KAPITEL 63

»Warum Friedman?«, wollte Chapman wissen, als sie die H Street entlanggingen.

»Sie war im Park. Wie ich sagte, ein einfacher Eliminierungsprozess.«

»Aber sie hat gesagt, was sie dort wollte. Sie hat sich sogar freiwillig gemeldet.«

»Das hätte ich auch getan, hätte ich mir etwas zuschulden kommen lassen. Ihr Gesicht war auf dem Video. Es wäre ausgesprochen verdächtig gewesen, hätte sie sich nicht gemeldet. Auf diese Weise hat sie jeden Verdacht entkräftet und erschien als aufrechte, gesetzestreue Bürgerin.«

»Eine aufrechte Bürgerin und Ehebrecherin. Aber sie hat genau da vorn ein Büro.« Die britische Agentin zeigte auf die Stadthäuser am Jackson Place. »Ihre Anwesenheit im Park wäre völlig normal.«

»Bitte nehmen Sie die Hand runter, nur für den Fall, dass die Gegend beobachtet wird. Man hat den Geschäftsleuten den Zutritt wieder gestattet.«

Verlegen wegen ihrer auffallenden Geste senkte Chapman rasch den Arm. »Tut mir leid.«

»Friedman hat behauptet, Lobbyistin zu sein. Vielleicht stimmt es ja. Aber vielleicht ist sie mehr als das.«

»Also könnte sie Turkekuls außerplanmäßige Verabredung sein?«

»Falls er die Absicht hatte, jemanden im Park zu treffen, kommt nur sie dafür infrage.«

»Aber in diesem Fall hätte er Sir James und die anderen darüber unterrichtet.«

»Dann decken sie möglicherweise auch Friedman.«

»Weil sie Teil seiner Mission ist?«

Stone nickte.

»Also war sie im Park, weil Turkekul dort war?«

»Falls meine Theorie stimmt, ja.«

»Aber haben die beiden sich auch getroffen?«

»Sie gingen zur gleichen Zeit. Ich habe nicht gesehen, dass sie irgendwie aufeinander reagiert hätten, solange sie im Park waren. Friedman war mit ihrem Mobiltelefon beschäftigt, Turkekul aber nicht.«

»Vielleicht wollten sie sich treffen, aber …«

»Aber dann ging die Schießerei los, und die Bombe explodierte.«

»Warum wollten sie sich treffen?«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Aber ich bezweifle, dass es darum ging, bin Ladens Nachfolger zu finden.«

»Und was fangen wir mit dieser neuen Betrachtungsweise an?«

»Falls wir versuchen, uns an Friedman heranzumachen, und sie von oben geschützt wird, könnte man uns in den Arsch treten.«

»Also kommen wir nicht an sie heran?«

»Offiziell nicht. Aber möglicherweise gibt es noch einen anderen Weg.«

»Und welchen?«

Stone zog sein Handy hervor und wählte. »Annabelle? Ich habe einen weiteren Auftrag für dich, falls du einverstanden bist.«

* * *

Am nächsten Tag betraten Annabelle und Caleb das Büro von Marisa Friedman. Sie hatten vorher einen Termin vereinbart, und die Lobbyistin erwartete sie. Annabelle hatte ihr Aussehen völlig verändert. Ihr Haar war kurz und blond, sie war stark geschminkt, ihre Kleidung europäisch und ihr Akzent eine authentische Mischung aus Deutsch und Holländisch. Caleb trug Schwarz und hatte sein dünner werdendes Haar mit Gel nach hinten gekämmt. Seine Brille wies rechteckige Gläser auf, und er war unrasiert. In der Hand hielt er eine nicht angezündete Zigarette. Dies sei die einzige Möglichkeit, erklärte er Marisa Friedman, sich das Rauchen abzugewöhnen.

Friedman schob den Ärmel hoch und zeigte ihm ein Nikotinpflaster. »Ich sitze gewissermaßen im selben Boot.«

Die Lobbyistin führte sie in ihr großes Büro in der ersten Etage, dessen Fenster Ausblick auf den Lafayette Park boten. Der Raum war so eingerichtet, dass er seine Benutzerin als weit gereiste Frau mit gutem Geschmack und genug Geld darstellte, um mit diesem erweiterten Horizont auch etwas anfangen zu können.

»Wir sind gerade erst in unsere Büros zurückgekehrt«, erzählte sie.

»Warum das?«, fragte Annabelle.

»Im Park ist eine Bombe explodiert. Und geschossen wurde auch.«

»Mein Gott!«, rief Caleb aus.

»Haben Sie denn nichts davon gehört?« Friedman wirkte überrascht.

»Wie Sie sich vermutlich schon meines Akzents wegen denken können, stamme ich nicht aus den USA«, sagte Annabelle.

»Und ich bin Exilant«, fügte Caleb fröhlich hinzu.

»Aber die Amerikaner lieben ihre Bomben und Schusswaffen«, behauptete Annabelle. »Zumindest erzählt man uns das immer.« Sie zuckte mit den Achseln. »Also war das ganz normal, oder?«

»Nein, Gott sei Dank ist das nicht normal.« Friedman beugte sich vor. »Ich muss sagen, Ihr Anruf hat mich neugierig gemacht. Sie wollen grüne Arbeitsplätze aus Europa in die Vereinigten Staaten exportieren? Darf ich nach dem Grund fragen, wo es bei Ihnen mit den umweltfreundlichen Technologien doch längst losgegangen ist?«

Annabelle verzog das Gesicht. »Es ist die Bürokratie. Der Amtsschimmel. Das macht uns fertig. Die EU lässt uns durch so viele Reifen springen, dass es lächerlich ist. Unser Geschäftsmodell ist gut, unsere Technologie solide. Aber können wir sie umsetzen?« Wieder zuckte sie mit den Achseln. »Ich habe hier einige Erfahrungen gesammelt, obwohl ich schon lange fort bin. Meine Freunde sagen mir, dass die USA grüne Jobs wollen. Dass die bürokratischen Hindernisse nicht so schlimm sind. Dass man Dinge schnell erledigen kann, und dass es von der Regierung sogar finanzielle Anreize gibt.«

»Stimmt. In welchem Land haben Sie sich niedergelassen?«, fragte die Lobbyistin.

»Frankreich.«

Sie stellte eine lange Frage auf Französisch. Caleb antwortete ihr sofort und machte am Ende noch einen Witz, der sie lachen ließ.

Annabelle sagte etwas auf Deutsch, und Caleb antwortete ihr in dieser Sprache.

»Ich fürchte, mein Deutsch ist ausgesprochen schlecht«, meinte Friedman.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte Annabelle. »Das war unhöflich.«

»Ihr Europäer sprecht so viele Sprachen, da fühlen wir Amerikaner uns immer ungebildet.«

»Ihr Land ist groß, unsere sind klein«, erwiderte Annabelle. »Fremdsprachen sind da eine Notwendigkeit. Aber Ihr Französisch ist sehr … äh, nett.«

»Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Wir benötigen ein Profil in Washington, eine Präsenz, wie Sie es nennen würden. Wir wollen eine Fabrik bauen, die unsere Waren in den Vereinigten Staaten herstellen soll. Außerdem haben wir IP-Patente und Lizenzprobleme, die politisch angesprochen werden müssen.« Annabelle hielt inne. »Sagt man das so? Politisch ansprechen?«

»Ich glaube, es heißt Lobbyistenarbeit«, kommentierte Caleb. »Man braucht Freunde in hohen Positionen.«

»Ich kann diese Angelegenheiten auf jeden Fall für Sie regeln«, versprach Friedman. »Ich kenne viele Leute in der Regierung, und Energiewirtschaft gehört zu meinen Spezialitäten. Darf ich fragen, wie Sie gerade auf mich kommen?«

Caleb sah verlegen aus. »Ich fürchte, das hatte nichts mit Ihrem Ruf zu tun, auch wenn ich davon überzeugt bin, dass er einzigartig ist.«

»Wir sind einfach nach der Nähe gegangen«, fügte Annabelle hinzu und zeigte aus dem Fenster.

Die Lobbyistin folgte der Bewegung. »Das Weiße Haus?« Sie lächelte. »Interessante Methode, eine Risikoprüfung durchzuführen. Aber ich glaube tatsächlich, das ist mit ein Grund, warum ich mich für diesen Ort entschieden habe.«

»Natürlich haben wir auch die öffentlichen Unterlagen Ihrer Kundenliste eingesehen. Sehr beeindruckend und in auffallender Übereinstimmung mit unserem Interessensgebiet«, bemerkte Annabelle.

Caleb beugte sich vor und klopfte mit seiner Zigarette auf Friedmans edlen Holzschreibtisch. »Aber es wäre hilfreich, wenn Sie uns etwas über Ihren Hintergrund verraten könnten. Wir wollen das richtig machen. Unser Geschäftsmodell weist einen klaren Weg zu einer Umsatzhöhe von mehreren Milliarden Euro beziehungsweise Dollar. Wir brauchen für den Start ein solides Fundament. Das ist unumgänglich.«

»Natürlich.« Friedman erzählte ihnen von ihrem Hintergrund, ihrer Ausbildung und Berufserfahrung und informierte sie, auf welchen Gebieten sie hilfreich sein konnte.

»Für die Art Tätigkeit, die Sie brauchen, denke ich an ein Honorar von zehntausend Dollar im Monat«, sagte sie am Ende der Besprechung. »Das gilt für Arbeiten, die von unserer normalen Preisliste abgedeckt werden. Für Dienste außerhalb dieses Rahmens fallen zusätzliche Kosten an. Das ist alles in unserer Standardhonorarvereinbarung erklärt.«

»Natürlich«, sagte Annabelle.

»Wo leben Sie eigentlich in Deutschland?«

»Berlin. Aber ich bin anderswo aufgewachsen.«

»Tatsächlich? Wo denn?«

»An vielen Orten«, erwiderte Annabelle kurz angebunden.

»Sie ist ziemlich kosmopolitisch. Und verschlossen«, fügte Caleb hinzu.

»Daran ist in unserer heutigen Welt, wo jeder jeden beobachtet, nichts auszusetzen«, sagte Friedman leichthin.

»Wir bleiben in Verbindung«, sagte Annabelle und fügte auf Deutsch hinzu: »Auf Wiedersehen.«

»Ciao«, verabschiedete sich Caleb.

Der Auftrag
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