KAPITEL 57

Sie folgten Carmen durch den Korridor. Sofort fiel ihnen auf, dass das Haus geputzt und der Gestank von verfaulendem Essen beseitigt worden war. Als sie das kleine Wohnzimmer betraten, fiel ihr Blick auf Möbel und einen großen Flachbildfernseher, den es zuvor noch nicht gegeben hatte.

»Was ist passiert?«, fragte Chapman und schaute sich um.

Carmen lächelte traurig. »Als die Leute im Fernsehen gesehen haben, was mit Onkel Freddy passiert, sie kommen und helfen mir. Putzen mein Haus, kaufen Sachen. Sie sind sehr nett.«

»Was für Leute?«, wollte Stone wissen.

»Die vom Fernsehsender.«

»Der Fernsehsender?«

»Sie sagen, dass Leute Geld gespendet. Leute von der Straße. Und sie geben mir viele Dinge.« Sie zeigte auf den Fernseher. »Wie den da. Onkel Freddy hätte Fernsehapparat sehr gefallen. Er hat gern Fußball gesehen. Und sie machen Haus sauber. Und jeden Tag kommt jemand und sieht nach mir.« Sie pochte mit der Krücke auf den Boden. »Sie haben versprochen, mir auch bei Rechnungen für Doktor zu helfen. Und sie haben mir zwei neue Krücken gekauft.«

»Das ist großartig, Carmen«, sagte Chapman.

»Möchten Sie etwas zu trinken?«, fragte sie. »Ich habe jetzt viel zu trinken im Haus«, fügte sie stolz hinzu.

Sie lehnten ab. »Also bleiben Sie jetzt hier?«, fragte Stone.

Carmen setzte sich, und sie folgten ihrem Beispiel.

»Ich weiß nicht. Muss nachdenken. Es gibt eine Gedenkfeier für Onkel Freddy. Da muss ich hin. Ihr Präsident, er wird kommen. Mein Präsident auch. Aus Mexiko. Auch wenn ich den nicht gern mag, ich gehe trotzdem. Dann ich entscheide, was ich tue.« Sie betrachtete ihre neuen Besitztümer. »Dies hier mag ich sehr. Und meine neuen Sachen. Die auch.«

»Also bleiben Sie vielleicht?«, fragte Stone.

»Kann sein, ja.« Sie schwieg einen Moment. »Ich könnte wieder in Schule gehen. In Mexiko habe ich in Arztpraxis gearbeitet. Ich kenne mich mit Computern aus. Ich kann tippen, Akten führen. Ich kann Arbeit finden. Ich kann Freunde finden.«

»Das alles können Sie«, sagte Stone aufmunternd.

»Meine Familie findet, ich solle nach Hause kommen. Sie sagen, ich wohne nicht in schöne Gegend.«

»Aber Sie müssen darüber nachdenken, was Sie wollen. Es ist Ihr Leben«, meinte Chapman. »Umziehen können Sie immer noch.«

Carmen sah unschlüssig aus. »Und meine neuen Sachen? Ich kann mitnehmen?«

»Auf jeden Fall.« Stone nickte. »Ich helfe Ihnen sogar dabei.«

Sie musterte ihn erstaunt. »Das tun Sie für mich?«

»Ja.«

»Sie sind seltsame Regierungsleute.«

Chapman warf Stone einen Blick zu. »Ja, ich schätze, das sind wir.«

Sie versprachen, wieder nach ihr zu sehen, und gingen.

»Wo kommen Sie her?«, fragte Stone auf der Straße.

»Ich bin Ihnen gefolgt. Verdammt schwierig mit hohen Absätzen, das kann ich Ihnen sagen. Sie gehen sehr schnell.«

»Warum sind Sie mir gefolgt?«

»Weil Sie recht hatten. Und ich möchte es Ihnen auf jeden Fall erzählen.«

»Also diesmal die Wahrheit?«

Sie schob die Hände in die Taschen. »Riley Weaver und Sir James arbeiten zusammen.« Sie holte tief Luft. »Mein Gott, ich kann nicht glauben, dass ich Ihnen das erzähle. Ich habe gerade gegen jede professionelle Regel des MI6 verstoßen.«

»Das geht schon in Ordnung. Die meisten Geheimdienste haben viel zu viele Regeln.«

»Sie können es sich ja auch verdammt einfach machen«, erwiderte sie gereizt.

»Warum arbeiten sie zusammen? Wozu?«

»Ich weiß, dass es nicht Sir James’ Idee war.«

»Also hat man ihn überredet?«

»Wie Sir James bereits sagte, Ihr Präsident und unser Premierminister verstehen sich ausgezeichnet. Und Amerika ist die Supermacht. Alle anderen folgen ihr.«

»Also warum wurde mir das vorenthalten?«

»Weaver hat Angst vor Ihnen. Das geht aus allem hervor, was ich gesehen und gehört habe.«

Wenn man weiß, was ich mit seinem Vorgänger gemacht habe, hätte ich ebenfalls Angst vor mir, dachte Stone.

»Und was genau ist Ihre Rolle dabei?«

»Ich soll dieses Verbrechen aufklären.«

»Obwohl Ihr Premierminister offensichtlich nicht die Zielpersonen war? Hat der MI6 so wenig zu tun, dass er eine seiner besten Agentinnen schickt, die uns bei unseren Ermittlungen unterstützen soll?«

Chapman sagte nichts, starrte nur aufs Straßenpflaster.

Stone wandte sich ab. »Sparen Sie es sich, mir noch einmal zu folgen.«

Sie griff nach seinem Arm. »Also gut. In Ordnung.«

Erwartungsvoll blickte er sie an.

»Außerdem habe ich die Aufgabe, Sie im Auge zu behalten.«

»MI6 ist von der amerikanischen Regierung beauftragt worden, mich zu beobachten?« Stone klang skeptisch.

»Die Welt ist viel komplizierter geworden, Oliver. Aktivposten sind auch nicht mehr das, was sie mal waren, nicht einmal für euch Amerikaner. Globale Kooperation, damit erreicht man heute etwas. Wir tun den Yankees einen Gefallen, und sie zeigen sich erkenntlich. Natürlich wird das nicht an die große Glocke gehängt, alles nur geheime Kommandosache, aber es kommt vor.«

Er legte den Kopf schräg. »Warum mich beobachten? Glaubt man, ich sei in die Sache verwickelt?«

»Nein. Aber Weaver verfolgt eine andere Absicht.«

»Hat er sie McElroy mitgeteilt?«

»Ich glaube nicht, jedenfalls nicht in allen Einzelheiten. Aber Sir James sind die Hände gebunden.« Nachdenklich starrte sie ihn an. »Was könnte bei Ihnen denn eine solche Aufmerksamkeit rechtfertigen?«

»Ich habe einen Vorrat Antworten aus drei Jahrzehnten und wirklich nicht genug Zeit, alles zu erklären. Falls ich überhaupt dazu geneigt wäre, was ich nicht bin.«

»Wenn Sie mir verraten, was hier vor sich geht, könnte ich Ihnen vielleicht helfen.«

»Sie? Ausgerechnet die Person, die mich ausspionieren soll?«

»Ich dachte, wir wären Partner.«

»Sind wir auch, aber nur bei dieser einen Sache.«

»Und wer hält jetzt Informationen zurück?«, fauchte sie.

»Sie hielten Informationen zurück, die das Hier und Jetzt betreffen. Ich habe Ihnen niemals Fragen über Ihre früheren Missionen gestellt. Und ich erwarte die gleiche Höflichkeit von Ihnen.«

»Und wo stehen wir dann?«, fragte sie leise.

»Wo wir angefangen haben«, erwiderte Stone. »Und belassen wir es dabei.«

Der Auftrag
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