KAPITEL 51

Brennan und Stone starrten sich an. Es dauerte einen langen, unbehaglichen Augenblick. Für Stone war es nichts Neues, seine Willenskraft mit Leuten zu messen, die er als Arbeitgeber betrachtete. Niemals durfte man den Blickkontakt abbrechen lassen, das war der Schlüssel. Das interpretierte die andere Seite nämlich als Zeichen der Schwäche, auf das sie sich sofort stürzte. Diese Fähigkeit hatten sie alle; deshalb bekleideten sie Führungspositionen.

»Wie bitte?«, fragte der Präsident schließlich. In seiner Stimme war ein Zögern, das verriet, was er tatsächlich dachte.

Stone gab keine Antwort. Er starrte Brennan weiter an, als könnte er in jede seiner Gehirnwindungen blicken. Sein Schweigen musste vermitteln, dass er alles wusste, auch wenn einiges davon reine Spekulation war.

Er wartete.

Brennan sagte nichts. Für einen Moment wurde sein Blick intensiver, aber dieses Auflodern erlosch wieder. Er stand auf.

»Lassen Sie uns einen Spaziergang machen, Stone. Ich glaube, wir müssen zu einer Verständigung kommen, und ich muss mir die Beine vertreten.«

Stone folgte ihm nach draußen, nachdem der Präsident eine Jacke angezogen hatte. Der Personenschutz begleitete sie und behielt beide Männer im Mittelpunkt eines gedachten, undurchdringlichen Diamanten, gebildet von den Agenten des Secret Service. Die Männer und Frauen des Kommandos waren in Übereinstimmung mit der Kleidung ihres Chefs und der ländlichen Umgebung leger gekleidet.

Sie gingen einen Waldpfad entlang, auf dem schon viele vorherige Präsidenten gegangen waren. Brennan sprach betont leise.

»Ich liebe es hier oben. Hier kann man die Batterien aufladen. Sozusagen meine Probleme vergessen, zumindest eine Zeit lang.«

Stones Blick schweifte nach rechts und nach links, dann nach vorn, während die begleitenden Agenten ihre Positionen präzise einhielten. Tatsächlich war Camp David noch besser beschützt als das Weiße Haus. Es befand sich in unwegsamem Gelände, und seine Grenze oblag dem Schutz einer großen Abteilung hervorragend ausgebildeter Marines, die jeden herannahenden Angreifer schon von Weitem sehen würden.

Der Präsident trat so nahe an Stone heran, dass sich ihre Ellbogen berührten. Instinktiv blickte Stone sich um, um zu sehen, ob die Agenten vom Secret Service ein Problem damit hatten. Aber da ihr Chef diese Nähe gesucht hatte, reagierte das Personenschutzkommando nicht.

»Stone, wir haben ein Problem.«

»Die Trümmer. Wissen wir schon, worum es sich dabei handelt?«

»Haben Sie je von Nanobots gehört?«

»Nanotechnologie? Ich habe in der Zeitung davon gelesen. Das ist aber auch schon alles, was ich darüber weiß.«

»Eine unglaubliche Technologie. Es gibt sie bereits in unserer Kleidung, unserem Essen, in Kosmetik, Haushaltsgeräten, allem Möglichen. Und die meisten Leute wissen es nicht einmal. Die Hälfte der Wissenschaftler hält sie für völlig sicher. Die andere Hälfte behauptet, dass wir nicht genug darüber wissen und dass es unvorhergesehene, möglicherweise katastrophale Langzeitkonsequenzen geben könnte.«

»Dann hat man in den Bombentrümmern einige dieser Nanobots gefunden? Aber sind die nicht mikroskopisch klein?«

»Allerdings. Man hat sie erst unter dem Mikroskop entdeckt.«

»Warum waren sie überhaupt dort? Was nutzen sie bei einer Bombe?«

Der Präsident lächelte resigniert. »Da liegt das Problem, Stone. Wir wissen es nicht. Wir glauben, dass irgendjemand eine neue Anwendung entdeckt hat, bei der Nanotechnologie auf eine Weise eingesetzt wird, die vorher nie angedacht war.«

»Sie sprechen von kriminellen oder terroristischen Zwecken?«

»Ja.«

»Wie lauten denn die Spekulationen? Ich meine, wozu die Nanobots dienen sollten? Da muss es doch Theorien geben.«

»Die gibt es auch. Die populärste ist zugleich die schrecklichste. Dieser Theorie zufolge hat man den Sprengstoff verseucht. Als die Bombe explodierte, hat diese Seuche sich verbreitet. Jeder, der zum Zeitpunkt des Anschlags im Park gewesen ist, trägt sie jetzt in sich und hat mittlerweile andere angesteckt.«

Stone zuckte zusammen und entfernte sich hastig von Brennan. »Ich war im Park. Die Druckwelle hat mich zu Boden geschleudert. Ich könnte kontaminiert sein. Sie sollten nicht in meiner Nähe sein.«

»Ich wurde dem bereits ausgesetzt. Durch Agent Gross, Garchik und anderen. Verdammt, selbst der Direktor des FBI war vor Ort. Aber ich kann Ihnen sagen, dass man mich jedem bekannten Test unterzogen hat, und mir wurde versichert, dass ich kerngesund bin.«

»Gibt es bei den Trümmern Beweise für eine derartige Seuche?«

»Nein. Aber wissen Sie, was man mir jetzt sagt? Dass die verdammten Nanobots die Fähigkeit besitzen, in gewisse Molekularstrukturen anderer Substanzen einzudringen und sie zu verändern. Diese Transformation belässt die Substanzen in ihrer ursprünglichen Form, kann sie aber auf dermaßen subtile Weise verändern, dass es bedeutend schwerer wird, sie zu identifizieren. Also glauben wir im Augenblick, dass wir nicht vor dem Problem einer Kontaminierung stehen. Doch die Wahrheit ist, wir wissen es nicht genau. Wir sind uns nicht einmal sicher, wonach wir suchen sollen. Also könnten die Ärzte mich ganz umsonst untersucht haben. Darüber hinaus könnte man mit den Nanobots eine völlig neue Seuche entwickelt haben.«

»Und Agent Garchik?«

»Wir hielten es für das Beste, ihn eine Zeit lang aus dem Spiel zu nehmen. Im Augenblick hält er sich in einem Safe House des ATF in …«

Stone hielt die Hand hoch. »Ich ziehe es vor, den genauen Ort nicht zu kennen.«

»Sie meinen …«

»Für den Fall, dass es jemand aus mir herausholen will. Ja.«

»Wir leben in gefährlichen Zeiten, Stone. Unsichere Zeiten.«

»Die Feinde sind viel näher gerückt.«

»Richtig. Wenn wir nur genau wüssten, wer sie sind. Das ist immer schwerer zu erkennen.«

»Ich glaube, da würde Ihnen jeder Soldat im Irak oder in Afghanistan beipflichten.«

»Das Ganze hat eine gewisse Ironie«, meinte Brennan.

»Wieso?«

»Ursprünglich wollte ich, dass Sie in Mexiko gegen die Russen kämpfen. Und jetzt finde ich die in meiner unmittelbaren Nähe. Möglicherweise direkt gegenüber vom Weißen Haus.«

»Sie wissen über die gefundene Waffe und Kravitz’ Verbindung nach Moskau Bescheid, nicht wahr?«

»Ja, aber da gibt es noch etwas anderes.«

Stone wartete gespannt.

»Als die Sowjetunion noch Weltmacht war, hatte sie ein unglaubliches wissenschaftliches Forschungsprogramm. Es gab zahllose Laboratorien und Milliarden von Dollar, um sie zu betreiben.«

»Also Nanobots?«

»Nanobots. Es gibt nur wenige Nationen oder Organisationen, die über die erforderlichen Ressourcen für ein derartiges Unternehmen verfügen. Auf dieser Liste stehen die Russen weit oben.«

»Was soll ich jetzt tun, Sir?«

»Ihren Job, Stone. Und ich verspreche Ihnen, dass ich hinter Ihnen stehe.«

Stone warf dem Präsidenten einen kalten Blick zu. Brennan schien seinen Zweifel zu spüren.

»Das ist mein Ernst, Stone. Wenn Sie die Sache überleben, ist das Konto ausgeglichen. Sie haben mein Wort. Dann lässt man Sie in Ruhe.«

Er streckte die Hand aus.

Stone schüttelte sie.

»Warum tun Männer wie Sie eigentlich, was sie tun?«, fragte Brennan. »Doch wohl kaum wegen der Orden. Und ganz bestimmt nicht wegen des Geldes.«

Stone schwieg.

»Warum dann? Für Gott und Vaterland?«

»Es ist viel einfacher und doch komplizierter, Mr. President.«

»Und worum geht es Ihnen?«

»Darum, dass ich mich noch im Spiegel anschauen kann.«

Der Auftrag
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