friedman trug einen dunklen Hosenanzug; ihr makellos frisiertes Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Sie war wirklich eine attraktive Frau, musste Stone sich eingestehen. In ihrem Beruf war das nützlich. Es sorgte dafür, dass viele Männer sich auf ihre körperlichen Attribute konzentrierten statt auf das, was ihnen schaden konnte, nämlich ihr Verstand.

Stone schüttelte Turkekul die Hand, dann nahmen alle Platz. Der Blick des Türken glitt durch den Raum, bevor er sich auf Stone richtete. Er nahm sich einen Moment Zeit, um die Serviette auf dem Schoß auszubreiten, bevor er das Wort ergriff.

»Ich war sehr überrascht, als Miss Friedman mich gebeten hat, mich mit Ihnen zu treffen. Ich war nicht davon ausgegangen, dass Sie … wie sagt man noch bei Ihnen?«

»Eingeweiht sind?«, schlug Stone vor.

»Ja.«

»Ich komme herum«, sagte Stone ausweichend, ließ den Blick durchs Restaurant schweifen und war zufrieden. Zwei Leibwächter waren Turkekul und Friedman gefolgt und warteten neben der Garderobe. Friedman hatte ihm verraten, dass die Sicherheitsbeamten den Befehl hatten, eine respektvolle Distanz einzuhalten, wenn sie mit diesem Mann zusammen war. Riley Weavers Männer sahen wachsam, aber entspannt aus. Stone blieb außerhalb ihres direkten Blickfeldes, nur für den Fall, dass sie ihn erkannten.

»Weswegen wollten Sie sich mit mir treffen?«, fragte Turkekul.

»Wie geht es mit Adelphia voran?«

»Wir arbeiten gut zusammen. Ich sondiere sozusagen das Terrain. Und Miss Friedman ist ebenfalls eine gute Partnerin.«

»Fuat hofft, in den nächsten Monaten Fortschritte zu machen«, fügte Friedman hinzu und schaute Stone einen Wimpernschlag zu lange an, bevor sie den Blickkontakt abbrach und nach der Karte griff, die der Kellner soeben gebracht hatte.

Turkekul hob die Hand. »Diese Dinge brauchen ihre Zeit. Amerikaner wollen alles gestern schon erledigt haben.«

»Diesen Ruf haben wir in der Tat«, sagte Stone. »Aber die Geschehnisse in letzter Zeit sind beunruhigend.«

Turkekul brach ein Stück Brot aus dem Körbchen in der Tischmitte ab, biss hinein und strich die Krümel von der Tischdecke auf den Boden. »Sie sprechen von der Bombe und all dem anderen?«

»Dem Tod eines FBI-Agenten. Der zweiten Bombe. Dem Mord an einem Mitarbeiter des Park Service. Wir müssen dem ein Ende bereiten.«

»Ja, aber was hat das mit mir zu tun?«

»Eine Gruppe aus dem Jemen mit bekannten Verbindungen zu al-Qaida hat die Verantwortung dafür übernommen. Also finde ich, dass es eine Menge mit Ihnen zu tun hat. Sie sind damit beauftragt, den neuen Anführer dieser Organisation zu finden.«

Turkekul schüttelte den Kopf. »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass die jemenitische Gruppe unzuverlässig ist. Meiner festen Überzeugung nach sind sie weder für die Bombe noch für eine der anderen verbrecherischen Taten verantwortlich.«

»Warum?«

Turkekul hob einen Finger. »Erstens sind sie nicht ausreichend organisiert. Solche von langer Hand vorbereiteten Pläne sind nicht ihr Ding. Sie legen eine Bombe in ein Auto und sprengen es, das ist es auch schon.« Ein zweiter Finger folgte. »Zweitens verfügen sie nicht über die Möglichkeiten, eine derartige Mission hier auszuführen. Sie sprechen von vielen Todesfällen, aber es handelt sich hier um Zwischenfälle, die nichts miteinander zu tun haben.«

»Wer steckt denn Ihrer Meinung nach dann dahinter?« Stone hielt inne und sah Friedman an. »Ihr alter Freund Osama wäre dazu imstande gewesen. Er hatte die Fähigkeit, einen Plan von langer Hand vorzubereiten. Und die Möglichkeiten.«

Turkekul lächelte und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht.«

»Und wie begründen Sie das?«

»Die neuen Leute haben andere Eisen im Feuer, wie es bei Ihnen so schön heißt.«

»Und was sind das für Eisen?«

»Das kann ich im Augenblick nicht sagen.«

Stone beugte sich vor. »Ich wollte mich mit Ihnen treffen, um eine Art Handel abzuschließen.«

Turkekuls Blick glitt zu seiner Begleiterin, bevor er sich wieder auf Stone richtete. »Ich habe bereits eine Abmachung mit Ihrer Regierung getroffen.«

»Ich habe nichts von meiner Regierung gesagt.«

Turkekul schien überrascht zu sein. »Ich verstehe nicht.« Wieder richtete sein Blick sich auf Friedman.

»Wir müssen die Dinge beschleunigen«, sagte sie. »Und ich glaube, wir haben jetzt die nötigen Informationen.« Sie nickte Stone zu.

Stone reagierte auf das abgesprochene Stichwort. »Wir haben einen Maulwurf entdeckt.«

Auf Turkekuls Miene zeichnete sich Erstaunen ab. »Einen Maulwurf?« Er warf Friedman einen weiteren nervösen Blick zu. »Wo genau?«

»In unmittelbarer Nähe«, antwortete Stone. »Wir kennen nicht die genaue Identität dieser Person, aber wir wissen, dass ein folgenschwerer Vorfall geplant wird.«

»Wie wollen Sie etwas deswegen unternehmen, wenn Sie die Identität dieser Person nicht kennen?«, fragte Turkekul.

»Das wird sich bald ändern«, verkündete Stone. »Seit einem Monat haben wir eine Quelle, die wir in Kürze umdrehen werden. Deshalb hat man mich überhaupt erst hinzugezogen. Darum war ich auch so interessiert an Ihrer Gegenwart, Fuat. Ich darf Sie doch Fuat nennen?«

»Natürlich. Aber ich verstehe nicht, warum Sie im Zusammenhang mit dieser Angelegenheit an mir interessiert sein sollten.«

Stone beugte sich vor und senkte die Stimme. »Haben Sie etwas dagegen, wenn wir diese Unterhaltung an einem anderen Ort fortführen, an dem wir mehr Privatsphäre haben?«

Wieder schaute Turkekul Friedman an. Sie nickte. »Sie müssen das wirklich hören, Fuat. Es betrifft Sie persönlich.«

Der Türke warf einen Blick über die Schulter in Richtung seiner Bodyguards. »Wie Marisa weiß, bin ich nie allein unterwegs.«

»Das kann arrangiert werden«, sagte Stone.

»Und wie?« Turkekul schien nervös.

»Es kann arrangiert werden«, wiederholte Stone. Er blickte in die Richtung von Chapman und Finn. Beide nickten, als Turkekul sie anschaute.

»Können Sie mir das nicht hier sagen?«, fragte er.

Stone lehnte sich zurück. »Sie vertrauen Marisa. Und Marisa vertraut mir, sonst hätte sie Sie nicht hergebracht.«

»Ich vertraue ihr.«

»Wo liegt dann das Problem?«

»Sie haben offensichtlich nie im Nahen Osten gelebt.«

»Ganz im Gegenteil.«

Stone sagte etwas auf Paschtu, dann auf Farsi. Turkekul zeigte sofort Wirkung.

»Woher kennen Sie diese Sprachen?«

»Mein Haar ist weiß. Ich bin schon lange Zeit in diesem Geschäft. Aber Sie sprechen davon, niemandem zu vertrauen, weil ein Freund nur so lange ein Freund ist, bis er ein Feind ist?«

»Ganz genau.«

»Dann gehe ich das Risiko ein, belauscht zu werden, und verrate Ihnen, warum Sie beteiligt werden müssen.«

»Ja?«

»Man hat eine Fatwa erlassen. Eine private.«

»Eine Fatwa? Gegen wen?«

»Gegen Sie.«

Turkekul wirkte entsetzt. »Gegen mich? Ich verstehe nicht.«

»Jemand hat herausgefunden, dass Sie den Amerikanern helfen, Fuat. Man will dieser Hilfe ein Ende bereiten.«

Turkekuls Blick huschte zwischen Stone und Friedman hin und her. »Eine Fatwa? Aber ich bin Akademiker. Ich stelle für niemanden eine Bedrohung dar.«

»Jemand hat herausgefunden, was Sie wirklich tun. Das ist eindeutig. Der Maulwurf, von dem ich sprach … Anscheinend waren Sie sein Ziel. Man weiß über Ihren Verrat Bescheid.«

»Das ist lächerlich.«

»Nein, unsere Information ist grundsolide. Wie Sie wissen, haben wir unsere Nachrichtenquellen in diesem Teil der Welt erheblich verbessert.«

»Wer hat die Fatwa erlassen?«

Stone nannte einen Namen, und das Gesicht des Türken wurde grau.

»Sie sind …«

»Ja. Und die Gruppe, die sie mit der Durchführung dieser Fatwa beauftragt haben, hat den Ruf, niemals zu versagen. Ich werde ihren Namen jetzt nicht erwähnen, aber glauben Sie mir, sie kennen ihn.«

Turkekul war kreidebleich geworden und fummelte mit den Händen herum.

Stone musterte ihn genau. »Ich weiß, dass Ihr Glaube keinen Alkohol erlaubt, aber vielleicht wäre in diesem Fall eine Ausnahme angebracht. Dann können wir darüber sprechen, was Sie für uns tun sollen.«

»Ja, ich glaube auch. Vielleicht einen Schluck Wein«, sagte der Türke schnell.

Friedman winkte den Kellner herbei.

Zehn Minuten später verließ Turkekul zusammen mit Friedman das Restaurant. Nachdem sie weg waren, verließen Stone und Chapman das Gebäude durch den Hintereingang und stiegen in einen schwarzen Yukon mit kugelsicheren Scheiben und gepanzerter Karosserie.

»Gut gemacht, Oliver«, sagte eine dröhnende Stimme von der Rückbank.

Dort saß James McElroy. »Die Übertragung war laut und deutlich. Ich habe alles gehört.«

Stone lehnte sich an die Lederrückenlehne. »Nun, dann wollen wir mal sehen, ob der Mann den Köder schluckt.«

Der Auftrag
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