KAPITEL 50
Es war alles andere als einfach, den Präsidenten der Vereinigten Staaten ohne vorherigen Termin zu sprechen. Normalerweise war es so gut wie unmöglich. Der Terminkalender dieses Mannes würde jeden anderen Menschen auf der Welt beschämen. Mit der Air Force One konnte er an einem Tag verschiedene Länder bereisen und rechtzeitig für ein Staatsbankett zu Hause sein, um danach am späten Abend mit seinen Mitstreitern auf dem Capitol Hill noch eine Telefonkonferenz abzuhalten.
Deshalb war Stone überrascht, in einem Hubschrauber zu sitzen, der über Maryland flog. Die Maschine landete in den Catoctin Mountains, wo ihn eine aus drei Fahrzeugen bestehende Kolonne den Rest des Weges nach Camp David fuhr, dem vielleicht am besten bewachten Grundstück der Welt.
Aber das machte Sinn, wie Stone fand. Ein Treffen in Camp David war viel privater als in den Korridoren des Weißen Hauses. Als die Kolonne in Camp David einfuhr und ihn ein Marine in blauer Uniform empfing, fragte sich Stone, wie genau er dieses Thema beim Präsidenten anpacken sollte und wie dessen Reaktion aussehen würde.
Nun ja, die Antwort auf diese Fragen werde ich gleich erfahren.
Allein wartete er in einem kleinen Zimmer mit holzgetäfelten Wänden. Aber nicht lange. Die Tür öffnete sich, und der Präsident trat ein. Er trug Freizeitkleidung, eine Cordsamthose mit einem karierten Hemd und Slipper. In der einen Hand hielt er eine Brille, mit der anderen drückte er sich ein BlackBerry-Smartphone ans Ohr.
Er entdeckte Stone und bedeutete ihm, Platz zu nehmen. Dann beendete er das Gespräch mit leisen Worten, steckte das Mobiltelefon in die Hemdentasche und schenkte sich und Stone je eine Tasse Kaffee aus einer auf einem kleinen Beistelltisch stehenden Kanne ein. Er reichte ihm die Tasse, nahm Platz und setzte die Brille auf.
»Ich habe eine Kontaktlinse verloren«, sagte Brennan. »Also gibt es eine Ersatzbrille, bis man mir mein anderes Paar gebracht hat. In der Öffentlichkeit kann ich mich nicht mit einer Brille sehen lassen. Das mag man nicht.«
Stone nickte. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen Präsident während eines öffentlichen Auftritts mit einer Brille gesehen zu haben.
»Ich weiß es zu schätzen, dass Sie sich die Zeit nehmen, mich so kurzfristig zu empfangen, Sir«, sagte er.
Brennan musterte ihn. »Ich bin sicher, Sie kennen den Grund. Dieser Eindruck von Dringlichkeit ist unwiderstehlich. Wir scheinen in dieser Angelegenheit völlig die Kontrolle zu verlieren. Jeden Tag gibt es eine neue Krise. Konnten Sie schon Licht ins Dunkel bringen?«
»Ein wenig. Aber es gibt viele neue Fragen.«
»Geben Sie mir eine kurze Zusammenfassung.«
Stone berichtete. Er ließ nichts aus, einschließlich des Angriffs in seinem Haus und Fuat Turkekul.
»Ich weiß, dass ich Ihnen damit nichts Neues erzähle«, sagte er abschließend.
Der Präsident nickte. »Der Premierminister und ich stehen uns sehr nahe.«
»James McElroy hält sich ebenfalls an die Regeln.«
»Ein beeindruckender Mann. Scheint immer mehr als alle anderen zu wissen – sein Premierminister und ich eingeschlossen.«
»Das Markenzeichen eines guten Geheimdienstbeamten«, bemerkte Stone. »Aber mich darüber im Dunkeln zu lassen hat uns Zeit gekostet.«
»Dessen bin ich mir bewusst, aber das war nicht zu ändern«, sagte der Präsident.
»Ich verstehe.«
»Etwas Gutes hat es gebracht.«
»Sir?«
Der Präsident griff nach einer Fernbedienung und drückte auf eine Taste. Ein Stück Wand glitt auf und enthüllte einen Flachbildschirm. Eine weitere Taste, und der Fernseher wurde eingeschaltet. »Das hier wurde vor Kurzem aufgenommen«, erklärte Brennan.
Stone sah, wie Carmen Escalante auf dem Bildschirm erschien. Sie wirkte noch kleiner als in Person, und ihre Krücken sehen noch größer aus. Man stellte ihr Fragen über den Tod ihres Onkels und ihren eigenen Leidensweg mit ihren medizinischen Problemen.
»Diese Geschichte zieht wirklich weite Kreise, und daraus sind zwei Dinge entstanden. Wir veranstalten eine gemeinsame Gedenkfeier für Mr. Padilla und Agent Gross. Der mexikanische Präsident fliegt für die Zeremonie ein. Außerdem haben sich private Spender gemeldet, die die Kosten für Miss Escalantes Beinoperation übernehmen wollen.«
»Das ist erfreulich.«
»Wie Sie vielleicht wissen, sind die Beziehungen zu Mexiko unter anderem wegen der Immigrationsfrage sehr angespannt. Aber was mit Padilla geschehen ist, hat die Dinge wieder ein wenig aufgetaut. Ich weiß, dass er nicht vorhatte, zum Helden zu werden, trotzdem hat er sein Leben verloren. Und wir brauchen Helden, wo immer wir sie finden können. Die Geschichte ist in Mexiko und bei uns sehr positiv aufgenommen worden. Die Menschen unserer beiden Staaten sind ein kleines Stück näher zusammengerückt. Das ist positiv, zumindest sagen mir das meine Berater. Etwas, auf dem man für die Zukunft aufbauen kann. Das ist einer der Hauptgründe, warum wir diese gemeinsame Gedenkfeier abhalten.«
Der Präsident betätigte ein paar Tasten. Der Fernseher schaltete sich aus, die Wandverkleidung glitt zurück. Brennan legte die Fernbedienung zur Seite, lehnte sich im Stuhl zurück und trank einen Schluck Kaffee.
»Was uns zu heute bringt«, sagte er dann.
»Ja, Sir.«
»Also gut. Jetzt ist wohl der Augenblick gekommen, an dem Sie mir verraten, warum Sie mit mir sprechen wollten.«
»Ich weiß, dass Sie ein viel beschäftigter Mann sind, also komme ich direkt zur Sache.« Stone hielt inne, zögerte aber nur kurz. »Können Sie mir sagen, wo Agent Garchik ist? Und was ist mit den Beweismitteln, die zusammen mit ihm verschwunden sind? Ich weiß, dass Sie die Antwort auf beide Fragen kennen.«